1 MB - Kassenärztliche Vereinigung Hamburg

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BRENNPUNKT ARZNEI
Jhrg. 16, Nr. 2 – Juni 2011
Pharmakotherapie
Rationale und rationelle Pharmakotherapie in der Praxis
Kombipräparate
Zusammengewürfelter Unsinn oder
Bereicherung der Therapie?
Vor Jahren wurden Kombipräparate vielfach verteufelt. Oft zu Recht, denn damals
gab es haarsträubende Kombinationen, die offenbar nicht nach medizinischen,
sondern nach Marketingkriterien konzipiert worden waren und beispielsweise als
Schmerzmittel fatale Nebenwirkungen verursachten. Inzwischen sind diese katastrophalen Mixturen überwiegend entschärft und unter den heute angebotenen
Kombis findet man durchaus Nützliches für die Praxis. Wir geben einen Überblick
und zeigen in zwei Indikationsbereichen, wie die heutigen Kombipräparate zu beurteilen sind, wo sie mit Gewinn eingesetzt werden können und wann es ebenso
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gut mit separaten und preiswerten Generika geht. Statintherapie heute
Wie dosieren Sie Statine? Versuchen Sie, die Dosis anhand der Lipidwerte zu titrieren, geben Sie die höchstmögliche Dosis oder halten Sie sich an die Dosen, die in den
Zulassungsstudien verabreicht wurden? Eine neue Metaanalyse legt nahe, dass man
die Statine so hoch wie möglich dosieren sollte. Dabei sollte man aber verstärkt auf
Symptome am Bewegungsapparat achten und im Zweifelsfall durch Dosisreduktion
oder Auslassversuch klären, ob das Statin eine Myopathie verursacht. Seite 13
Kardiovaskuläre Risiken nichtsteroidaler Antirheumatika
Gibt es Unterschiede, die ich
in der Praxis bedenken muss?
Nichtsteroidale Antirheumatika gefährden bekanntlich das Herz. Deswegen sollte
man im Einzelfall immer überlegen, ob es auch ohne ein NSAID geht. Falls doch
eines nötig sein sollte, können Sie die Gefahr minimieren: Die Substanzen unterSeite 16
scheiden sich nämlich durchaus in ihrem kardiovaskulären Risiko. Vorsicht bei den deutschen Fachzeitschriften
Glauben Sie nicht alles, was Sie lesen!
In Deutschland gibt es Zeitschriften für Ärzte, für die man bezahlen muss. Und
anzeigenbestückte Blätter, die kostenlos in die Praxis geliefert werden – wahrscheinlich flattern auch Ihnen etliche davon ins Haus. Eine interessante Untersuchung zeigt nun: In den kostenlosen Blättern werden Medikamente durchweg
viel positiver und kritikloser bewertet als in den anderen Zeitschriften. Was kein
Wunder ist, denn diese Blätter leben von Geldern der Pharmaindustrie, und ihre
Redakteure lecken anscheinend gerne – oder vielleicht auch gezwungenermaßen
Seite 27
und mit Bauchgrimmen – die Hand, die sie füttert.
Herausgeber: Kassenärztliche Vereinigung Hessen
Wie machen Sie
Ihren Patienten
20% weniger
Mortalität
schmackhaft?
Seite 10
Seite 2
KVH • aktuell
Nr. 2 / 2011
Neue Präparate – immer wirtschaftlich?
Editorial
Sehr geehrte Damen und Herren,
seit November 1992 informiert Sie KVH aktuell zur rationalen und rationellen Pharmakotherapie.
Ab dieser Ausgabe wird das KVH aktuell thematisch ausgeweitet und verbessert. Sie
finden künftig in jeder Ausgabe Therapiebewertungen neuer Arzneimittel, die bei
vergleichbarer Bewertung gegenüber der bisherigen Therapie als nicht besser und
ggf. unwirtschaftlich angesehen werden. In der Regel liegen hierzu auch Veröffentlichungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) – neue
Arzneimittel, der KBV – Wirkstoff aktuell, oder des G-BA / IQWiG vor.
Die Therapiebewertungen starten mit zwei Präparaten, deren Einsatz bzw. Bewertung in den letzten Wochen sehr kontrovers diskutiert worden sind. Es handelt sich
um das Antiarrhythmikum Dronedaron (Multaq®), sowie den Thrombozytenaggregationshemmer Prasugrel (Efient®) auf den Seiten 24 und 25.
Hierzu wünschen wir uns eine lebhafte Diskussion mit Ihnen und wie immer viel
Spaß beim Lesen!
Mit freundlichen Grüßen
Walter Plassmann
Stellv. Vorsitzender KVH
Nr. 2 / 2011
KVH • aktuell
Seite 3
Editorial 2
Kombinationspräparate: Unsinn oder hilfreich bei der Behandlung?
Klaus Hollmann, Apotheker
4
Therapie der Hepatitis C bei Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen
Dr. med. Margareta Frank-Doss, Dr. med. G. Moog
8
Obst- und Gemüseverzehr senkt die KHK-Sterberate
Dr. med. Klaus Ehrenthal
10
Statin-Therapie heute: alles klar?
Dr. med. Jutta Witzke-Gross
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Kardiovaskuläres Risiko diverser nichtsteroidaler Antirheumatika
Gibt es Unterschiede, die ich in der Praxis bedenken muss?
Dr. med. Klaus Ehrenthal
Inhaltsverzeichnis
16
Schmerzmittel-Probleme17
Dr. med. Etzel Gysling
Medikamenten-Positivlisten für Senioren ab 65 Jahren
Dr. med. Klaus Ehrenthal
Behandlung des Vorhofflimmern
Multaq®: Viel teurer als Amiodaron, aber nicht unbedingt besser
Dr. med. Wolfgang LangHeinrich
20
24
Teures Prasugrel besser als preisgünstiges Clopidogrel?
Dr. med. Wolfgang LangHeinrich
25
Wes Brot ich ess‘, des Lied ich sing‘
Aus dem Horten-Zentrum für praxisorientierte Forschung und Wissenstransfer
27
Wes Brot ich ess‘ ...
Welches Lied singen die europäischen Leitlinien?
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Sicherer verordnen
Dr. med. Günter Hopf
Antibiotikaverordnungen: immer mehr Resistenzen
MMR-Impfstoff und Autismus: eine erfundene Geschichte mit fatalen Folgen
Valproinsäure: Migräneprophylaxe
Orale Kontrazeptiva: Thromboembolierisiko
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Kardioprotektion – einfach, aber effizient
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Hausärztliche Leitlinie Hypertonie
Hypertensive Krise – S. 32; Hypertonie in der Schwangerschaft – S. 32;
Zusammenfassung – S. 34
32
Ein Info-Blatt zur Raucherentwöhnung, das Ihnen die Arbeit erleichtert
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30
Impressum
Verlag: XtraDoc Verlag Dr. med. Bernhard Wiedemann, Winzerstraße 9, 65207 Wiesbaden (www.xtradoc.de)
Herausgeber: Kassenärztliche Vereinigung Hessen, Georg-Voigt-Straße 15, 60325 Frankfurt (www.kvhessen.de)
Redaktionsstab: Dr. med. Joachim Fessler (verantw.),
Dr. med. Christian Albrecht, Dr. med. Klaus Ehrenthal, Dr. med. Margareta Frank-Doss, Dr. med. Jan Geldmacher, Dr. med.
Harald Herholz, Klaus Hollmann, Dr. med. Günter Hopf, Dr. med. Wolfgang LangHeinrich, Dr. med. Alexander Liesenfeld,
Karl Matthias Roth, Dr. med. Michael Viapiano, Cornelia Kur, Dr. med. Jutta Witzke-Gross
Fax Redaktion: 069 / 79502 501
Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt;
Prof. Dr. med. Sebastian Harder, Institut für klinische Pharmakologie der Universität Frankfurt
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Wie alle anderen Wissenschaften sind Medizin und Pharmazie ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere, was
Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in dieser Broschüre eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autor und
Herausgeber große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angaben dem Wissensstand bei Fertigstellung der Broschüre entsprechen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und
Applikationsformen kann vom Herausgeber jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers.
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Beiträge
der
Redaktion
KVH • aktuell
Nr. 2 / 2011
Kombinationspräparate: Unsinn oder
hilfreich bei der Behandlung?
Früher gab es haarsträubende Kombipräparate; die wurden inzwischen überwiegend
entschärft. Wer sich die heute verfügbaren Kombis anschaut, findet auch viel Sinnvolles.
Klaus Hollmann, Apotheker
Die Kombination mit zwei oder mehreren Arzneistoffen verfolgt das Ziel, erwünschte
Wechselwirkungen zu verstärken, um effektivere therapeutische Wirkungen zu erzielen. Oder die Kombinationstherapie soll zur Abschwächung von unerwünschten
Arzneimittelwirkungen führen. Diese positiven Wechselwirkungen können pharmakokinetisch oder pharmakodynamische Grundlagen haben.
Zwei Beispiele:
Der pharmakokinetische Ansatz, die Decarboxylase mit den nicht zentralgängigen
Wirkstoffen Benserazid oder Carbidopa zu hemmen, um die Verstoffwechselung
von Levodopa zu Dopamin bevorzugt nur im Gehirn zu erzielen, hilft, einen Großteil
von peripheren Nebenwirkungen beim Parkinsonpatienten abzufangen.
Der funktionelle Synergismus von Gestagenen und Östrogenen zur hormonellen
Kontrazeption steht für eine pharmakodynamisch erwünschte Wechselwirkung, um
den Eisprung zu unterdrücken.
Eine Wirkungspotenzierung wird nur selten durch die Kombination von Wirkstoffen
erzielt und somit gilt es, die Hersteller aufzufordern, den wissenschaftlichen Nachweis dafür zu erbringen. Mit einem Kombinationspräparat lässt sich die Compliance
verbessern, weil dadurch die Einnahme für den Patienten vereinfacht wird. Das ist
auf der Habenseite zu verbuchen. Was für oder gegen Kombinationspräparate aus
dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise für den niedergelassenen
Vertragsarzt spricht, das soll nachfolgend an einigen Beispielen diskutiert werden.
Zunächst sind die allgemeinen Nachteile von fixen Kombinationsarzneimitteln zu
nennen:
Ungleiche Wirkdauer der Arzneiwirkstoffe
Wechselwirkungen, die zu unvorhersehbaren Änderungen des pharmakokinetischen Verhaltens führen (Metabolismus, Elimination)
Das anfangs bestehende Gleichgewicht zwischen den Wirkungen der Komponenten kann durch Enzyminduktion im Laufe der Therapie gestört werden
Die Unmöglichkeit, Unterschiede im therapeutischen Effekt zwischen zwei, drei
oder gar mehr Komponenten festzustellen bzw. zu klären, welcher von mehreren Bestandteilen für die beobachtete Wirkung verantwortlich ist
Die Gefahr von nicht vorhersehbaren toxischen oder allergischen Wirkungen
wächst mit der Zahl der Bestandteile
Mit der Rechtsverordnung, der „Arzneimittelübersicht zu der Verordnung über
unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung“ hat der
Gesetzgeber dazu beigetragen, viele Arzneimittelkombinationen vom
deutschen Pharmamarkt zu verbannen. Diese Rechtsvorschrift führte zu einer
Negativliste mit der Nennung von Fertigarzneimitteln. Es wurden Medikamente aus
der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen, wenn sie für das Therapieziel oder zur
Minderung von Risiken nicht erforderliche Bestandteile enthalten.
Ein bekanntes Beispiel war die Kombination eines Glukokortikoids mit einer
weiteren Substanz, wie es damals in Celestamine mit Betamethason und dem
Antihistaminikum Dexchlorpheniramin enthalten war. Den Namen des
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Fertigarzneimittels Celestamin hat der Hersteller „gerettet“. Aus dem Kombinationspräparat wurde ein Monopräparat mit Betamethason, zu dem festzustellen ist,
dass es bei der allergischen Rhinitis nur Mittel der fernen Wahl sein kann.
Wenn ein Präparat wegen der Vielzahl der enthaltenen Wirkstoffe nicht mit
ausreichender Sicherheit beurteilt werden kann oder sein therapeutischer Nutzen
nicht nachgewiesen ist, wird es in die Negativliste aufgenommen (Miroton®,
Wob­enzym®, jeweils 4 Wirksubstanzen).
Über viele Jahren gab es einen argumentativen Feldzug gegen Kombinationsarzneimittel und für Arzneimittel als Monopräparate, die nur einen Wirkstoff beinhalten. Natürlich basierten diese Empfehlungen auf der Erfahrung, die man mit den
alten, meist nicht zweckmäßigen und hochproblematischen Kombinationsarzneimitteln gesammelt hatte. So beispielsweise die Kombination zwischen Butazolidin
und Cortison oder von Barbituraten (oder Benzodiazepinen) in Schmerzmittelkombinationen. Gravierende Nebenwirkungen oder Abhängigkeiten waren gute
Gründe dafür, die Arzneimittelkombinationen in der Form von Fertigarzneimitteln
zu kritisieren.
Viele fragwürdige Arzneistoffkombinationen gab es in den zurückliegenden Jahren, die wegen der schädlichen Wirkung oder der Suchtkomponente aufgefallen
sind. Insbesondere analgetische und sedierende Substanzkombinationen sind zu
nennen:
Cibalgin® = Prophyphenazon + Allobarbital1 / Sucht (a.H.)
Gelonida® = Codein + Phenacetin / Nierentoxizität (a.H)
Spasmo Cibalgin® = Propyphenazon + Drofenin / Abhängigkeit (a.H.)
Diese Arzneimittelkombinationen sind nicht mehr im Handel (a.H).
Darüber hinaus sind über die gültigen Arzneimittel-Richtlinien zwischenzeitlich aus
dem Leistungsrecht folgende Schmerzmittel ausgeschlossen:
Arthotec® (Diclofenac und Misoprostol),
Azur comp.® (Paracetamol, Coffein und Codein),
Buscopan plus® (Paracetamol und Butylscopolamin),
Thomapyrin® (Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Coffein).
Verordnungsausschluss der Arzneimittel-Richtlinien: Ausgeschlossen
sind Analgetika in fixer Kombination mit nicht analgetischen Wirkstoffen (ausgenommen Kombinationen mit Naloxon) und Analgetika
oder Antirheumatika in Kombination mit Vitaminen.
Opioide
Die Kombinationsanalgetika Tilidin und Naloxon (Valoron®, viele Generika) und
Oxycodon und Naloxon (Targin®) sind weithin zu Lasten der GKV verordnungsfähig.
Bei diesen Kombinationen macht man sich zwei Erkenntnisse zu nutzen. Einmal die
unterschiedlichen agonistischen oder antagonistischen Aktivitäten der einzelnen
Opioidwirkstoffe an den Rezeptoren und zweitens die unterschiedlichen RezeptorTypen (µ-, κ- und δ-Rezeptoren) und deren differierende Anzahl im zentralen Nervensystem aber auch im peripheren Nervensystem selbst.
Reine Agonisten (z.B.Morphin, Oxycodon, Hydromorphon, Fentanyl, Tilidin)
Gemischte Agonisten/Antagonisten (z. B. Pentazocin; Fortral®)
Partialagonisten (z. B. Buprenorphin)
Reine Antagonisten (z. B. Naloxon)
Bei normaler, therapeutischer Dosierung wirkt die Kombination zwischen Tilidin
und Naloxon ausreichend, denn der reine Antagonist Naloxon wird in der Leber
durch einen hohen First-pass-Effekt erheblich eliminiert. Antagonistisch wirkt Naloxon bei Dosissteigerung.
CAVE: Wird eine bedarfsorientierte Erhöhung vorgenommen, so heben
1 Lehrbuch der Pharmazeutischen Chemie, Auterhoff, 11. Auflage
Praxis-Tipp
Ein Kombipräparat aus
Opioid und
Naloxon
kann nicht beliebig dosiert
werden: Bei
hoher
Dosierung
geht die Wirkung verloren.
Dann ist auch
die Zugabe
eines weiteren
Opioids
unsinnig,
sondern ein
kompletter
Wechsel des
Präparats
nötig.
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Die gleichzeitige
Gabe mehrerer
Opioide ist unsinnig
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sich die analgetischen Effekte von Tilidin und Naloxon zunehmend auf.
Die gleichen agonistischen und antagonistischen Effekte betreffen Targin® (Oxycodon und Naloxon) in höherer Dosierung. Hier argumentiert man zudem bei der
fixen Kombination, dass Naloxon eine stärkere Affinität zum peripheren als zum
zentralen Opioid-Rezeptor aufweist und somit gezielt eine Obstipation verhindert.
Mit der Argumentation, „das Opioid-Analgetikum habe geringere obstipierende
Eigenschaften“, wurde eigentlich jede Neueinführung der Stoffklasse in den letzten
Jahren platziert. Nur wenn ein generisches Opioid in Kombination mit Laxantien
nicht akzeptabel vertragen wird, ist die teure Fixkombination aus Sicht einer wirtschaftlichen Verordnungsweise auch eine Option.
Pharmakologisch unsinnig ist es, verschiedene Opioide miteinander zu kombinieren,
vor allem, wenn es sich bei dem einen Präparat um einen reinen Agonisten und bei
dem anderen um einen partiellen Agonisten (Buprenorphin) oder gar Antagonisten
(Naloxon) handelt [1].
Beispiele: Buprenorphin und bei Bedarf Morphin Tropfen. Oder Valoron® (viele
Generika) und Morphin retard.
Aktueller Trend bei Kombinationspräparaten
Zwischenzeitlich haben einige neue Arzneimittelkombinationen wieder hohe
Akzeptanz in den ärztlichen Therapiekonzepten gefunden und gemessen an den
Verordnungsumsätzen gehören Kombinationspräparate sogar zu den Top 20 auf
dem deutschen Pharmamarkt. Chronische Erkrankungen werden nach den neuen
phamakologischen Therapieansätzen mehr und mehr mit der Kombination von
Wirkstoffen behandelt, sodass es seitens der Pharmaindustrie naheliegt, die Wirkstoffe auch in sinnvollen Kombinationspräparaten anzubieten.
Dazu zunächst ein Blick auf die Strategie, die einen pharmazeutischen Hersteller
erfolgreich werden lässt. Innovationen, neue Arzneimittel mit neuen, wissenschaftlich belegt wirksamen Effekten, garantieren Umsatz und Gewinn. Einen Blockbuster
(also ein Medikament mit einem weltweiten Umsatz von über einer Milliarde Dollar
im Jahr) zu entwickeln, ist jedoch aufwändig. Oft laufen die Patente der „großen“
Wirkstoffe ab, und der Hersteller fühlt sich gezwungen, ein Analogarzneimittel auf
den Markt zu platzieren, weil ihm kein richtig innovatives Produkt zur Verfügung
steht.
Analogarzneimittel sichern in dieser Situation neue Patente mit geringem Aufwand und überschaubaren Kosten. Zudem garantieren sie gute Gewinne. Einfach
das bekannte Molekular-Grundgerüst, das eine garantierte Struktur-Wirkbeziehung
am relevanten Rezeptor zeigt, mit weiteren Atomen und Molekülresten verändern,
und schon ist ein neues Analogarzneimittel kreiert!
Aber auch Kombinationsarzneimittel sind ähnlich gut geeignet, neue Arzneimittel zu platzieren, sich Patente und hohe Vermarktungspreise zu sichern.
Wie sind diese Arzneimittelkombinationen unter dem Aspekt der wirtschaftlichen
Verordnungsweise zu beurteilen?
Lungen- und Bronchialheilkunde
Unter den Top-Sellern, den Medikamenten mit den größten Umsatzzahlen, finden
sich zwischenzeitlich die Kombinationspräparate mit den Wirkstoffkombinationen
der langwirksamen Bronchospasmolytika (Long Acting Beta Agonist – LABA) mit
topischen Glukokortikoiden. Insbesondere Symbicort® und Viani® zeigen erhebliche
Verordnungszahlen.
An den Kombinationsmitteln Symbicort® oder Viani® kann man, soweit diese Mittel nach den vorgegebenen Therapiestufen zur Behandlung beim Asthma bronchiale
eingesetzt werden, medizinisch nichts kritisieren. Auch der Hinweis des IQWiG,
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dass die Gabe der Monopräparate zum einen mit langwirksamen Bronchospasmolytika und zum anderen das topische Glucocorticoid dem der Kombinationsmittel
nicht unterlegen seien, haben dem momentanen Siegeszug der Kombinationspräparate im erzielten Umsatz nicht geschadet. Es handelt sich um rationale Therapeutika.
Fertigarzneimittel
Wirkstoff
Tagestherapiekosten nach AVR 2009
Symbicort
Formoterol / Budesonid
2,15 €
Viani
Salmerterol / Fluticason
2,69 €
Salmerterol / Fluticason
2,62 €
Formoterol / Beclometason
1,41 €
Formoterol / Beclometason
1,41 €
®
®
Atmadisc
Foster
®
®
Inuvair
®
Quelle Arzneiverordnungsreport
Generika
Monopräparate
Tagestherapiekosten nach AVR 2009
Budesonid
0,65 €
Beclometason
0,77 €
Fluticason
1,17 €
Formoterol
1,28 €
Serevent – Salmerterol
1,88 €
Salbutamol
0,55 €
®
Quelle Arzneiverordnungsreport
Mit der getrennten Verordnung von Formoterol und Budesonid in Form von Monopräparaten entstehen Tagestherapiekosten von etwa 1,93 €. Somit errechnen
sich ca. 11% Einsparungen gegenüber Symbicort, ca. 39% gegenüber Viani und
ca. 35% gegenüber Atmadisc®.
Wirtschaftliche Aspekte der Verordnung von Kombinationspräparaten:
Langwirksame Bronchospasmolytika werden als Formoterol zur Verfügung
gestellt (Generika).
Die frei Kombination kostet 1,93 €.
Erst später zugelassene Kombinationspräparate versuchen, über den Preis
Marktanteile zu erzielen.
Denken Sie an Step down, d.h., wenn der Patient keine Anfälle mehr hat, stellen
Sie auf Budesonid Monotherapie um.
Fazit: Die Kombinationspräparate bei der Therapie des Asthma bronchiale sind
pharmakologisch sinnvoll und vereinfachen die Compliance. Die Dauertherapie
sollte hinterfragt werden, da mit Dosisreduzierung und Anpassung der Wirkstoffe
Kosten eingespart werden können.
Hypertonie
Auch bei der antihypertensiven Therapie hat sich die wissenschaftliche Meinung
etabliert, dass eher in niedriger Dosierung Wirkstoffe kombiniert werden, als dass
einzelne Substanzen bis zur maximalen Dosierung gesteigert werden. Eine Vielzahl
neuer Kombinationspräparate zur Bluthochdruckbehandlung ist in den letzten
Jahren auf den Markt gekommen.
Aus den Werbeanzeigen einer Ausgabe des Deutschen Ärzteblatts kann man
beispielsweise entnehmen:
Twynsta® (Telmisartan und Amlodipin) hat „24-Stunden doppelte Schlagkraft
gegen hohen Blutdruck“
„Drei bewährte Substanzen in einer einzigen Tablette“: Exforge® HTC (Amlodipin, Valsartan, HTC) oder
Bedeutung
für
unsere
Praxis
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Votum plus®, weil es in hoher Dosis Olmesartan und HTC kombiniert, „jetzt
noch stärker wirkt“.
Werbeaussagen müssen Aufmerksamkeit bewirken, der Vertragsarzt muss aber
das Wirtschaftlichkeitsgebot erfüllen. Die Hypertoniebehandlung ist ein großer
Kostenfaktor in der allgemeinärztlichen Praxis, denn es gilt, eine große Anzahl an
Patienten zu versorgen.
Bedeutung
für
unsere
Praxis
Wirtschaftliche Verordnung von Kombinationspräparaten; Antihypertonika
Diuretika gelten seit der ALLHAT-Studie als die Substanzklasse der Wahl, die
regelmäßig bei einer Kombinationstherapie des hohen Blutdrucks dabei sein
muss.
Die bewährten Einzelsubstanzen zur Bluthochdruckbehandlung sind, soweit
Generika vorhanden, sehr günstig. Dies gilt insbesondere, wenn man die Leitsubstanzen Ramipril, HCT, Furosemid/Torasemid, Bisoprolol oder Amlodipin
wählt.
Kostengünstige Kombinationen resultieren, wenn zwei generisch verfügbare Substanzen kombiniert werden.
Sind Sartane (oder andere Wirkstoffe, die unter Patent stehen) im Kombinationspräparat enthalten, dann wird es teurer.
Fazit: Antihypertensiva zu kombinieren, gehört zur Routine in der hausärztlichen
Praxis. Viele Antihypertoniestudien der letzten Jahre wurden eher unter der Kombinationsstrategie, als unter Einzelmedikamenten konzipiert. Die blutdrucksenkenden
Wirkungen der Wirkstoffklassen Diuretika, Betablocker, Calciumantagonisten und
ACE-Hemmer scheinen sich jeweils voll addieren zu lassen.
Der Nutzen von fixen Kombinationspräparaten besteht für den Patienten hauptsächlich in der vereinfachten Einnahme.
Ein Kostenvorteil durch die Verwendung von Kombinationspräparaten ist
nicht immer gegeben. Es lohnt sich, die Preise genauer zu prüfen.
Oft hat man den Eindruck, dass Kombinationspräparate den Herstellerfirmen dazu
dienen, ein neues Originalpräparat platzieren zu können.
Interessenkonflikte: keine
Literatur:
1 Lehrbuch der Schmerztherapie, Zens Jurna
Beiträge
der
Redaktion
Therapie der Hepatitis C bei Patienten
mit Abhängigkeitserkrankungen
Dr. med. Margareta Frank-Doss, Dr. med. G. Moog
Die Hepatitis C ist in erster Linie durch parenterale Serum- oder Blut-Kontakte
übertragbar. In den Industrienationen können heute durch die Implementierung
von Hygienerichtlinien bei der Gabe von Blut oder Blutersatzprodukten sowie durch
entsprechende Überwachung bei medizinischen oder zahnmedizinischen Eingriffen Neuinfektionen weitgehend verhindert werden. Aktuell ist daher die Hauptinfektionsquelle für Hepatitis C der unkontrollierte intravenöse Drogenkonsum
(„needle sharing“).
Die intensivere Betreuung von Drogenabhängigen, insbesondere mit Einführung
der Methadonsubstitution, hat aber auch hier die Situation entschärft. Dennoch
besteht auch bei substituierten Abhängigen durch intravenös applizierte Beigebrauchsdrogen ein hohes Infektionsrisiko [2].
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Die medizinische Motivation zur Methadonsubstitution hat sich im Laufe der letzten
Jahre gewandelt: So stand früher das Konzept einer Drogenfreiheit im Vordergrund. Dieses Ziel sollte durch sukzessive Dosisreduktion von Methadon bis hin zur
kompletten Substanzfreiheit erreicht werden. Dem steht aktuell ein pragmatischer
Realismus im Sinne einer akzeptierenden Drogensubstitution gegenüber. Das bedeutet, dass in den Praxen und Ambulanzen substituierender Ärzte inzwischen viele
Patienten behandelt werden, die bereits seit vielen Jahren Methadon bekommen.
Man kann annehmen, dass diese chronisch Abhängigen einer dauerhaften Substi­
tution bedürfen [3].
Die langfristige Betreuung im Rahmen von Substitutionsprogrammen lenkt das
medizinische Augenmerk auch auf die Begleit-Erkrankungen der zunehmend älter
werdenden Gruppe der Methadon-substituierten Patienten. Neben kardiovaskulären und onkologischen Diagnosen ist insbesondere die hohe Rate an chronischer
Hepatitis C ein prognosebestimmender Faktor.
Die antivirale Behandlung bei Hepatitis C ist seit Jahren etabliert und hat im Laufe
der Jahre entscheidende Verbesserungen erfahren. Die beiden wesentlichen medikamentösen Standbeine sind pegyliertes Interferon alpha und Ribavirin. Die zentrale
Bedeutung dieser zwei Substanzen bleibt auch mit Zulassung von weiteren, direkt
antiviral wirkenden Optionen (Telaprevir und Boceprevir), erhalten.
Die antivirale Therapie wird je nach vorliegendem Genotyp zwischen 24 und maximal 72 Wochen durchgeführt. Sowohl die nahezu obligaten subjektiven und objektiven unerwünschten Begleitwirkungen der Medikamente als auch die Therapiekosten
machen die Hepatitis-C-Behandlung sehr aufwändig. Der durchschnittliche Preis für
einen medikamentösen Behandlungszyklus liegt zwischen 24.000 und 36.000 Euro.
Trotz der Tatsache, dass nur 50% der behandelten Patienten dauerhaft virusfrei und
damit geheilt werden, sind die bisherigen ökonomischen Berechnungen gegenüber
der Alternative einer Lebertransplantation bei unbehandelten Verlauf zu einem
positiven und damit Therapie-befürwortendem Votum gekommen.
Konkret bedeutet die Heilung einer Hepatitis weniger hepatozelluläre Karzinome
und eine geringere Zahl an Patienten mit chronischem Leberversagen [5].
Diese Berechnungen liefern einen statistischen Mittelwert aus einer Kohorte von
jungen und älteren Patienten, wobei in der Vergangenheit einzelne Subpopulationen von der Therapie mehrheitlich ausgeschlossen worden waren. So galt bis vor
einigen Jahren die Therapie bei Patienten mit weiter bestehenden Abhängigkeitserkrankungen zumindest als problematisch und ab einem Alter von 70 Jahren wurde
ebenfalls keine antivirale Behandlung mehr empfohlen.
Studien zur Behandlung methadonsubstituierter Patienten mit Hepatitis C konnten zeigen, dass man gerade bei stabil substituierten Drogenabhängigen trotz
der nebenwirkungsreichen Substanzen Interferon und Ribavirin sehr günstige
Therapieergebnisse mit anhaltender Virusfreiheit erzielen kann. Eine erfolgreiche Viruseradikation bedeutet allerdings keinerlei Immunität gegen eine erneute
Hepatitis-C-Reinfektion.
Leider fehlt in all diesen Studien eine Aussage, ob die virusfreien substituierten
Patienten ein weiter bestehendes Risikoverhalten mit der Gefahr einer Reinfektion aufweisen. Eine neue Untersuchung aus Hamburg konnte aufzeigen, dass
bei substituierten Patienten ein unveränderter Beigebrauch von Drogen mit der
damit verbundenen Gefahr einer parenteralen Virusinfektion sehr häufig ist. [4].
Wir nehmen dies zum Anlass, zusätzliche qualitativ hochwertige Untersuchungen
zu fordern, die das Risiko der Reinfektion bei diesen Patienten genauer quantifizieren.
Die psychischen und psychiatrischen Komorbiditäten von Suchtpatienten berühren
auch die Notwendigkeit einer dauerhaften psychosozialen Stabilisierung. Dieses
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Die Behandlung
von Suchtpatienten
braucht ein
Netzwerk – auch
bei der Therapie der
Hepatitis C
Für Sie
gelesen
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Konzept stand in den vergangenen Jahren im Vordergrund und beinhaltete eine
gewisse Zurückhaltung bei der auch psychisch belastenden Interferon-basierten
antiviralen Behandlung der Hepatitis C. Diese Situation hat sich in den letzten zwei
Jahren geändert.
Es drängt sich der Verdacht auf, dass bei der erweiterten Indikation für eine
antivirale Behandlung auf eine komplexe Patientengruppe auch MarketingErwägungen eine Rolle spielen können. Insgesamt ist die Gruppe diagnostizierter,
aber noch unbehandelter Hepatitis-C-Kranker in Deutschland kleiner geworden.
Die Entscheidung zu einer antiviralen Therapie wurde in der Vergangenheit häufig über mehrere Etappen unter Einbeziehung mehrerer Betreuungs-Personen
(Suchttherapeut, Psychiater, Hepatologe und Patientenangehörige) entwickelt
und getragen. Aktuell hat man den Eindruck, dass Patienten in einzelnen Fällen
alleine von ihrem substituierenden Arzt zu einer Therapie motiviert werden. Diese
Schnellschuss-Entscheidungen werden vor allem sehr problematisch, wenn die
Weiterführung der Methadon-Substitution an die Durchführung einer antiviralen
Therapie gekoppelt wird.
Unser Beitrag soll nicht den Eindruck erwecken, das Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen nicht antiviral behandelt werden können. Im Gegenteil: Es sollten die häufig noch sehr jungen Patienten unbedingt zu einer
Behandlung stimuliert werden, um die langfristigen Folgen des chronischen
Leberversagens (Fibrose, Zirrhose, Karzinom) zu verhindern. Es bedarf aber
einer umfassenden und auch zeitaufwändigen Beratung von Patient und
seinem sozialen Umfeld. Dabei sollte eine Trennung von antiviral therapierenden Arzt und substituierendem Arzt angestrebt werden.
Interessenkonflikte: keine
Literatur:
1 Backmund M.: Heroinabhängigkeit, Hepatitis C, .HIV ;2008 ecomed Verlag
2 Bühringer, G., et al.: Methadon-Expertise. Einsatz von Methadon bei der Behandlung von Opiatabhängigen in
Deutschland. Band 55 Schriftenreihe des Bundesministeriums für Gesundheit. Bayreuth 1995.
3 Raschke, P.: Substitutionstherapie. Ergebnisse Iangfristiger Behandlung von Opiatabhängigen. Lambertus, Freiburg i. Br. 1994.
4 Thane, Wickert, Vertehein; Abschlussbericht „ Szenebefragung in Deutschland 2008 Hamburg, Januar 2009
5 Uwe Siebert, Gaby Sroczynski; Antivirale Therapie bei Patienten mit chronischer Hepatitis C in Deutschland.
Medizinische und ökonomische Evaluation der initialen Kombinationstherapie mit Interferon / Peginterferon und
Ribavirin; Health Technology Assessment Schriftenreihe des DIMDI, Band 8, 2003
So stark senkt Obst- und Gemüseverzehr
die KHK-Sterberate
Dr. med. Klaus Ehrenthal
Wie viel Obst und Gemüse sollte der Mensch zu sich nehmen? Dazu erschien 2010
eine Auswertung der EPIC-Heart-Studie, einer großen prospektiven europäischen
Studie zu Krebs, kardiovaskulärer Mortalität und Ernährung [1].
Diätempfehlungen, die eine Senkung der kardiovaskulären und anderer Risiken ins
Visier nehmen, wurden nach den Veröffentlichungen der WHO 1990 [2] in letzter
Zeit mehrfach publiziert [3, 4, 5]. Die aus diesen Ergebnissen seit 2007 abgeleitete
Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) „fünfmal am Tag eine
Handvoll Obst oder Gemüse, ggf. ersatzweise auch als Saft“ zu sich zu nehmen [7],
um eine kardioprotektive Ernährung anzuwenden, hat zunächst bei manchen
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Konsumenten Kopfschütteln hervorgebracht, denn das hielten viele für nicht machbar. Wie sinnvoll ist eine solche Empfehlung in Bezug auf das kardiovaskuläre Risiko?
EPIC-Heart-Studie
Crowe et al. untersuchten in der EPIC-Heart-Studie das kardiovaskuläre Risiko bei
unterschiedlichem Verzehr von Obst und Gemüse mittels einer sehr sorgfältigen
Auswertung bei 313.074 detailliert zur Ernährung befragten Probanden in zehn
europäischen Ländern – 121.593 Männer und 191.481 Frauen (In einigen Zentren
– Neapel und Utrecht – wurden nur Frauen untersucht) [1]. Die Probanden waren
zwischen 40 und 80 Jahren alt (Durchschnittsalter 54 Jahre). Sie hatten weder
Herzinfarkte noch Schlaganfälle erlitten.
Es wurden in den mitwirkenden 23 europäischen Zentren ausführliche Daten zu
Rauchgewohnheiten, Alkoholgebrauch, BMI, Blutdruck, Diabetes, Familienstand etc.
erhoben, um mögliche Ursachen für die zu beobachtenden Effekte aufzudecken.
Die detaillierten Protokolle zu den verzehrten Obst- und Gemüsemengen wurden
in 80-Gramm-Portionen umgerechnet.
Ergebnisse
Die schon früher [3, 4, 5] beobachteten präventiven Effekte konnten in dieser großen europäischen EPIC-Heart-Studie eindrucksvoll und signifikant bestätigt werden.
In der Beobachtungszeit (durchschnittlich 8,4 Jahre Follow-up, entsprechend
2.639.257 Personenjahren) starben 1.636 der 313.074 Teilnehmer. Der durchschnittliche Obst- und Gemüseverzehr betrug etwa fünf solcher kleinen 80-gVerzehreinheiten. Nur in drei südlichen Ländern (Griechenland, Italien, Spanien)
fanden sich durchschnittlich mehr als fünf Obst- und Gemüseverzehreinheiten
täglich. Am geringsten waren diese Zahlen in Schweden (2,9 für Männer und 3,5
für Frauen), am höchsten in Italien und in Spanien mit mehr als sechs Obst- und
Gemüse-Verzehreinheiten täglich.
Teilnehmer mit mindestens 8x 80 g Obst- und Gemüseverzehr täglich waren
gering älter, hatten einen etwas höheren BMI und eine höhere Kalorienaufnahme,
aber einen geringeren Blutdruck (systolisch und diastolisch), einen geringeren Alkoholgebrauch und eine geringere Aufnahme von gesättigten Fettsäuren als solche
Probanden, die nur bis zu 3x täglich 80 g Obst und Gemüse verzehrten.
Das eindruckvollste Ergebnis aus diesem großen Datenpool war eine mit vermehrtem Obst- und Gemüseverzehr einhergehende, nachgewiesene signifikante
Reduktion von tödlichen Herzinfarkten:
Bei mindestens 8x täglichem Verzehr von 80 g (= 640 g) Obst und Gemüse war
die Risikorate tödlicher Herzinfarkte (nach dem Beobachtungszeitraum von median
8,4 Jahren um 22% niedriger als in der Gruppe mit weniger als 3x 80 g (= 240 g)
Obst und Gemüse täglich (RR = 0,78; 95%-Konfidenzintervall (95%-CI): 0,65-0,95)1).
Jede weitere tägliche 80-g-Portion Obst und Gemüse war mit einer Risikoreduktion
eines fatalen Herzinfarktes von vier Prozent assoziiert (RR = 0,97; 95%-CI: 0,950.99). Bei zusätzlicher Beachtung einer verminderten Aufnahme von gesättigten
Fettsäuren und adäquater Zufuhr von Cerealien wurde (nach Analyse der Ernährungsprotokolle) die inverse Relation einer vermehrten Aufnahme von Obst und
Gemüse und dadurch verminderter Herzinfarktmortalität signifikant (RR = 0,95;
95%-CI: 0.91-1.00; p=0,047).
Während die Autoren der WHO-Studie [4, 5] in einer Metaanalyse 2005 aus vier
prospektiven Studien zum gleichen Thema eine RR für ischämische koronare Herzerkrankungen von 0,90 für eine einzelne tägliche 80 g-Portion Obst- und Gemüse
errechneten, fanden Dauchet et al. [6] 2006 in einer größeren Metaanalyse von
1 Während in anglo-amerikanischen Studien die Risikorate meist mit Dezimalbrüchen wie „0,9“ ausgedrückt
wird, kann (wie oftmals in deutschen Veröffentlichungen) die identische Risikorate auch mit „90 %“ bezeichnet
werden, was das Gleiche meint.
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9 prospektiven Studien eine Gesamt-RR für koronare Herzerkrankungen von 0,96
für jede zusätzliche tägliche 80 g-Portion von Obst und Gemüse.
Die Zusatzanalysen des Datenmaterials ließen darüber hinaus keine gesicherten
Erkenntnisse zu sonstigen Ursachen der kardioprotektiven Wirkung erkennen.
Sinnvolle Empfehlung für Patienten:
Essen Sie mindestens fünfmal am Tag
eine Handvoll Obst, Gemüse oder trinken Sie Saft!
Die Reduktion der Sterberate durch Herzinfarkte kann
durch den mehrfachen täglichen Verzehr von 80-g-Portionen Obst und Gemüse signifikant und erheblich gesenkt
werden.
Jede einzelne solcher 80-g-Portionen von täglichem Obstund Gemüseverzehr kann die Sterberate durch Herzinfarkte um vier Prozent senken.
Bei einer täglichen Verzehrmenge von 640 g Obst und
Gemüse (= bis zu 8 Portionen) ist eine Reduktion der Mortalität um 22 Prozent möglich.
Die gut praktikable Empfehlung der DGE „Fünfmal am
Tag eine Handvoll Obst und/oder Gemüse, ersatzweise
auch als Saft“ zu verzehren, sollte auch in unseren Praxen
empfohlen werden.
Trotz sehr detaillierter Zusatzbefragungen und Statistiken
konnte in der großen EPIC-Heart-Studie bisher eine eigentliche Ursache für die positive, kardioprotektive Wirkung eines vermehrten Obst- und Gemüseverzehrs nicht ermittelt
werden [1].
Interessenkonflikte: keine
Apfel, Trauben, naturtrüber Apfelsaft: drei
Beispiele für je eine 80-g-Portion Obst. Acht
solcher Portionen pro Tag können die Mortalität
durch Herzinfarkt um 22 Prozent reduzieren.
Literatur:
1 Crowe FL, Roddam AW, Key TJ et al, European Prospective Investigation into
Cancer and Nutrition (EPIC)-Heart Study Collaborators: Fruit and vegetable intake
and mortality from ischaemic heart disease: results from the European Prospective
Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC)-Heart study. Doi:10.1093/eurheart/
ehq465.
2 WHO Study Group on Diet, Nutrition, and the Prevention of Noncommunicable
Diseases: Diet, nutrition, and the prevention of chronic diseases; report of a
WHO study group. (World Health Organization technical report series. Geneva
1990;Nr.797).
3 World Health Organization: Nutrition and the Prevention of Chronic Diseases.
WHO Technical Report Services Nr.916. Geneva: World Health Organization.
2003.
4 Lock K, Pomerleau J, Causer L, McKee M: Low fruit and vegetable intake. In: Ezzati
M, Lopez A, Rodgers A, Murray C (eds.): Comparative Quantification of Health
Risks: Global and Regional Burden of Disease due to Selected Major Risk Factors.
Geneva: World Health Organization. 2004;597-728.
5 Lock K, Pomerleau J, Causer L, Altmann DR, McKee M: The global burden of
disease attributable to low consumption of fruit and vegetables: implications for
the global strategy on diet. Bull World Health Organ 2005;83:100-108.
6 Dauchet L, Amouyel P, Hercberg S, Dalongeville J: Fruit and vegetable consumption and risk of coronary heart disease: a meta-analysis of cohort studies. J Nutr
2006;136:2588-2593.
7 Boeing H, Bechthold A, Bub A et al.: Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft
für Ernährung e.V.: Obst und Gemüse in der Prävention chronischer Krankheiten.
September 2007:S.1-43. www.dge.de
Weitere einfache und praxisnahe Möglichkeiten für eine
effiziente Kardioprotektion finden Sie in diesem Heft auf Seite 31
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Statin-Therapie heute: alles klar?
Geht es um das Erreichen eines LDL-Zielwertes? Wie wirksam und
sicher ist eine intensivierte LDL-Cholesterin-senkende Therapie?
Und wer soll überhaupt behandelt werden?
Dr. med. Jutta Witzke-Gross
Es ist uns allen klar, dass Statine über eine Senkung des Cholesterinwertes einerseits
und einer Plaquestabilisierung andererseits kardiovaskuläre Ereignisse reduzieren.
Bei meiner täglichen Arbeit in unserer kardiologisch-angiologischen Gemeinschafts­
praxis fällt mir auf, dass es zahlreiche Patienten um die 40 bis 50 Jahre gibt, die, obwohl sie keine kardiovaskulären Ereignisse in der Vorgeschichte und keine weiteren
Risikofaktoren als einen erhöhten Cholesterinspiegel haben, ein Statin einnehmen.
Andererseits gibt es zahlreiche Diabetiker, die kein Statin bekommen, und auch
eine ganze Reihe Patienten mit gesicherter koronarer Herzerkrankung sind ohne
Statin-Therapie, weil, wie sie mir berichten, ihr LDL-Cholesterin-Spiegel normal sei.
Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen erscheint es mir sinnvoll, die im
Lancet online publizierte Metaanalyse der Cholesterol Treatment Trialists (CTT)
Kollaboration [1] kurz zu referieren.
Fragestellung der Metaanalyse war die Wirksamkeit und Sicherheit einer intensivierten LDL-Cholesterin-senkenden Therapie. Eingeschlossen wurden fünf Studien, die
eine niedrigere Statin-Dosierung gegen eine intensivierte untersuchten (zwei Studien
an Patienten mit akutem Koronarsyndrom und drei Studien an Patienten mit stabiler
koronarer Herzerkrankung) sowie 21 Studien, die eine Statin-Therapie gegen Placebo prüften (14 Studien, die bereits bei einer 2005 publizierten Metaanalyse berücksichtigt wurden, sowie sieben weitere Studien, davon zwei mit Primärprävention,
zwei mit Dialysepatienten, eine Studie an Patienten mit koronarer Herzerkrankung,
eine Studie an Diabetikern und eine Studie mit Patienten mit Herzinsuffizienz). Voraussetzungen für die Aufnahme der Studie in die Metaanalyse waren mindestens
1000 Teilnehmer, eine mindestens zwei Jahre dauernde Therapie und das Ziel der
Senkung des LDL-Cholesterins ohne Modifikation weiterer Risikofaktoren. Im Voraus
definierte Endpunkte waren die Ursachen spezifische Mortalität, relevante koronare
Ereignisse (Herztod oder nicht-tödlicher Herzinfarkt), koronare Revaskularisierung
(Angioplastie oder Bypass-Operation), Schlaganfall (differenziert in ischämisch oder
Blutung) und neu diagnostizierte Krebserkrankung.
Es wurden die individuellen Werte von 170 000 Teilnehmern ausgewertet.
Die Autoren berichten über folgende Ergebnisse nach einem Jahr:
1. Durch eine intensivierte Statin-Therapie fand sich eine gewichtete mittlere weitere Reduktion der LDL-Cholesterin-Konzentration um 0,51 mmol/l.
2. Die relative Risikoreduktion für relevante koronare Ereignisse betrug 24% pro
1 mmol/l LDL-Cholesterin-Senkung, wobei sich eine hoch-signifikante Senkung
der Rate nicht-tödlicher Myokardinfarkte und des koronaren Herztodes fand.
3. Die relative Risikoreduktion für koronare Revaskularisationen lag bei 25% pro
1,0 mmol/l LDL-Cholesterin-Senkung.
4. Die relative Risikoreduktion für Schlaganfälle betrug 16% pro 1,0 mmol/L
LDL-Cholesterin-Senkung, wobei sich eine hoch-signifikante Verminderung
ischämischer Schlaganfälle und ein nicht-signifikanter Anstieg hämorrhagischer
Schlaganfälle fand.
5. Die Risikoreduktion relevanter vaskulärer Ereignisse um ca. 1/5 pro 1 mmol/l
LDL-Cholesterin-Senkung zeigte sich in allen untersuchten Subgruppen der 26
Studien, obwohl die jährliche Ereignisrate in den Kontrollgruppen entsprechend
der Vorgeschichte und anderer Charakteristika der Teilnehmer differierte.
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Insbesondere hat sich eine hoch-signifikante relative Risikoreduktion um 25%
pro 1 mmol/l Reduktion der LDL-Cholesterin-Konzentration bei Teilnehmern
ohne vorangegangene vaskuläre Erkrankung in der Vorgeschichte gezeigt,
sowie eine signifikante relative Reduktion von 17% bei Frauen und 16% bei
Teilnehmern älter als 75 Jahren.
6. Die Gesamtmortalität wurde um 10% pro 1 mmol/l LDL-Cholesterin-Reduktion
gesenkt mit einer signifikanten Verminderung der Todesfälle durch koronare
Herzerkrankung und andere kardiale Ursachen, wobei die Todesrate durch
Schlaganfall nicht signifikant verändert wurde.
7. Es wurde kein Anstieg der Todesrate aufgrund von Krebserkrankungen oder
anderen nicht-vaskulären Ursachen gefunden; des Weiteren fand sich kein
Anstieg der Krebsinzidenz, auch nicht bei sehr niedrigen LDL-Cholesterinkonzentrationen.
8. Es ergab sich kein Hinweis für einen Cholesterin-Schwellenwert.
Die Autoren kommen zu den Schlussfolgerungen:
Durch weitere Senkung des LDL-Cholesterins kann ohne Gefahr eine weitere
Reduktion der Inzidenz von Herzinfarkten, Revaskularisierungen und ischämischen Schlaganfällen erzielt werden, wobei die jährliche Ereignisrate um ca. 1/5
vermindert wird.
Die Ergebnisse der vorliegenden Metaanalyse würden nahe legen, dass die
absolute Reduktion der kardial verursachten Mortalität in einer vorgegebenen
Population in Folge einer Verringerung des LDL-Cholesterins hauptsächlich von
dem absoluten Risiko für Tod aufgrund von Einengungen der Koronarien abhängig sein würde.
Die Reduktion stenosierender vaskulärer Ereignisse um 1/5 pro 1 mmol/l LDLCholesterin-Senkung sei unabhängig von der Ausgangs-Cholesterin-Konzentration. Bei einer Verminderung des Cholesterins um 2-3 mmol/l würde demnach
das kardiovaskuläre Risiko um 40-50% vermindert werden. Das Hauptziel bei
Patienten mit hohem Risiko für stenosierende vaskuläre Ereignisse sei also die
größtmöglichste LDL-Cholesterin-Senkung. Dies bedeutet, dass bei HochrisikoPatienten eine weitere Cholesterinsenkung über den von Fachkreisen in den
Leitlinien empfohlenen Zielwerten von zusätzlichem Nutzen sei, ohne dass das
Risiko einer Krebserkrankung oder die nicht-vaskuläre Mortalität erhöht werden
würden.
Dieser Nutzen könnte sicherer erreicht werden mit neueren, potenteren Statinen
wie z. B. 80 mg/Tag Atorvastatin oder 20 mg/Tag Rosuvastatin oder eventuell
durch die Kombination einer Standarddosis von Generika-Statinen (beispielsweise 40 mg Simvastatin oder Pravastatin) mit einer anderen LDL-Cholesterinsenkenden Therapie.
Bedeutung
für
unsere
Praxis
Individuell dosieren, keine feste Dosis für alle Patienten
In der Sekundärprophylaxe, zum Beispiel der koronaren Herzerkrankung, ist
unbedingt an die Statin-Therapie zu denken; ebenso bei Diabetikern. Dabei ist
eine LDL-Cholesterin-Konzentration um 100 mg/dl kein Grund, einem Patienten
die Sekundärprophylaxe mit einem Statin vorzuenthalten.
In der Primärprophylaxe existiert seit 4/09 vom G-BA die Richtlinie, erst ab einem
10-Jahres-Risiko von 20% eine medikamentöse Cholesterinsenkung zu Lasten
der gesetzlichen Krankenversicherungen zu verschreiben. Dieses 10-JahresRisiko orientiert sich am Risiko eines Postinfarktpatienten (Sekundärprophylaxe),
das ebenso hoch ist, und an einer NNT von 200, die der G-BA als wirtschaftlich
erachtet.
Anmerkung: Es ist vor der Verschreibung/Nichtverschreibung eines Statins eine
sorgfältige Risikoberechnung (incl. differenziertem Labor, ggf. Halsschlag-
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aderultraschall, computergestützte Risikokalkulatorenanalyse etc.) erforderlich.
Die letztendliche Entscheidung treffe ich aber für jeden Patienten individuell.
In der Sekundärprophylaxe sind, entsprechend den Aussagen der vorliegenden
Metaanalyse, die Statine so hoch wie möglich zu dosieren, unabhängig vom
Ausgangswert des LDL-Cholesterins, um einen größtmöglichen Nutzen zu erzielen. In die gleiche Richtung gehen die Ergebnisse der ebenfalls Ende letzten
Jahres veröffentlichten SEARCH-Studie [2]. In dieser in England durchgeführten
Studie wurden über einen mittleren Beobachtungszeitraum von 6,7 Jahren
die Wirksamkeit und Sicherheit von 20 mg Simvastatin/Tag gegen die von 80
mg Simvastatin/Tag an 12064 Überlebenden eines Herzinfarktes getestet. Es
fand sich in der höher dosierten Patientengruppe eine relative Risikoreduktion
vaskulärer Ereignisse (koronarer Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall oder arterielle
Revaskularisation) um 6%, was allerdings statistisch nicht signifikant war. In
beiden Studiengruppen fand sich kein signifikanter Unterschied bezüglich der
Todesfälle aus vaskulärer oder nicht vaskulärer Ursache. Bei den Patienten mit
der hohen Statindosierung kam es aber signifikant häufiger zu Myopathien als
in der Behandlungsgruppe mit 20 mg Simvastatin/Tag (0,9% vs. 0,03%). Laut
Autoren bestehe ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Myopathie v.a. im
ersten Behandlungsjahr und insbesondere bei Leuten, die eine Variante in dem
SLCO1B1-Gen tragen (geschätzte Prävalenz in der UK-Bevölkerung von 0,15).
Bis eine Gentestung allgemein und wirtschaftlich verfügbar sei, wird daher besonders im ersten Jahr der Statintherapie ein intensives Labor-Monitoring empfohlen (in der Studie Bestimmung der Alanin-Aminotransferase-Konzentration
und der Kreatininkinase-Konzentration nach 2, 4, 8 und 12 Monaten, dann
alle 6 Monate) [2].
Ich werde in meinem Praxisalltag also verstärkt mein Augenmerk nicht nur
auf die Einnahme eines Statins, sondern auch auf seine Dosierung richten
und mich nicht mehr von vorneherein zum Beispiel mit einer SimvastatinDosis von 10 bis 20mg/Tag zufrieden geben. Aus meiner bisherigen Erfahrung verhindern aber auftretende Nebenwirkungen wie Muskelschmerzen, gastrointestinale Missempfindungen oder ein deutlicher Anstieg der
Leberenzyme häufig schon das Erreichen zum Beispiel einer SimvastatinDosis von 40 mg pro Tag. Wie auch schon in der Primärprophylaxe wird
also unsere Therapieentscheidung immer individuell auf den Patienten
bezogen bleiben.
Interessenkonflikte: keine
Literatur:
1 Cholesterol Treatment Trialists’(CTT) Collaboration. Efficacy and safety of more intensive lowering of LDL cholesterol: a meta-analysis of data from 170 000 participants in 26 randomised trials.www.thelancet.com November 9, 2010
2 Study of the Effectiveness of Additional Reductions in Cholesterol and Homocystein (SEARCH) Collaborative
Group. Intensive lowering of LDL cholesterol with 80 mg versus 20 mg simvastatin daily in 12064 survivors of
myocardial infarction: a double-blind randomised trial. www.thelancet.com November 9, 2010
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Praxis-Tipp
Ausnahmsweise gilt hier:
Viel hilft viel!
Allerdings
gilt auch: Bei
Schmerzen im
Bewegungsapparat immer
auch an die
Statintherapie
als Ursache denken und nicht
auf CK-Werte
verlassen:
Auslassversuch!
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Kardiovaskuläres Risiko diverser nichtsteroidaler Antirheumatika
Gibt es Unterschiede, die ich
in der Praxis bedenken muss?
Dr. med. Klaus Ehrenthal
Seit Längerem ist bekannt, dass die Anwendung von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAID) mit kardiovaskulären Risiken behaftet ist. Um die Bedeutung des bekannt
gewordenen Gefahrenpotentials, das von dieser Stoffklasse ausgeht, zu überprüfen,
führten Sven Trelle und Mitarbeiter vom Inselspital und der Universität Bern eine
große Metaanalyse von 31 Studien an insgesamt 116.429 Patienten durch [1].
Die Beobachtungszeit bezog sich auf insgesamt 115.000 Patientenjahre. Es wurden aus den großen bibliographischen Dateien und anderen Quellen einschließlich
des Studienregisters der FDA alle ermittelbaren Studien aufgespürt. Fehlende
Outcome-Berichte wurden von den entsprechenden Herstellern angefordert und
teilweise auch geliefert (Pfizer und Novartis). Es wurden alle bis zum Juli 2009
erreichbaren randomisierten, doppeltblinden Studien ausgewählt, in denen bei
ausreichender Probandenzahl (mindestens 100) und mit einem mindestens 100
Patientenjahre andauernden Follow-up nichtsteroidale Antirheumatika mit anderen
NSAID oder Placebo verglichen worden waren.
Es wurde die Wirkung folgender Stoffe überprüft: Naproxen, Ibuprofen, Diclofenac
sowie die Coxibe Celecoxib, Etoricoxib, Rofecoxib und Lumiracoxib. Dabei wurden
Vergleiche untereinander oder mit der Wirkung von Placebos analysiert.
Als primärer Outcome wurden Herzinfarkte ausgewählt. Als sekundärer Outcome
wurden Schlaganfälle, Todesfälle durch kardiovaskuläre Erkrankungen und Todesfälle durch andere Ursachen untersucht.
Die aufwändigen statistischen Analysen erbrachten folgende Ergebnisse:
Verglichen mit Placebo fand sich für Rofecoxib das höchste Herzinfarktrisiko
(Rate Ratio (RR) 2,12; 95%-Konfidenzintervall (KI) 1,26-3,56), gefolgt von Lumiracoxib (RR 2,00; 95%-KI 0,71-6,21).
Ibuprofen hatte das höchste Schlaganfallrisiko gezeigt (RR 3,36; 95%-KI 1.0011,6), gefolgt von Diclofenac (RR 2,86; 95%-KI 1,09-8,36).
Etoricoxib (RR 4,07; 95%-KI 1,23-15,7) und Diclofenac (RR 3,98; 95%-KI 1,4812,7) waren mit der höchsten kardiovaskulären Todesrate assoziiert.
Naproxen erschien bei dieser großen Metaanalyse nach Durchsicht von 31
Studien als am wenigsten riskant im Hinblick auf kardiovaskuläre Risiken.
Bedeutung
für
unsere
Praxis
Coxibe haben das höchste, Naproxen hat das geringste Risiko
Kardiovaskuläre Risiken bestehen bei der Therapie mit allen untersuchten nicht­
steroidalen Antirheumaka, was in der Tat schon länger bekannt ist.
Diese große Metaanalyse ermöglicht es nun, das kardiovaskuläre Risiko der
einzelnen Wirkstoffe unterschiedlich zu bewerten, was je nach dem vorliegenden Krankheitsbild auch für die Medikamentenauswahl für den Patienten von
Bedeutung sein kann.
NSAID sollten besonders bei kardiovaskulären Risikopatienten zurückhaltend,
nur nach Bedarf und möglichst nicht dauerhaft verordnet werden.
Die Risiken sind je nach Substanz deutlich unterschiedlich: Coxibe zeigten besonders häufig kardiovaskuläre Komplikationen, Ibuprofen und Diclofenac führten
vermehrt zu Schlaganfällen, Naproxen war im Hinblick auf kardiovaskuläre
Risiken am geringsten auffällig.
Es ist für den behandelnden Arzt immer wieder wichtig, zu hinterfragen: müssen vorliegende osteoarthritische Schmerzen überhaupt mit einem NSAID
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behandelt werden? Welche – möglichst niedrige – Dosis von welchem Präparat
sollte angewendet werden? Welche Nebenwirkungen sind beim vorliegenden
Einzelfall möglichst zu vermeiden?
Und last not least: können vielleicht physikalische Maßnahmen gefahrloser zum
Ziel führen (wie z. B. Ruhigstellung bei akuten Zuständen, Kälte bei entzündlichen Reizzuständen, Bewegungsübungen ohne Belastung, Schonung bis zum
Abklingen akuter Reizzustände, Bemühungen um Besserung statischer Probleme
durch Gewichtsreduktionen, Korrektur von Fehlstellungen usw.)?
Als ultima ratio könnte in geeigneten Fällen auch eine Placebo-Therapie versucht
werden (immer nach ausreichender vorheriger Aufklärung des Patienten). Dazu
haben Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes
(DGSS) einige Studien und Untersuchungen vorgelegt (Wolfgang Koppert
von der DGSS, sowie Peter Krummenacher vom Collegium Helveticum an der
ETH Zürich), die neben Placebowirkungen unter anderem auch die Wirkung
schwächerer Analgetika wie Paracetamol (wegen Lebertoxizität nicht in höherer
Dosierung anwenden!) beschreiben.
ASS kann ebenfalls in geeigneten Fällen kurzdauernd versucht werden, allerdings
mit Vorsicht wegen der Gefahr gastrointestinaler UAW.
Dagegen sollte Metamizol nicht leichtfertig bei Bagatellen angewendet werden
und ist wegen zahlreicher UAW besser ganz zu vermeiden [2].
Cave Metamizol bei Off-label-Anwendung! Die Zulassung des BfArM beschränkt
die Anwendung streng auf „akute oder chronische starke Schmerzen …, soweit
andere therapeutische Maßnahmen kontraindiziert sind, sowie hohes Fieber, das
auf andere Maßnahmen nicht anspricht.“ Außerdem Freigabe der parenteralen
Anwendung „nur, wenn eine enterale Applikation nicht in Frage kommt“ (Siehe
auch die Information für Fachkreise dazu).
Bei anderen Indikationen wie z. B. diabetischen Neuropathien sind NSAID zu
vermeiden [3], bei Migräne ist das individuelle Risiko zu beachten und eine
Dauermedikation sowieso nicht indiziert.
Interessenkonflikte: keine
Literatur:
1 Trelle S, Rechenbach S, Wandel S, Hildebrand P, Tschannen B, Villiger PM, Egger M, Jüni P: Cardiovascular safety
of non-steroidal anti-inflammatory drugs: network meta-analysis. BMJ 2011; doi:10.1136/bmj.c7086
2 Gysling, Etzel: Schmerzmittel-Probleme. pharma-kritik 2010;32(5):19-20 (siehw folgenden Beitrag)
3 Uebel, Til: Diabetische Neuropathien. Der Hausarzt 2010;20(10):32-37
Schmerzmittel-Probleme
Wenn man sich überlegt, wie häufig in Praxis und Spital Schmerzen behandelt
werden müssen, so würde man meinen, wir wären auf dem Gebiet der Schmerzbehandlung besonders kompetent. Leider ist dies ganz offensichtlich nicht der
Fall. Im Gegenteil: früher wie heute werden Schmerzen sehr häufig auf irrationale
Weise behandelt.
Dass problematische Schmerzmittel-Kombinationen, die ich vor vielen Jahren
schon als obsolet bezeichnet habe, [1] verschwunden sind, ist zwar erfreulich. Sieht
man sich jedoch heute um, so wird rasch klar, dass von einer Evidenz-basierten
Schmerztherapie keine Rede sein kann. Dies betrifft sowohl die Praxis als auch – vielleicht noch in höherem Ausmaß – die Spitäler. Ich möchte deshalb die wichtigsten
Probleme, die ich teilweise schon bei anderen Gelegenheiten erwähnt habe, hier
nochmals genauer aufzeigen.
Der
Gastbeitrag
Nachdruck aus
pharma-kritik
Jahrgang 32,
Nr.5/2010 mit
freundlicher Genehmigung von Redaktion und Verlag der
pharma-kritik
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Paracetamol
Paracetamol wird heute viel zu häufig in der maximalen Tagesdosis von 4-mal 1 g
verschrieben. Tatsächlich gibt es nur verschwindend wenige Studien, in denen eine
Überlegenheit von 1-g-Tabletten gegenüber den 500-mg-Tabletten nachgewiesen
worden wäre. Gemäß einer Cochrane-Analyse, in der Paracetamol-Einzeldosen
verglichen wurden, beträgt die «Number Needed to Treat», um postoperativ während 4 bis 6 Stunden eine zufriedenstellende Analgesie zu erreichen, sowohl für die
500-mg-Dosis als auch für die 1-g-Dosis etwa 4. [2] Unter einer Tagesdosis von 4 g
Paracetamol haben bereits etwa ein Drittel der Behandelten erhöhte TransaminasenWerte; [3] unter hohen Paracetamol-Dosen sind aber nicht nur hepatische, sondern
auch gastro-intestinale Probleme möglich. [4]
Es gibt somit gute Gründe, warum man sich in der Regel auf die 500-mg-Dosis
beschränken sollte – eine Dosis, die sich nach Bedarf vier- bis höchstens sechsmal
täglich wiederholen lässt.
Acetylsalicylsäure
Ob es richtig ist, Acetylsalicylsäure quasi nur noch als Plättchenhemmer und nicht
mehr als Analgetikum zu verschreiben, sollte kritisch hinterfragt werden. Wir kennen
die möglichen Nachteile dieser Substanz recht gut; gastrointestinale Komplikationen
und Blutungen stehen dabei im Vordergrund. Anderseits handelt es sich doch um ein
Medikament, das in fast unzähligen Studien als Schmerzmittel-Vergleichsstandard
verwendet wurde. So ist die Acetylsalicylsäure z.B. bei Migräneanfällen durchschnittlich ebenso wirksam wie Sumatriptan (Imigran® u.a.). [5]
Während eine längerdauernde oder hochdosierte Schmerzbehandlung mit Acetylsalicylsäure zu viele Risiken birgt, gibt es nur ausnahmsweise Gründe gegen den
gelegentlichen Einsatz dieses Medikaments.
Nicht-steroidale Enzündungshemmer
Ähnliche Überlegungen gelten zu der Anwendung der übrigen nicht-steroidalen
Entzündungshemmer. Auch im Fall von Diclofenac (Voltaren® u.a.), Ibuprofen (Brufen® u.a.) und Konsorten sind uns die Risiken heute verhältnismäßig gut bekannt.
Wichtig ist die Erkenntnis, dass diese Medikamente nicht nur störende – und vereinzelt lebensbedrohliche – Magen-Darm-Läsionen, sondern (im Gegensatz zur niedrig
dosierten Acetylsalicylsäure!) auch relevante Herzprobleme verursachen können.
Es bestehen wenig Zweifel, dass zwischen den verschiedenen nicht-steroidalen
Antirheumatika wie auch gegenüber der «Sonderklasse» COX-2-Hemmer gewisse
klinisch bedeutsame Unterschiede bestehen; dennoch dominieren die gemeinsamen Eigenschaften dieser Medikamente. Nicht-steroidale Antirheumatika sind
bei Gelenkschmerzen meistens besser wirksam als Paracetamol. [6] Es ist deshalb
nicht sinnvoll, diese Medikamente zu Gunsten von weniger gut dokumentierten
Substanzen gänzlich zu vermeiden. In der Praxis gilt es, diejenigen Patientinnen und
Patienten zu identifizieren, die ein erhöhtes gastro-intestinales oder kardiovaskuläres
Risiko aufweisen, und diese nur zurückhaltend – oder bei entsprechender Anamnese
gar nicht – mit nicht-steroidalen Antirheumatika zu behandeln. Protonenpumpenhemmer vermögen gastro-intestinalen Komplikationen vorzubeugen. Da von mehreren Protonenpumpenhemmern Generika verfügbar sind, ist eine entsprechende
Ko-Medikation nicht mehr prohibitiv teuer.
Metamizol
Sehr viel weniger wissen wir über Nutzen und Risiken von Metamizol (Novalgin®
u.a.), das heute in der Schweiz ungewöhnlich häufig verschrieben wird. Nach modernen Kriterien ist dieses Medikament absolut ungenügend dokumentiert. [7] Dies
beruht in erster Linie auf der Tatsache, dass es in vielen Ländern der westlichen Welt
verboten ist, da es eine Agranulozytose verursachen kann. Man hat sich vor
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Jahren relativ intensiv mit der Frage des Agranulozytose-Risikos unter Metamizol
befasst und es ist möglich, dass diese Gefahr nicht wirklich größer ist als beispielsweise die Gefahr einer Magenblutung unter nicht-steroidalen Antirheumatika. (Ein
direkter Vergleich existiert allerdings nicht und die Meinungen der Fachleute gehen
weit auseinander.) Das ändert jedoch nichts daran, dass man mit Metamizol eine
Substanz verschreibt, deren Eigenschaften nicht befriedigend charakterisiert sind.
Soweit Studienresultate vorliegen, beziehen sich diese mehrheitlich auf die intravenöse Verabreichung. Sind aber 500 mg Metamizol (per os) analgetisch besser
wirksam als 500 mg Paracetamol?
Eine sichere Antwort kann nicht gegeben werden; die bescheidenen Daten lassen
auf eine etwa äquivalente Wirkung schließen. Einige wenige weitere Vergleichsstudien liegen vor; gemäß ihren Resultaten ist Metamizol einmal etwas weniger
und einmal etwas besser wirksam als z.B. nicht-steroidale Entzündungshemmer.
Metamizol verursacht nicht nur Agranulozytosen, sondern nach der vorliegenden
Literatur noch einige andere Komplikationen: aplastische Anämie, anaphylaktische
Schock, Bronchospasmen, fixes Arzneimittelexanthem, akutes Nierenversagen,
gastro-intestinale Blutungen, Cholestase – alles Probleme, deren Häufigkeit weitgehend unbekannt ist. Ich vertrete deshalb die Meinung, dass wir auf Metamizol
grundsätzlich verzichten sollten.
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Praxis-Tipp
Die berechtigte
Kritik an Metamizol sollte
unbedingt von
der Massenanwendung
abhalten. In der
palliativen
Behandlung
hat
Metamizol
dagegen
durchaus
seinen Platz.
Opioide
Auch die verschiedenen Opioide erfreuen sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit, auch zur Behandlung von Personen, die keineswegs unheilbare
Krankheiten aufweisen. In den USA hat sich die Zahl der Verschreibungen von
Opioiden seit 1990 verzehnfacht; entsprechend sind auch mehr Personen in eine
iatrogene Abhängigkeit geraten. Während die Zahl Heroin-bedingter Todesfälle
im letzten Jahrzehnt einigermaßen stagnierte, hat sich die Zahl der Personen, die
infolge unbesichtigter Überdosierung von Opioid-Schmerzmitteln von rund 2.000
im Jahr 1999 auf über 11.000 im Jahr 2007 vervielfacht. Die enorme Zunahme
der Verschreibung beruht mindestens teilweise auf der intensiven Werbung für
die Retardform von Oxycodon [8] also für ein Medikament, das auch in Europa
aktiv propagiert wird.
Es mag sein, dass die Zahlen in der Schweiz nicht ganz so dramatisch aussehen
wie in den USA. Tatsache ist aber, dass auch hier ungewöhnlich häufig Opioide
für Schmerzen verordnet werden, die zweifellos auch mit anderen Mitteln (und
insbesondere auch nicht-medikamentös!) behandelt werden könnten. Auch bei uns
sind es häufig ältere Frauen mit Schmerzproblemen, denen Opioide verschrieben
werden.
Vor diesem Hintergrund erscheint es beunruhigend, dass Opioide wahrscheinlich
eine gefährlichere Bedrohung darstellen als die heute oft geschmähten nichtsteroidalen Antirheumatika. Eine neue Studie, in der das Nebenwirkungsrisiko
verschiedener Analgetika anhand der Verschreibungsdaten bei «Medicare»-Versicherten in zwei amerikanischen Bundesstaaten untersucht wurde, kommt zu
alarmierenden Resultaten: Unter Opioiden ist die Gesamtmortalität signifikant höher («Hazard Ratio» 1,87, bei einem 95%-Vertrauensintervall von 1,39 – 2,53) als
unter nicht-steroidalen Antirheumatika. (Im Vergleich dazu ist die Mortalität unter
COX-2-Hemmern nicht höher als unter «gewöhnlichen» Antirheumatika.) Auffällig
ist das unter Opioiden massiv erhöhte Frakturrisiko (Hazard Ratio von 4,47). [9]
Die Meinung, mit Opioiden eine gutartigere Analgesie als mit anderen Mitteln zu
realisieren, ist also falsch. Meine persönliche Erfahrung, die ich allerdings nicht mit
Zahlen belegen kann, ist die: Opioide werden primär im Spital verordnet und lassen
sich dann in der ambulanten Praxis nicht mehr gut absetzen.
In diesem Sinne möchte ich alle Verantwortlichen, insbesondere aber die Chefärztinnen und Chefärzte dazu aufrufen, eine zurückhaltendere Verschreibungspraxis
zu üben und auf Opioide in der Entlassungsmedikation zu verzichten.
Diese Verhältnisse
findet man nicht nur
in den USA und der
Schweiz, sondern
auch in Deutschland
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Gründe für die Problematik
Sucht man nach Gründen für die unbefriedigende Verschreibungspraxis, so drängen sich namentlich zwei Überlegungen auf. Da ist zunächst die Tatsache, dass ein
großer Teil der Schmerzmittel keinen Patentschutz genießen. Die Industrie finanziert
aber in der Regel keine Studien mehr, wenn sie nicht finanziell davon profitieren
kann. Dies hat zur Folge, dass „alte“ Medikamente – auch wenn sie vielleicht in
großer Zahl verschrieben werden – nicht nach aktuellen Ansprüchen dokumentiert
sind. Metamizol ist dazu ein besonders krasses Beispiel. Hinzu kommt noch, dass
die Hochschulen oft zu wenig an anscheinend banalen Fragestellungen – z.B. an
prospektiven und kontrollierten Vergleichen zwischen älteren Schmerzmitteln – interessiert sind. Damit wirklich die Interessen kranker Menschen gewahrt und solche
Studien durchgeführt würden, wäre es wohl notwendig, dass die Arzneimittelbehörden die weitere Zulassung an entsprechende Daten knüpfen würden. Einmal mehr
gewinnt man aber den Eindruck, den Behörden liege weniger an den Interessen
der Kranken als an denjenigen der Industrie.
Ein zweiter Grund ist bei den Verschreibenden selbst zu suchen. Warum fordern
wir nicht bessere Daten? Und weshalb folgen wir beim Verschreiben so leicht den
„Moden“? Man kann es wohl nicht zu oft wiederholen: eine gute Therapie beruht
auf dem zurückhaltenden und sorgfältig individualisierten Verschreiben, wobei in
allen Fällen der Aspekt der Placebowirkung jeder Therapie mitberücksichtigt werden
muss.
Etzel Gysling
Literatur:
1 Gysling E. pharma-kritik 1979; 1: 71-2
2 Toms L et al. Cochrane Database Syst Rev 2008; (4): CD004602
3 Watkins PB et al. JAMA 2006; 296: 87-93
4 González-Pérez A, Rodríguez LA. Basic Clin Pharmacol Toxicol 2006; 98: 297-303
5 Kirthi V et al. Cochrane Database Syst Rev 2010; (4): CD008041
6 Towheed TE et al. Cochrane Database Syst Rev 2006; (1): CD004257
7 Gysling E. pharma-kritik 2008; 30: 41-3
8 Okie S. N Engl J Med 2010; 363: 1981-3
9 Solomon DH et al. Arch Intern Med 2010; 170: 1968-78
(Weitere Informationen und die Möglichkeit zu abonnieren gibt es unter www.info-med.ch)
Beiträge
der
Redaktion
Aktualisierte Beers-Liste, deutsche PRISCUS-Liste
Welche Medikament
vertragen Senioren am besten?
Dr. med. Klaus Ehrenthal
Mit dem Alter treten aus mannigfaltigen Gründen unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) vermehrt auf: beispielsweise deswegen,
weil der Stoffwechsel im Alter sich verändert (z. B. ist die Enzymproduktion
reduziert) bei gestörter Stoffwechsel-Selbstregulation (Störungen im EnergieZucker- und Fetthaushalt), dabei Abnahme der Eiweißsynthese in der Leber,
weil Rezeptoren im Alter anders (vermindert, aber auch vermehrt) ansprechbar
sein können,
weil Ältere oftmals vermehrt Medikamente einnehmen, die Interaktionen auslösen können (z. B. durch Verdrängung am Carrier-Eiweiß, am Rezeptor,
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durch Interaktionen im P-450-Isoenzymsystem, durch Konkurrenz bei der Ausscheidung u.a.),
weil die glomeruläre Filtrationsrate kontinuierlich abnimmt,
weil chronische toxische Schäden bestehen können (z. B. nach jahrelangem
Medikamentengebrauch, bei chronischem Tabak- oder Alkoholgebrauch),
weil die Verteilung der Kompartimente im Körper „gealtert“ ist (intra-und extrazellulärer Wassermangel, Fettanteil meist vermehrt, Muskelmasse vermindert,
Knochen osteoporotisch u.a.),
weil Elektrolytstörungen und Mangel an (intrazellulärem) Kalium, Magnesium,
Kalzium, Jod, Eisen u.a. sowie Vitalstoffen häufig sind,
weil Resorptionsstörungen im Magen-Darm-Kanal mit Fehlernährung nicht selten sind (z. B. bei Anacidität, atrophischer Gastritis, chronischen Durchfällen).
Aus diesen Gründen haben sich weltweit Pharmakologen und Kliniker zusammengetan, um Präparatelisten (Beers-Listen 1991 [2], 1997 [3], 2003 [4]), und 2010
die PRISCUS-Liste [5] zu erstellen. Sie sollen behandelnden Ärzten helfen, Übermedikation und inadäquate oder sogar gefährliche Medikationen bei Patienten über
65 Jahren zu vermeiden.
Vorgehen beim Erstellen der Beers-Listen sowie der PRISCUS-Liste
Schon bei der Erstellung der vorherigen Listen [2, 3, 4] und auch beim Erstellen der
deutschen PRISCUS-Liste [5] wurde ein weitgehend einheitliches Vorgehen gewählt,
das auch bei der Arbeit zur jetzigen Aktualisierung der Beers-Listen von Stefanacci
et al. [1] Anwendung fand:
Die Autoren wählten nach Relevanz und Anwendungshäufigkeit Medikamente
für die Anwendung bei älteren Patienten ab 65 Jahren aus.
Es wurden sehr ausführliche Literaturrecherchen mit Evaluation zur statistisch
korrekten Aussage der einzelnen Literaturergebnisse bei der Anwendung der
ausgewählten Medikamente durchgeführt.
Es wurde ein Panel von interessierten Experten aus Pharmakologen, Klinikern,
Geriatern und ambulanten (geriatrisch) tätigen Ärzten gebildet, die die recherchierten Unterlagen zu den Präparaten durchsahen und das Verhältnis von Nutzen und potenziellem Schaden für ältere Patienten der jeweiligen Medikamente
unter Berücksichtigung der geriatrischen Besonderheiten in zwei Runden zu
bewerten hatten (modifizierte DELPHI-Methode).
Es wurden dabei potenziell inadäquate Medikationen („PIM“) identifiziert und
ihre Gefährlichkeit im Alter bewertet.
Es wurde bei der Auswahl der Beurteiler darauf geachtet, dass die Experten nicht
durch Industrieabhängigkeit in ihrem Bewertungsurteil voreingenommen waren.
Die Bewertung der Medikamente erfolgte nach einer fünfstufigen Skala (sogenannte Likert-Skala) derart, dass die Fragestellung, ob das entsprechende
Medikament für Patienten über 65 Jahre angewendet werden sollte, mit Zustimmung bis Ablehnung in fünf Stufen benotet werden sollte. „1“ bedeutete
dabei die vollständige Ablehnung (das Medikament gilt als PIM), „5“ bedeutete
die vollständige Zustimmung, das Medikament als „preferred medikation for use
in the elderly population“ anzuwenden. „3“ entsprach einer unentschiedenen
Bewertung.
Die unterschiedlichen Bewertungen der Experten wurden gemittelt und als
Zahlenwert mit einem 95%-Konfidenzintervall angegeben.
Zusätzliche Anwendungs-Einschränkungen, Warnhinweise, Hinweise für alternative Therapiemethoden usw. wurden zu den Arzneimitteln hinzugefügt.
Die 2009 aktualisierte Beers-Liste
2009 haben Stefanacci et al. [1] auf dem Boden der früheren Beers-Listen [2, 3, 4]
für vier wichtige Krankheitsbilder im Alter (Demenz, Depression, M. Parkinson
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und Psychose), bei denen derzeit besonders häufig Medikamente verordnet werden,
zusätzlich eine Liste von 13 Medikamenten aufgestellt, für die das Verhältnis von
Nutzen und möglicher Schädigung im Alter positiv beschrieben wurde.
Es wurde dabei nach einer modifizierten DELPHI-Technik vorgegangen. Durch
systematische Befragungen von industrieunabhängigen Experten in zwei Durchgängen zu den von den vier Autoren nach sorgfältiger Literaturrecherche ausgesuchten
Medikamenten wurden die einzelnen Bewertungen erarbeitet. Sie fußten dabei
auf früheren Untersuchungen, die in den älteren Beers-Listen [2, 3, 4] nach einer
ähnlichen Technik gewonnen worden waren.
Ergebnisse der aktualisierten Beers-Liste [1]
Als Merkliste
für Altenheime
hilfreich!
Es wurden zu den genannten vier Indikationen (Demenz, Depression, M. Parkinson,
Psychose), die die vier Autoren (Stefanacci et al.) ausgewählt hatten, insgesamt 78
ZNS-wirksame Medikamente durch ein Expertenpanel von acht Pharmakologen und
Klinikern begutachtet und nach sorgfältiger Recherche und kritischer zweimaliger
Durchsicht der aktuellen Literatur nach Aussortierung der im Alter ungeeigneten
Medikamente (potenziell inadäquate Medikationen, PIM) 13 Medikamente ausgewählt und mit dem Attribut „preferred medication for older adults“ versehen.
Hervorzuheben ist an dieser Medikamentenbegutachtung, dass erstmalig positive
Bewertungen anstelle der bisherigen kritischen Darstellung von UAW veröffentlicht
wurden – natürlich mit beigefügter Darstellung der wichtigsten Einschränkungen,
notwendigen Dosisreduktionen und möglicher Gefahren bei der Anwendung.
Sie sollten in den USA auch dazu dienen, in den Verordnungslisten des MedicareDrug-Programms zur Anwendung zu kommen. Zukünftig sollen weitere Medikamentenklassen hierfür bearbeitet werden.
Liste der „preferred medication for older adults”
der 2009 aktualisierten Beers-Liste
Diese Liste enthält 13 Präparate, deren Anwendung bei Patienten über 65 Jahren
gegenüber jüngeren Patienten kein speziell vermehrtes UAW-Risiko auslösen sollte:
zur Anwendung bei Demenz:
Donepezil-Hydrochlorid (Aricept®)
Galantamin-Hydrochlorid retard (Reminyl®)
Memantin-Hydrochlorid (Axura®, Ebixa®) – nur als add-on Therapie
zur Anwendung bei Depression:
Citalopram-Hydrochlorid (Cipramil®, viele Generika)
Duloxetine-Hydrochlorid (Cymbalta®)
Escitalopram-Oxalat (Cipralex®)
Bupropion-Hydrochlorid retard (Elontril®)
Mirtazapin (Remergil®, viele Generika)
zur Anwendung bei M. Parkinson:
– nur als add-on Therapie
Entacapon (Comtess®)
Ropinirol-Hydrochlorid (Requip®, viele Generika)
Carbidopa und Levodopa (viele Generika)
zur Anwendung bei Psychosen:
Risperidon (Risperdal®, viele Generika)
– nur als Akuttherapie
Haloperidol (Haldol®, viele Generika)
Wie unterscheidet sich die aktualisierte Beers-Liste
von der deutschen PRISCUS-Liste ?
Die kürzlich (2009) erschienene US-amerikanische Aufarbeitung der älteren BeersListen durch Stefanacci et al. [1] unterscheidet sich von der 2010 veröffentlichten
PRISCUS-Liste von Holt, Schmiedl und Thürmann [5] nicht wesentlich.
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Da in Deutschland teilweise andere Arzneistoffe angewendet werden, mussten
allerdings auch einige andere Stoffe untersucht werden.
Es wurde das gleiche Verfahren wie bei den Beers-Listen angewendet. Es wurde
ebenfalls nach ausführlichen Literatur-Recherchen mit Evaluation der Aussagen
und dann nach einem modifizierten zweimaligen DELPHI-Verfahren mit Expertenbefragungen von 27 industrieunabhängigen Fachleuten (Geriatern, klinischen Pharmakologen, Allgemeinmedizinern, Internisten, Schmerztherapeuten, Neurologen
Psychiatern, Pharmazeuten) eine Liste erstellt.
Aus 24 Arzneistoffklassen mit Bewertungen von 136 Arzneistoffen (davon 5 in
unterschiedlicher Darreichungsform) im Hinblick auf die Anwendung bei über 65-jährigen Patienten wurden 83 Arzneistoffe als potenziell inadäquate Medikation im Alter
(PIM) bezeichnet, während 46 Stoffe auch nach der zweiten DELPHI-Runde nicht
für die Anwendung im Alter klar einsortiert werden konnten. Bei 26 Arzneistoffen
wurde das UAW-Risiko bei jüngeren und älteren Patienten als gleich groß bewertet.
Auch in der PRISCUS-Liste finden sich ausführliche Warnhinweise und Vorschläge
zu Dosierung, alternativen Therapieverfahren und zur Reduktion von Multimedikation im Alter, um UAW-Risiken zu erkennen und möglichst zu vermeiden,.
Der Vorteil der PRISCUS-Liste [5] ist die wesentlich größere Zahl der bewerteten
Substanzen und die große Zahl von immerhin 27 Experten.
Der Vorteil der aktualisierten Beers-Liste ist die klare Aussage zum Risiko im Alter
für 13 Stoffe zu allerdings insgesamt nur 4 Indikationsgebieten. Nachteilig ist hierbei
die geringe Zahl von nur acht befragten Experten.
Während Stefanacci durchaus im Alter zu einigen Medikamenten (insgesamt 13
aus ursprünglich 78 besprochenen Medikamenten) positive Anwendungsvorschläge
macht, überwiegen in der PRISCUS-Liste die Negativbewertungen und Warnhinweise für die Anwendung im Alter zu 24 Stoffklassen bei insgesamt 131 Medikamenten
mit insgesamt 83 im Alter potenziell inadäquaten Medikamenten (PIM).
Stellen Sie sich Ihr eigenes Medikamenten-Spektrum zusammen!
Für den praktisch tätigen Arzt ist sowohl in der ambulanten Medizin als auch
in der Klinik die Kenntnis der beiden beschriebenen Listen [1, 5] wichtig.
Da die dort nachlesbaren Details zur Arzneistoffanwendung bei über 65-jährigen Patienten dem Arzt nicht leicht im Gedächtnis bleiben, sollten ihm für
die Arzneitherapie im Alter gezielte Anwendungshilfen zur Verfügung gestellt
werden. Ggf. sollte sich der Arzt seine eigene Liste daraus generieren.
Es hilft, sich für die Pharmakotherapie zunächst ein kleines und gut recherchiertes Medikamentenspektrum zu verschiedenen Krankheitsbildern anzueignen,
um nicht auf alle Heilsversprechungen aus Studien hereinzufallen, die der
Werbung für den Präparateumsatz oftmals ohne ausreichende Kontrollen der
Anwendungssicherheit bei multimorbiden geriatrischen Patienten dienen.
Selbstverständlich ist es nicht sinnvoll, bei der Pharmakotherapie schematisch
nur nach dem Alter vorzugehen. Die individuellen Gesundheitsbedingungen
jedes einzelnen geriatrischen Patienten müssen erkannt und mit dem generellen
Wissen aus den beschriebenen Listen in Verbindung gebracht werden.
Als Richtschnur hat zu gelten: Vermeide unnötige Polypharmakotherapie – Weniger ist oftmals mehr! Gerade bei älteren Patienten kann eine unübersichtliche
Multimedikation zur Therapie bei Multimorbidität die Ursache von UAW sein
[6, 7, 8].
Abklärung ist notwendig: Ist das vorliegende Krankheitsbild etwa durch eine
über- oder fehldosierte Medikation begründet? Das gilt besonders bei Krankheiten des ZNS (z. B. bei Schwindel, Verwirrtheit, Unruhe, Stürzen usw.).
Es muss die individuelle Alterung erkannt werden: (Abnahme der Ausscheidungsleistung der Nieren, Exsikkose, chronische Organschäden, sonstige Krankheiten,
Fehlgebrauch von Genussgiften und/oder verschiedenen Medikamenten).
Bedeutung
für
unsere
Praxis
Praxis-Tipp
Häufig sind
Beschwerden Folge
von Nebenwirkungen.
Deswegen
nicht einfach
behandeln,
sondern Ursache hinterfragen und ggf.
das schuldige
Medikament
absetzen oder
Dosis reduzieren.
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Oft stellt sich die Frage: Gibt es nichtmedikamentöse Maßnahmen, die zur Gesundung oder Besserung geeignet sind (Sport, Gewichtsreduktion, gesündere
Ernährung mit Besserung der Elektrolyt- Vitalstoff- und Flüssigkeitsversorgung)?
Der Arzt sollte ggf. abklären: Ist der Patient bereit, andere als medikamentöse
Maßnahmen durchzuführen? Wenn ja, so sind Hinterfragen, Unterstützen und
Anerkennen der Erfolge des Patienten wichtige Instrumente der Motivierung
und Brücken der guten Arzt-Patientenbeziehung.
Interessenkonflikte: keine
Literatur:
1 Stefanacci RG, Cavallara E, Beers MH, Fick DM: Developing Explicit Positive Beers Criteria for Preferred
Central Nervous System Medications in Older Adults. The Consultant Pharmacist. August 2009;24(8):601-610
doi:10.4140/TCP.n.2009.601.
2 Beers MH, Ouslander JG, Rallingher I et al.: Explizit criteria for determining inappropriate medication use in
nursing home residents. Arch Intern Med 1991;151:1825-1832.
3 Beers MH: Explizit criteria for determining potentially inappropriate medication use by the elderly. An update.
Arch Intern Med 1997;157:1531-1536,
4 Fick DM, Cooper JW, Wade WE et al.: Updating the Beers criteria for potentially inappropriate medication use in
older adults: result of a U.S. consensus panel of experts. Arch Intern Med 2003;163:2716-2724.
5 Holt S, Schmiedl S, Thürmann PA: Potentiell inadäquate Medikation für ältere Menschen: Die PRISCUS-Liste.
Dtsch Arztebl Int 2010;107(31-32);543-551 DOI:10.3238/arztebl.2010.0543.
6 Steinman MA, Hanlon JT: Managing Medications in Clinically Complex Elders:”There’s Got to Be a Happy Medium”. JAMA 2010;304(14):1592-1601. doi:10.1001/jama.2010.1482.
7 Ein Algorithmus zum Kürzen langer Verordnungslisten. Der Arzneimittelbrief. AMB Dezember 2010;44(12):95.
8 Hilmer SN, Gnjidic D: The Effects of Polypharmacy in Older Adults. Clinical Pharmacology and Therapeutics
2008;85:85-88. doi:10.1038/clpt.2008.224
Kritische
Analyse
Multaq® (Dronedaronhydrochlorid) gegen Vorhofflimmern
Viel teurer als Amiodaron,
aber nicht unbedingt besser
Dr. med. Wolfgang LangHeinrich
Multaq® (Dronedaron) ist zugelassen zur Behandlung von erwachsenen, klinisch
stabilen Patienten mit nicht-permanentem Vorhofflimmern (VHF) – aktuell bestehend oder in der Vorgeschichte – um ein Wiederauftreten von Vorhofflimmern zu
verhindern oder die ventrikuläre Herzfrequenz zu senken. [1,2]
Dronedaron ist ein Mehrkanalblocker, der den Kaliumstrom sowie den Natriumund den Kalziumstrom hemmt und Aktionspotential und die Refraktärzeit des Herzens verlängert. Zusätzlich hat Dronedaron eine nicht-kompetetive antagonistische
adrenerge Aktivität. [5]
Multaq® (Dronedaronhydrochlorid) ist bei der Rezidivprophylaxe des Vorhofflimmerns nach den im Literaturverzeichnis genannten Studien [3, 4] weniger wirksam
als Amiodaron. [5]
In Studien wurde der primäre Endpunkt – Kombination von Wiederauftreten von
Vorhofflimmern oder Studienbeendigung wegen Unverträglichkeit oder Unwirksamkeit in der mit Dronedaron behandelten Gruppe von Patienten – häufiger erreicht als
unter Amiodaron (75,1% versus 58,8% der Patienten), Absetzen wegen fehlender
Wirksamkeit bei 21,3% der Dronedaronpatienten versus 5,5% der Patienten mit
Amiodarontherapie. Das Wiederauftreten von Vorhofflimmern – 63,5% Dronedaron
versus 42% Amiodaron – zeigt eine geringere Wirksamkeit von Dronedaron im Vergleich zu Amiodaron. Bezüglich der kardiovaskulären Mortalität weist Dronedaron
gegenüber dem Amiodaron einen geringen Vorteil auf. [6]
Eine bestehende Herzinsuffizienz (NYHA Stadium III/IV) zu Therapiebeginn
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KVH • aktuell
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ist eine Kontraindikation für Dronedaron, da hier eine erhöhte Mortalität aufgrund
der Verschlechterung der Herzinsuffizienz festgestellt wurde. [7]
Dronedaron sollte im Vergleich zu Amiodaron weniger unerwünschte Wirkungen
aufweisen und sollte daher bei Patienten mit Unverträglichkeiten gegenüber Amiodaron eingesetzt werden.
Aktuell wird über schwere Leberschäden mit Leberversagen, die in zwei
Fällen eine Lebertransplantation erforderlich machten, im Zusammenhang
mit einer Dronedaron-Therapie berichtet. Vor Therapiebeginn waren bei diesen
Patienten die Leberfunktionen normal. [8]
Aus diesem Grund fordert die EMA (europäische Arzneimittelbehörde) zur Risikoabwehr einen Leberfunktionstest vor Therapiebeginn, dann monatlich innerhalb
des ersten Halbjahres, sowie nach 9 und 12 Monaten und regelmäßig danach. Schon
mit Dronedaron behandelte Patienten müssen umgehend für Leberfunktionsteste
einbestellt werden. Die Fachinformation muss entsprechend geändert werden.
Die Therapie bzw. Rezidivprophylaxe des nicht permanenten Vorhofflimmerns
sollte unter Berücksichtigung aller genannten Aspekte weiter mit Amiodaron durchgeführt werden und Dronedaron nur unter regelmäßiger Kontrolle der Leberwerte
bei Amiodaronunverträglichkeit zum Einsatz kommen.
Darüber hinaus ist die Dronedarontherapie im Vergleich deutlich teurer als
die Therapie mit Amiodaron::
Kosten
Jahrestherapiekosten Multaq®
Amiodarongenerikum (je nach Dosierung – ein bis drei Tabletten
a 200 mg an 5 Tagen der Woche)
Preisunterschied:
Bis zum
Sieben­fachen!
1299 Euro
189 bis 569 Euro
Stand: Lauertaxe 15.02.2011
Interessenkonflikte: keine
Literatur:
1 Fachinformation Multaq® 400 Sanofi Aventis, Dezember 2009
2 Singh BN et al.; EURIDIS and ADONIS investigators, New England Journal of Medicine 2007 Sep 6; 357
(10):987-999
3 Sanofi Aventis DIONYSOS Studyresults
http://en.sanofi-aventis.com/binaries/20081223_dionysos_fe_en_en_tcm28-23624.pdf 5
4 COOK GE et al. DIONYSOS Study companing dronedarone with amiodarone. BMJ 201; 340:168
5 Neue Arzneimittel, Information der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) Multaq® (Dronedaronhydrochlorid)
10.05.2010
6 Hohnloser SH, et al, ATHENA, New England Journal of Medicine 2009. 360 (7):668-78
7 Kober, L. et al; ANDROMEDA, New England Journal of Medicine; 358 (25):2078-87
8 Institute for safe Medication Practices: Quarter Watch 2010. Quarter 1, 4 November 2010; http://www.ismp.org/
quarterwatch/2010Q1.pdf
Thrombozytenaggregationshemmung
bei Zustand nach Stentimplantation
Teures Prasugrel besser als
preisgünstiges Clopidogrel?
Dr. med. Wolfgang LangHeinrich
Die Verordnungszahlen von Prasugrel (Efient®) steigen deutlich an, da zunehmend
Kliniken Patienten mit Zustand nach akutem Koronarsyndrom und einer perkutanen
Koronarintervention mit der Verordnung von Prasugrel zuzüglich ASS zur Thrombozytenaggregationshemmung / Verhinderung von Stentthrombosen entlassen.
Kritische
Analyse
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Teilweise werden die Patienten aufgefordert, bei den weiterbehandelnden Ärzten
unbedingt auf die Weiterverordnung von Prasugrel zu bestehen, da bei Verordnung
von Clopidogrel anstelle Prasugrel ein viel höheres Risiko für ggf. tödliche Stentthrombosen bestehen würde.
Hierzu führen der Therapiehinweis zu Prasugrel des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vom 17.06.2010, sowie eine Auskunft der AkdÄ (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft) aus:
Prasugrel
kostet das
sechsfache!
Bezugnehmend auf die der Zulassung von Prasugrel zugrundeliegende TRITON-TIMI38-Studie (NEJM 2007; 357:2001-15), zeigt der Wirkstoff Prasugrel in Kombination
mit ASS im Vergleich zur Kombination Clopidogrel mit ASS bei der Thrombozytenaggregationshemmung bei Z. n. Akutkoronarsyndrom mit Stentimplantation in dem
kombinierten Endpunkt (kardiovaskuläre Mortalität, nicht-tödliche Myokardinfarkte
oder nicht-tödliche Schlaganfälle) eine Überlegenheit, aber weder bei der Gesamtmortalität, der kardiovaskulären Mortalität, noch bei nicht-tödlichen Schlaganfällen.
Die Überlegenheit von Prasugrel basiert allein auf der signifikanten niedrigeren Inzidenz der nicht-tödlichen Myokardinfarkte. Dem gegenüber zu stellen sind die unter
Prasugrel im Vergleich zu Clopidogrel häufiger auftretenden schwerwiegenden,
nicht mit einer Bypass-OP assoziierten Blutungen, einschließlich lebensbedrohlicher
und letaler Blutungen. Ein Vorteil des im Vergleich zu Clopidogrel teureren Prasugrel
zur Thrombozytenaggregationshemmung bei Zustand nach akutem Koronarsyndrom mit Stentimplantation lässt sich somit nicht erkennen (siehe auch Pharma,
Vol 16, Bulletin 98, 2010: 5-7). Daher sollte auch unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit bis zur Verfügbarkeit weiterer Studiendaten die Verordnung von Prasugrel
auf die in dem Kapitel „Empfehlungen zur wirtschaftlichen Verordnungsweise“ des
Therapiehinweises des G-BA beschriebenen Patienten beschränkt bleiben.
Im Therapiehinweis des G-BA heißt es hierzu, dass die Therapie auf Patienten
mit hohem Risiko für kardiovaskuläre Mortalität und niedrigem Blutungsrisiko beschränkt bleiben sollte (z. B. Körpergewicht über 60 Kg, Alter < 75 Jahren, keine
Blutungsneigung, keine Medikation mit oralen Antikoagulantien, Clopidogrel,
nicht steroidalen Antiphlogistika oder Fibrinolytika, kein Trauma, keine Operation,
keine gastrointestinale Blutung oder Ulceration in der kürzlich zurückliegenden
Vorgeschichte).
Eine besonders kritische individuelle Risiko-Abwägung muss bei Patienten nach
STEMI (Infarkt mit ST-Hebung), die über 30 Tage hinaus behandelt werden sollen,
erfolgen. Es gibt in diesem Zusammenhang auch keinen Beleg dafür, dass die Umstellung einer Therapie mit Clopidogrel auf eine Therapie mit Prasugrel einen Vorteil
besitzt. Eine Umstellung wird deshalb nicht empfohlen.
Auch unter der Berücksichtigung des Therapiehinweises des G-BA ist die Clopidogreltherapie der Prasugreltherapie vorzuziehen, da den letztlich minimalen
Vorteilen – auch nur bei einer kleinen ausgesuchten Patientengruppe – massive
Risiken bezüglich der Blutungen gegenüber stehen.
Kosten
98 Tabletten Prasugrel 10 mg (Efient®)
100 Tabletten Clopidogrel 75 mg (Generika) – 4 Präparate zu je
Stand: Lauertaxe 24.01.2011
Interessenkonflikte: keine
286,25 Euro
45,08 Euro
KVH • aktuell
Nr. 2 / 2011
Seite 27
Wes Brot ich ess‘, des Lied ich sing‘
Der
Gastbeitrag
Aus dem Horten-Zentrum für praxisorientierte Forschung
und Wissenstransfer
Frage: Assoziation zwischen Finanzierung einer medizinischen Zeitschrift und den
abgegebenen Empfehlungen in den publizierten Artikeln?
Hintergrund
Informationen über neue Entwicklungen in der Medizin erhalten die Ärzte bei Fortbildungen, durch Publikationen in medizinischen Zeitschriften und Werbematerial
von Pharmafirmen. Es erscheinen zunehmend Zeitschriften, sogenannte „Fortbildungszeitschriften“, die den Ärzten kostenlos zugestellt werden. Diese Zeitschriften
finanzieren sich ausschließlich oder zum größten Teil aus den Einnahmen durch Platzierung von Werbung in der Zeitschrift. Es gibt einige Daten, welche die Annahme
unterstützen, dass kommerzielle Interessen den Inhalt und die Aussagen in diesen
Zeitschriften beeinflussen. In dieser Studie hat eine Forschergruppe untersucht, ob
die Art der Finanzierung einer Zeitschrift mit den in den Zeitschriften abgegebenen
Empfehlungen für oder gegen ein Medikament assoziiert ist.
Nachdruck mit
freundlicher
Genehmigung des
Horten-Zentrums für
praxisorientierte
Forschung und
Wissenstransfer
www.evimed.ch
Methode
Elf „Fortbildungszeitschriften“ in Deutschland wurden identifiziert und die
Zeitschriften wurden in drei Kategorien eingeteilt: Zeitschriften, die zur Gänze
durch Werbeeinnahmen finanziert werden; Zeitschriften, die zum Teil durch
Werbung und zum Teil durch Subskriptionsgebühren finanziert werden; Zeitschriften, die vollständig durch Subskriptionsgebühren finanziert werden (z.B.
Der Arzneimittelbrief).
Neun innovative Medikamente oder Medikamentenklassen für die Behandlung
häufiger Krankheiten wurden ausgewählt, die zu Beginn der Studie intensiv
beworben wurden (z.B. Angiotensin Rezeptor Blocker und Sartane, Acetylcholinesterase Inhibitoren...)
Alle Artikel aus dem Jahr 2007 aus den insgesamt 11 Zeitschriften wurden für
die Analyse verwendet.
Jeder Artikel wurde verblindet von zwei Personen geratet. Beurteilt wurde der
Grad der Empfehlung für dieses Medikament auf einer Skala von -2 bis +2. Null
bedeutet eine neutrale Position, +2 eine starke Empfehlung für und -2 eine
starke Empfehlung gegen das Medikament
Resultate:
465 Ausgaben von 11 Zeitschriften wurden gescreent.
638 Werbungen für die vorher ausgewählten Medikamente wurden gefunden
(14 bis 161 pro Zeitschrift)
297 Artikel mit Empfehlungen für oder gegen ein Medikament wurden identifiziert.
Zeitschrift
Durch Werbung finanziert
Gemischte Finanzierung
Durch Subskription finanziert
Glauben Sie nicht
alles, was Sie
lesen!
Viele redaktionelle
Beiträge sind nicht
objektiver als
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Grad der Empfehlung für ein Medikament
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3 (8.8%)
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Kommentar
Es ist klar und unzweideutig festzustellen, dass in den durch Werbung finanzierten Zeitschriftenartikeln die besprochenen Medikamente „strongly“ empfohlen
werden, während in den durch Subskription finanzierten Artikeln größtenteils
eine kritischere Meinung transportiert wurde.
Seite 28
KVH • aktuell
Nr. 2 / 2011
Welchen Effekt diese Tatsache auf das Verschreibungsverhalten hat, ist nicht
bekannt und auch schwierig zu untersuchen. Hätte es allerdings keinen Effekt,
würde wahrscheinlich nicht soviel Geld für diese Art der Werbung ausgegeben.
Die Resultate dieser und früher zu dieser Problematik publizierten Studien fördern das Vertrauen der Bevölkerung in die Medizin nicht.
Die praktizierenden Ärzte für diesen Umstand allein verantwortlich zu machen
wäre inadäquat. Irgendwie müssen sich die Ärzte im Informationsdschungel
zurecht finden. Es wäre an der Zeit, sich Gedanken über die Wissensbasis der
Medizin zu machen. Welches Wissen benötigen Ärzte in welcher Form?
Johann Steurer
Literatur:
Becker A et al. The association between a journal’s source of revenue and the drug recommendations made in
the articles it publishes. CMAJ 2011:183; 544-548
Kurze
Meldung
Zwei Drittel der
Autoren geben
Interessensverflech­tungen
an
Wes Brot ich ess‘ ...
Welches Lied singen
die europäischen Leitlinien?
Ein Forscher der Universität von Pennsylvania in Philadelphia hat zahlreiche Leitlinien des American College of Cardiology ausgewertet (veröffentlicht in Archives of
Internal Medicine 2011; 171: 577-584) und dabei festgestellt: Mehr als die Hälfte
aller Autoren dieser Leitlinien hat finanzielle Beziehungen zur Industrie. Nicht wenige
sind Aktionäre der Firmen, deren Produkte sie in den Leitlinien bewerten. Können
unter diesen Umständen die Leitlinien noch neutral sein? Oder gilt hier vielleicht
auch: Wes‘ Brot ich ess‘, des Lied ich sing‘?
Und ist das in Deutschland anders? Wir haben in diesem Heft auf Seite 24 Dronedaron (Multaq®) unter die Lupe genommen. Die Herstellerfirma Sanofi-Aventis preist
das teure Präparat wie folgt an: Die Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie „... empfehlen, dass Multaq® (Dronedaron) für den Erhalt des Sinusrhythmus
als Behandlungsoption der ersten Wahl bei allen Patienten mit paroxysmalem und
persistierendem VHF (Empfehlungsklasse I, Evidenzlevel A) eingesetzt werden soll,
mit Ausnahme von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz NYHA-Klasse III/IV
oder instabiler HI NYHA-Klasse II ...“
Schaut man in die entsprechende europäische Leitlinie für die Behandlung
von Patienten mit Vorhofflimmern* und dort speziell in die Angaben zu den
Interessenverflechtungen, dann kommt ein interessanter Aspekt zum Vorschein.
Am Inhalt der Leitlinien haben 67 Personen mitgewirkt, lediglich 22 geben an, keine
Beziehung zu Pharma- oder Medizintechnikfirmen zu haben. Von den anderen geben 24 an, unter anderem eine Beziehung zu Sanofi-Aventis, dem Hersteller
des in den Leitlinien gelobten Dronedaron, zu haben.
Diese Zahlen sprechen für sich, ein Kommentar ist überflüssig. Der Ehrlichkeit halber muss man aber auch erwähnen: Auf der Website der Leitlinie wird inzwischen in
einer Anmerkung darauf hingewiesen, dass die amerikanische und die europäische
Arzneibehörde vor Leberschäden im Zusammenhang mit Dronedaron warnen – das
soll bei der nächsten Ausgabe der Leitlinien berücksichtig werden.
BW
* www.escardio.org/guidelines-surveys/esc-guidelines/Pages/atrial-fibrillation.aspx
Anmerkung der Redaktion: Es gibt auch Leitlinien, deren Autoren durchweg
industrieunabhängig sind – beispielsweise die hausärztlichen Leitlinien, die
wir in KVH aktuell immer wieder auszugsweise abdrucken!
Siehe hierzu auch: www.pmvforschungsgruppe.de/pdf/03_publikationen/allgemein_report.pdf
KVH • aktuell
Nr. 2 / 2011
Antibiotikaverordnungen:
Immer mehr Resistenzen
Es gehört zum theoretischen medizinischen Grundwissen, dass die Einnahme von
Antibiotika bakterielle Resistenzen fördert. In einer neuen Übersichtsarbeit zu zwei
Indikationen (bakterielle Harnwegsinfekte und Atemwegsinfekte) wurde bestätigt,
dass
eine klare Korrelation zwischen Antibiotikaeinnahme und Resistenzentwicklung
besteht: nach einem Monat waren bakterielle Resistenzen vierfach höher als bei
Patienten ohne Antibiotikaeinnahme. Erst nach einem Jahr war die Häufigkeit
von Resistenzen nur noch gering erhöht.
im Hinblick auf Resistenzentstehung wahrscheinlich keine großen Unterschiede
zwischen den einzelnen Antibiotikaklassen bestehen.
hinsichtlich der Dosis und Dauer der Einnahme eines Antibiotikums kein klarer
Effekt auf eine Resistenzentwicklung besteht (nur in einigen Studien war die
Einnahmedauer mitverantwortlich für die Resistenzentwicklung).
Seite 29
Sicherer
verordnen
Dr. med.
Günter Hopf
Die Autoren empfehlen, dass
bei Patienten, die innerhalb eines Jahres erneut antibiotisch behandelt
werden sollen, der Wechsel auf ein anderes Antibiotikum sinnvoll erscheint und
eine Antibiotikaeinnahme nicht nur theoretisch Probleme verursachen kann, weshalb eine Verordnung dieser Arzneistoffe, wann immer vertretbar, unterlassen
werden sollte.
Quellen: Brit.med.J. 2010; 340: c2096; Horten-Zentrum, www.evimed.ch
MMR-Impfstoff und Autismus
Eine erfundene Geschichte
mit fatalen Folgen
Ein Artikel, publiziert 1998 in einer renommierten medizinischen Fachzeitschrift und
erst im Februar 2010 zurückgezogen, hatte nicht nur persönliche Konsequenzen
für den Autor. Es konnte nachgewiesen werden, dass seine Hypothese, ein
MMR-Impfstoff sei ursächlich verantwortlich für das Auftreten von Autismus und
Enterokolitis (sog. „Wakefield-Syndrom“), auf zwölf zeitlich und diagnostisch manipulierten Krankengeschichten beruhte. Zusätzlich tragen auch seine Ko-Autoren
eine gewisses Maß an Schuld, da sie die Studie nicht gründlich genug überprüften.
In einer neuen Aufarbeitung dieses Wissenschaftsbetruges werden zusätzlich noch
weit kritischere Folgen diskutiert: bis heute haben sich die Durchimpfungsraten in
Großbritannien noch nicht vollständig von ihrer 80%igen Reduktion aus 2003 erholt. Das erste Mal seit 14 Jahren mussten im Jahr 2008 Masern in Großbritannien
wieder als endemisch erklärt werden. Bis heute sind Eltern verunsichert.
Dies gilt auch in Deutschland, nachdem von Impfgegnern die Mär einer Verursachung von Autismus durch einen Masern-Mumps-Röteln-Impfstoff
verbreitet wurde. Nach einem Mumpsausbruch in Essen 2010 stellte sich heraus,
dass von 71 infizierten Kindern 68 nicht geimpft waren. Von allen prophylaktischen Maßnahmen sind die Ergebnisse von Impfungen wissenschaftlich am besten
gesichert – ebenso wie ihre unerwünschten, meist lokal begrenzten Wirkungen.
Es bleibt nicht nachvollziehbar, wenn Ärztinnen/Ärzte oder medizinisches
Personal wie Hebammen generell von Impfungen abraten.
Quelle: Brit.med.J. 2011; 342: 64-6, 77-82
Das AutismusArgument
stammt aus einer
manipulierten
Studie
Seite 30
Sicherer
verordnen
Dr. med.
Günter Hopf
KVH • aktuell
Nr. 2 / 2011
Valproinsäure: Migräneprophylaxe
Nach einer Information der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
(AkdÄ) ist Valproinsäure im Off-Label-Use zur Prophylaxe von Migräneanfällen zu
Lasten der GKV verordnungsfähig. Bedacht werden sollte jedoch:
Valproinsäure ist teratogen, bei Frauen im gebärfähigen Alter muss eine wirksame Kontrazeption durchgeführt werden.
Das Auftreten von suizidalem Verhalten unter der Therapie mit Valproinsäure
bedingt eine sorgfältige Überwachung von depressiven Patienten.
Valproinsäure ist zur Migräneprophylaxe bei Kindern und Jugendlichen nicht
wirksam.
Valproinsäure darf nur von Fachärzten für Nervenheilkunde, für Psychiatrie o.ä.
verordnet werden.
Von 24 Herstellern Valproinsäure-haltiger Arzneimittel haben derzeit nur
AWD.pharma, Dolorgiet, Hexal, IIP-Institut für industrielle Pharmazie und TAD
Pharma dem Off-Label-Use zugestimmt – cave: haftungsrechtliche Konsequenzen bei einer Verordnung anderer Fertigarzneimittel, Aut-idem-Feld ankreuzen!
Quelle: AkdÄ Drug Safety Mail 2010-130
Orale Kontrazeptiva:
Thromboembolierisiko
Bereits 1989 informierte die AkdÄ über den Verdacht, dass Gestoden/Desogestrelhaltige orale Kontrazeptiva (Gestagene der 3. Generation, im Gegensatz zu Levonorgestrel, ein Gestagen der 2. Generation) ein erhöhtes Thromboembolierisiko (VTE)
haben könnten. Nach einer Bekanntgabe stiegen damals die Verdachtsmeldungen
zu allen Kontrazeptiva an, mit entsprechend erhöhten Fallzahlen unter Gestoden/
Desogestrel. Sowohl Hersteller als auch Fachverbände und einzelne Experten widersprachen den Vermutungen.
Nach einem aktuellen Kommentar erfolgte nun eine späte Bestätigung der damaligen Ergebnisse: das VTE-Risiko unter den Pillen der 3. Generation ist nach neuen
Studien etwa doppelt so hoch wie das unter der 2. Generation, hängt also stark von
dem jeweiligen Gestagen ab. Auch die neuen, Drospirenon-haltigen Antibabypillen
(mit so harmlos klingenden Handelsnamen wie z.B. aida®, Angelique®, Petibelle®,
Yasmin®, Yasminelle®, Yaz®) sind hinsichtlich des zwar generell niedrigen, jedoch
potentiell tödlichen VTE-Risikos (Levonorgestrel circa 9 pro 10.000 Frauenjahre,
ohne Pille 4,4) nicht frei zu sprechen: im Gegenteil, auch ihr VTE-Risiko scheint
höher zu sein als das der Kontrazeptiva der 2. Generation. Die Studienergebnisse
werden derzeit von unserer Arzneimittelbehörde BfArM und der anderer EUStaaten geprüft.
Nachdem eine Ärztin wegen mangelnder Aufklärung verurteilt wurde, sollte
insbesondere bei der ersten Verordnung eines Kontrazeptivums auf Risikofaktoren
geachtet (z.B. genetische Faktoren wie Faktor-5-Leyden-Mutation, Thrombosen
in der Anamnese, Rauchen, Übergewicht) und die Patienten entsprechend informiert werden. Levonorgestrel-haltige Kontrazeptiva: z.B. Levogynon®, Microlut®
Gestoden-haltige Kontrazeptiva: z.B. Femovan®, Minulet® Desogestrel-haltige
Kontrazeptiva: z.B. Cerazette®.
Quellen: Eur.J.Clin.Pharmacol. 1989; 36 (Suppl.): A 170; Pharm. Ztg. 2009; 154: 3350
Nr. 2 / 2011
KVH • aktuell
Kardioprotektion – einfach, aber effizient
Einfache Ratschläge können schon eine Menge bewirken. Zum Beispiel:
Für Patienten: Telefonieren Sie im Stehen oder Gehen!
Für den Chef: Ein Drucker für die Abteilung reicht!
Seite 31
Kurze
Meldung
Der Mensch ist ganz eindeutig auf Bewegung optimiert worden, Bürohocken war
in der evolutionären Entwicklung bisher nicht vorgesehen. Das ist zwar altbekannt,
wird aber immer wieder durch neue Studien bestätigt. Und die zeigen auch auf,
wie schon kleine Modifikationen im Verhalten erstaunliche Auswirkungen
haben können.
Eine aktuelle Studie [1] untersuchte an 4757 Probanden, wie sich Unterbrechungen der sitzenden Tätigkeiten auf kardiovaskuläre Risikomarker auswirken.
Die Leute waren mit einem Bewegungssensor am Gürtel ausgestattet worden,
der genau verriet, wie oft und wie lange sie aufstanden und herumliefen und wie
ausdauernd sie auf ihren Bürostühlen hockten. Parallel wurden immer wieder die
gängigen kardiovaskulären Risikoparameter gemessen: Blutfettprofil, Blutzucker,
Hüftumfang, C-reaktives Protein, Insulinresistenz.
Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass die Risikoparameter mit der täglichen Sitzzeit
korrelieren: CRP, Triglyzeride und Insulinresistenz steigen an, das HDL sinkt. Wichtig
ist aber eine weitere Erkenntnis – sie könnte auch Kollegen, die inzwischen schon
gar nicht mehr an die Erfolge ihrer präventiven Bemühungen glauben, einen neuen
Motivationsschub verleihen. Schon relativ kurze Unterbrechungen haben einen
positiven Einfluss auf die Risikoparameter, wenn sie öfter eingelegt werden.
In diesen kurzen Phasen muss nicht einmal bewusst Bewegungstraining betrieben
werden, so dass sie nahezu problemlos in den Arbeitsalltag zu integrieren
sind. Die Veränderung in den Risikoparametern infolge dieser Aktionen lassen
nach Meinung der Autoren eine deutliche präventive Wirkung bei kardiovaskulären
Erkrankungen erwarten, wenn man die bekannten Korrelationen zwischen Risikoparametern und Erkrankungen zugrundelegt.
Die Hauptautorin der Studie nennt auch ganz praktische Beispiele für solche kurzen
protektiven Unterbrechungen. Sie sind schon mit einem Minimum an gutem Willen
zu realisieren:
Beim Telefonieren aufstehen und hin- und hergehen
Den Kollegen im Nachbarzimmer nicht anrufen, sondern rübergehen
Kurze Besprechungen im Stehen abhalten
Die Toilette ein Stockwerk höher benutzen
Über die Treppen gehen, statt den Lift zu nehmen
Für den Chef: Nicht in jedes Zimmer einen Drucker stellen, sondern nur einen
zentral in der Abteilung aufstellen (geht eventuell auch mit anderem Equipment)
BW
1
Die Studie war Teil der NHANES (US National Health and Nutrition Examination Survey) während der Jahre
2003 - 2006. Publikation: Healy, G.N. et al.: Sedentary time and cardio-metabolic biomarkers in US adults:
NHANES 2003–06; European Heart Journal 2011; DOI: 10.1093/eurheartj/ehq451
Was ist DOI?
In den Literaturangaben finden sich immer wieder „DOI“-Bezeichnungen und mancher Kollege fragt
sich: Was soll ich damit denn anfangen?
DOI steht für Digital Object Identifier und dient der einheitlichen und verlagsübergreifenden Identifikation wissenschaftlicher Texte im Internet. Damit soll unter anderem vermieden werden, dass Texte oder
Abstracts nicht mehr auffindbar sind, wenn sie wegen einer Umstrukturierung der Verlagswebseiten
andere Adressen erhalten. Die Texte bzw. Abstracts sind wie folgt aufzufinden: Website www.doi.org
aufrufen – in die Textbox auf dieser Seite die DOI-Bezeichnung eingeben – auf Submit klicken. Dann
erscheint – sofern die DOI-Bezeichnung fehlerfrei war – der gewünschte Text auf dem Bildschirm.
KVH • aktuell
Seite 32
Nr. 2 / 2011
Hausärztliche Leitlinie
Hypertonie
Therapie der Hypertonie
Konsentierung Version 3.00
03. Februar 2010
Revision bis spätestens
Januar 2013
Version 3.00 vom 3.02.2010
Hausärztliche Leitlinie
Hypertonie
Therapie der Hypertonie
Anmerkung:
Die Leitlinie Hypertonie umfasst insgesamt 50 Seiten.
Wir veröffentlichen angesichts des Umfangs nur die
wichtigsten Aspekte. Im letzten Heft (1/2011) fanden
Konsentierung
Version
Sie den ersten
Teil, in diesem
Heft3.00
lesen Sie den zweiten
03.Teil.
Februar 2010
und letzten
Die gesamte Leitlinie einschließlich der im Text erwähnten Anhänge
und Literaturstellen
Revision
bis spätestens (Ziffern in Klammern),
die hier nicht
abgedruckt
Januar
2013 sind, finden Sie im Internet unter www.pmvforschungsgruppe.de. Auf dieser Webseite
bitte den Cursor in der Menü-Leiste im oberen Teil der
Seite auf Publikationen positionieren und im aufklappenden Untermenü auf Leitlinien klicken. Dann können
Sie die gesamte
Version Leitlinie
3.00 vom einsehen
3.02.2010bzw. als PDF-Datei
auf Ihren Computer herunterladen. Eine weitere Bezugsquelle finden Sie unter www.leitlinien.de. Dort oben auf
„Leitlinie finden“ klicken, dann links Anbieter auswählen,
anschließend führt unter L die „Leitliniengruppe Hessen“
zu den hausärztlichen Leitlinien.
Darüber hinaus gibt es die Hausärztlichen Leitlinien inzwischen auch als Buch aus dem Deutschen Ärzteverlag:
„Hausärztliche Leitlinien“, 851 Seiten mit 115 Abbildungen und 210 Tabellen, mit CD-ROM.
ISBN 978-3-7691-0604-6
F. W. Bergert
M. Braun
H. Clarius
K. Ehrenthal
J. Feßler
J. Gross
K. Gundermann
H. Hesse
J. Hintze
U. Hüttner
B. Kluthe
W. LangHeinrich
A. Liesenfeld
E. Luther
R. Pchalek
J. Seffrin
G. Vetter
U. Zimmermann
F. W. Bergert
M. Braun
H. Clarius
K. Ehrenthal
J. Feßler
J. Gross
K. Gundermann
H. Hesse
J. Hintze
U. Hüttner
B. Kluthe
W. LangHeinrich
A. Liesenfeld
E. Luther
R. Pchalek
J. Seffrin
G. Vetter
U. Zimmermann
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Seite 33
Hypertensive Krise
Definition
Krisenhafter erheblicher Anstieg der Blutdruckwerte bei meist (60%-90%) bekannter Hypertonie. Die
Definition ist nicht an bestimmte Blutdruckgrenzen
gebunden, sondern wird vielmehr durch die klinische Symptomatik geprägt [19]:
Okzipitaler Kopfschmerz
Übelkeit und Erbrechen
Schwindel und Sehstörungen
Motorische Unruhe
Müdigkeit, Apathie, Somnolenz
Epistaxis
Bei unzureichendem Erfolg und nicht sichergestellter Überwachung nach einer hausärztlichen
Intervention sollte jeder hypertensive Notfall unverzüglich stationär behandelt werden.
Mittel der ersten Wahl {C}
Glyceroltrinitrat sublingual entweder als Spray
(2-3 Hub) oder Zerbeißkapsel 0,8 mg bis 1,2 mg
Wirkeintritt: 1 bis 3 min
Wirkdauer: 20 bis 30 min
Nebenwirkung: Kopfschmerz, Reflextachycardie,
gut steuerbar
Mittel der Wahl bei Lungenödem, Linksherzinsuffizienz, instabiler Angina pectoris oder
Myokardinfarkt
oder
Nitrendipin (5 mg) sublingual
Weitere Optionen
Furosemid i. v. 20-40 mg
Wirkeintritt: 5 min
Wirkdauer: ca. 2 h
Natriumausscheidung, Volumenminderung,
mittelfristig gut steuerbar
Indiziert bei hypertensivem Lungenödem
Nifedipin sublingual sollte wegen der Gefahr ausgeprägter Reflextachykardien und einer zu raschen
Blutdrucksenkung nicht zum Einsatz kommen [24].
Hypertonie in der Schwangerschaft
Definition von Hypertonie und
Proteinurie in der Schwangerschaft
[11, 19, 89, 90]
Klassifizierung hypertensiver
Erkrankungen in der
Schwangerschaft [90]
Hypertonie: Blutdruck ≥140 mm Hg systolisch
und/oder ≥90 mm Hg diastolisch bei 2 Messungen im Abstand von 4 bis 6 Stunden nach
der 20. SSW bei einer zuvor normotensiven
Schwangeren gilt als klinisches Symptom für
eine hypertensive Erkrankung in der Schwangerschaft (HES).
Proteinurie: Eiweißausscheidung >0,3g/d im
24h-Urin.
Der diastolische Wert wird durch die KorotkoffPhase V (Aufhören der Korotkoffgeräusche) bestimmt. Sind die Korotkoff-Töne bis 0 mm Hg zu
hören, liegt das sogenannte Null-Phänomen vor,
das in der Schwangerschaft nicht ganz selten auftritt. Dann markiert der Beginn der Korotkoff-Phase
IV den diastolischen Blutdruck [36, 49].
Chronische Hypertonie
Definition: Vorbestehende oder in der ersten
Schwangerschaftshälfte auftretende Hypertonie
≥140/90 mm Hg, die postpartal über mehr als 12
Wochen anhält.
Schwangerschaftshochdruck [90]
Definition: Erhöhte Blutdruckwerte ≥140/90 mm
Hg ohne Proteinurie, die erstmals nach abgeschlossenen 20 SSW bei einer zuvor normotensiven
Schwangeren auftreten und sich bis 12 Wochen
nach der Geburt normalisieren.
Präeklampsie (Syn.veraltet: Gestose) [89, 90]
Definition: Schwangerschaftshochdruck und Proteinurie ≥300 mg/24h (nach abgeschlossenen 20
SSW) oder Schwangerschaftshochdruck bei Multiorganbeteiligung mit fetaler Wachstumsrestriktion,
Beteiligung der Leber (Transaminasenanstieg,
Seite 34
KVH • aktuell
Oberbauchschmerzen), Nierenfunktionsstörung,
neurologischen Problemen (Kopfschmerzen, Sehstörungen, Hyperreflexie), Lungenödem oder hämatologischen Störungen (Thrombozytopenie,
Hämolyse), die erstmals nach 20 SSW beobachtet
werden.
Eklampsie
Definition: Im Rahmen einer Präeklampsie auftretende tonisch-klonische Krampfanfälle, die keiner
anderen Ursache zugeordnet werden können (nur
in etwa 50% mit schwerer Hypertonie).
HELLP-Syndrom Trias aus
(H) hemolysis = Hämolyse;
(EL) elevated liver enzymes = pathologisch
erhöhte Leberenzyme;
(LP) low platelets = erniedrigte Thrombozytenzahl (< 100.000 /μl).
Eklampsie und HELLP-Syndrom können auch ohne
Blutdruckerhöhungen einhergehen. Klinisches Leitsymptom ist der Oberbauchschmerz (Schmerzen im
Epigastrium).
Pfropfpräeklampsie
(Syn.: veraltet Pfropfgestose) [90]
Definition: Eine nach 20 SSW neu auftretende
Proteinurie bei vorbestehender Hypertonie. Klinisch
relevant ist die Erfassung von Risikofaktoren zu Beginn der Schwangerenvorsorge [89]. Dazu zählen
vor allem:
HES in vorangegangener Schwangerschaft
Body-Mass-Index > 30
vorbestehender Diabetes mellitus
Nierenerkrankungen oder chronische
Hypertonie
Alter der Mutter > 40 Jahre
familiäre Disposition [89].
Patientinnen mit Kinderwunsch und chronischer
Hypertonie sollten mit Medikamenten behandelt
werden, die mit einer Schwangerschaft vereinbar
sind. Bei der medikamentösen Blutdruckeinstellung
chronischer Hypertonikerinnen ist in der Schwangerschaft der physiologische Blutdruckabfall in der
ersten Schwangerschaftshälfte zu berücksichtigen.
Gegebenenfalls ist eine Dosisreduktion oder ein
Absetzen der Medikation sinnvoll.
Die Betreuung der schwangeren Hypertonikerinnen erfolgt primär durch den Gynäkologen.
Die Einleitung einer medikamentösen Therapie
sollte ausschließlich Aufgabe der Klinik sein, da
erst eine stationäre Beobachtung unter kontrollierten Bedingungen – insbesondere nach Abklärung
plazentarer Probleme oder anderer Besonderheiten
Nr. 2 / 2011
der Schwangerschaft die Notwendigkeit einer medikamentösen Blutdrucksenkung ergeben kann.
Jede initiale, antihypertensive Behandlung einer
schweren Präeklampsie muss nach entsprechender Ursachenabklärung, Feststellung der Randbedingungen und wenn, dann unter einer CTG-Überwachung erfolgen, da ein ausgeprägter Blutdruckabfall mit akuter fetaler Gefährdung verbunden
sein kann.
Indikationen zur Vorstellung in der Klinik [90]
Hypertonie ≥160 mm Hg systolisch
bzw. ≥ 100 mm Hg diastolisch
Manifeste Präeklampsie
Proteinurie und starke Gewichtszunahme im 3.
Trimenon (≥1 kg/ Woche)
Drohende Eklampsie (vgl. Prodomalsymptome)
Klinischer Verdacht auf HELLP-Syndrom, vor
allem persistierende Oberbauchschmerzen
Hinweise für eine fetale Bedrohung
Hypertonie oder Proteinurie und weitere Risikofaktoren wie vorbestehende mütterliche
Erkrankungen (z.B. Diabetes mellitus), Mehrlingsgravidität, mangelnde Compliance der
Mutter für ambulante Überwachung [89]
Schnittstellen, Überweisungskriterien [90]
Proteinurie, Ödeme: Der Nachweis von mehr als
einer Spur (≥1+) Eiweiß im Urin-Schnelltest ist als
abklärungsbedürftig anzusehen.
Ödeme allein sind ein uncharakteristisches Symptom, das nur dann von Bedeutung ist, wenn die
Ödeme rasch zunehmen, d. h. wenn eine deutliche
Gewichtszunahme innerhalb von kurzer Zeit (>1 kg/
Woche) festgestellt wird oder wenn nicht lageabhängige Ödeme bestehen, wie ein ausgeprägtes
Gesichtsödem.
Welche Therapie?
Nahezu alle Substanzen, die zur Behandlung der
Hypertonie in der Schwangerschaft in Frage kommen (z. B. Methyldopa oder selektive Betablocker),
enthalten Einschränkungen hinsichtlich der Anwendung bei schwangeren und/oder stillenden Frauen.
Hilfestellungen zur Arzneimittelauswahl sind unter
der Adresse http://www.embryotox.de erhältlich.
Dies ist eine Informationsseite des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie. Als öffentlich gefördertes Institut werden
unabhängige Informationen zur Verträglichkeit der
wichtigsten Medikamente und zur Behandlung von
häufig vorkommenden Krankheiten in Schwangerschaft und Stillzeit angeboten. Die Angaben auf
dieser im Oktober 2008 neu eröffneten Inter-
Nr. 2 / 2011
KVH • aktuell
netseite beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen
Daten und stimmen nicht immer mit den Informationen der Produktinformationen, dem Beipackzettel
und der Roten Liste überein.
Medikamentöse Therapie
nach der Entbindung
Bei einer schwangerschaftsassoziierten Hypertonie
ist das Ausschleichen einer medikamentösen antihypertensiven Therapie innerhalb von drei Tagen
bis sechs Wochen postpartal in den meisten Fällen
möglich. Falls innerhalb von sechs Wochen postpartal keine Blutdruck-Normalisierung zu erreichen
ist: Diagnostik und Behandlung nach den o.a.
Empfehlungen (s. Kap. Therapie der Hypertonie,
Stufenschema der medikamentösen Therapie).
Stillen
Zugelassene Substanzen
Zentraler Alphablocker Methyldopa
Metoprolol
Seite 35
Dihydralazin
Nifedipin
Nitrendipin
Cave: alle Substanzen weisen einen Übergang in
die Muttermilch auf, ggfs. Abstillen.
Nicht geeignet:
Diuretika (Verringerung der Milchproduktion)
weitere Antihypertensiva (ungenügende Untersuchungsergebnisse)
Langzeitprognose [89]
Frauen nach schwerer Präeklampsie weisen im späteren Leben ein deutlich erhöhtes kardio-vaskuläres
Risiko auf. Daher sind für die Betroffenen eine
rechtzeitige Beratung zur Änderung ihrer Lebensgewohnheiten sowie regelmäßige allgemeinärztliche und internistische Vorsorgeuntersuchungen zur
Risikoabschätzung kardiovaskulärer Erkrankungen
lohnenswert.
Zusammenfassung
Die in zahlreichen klinischen Studien nachgewiesene Reduktion von Schlaganfällen (35% bis 40%),
Herzinfarkten (20% bis 25%) und der Herzinsuffizienz (> 50%) bei der konsequenten Behandlung
der Hypertoniepatienten zeigt die Relevanz dieser
Leitlinie vor dem Hintergrund der knapper werdenden Ressourcen im Gesundheitswesen.
Durch anhaltende Absenkung (über 10 Jahre)
des systolischen Blutdruckes um 12 mm Hg bei
Patienten mit Hypertonie Grad 1 (RR 140-159
mm Hg systol.) sowie zusätzlichen kardiovaskulären Risiken kann 1 kardiovaskulärer Tod bei
11 behandelten Patienten verhindert werden
(NNT 10 Jahre= 11) [125].
Der Hausarzt spielt durch seine (Langzeit-)Betreuungsfunktion eine entscheidende Rolle im Krankheitsgeschehen. Die frühe Entdeckung der Hypertoniker und ihre konsequente Aufklärung, Schulung, Behandlung und Überwachung gemäß der
dargestellten Risikostratifizierung in Abhängigkeit
vom Grad der Hypertonie erfordert ein Management mit Schnittstellen zur spezialärztlichen Ebene.
Der Hausarzt sollte versuchen folgende Ziele zu
erreichen:
Den altersabhängigen Blutdruckanstieg durch
präventives Handeln vermindern
Hypertonieprävalenz senken
Früherkennung der Hypertonie verbessern
Effektivität der Hypertoniebehandlung
verbessern
Kardiovaskuläres Gesamt-Risiko senken
Nichtmedikamentöse Möglichkeiten
mehr als bisher nutzen
Patienten (wiederholt) schulen
Dargestellt werden die Diagnostik und Therapiekontrolle. Die Leitlinie weist auf mögliche Fehler
bei der Blutdruckmessung hin (Manschettengröße!, Durchführung der Messung) und stellt die
nichtmedikamentösen und medikamentösen Therapieoptionen der Hypertonie und ihrer disponierenden Risikofaktoren dar. Zur Indikationsstellung
für die antihypertensive Therapie empfiehlt sich
eine Orientierung am Gesamtrisiko, z. B. mit Hilfe
von arriba. Die Arzneimittelauswahl erfolgt unter
Berücksichtigung der Begleiterkrankungen.
Bei Multimorbidität empfiehlt es sich, die Hochdruckmedikamente so auszuwählen, dass weitere
Komorbiditäten mitbehandelt werden können,
z. B. Betablocker oder ACE-Hemmer bei KHK oder
Herzinsuffizienz, um somit die Anzahl der Me-
KVH • aktuell
Seite 36
dikamente zu beschränken. Bei älteren Patienten
ist auf die Sturzgefährdung zu achten.
Die Einleitung einer antihypertensiven medikamentösen Therapie in der Schwangerschaft sollte
ausschließlich Aufgabe der Klinik sein. Nahezu alle
Antihypertonika enthalten Indikationseinschränkungen bei schwangeren und/oder stillenden Frauen. Hilfestellungen zur Arzneimittelauswahl sind
Nr. 2 / 2011
unter http://www.embryotox.de erhältlich.
Einweisungskriterien in der Schwangerschaft:
RR >160/100 mm Hg oder
RR >140/90 mm Hg und Proteinurie >0,3 g/l
Gewichtszunahme >1 kg/Woche
Begleiterkrankungen, Cerebrale Symptome,
Sehstörungen, Oberbauchschmerzen
Anhang: Motivation zum Rauchstopp
Das Rauchen aufzugeben lohnt sich immer – je
früher, desto besser! Diese Botschaft sollten
Ärzte auch ihren rauchenden Patienten vermitteln.
Wie die »British doctors« Studie zeigt [21], haben
Raucher, die bis zum vierundvierzigsten Lebensjahr mit dem Rauchen aufhören, eine den
Nichtrauchern vergleichbare Lebenserwartung.
Wer mit 60 Jahren zu rauchen aufhört, profitiert
ebenfalls; zwar liegt die Lebenserwartung unter
der eines Nichtrauchers, doch im Vergleich zu
einem Raucher können drei Jahre an Lebenserwartung gewonnen werden. Wer mit 50, 40 oder
30 Jahren zu rauchen aufhört, gewinnt entsprechend 6, 9, oder 10 Jahre an Lebenserwartung.
Prozentuales Überleben
100
Exraucher
80
60
Raucher
Nichtraucher
40
20
Prozentuales Überleben
Auswirkungen auf das Überleben (Gesamtmortalität) [nach 21]
Männer: Rauchstopp mit 25 bis 34 Jahren
Männer: Rauchstopp mit 35 bis 44 Jahren
0
Exraucher
80
60
Raucher
Nichtraucher
40
20
0
40
50
60
70
80
Alter in Jahren
90
100
Männer: Rauchstopp mit 45 bis 54 Jahren
40
50
60
70
80
Alter in Jahren
100
Exraucher
80
60
Raucher
90
100
Männer: Rauchstopp mit 55 bis 64 Jahren
100
Nichtraucher
40
20
0
Prozentuales Überleben
Prozentuales Überleben
100
Exraucher
80
60
Raucher
Nichtraucher
40
20
0
40
50
60
70
80
Alter in Jahren
90
100
40
50
60
70
80
Alter in Jahren
90
100
KVH • aktuell
Nr. 2 / 2011
Seite 37
Anhang: Gesundheitsfördernde Maßnahmen
Nutzen gesundheitsförderlicher Maßnahmen
Ein »gesunder« Lebensstil senkt nicht nur die
Blutdruckwerte (s. o.), sondern hat einen deutlichen Einfluss auf die Lebensdauer. 70 bis 90Jährige, die sich »mediterran« ernähren, körperlich
bewegen, nur moderat Alkohol trinken und nicht
rauchen (entsprechend 4 GfLF in der Abbildung),
haben eine 50 % höhere Überlebenswahrscheinlichkeit im Vergleich zu einer Gruppe, die eher
ungesund lebt (0-1 GfLF).
Überlebenskurven (Gesamtmortalität) für Gesundheitsförderliche Lebensstilfaktoren (GfLF)
100
Prozentuales Überleben
80
4 GfLF
3 GfLF
60
2 GfLF
Score aus Gesundheitsförder40
lichen Lebensstilfaktoren (GfLF)*
4 GfLF
0-1 GfLF
3 GfLF
2 GfLF
20
0-1 GfLF
0
Anzahl Überlebende
bei GfLF-Score
4
437
3
954
2
702
0-1
246
Zeit in Jahren
433
940
676
237
426
912
644
217
415
883
622
198
406
852
587
177
392
824
558
159
376
779
519
147
360
747
489
136
337
703
453
122
267
601
386
107
192
412
282
83
Quelle: nach [54]; The HALE-Projekt, Männer und Frauen aus 11 europäischen Ländern, 70 bis 90 Jahre alt.
* Der Lebensstilfaktor-Score wurde aus den individuellen Einzelscores für folgende gesundheitsförderliche
Lebensstilfaktoren berechnet: Mediterrane Diät, körperliche Bewegung, Rauchen und Alkoholkonsum. Pro Faktor
wurde für ein geringes Risiko 1 Punkt vergeben, für ein hohes Risiko 0 Punkte. So konnten insgesamt zwischen 0
(hohes Risiko bei allen 4 Lebensstilfaktoren) und 4 Punkte (geringes Risiko bei allen 4 Lebensstilfaktoren) erreicht
werden.
KVH • aktuell
Seite 38
Nr. 2 / 2011
Anhang: Antihypertensiva bei Multimorbiden
Medikamentengruppe
Diuretika
(HCT u.
Chlortalidon)
β-Blocker
(fast alle)
++
[1, 35, 103,
ACE –
Hemmer
(alle)
Ca-Antagonist
(Amlodipin,
Nitrendipin)
AT-II
Antagonist
++
++
+
+
[1, 46, 103] {A}
[27, 31] {A}
[32, 108] {B}**
Begleiterkrankung
Keine
(Lorsatan,
Candesartan,
Valsartan)
105] {A}
Adipositas/InsulinResistenz
(+)
+
++
+
Diabetes
(+)
+
++
(+)
[91, 98] {A}
[18, 40]
Hyperlipidämie
(+)
(+)
+
+
Hyperurikämie
(+)
+
+
+
Herzinsuffizienz
Koronare
Herzkrankheit
++
++
++
[15, 65] {A}
[109, 117] {A}
+/++
++
+
[47, 66, 69, 70,
[66, 69, 70, 102,
[31, 115] {A}
102, 103, 108,
103, 108, 130] {A}
(+)
+
b
(+)
++
[47]
130] {A}
Asthma/COLD
+
-/(+)
+ [81]
Arterielle
Verschlusskrankheit
+
(+)
+
Niereninsuffizienz
++
+
++
[23, 116, 131]
[68, 114] {A}
e
Benigne
a
Prostatahyperplasie
c
+
++
c, d
+
c
+
[26] {B}
+
Migräne
(+)
++
(+)
Morbus Parkinson
(+)
++
+
aVerbliebene Einsatzmöglichkeit für Alpha-Blocker
bCa-Antagonisten sind z. T. negativ inotrop;
**Nitrendipin bei älteren Patienten mit isolierter
systolischer Hypertonie
cCave Nierenarterienstenose, bei AVK häufig
dNicht bei Kreatinin > 3,0 mg/dl bzw. nicht bei
Kreatininclearence < 30 ml/min
+
+
eSchleifendiuretika (Thiazide bis zu Kreatinin =
2 mg/dl)
Legende
Medikament der ersten Wahl
++
Gute Alternative
+
Wird nicht bevorzugt
(+)
Sollte nicht gegeben werden
-
Ein Info-Blatt, das Ihnen
die Arbeit erleichtert
Das Rauchen aufgeben – viele Patienten wollen es, schaffen es aber nicht. Mit Unterstützung des
Hausarztes geht es oft aber doch noch. Voraussetzung ist eine gute Information des Patienten. Um
motivierende Gespräche geht zwar kein Weg herum, doch die sind umso erfolgreicher, je besser
der Patient darauf vorbereitet ist. Zu diesem Zweck hat ein Kollege von der Deutschen Gesellschaft
für Allgemein- und Familienmedizin ein Informations- und Aufklärungsblatt zusammengestellt,
das wir auf den beiden folgenden Seiten abdrucken. Sie können das Blatt ggf. kopieren und
den betroffenen Patienten mitgeben. Sinnvoll wäre noch, wenn Sie selbst ein ergänzendes Blatt
mit den Kontaktdaten regionaler Hilfsangebote (Selbsthilfegruppe etc.) verfassen und hinzufügen.
Informationen
KVH • aktuellfür Patienten
Mai 2005 Nr. 1
Seite 3
Raucherentwöhnung
Warum aufhören?
Auf jeder Zigarettenpackung steht, dass Rauchen gesundheitsschädlich ist. Fast
alle Raucher wissen das auch. Trotzdem raucht ca. ein Drittel der Bevölkerung.
Etwa die Hälfte würde gerne mit dem Rauchen aufhören.
Jährlich sterben in Deutschland rund 140.000 Menschen
an den Folgen des Tabakkonsums.
Raucher leben ca. 7 bis 10 Jahre kürzer.
Rauchen ist die wichtigste durch Verhaltensänderung vermeidbare
Ursache von Krankheiten weltweit.
Tabakrauch ist ein Reizgas und enthält neben Nikotin eine Vielzahl giftiger und
krebserregender Schadstoffe, die für die Schäden verantwortlich sind. Hier eine
Auswahl von Erkrankungen, die durch Rauchen mitbedingt sind. Natürlich sind
auch Nichtraucher von diesen Krankheiten betroffen, aber viel seltener.
Rauchen tötet selten schlagartig sondern oft langwierig und leidvoll.
Herzkreislauferkrankungen
Herzkranzgefäßverengungen und Herzinfarkt
Schlaganfall
Arterielle Verschlusskrankheit der Beine
(„Raucherbein“)
Krebserkrankungen
Lungenkrebs
Mundhöhlen- und Kehlkopfkrebs
Speiseröhrenkrebs
Blasenkrebs
Bauchspeicheldrüsenkrebs, Leukämie usw.
Lungenerkrankungen
Chronische Bronchitis / Emphysem
Infekte der oberen Atemwege / Lungenentzündung
Andere Erkrankungen
Osteoporose
Verminderte Zahngesundheit
Augenerkrankungen (Karatakt, makuläre
Degeneration)
Verminderte Fruchtbarkeit
Tabakrauch gefährdet Kinder und Andere, die den Rauch unfreiwillig einatmen.
Welche Risiken?
Entscheidungsbalance – tragen Sie ein:
Gründe für das Weiterrauchen
Gründe gegen das Weiterrauchen
Nachteile des Nichtrauchens
Zu den unerwünschten Nebenwirkungen der Abstinenz gehören eine Gewichtzunahme und eine vorübergehende
Entzugsymptomatik. Letztere wirkt sich meist nicht sehr drastisch aus und ist in der Regel nur vorübergehend.
Vorteile des Nichtrauchens
Nach 48 Stunden:
Nach 1 Monat:
Nach 1 Jahr:
Nach 5 Jahren:
Nach 10 Jahren:
Nach 15 Jahren:
Geruchs- und Geschmackssinn verfeinern sich wieder
Hustenanfälle lassen nach, Infektionsgefahr verringert sich
Das Risiko für Herzkreislauferkrankungen sinkt um die Hälfte
Das Risiko, an Lungenkrebs zu sterben, sinkt um die Hälfte
Das Lungenkrebsrisiko entspricht dem eines Nichtrauchers
Das Risiko für Herzkreislauferkrankungen entspricht dem eines Nichtrauchers
Weitere Informationen und Quellenangaben finden Sie in der Langfassung der
DEGAM-Leitlinie „Kardiovaskuläre Prävention“ im Internet unter www.degam.de
Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin
©: Dr. med. Jean-François Chenot, MPH, Vor dem Tore 2, 37181 Hardegsen
Die Erstellung der Information erfolgte unentgeltlich – es bestehen keine Interessenkonflikte.
Arzt für Allgemeinmedizin und Mitglied der DEGAM AG Beratungshilfen
Version vom 11.4.2008
Informationen
für Patienten
XtraDoc Verlag Dr. Wiedemann, Winzerstraße 9, 65207 Wiesbaden
PVSt Deutsche Post AG,
Entgelt bezahlt,
68689
Deutsche Gesellschaft für
Allgemein- und Familienmedizin
©: Dr. med. Jean-François Chenot, MPH,
Vor dem Tore 2, 37181 Hardegsen
Die Erstellung der Information erfolgte
unentgeltlich – es bestehen keine Interessenkonflikte.
Diese Information wurde überreicht von
PH863453V
Warum ist es so schwer, aufzuhören?
Rauchen ist die effektivste Form, hohe Dosen Nikotin ins Gehirn zu bringen. Dort führt Nikotin zur Entspannung und
beeinflusst die Stimmung. Schnell entsteht eine Abhängigkeit und der anfänglich unangenehme Geruch wird mit
positiven Empfindungen in Verbindung gebracht. Die Nikotinabhängigkeit kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein.
Abstinenz führt dann zu einem starken Rauchwunsch und evtl. Entzugserscheinungen. Daher ist das sog. Genussrauchen für die meisten nicht möglich. Zusätzlich hat Rauchen oft auch eine soziale Funktion, z.B. zur Entspannung.
In welchen Situationen rauchen Sie?
Endlich Rauchfrei!
Informieren Sie Freunde und Familie, dass Sie mit dem Rauchen aufhören möchten, bitten Sie sie um Unterstützung.
Schlusspunktmethode
Langsam runterrauchen funktioniert leider nicht. Es gibt auch keinen unschädlichen Tabakkonsum. Die Schlusspunktmethode, d.h. man setzt sich einen festen Termin an dem man aufhört, ist am erfolgreichsten. Zur Unterstützung ist es sinnvoll, alle Rauchutensilien (Aschenbecher etc.) wegzutun.
70% aller Ex-Raucher haben es so geschafft!
Nikotinersatztherapie
Eine Nikotinersatztherapie (Pflaster, Kaugummi) kann bei der Rauchentwöhnung helfen – 1½- bis 2-mal so viele
Menschen bleiben beim Nichtrauchen. Nikotinersatz verringert Entzugssymptome und das Verlangen zu rauchen.
Nikotinersatzpräparate gibt es rezeptfrei in der Apotheke. Wenn Sie weniger als eine Packung am Tag rauchen, werden Sie meist keinen Nikotinersatz brauchen. Wir beraten Sie gerne, ob bei Ihnen ein Nikotinersatz zu empfehlen ist.
Wenn Sie einen Internetzugang haben, können Sie auch selbst nachsehen: www.stop-simply.de/fagerstrom-test.htm
Wie ist es mit Medikamenten zur Raucherentwöhnung? In Einzelfällen kann man überlegen, Medikamente
wie Zyban® und Champix® einzusetzen. Dies erfordert aber eine besondere ärztliche Beratung – bei einigen Erkrankungen dürfen sie nicht genommen werden.
Nichtraucherkurse und Selbsthilfegruppen. Nichtraucherkurse oder Selbsthilfegruppen können die Erfolgsrate
oft verbessern – die Gruppenmitglieder können sich gegenseitig unterstützen.
Methoden, deren Wirksamkeit nicht belegt sind. Die Wirksamkeit von Hypnosetherapie und Akupunktur
konnte nicht nachgewiesen werden.
Nichtrauchervitamine? Der Schaden, den Tabak ihrem Körper zufügt, kann durch zusätzliche Vitamine nicht
ausgeglichen werden. Möglicherweise fördern Vitaminpräparate die Krebsentstehung bei Rauchern eher.
Nicht ganz geschafft ...
Schon mal versucht, und nicht geschafft? Kein Beinbruch; viele benötigen mehr als einen Anlauf. Überlegen Sie,
was Sie tun können, dass es beim nächsten Mal besser klappt. Wenn es zu einem Rückfall kommt, ist nicht das
ganze Projekt gescheitert! Sie haben nach wie vor gute Chancen, wieder Nicht-Raucher zu werden.
Was tue ich?
Ich bin noch nicht so weit und benötige noch Bedenkzeit
Ich möchte mit dem Rauchen aufhören und rauche am ____________________meine letzte Zigarette.
Wenn ich aufhören will, unterstützt mich ___________________________________________________
Ich möchte Beratung zur Nikotinersatztherapie
Ich belohne mich mit __________________________________________________________________
Ich schließe mich einer Nichtrauchergruppe / -kurs an
Weitere Informationen:
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) www.rauchfrei-kampagne.de
Bietet kostenlos einen Ausstiegs-Kit und Informationsmaterial zum Thema Nichtrauchen, z.B. für werdende Mütter
oder zum Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz
Bezugsadresse: BzgA, Ostmerheimer Str.220, D-51109 Köln
Das BZgA-Info-Telefon: 0221-31 31 31: Mo – Do: 10 – 22 h, Fr – So: 10 – 18 h (12 Cents /Minute)
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