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Kognitive Mechanismen beim Einparken
Gekonnt geparkt
„Frauen können nicht einparken“, „Männer können sich nicht auf zwei Dinge
gleichzeitig konzentrieren“ – im täglichen
Leben sehen wir uns immer wieder mit solchen Vorurteilen konfrontiert. Ob Frauen
wirklich Probleme damit haben, ihr Auto
in eine Parklücke zu manövrieren, wollte
unser Team um Professor Güntürkün nun
genau wissen. Es stellte sich heraus, dass
biologische und soziale Faktoren die Leistung beeinflussen können. Unser Tipp:
Die vermeintliche Bedrohung als Herausforderung nehmen!
Wohl kaum ein Vorurteil ist weiter verbreitet als das der mangelnden weiblichen
Fahrkünste: Die Suchmaschine Google
kennt über 90 000 Einträge zum Thema
„Frauen“ und „Einparken“; die Eingabe der
entsprechenden englischen Suchbegriffe
liefert sogar mehrere Millionen Treffer.
Die enorme Nachfrage nach pseudowissenschaftlicher Literatur à la Allan und Barbara Pease Bestseller „Warum Männer nicht
zuhören und Frauen schlecht einparken“
bestätigt das gesellschaftliche Interesse für
den „kleinen Unterschied“. Doch sei es das
Abb. 1: Exaktes Einparken als eine Hürde, die genommen werden muss – zumindest vermittelt das
hier der angestrengte Blick in den Rückspiegel. Daher interessierte die Forscher nicht nur, wie schnell
und genau eingeparkt wurde. Sie wollten auch wissen, ob zunehmende Routine Autofahrerinnen
selbstsicherer macht und das Einparken vielleicht
positiv beeinflusst.
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Abb. 2: Frauen benötigen mehr Zeit zum Einparken als Männer und manövrieren
das Auto weniger genau auf die vorgegebenen Markierungen. Die größten Unterschiede zeigen sich beim parallelen Parken.
Zuhören, Einparken, Multitasking oder
Kartenlesen – ob Klischees einer eingehenden wissenschaftlichen Untersuchung
standhalten können, ist fraglich. Erst kürzlich lieferte eine in der renommierten Fachzeitschrift „Science“ veröffentlichte Studie den Beweis, dass Männer und Frauen
gleich viel reden – das Vorurteil, Frauen
seien Quasselstrippen und Männer wortkarg, hat also weder Hand noch Fuß. „Ungeprüfte Behauptungen sind weit verbreitet“, bestätigt Sebastian Ocklenburg, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl
für Psychologie der Ruhr-Universität. Und
tatsächlich: Die Eheleute Pease nennen keine Quelle für ihre These, dass Männer besser einparken können. „Angeblich wollen
die Leiter der Studie nicht genannt werden“, berichtet Ocklenburg. „Doch auch
die Methoden und Ergebnisse bleiben undurchsichtig“.
Wir wollten es genau wissen. Unter der
Leitung von Onur Güntürkün, Professor an
der Abteilung für Biopsychologie, testeten
wir die Einparkfähigkeit von 17 Fahranfängern und 48 fortgeschrittenen Autofahrern.
In einem abgetrennten Bereich eines Parkhauses der Universität ließen wir unsere
männlichen und weiblichen Teilnehmer
drei verschiedene Einparkmanöver durchführen: vorwärts, rückwärts und parallel,
mal von rechts und mal von links kommend. Um eine möglichst realitätsnahe Situation zu schaffen besorgten wir Schrottautos, die die Parkplätze begrenzten. Alle
Probanden starteten von festgelegten Positionen und parkten dasselbe Auto – ein
Fahrzeug, mit dem sie keine Vorerfahrung
hatten. So sicherten wir die Vergleichbarkeit unserer Daten (s. Info 1).
Was war das Ergebnis unseres Einparktests? Trotz gleicher Fahrpraxis parkten
Frauen insgesamt langsamer ein als Männer. Auch manövrierten sie das Auto weniger genau auf die vorgegebenen Markierungen. Die größten Unterschiede fanden
sich beim parallelen Parken: Hier waren
Männer 42 Sekunden schneller und 3 Prozent genauer als Frauen (Abb. 2). Die Geschwindigkeitsdifferenz (s. Abb. 3 A) war
also wesentlich auffälliger als die Genauigkeitsdifferenz (s. Abb. 3 B). Zwar schnitten fortgeschrittene Fahrer unterm Strich
besser ab – der Unterschied zwischen den
Geschlechtern blieb jedoch auch unter
ihnen erhalten.
Es war also tatsächlich etwas dran am
Vorurteil! „Natürlich wollten wir der Ursache unserer Beobachtung auf den Grund
gehen und herausfinden, welche kognitiven Mechanismen dem Einparkprozess
zugrunde liegen“, erklärt Güntürkün. „Wir
glaubten, dass insbesondere die Fähigkeit
zur sogenannten mentalen Rotation entscheidend sein könnte“. Dabei handelt es
sich um eine Fähigkeit der räumlichen
Wahrnehmung, die mit einem speziellen
Test abgefragt wird (Mentaler Rotationstest, s. Abb. 4 u. 5). Bei diesem Test vergleichen die Probanden dreidimensionale Figuren, die aus unterschiedlichen Perspektiven abgebildet sind und versuchen, identische Versionen ausfindig zu machen. Das
Besondere an dem Test: Er ist „geschlechtssensitiv“ – Männer schneiden im Durchschnitt besser ab. Doch was haben mentale Rotation und Einparken miteinander
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Männer
Frauen
92
140
90
Genauigkeit (Prozent)
Zeit (Sekunden)
120
100
80
60
40
A
88
86
84
82
20
0
Männer
Frauen
80
Vorwärts
Rückwärts
Parkmanöver
Parallel
Vorwärts
B
Abb. 3: Exakt eingeparkt? Die Messungen ergaben, dass Frauen nicht nur langsamer (A), sondern auch ungenauer einparken. Nach Beendigung eines Manövers bedeckte ihr Fahrzeug einen geringeren prozentualen
Anteil der markierten Parkplatzfläche (B). Die größten Unterschiede fanden sich beim parallelen Parken.
zu tun? „Um sein Fahrzeug in eine Parklücke zu manövrieren, muss sich der Fahrer
die Umgebung vor seinem inneren Auge
vorstellen“, berichtet Güntürkün. „Er muss
also nicht nur wissen, wie die momentane
Position seines Fahrzeugs relativ zu parkenden Autos oder der Bordsteinkante ist.
Er muss auch wissen, wie sich seine Posi-
tion verändert, wenn er das Gaspedal betätigt.“ Beim Einparken scheint also jene
Fähigkeit zur Perspektivenübernahme gefragt, die auch beim mentalen Rotieren
notwendig ist.
Doch können die von uns beobachteten Geschlechtsunterschiede beim Einparken allein auf unterschiedliche räum-
info 1
Einparkmanöver im Test
Nach einer kurzen Testfahrt führten die Probandinnen und Probanden drei verschiedene Einparkmanöver durch: Sie parkten vorwärts und rückwärts in eine Parkbox ein
sowie rückwärts in eine Parallelparklücke, jeweils von der linken und der rechten Seite kommend. Um die Vergleichbarkeit sicherzustellen, starteten alle Probanden von
festgelegten Positionen und parkten dasselbe Auto, einen Audi A6 C6, mit dem sie
keine Vorerfahrung hatten.
Rückwärts
Parkmanöver
Parallel
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Abb. 4: Eine Teilnehmerin beim Mentalen Rotationstest unter Anleitung von Claudia Wolf (rechts).
Abb. 5: Mentaler Rotationstest: Bei diesem geschlechtsspezifischen Test sollen die Probanden aus einer Vielzahl
dreidimensionaler, in unterschiedlichen Perspektiven abgebildeten Figuren, die identischen herausfinden.
liche Fähigkeiten zurückgeführt werden?
„Das wirkliche Leben ist viel komplexer als
das Labor“, weiß Güntürkün. „Meist spielen biologische und soziale Faktoren eine
Rolle.“ Daher testeten wir unsere Probanden nicht nur im Mentalen Rotationstest.
In einem detaillierten Fragebogen gaben
sie außerdem an, wie sie ihre Fähigkeiten
am Steuer einschätzen. Resultat: Bei den
Fahranfängern hing die Geschwindigkeit
des Einparkens eng mit der Raumkogni-
tion zusammen. Je besser sie Objekte aus
unterschiedlichen Perspektiven vor dem
geistigen Auge betrachten konnten, desto
zügiger ihre Manöver. Hingegen wirkte
sich die Selbsteinschätzung auf die Genauigkeit aus: Fahranfänger, die an ihr
Talent glaubten, parkten exakter als jene,
die sich weniger zutrauten. Mit zunehmender Erfahrung schwand der Einfluss
der räumlichen Fähigkeiten – bei fortgeschrittenen Fahrern und Fahrerinnen be-
info 2
Die groSSen Fragen um Wahrnehmung, Gedanken und Verhalten
Die Abteilung für Biopsychologie gehört zum Institut für Kognitive Neurowissenschaft
der Fakultät für Psychologie. Ein interdisziplinäres Team von Psychologen, Biologen
und Biochemikern erforscht hier unter Leitung von Prof. Dr. Dr. h.c. Onur Güntürkün
wie sich rechte und linke Gehirnhälfte in ihrer Funktion unterscheiden. Ein weiteres
Forschungsfeld ist der sog. präfrontale Cortex, eine komplexe Hirnstruktur, die in vielfacher Weise an Wahrnehmung, Gedanken und Verhalten beteiligt ist. In die aktuellen
Untersuchungen zur isolierten Balkenagenesie (Agenesie des Corpus callosums) ist
auch die Doktorandin Claudia Wolf eingebunden. Bei den betroffenen Patienten fehlt die
größte Neuronenverbindung (Balken) zwischen den Gehirnhälften. Die Forscher wollen herausfinden, wie sich diese angeborene Fehlbildung auf die menschliche Wahrnehmung auswirkt.
Mentaler Rotationstest (Prozent)
59
60,00
50,00
40,00
30,00
20,00
10,00
0,00
Selbsteinschätzung des Einparkens
weiblich
männlich
1,20
1,00
0,80
0,60
0,40
0,20
0,00
weiblich
männlich
stimmte allein das Selbstbild die Leistung.
Letztlich konnten wir die bessere Leistung
der Männer auf zwei Ursachen zurückführen: Im Durchschnitt erreichten sie eine
höhere Punktzahl im Mentalen Rotationstest und schätzten ihr Talent zudem selbstbewusster ein (s. Abb. 6).
Das „weibliche Dilemma“ könnte beim
mentalen Rotieren beginnen, das Frauen
im Schnitt größere Probleme bereitet.
Dies zieht eine Kette unerwarteter Folgen
nach sich. Zunächst lässt es Fahranfängerinnen vergleichsweise langsam einparken. Die Frauen bemerken ihre Schwäche
und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sinkt: Trotz zunehmender Erfahrung schätzen Autofahrerinnen ihr Können weniger selbstbewusst ein als die von
ihren Fahrkünsten überzeugten Männer.
Es folgt eine negative Erwartungshaltung,
die Selbstbild und zukünftige Leistung
schwächt. Die Parklücke in den Augen
der Frau: eine Gefahr, die vermieden wird.
Die Parklücke in den Augen des Mannes:
eine Herausforderung, die bewältigt werden will. So schließt sich der Kreis und
Frauen bestätigten das Vorurteil, das sie
eigentlich im Griff haben wollten.
Es bedarf nicht einmal einer negativen
Rückmeldung über die eigene Leistung,
Abb. 6: Mentaler Rotationstest – die Ergebnisse:
Männer erreichten eine höhere Punktzahl und
schätzten ihr Einparktalent selbstbewusster ein.
um die Abwärtsspirale in Gang zu setzten –
schließlich hing die Genauigkeit beim Einparken schon bei unseren Fahranfängern/
-innen vom jeweiligen Selbstbild ab. Tatsächlich können gesellschaftliche Klischees bereits für sich genommen die Leistung schwächen. Komplexe motorische
Aufgaben wie das Einparken sind besonders anfällig für solche „Stereotypen“,
denn sie profitieren vom „gedankenlosen“
Automatismus. Nur so können sie zügig
und koordiniert durchgeführt werden.
Doch stigmatisierte Personen neigen zur
bewussten Handlungskontrolle. Die Folge: Aus einem gleichmäßigen, präzisen
Bewegungsstrom werden langsame und
durch ständige Kontrollen unterbrochene
Bewegungsfragmente.
Dennoch gibt es Frauen, die ebenso gut
oder sogar besser als Männer parken: Insgesamt beobachteten wir eine Leistungsüberlappung von etwa 50 Prozent. Wie
kommt das? Abhilfe könnte ein Perspektivenwechsel schaffen, der Sozialpsychologen schon seit geraumer Zeit bekannt ist.
Wenn wir eine vermeintliche Bedrohung
zur Herausforderung umdeuten, gehen
wir selbstbewusster zu Werke und unsere
Leistung steigt.
Claudia Christine Wolf
The parking brain
Gender stereotypes are widespread
in modern culture. Our team headed by Professor Güntürkün investigated the validity of the preconception that women can’t park and
the cognitive mechanisms involved
in parking. We found that biological
and social factors influence parking
speed and accuracy. Our suggestion: Turn the alleged threat into a
challenge!
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