Dr. Marcus Riedel

Werbung
• Grundlagen / Verständnis des Mobbingrozesses
– Definitionen / wissenschaftliche Grundlagen
• Verhaltensmedizin als Grundlage für die Mobbing-Forschung
• Konflikttheorie - Kommunikationsstörung
– Gibt es typische Persönlichkeitsmerkmale?
• gruppenpsychodynamische Aspekte
– Folgen für die „Opfer“
– Interventionsstrategien in der betrieblichen Praxis
– Rolle des Betriebsarztes?
– Therapie beteiligter Personen
Mobbing - Definition
Ein Phänomen, bei dem einzelne Personen bei der Arbeit gezielt, systematisch und über längere Zeit
von einem oder mehreren Betriebsangehörigen schikaniert werden.
Leymann’sche Definition:
Ein Mobbingfall liegt vor, wenn eine oder mehrere der Mobbinghandlungen, die in der LIPT-Liste
aufgeführt sind, mindestens einmal in der Woche und mindestens seit sechs Monaten vorkommen. LIPT
Das Leymann Inventar des psychologischen Terrors (1996) ist ein Messinstrument, das aus einer
Liste von 45 Handlungen besteht. Es wird in einem Interview gefragt, ob diese Handlungen erlebt
werden, seit wie lange und wie oft.
Psychosoziale Belastung:
Die Auswirkung einer psychosozialen Spannung auf den Menschen.
Psychosoziale Spannung:
Die Situation einer ausgesprochenen oder unterschwelligen Auseinandersetzung zwischen zwei oder
mehreren Personen. Dieser Begriff umfasst Mobbingfälle sowie andere negativ empfundene
zwischenmenschlicheBeziehungen.
Selbstdeklarierte Mobbingfälle:
Personen, die am Ende der Befragung die Frage, ob sie sich als Mobbingopfer fühlen, bejaht haben, (es
wurde keine Mobbingdefinition vorgegeben).
• Konrad Lorenz,
• * 7. 11. 1903 Wien, † 27. 2. 1989 ebenda,
– Mitbegründer der vergleichenden Verhaltensforschung,
– Nobelpreisträger für Physiologie 1973 (mit K. Frisch und N. Tinbergen)
für die Entdeckung der Prägung an der Graugans
– Lorenz erforschte besonders das instinktive Verhalten der Tiere, den auf
Schlüsselreize ansprechenden Auslösermechanismus sowie die
stammesgeschichtliche Entwicklung des angeborenen Verhaltens.
Konfliktdefinition:
„Sozialer Konflikt kann definiert werden als Kampf um Werte
oder Statusansprüche, um Macht und knappe Ressourcen, in
dem die Ziele der streitenden Parteien sich nicht nur auf die
Erreichung der begehrten Werte beziehen, sondern auch auf die
Neutralisierung, Verletzung oder Beseitigung ihrer Rivalen.“
(Krymanski, 1971)
Negativ:
Konflikte werden als Gefahr gesehen
Vertreter: T. Parsons, Robert K. Merton,
N. Luhmann
Positiv:
Bewegende Kräfte, die verantwortlich
sind für den sozialen Wandel
Vertreter: Lewis A. Coser,
R.Dahrendorf
Konflikt-Thesen nach Coser
• gruppenfestigende Funktion des Konflikts
• gruppenerhaltende Funktion des Konflikts und die Bedeutung
von Institutionen, die als Sicherheitsventile dienen.
• Je enger die Beziehung desto stärker der Konflikt
• Die Suche nach Feinden
• Der Konflikt mit einer anderen Gruppe bestimmt die
Gruppenstruktur und die Reaktion auf inneren Konflikt
• Konflikt bindet Gegner aneinander
• Konflikt schafft und erhält das Gleichgewicht der Macht
• Konflikt schafft Vereinigungen und Koalitionen
• Soziale Konflikte werden normalerweise nicht direkt ausgetragen
• Soziale Konflikte sind mehrdimensional
• Konfliktsituationen hängen von der jeweiligen Situation und ihrer
Interpretation ab
Das Modell des (inneren) psychischen Konflikts nach Freud
• Grundmuster des pathogenen seelischen Konflikts:
» unerträgliche Vorstellung
» Abwehrleistungen
» Gedächtnisspur
» an der Vorstellung haftender Affekt
» pathologische Disposition
Ergebnis: pathologische Reaktion
“Unbewußtes erkennt Unbewußtes bedingungslos”
(Sigmund Freud)
• Typischer Verlauf (1)
– Phase 1:
•
•
•
•
•
ein Feindbild wird aufgebaut
eine Vorverurteilung findet statt
die einzelnen Aktionen wirken häufig unbedeutend/ lapidar
die einzelnen Aktionen sind in ihrer Absicht schwer beweisbar
eine feindselige, bedrückende, doppelbödige Arbeitsatmosphäre entsteht
– Phase 2:
•
•
•
•
•
andere Personen werden infiziert
Rollenzuweisung stabilisiert sich
Mobbing-Handlungen werden gezielt ausgeführt
psychosomatisch-vegetative Symptome häufen sich
argumentative oder aggressive Abwehr geht ins Leere
• Typischer Verlauf (2)
– Phase 3:
•
•
•
•
•
•
die pathologische Rollenzuweisung ist stabil
gemobbte Person steht als Sündenbock für schlechtes Betriebsklima
Vorgesetzte treten auf den Plan
Krankenstand steigt (zunächst meist als Flucht)
massives Kränkungserleben -> Hilflosigkeit und Aggression
Teufelskreis aus Aktion / Reaktion -> Betriebsklima wird schlechter
– Phase 4:
•
•
•
•
•
Situation spitzt sich dramatisch zu
Störbilder und Erkrankungen werden chronisch
Leistungsfähigkeit sinkt objektiv
zuvor unterstellte Schwächen sind tatsächlich vorhanden
Weiterbeschäftigung ist nicht mehr möglich
Wer wird gemobbt?
– Gibt es Persönlichkeitsmerkmale?
Mobbing-Report (BauA, 2002):
Eine Auswertung der Daten in Bezug auf unterschiedliche Merkmale
wie Geschlecht, Alter oder betriebsbezogene Kriterien ergab, dass
grundsätzlich jeder zum Mobbingopfer werden kann. Dabei ist das
Risiko jedoch nicht für alle gleich. Es gibt Beschäftigtengruppen, die
ein höheres Risiko tragen, gemobbt zu werden. Frauen haben im
Vergleich zu Männern ein höheres Mobbingrisiko. Am stärksten
betroffen ist die Altersgruppe der unter 25-Jährigen mit 3,7 Prozent,
gefolgt von den 55-Jährigen und älteren Mitarbeitern mit 2,9 Prozent.
Theoretische Konzepte zu persönlichkeitsspezifischen Ursachen:
-Komplexes psychosoziales Geschehen (M.Vartia, 2003)
-„Opfer“ scheuer, unterwürfiger (Rammsayer, K. Schmiga, 2003)
-Struktureller Faktor „Wettstreit“ um Ressourcen (D. Zapf, C. Knorz,
M. Kulla, 1996)
-Ingroup/Outgroup-Phänomen (Heinemann, 1972)
-Konflikt - Rollenkonflikt ( Neuenberger, 1995)
-Soziale Kompetenz???
-Kommunikationsfähigkeit???
-Selbstreflexionsfähigkeit???
Theoretische Konzepte zu persönlichkeitsspezifischen Ursachen:
•Wechselwirkung: Psychodynamik – äußere Bedingungen
•Intrinsisch-neurotische Faktoren sind nicht klar definierbar
•Geringe soziale Kompetenz, Selbstwertkonflikte, unreif-projektive
Abwehr und Störungen der Selbstkohärenz sowie Überidentifikation
mit der Opferrolle / „erlernte Hilflosigkeit“ und „hochneurotische
Persönlichkeitsstruktur“ wurden diskutiert.
•Demarkierung reicht aber aus !
Fazit:
Ein typisches Persönlichkeitsprofil ist nicht definierbar!
• Führungskräfte sind maßgeblich am Mobbinggeschehen beteiligt
37 % (Dunkelziffer bis zu 80 %) aller Mobbingfälle durch Vorgesetzte
verursacht
in 10 % aller Fälle gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen
Der/die Gemobbte fungiert als Sündenbock um Unzulänglichkeiten der
Führungskraft zu kaschieren
„Druck von oben“ -> direkter Frustrationsabbau möglich
Ängste sind ein zentrales Motiv:
• Angst vor Autoritätsverlust und Machteinbuße
• Angst vor (öffentlichem) Versagen durch mangelnde Führungsqualität
und eigener Denunziation gegenüber weiteren Vorgesetzten
• Angst vor der Informationsweitergabe
-> Verlust des Wissensvorsprungs -> existenzbedrohende Defensive
• Angst davor, selbst nicht ausreichend informiert zu sein
• Angst davor, daß unzureichend angetriebene Mitarbeiter/innen
faulenzen.
• Angst vor Intrigen der Mitarbeiter/innen denen sie sich nicht gewachsen
fühlen.
• Angst davor, daß Mitarbeiter/innen die Führungskraft aus ihrer Position
verdrängen.
• Angst vor Imageverlust gegenüber Mitarbeitern/innen und Vorgesetzten.
• Mobbing von oben nach unten (vertikal) „Bossing“:
– nicht nur Schaden (Minderleistung, Fehlzeiten, Folgen für die
Betroffenen, arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen,etc...)
– auch Nutzen für das Unternehmen
– Tabu:
• personalwirtschaftliches Instrument zum Personalabbau
• Selbstkündigung erspart dem Arbeitgeber Zahlung einer Abfindung und/oder
die aufwendige Prüfung der Sozialverträglichkeit von betrieblichen
Kündigungen.
• Summe: Es gibt nur Verlierer!!!
Fragen an das Selbst:
Welche Ziele habe ich mir für mein Leben gesteckt?
Wie wichtig ist es mir, diese Ziele zu verwirklichen?
Ziehe ich innerlich gerade Bilanz bezüglich meiner Lebensleistung?
Sind diese Ziele wirklich eigene Wünsche oder sind es Aufträge
anderer (Gesellschaft, Eltern, etc...?)
Was bedeutet für mich Zufriedenheit?
In wieweit habe ich dies erreicht?
Was fällt mir spontan ein, wenn ich mich frage, ob ich etwas
loslassen muss?
• Symptome:
–
–
–
–
–
–
–
–
–
•
Kopfschmerzen 51 %
Rückenschmerzen 44 %
Einschlafstörungen 41 %
depressiv 41 %
schnell reizbar 41 %
Nackenschmerzen 36 %
Konzentrationsmängel 35 %
Versagensangst 32 %
unterbrochener Schlaf 32 %
Quelle: Mobbingbroschüre der IG Metall
Verändertes Erleben:
Gefühle der Hoffnungslosigkeit dominieren
Unfähigkeit, überhaupt noch Gefühle empfinden zu
können:
"Ich bin wie versteinert”
Negative Denkmuster
pessimistische Einstellung
Suizidgedanken
Verändertes Verhalten:
soziale Kontakte werden vermieden -> Antriebsstörung
“Ich habe keine Lust”
Erkrankte können ihre Arbeit nicht mehr bewältigen
Mimik und Gestik ist häufig wie erstarrt
agitiertes Verhalten
Körperliche Beschwerdeebene:
Schlaflosigkeit
Appetitstörung mit Gewichtsverlust
Libidoverlust
schnelle Ermüdung
multiple körperliche Beschwerden
Formen der Angst- und Panikstörung
• generalisierte Angst
• phobische Angst
• Panik
• Mischformen: Angst / Zwang
Sucht als Folge von Mobbing
• Alkohol als "Problemlöser" in Belastungssituationen (37%)
• 52 % aller Berufstätigen trinken gelegentlich Alkohol am Arbeitsplatz
(11 % täglich)
• 17 % der Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterinnen an gering belastenden, aber
25 % an hochbelastenden Arbeitsplätzen sind Raucher und Raucherinnen.
• Medikamente zur Kompensation von leistungsmindernden Folgen der belastenden
Situation (Bekämpfung von Angstzuständen und Schlafstörungen)
Beruhigungsmittel/Schlafmittel/”Aufputschmittel” werden verordnet
• Eßstörungen
• Auswege / Handlungsstrategien
– Konfliktbewußtsein vor Konfliktlösung
– Integration statt Isolation
– Kommunikationstheorie - ein Beispiel
• Das „Vier-Ohren-Modell“
– soziale Kompetenz
– Schlichtungsgespräch / Supervision / Mediation
– Psychotherapie-Verfahren
• analytische Verfahren
• Verhaltenstherapie
• interpersonelle Verfahren
– Entspannungsverfahren / Streßmanagement
• Autogenes Training
• progressive Muskelrelaxation nach Jacobson
• Schlafhygiene
Handlungsmöglichkeiten:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Problem ernst nehmen (frühzeitig), wachsam sein
aktives Zuhören
zirkuläres Fragen
Bewußtmachung des Mobbing-Prozesses
Klärung des Konflikts
Ansprüche herunterschrauben- „Miteinander leben können“
Authentizität und Offenheit
Berücksichtigung des Arbeitsprozesses
psychische Belastung und Beanspruchung
Mediation
Supervision
Schlichtungsgespräch
Psychotherapie
Soziale Kompetenz
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Neinsagen
Versuchungen zurückweisen
auf Kritik reagieren
Änderungen bei störendem Verhalten verlangen
Widerspruch äußern
Unterbrechungen im Gespräch unterbinden
sich entschuldigen
unerwünschte Kontakte beenden
Komplimente akzeptieren
auf Kontaktangebote reagieren
Gespräche beginnen, aufrechterhalten, beenden
erwünschte Kontakte arrangieren
um Gefallen bitten
Komplimente machen
Gefühle offen zeigen
» nach Elaine Gambrill (1995):
Die Rolle des Betriebsarztes?
Ich betone, aus meiner ganz persönlichen Sicht:
Aktiv zuhörend (Containing, Holding), klar (Metaebene), reflektiert
möglichst neutral (Vorsicht: Intrumentalisierung!!!), kompetent und
sachkundig (Leistungsspektrum von Psychotherapie, Sozialberatung),
über örtliche Angebote (Beratungsstellen, Psychotherapeuten, Psychiater,
Mediatoren, Selbsthilfegruppen, etc…) informiert.
Jeder tut aus meiner Sicht gut daran, sich anhand seines persönlichen
Profils (Arbeitshaltung, Spektrum, Interessen) eine spezifische klare
Haltung anzueignen.
Wo beginnt die Therapie beteiligter Personen?
1.) systemische Ansätze:
Bearbeitung psychodynamischer Aspekte im Betrieb (realistisch ???)
2.) persönlichkeitsspezifische Ansätze:
Fortführung von Einzelgesprächen in einem beschützten Umfeld (außerhalb des
Betriebes), ggf. unter Einbeziehung auch bereits eingetretener
Folgesymptome (psychosomatische Störungen, körperliche Ebene) sowie
ggf. des sozialen Umfeldes.
3.) an andere Beteiligte („Mobber“, Vorgesetzte in „Sandwich-Position“,
andere Mitarbeiter, die Mobbing von außen gesehen haben denken.
Das “Vier-Ohren-Model”
Bertolt Brecht hat ein zentrales Motiv für den Verlust
wertschätzenden Miteinanders von Menschen treffend
formuliert:
" Erst kommt das Fressen ,
...
dann kommt die Moral ! "
Herunterladen