• Grundlagen / Verständnis des Mobbingrozesses – Definitionen / wissenschaftliche Grundlagen • Verhaltensmedizin als Grundlage für die Mobbing-Forschung • Konflikttheorie - Kommunikationsstörung – Gibt es typische Persönlichkeitsmerkmale? • gruppenpsychodynamische Aspekte – Folgen für die „Opfer“ – Interventionsstrategien in der betrieblichen Praxis – Rolle des Betriebsarztes? – Therapie beteiligter Personen Mobbing - Definition Ein Phänomen, bei dem einzelne Personen bei der Arbeit gezielt, systematisch und über längere Zeit von einem oder mehreren Betriebsangehörigen schikaniert werden. Leymann’sche Definition: Ein Mobbingfall liegt vor, wenn eine oder mehrere der Mobbinghandlungen, die in der LIPT-Liste aufgeführt sind, mindestens einmal in der Woche und mindestens seit sechs Monaten vorkommen. LIPT Das Leymann Inventar des psychologischen Terrors (1996) ist ein Messinstrument, das aus einer Liste von 45 Handlungen besteht. Es wird in einem Interview gefragt, ob diese Handlungen erlebt werden, seit wie lange und wie oft. Psychosoziale Belastung: Die Auswirkung einer psychosozialen Spannung auf den Menschen. Psychosoziale Spannung: Die Situation einer ausgesprochenen oder unterschwelligen Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehreren Personen. Dieser Begriff umfasst Mobbingfälle sowie andere negativ empfundene zwischenmenschlicheBeziehungen. Selbstdeklarierte Mobbingfälle: Personen, die am Ende der Befragung die Frage, ob sie sich als Mobbingopfer fühlen, bejaht haben, (es wurde keine Mobbingdefinition vorgegeben). • Konrad Lorenz, • * 7. 11. 1903 Wien, † 27. 2. 1989 ebenda, – Mitbegründer der vergleichenden Verhaltensforschung, – Nobelpreisträger für Physiologie 1973 (mit K. Frisch und N. Tinbergen) für die Entdeckung der Prägung an der Graugans – Lorenz erforschte besonders das instinktive Verhalten der Tiere, den auf Schlüsselreize ansprechenden Auslösermechanismus sowie die stammesgeschichtliche Entwicklung des angeborenen Verhaltens. Konfliktdefinition: „Sozialer Konflikt kann definiert werden als Kampf um Werte oder Statusansprüche, um Macht und knappe Ressourcen, in dem die Ziele der streitenden Parteien sich nicht nur auf die Erreichung der begehrten Werte beziehen, sondern auch auf die Neutralisierung, Verletzung oder Beseitigung ihrer Rivalen.“ (Krymanski, 1971) Negativ: Konflikte werden als Gefahr gesehen Vertreter: T. Parsons, Robert K. Merton, N. Luhmann Positiv: Bewegende Kräfte, die verantwortlich sind für den sozialen Wandel Vertreter: Lewis A. Coser, R.Dahrendorf Konflikt-Thesen nach Coser • gruppenfestigende Funktion des Konflikts • gruppenerhaltende Funktion des Konflikts und die Bedeutung von Institutionen, die als Sicherheitsventile dienen. • Je enger die Beziehung desto stärker der Konflikt • Die Suche nach Feinden • Der Konflikt mit einer anderen Gruppe bestimmt die Gruppenstruktur und die Reaktion auf inneren Konflikt • Konflikt bindet Gegner aneinander • Konflikt schafft und erhält das Gleichgewicht der Macht • Konflikt schafft Vereinigungen und Koalitionen • Soziale Konflikte werden normalerweise nicht direkt ausgetragen • Soziale Konflikte sind mehrdimensional • Konfliktsituationen hängen von der jeweiligen Situation und ihrer Interpretation ab Das Modell des (inneren) psychischen Konflikts nach Freud • Grundmuster des pathogenen seelischen Konflikts: » unerträgliche Vorstellung » Abwehrleistungen » Gedächtnisspur » an der Vorstellung haftender Affekt » pathologische Disposition Ergebnis: pathologische Reaktion “Unbewußtes erkennt Unbewußtes bedingungslos” (Sigmund Freud) • Typischer Verlauf (1) – Phase 1: • • • • • ein Feindbild wird aufgebaut eine Vorverurteilung findet statt die einzelnen Aktionen wirken häufig unbedeutend/ lapidar die einzelnen Aktionen sind in ihrer Absicht schwer beweisbar eine feindselige, bedrückende, doppelbödige Arbeitsatmosphäre entsteht – Phase 2: • • • • • andere Personen werden infiziert Rollenzuweisung stabilisiert sich Mobbing-Handlungen werden gezielt ausgeführt psychosomatisch-vegetative Symptome häufen sich argumentative oder aggressive Abwehr geht ins Leere • Typischer Verlauf (2) – Phase 3: • • • • • • die pathologische Rollenzuweisung ist stabil gemobbte Person steht als Sündenbock für schlechtes Betriebsklima Vorgesetzte treten auf den Plan Krankenstand steigt (zunächst meist als Flucht) massives Kränkungserleben -> Hilflosigkeit und Aggression Teufelskreis aus Aktion / Reaktion -> Betriebsklima wird schlechter – Phase 4: • • • • • Situation spitzt sich dramatisch zu Störbilder und Erkrankungen werden chronisch Leistungsfähigkeit sinkt objektiv zuvor unterstellte Schwächen sind tatsächlich vorhanden Weiterbeschäftigung ist nicht mehr möglich Wer wird gemobbt? – Gibt es Persönlichkeitsmerkmale? Mobbing-Report (BauA, 2002): Eine Auswertung der Daten in Bezug auf unterschiedliche Merkmale wie Geschlecht, Alter oder betriebsbezogene Kriterien ergab, dass grundsätzlich jeder zum Mobbingopfer werden kann. Dabei ist das Risiko jedoch nicht für alle gleich. Es gibt Beschäftigtengruppen, die ein höheres Risiko tragen, gemobbt zu werden. Frauen haben im Vergleich zu Männern ein höheres Mobbingrisiko. Am stärksten betroffen ist die Altersgruppe der unter 25-Jährigen mit 3,7 Prozent, gefolgt von den 55-Jährigen und älteren Mitarbeitern mit 2,9 Prozent. Theoretische Konzepte zu persönlichkeitsspezifischen Ursachen: -Komplexes psychosoziales Geschehen (M.Vartia, 2003) -„Opfer“ scheuer, unterwürfiger (Rammsayer, K. Schmiga, 2003) -Struktureller Faktor „Wettstreit“ um Ressourcen (D. Zapf, C. Knorz, M. Kulla, 1996) -Ingroup/Outgroup-Phänomen (Heinemann, 1972) -Konflikt - Rollenkonflikt ( Neuenberger, 1995) -Soziale Kompetenz??? -Kommunikationsfähigkeit??? -Selbstreflexionsfähigkeit??? Theoretische Konzepte zu persönlichkeitsspezifischen Ursachen: •Wechselwirkung: Psychodynamik – äußere Bedingungen •Intrinsisch-neurotische Faktoren sind nicht klar definierbar •Geringe soziale Kompetenz, Selbstwertkonflikte, unreif-projektive Abwehr und Störungen der Selbstkohärenz sowie Überidentifikation mit der Opferrolle / „erlernte Hilflosigkeit“ und „hochneurotische Persönlichkeitsstruktur“ wurden diskutiert. •Demarkierung reicht aber aus ! Fazit: Ein typisches Persönlichkeitsprofil ist nicht definierbar! • Führungskräfte sind maßgeblich am Mobbinggeschehen beteiligt 37 % (Dunkelziffer bis zu 80 %) aller Mobbingfälle durch Vorgesetzte verursacht in 10 % aller Fälle gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen Der/die Gemobbte fungiert als Sündenbock um Unzulänglichkeiten der Führungskraft zu kaschieren „Druck von oben“ -> direkter Frustrationsabbau möglich Ängste sind ein zentrales Motiv: • Angst vor Autoritätsverlust und Machteinbuße • Angst vor (öffentlichem) Versagen durch mangelnde Führungsqualität und eigener Denunziation gegenüber weiteren Vorgesetzten • Angst vor der Informationsweitergabe -> Verlust des Wissensvorsprungs -> existenzbedrohende Defensive • Angst davor, selbst nicht ausreichend informiert zu sein • Angst davor, daß unzureichend angetriebene Mitarbeiter/innen faulenzen. • Angst vor Intrigen der Mitarbeiter/innen denen sie sich nicht gewachsen fühlen. • Angst davor, daß Mitarbeiter/innen die Führungskraft aus ihrer Position verdrängen. • Angst vor Imageverlust gegenüber Mitarbeitern/innen und Vorgesetzten. • Mobbing von oben nach unten (vertikal) „Bossing“: – nicht nur Schaden (Minderleistung, Fehlzeiten, Folgen für die Betroffenen, arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen,etc...) – auch Nutzen für das Unternehmen – Tabu: • personalwirtschaftliches Instrument zum Personalabbau • Selbstkündigung erspart dem Arbeitgeber Zahlung einer Abfindung und/oder die aufwendige Prüfung der Sozialverträglichkeit von betrieblichen Kündigungen. • Summe: Es gibt nur Verlierer!!! Fragen an das Selbst: Welche Ziele habe ich mir für mein Leben gesteckt? Wie wichtig ist es mir, diese Ziele zu verwirklichen? Ziehe ich innerlich gerade Bilanz bezüglich meiner Lebensleistung? Sind diese Ziele wirklich eigene Wünsche oder sind es Aufträge anderer (Gesellschaft, Eltern, etc...?) Was bedeutet für mich Zufriedenheit? In wieweit habe ich dies erreicht? Was fällt mir spontan ein, wenn ich mich frage, ob ich etwas loslassen muss? • Symptome: – – – – – – – – – • Kopfschmerzen 51 % Rückenschmerzen 44 % Einschlafstörungen 41 % depressiv 41 % schnell reizbar 41 % Nackenschmerzen 36 % Konzentrationsmängel 35 % Versagensangst 32 % unterbrochener Schlaf 32 % Quelle: Mobbingbroschüre der IG Metall Verändertes Erleben: Gefühle der Hoffnungslosigkeit dominieren Unfähigkeit, überhaupt noch Gefühle empfinden zu können: "Ich bin wie versteinert” Negative Denkmuster pessimistische Einstellung Suizidgedanken Verändertes Verhalten: soziale Kontakte werden vermieden -> Antriebsstörung “Ich habe keine Lust” Erkrankte können ihre Arbeit nicht mehr bewältigen Mimik und Gestik ist häufig wie erstarrt agitiertes Verhalten Körperliche Beschwerdeebene: Schlaflosigkeit Appetitstörung mit Gewichtsverlust Libidoverlust schnelle Ermüdung multiple körperliche Beschwerden Formen der Angst- und Panikstörung • generalisierte Angst • phobische Angst • Panik • Mischformen: Angst / Zwang Sucht als Folge von Mobbing • Alkohol als "Problemlöser" in Belastungssituationen (37%) • 52 % aller Berufstätigen trinken gelegentlich Alkohol am Arbeitsplatz (11 % täglich) • 17 % der Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterinnen an gering belastenden, aber 25 % an hochbelastenden Arbeitsplätzen sind Raucher und Raucherinnen. • Medikamente zur Kompensation von leistungsmindernden Folgen der belastenden Situation (Bekämpfung von Angstzuständen und Schlafstörungen) Beruhigungsmittel/Schlafmittel/”Aufputschmittel” werden verordnet • Eßstörungen • Auswege / Handlungsstrategien – Konfliktbewußtsein vor Konfliktlösung – Integration statt Isolation – Kommunikationstheorie - ein Beispiel • Das „Vier-Ohren-Modell“ – soziale Kompetenz – Schlichtungsgespräch / Supervision / Mediation – Psychotherapie-Verfahren • analytische Verfahren • Verhaltenstherapie • interpersonelle Verfahren – Entspannungsverfahren / Streßmanagement • Autogenes Training • progressive Muskelrelaxation nach Jacobson • Schlafhygiene Handlungsmöglichkeiten: • • • • • • • • • • • • • Problem ernst nehmen (frühzeitig), wachsam sein aktives Zuhören zirkuläres Fragen Bewußtmachung des Mobbing-Prozesses Klärung des Konflikts Ansprüche herunterschrauben- „Miteinander leben können“ Authentizität und Offenheit Berücksichtigung des Arbeitsprozesses psychische Belastung und Beanspruchung Mediation Supervision Schlichtungsgespräch Psychotherapie Soziale Kompetenz – – – – – – – – – – – – – – – Neinsagen Versuchungen zurückweisen auf Kritik reagieren Änderungen bei störendem Verhalten verlangen Widerspruch äußern Unterbrechungen im Gespräch unterbinden sich entschuldigen unerwünschte Kontakte beenden Komplimente akzeptieren auf Kontaktangebote reagieren Gespräche beginnen, aufrechterhalten, beenden erwünschte Kontakte arrangieren um Gefallen bitten Komplimente machen Gefühle offen zeigen » nach Elaine Gambrill (1995): Die Rolle des Betriebsarztes? Ich betone, aus meiner ganz persönlichen Sicht: Aktiv zuhörend (Containing, Holding), klar (Metaebene), reflektiert möglichst neutral (Vorsicht: Intrumentalisierung!!!), kompetent und sachkundig (Leistungsspektrum von Psychotherapie, Sozialberatung), über örtliche Angebote (Beratungsstellen, Psychotherapeuten, Psychiater, Mediatoren, Selbsthilfegruppen, etc…) informiert. Jeder tut aus meiner Sicht gut daran, sich anhand seines persönlichen Profils (Arbeitshaltung, Spektrum, Interessen) eine spezifische klare Haltung anzueignen. Wo beginnt die Therapie beteiligter Personen? 1.) systemische Ansätze: Bearbeitung psychodynamischer Aspekte im Betrieb (realistisch ???) 2.) persönlichkeitsspezifische Ansätze: Fortführung von Einzelgesprächen in einem beschützten Umfeld (außerhalb des Betriebes), ggf. unter Einbeziehung auch bereits eingetretener Folgesymptome (psychosomatische Störungen, körperliche Ebene) sowie ggf. des sozialen Umfeldes. 3.) an andere Beteiligte („Mobber“, Vorgesetzte in „Sandwich-Position“, andere Mitarbeiter, die Mobbing von außen gesehen haben denken. Das “Vier-Ohren-Model” Bertolt Brecht hat ein zentrales Motiv für den Verlust wertschätzenden Miteinanders von Menschen treffend formuliert: " Erst kommt das Fressen , ... dann kommt die Moral ! "