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Flucht mit Hindernissen | Manuskript
Flucht mit Hindernissen
Bericht: Inga Klees, Alexander Roth
Dramatische Bilder aus Patras in Griechenland. Ein deutscher Lkw–Fahrer hat sie gefilmt und
an uns weitergegeben. Verzweifelte Flüchtlinge, die nur eines wollen: ein Versteck im Laster,
rauf auf eine der Fähren nach Italien und weg aus Griechenland. Was der Trucker
aufgenommen hat, schockiert – unglaubliche Zustände in einem Mitgliedsstaat der
Europäischen Union.
Frank Fischer, Lkw-Fahrer:
"Die legen sich in die Melonen rein, die siehst du gar nicht. Die verstecken sich überall,
überall. Die springen während der Fahrt drauf. Während der Fahrt in Patras ist das so: Da
ist eine Ampel, da musst du zwangsweise anhalten, weil du rechts abbiegen musst. Da
kommt hinten eine schwarze Traube. Du hast gar keine Chance, was willst du machen als
Fahrer, du kannst nichts machen."
Frank Fischer und sein Kollege Rudi Plettl sind für eine große Spedition oft auf der Route
Deutschland-Patras unterwegs. Sie sind ständig mit dem Problem Flüchtlinge konfrontiert.
Rudi Plettl, Lkw-Fahrer:
"Bei mir liegt der Rekord auf dem leeren Auto bei 16 Stück."
Für die Fahrer sind die Flüchtlinge ein großes Risiko. Werden sie auf der Rückfahrt an den
Landesgrenzen entdeckt, drohen den Truckern jede Menge Scherereien mit den Behörden
vor Ort, im schlimmsten Fall eine Anklage wegen Menschenschmuggels.
Wir fahren nach Patras, wollen wissen, weshalb die Flüchtlinge raus wollen aus Griechenland
um fast jeden Preis. Wir erreichen den Fährhafen, der ist gesichert wie eine Festung. Durch
dieses Nadelöhr müssen die Illegalen irgendwie durch, wenn sie Griechenland verlassen
wollen. Ihre letzte Chance ist diese Ampelkreuzung, von der der deutsche Trucker uns
berichtet hat.
Die Flüchtlinge kommen aus den Krisenregionen Sudan, Tunesien, Irak, Iran, Afghanistan. Die
meisten haben bis hierher schon mehrere Tausend Euro an Schlepper gezahlt. Jetzt sitzen sie
fest in Griechenland als illegal Eingereiste. Und die Lebensbedingungen für sie sind in
Griechenland mehr als miserabel.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Flüchtlinge:
"Wir leben wie die Tiere hier, die griechische Bevölkerung behandelt uns wie Tiere. Wir
haben kein Trinkwasser, wir haben nichts Richtiges zu essen."
"In Afghanistan war es besser als hier. Dort habe ich in einem Haus geschlafen, hier aber
nicht. Hier muss ich auf der Straße schlafen."
Die Flüchtlinge zeigen uns ihre Bleibe. Ein eingezäuntes Areal mit ausrangierten Trucks.
Trinkwasser, Lebensmittelversorgung, sanitäre Einrichtungen, Elektrizität - all das, was
überall sonst in der EU für Flüchtlinge Standard ist - Fehlanzeige. Ein Leben unter und auf
dem Laster.
Reporterin: "Wie viele Leute leben hier?"
Flüchtling: "Zehn Leute, zehn Personen schlafen hier."
Die Chance diesem Elend zu entfliehen, ist hier in Griechenland äußerst gering. Die
Anerkennungsquote für Asylsuchende lag in den vergangenen Jahren bei unter einem
Prozent, mit weitem Abstand der niedrigste Wert in der EU.
Das hier ist die Küche.
Flüchtling:
"Ich bekomme das Essen aus dem Supermarkt, sie würden das sonst wegschmeißen.
Meine Freunde holen das, bringen es hierher, und so hat jeder was zu essen."
Was andere wegwerfen, hier sichert es die Existenz von Männern, Frauen und Kindern.
Hunderttausende Flüchtlinge leben derzeit in Griechenland unter solch unwürdigen
Bedingungen. Zustände, die in der EU bekannt sind. Der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte empfahl den Mitgliedstaaten deshalb, illegale Flüchtlinge nicht mehr nach
Griechenland abzuschieben. Die meisten halten sich daran, die Bundesrepublik zunächst für
ein Jahr. Für die Flüchtlinge ein zusätzliches Argument Patras schnellstmöglich zu verlassen,
Risiko hin, Risiko her.
Flüchtling:
"Wir sind dazu gezwungen das zu machen, den Lastern hinterherzulaufen, sie zu entern.
Wenn uns die Polizei, die Hafenbehörden nicht finden, dann können wir von Glück reden
und weiterkommen nach Italien und von Italien dann weiter nach Frankreich, Deutschland
oder Holland und da können wir um Asyl bitten."
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verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Und die Wirtschaftskrise in Griechenland verschlimmert alles noch, auch hier gilt: Ohne eine
europäische Anstrengung wird sich die prekäre Situation der Flüchtlinge nicht ändern. Das
wissen auch Hilfsorganisationen wie Pro Asyl.
Karl Kopp, Europareferent Pro Asyl:
"Patras ist Ausdruck eines völlig kollabierten Schutzsystems in Griechenland und ist auch
Ausdruck von einer fehlenden Solidarität in Europa, weil, die Menschen, die in Patras, und
auch die Kinder, die Patras de facto gefangen sind, wollen weiter in ein Land, wo sie Schutz
und ein menschenwürdiges Leben finden."
Und deshalb stürmen die Männer hier fast jeden Laster, der hält. Ein Katz-und Maus-Spiel.
Szenen, die dem zivilisierten Europa unwürdig sind.
Lkw-Fahrer:
Frage: "Wissen Sie, was dahinten passiert?"
"Ja, ich weiß."
Frage: "Was denken Sie darüber?"
"Wir müssen eine Lösung finden, aber niemand hilft."
Frage: "Niemand hilft Ihnen?"
"Niemand."
Und täglich kommen neue Flüchtlinge über die Grenze, den Fahrern bleibt nichts anderes als
sie zu verscheuchen - mal mit Erfolg, mal ohne. Für die Illegalen ist das alles kein Hindernis,
für sie geht es um alles oder nichts. Immer wieder gibt es sogar Tote zu beklagen. So wie
Anfang Mai auf dieser Rasstätte bei Fulda. In einer Kabeltrommel, die mit der Fähre über
Patras und Venedig nach Deutschland kam, wurden zwei Leichen entdeckt. Sehr
wahrscheinlich waren es Flüchtlinge. In der Kabeltrommel war es einfach zu heiß. Von der
Not der illegalen Einwanderer profitiert inzwischen ein anderes Geschäft - das der Schleuser.
Harry Wilke, Staatsanwaltschaft Fulda:
"Wir gehen nach dem momentanen Ermittlungsergebnis davon aus, dass die beiden
Personen mit Hilfe eines Dritten in Griechenland in diese Kabeltrommel gelangt sind. Die
Kabeltrommel wurde dann verschraubt mit dieser Stahlplatte mit vier Schrauben. Das
bedeutet: Die Personen, die sich in der Kabeltrommel befanden, hätten auch ohne Hilfe in
Deutschland nicht wieder aus der Kabeltrommel gelangen können."
Zurück nach Griechenland. Die EU will zwar dabei helfen hier ein neues und besseres
Asylverfahren aufzubauen, doch bis das funktioniert, dürften noch Jahre vergehen.
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Karl Kopp, Pro Asyl:
"Wir brauchen verbindliche Standards überall und diese Standards müssen auch
durchgesetzt werden, da muss auch im Zweifelsfalle das Land sanktioniert werden."
Die Bundesregierung will zwar die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Asylrechts
unterstützen. Dabei will sie aber am geltenden Prinzip festhalten, dass jeder Flüchtling
seinen Antrag auf Asyl in dem Land stellen muss, in das er als erstes eingereist ist. So das
Bundesinnenministerium schriftlich gegenüber FAKT.
Patras am Abend: Letzte Kontrollen der Laster bevor es auf die Fähren nach Italien geht. Am
Strand vor ihrem Lager bereiten die Männer ihr Abendbrot. Wie viele sie hier in Patras sind,
lässt sich nur schätzen: mal einige Hundert, mal ein paar Tausend. Sie alle eint ein Traum,
der Traum von einer gelungenen Flucht. Was dann kommt, ist ungewiss.
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