Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur Innenarchitektur Grundlagen Farbe und Material Skript Farbe | Teil II. Pigmente, Bindemittel Texte zusammengestellt und ergänzt von Prof. Thomas Kesseler Farbe, Definition Farbe, mittelhochdeutsch varwe, althochdeutsch farwa, niederländisch verfist eine Substantivbildung zu dem niederhochdeutschen untergegangenen Adjektiv var, varwer, althochdeutsch faro, farawer also „farbig“. Kolorieren Kolorieren, von lateinisch colorare „färben“ abgeleitet, ebenso wie das englische colour oder coloured. Pigmente Die Bezeichnung für „Körperfarbstoff“ stammt im Gebrauch aus dem 18. Jh. Als Ableitung vom lateinischen „pigmentum“ als „Färbestoff, Farbe, Schmincke, Gewürz, Kräutersaft“ Pigmente also Farbpulver werden heute durch spezielle Mahlwerke bis zur Feinheit von 1/1000 mm zerkleinert. Pigmente dienen als Rohstoff für verschiedene Farben, Lacke und Färbevorgänge. Ob Ölfarben, Mineralfarben oder Dispersionen mit Kunststoffbindern aus Pigmenten entstehen entscheidet das jeweils benutzte Bindemittel. Pigmente Pigmente entstehen typischerweise in Form der Primärteilchen. Die Primärteilch en können über ihre Flächen zu Aggregaten zusammenwachsen. Von Agglomeraten spricht man, wenn Primärteilchen und/oder Aggregate über ihre Ecken/Kanten verbunden sind. Durch den Dispergierprozess Dispergierung beim Einarbeiten der Pigmente in ein Anwendungsmediumwerden die Pigment-Agglomerate zerkleinert – es entstehen kleinere Agglomerate, Aggregate oder auch Primärteilchen – und – in der Regel, so vorhanden - durch ein Dispergiermedium benetzt. Dabei werden sie idealerweise statistisch über das Anwendungsmedium verteilt. Maßgeblich für die Eigenschaften der Pigmente sind daher neben der chemische Struktur für sich genommen insbesondere auch Festkörpereigenschaften, wie die Kristallstruktur , die Kristallmodifikation, die Teilchengröße und die Teilchengrößenverteilung oder die spezifische Oberfläche. Der Farbeindruck selbst entsteht durch Absorption und Remission Streuung und/oder Reflexion bestimmter Frequenzanteile des sichtbaren Lichts. Abbildungen: oben: Serpentin, Eisenoxyd, Blutstein, Zinnober unten: Ocker, Lapis Lazuli, Realgar Skript Farbe | Teil II. Pigmente, Bindemittel, Seite 2 Organische Pigmente Organische Pigmente kommen in der Natur vor („Tier-“ oder „Pflanzenfarben“) und lassen sich teilweise mit einfachen Mitteln produzieren, z. B. das Rebschwarz Manche haben ihre Bedeutung verloren, wie das einst aus dem Urin von Kühen hergestellte Indischgelb Auch dasHämoglobin (der Farbstoff des Blutes) zählt zu den Pigmenten. Die Gruppe der synthetischen organischen Pigmente wird nach ihrem chemischen Aufbau in die Gruppe der sog.Azopigmentund der sog. „Nichtazopigmente“ oder „Polycyclischen Pigmente“ eingeteilt. Wichtige Azopigment-Klassensind die beta-Naphthol-Pigmente, die Naphthol AS-Pigmente, die Pyrazolon-Pigmente, die N-Acetessigsäureanilid-Pigmente, die Azometallkomplex- Pigmente und die Diaryl-Gelb-Pigmente. Wichtige Polycyclische Pigmentklassen sind die Chinacridon-Pigmente, die Diketopyrrolo-pyrrol-Pigmente, die Dioxazin-Pigmente, die Perylen-Pigmente, die Isoindolinon-Pigmente und die Kupfer-Phthalocyanin-Pigmente. Kommerziell erhältliche synthetische organische Pigmente sind z. B. die Permanentgelbs oder Heliogenblaus (Sortimentsbezeicnungen / registrierte Marken von Clariant International Ltd, Muttenz, CH bzw. BASF AG, Ludwigshafen, DE), die zur Gruppe der sog.Teerfarbenzählen. Im Handel erhältliche Pigmente dieser Art sind in der Regel mit anderen Substanzen gemischt, um bestimmte anwendungstechnische Eigenschaften zu erzielen bzw. zu bewahren und um die Weiterverarbeitung zu erleichtern. Unlösliche Farbstoffe finden auch in der Textilfärberrei Anwendung: Von Farblacken spricht man in diesem Sinne, wenn lösliche Farbstoffe als (Färbemitteln) auf der Faser durch Umsetzung mit Metallsalzen oder auch Tannin fixiert werden (sog.Verlackung. Substratfarben bestehen aus einer farbtongebenden Komponente und einem mehr oder weniger farblosen Pigment, demSubstrat. Beide Komponenten werden in einem Umwandlungsprozess wasser- und bindemittelunlöslich aneinander gebunden. In der Antike und im Mittelalter wurden meist Pflanzenfarbstoffe Färberflanze auf ein weißes Substrat wieKreide oder Bleiweißaufgezogen; dabei wurden Beizstoffe wie Alaun und Soda zugesetzt, die die Verbindung zwischen Farbstoff und Substrat verbesserten und fixierten. Bezüglich der Toxikologie von organischen Pigmenten kann man zusammenfassend sagen, dass diese Pigmente für sich genommen aufgrund ihrer schweren Löslichkeit physiologisch gesehen als praktisch schwer benutzbar gelten, d. h. gesundheitliche Bedenken ergeben sich vor allem aus ihrem Staubcharakter. Organische Pigmente sind biologisch praktisch nicht abbaubar. Da Pigmente im Zwischenoder Endprodukt unter Verwendung von Dispergatoren, Bindemitteln, Lösemitteln und dergleichen eingesetzt werden, ist gegebenenfalls die toxikologische Wirkung dieser Stoffe zu berücksichtigen. Abbildungen: oben: Pigmenttonnen im Farblager Kesseler Skript Farbe | Teil II. Pigmente, Bindemittel, Seite 3 Anorganische Pigmente Bei den anorganischen Pigmenten unterscheidet man natürliche und künstliche Mineralfarben. Zur ersten Gruppe gehören Erden und Mineralien. Als Erdfarben gelten Pigmente, welche direkt aus der Natur abgebaut werden können und zur Anwendung keiner oder nur einer mechanischen Aufbereitung bedürfen. Zur zweiten Gruppe gehören anorganische Pigmente Metallfarben und Kohlenstofffarben, d.h. Produkte aus unterschiedlichen industriellen Herstellungsverfahren. Die meisten anorganischen Pigmente zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit dem Sauerstoff der Luft nicht chemisch reagieren, daher äußerst resistent gegen Alterung sind und ihre Farbe beliebig lange beibehalten. Sie sind lichtecht im allgemeinen. Durch die Alterung eines organischen Malmittels, wie etwa Öl, kann mit der Zeit die Farbigkeit beeinträchtigt werden. Zudem sind anorganische Pigmente meist hitzebeständig, sodass z.B. bei der Porzellanmalereinur anorganische Pigmente zum Einsatz kommen können – organische Pigmente würden beim Brennen zerstört. Anorganische Pigmente weisen gegenüber den organischen eine geringere Vielfalt auf. Darüber hinaus sind sie häufig giftig, soweit es sich um Schwermetallverbindungen handelt (v.a. Chrom-, Blei- und Cadmiumpigmente). Nicht in jeden Fall lässt sich am Material feststellen, ob es natürlicher oder künstlicher Herkunft ist. Das gilt beispielsweise für bestimmte eisenoxydhaltige Farbschichten der prähistorischen Malerei. Das darin nachweisbare rote Pigment könnte aus natürlichem Vorkommen stammen oder gezielt aus gelbem Ocker am Lagerfeuer erzeugt worden sein. Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich im Falle vonZinnober. Der Name des Pigments Zinnober (Quecksilbersulfid) sagt nichts darüber aus, ob es natürlichen Ursprungs ist oder hergestellt wurde. Hinzu kommt, dass der Name Zinnober im Altertum auch ein Synonym für rot war oder gleichbedeutend für Minium Menninge, Bleioxid steht. Deshalb stimmt eine in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbreitete Untergliederung der anorganischen Pigmente in natürliche und künstliche nicht. Pflanzen entwickeln neben den Federn der Vögel die schönsten und reichsten Farbpaletten in der Natur. Leider sind diese nicht extrahierbar oder haltbar. Nur wenige Planzenfarben wie Indigo sind daher lichtecht. Indischgelb als eingetrockneter Urin von Kühen oder Purpur, Extrakt der Purpurschnecken oder Sepiabraun, Absonderung des Tintenfisches und Ochsenblut, sind wenige Farbstoffe die aus dem Tierreich als reine organische Stoffe gewonnen werden können. Abbildungen: oben: Pigmentregal im Atelier Kesseler unten: Papageienfedern, Wunder der Natur Skript Farbe | Teil II. Pigmente, Bindemittel, Seite 4 Geschichte Wie lange der Mensch Pigmente benutzt ist schwer zu sagen, sicherlich wurde sehr früh farbige Stoffe aus dem Tier, Mineral und Pflanzenreich gesammelt und zu Körperbemalungen verwendet. Native Stämme wie in Südamerika oder Neuguinea transportieren diesen Farbgebrauch, der sich heute noch in der Mode der Tätowierung als bedeutungsvoller Körperschmuck findet. Schon in Gräbern aus der Zeit von 50.000 v. Chr. Befinden sich auf die Toten gestreute rote Erde. Diese Verehrungsform wurde auch bis heute tradiert. Die roten Erden wie Tonerden wurden als Heilmittel innerlich und äußerlich angewendet, woraus die Bedeutungsebene der Handlung ablesbar wird. Der Name der dunklen roten Erdpigmente „Caput Mortuum“ (lateinisch, Haupt des Todes) haben von diesem Brauch ihren Namen erhalten. In der Geschichte der Malerei seit 35.000 Jahren wurden ausgehend von den ersten in der Natur gefundenen Erdfarben von den Jägerkulturen des ausgehenden Päläolithikums etwa 10 Farbtöne eingesetzt. Zwei Farben sind neben dem kräftigen Schwarz für Konturlinien und Zeichnungen vorherrschend Ockergelb und Oxydrot bis Braun. Schwarz wurde durch Holz- und Knochenkohle von den Malern hergestellt. Der Künstler/Schamane hatte großes handwerkliches Wissen, das bis heute die Basis der Farbherstellung darstellt. In Niaux oder anderen südfranzösischen Höhlen befinden sich Manganadern, die unmittelbar Verwendung fanden. Besonders im Perigord, der Landschaft um die berühmte Höhle von Lascaux, bei La Ferrassie befinden sich sehr leuchtende Ockervorkommen. Der natürliche ockerfarbene Hämatit wurde belegt durch mehrere Fundstellen ( Troubat, Arcy-sur-Cure) in Feuerstellen gebrannt und je nach Temperatur entwickelte sich ein helleres bis dunkleres Rotbraun. Durch Erhitzen des Eisenhydroxids wird Goethit gewonnen, ein Prozess wie die natürliche Rostbildung von Eisen. Dieser Vorgang ist parallel zum Brennen von Tongefäßen festzustellen, bei denen auch aus getrockneter gelber Tonerde ein rotbraunes Gefäß entsteht. Die gesammelten und durch Erhitzen veränderten Rohstoffe wurde durch Mahlen, Auswaschen, Sieben und Schlämmen zu erstaunlich feinen, reinen und homogenen Pigmenten verarbeitet. Die reinen Farbpulver wurden dann mit Tonerde, pulverisiertem Kalk, Feldspat oder Granit verschnitten, damit das Pulver eine höhere Deckkraft erhielt bei der Verarbeitung mit Kalkwasser, oder Öl und Tierfett als zusätzliches Bindemittel. Mit Kalkwasser aus den Höhlen selber und dem Kalksteinuntergrund in Perigord und Pyreneen entstand die erste reine Mineralfarbe der Menschheit. Rein bunte Farben wie Gelb, Grün und Blau waren noch nicht entdeckt worden und auch Kreide oder Kalkweiss findet sich fast nicht verwendet. Farben wurden wie in Le Chauvet gefunden in Steinschalen angerührt und auf Hirschschulterblättern als Paletten gemischt. Sehr häufig finden sich auch mit Knochen oder Holzröhrchen gesprühte Flächen. Der Farbauftrag war je nach der künstlerischen Tradition der Malerschule schon im PaläoAbbildungen: oben: Ockermalerei Neolithikum in der Höhle von Niaux unten: Ockerstein aus der Natur wie oben verwendet Skript Farbe | Teil II. Pigmente, Bindemittel, Seite 5 lithikum verschieden, mehr zeichnerische Lösungen wie in Le Chauvet stehen neben den malerischen in Lascaux oder Niaux. Bis heute sind Hunderte von Farbpigmenten gefunden und seit dem 19. Jahrhundert chemisch entwickelt worden. Durch die Chemie können heute auch früher äußerst teure Farbstoffe wie Ultramarin oder Kobalt, die aus dem Mahlen von Edelsteinen gewonnen wurden, wesentlich günstiger und in allen Mengen produziert werden. Gegenüber früher sind heute fast alle Farben gleichwertig zu erhalten, die rein bunten bleiben aber immer noch wesentlich kostbarer. Bindemittel Pigmente können mit Wasser vermischt und vermalt werden, sie sind dann aber nicht wischfest oder waschfest. Letztere Eigenschaften soll die Farbe aber in der Architektur wegen der Beständigkeit haben neben der Forderung der Lichtechtheit. Jedes Bindemittel verändert den Farbton der Pigmente, macht das Pigment deckender, pastoser oder lasierender, aber haltbarer. Die Bindemittel verändern auch den Farbton der Pigmente. Die geringste Veränderung ergibt sich bei Leim, Kasein Kalkwasser oder Kieselsäure. Dispersionen und Emulsionen vertiefen den Farbton deutlicher. Öl und Harzöl und Kunstharze verdunkeln den Farbton erheblich und lassen die Oberfläche glänzen. Leim Knochen oder Hautleim wird durch Auskochen der Substanzen gewonnen. Der Leim ist relativ elastisch. Zelluloseleime, Tapetenkleister sind ebenfalls geeignet zum Anrühren von Farben. Innenräum wurde seit alters her mit Leimfarben gestrichen, was bedeutete, dass man vor einem neuen Anstrich den alten mit Wasser abwaschen mußte. Dieses Prozedere hatte aber den Vorteil, dass die Wände immer athmungsaktiv blieben. Aussenwände wurden gleichfalls mit Leimfarben gestrichen, die in Schichten aufgetragen sich dann nach und nach abwuschen. Hieraus resultiert die angenehme Alterungsqualität der Leimfarbe. Leimfarben sind Anstriche welche Leim als Binde- und Wasser als Lösungsmittel verwenden; als Weißpigment und Füllstoff wird Kalksteinmehl, Lithopone oder Kreide verwendet, weitere Farbpigmente können zugesetzt werden. Sie wird deshalb auch gelegentlich als leimvergütete Kalkfarbe bezeichnet, was nur bedingt zutrifft. In der Deutschschweiz heißt sieauch „Blancfixe“. Eigenschaften, Verwendung. Leimfarben können als Pulver geliefert werden und müssen vor Gebrauch erst mit Wasser angerührt werden. Es gibt aber auch angemachte Materialien. Da der Leim auch nach dem Trocknen wasserlöslich bleibt, ist der Anstrich empfindlich gegen Nässe und Feuchtigkeit. Für den Außenbereich also ungeeignet, ist Leimfarbe in Räumen wie Küche, Badezimmer oder Keller hingegen sehr zu empfehlen, da sich die Kreide und der Leim mit Wasserdampf sättigen und diesen zu gegebener Zeit wieder abgeben. So entsteht ein ausgeglichenes Feuchtigkeitsklima, Schimmelpilze und dergleichen finden keinen Nährboden. Abbildungen: oben: Caldarium aus der römischen Villa Oplontis, Neapel unten: Kalk und Leimanstriche Altstadt Rom Skript Farbe | Teil II. Pigmente, Bindemittel, Seite 6 Kunststoffdispersionen, Latex, Silikone Dispersionen sind die modernen Nachkommen der alten Leime, sie steigern die Wisch- und Waschbeständigkeit der Farbe. Sie sind aber stärker Oberflächenversiegelnd , weniger diffusionsoffen ( durchlässig für Wasserdampf). Kunstharzdispersionsanstriche (auch Kunststoffdispersion sanstriche, oder -farben, oder einfach -dispersionen) sind Wandanstriche, die in der Regel aus einer Dispersion aus Kunstharz und Wasser bestehen. Hauptbestandteile sind typischerweise Wasser als Lösungsmittel, aus Mineralöl gewonnene Kunstharze oder ähnliche Kunststoffe als Bindemittel, Farbstoffe oder Pigmente wie Titandioxid, Füllstoffe wie Calciumcarbonat, Silikate und Quarzmehl. Zusätzlich kommen Hilfsstoffe (sogenannte Additive) zum Einsatz, die zur Verbesserung der technischen Eigenschaften eingesetzt werden, wie Stabilisatoren, Entschäumer, Verdickungsmittel, Konservierungsmittel, Lösungsmittel usw. Bei den verwendeten Kunstharzen handelt es sich z. B. um Acrylate oder Polyvinylacetat. Kunstharzdispersionsfarben für den Innenbereich sind in der DIN EN 13300 normiert, solche für den Außenbereich in der DIN EN 1062. Kunstharzdispersionswandfarben mit besonders hoher Wasserfestigkeit, für den Außen- und Fassadenbereich sowie für Feuchtbereiche im Hausinneren, werden häufig auch als Latexfarben bezeichnet -- was verwirrend ist, weil sie gar kein Latex enthalten, sondern lediglich einen erhöhten Anteil an Kunstharz. Und auch Kunstharzdispersionsfarben mit dekorativen Zusätzen werden so bezeichnet. Öle In der Malerei wird Leinöl neben anderen trocknenden Ölen (Mohnöl, Walnussöl) als Bindemittel verwendet. Leinöl war und ist noch immer das wichtigste Bindemittel für Ölfarben. Es wird von alters her in der Kunstmalerei, neuerdings aber auch wieder zur Holzkonservierung verwendet (z. B. Fachwerk, Fenster, Türen, Holzfassaden). Es ist wasserabweisend, aber dampfdiffusionsoffen und von daher auch im Außenbereich bei starker Wetterbelastung geeignet. Bei hohem Pigmentanteil sind besonders helle Farbtöne auch ein guter UV-Schutz. Leinölfarben können mit bis zu 10 Volumenprozenten kaltgepresstem Leinöl verdünnt werden. Aufgrund des hohen Gehalts an einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren (ca. 17 bis 23,5% Ölsäure, 13,8 bis 17,5% Linolsäure und 50 bis 60% Linolensäuren) trocknen Leinöle gut auf und sind für die Zwecke der Malerei hervorragend geeignet. Die Trocknung ist ein oxidativer Polymerisationsprozess, der sich in Abhängigkeit von Sauerstoff, Licht, Temperatur und Zuschlagstoffen mit katalytischen Eigenschaften (Sikkative) über Jahre bis Jahrzehnte hinziehen kann. Dabei lagert sich an die Doppelbindung der ungesättigten Säuren Luftsauerstoff an und es kommt im Weiteren zu einem komplexen Ablauf chemischer Reaktionen, der die Vernetzung der einzelnen Moleküle zur Folge hat. Das polymere Endprodukt heißt Linoxyn Abbildungen: oben: Detail Harzölmalerei, Jan Van Eyck (1390-1441), Madonna van der Paele, 1436 unten: Chardin (1699-1779), Stilleben Skript Farbe | Teil II. Pigmente, Bindemittel, Seite 7 und ist vielen auch als wesentlicher Bestandteil des Linoleums bekannt. Über den chemischen Prozess hinaus ist für den (Öl-)Maler noch von Bedeutung, dass das Volumen von Ölfarbe durch die Oxidation (Aufnahme von Sauerstoff) zunimmt, in Gegensatz zu trocknender Acryl-Farbe, die von Volumen her beim Trocknen abnimmt. Das macht sich insofern bemerkbar, als bindemittelreiche Farbschichten darüber liegende bindemittelarme Farbschichten sprengen können. Es kommt dann zu typischer Rissbildung. Man kann sie daran erkennen, dass nur jeweils die obere Farbschicht gerissen und die darunterliegene unversehrt zu sehen ist. Das sind so genannte „Schwundrisse“ im Gegensatz zu „Altersrissen“, die bis zum Malgrund (Holzplatten oder Leinwand) durchgehen. Oft ist auch bei allzu hohem Bindemittelanteil ein „Speckigwerden“ zu beobachten. Gemeint ist, dass sich die Malschicht auf Grund ihrer Ausdehnung in Falten aufwirft, also Runzeln bildet. Dies ist zumeist in den dunkleren Partien von Bildern zu beobachten, da die gebräuchlichen dunklen Farbpigmente (braune Erden, Ruß oder Kohle) eine relativ geringe Teilchengröße aufweisen und dadurch einen höheren Bindemittelbedarf haben. Der Bindemittelbedarf eines Pigments wird durch die Ölzahl ausgedrückt. Die Ölzahl ist eine genormte Kennziffer, die beschreibt, wieviel Gramm Lackleinöl b nötigt werden, um 100 g eines Pigments zu einer zusammenhaltenden, kittartigen Substanz anzuteigen. Leinöl oder bei längerer Trockenzeit Mohnöl sind reine Pflanzenprodukte ebenso wie Baumharz, Dammar oder die Milch des Lackbaumes in China zur Herstellung der legendären chinesischen Lacke. Kalkwasser Kasein Kasein ist der Hauptbestandteil der Milcheiweiße und wird durch Ausfällung gewonnen (zu näheren Informationen siehe Kasein). Hierbei kann etwa Magermilch verwendet werden, wobei auf einen niedrigen Fettgehalt und einen höheren Eiweißgehalt wert zu legen ist, da ersteres die Bindekraft negativ beeinflusst, während letzteres dafür zuständig ist. Im allgemeinen sind Kaseine aber verarbeitungsfertig im Fachhandel erhältlich. Das getrocknete Kaseinpulver ist nicht wasserlöslich und wird zur weiteren Verwendung in warmem Wasser vorgequollen durch eine sanfte Laugen aufgeschlossen, zum Beispiel durch Hirschhornsalz – das ist Ammoniumkarbonat (Ammoniumkasein), Borax (Boraxkasein), oder auch gelöschten Kalk (Kalkkasein)). Beim Aufschließen des Kaseins sollte die maximale Laugenzugabe einen Wert von 25% nicht überschreiten. Die anderen Bestandteile der Kaseinfarben sind Wasser als Lösungsmittel, Farbmittel und Chinesischer Ton (China Clay), Champagner-Kreide oder Sumpfkalk als Füllstoff Alle Eiweisse sind Klebstoffe, wie ja auch bei der Wundheilung zu beobachten. Kasein ist Käse/Milchmolke, aber auch die Eitempera bedient sich des tierischen Eiweisses als Klebstoff. Abbildungen: oben: Lackbaum Anstrich einer Tempelsäule China, unten: G.B. Tiepolo (1696-1770) Deckenfresko Residenz Würzburg (1751-53) Skript Farbe | Teil II. Pigmente, Bindemittel, Seite 8 Kieselsäure Mineralfarben — auch Silikat- oder Silicatfarben, Wasserglasfarben (nach dem verwendeten Bindemittel) oder Keimfarben (nach dem Erfinder) genannt — sind Anstriche die, neben anorganischen Farbstoffen, als Bindemittel das Alkalisilikat Wasserglas (auch Kaliwasserglas, flüssiges Kaliumsilikat oder LIQVOR SILICIVM genannt) verwenden. Solche Anstriche sind grundsätzlich hochwertig, langlebig und teuer; sie sind eher für die professionelle Verarbeitung vorgesehen, deswegen findet man sie praktisch nur im Fachhandel und nicht in Baumärkten. Silikatfarben haben von allen Fassadenfarben aufgrund der verwendung von anorganischen Pigmenten die höchste Lichtbeständigkeit und die höchste Wasserdampfdurchlässigkeit (Diffusion). Sie bilden nicht wie andere Anstriche eine Schicht auf dem Untergrund, sondern verkieseln (versteinern) mit dem Untergrund. Silika farben sind nicht brennbar, meist zu 100% aus natürlichen Produkten hergestellt und enthalten im Gegensatz zu den meisten Silikon- und Dispersionsfassadenfarben meist keine Gift- und Konservierungsstoffe. Mineralische Binder bilden den Versinterungsprozess der Natur nach und schaffen eine sehr atmungsaktive Farbschicht. Gebunden werden aber nur mineralische Pigmente, was die Farbauswahl einschränkt, aber im Architekturkontext sicherlich sinnvoll ist. Mineralfarben wurden 1878 vom Handwerker und Forscher Adolf Wilhelm Keim patentiert. Auslöser für die intensive Forschungsarbeit Adolf Wilhelm Keims war König Ludwig I. von Bayern. Der kunstsinnige Monarch war von den farbenfrohen Kalkfresken Norditaliens so begeistert, daß er diese Kunstwerke auch in seinem Königreich Bayern erleben wollte. Doch das Wetter nördlich der Alpen, als wesentlich rauher bekannt, zerstörte die Kunstgemälde in kurzer Zeit. So erging sein Auftrag an die bayerische Wissenschaft, eine Farbe zu entwickeln, die wie Kalk aussieht, aber über einen längeren Zeitpunkt haltbar ist. Kalkfarbe Kalkfarbe war früher praktisch der einzige verfügbare Anstrich - von ihr rührt der Ausdruck kalken für weiß streichen oder weißeln her. Im Bau- und Heimwerkerbereich wurden Kalkfarben aber längst von den Dispersionsfarben verdrängt. Das Calciumhydroxid wird vor Gebrauch im richtigen Verhältnis mit Wasser angerührt. Die fertige Mischung ist geeignet für Feuchträume im Hausinneren, wie Küchen, Bäder, Keller, Treppenhäuser und Lagerräume. Als Untergründe sind Kalk-, Kalkzement- und Zementputze, Schalungsbeton und Ziegelsteine (gebrannt und ungebrannt) geeignet; für Sichtbeton, Holz und Metall eignet sich Kalkfarbe dagegegen nicht. Calciumhydroxid ist ätzend, beim Verarbeiten muss man Handschuhe, Schutzbrille und eventuell einen Atemschutz tragen. Es muss trocken, dicht verschlossen gelagert werden und darf nicht in Leichtmetallbehältern aufbewahrt werden. Abbildungen: oben: Mineralfarbe, ehem. Barockscheune, Alzey Kesseler unten, Innenraum Bücherhaus Biedermeier, Mineralfarbe, Alzey Skript Farbe | Teil II. Pigmente, Bindemittel, Seite 9 Rezept Kalkfarbe mit Sacchariden als Bindemittel Die Kalkfarbe ist speziell für die Restaurierung von Bauwerken, Skulpturen und Bildwerken gedacht. Quelle: Patent-Offenlegungsschrift DE 10052928 Pos. Rohstoff Gewichtsteile (von 100) 1 Wasser 43,0, 2 Kalkhydrat 37,0, 3 Titandioxid 14,0, 4 Saccharose 6,0 Es kann auch Champagnerkreide als Weißpigment(zum Strecken) beigefügt weerden. Ergänzung zu den Rohstoffen: Die Saccharose kann gegen andere Saccharide ausgetauscht werdenzum Beispiel Gluc se (Traubenzucker) Statt Titandioxid kann selbstverständlich jedes andere kalkstabile Pigment eingesetzt werden. Die Kalkmasse soll (mit kleinen Änderungen an der Rezeptur) als Kalksinterwasser, Kalkfarbe, Kalkschlämme, Kalkspachtelmasse oder Kalkputzmasse eingesetzt. Bei letzteren wird feiner sand zugesetzt, die Verarbeitungsstärke wird dicker. Die Kalkmasse carbonatisiert schnell, haftet gut am Untergrund, zeigt eine geringe Kreidung (sie ist wischfest) und eine niedrige Oberflächenspannung nach der Carbonatisierung. Untergründe vornässen und feucht halten. Es ist zu empfehlen, immer einen Probeanstrich vorzunehmen. Zum Abtönen sind nur kalkechte Pigmente geeignet; auch mit diesen sind aber keine kräftigen Farbtöne möglich, weil das Calciumhydroxid die Pigmente nur bis etwa 5% bindet. Kalkfarbe ist billig, feuchtigkeitsbeständig, wirkt desinfizierend und fungizid. Schimmelpilz kann auf Kalkputz und Kalkfarbe nicht überleben, da sie stark alkalisch sind. Kalkfarbe ist gut gasdurchlässig, jedoch nicht geeignet für organische und nicht saugende Untergründe. Sie haftet nicht auf auf Dispersionsfarben, Leimfarben, Tapeten und vielen Spachtelmassen. Ihre Herstellung bedarf keinerlei synthetischen Stoffe und ist daher für den umweltbewußten Heimwerker ideal. Kaum etwas prägt das Bild südeuropäischer Dörfer so sehr, wie die typisch weiß getünchten Häuser, in diesem Klima hat die Kalkfarbe noch einen besondern Vorteil: Es sieht nicht nur hübsch aus, sondern es beugt auch der Erwärmung der Außenwände in den heißen Sommermonaten vor. Andererseits deckt die Farbe nur schlecht - es sind mehrere Farbschichten nötig, bis die Wand wirklich weiß wirkt - und ist aufgrund des sauren Regens mittlerweile für den Außenbereich in einigen Gegenden ungeeignet; da ihre Abriebfestigkeit zudem niedrig ist, eignen sich nur veredelte Kalkfarben für den Außenbereich. Die Verarbeitung von Kalkfarbe ist nicht ganz ungefährlich. Je nach Bindemittel und Pigment und Flüssigkeitszugabe (Malmittel) ist der Farbauftrag lasierend dünn, deckend oder pastos. Je nach Auftrag der Farbe mit einem Werkzeug bilden sich die Spuren des Prozesses ab. Schon dies ist ausschlaggebend für die Gestaltung. Ein weicher Marderhaarpinsel oder Vertreiber tilgt die gestischen Spuren des Auftrages. Borstenpinsel ziehen deutliche Riefen. Palettenmesser oder Chinaspachtel hinterlassen ihre Spuren. Abbildungen: oben: Jost Amann, Fassadenfresko Rathaus Stein a.Rhein unten, Kalkanstriche Fassaden Innsbruck