V Blotevogel „Stadtgeographie“ SS 2001 Kap. 7 Kap. 7 Die Binnenperspektive III: Faktorialökologie sowie aktions- und wahrnehmungsräumliche Ansätze der Stadtstrukturanalyse Faktorialökologie („Factorial ecology“) Methodischer Fortschritt: Verwendung multivariater statistischer Verfahren, insb. der sog. „Faktorenanalyse“ Faktoren- bzw. Hauptkomponentenanalyse: mathematisch-statistisches Verfahren, basierend auf der multiplen Regressions- und Korrelationsanalyse. Sie „bündelt“ solche Variablen, die untereinander hoch korrelieren, zu neuen abstrakten Dimensionen („Faktoren“). Vorteil: Eine Gruppe von Variablen, die alle etwas Ähnliches beschreiben, wird durch eine einzige neue Variable, die den größtmöglichen Anteil der Ausgangsinformation enthält, ersetzt; die neuen Kunstvariablen sind untereinander unabhängig (= unkorreliert), d.h. sie enthalten keine redundante Information. Vorteil: Informationsverdichtung. Zwei empirische Beispiele: Ph. REES über Chicago J. V. O'LOUGHLIN u. G. GLEBE über Düsseldorf Inzwischen liegt eine Fülle von faktorialökologischen Stadtstrukturanalysen aus allen Teilen der Erde vor. Neuere Tendenz: weniger ganzheitliche Strukturuntersuchungen, sondern als Analyseschritt im Rahmen von Untersuchungsstrategien mit spezielleren Fragestellungen. Kritik: - Anwendung der Faktorenanalyse bietet nur „Scheinobjektivität“; - Faktorialökologie geht überwiegend induktiv vor; zur Interpretation wird aber oft auf das SHEVKY-BELL-Begriffsschema zurückgegriffen. - Wirklich fruchtbar wird dieser Analyseansatz, wenn darauf weiterführende weiterführende Untersuchungen aufbauen, z.B. - interlokale bis interkulturelle Vergleiche, - historische Längsschnittuntersuchungen, - unabhängiges Variablensystem z.B. zur Analyse von Wahlen, Kriminalität usw. Insg.: Heute werden die methodischen Probleme und die begrenzte inhaltliche Aussagekraft deutlich gesehen; dennoch Standardrepertoire der Stadtgeographie! Aktions- und wahrnehmungsräumliche Stadtstrukturanalyse Hier andere Betrachtungsebenen: Aktionsraumforschung: Individualebene des beobachtbaren menschlichen Handelns; Perzeptionsforschung: subjektive Vorstellungsebene (als mentale Dimension des menschlichen Handelns). 1 V Blotevogel „Stadtgeographie“ SS 2001 Kap. 7 Innerstädtische Aktionsraumforschung: untersucht die räumlichen Bewegungen von Individuen im Stadtraum. Typologie nach Zwecken: - Arbeit, - Schule/Kindergarten, - Einkaufen, - Freizeit usw. Einige empirische Ergebnisse: - Versucht man, die Einzelaktivitäten zu aggregieren, so entstehen „persönliche Kommunikationsfelder“; diese unterscheiden sich signifikant nach sozialökonomischer Lage und Alter (vgl. Schema von KOLARS u. NYSTUEN). - Zentrum der Aktivitäten ist der Wohnstandort; bei suburbanen Wohnstandorten sind die Aktionsräume in der Regel sektoral ausgebildet (vgl. Bsp. Augsburg von POSCHWATTA ). - Eine vertiefte Erforschung aktionsräumlicher Aktivitäten fällt eher in das Gebiet der Sozialgeographie. So beschäftigt sich die Aktionsraumforschung mit Zeit-Budgets, strukturellen und raumzeitlichen Handlungsschranken („constraints“) und versucht, die allgemeine sozialkulturelle Handlungstheorie um die räumliche Dimension zu erweitern. Zur Erklärung menschlicher Aktivitäten im Stadtraum muß die Perzeptionsebene mit einbezogen werden, denn die physische „Umwelt“ wirkt auf menschliche Handlungen nicht unmittelbar, sondern über den sog. „Perzeptionsfilter“. Bahnbrechend: Kevin LYNCH: The image of the city. Cambridge, Mass. 1960. (dt. Übers.: Das Bild der Stadt. Braunschweig 1975) LYNCH ließ Personen ihre städtische Umwelt skizzieren, so daß „kognitive Karten“ (= „mental maps“) entstanden. Seitdem hat sich eine ganze Forschungsrichtung entwickelt: „Wahrnehmungsgeographie“. Damit wird der Ansatz der Stadtgeographie wesentlich erweitert: Nicht mehr nur der physische Raum der Stadtlandschaft und die Verteilung von (in Gruppen oder individuell handelnden) Menschen im Raum der Stadt werden untersucht, sondern die geistige Welt der mentalen und sozialen Repräsentationen der physischen Welt. Man muss diese Repräsentationen jedoch kennen, um das Handeln und Verhalten der Menschen angemessen verstehen und erklären zu können. In der „new cultural geography“ geht es denn auch immer weniger um die Stadt als physisches Objekt der Erdoberfläche, sondern um Repräsentationen (Images von Städten und kulturelle Konstrukte als Ergebnis von Kommunikationsprozessen und Machtverhältnissen). 2