Vorlesung 2: Präferenzen über Lotterien Georg Nöldeke Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Universität Basel Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 1/26 2.1 Modellrahmen Wir betrachten im Folgenden die Menge von Ergebnissen X = {x1 , . . . , xn } mit n ≥ 2 als gegeben. Lotterien, deren Ergebnisse in X liegen, bezeichnen wir vereinfachend mit L = (p1 , . . . , pn ) und sprechen von einer Lotterie über X. Die Menge aller Lotterien über X ist n ∆ = {L = (p1 , . . . , pn )| ∑ pi = 1, pi ≥ 0 für alle i = 1, . . . , n}. i=1 ∆ wird bis auf weiteres unser Gegenstück zu dem Güterraum in der Konsumententheorie sein: Es beschreibt die Menge der denkbaren Alternativen. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 2/26 2.1 Modellrahmen Notationskonventionen und Terminologie: Auch der Fall, in dem man eines der Ergebnisse mit Sicherheit erhält, ist eine Lotterie. Die Lotterie, in der man Ergebnis xi mit Wahrscheinlichkeit 1 erhält bezeichnen wir mit ei und sprechen von einer degenerierten Lotterie. Beispiel: Für n = 3 ist e1 = (1, 0, 0), e2 = (0, 1, 0), e3 = (0, 0, 1). Alle anderen Lotterien heissen echte Lotterien. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 3/26 2.1 Modellrahmen Notationskonventionen und Terminologie: Betrachten wir monetäre Lotterien, so gehen wir durchweg davon aus, dass x1 < x2 < . . . < xn gilt. Das heisst: Ergebnisse mit niedrigerem Index korrespondieren zu niedrigeren Geldbeträgen. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 4/26 2.2 Grafische Darstellung von Lotterien Eine Lotterie L in ∆ ist durch die Angabe von (n − 1) der n Wahrscheinlichkeiten eindeutig beschrieben Die fehlende Wahrscheinlichkeit ergibt sich aus der Gleichung ∑ni=1 pi = 1. Im Fall n = 2 bedeutet dies, dass die Menge der Lotterien grafisch durch das Intervall [0, 1] dargestellt werden kann, wobei p2 ∈ [0, 1] die Wahrscheinlichkeit des Ergebnisses x2 beschreibt. Die fehlende Wahrscheinlichkeit p1 ist durch p1 = 1 − p2 bestimmt. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 5/26 2.2 Grafische Darstellung von Lotterien Zur Illustration werden wir regelmässig den Fall n = 3 betrachten. Hier kann die Menge der Lotterien durch das sogenannte Machina-Dreieck dargestellt werden welches durch {(p1 , p3 ) ∈ R2 | p1 ≥ 0, p3 ≥ 0, p1 + p3 ≤ 1} gegeben ist. Die fehlende Wahrscheinlichkeit p2 ist durch p2 = 1 − p1 − p3 gegeben. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 6/26 2.2 Grafische Darstellung von Lotterien Abbildung: Das Machina-Dreieck. Jeder Punkt in dem Dreieck stellt eine Lotterie dar. Die Punkte ei bezeichnen die Lotterien, in denen das Ergebnis xi mit Wahrscheinlichkeit 1, also mit Sicherheit, eintritt. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 7/26 2.3 Mischungen von Lotterien Für beliebige Lotterien p ∈ ∆ und q ∈ ∆ und Zahlen α ∈ [0, 1] bezeichnet α p + (1 − α)q ∈ ∆ die Lotterie, bei der man das Ergebnis xi mit Wahrscheinlichkeit α pi + (1 − α)qi erhält: Ausgeschrieben: α p+(1−α)q = (α p1 +(1−α)q1 , α p2 +(1−α)q2 , · · · , α pn +(1−α)qn ) Eine solche Mischung von zwei Lotterie wird oftmals als zusammengesetzte Lotterie interpretiert. In einer solchen zusammengesetzten Lotterie sind die Lotterien p und q die Ergebnisse. α ist die Wahrscheinlichkeit, mit der man das “Ergebnis” p erhält. 1 − α ist die Wahrscheinlichkeit, mit der man das “Ergebnis” q erhält. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 8/26 2.3 Mischungen von Lotterien Beispiel zur Mischung von Lotterien: Abbildung: Die Mischung der zwei Lotterien p = (0.6, 0, 0.4) und q = (0.7, 0.3, 0) über X = {0, 20, 60} mit α = 0.3 als zusammengesetzte Lotterie dargestellt. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 9/26 2.3 Mischungen von Lotterien Beispiel zur Mischung von Lotterien: Abbildung: Die Mischung r der zwei Lotterien p = (0.6, 0, 0.4) und q = (0.7, 0.3, 0) über X = {0, 20, 60} mit α = 0.3 als Lotterie über X. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 10/26 2.3 Mischungen von Lotterien Beispiel zur Mischung von Lotterien: Abbildung: In dem Machina-Dreieck liegen Mischungen auf der Verbindungslinie zwischen den beiden Lotterien, die gemischt werden: Die Mischung r von p = (0.6, 0, 0.4) und q = (0.7, 0.3, 0) mit α = 0.3. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 11/26 2.4 Rationale Präferenzen über Lotterien Wir modellieren (an dieser Stelle) nicht explizit, wie die gewählte Aktion eines Entscheidungsträgers zu einer bestimmten Lotterie führt. Stattdessen stellen wir uns vor, dass direkt Lotterien aus ∆ gewählt werden . . . . . . und unterstellen wie im Fall der Sicherheit, dass diese Auswahlentscheidungen durch eine rationale Präferenzrelation auf der Menge der Alternativen ∆ dargestellt werden kann. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 12/26 2.4 Rationale Präferenzen über Lotterien Zur Erinnerung: Eine Präferenzrelation stellt eine Beziehung zwischen Paaren von Alternativen, hier Lotterien, her. Für p, q ∈ ∆ bedeutet p q , dass bei einer Entscheidung zwischen p und q die Lotterie p gewählt wird. Eine Präferenzrelation heisst vollständig, wenn für beliebige Lotterien p und q in der Menge der möglichen Lotterien ∆ gilt: p q oder q p. Eine Präferenzrelation heisst transitiv, wenn für beliebige p, q und r in ∆ gilt: p q und q r ⇒ p r. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 13/26 2.4 Rationale Präferenzen über Lotterien Zur Erinnerung: Annahme (Rationalität) Die Präferenzrelation ist rational, d.h. vollständig und transitiv. Ausgehend von einer (schwachen) Präferenzrelation definiert man die Indifferenzrelation: p ∼ q ⇔ p q und q p. strenge Präferenzrelation: p q ⇔ p q und nicht q p. Umgekehrt lässt sich eine rationale Präferenzrelation aus einer Beschreibung ihrer “Indifferenzkurven” und ihrer “Besserrichtung” bestimmen. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 14/26 2.5 Stetigkeit und Nutzendarstellung Definition (Stetigkeit) Die Präferenzrelation auf ∆ heisst stetig, wenn für alle Lotterien p, q, r ∈ ∆ mit p q r reele Zahlen α ∈ (0, 1) und β ∈ (0, 1) existieren, so dass α p + (1 − α)r q β p + (1 − β )r gilt. Diese Definition entspricht (weitgehend) der Stetigkeitsdefinition für den Fall der Entscheidung unter Sicherheit und ist wie dort auch eine sogenannte technische Annahme. Dessen unbeschadet kann man mit Hilfe von Gedankenexperimenten die Plausibilität dieser Annahme hinterfragen. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 15/26 2.5 Stetigkeit und Nutzendarstellung Satz (Existenz einer Nutzendarstellung) Ist eine rationale Präferenzrelation auf ∆ stetig, dann existiert eine stetige Nutzenfunktion U : ∆ → R, welche die Präferenzrelation darstellt, d.h. p q ⇔ U(p) ≥ U(q). Satz (Ordinalität der Nutzendarstellung) Stellt U : ∆ → R eine gegebene Präferenzrelation dar, dann gilt dieses auch für jede streng steigende Transformation von U. Diese Ergebnisse dienen der Klarstellung: Bis an diesen Punkt ist alles analog zum Fall der Entscheidung unter Sicherheit: Wir haben lediglich die dort betrachteten Güterbündel durch Lotterien ersetzt. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 16/26 2.6 Monotone Präferenzrelationen Monotonieannahmen an Präferenzrelationen erfassen den Gedanken “mehr ist besser.” In dem hier betrachteten Kontext wird dieses so formalisiert, dass eine Verschiebung von Wahrscheinlichkeit von einem schlechten zu einem guten Ergebnis zu einer vorgezogenen Lotterie führt. Dieses ist am einfachsten für den Fall monetärer Lotterien zu verstehen, den wir daher hier betrachten wollen. Beispiel: Im Fall n = 2 bedeutet ein Anstieg der Wahrscheinlichkeit p2 , dass Wahrscheinlichkeit von dem Ergebnis x1 auf das Ergebnis x2 verschoben wird. Da x2 > x1 angenommen wurde, sollte dieses zu einer besseren Lotterie führen. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 17/26 2.6 Monotone Präferenzrelationen Definition (Stochastische Dominanz erster Ordnung) Seien p und q zwei monetäre Lotterien über X = {x1 , . . . , xn }. Dann heisst p grösser als q (im Sinne der stochastischen Dominanz erster Ordnung), wenn n n ∑ pi ≥ ∑ qi i=k i=k für k = 2, . . . , n gilt. Man schreibt in diesem Falle p ≥1 q. Gilt mindestens eine der obigen Ungleichungen als streng Ungleichung, so heisst p streng grösser als q (im Sinne der stochastischen Dominanz erster Ordnung) und man schreibt p >1 q. Was soll das bedeuten? Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 18/26 2.6 Monotone Präferenzrelationen ∑ni=k pi ist die Wahrscheinlichkeit, dass man in der Lotterie p ein Ergebnis erhält, welches grösser als (oder gleich) xk ist. Gilt ∑ni=k pi ≥ ∑ni=k qi , so bedeutet dieses also, dass man in der Lotterie p mit höherer Wahrscheinlichkeit als in der Lotterie q Ergebnisse erhält, die grösser als xk sind. Gilt dieses für alle xk , so kann man p aus q erzeugen, indem man Wahrscheinlichkeit von niedrigen Ergebnissen zu hohen Ergebnissen verschiebt. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 19/26 2.6 Monotone Präferenzrelationen Stochastische Dominanz erster Ordnung im Fall n = 3: Nach Definition gilt p ≥1 q genau dann, wenn p3 ≥ q3 p2 + p3 ≥ q2 + q3 gilt. Da sich die Wahrscheinlichkeiten jeweils auf 1 summieren, kann die zweite dieser Bedingungen zu p1 ≤ q1 umgeschrieben werden. Stochastische Dominanz erster Ordnung bedeutet hier also, dass mehr Wahrscheinlichkeit auf das grösste Ergebnis und weniger Wahrscheinlichkeit auf das kleinste Ergebnis gelegt wird. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 20/26 2.6 Monotone Präferenzrelationen Abbildung: Stochastische Dominanz erster Ordnung im Fall n = 3: In dem Machina-Dreieck liegen die Lotterien, die grösser als eine gegebene Lotterie q sind, links oberhalb von q. Der entsprechende Bereich ist hier gelb gefärbt. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 21/26 2.6 Monotone Präferenzrelationen Definition (Monotonie) Eine Präferenzrelation auf einer Menge ∆ von monetären Lotterien heisst monoton, wenn für beliebige p und q in ∆ gilt: p >1 q ⇒ p q. Die Monotonie einer Präferenzrelation impliziert, dass ein sicherer Geldbetrag xk einem anderen sicheren Geldbetrag xl streng vorgezogen wird, wenn k > l gilt. Dies gilt, da die sicheren Geldbeträge xk und xl durch die Lotterien ek und el dargestellt werden und ek >1 el gilt. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 22/26 2.7 Beispiele für Nutzenfunktionen Zwei Beispiele für Nutzenfunktionen, die auf einer Menge von monetären Lotterien definiert sind, haben wir bereits gesehen: 1. Die Nutzenfunktion U(p) = ∑ni=1 pi xi stellt das Erwartungswertkriterium dar: n n p q ⇔ ∑ pi xi ≥ ∑ qi xi . i=1 i=1 2. Die Nutzenfunktion U(p) = ∑ni=1 pi ln(xi ) stellt Bernoullis Vorschlag zur Bewertung von Lotterien dar: n n p q ⇔ ∑ pi ln(xi ) ≥ ∑ qi ln(xi ). i=1 i=1 Beide diese Beispiele stellen monotone Präferenzrelationen dar. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 23/26 2.7 Beispiele für Nutzenfunktionen Abbildung: Einige Indifferenzkurven zu der Nutzenfunktion U(p) = ∑ni=1 pi xi im Machina-Dreieck für (x1 , x2 , x3 ) = (2, 6, 8). Die Indifferenzkurven stellen die Lösung der Gleichung 2p1 + 8p3 + 6(1 − p1 − p3 ) = k für unterschiedliche Werte von k dar. Bessere Lotterien liegen links oben. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 24/26 2.7 Beispiele für Nutzenfunktionen Abbildung: Einige Indifferenzkurven zu der Nutzenfunktion U(p) = ∑ni=1 pi ln(xi ) im Machina-Dreieck für (x1 , x2 , x3 ) = (2, 6, 8). Die Indifferenzkurven stellen die Lösung der Gleichung ln(2)p1 + ln(8)p3 + ln(6)(1 − p1 − p3 ) = k für unterschiedliche Werte von k dar. Bessere Lotterien liegen links oben. Die Indifferenzkurven verlaufen steiler als im vorhergehenden Bild. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 25/26 2.7 Beispiele für Nutzenfunktionen Ein weiteres Beispiel: U(p) = ∑ni=1 p2i xi stellt eine Präferenzrelation dar, die nicht monoton ist – obgleich die Nutzenfunktion steigend in p ist! Abbildung: Einige Indifferenzkurven zu der Nutzenfunktion U(p) = ∑ni=1 p2i xi im Machina-Dreieck für (x1 , x2 , x3 ) = (2, 6, 8). Die Indifferenzkurven stellen die Lösung der Gleichung 2p21 + 8p23 + 6(1 − p1 − p3 )2 = k für unterschiedliche Werte von k dar. Entscheidung VL 2, FS 13 Präferenzen über Lotterien 26/26