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Monik a Offenberger
Sy m bio s e
Sym
Warum Bündnisse fürs Leben
in der Natur so erfolgreich sind
Mit 16 farbigen Abbildungen
Deutscher Taschenbuch Verlag
Dieses Buch ist auch als eBook erhältlich.
Originalausgabe 2014
Deutscher Taschenbuch Verlag
© 2014 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG,
München
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.
Sämtliche, auch auszugsweise Verwertungen bleiben vorbehalten.
Umschlagkonzept: Balk & Brumshagen
Umschlaggestaltung: Katharina Netolitzky unter Verwendung
eines Fotos von OKAPIA/Thomas Dressler/imagebroker
Gesetzt aus der Minion Pro 10,5/13˙
Satz: Greiner & Reichel, Köln
Druck und Bindung: Kösel, Krugzell
Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in Germany . ISBN 978-3-423-26055-8
Inhalt
Vorwort: Niemand ist eine Insel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allianzen zwischen artfremden Organismen vermehren
die Vielfalt der Lebensformen auf unserem Planeten
7
I Oasen in der Finsternis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Bakterien bilden in der lichtlosen Tiefsee ­Fundamente
für ­artenreiche Ökosysteme ohne Beteiligung grüner
Pflanzen
II Sklaven, Partner und Schmarotzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Der Begriff Symbiose wurde 1878 von einem Botaniker
erdacht und bezeichnet das Zusammenleben von Organismen unterschiedlicher Arten
III Das Feuer des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
Mitochondrien haben sich vor Milliarden Jahren aus
Bakterien entwickelt und besorgen noch heute als Untermieter in unseren Körperzellen das Atmen
IV Grüne Mischwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
Korallen bilden gigantische Riffe im Meer und machen
sich dabei wie zahlreiche andere Tiere die Fotosynthe­
seleistung ihrer grünen Mitbewohner zunutze
V Gemeinsam an Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
Pilze haben den ersten Pflanzen den Boden bereitet und
garantieren bis heute das Überleben aller bedeutenden
Vegetationsformen unserer Erde
VI Hirten und Gärtner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
Ameisen betrieben schon Zigmillionen Jahre vor dem
Menschen Viehzucht und Landwirtschaft und beherrschen seither sämtliche Land-Ökosysteme
VII Gibst du mir, so geb ich dir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Organismen aus allen Reichen der Lebewesen schmieden mit einem oder mehreren Partnern Allianzen zum
gegenseitigen Nutzen
VIII Wir sind besiedelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
Mikroben leben zu Milliarden auf und in unserem Körper und bestimmen wesentlich unsere Gesundheit und
unser Wohlbefinden mit
IX Arzneien, Dünger, Pflanzenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
Symbiosen liegen allen lebenswichtigen Ressourcen des
Menschen zugrunde und stellen zahlreiche Wirtschaftsgüter bereit
X Wir sind Symbionten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
Die Symbioseforschung wird durch moderne Techniken
vorangetrieben und führt zu einem neuen und umfassenden Bild des Lebens und der menschlichen Natur
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
Vorwort: Niemand ist eine Insel
Die Idee zu diesem Buch entstand in einem kleinen Park mitten
in München, nicht weit von meiner Wohnung. Da gibt es eine
Wiese voller Klee und Löwenzahn, gesäumt von Hollerbüschen
und mächtigen Kastanienbäumen. Ab und zu gehe ich dort spazieren und mache meine Beobachtungen. Denn so unscheinbar
sich diese »städtische Grünfläche« zunächst ausnimmt, so vielseitig sind ihre Bewohner: Wacholderdrosseln hasten übers Gras
und ziehen Würmer aus der Erde. Kleiber suchen die Baumstämme nach Maden ab. Kohlmeisen zerpicken Kastanienblätter, um
an die Raupen der Miniermotten zu kommen. Manchmal schaut
sogar ein Grünspecht vorbei und macht sich über die allgegenwärtigen Ameisen her. Man kann den Eindruck gewinnen, auf
diesem harmlosen Flecken Erde bestehe das Leben hauptsächlich aus Fressen und Gefressen werden. Jedes Tierchen ist auf das
­eigene Wohl bedacht und setzt seine Interessen auf Kosten anderer durch. Es gilt das Gesetz des Stärkeren, Schnelleren, Leistungsfähigeren.
Diese Sicht auf das Leben geht zurück auf den großen Natur­
forscher Charles Darwin. Seine Erkenntnisse über die Mechanismen der Evolution sind heute mehr denn je von seriösen
Wissen­schaftlern aller Disziplinen akzeptiert. Was der Brite
zum Überleben der Tauglichsten und zur Kraft der natürlichen
Selektion geschrieben hat, erweist sich auch als gültig für die
seiner­zeit noch unbekannte Welt der Gene und Moleküle. Und
doch ist Darwins Credo nur die halbe Wahrheit. Oder eine Sache des Blickwinkels: Denn beim zweiten Hinsehen zeigen sich
viele Parkbewohner von einer anderen Seite. Etwa die Ameisen.
Stimmt, sie werden vom Specht gefressen und stürzen sich ihrerseits auf allerlei Raupen, Maden und was sonst noch als Mahlzeit
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infrage kommt. Auch die Blattläuse im Hollerbusch könnten sie
ohne weiteres überwältigen – indes, sie tun es nicht. Stattdessen
behandeln sie die wehrlosen Pflanzensauger geradezu fürsorglich
und halten ihnen sogar deren ärgsten Feinde – allen voran die
stets hungrigen Marienkäfer – vom Leib. Im Gegenzug überlassen die Blattläuse ihren Leibwächtern ein zuckerhaltiges Sekret.
Süßigkeiten als Lohn für Personenschutz: Dieser »Deal« ist für
beide Seiten ein Gewinn. Einen ähnlichen Handel treiben Bienen
und Hummeln mit Hollerbusch und Kastanienbaum: Die Insekten finden in den üppigen Blüten dieser und vieler anderer Pflanzen reichlich Nektar. Beim Trinken erledigen sie ganz nebenbei
deren Bestäubung und stellen somit sicher, dass sie zu Beeren,
Kastanien und sonstigen Früchten heranreifen.
Dies sind nur zwei Beispiele unter vielen. Tauschgeschäfte und
Zusammenschlüsse zwischen verschiedenen Arten sind in der
belebten Natur kein seltenes Phänomen. Diese Erkenntnis ist erst
allmählich in unser Bewusstsein vorgedrungen, und sie hält auch
nur zögerlich Eingang in Hörsäle, Klassenzimmer und Feuilletons. Sie weiterzugeben ist das Anliegen dieses Buches. Denn
tatsächlich sind nützliche Allianzen in der Natur nicht die Ausnahme, sondern die Regel: Sie werden zwischen allen möglichen
Tieren, Pflanzen, Pilzen und Mikroben geschlossen. Die wenigsten Gemeinschaften lassen sich freilich so leicht beobachten wie
jene der Ameisen und Blattläuse. Eine Vielzahl fein austarierter
Lebensbündnisse spielt sich im Verborgenen ab: Der Klee auf
meiner kleinen Wiese beherbergt in seinen Wurzelknöllchen Bakterien, die ihn mit Stickstoff aus der Luft versorgen. Auch alle anderen Pflanzen im Park sind auf Gedeih und Verderb an geeignete
Nährstofflieferanten angewiesen: Dutzende Arten von Pilzen umgarnen die Wurzeln von Löwenzahn, Hollerbusch und Kastanie
und tauschen unterirdisch Mineralsalze gegen Kohlenhydrate
ein. Die Flechten am Baumstamm sind regelrechte Mischwesen
aus Pilzen und Algen und können nur gemeinsam in luftiger
Höhe überleben: Der Pilz schützt die Algen vor dem Vertrock­
nen und beansprucht als Gegenleistung wertvolle Nährstoffe.
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Solche Partnerschaften zum gegenseitigen Nutzen sind so
verschieden wie die Lebewesen, von denen sie gebildet werden.
Sie umfassen zwei oder mehr Partner und reichen von lockeren
Tauschbeziehungen zwischen ansonsten unabhängigen Organismen über den regelmäßigen, aber nicht zwingend notwendigen
Austausch von Dienstbarkeiten bis hin zu obligatorischen Verbänden, deren Partner alleine nicht mehr lebensfähig sind. Manche Allianzen sind lose wie jene zwischen den Blütenpflanzen
und ihren fliegenden Pollenboten. In anderen Fällen bilden die
Partner eine dauerhaft enge Gemeinschaft oder es lebt gar ­einer
im Körper des anderen wie die Knöllchenbakterien im Klee;
dann spricht man von einer Symbiose. Dieses Kunstwort aus
dem griechischen »syn« (zusammen) und »bios« (Leben) wurde vor 135 Jahren von einem Botaniker namens Anton de Bary
geschaffen und sorgt seither unter Experten für heftige Diskussionen. Einen kurzen Rückblick über die Anfänge der Symbioseforschung und ihre wechselvolle Geschichte gibt das 2. Kapitel
»Sklaven, Partner und Schmarotzer« dieses Buches. Es zeigt eindrucksvoll, wie sehr die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen wissenschaftliche Erkenntnis prägen.
Doch zunächst begeben wir uns auf eine abenteuerliche Reise:
zu den heißen Quellen am Grunde des Ostpazifiks. Dort unten,
2000 Meter tief unter der Wasseroberfläche, haben Wissenschaftler erst vor wenigen Jahrzehnten eine spektakuläre Entdeckung
gemacht: Mit dem U-Boot »Alvin« tauchte ein Team von Geologen in die bizarre Welt der Unterwassergeysire alias Schwarze Raucher ab. Die Forscher hatten nur eine vage Vorstellung
von diesem unwirtlichen Ort ohne jegliches Sonnenlicht. Und
fanden, was sie dort am allerwenigsten erwartet hatten: ­einen
Zoo unbekannter Tiere, darunter skurrile Röhrenwürmer mit
blutroten Kiemenbüscheln, fahle Yetikrabben und räuberische
Meeresschnecken. Das Fundament für diese Oasen in der Finsternis bilden spezielle Mikroorganismen, die mit ihren erstaunlichen Stoffwechselleistungen sich selbst und ihre Wirtstiere am
Leben erhalten. Sie folgen damit demselben Grundsatz wie all
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die anderen Partnerschaften und Allianzen, die in den folgenden Kapiteln vorgestellt werden: Organismen aus unterschiedlichen Arten tun sich zusammen und profitieren wechselseitig
von den Fähigkeiten des anderen. Gemeinsam können sich die
Bündnispartner in kurzer Zeit gänzlich neue Eigenschaften aneignen und dadurch knappe Ressourcen effektiver nutzen, widrigen Umweltbedingungen trotzen oder sich diverser Gefahren
erwehren.
Anders ausgedrückt: Sie betreiben Evolution. Denn das Prinzip der wechselseitigen Ergänzung ist ein entscheidender Motor
für die Entwicklung neuer Lebensformen. »Symbiogenese« hat es
Professorin Lynn Margulis, die bedeutendste Symbioseforscherin unserer Zeit – genannt und als kraftvollen Mechanismus der
Evolution erkannt. Mit ihrem provokanten Bekenntnis nahm die
2011 verstorbene amerikanische Wissenschaftlerin der Darwinschen Sicht seine Ausschließlichkeit, ohne sie dabei grundsätzlich infrage zu stellen. Der geniale Naturforscher lehrt uns, dass
sich Lebewesen durch das Wechselspiel stets neuer Merkmalsvarianten und deren natürliche Auslese mit der Zeit verändern.
Dieser Erklärungsversuch ist heute allgemein anerkannt. Und
doch lässt er viele Fragen offen. Zwar hat Darwin sein berühmtes Hauptwerk mit dem Titel ›Über die Entstehung der Arten‹
versehen. Doch eine umfassende Antwort auf diese alles entscheidenden Frage bleibt er uns schuldig. Umso mehr überzeugt
der Ansatz der Symbiogenese, den Lynn Margulis auf der Basis
verschiedener Vordenker zeit ihres Lebens propagiert und weiterentwickelt hat. Mit Fleiß und Scharfsinn hat sie den Beweis
erbracht, dass Tier- und Pflanzenzellen – und folglich alle mehrzelligen Lebewesen bis hin zum Homo sapiens – ursprünglich
durch Symbiose entstanden sind.
Diese einst heftig umstrittene Theorie ist heute in die biologischen Lehrbücher eingegangen. Sie lässt die Evolution des Lebens
in einem neuen Licht erscheinen und erhellt auch die Herkunft
des Menschen. Um unsere Ursprünge zu ergründen, suchen wir
im 3. Kapitel dieses Buches nach dem »Feuer des Lebens«. Dazu
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dringen wir tief in unseren Körper ein, bis ins Innerste der Zellen. Dort nämlich verbergen sich kleine Heizkraftwerke namens
Mitochondrien: Sie halten uns warm, indem sie Nährstoffe verbrennen. Diese unverzichtbaren Zellbestandteile stammen von
einst eigenständigen Organismen ab, die in der Frühzeit des Lebens, vor rund eineinhalb Milliarden Jahren, von einem archaischen Einzeller verschluckt und anschließend gezähmt worden
sind. Seither bewohnen sie als sogenannte »Endosymbionten«
die Zellen sämtlicher höherer Organismen und halten sie durch
einen erstaunlichen Vorgang namens Atmung am Leben.
Ein weiterer Meilenstein der Evolution ist die Fotosynthese, sprich: die Nutzung des Sonnenlichts zum Aufbau von Biomasse. Die komplexen biochemischen Prozesse dahinter schreiben wir gewöhnlich den grünen Pflanzen zu. Tatsächlich aber
wurden auch sie einst von Bakterien entwickelt – die ebenso wie
die Vorfahren der Mitochondrien von anderen Zellen einverleibt wurden und sich darin allmählich zu Chloroplasten gewandelt haben. Als solche leben sie in den grünen Zellen der Algen
und Pflanzen weiter. Sie sind also an sich schon Chimären aus
einst eigenständigen Lebensformen, doch viele Pflanzen haben
noch zusätzliche Bündnisse mit Bakterien, Pilzen oder Tieren geschlossen. So ist auch das größte Bauwerk der Welt entstanden,
das Great Barrier Reef vor der Küste Australiens, von dem im
4. Kapitel die Rede ist. Es verdankt sich dem Zusammenschluss
zwischen Tieren und Algen: Über die Fotosynthese können die
Algen Biomasse produzieren und zugleich die Kalkproduktion
der Korallentiere optimieren. Die gewaltigen Riffe, die aus diesen
»Grünen Mischwesen« entstehen, ernähren die reichhaltigste Lebensgemeinschaft unseres Planeten und bilden einen »hot spot«
der Biodiversität.
Die Besiedlung des Festlands ist Thema des 5. Kapitels. Der
Schritt vom Meer aufs trockene Land machte neue Bauprinzipien und Versorgungsstrukturen erforderlich. Er gelang abermals dank der gebündelten Anstrengungen grundverschiedener
Organismen, die ihre speziellen Fähigkeiten in den Dienst eines
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gemeinsamen Ganzen stellten: Vor rund 500 Millionen Jahren
formierten sich Pilze mit Algen zu einer vollkommen neuen Lebensform, den Flechten. Sie trotzten nicht nur der Trockenheit.
Es gelang ihnen zudem, mit speziellen Säuren die lebenswichtigen Mineralien aus dem blanken Fels zu lösen und so den ersten
Pflanzen buchstäblich den Boden zu bereiten. Diese Pflanzenpioniere ließen sich bei ihrem Marsch an Land von bestimmten Pilzen helfen, und bis heute sind die sogenannten Mykorrhizapilze
unentbehrlich für die Wälder und Grasländer unsere Erde. Somit basieren alle großen Ökosysteme unseres Planeten auf Symbiosen.
Das 6. Kapitel gehört den Ameisen. Diese faszinierenden Insekten übertreffen an Individuenzahlen und Biomasse alle anderen Tiere zusammengenommen und dominieren die Wälder,
Steppen und Wiesen auf allen Kontinenten. Auch ihr Erfolgsrezept heißt Kooperation – sowohl mit ihresgleichen, als auch
mit andersartigen Organismen: Jede der schätzungsweise
25 000 verschiedenen Ameisenarten führt ein soziales Leben in
arbeitsteilig organisierten Staaten. Zusätzlich unterhalten viele
Arten Symbiosen und andere Partnerschaften mit Bakterien, Pilzen, Pflanzen oder Schmetterlingen und pflanzensaugenden Insekten. Wanderhirtenameisen ernähren sich ausschließlich von
der »Milch« ihrer Läuse und ziehen wie Nomaden auf der Suche
nach den besten Weidegründen mit ihren »Kühen« umher. Blattschneiderameisen legen unterirdische Pilzgärten an, die sie düngen, jäten und abernten. Damit haben sie die Landwirtschaft erfunden, lange bevor es die ersten Menschen gab. Neben Insekten
gehen auch Fische und Vögel, Echsen und Säugetiere mehr oder
weniger enge Bündnisse mit anderen Tieren ein. Das 7. Kapitel
stellt eine Fülle solcher Zweckgemeinschaften vor: Zu ihnen zählt
der bekannte Clownfisch in der Seeanemone (Bild 12). Oder verschiedene Vögel, die in den Hautfalten von Büffeln oder Giraffen
nach Insektenmaden stochern und so ganz nebenbei die Körperhygiene der großen Weidetiere sicherstellen.
Tatsächlich pflegt auch der Mensch vielfältige Beziehungen zu
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anderen Organismen. Wir halten Nutztiere und pflanzen Obst
und Gemüse, um uns zu ernähren. Außerdem sind wir selbst Lebensraum für ein Heer von Mikroorganismen: Milliarden von
Bakterien bewohnen Haut und Haare, Mund und Magen, Darm
und Geschlechtsorgane. Wir sind besiedelt! Viele dieser winzigen Wesen tragen maßgeblich zu unserem Wohlbefinden und
unserer Gesundheit bei. Die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über unsere stillen Mitbewohner sind im 8. Kapitel
zusammengefasst. Welchen Nutzen wir auch für andere Bereiche
aus einem tieferen Einblick in das Wesen von Symbiosen ziehen
können, ist Thema des 9. Kapitels. Symbiosen halten alle lebenswichtigen Ressourcen für unsere Existenz bereit. Mit Verstand
eingesetzt, können Allianzen aus verschiedenen Lebewesen den
Ertrag in Land- und Forstwirtschaft erheblich steigern und so die
wachsende Erdbevölkerung ernähren. Außerdem bilden sie ein
schier unendliches Reservoir an biologisch aktiven Wirkstoffen,
mit denen wir Krankheiten behandeln und unser Wohlbefinden
fördern können. Im 10. und letzten Kapitel wird klar, dass das gesamte Leben auf unserer Erde durch Symbiosen gestaltet worden
ist. Wir sind Symbionten in einer symbiotischen Welt.
I OASEN IN DER FINSTERNIS
»Alvin« ist alles andere als eine Luxusjacht. Das U-Boot, Jahrgang 1964, ist für drei Personen ausgelegt – und dabei gerade mal
sieben Meter lang. Es gehört der US-Navy und wird betrieben
vom WHOI, dem Ozeanographischen Institut in Woods Hole,
Massachusetts. Besondere Kennzeichen: 16 Tonnen schwer, umhüllt mit einer fünf Zentimeter dicken Titanschicht, Sichtfenster
aus neun Zentimeter starkem Kunststoff, Atemluft für drei Tage.
Diese Ausstattung macht »Alvin« trotz mancher Unbequemlichkeit zu einem begehrten Gefährt. Denn es kann 4500 Meter
tief tauchen und seine Insassen in Regionen bringen, die kein
Mensch zuvor gesehen hat.
Im April 1966 konnte dank ›Alvin‹ eine Wasserstoffbombe
aus dem Mittelmeer geborgen werden, die wenige Wochen zuvor bei der Explosion eines amerikanischen B52-Bombers nahe
der spanischen Küstenstadt Palomares versunken war. 1977 ­sollte
das U-Boot einen weiteren Coup landen, diesmal im Dienste der
Wissenschaft: Damals nahm ein Team von Geologen, Chemikern
und Archäologen aus verschiedenen Forschungsinstituten mit
»Alvins« Mutterschiff Kurs auf die Galapagos-Inseln. In dieser
Region des Ostpazifiks findet der Meeresboden keine Ruhe. Die
Erdkruste zerfällt hier in drei Platten, die pro Jahr mehrere Zentimeter in verschiedene Richtungen voneinander wegstreben.
Dabei reißen Gräben und Spalten auf, durch die sich die heißen
Eingeweide der Erde ergießen. Magma quillt hervor, erstarrt im
kalten Meerwasser und türmt sich über eine Länge von mehreren
hundert Kilometern zu einem riesigen Unterwassergebirge auf.
Diesen Höllenschlund am zerrissenen Meeresgrund wollten
sich die Geologen aus nächster Nähe ansehen. Als Erste zwängten
sich Jerry von Andel von der Oregon State Universität und sein
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Doktorand Jack Corliss in das kleine U-Boot. Pilot Jack Donnelly ließ das Gefährt immer tiefer abtauchen. »Alvins« Scheinwerfer frästen Lichtschneisen in die absolute Finsternis. Messsonden erfassten die Beschaffenheit des Seewassers: Temperatur,
pH, chemische Bestandteile. Immer weiter hinab glitt das Boot
durch die endlose Wasserwüste. In 2400 Metern Tiefe stieß die
Crew schließlich auf felsigen Grund. Dort tat sich eine gespenstische Landschaft auf: Schlanke Röhren ragten mehrere Meter
weit in die Höhe, wie Fabrikschlote, aber verzweigt, mit langen
Fahnen aus einer Art schwarzem Rauch. Ein Name drängte sich
auf: Schwarze Raucher (Bild 1).
Die rauchenden Schlote gehören zu einer besonderen Art der
sogenannten Hydrothermalquellen. Es sind Fontänen aus ex­
trem heißer Flüssigkeit, angereichert mit großen Mengen von
schwefel- und stickstoffhaltigen Mineralien sowie Schwermetallen wie Arsen, Blei, Cadmium, Eisen, Gold, Kupfer, Mangan, Nickel und Zink. Die Unterwassergeysire entstehen, wenn kaltes
Meereswasser in die rissige Erdkruste eindringt und sich am heißen Gestein aus dem Erdinneren erhitzt. Normalerweise wird
Wasser ab hundert Grad zu Dampf. Doch unter dem gewaltigen Druck der Wassermassen bleibt die giftige Brühe noch mit
500 Grad Celsius flüssig. Weil sie leichter ist als das kalte und
deshalb dichtere Seewasser, schießt sie direkt aus dem heißen
Meeresboden nach oben. Und wenn sie reich an Eisensalzen ist,
färbt sie das Seewasser schwarz.
Der Fund war spektakulär, aber nicht unerwartet. Er bestätigte
nur, was Theorien und Modelle über die Spreizungszonen an den
Nahtstellen der Erdplatten voraussagten. Die eigentliche Überraschung stand den Forschern noch bevor. Denn plötzlich tauchten im Licht der Scheinwerfer Gebilde auf, die wie Muschelschalen aussahen. Da hätten sich wohl die Kumpels von der Navy ein
feines Abendessen geleistet und die Reste über Bord gehen lassen, witzelte Jack Corliss. Das Lachen verging ihm, als er sich die
Dinger genauer ansah: Es waren tatsächlich Muscheln. Sie waren
ungewöhnlich groß, manche über dreißig Zentimeter. Und sie
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lebten! Doch das war erst der Anfang. Am folgenden Tag wagte
sich Bob Ballard, Unterwasserarchäologe am WHOI, in die Tiefe.
Auch er fand die Muscheln. Dazu Seeanemonen. Und nie gesehene wurmartige Wesen in weißen Röhren, die beinahe zwei Meter in die Höhe ragten und an ihrem Ende purpurrote federartige Auswüchse in die heißen Quellen reckten. Sie wiegten sich im
Wasser wie Blumen im Wind. Die Taucher waren in dieser nassen,
lichtlosen Wüste auf eine Oase des Lebens gestoßen. Und so benannten sie ihre Entdeckung nach dem biblischen Garten Eden.
Die Geologen konnten es nicht glauben. Waren das wirklich
Tiere? Und wenn ja, wie konnten sie hier leben? In dieser Tiefe
herrscht absolute Dunkelheit, Tiere aber brauchen Licht. Denn
wie wir ernähren sie sich von anderen Lebewesen, sprich: von
organischem Material, sei es lebend oder tot oder schon in seine
Bestandteile zerlegt. Solches organische Material muss aus einfachen anorganischen Substanzen zusammengebaut werden, das
können nur Pflanzen, Algen oder bestimmte Mikroben. Nur sie
haben das nötige Blattgrün oder ähnlich komplexe ­Biomoleküle,
die über die Fotosynthese aus Kohlendioxid und Wasser verschiedene Kohlenhydrate – und damit Biomasse – aufbauen können. Die Forscher nahmen Proben von den eigenartigen Wesen,
zu denen das U-Boot sie geleitet hatte. Da das Mutterschiff keine
Konservierungsmittel an Bord hatte, mussten eben Wodka und
Gin aus der Bar herhalten. Ein Journalist erwähnte die Funde in
einem seiner Exkursionsberichte. »Wir erfuhren von den Tieren
erst durch die Presse«, erinnert sich Fred Grassle, damals Meeresbiologe in Woods Hole, und weiter: »Wir waren überrascht. Das
widersprach allem, was wir damals über die Tiefsee ­wussten«.
Nach der sensationellen Entdeckung bemühten sich Biologen
aus aller Welt, das Rätsel der Unterwasseroasen zu lösen. Wie
können diese Tiere ohne eine Lichtquelle leben? Wovon ernähren sie sich? Zunächst untersuchten sie die riesigen Würmer und
gaben ihnen den Namen Riftia pachyptila (Bild 2). Die weitläufigen Verwandten der Regenwürmer leben ausschließlich an Hydrothermalquellen, in selbst gebauten Röhren aus verhärtetem
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Eiweiß und Chitin, die sie niemals verlassen. Eine genaue Betrachtung ihres Körpers ergab, dass sie weder Mund, noch Darm
oder After haben. Schnell wurde klar, dass sich Riftia-Würmer
nicht selbst ernähren können. Vielmehr werden sie ernährt: von
Schwefelbakterien, die in ihrer Leibeshöhle leben. Dort besiedeln
die Mikroben in gewaltigen Mengen ein schlauchförmiges Organ. Knapp zehn Milliarden dieser winzigen Untermieter fanden
die Forscher in jedem Gramm von Riftias Eingeweiden.
Die Mikroorganismen haben die nötige Enzymausstattung,
um von dem zu leben, was die Hydrothermalquellen bieten:
Schwefelwasserstoff und seine gelöste Form, Sulfid. Das Gas
mit dem Geruch nach faulen Eiern wandeln sie mit Sauerstoff
in Sulfat um und gewinnen dabei chemische Energie. Und diese Energie benutzen sie dann, um Kohlendioxid zu Kohlenhydraten zusammenzubauen. »Chemosynthese« heißt der Prozess,
der letztlich zum gleichen Ergebnis führt wie die Fotosynthese,
aber kein Licht benötigt. Einen Teil der Kohlenhydrate verbrauchen die Bakterien selbst, vom Rest ernähren sich ihre Wirte. Die
Röhrenwürmer sind also vollkommen von den Bakterien abhängig. Und umgekehrt: Die Bakterien kommen nur mithilfe der
Riftia-Würmer an ihren Lebensquell, denn die Tiere suchen gezielt jene heißen Wassersäulen auf, die den für Mikroben lebenswichtigen Schwefelwasserstoff enthalten und filtern ihn mit ihren büschelförmigen roten Kiemen heraus. Deren Farbe erinnert
nicht von ungefähr an Blut: Tatsächlich enthalten sie eine Art
Hämoglobin, das unserem Blutfarbstoff ähnelt. Neben Sauerstoff
nimmt es auch Sulfid auf und transportiert es zu den Bakterien.
So bilden diese ungleichen Partner ein gemeinsames Ganzes.
Keiner der beiden könnte in der lebensfeindlichen Dunkelheit
existieren. Als Verbündete aber zaubern sie blühende Ökosysteme auf den lichtlosen Meeresgrund. Das Geheimnis dieser phantastischen Erfolgsgeschichte heißt: Symbiose.
Riftia ist keineswegs der bizarrste Bewohner der Schwarzen Raucher. Inzwischen haben Biologen über 300 verschiedene Tierarten beschrieben, die an den heißen Unterwasserquel18
len ihr Auskommen finden. Zum Beispiel den Pompejiwurm: Er
lebt in seiner dünnen Röhre an den rund achtzig Grad heißen
Außenwänden der Schwarzen Raucher. Das gut zehn Zentimeter
lange Tier wird ebenfalls von symbiotischen Bakterien gefüttert; allerdings trägt es seine Ernährer nicht im Körperinneren,
sondern auf dem Rücken. Oder augenlose Yetikrabben mit zehn
Zentimeter langen Scheren, die von dicht stehenden federartigen
Borsten bedeckt sind und massenhaft Bakterien beherbergen.
Von diesen Mikroben ernährt sich der Krebs; damit sie wachsen
und gedeihen, hält er seine Arme so nah wie möglich an die mineralreichen Quellen. Oder die im Indischen Ozean entdeckte
Schuppenfußschnecke: Ihre harte Schale enthält eine stark magnetische, seltene Eisenverbindung namens Greigit, die sie vor
den kräftigen Zähnen räuberischer Schnecken schützt und extrem hohem Druck von bis zu 250 Atmosphären standhält. Das
ungewöhnlich robuste Material dieses Schneckenpanzers weckt
nun Begehrlichkeiten beim amerikanischen Militär.
Je mehr Hydrothermalfelder überall in den Weltmeeren erforscht und je intensiver sie untersucht werden, umso mehr wird
auch über ihre lichtlosen Ökosysteme bekannt. So stach etwa
im Winter 2011/12 das britische Forschungsschiff »James Clark
Ross« Richtung Antarktis in See. Sein Ziel: die Heißwasserquellen der Schottischen See, 200 Seemeilen südöstlich der Insel Südgeorgien. Mit an Bord war Professor Alex Rogers von der Universität Oxford. Mit einem ferngesteuerten U-Boot suchte er
den Meeresboden ab und förderte zahlreiche unbekannte Tiere zutage: zum Beispiel eine neue Art von Yetikrabben und eine
vormals unbekannte Entenmuschel, die Bakterienkolonien auf
ihrem Filterapparat zu kultivieren scheint. Neben diesen symbiotisch lebenden Tieren entdeckte Rogers erstmals auch räuberische Seesterne und sogar Kraken. »Fast alle Arten und Gattungen, die wir gefunden haben, sind neu«, so das Fazit des Biologen.
»Jede Expedition bringt neue Erkenntnisse«, betont auch Professor Nicole Dubilier. Die Meeresbiologin ist Direktorin am
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen und
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leitet die Arbeitsgruppe Symbiose. Seit 2005 fährt sie mit den
deutschen Forschungsschiffen »Maria S. Merian« und »Meteor«
auf den Atlantik. Ihr Ziel ist der Mittelatlantische Rücken, einige hundert Kilometer westlich der Azoren. Das gigantische Unterwassergebirge zieht sich über 20 000 Kilometer lang in NordSüd-Richtung über den Meeresgrund und wird gesäumt von
ausgedehnten Hydrothermalfeldern, darunter »Lucky ­Strike«,
das bislang größte seiner Art. Nicole Dubilier konzentriert sich
auf ein Feld namens Logatchev. Ähnlich wie in den Tiefen des
Indischen und Pazifischen Ozeans lebt auch hier eine vielfältige Lebensgemeinschaft. Besonders zahlreich ist eine Tiefseemuschel namens Bathymodiolus puteoserpentis, deren Kiemen
von symbiotischen Bakterien besiedelt sind. Die Mikroben leben
im Inneren der Kiemenzellen und versorgen ihren Wirt via Chemosynthese mit Energie und Kohlenhydraten – genau wie die
Untermieter der Riftia-Würmer und Yetikrabben.
Allerdings nutzen sie dazu einen besonderen Trick. »Bisher
waren nur zwei Quellen bekannt, aus denen Bakterien via Chemosynthese energiereiche Kohlenstoffverbindungen herstellen:
Schwefelwasserstoff und Methan«, erklärt Nicole Dubilier: »Wir
haben eine dritte Quelle entdeckt, nämlich reinen Wasserstoff.«
Dieses Gas gibt es in den Logatchev Hydrothermalquellen reichlich – das hatte Dubiliers Kollege Thomas Pape vom Zentrum
für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen in
flüssigen Proben aus Schwarzen Rauchern nachgewiesen. »Ich
dachte mir, wenn da solche Mengen Wasserstoff sind, dann wäre
es doch sinnvoll, das als Energiequelle zu verwenden«, erinnert
sich ­Nicole Dubilier und beschreibt ein ebenso simples wie aufschlussreiches Experiment: »Wir haben einfach ein Stück Muschelkieme mitsamt seinen Bakterien in ein gasdichtes Glasfläschchen getan und einen Tag lang den Wasserstoff gemessen.
Nach 24 Stunden war deutlich weniger da als vorher. Das konnten nur die Bakterien verbraucht haben, denn nur sie – und nicht
die Muscheln – können Wasserstoff oxidieren und dadurch Energie gewinnen.« Möglich macht das ein besonderes Enzym na20
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