Wir setzen den Hebel früher an

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Report Aus der Region
Bilingualer Unterricht: Für fast alle Kinder geeignet
„Wir setzen den Hebel früher an“
Vor gut zwei Jahren erarbeiteten Dr. André Zimmermann, Molekularbiologe aus Tübingen, einige Eltern und das Lehrerkollegium ein Konzept
für die Hügelschule in Tübingen. Das Ziel: Englisch nicht nur als Fach, sondern als Unterrichtssprache in den Alltag der Grundschule zu integrieren. Das Projekt wurde seitens der Stadt Tübingen und des Kultusministeriums gefördert und unterstützt und läuft zunächst bis zum
Schuljahr 2011/2012. Wir sprachen mit André Zimmermann über seine Zukunft und Bedeutung für die Wirtschaft.
weder im Kindergarten noch in der Grundschule. Das Lernkonzept der Immersion
funktioniert anders als wir es als Erwachsene kennen.
WNA: Was ist mit den Kindern mit Migrationshintergrund? Sollten sie nicht erst einmal Deutsch lernen?
Zimmermann: Für diese Kinder ist das Konzept ebenfalls gut geeignet. Die Erfahrung
aus nun mehr als vier Jahren Kindergarten
und drei Jahren Grundschule zeigen, dass sie
wunderbar mitlernen, Deutsch und Englisch.
Zum einen haben sie häufig ein gutes
Sprachgefühl, weil sie schon mit zwei Sprachen aufwachsen. Zum anderen sitzen sie in
allen auf Englisch unterrichteten Fächern
mit den rein deutschsprachigen Kindern im
gleichen Boot, alle haben in Bezug auf Englisch die gleichen Start-Bedingungen.
WNA: Das Konzept ist bis zum Ende des
Schuljahrs 2011/2012 genehmigt. Wie geht
es dann weiter?
Dr. André Zimmermann mit seiner Tochter Lara, 8, die als eine der ersten Kinder das Modellprojekt durchläuft.
Foto: Zimmermann
WNA: Herr Dr. Zimmermann, was genau hat
es mit dem Konzept „Bilingualer Unterricht
an der Hügelschule“ auf sich?
Zimmermann: Wir wollen damit alle Kinder
ab einem frühen Zeitpunkt fördern, unabhängig davon, ob diese aus einem eher bildungsnahen oder bildungsfernen Umfeld
kommen, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, Es gibt immer wieder Konzepte, die
diese Schwachstelle des deutschen Bildungssystems verbessern wollen, aber nur
wenige haben dies geschafft. Deshalb haben
Eltern, Grundschule und Professor Piske von
der PH Schwäbisch Gmünd vor einigen Jahren angefangen, ein Konzept zu erarbeiten,
das auf dem des Kinderhauses Französische
Allee aufbaut. (Anm. d. Red.: Dort werden
die Kinder von deutschsprachigen Erzieherinnen auf Deutsch und von englischsprachigen Fachkräften auf Englisch betreut.)
Das Grundschulenglisch beschränkt sich
deshalb nicht wie üblich nur auf zwei Stunden pro Woche, sondern auf beinahe zwölf.
Mathe und Deutsch werden auf Deutsch
unterrichtet, alles andere auf Englisch.
16 WIRTSCHAFT Neckar-Alb
Mai 11
WNA: Und das funktioniert? Was ist mit Kindern, die nicht im Kinderhaus Französische
Allee waren und gar keine Englischkenntnisse besitzen?
Zimmermann: Das funktioniert hervorragend, auch mit Schülern aus anderen Kindergärten. Die Mischung der Kinder ist sogar
ein Vorteil. Der Unterricht wird zu Beginn
viel über Bilder, Mimik und Gestik gestaltet,
also sehr anschaulich. Nach zwei Jahren
merkt man zwischen den Kindern keinen
Unterschied mehr.
WNA: Wie können die Kinder Englisch lernen, wo sie doch gerade erst Lesen und
Schreiben auf Deutsch lernen?
Zimmermann: Die Kinder lernen über das
Hören, Verstehen, Nachmachen und Korrigieren. Im Kindergarten antworten sie zumeist auf Deutsch, in der Schule antworten
sie ab der 2. und 3. Klasse immer mehr auf
Englisch. Die Kinder entwickeln so ein
Sprachgefühl: Was klingt richtig, was nicht?
Vokabeln und Grammatik pauken gibt es
Zimmermann: Wir gehen nicht davon aus,
dass das Projekt dann zu Ende ist. Man sieht
ja den Erfolg. Wer einer bilingualen Unterrichtsstunde in der Hügelschule einmal beigewohnt hat, der erkennt dies sofort. Wir
sind eng im Kontakt mit dem Kultusministerium und gehen davon aus, dass es weitergeführt wird.
WNA: Gibt es noch Pläne für eine Erweiterung des Konzepts?
Zimmermann: Der bilinguale Unterricht darf
nach der Grundschule nicht aufhören. Deshalb sind wir mit weiterführenden Schulen
im Gespräch, zurzeit hauptsächlich mit Realschulen und Gymnasien. Haupt- und Werkrealschulen sollen folgen, sofern sich bis
dahin die Aufteilung der Schulen nicht verändert hat, wofür derzeit vieles spricht. Der
bilinguale Ansatz lässt sich in vielen Strukturen gut integrieren. Ziel des Kultusministeriums ist es, eine Verbindung von Kindergarten, Grundschule und weiterführenden Schulen zu schaffen. Ein durchgehendes
bilinguales Bildungsprofil soll etabliert werden und Tübingen ist auf dem besten Weg,
hierfür ein wesentlicher Standort in BadenWürttemberg zu werden.
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