Kostenfreie zertifizierte Fortbildung im Gesundheitswesen Basiskurs für Apotheker: Infektionen der Harnwege (HWI) QR-Code zu den Prüfungsfragen Bitte scannen Sie den Code mit einem QR-Reader auf Ihrem Mobilgerät. Einen geeigneten QR-Reader finden Sie unter www.barcoo.com Zertifiziert durch Akkreditiert von der Bundesapothekerkammer Redaktionelle Leitung Kerstin Depmer CGC – Cramer-Gesundheits-Consulting GmbH Rathausplatz 12 - 14 65760 Eschborn [email protected] Realisierung und Technik health&media GmbH Fraunhoferstraße 5 64283 Darmstadt www.arztcme.de Mit freundlicher Unterstützung von: Der Sponsor nimmt keinen Einfluss auf die zertifizierte Fortbildung Infektionen der Harnwege (HWI) Zertifizierte Fortbildung für Apotheker Einführung Harnwegsinfektionen – up to date Harnwegsinfektionen sind eine häufig anzutreffende Erkrankung: Etwa 50-70% der Frauen leiden mindestens einmal im Leben unter einer Entzündung der Harnröhre, der Harnblase, der Harnleiter und/oder des Nierenbeckens. Frauen sind dabei aufgrund ihrer anatomischen Gegebenheiten deutlich häufiger als Männer von Infektionen der oberen und unteren Harnwege betroffen. Bei Männern entwickeln sich Harnwegsinfektionen häufig erst, wenn andere urologische Vorerkrankungen wie z.B. eine Prostatavergrößerung (BPD/BPS) bestehen, die zu Störungen des Harnabflusses führen. Eine hämatogene oder lymphogene Genese spielt eine untergeordnete Rolle. Epidemiologie Frauen sind etwa viermal häufiger als Männer von einer Harnwegsinfektion betroffen. Innerhalb eines Jahres klagen 20% aller Frauen zwischen 20 und 54 Jahren über mindestens eine Episode von Schmerzen beim Wasserlassen. Meistens sind jüngere, sexuell aktive Frauen betroffen, seltener sind es Patientinnen zwischen 50 und 75 Jahren. In Altenheimen liegt die Prävalenz einer Bakteriurie dann zwischen 2550% bei Frauen. Beim Mann kommt es erst im Alter zwischen 60 und 70 Jahren zu einem Anstieg der Infekthäufigkeit. Ursache ist häufig eine Prostatavergrößerung im Sinne des „Altmännerleidens“mit Restharnbildung durch die schlechtere Entleerung der Harnblase. Die Prävalenz in Altenheimen liegt bei 1540% bei Männern. Erreger einer Harnwegsinfektion Typische Erreger eines Harnwegsinfektes (HWI) sind gramnegative Escherichia coli-Bakterien, die in etwa 80% der Fälle für Harnwegsinfektionen verantwortlich sind. E. coli scheinen sich dabei nicht, wie früher immer angenommen wurde, nur an die Schleimhautoberfläche der Harnwege zu heften, sondern vielmehr auch tatsächlich in das Gewebe einzudringen und sich dort zu vermehren. Dadurch können sich Keim-Reservoirs bilden, die vermutlich für ein Wiederaufflammen der Infektion mitverantwortlich sind. Weitere Erreger eines HWI sind Enterokokken, Proteus sp. und Staphylokokken. Nur in seltenen Fällen können auch Erreger über die Blutbahn bzw. das Lymphsystem die Harnwege erreichen. Abb. 1: Darstellung des harnableitenden Systems Typische Erreger ambulant erworbener Infektionen (Akute unkomplizierte Harnwegsinfektionen wie Harnblasenentzündung (Zystitis) und Nierenbeckenentzündung (Pyelonephritis)) Meist gramnegative Bakterien: Escherichia coli (bis zu 80% der Fälle), Staphylococcus saprophyticus (ca. 15%), Enterokokken (ca. 5%), Proteus mirabilis (ca. 5%), Klebsiella pneumoniae (5%) Weitere mögliche Erreger: • Pseudomonas aerguinosa (5%) • Staphylococcus aureus • Chlamydien • Mykoplasmen • Candida • Trichomonaden • Tuberkelbakterien • Gonokokken • Viren 2/9 Infektionen der Harnwege (HWI) Zertifizierte Fortbildung für Apotheker Abb. 2: Escherichia coli Abb. 3: Staphylokokken Nosokomiale Infektionen Krankenhauskeime, die nosokomiale Infektionen verursachen, sind häufig sehr hartnäckig und aufgrund ihrer Resistenzen nur schwer behandelbar. 30-50% aller nosokomialen Infektionen sind HWI. Anfällig für nosokomiale Infektionen sind besonders Personen, die sich einem urologischen Eingriff unterziehen mussten oder Patienten, bei denen eine Katheterisierung der Harnblase notwendig war. Bei älteren Patienten führt eine Bakteriämie infolge einer nosokomialen Harnwegsinfektion bei bis zu 5% der Betroffenen zum Tode. Bei einer Zystitis imponieren die Symptome Schmerzen beim Wasserlassen (Dysurie), häufiger und/oder imperativer Harndrang (Pollakisurie) und Schmerzen im Unterleib. Eine entzündete Harnröhre kann auch mit einem Jucken oder Brennen in der Harnröhre verbunden sein. Weitere Zeichen einer Entzündung der Harnblase bzw. der Harnröhre sind Blut im Harn (Hämaturie), Trübungen oder übler Geruch. Manche Patienten mit einer HWI beklagen auch einen eitrigen, schleimigen Ausfluss aus der Harnröhre. Kinder und geriatrische Patienten haben eher unspezifische Symptome. Ursachen und Risikofaktoren Die Ursachen für Harnwegsinfektionen bei der Frau sind vielfältig: • fehlende restharnfreie Entleerung • vesikoureteraler Reflux • Detrusorschwäche, Detrusorinstabilität • neurogene Blasenentleerungsstörung • gestörte Mukosaimmunität • mangelnde Pflege, Hygiene und Obsorge der Patienten • Schaumbäder • Frieren und Schwimmen Die Ursachen für Harnwegsinfektionen beim Mann sind: • Urethritis • chronische Prostatitis Das Infektionsrisiko ist zudem bei fortgeschrittenem Alter, bei Frauen durch bestimmte Verhütungsmethoden, bei einem aktiven Sexualleben oder Östrogenmangel (Postmenopause) erhöht. Aber auch urologische Erkrankungen bzw. Fehlbildungen oder eine allgemeine Abwehrschwäche können eine Keimbesiedlung der Harnwege begünstigen. Einteilung Akute, unkomplizierte untere Harnwegsinfektionen Unkomplizierte Harnwegsinfekte betreffen den unteren Harntrakt. Es liegen hier keine funktionellen oder anatomischen Anomalien oder Nierenfunktionsstörungen und auch keine Begleiterkrankungen (Risikofaktoren) vor. Abb. 4: Typische Patientin mit akuter Harnwegsinfektion: Der Drang zur Toilette ist quälend Fachbegriffe Dysurie:erschwertes und/oder unangenehmes bzw. schmerzhaftes Wasserlassen Pollakisurie: häufiges Wasserlassen in kleinen Mengen Dranginkontinenz: ungewollter und drangbedingter Urinverlust Hämaturie:Blut im Urin 3/9 Infektionen der Harnwege (HWI) Zertifizierte Fortbildung für Apotheker Akute, komplizierte obere Harnwegsinfektionen Komplizierte Harnwegsinfekte sind Infektionen der oberen Harnwege (Nierenbeckenentzündung/Pyelonephritiden) und Infektionen bei Patienten mit besonderen Risikofaktoren. Harnwegsinfekte bei Kindern (Jungen und Mädchen) gelten grundsätzlich als kompliziert, da anatomische oder funktionelle Anomalitäten mit Harnabflussstörungen (Reflux) ursächlich sind. Auch HWI bei Männern müssen immer als kompliziert betrachtet werden, da die Erreger nicht sicher vorhergesagt werden können und eine Prostatabeteiligung nicht selten ist. Bei Schwangeren besteht die Gefahr einer Pyelonephritis mit schwerem Verlauf. Symptome einer Pyelonephritis sind neben Dysurie und Pollakisurie Flankenschmerzen, ein klopfdolentes Nierenlager und Temperaturen über 38,5 Grad C (Fieber/ Schüttelfrost). Weitere Symptome sind Übelkeit und Erbrechen (selten Durchfall). Wichtige Symptome • Beschwerden bei der Blasenentleerung: Schmerzen, Harndrang, häufige Blasenentleerung, geringe Ausscheidungsmengen • Unterbauchschmerzen (über dem Schambein) • Urinveränderungen: Trübung, unangenehmer Geruch, Blut im Urin • Zusätzliche mögliche Beschwerden bei einer Nierenbeckenentzündung: Fieber, Krankheitsgefühl, Flankenschmerzen, klopfdolentes Nierenlager Chronisch rezidivierende Harnwegsinfektionen treten bei bis zu 30% der Frauen eine gewisse Zeit nach einer akuten Harnwegsinfektion auf. Folge kann eine chronische Schädigung der Harnwegsschleimhaut sein. Bei postmenopausalen Frauen mit rezidivierenden HWI sollte eine Östrogensubstitution (z.B. lokal mit östrogenhaltigen Vaginalcremes oder systemisch) eingeleitet werden. Diagnose Anamnese Zu Beginn der Diagnostik steht die Anamnese. Folgendes sollte erfragt werden: • Miktionsbeschwerden • Dauer und Stärke der Symptome (Schmerzen, Fieber, Krankheitsgefühl) • Grad der Beeinträchtigung durch die Beschwerden • Vorhergehende Harnwegsinfekte • Komplizierende Faktoren • Zusammenhang mit Geschlechtsverkehr, Kontrazeption (Diaphragma) • Vaginaler Ausfluss • Erklärung der Patientin für ihre Beschwerden Urinuntersuchung Im Zentrum der Diagnostik steht die Untersuchung des Urins. Mittelstrahlurin wird gewonnen und im Labor mittels Teststäbchen untersucht. Risikofaktoren, die zu komplizierten HWIs führen können • Diabetes mellitus • Immunsuppression • Anatomische Fehlbildungen der Harnwege • Krankenhausaufenthalte • Katheter • Operation/Manipulation an den Harnwegen • Nierenbeckenentzündung • >7 Tage anhaltende Beschwerden Sonderformen Sonderformen sind • die asymptomatische Bakteriurie (ABU) oder auch • rezidivierende Harnwegsinfekte (mehr als 3 Infektionen/Jahr oder 2 Infektionen in 6 Monaten) Die ABU hat eine deutliche Zunahme im Alter und steht im Zusammenhang mit der sexuellen Aktivität. Die Prävalenz einer asymptomatischen Bakteriurie (ABU) in der Schwangerschaft beträgt 4-11%. Sie erhöht das Risiko einer Pyelonephritis und ist daher bei diesen Patienten behandlungsbedürftig. Fraglich sind Frühgeburten, niedriges Geburtsgewicht und Retardierung. Daher sollte zumindest einmal in der Schwangerschaft mittels Urinkultur (Teststreifen reicht nicht) auf ABU untersucht werden. Bei Frauen über 70 Jahre steigt die Prävalenz deutlich an, bei Lage eines Dauerkatheters kann sie bei 100% liegen. Abb. 5: Urinuntersuchung 4/9 Infektionen der Harnwege (HWI) Zertifizierte Fortbildung für Apotheker Urinkultur Um eine eindeutige Diagnose zu stellen, ist bei entsprechendem Beschwerdebild eine quantitative Urinkultur unerlässlich (Goldstandard). Die Erreger werden differenziert und quantitativ bestimmt. Die Sensibilität bzw. Resistenzlage gegenüber Antibiotika wird im Antibiogramm ermittelt. Antibiotikatherapie Bei fiebrigen Infektionen und bei Entzündungen der oberen Harnwege (Nierenbeckenentzündung) ist der Einsatz von Antibiotika meist unumgänglich. Die Auswahl richtet sich nach dem individuellen Risiko der Patienten, dem Erregerspektrum und der Empfindlichkeit, der Effektivität der Substanz und den epidemiologischen Auswirkungen und Nebenwirkungen. Abb. 7: Uroflow-Gerät Blasenspiegelung Bei besonders hartnäckigen Harnwegsinfektionen ist eine Zystoskopie (Blasenspiegelung) indiziert. Abb. 6: In sterilen Behältern wird Mittelstrahlurin aufgefangen und dann bakteriologisch untersucht. Nierenfunktion Bei Verdacht auf eine Pyelonephritis erfolgt zusätzlich eine Überprüfung der Nierenfunktion durch Bestimmung von Kreatinin und Isotopenclearance. Ultraschalluntersuchung Eine zusätzliche Sonografie von Blase und Niere erfolgt zur Kontrolle der anatomischen Verhältnisse. Röntgen Bei schwierigen Verläufen werden auch Röntgenuntersuchungen bzw. eine Computer- oder Kernspintomografie für die weitere Abklärung notwendig. Blasendruckmessung Neben der Messung des Harnstrahls (Uroflow) kann auch eine Urodynamik oder Zystomanometrie indiziert sein. Gynäkologische Untersuchung Bei postmenopausalen Frauen sollte eine gynäkologische Untersuchung, bei Frauen mit wiederkehrenden Harnwegsinfekten ein Vaginalabstrich erfolgen. Sonderfall Kinder Bei Kindern (Jungen und Mädchen unter 12 Jahren) müssen beim ersten HWI, ggf. nach Anlage einer Kultur und Beginn einer Therapie anatomische Anomalien und ein vesikoureteraler Reflux ausgeschlossen werden. Resistenzen In den vergangenen Jahren wurde eine deutliche Zunahme der Resistenzen der Keime gegenüber den verfügbaren Antibiotika beobachtet. In Deutschland beträgt die Resistenz von E. coli gegenüber Trimethoprim/Sulfamethoxazol bereits 29% und gegenüber Fosfomycin etwa 5%. Bei nosokomialen Infekten der Harnwege sind nicht selten MRSAStämme (Methicillin-resistente Staphylococcus aureus) beteiligt. Diese sind gegenüber allen BetaLactam-Antibiotika (Penicilline, Cephalosporine und Carbapeneme) resistent. Häufig bestehen auch Resistenzen gegenüber Chinolonen (94%), Clindamicin (66%) und Makrolidem (72%) (RKI, 2007). Damit sind fast alle oralen Antibiotika der ersten Wahl bei MRSA unwirksam und eine Therapie schwierig. Therapie Grundsätzlich sollten Harnwegsinfektionen von einem Arzt behandelt werden, da unbehandelt immer die Gefahr einer aufsteigenden Infektion besteht. Therapie der Wahl ist in den meisten Fällen eine gezielte Antibiose. Bei starken Schmerzen können zusätzliche Schmerzmittel eingesetzt werden. Zahlreiche sanfte Mittel können den Behandlungserfolg unterstützen. 5/9 Abb. 8 Typische Antibiotika Die Wahl des Antibiotikums sollte sich nach der Harnkultur und dem Antibiogramm richten. Infektionen der Harnwege (HWI) Typische Antibiotika zur Erstbehandlung einer unkomplizierten Zystitis* (Erstlinientherapie gemäß der S3-Leitlinien „Unkomplizierte Harnwegs-infektionen“) • Fosfomycin Trometamol (Single Shot-Therapie möglich: 3000 mg) • Pivmecillinam (200 mg/2 x tägl.) • Nitrofurantoin (100 mg/3-4x tägl.) Zertifizierte Fortbildung für Apotheker unkomplizierten Harnblasenentzündung meist eine AntibiotikaBehandlung mit Fosfomycin-Trometamol oder Cephalosporinen (2. und 3. Gruppe) und bei einer Nierenbeckenentzündung mit Cephalosporinen (2. und 3. Gruppe). Fluorchinolone und Trimethoprim/ Sulfamethoxazol sind bei schwangeren Frauen nicht erlaubt. Abb. 9 * Diese Empfehlung trägt der zunehmenden Resistenzentwicklung der Fluorchinolone Rechnung Weitere Möglichkeiten: • Carbapeneme: bei Enterobakterien mit Extended Spektrum Beta-Laktamase (resistent gegenüber Penicillin, Cepaholosporin, ggfs. Ciprofloxacin) • Fluorchinolone (Ciprofloxacin, Levofloxacin): erhöhtes Resistenzrisiko (wird in aktuellen S3-Leitlinien nicht mehr zur Erstlinientherapie empfohlen) • Cotrimoxazol: Derzeit noch immer das am häufigsten verschriebene Antibiotikum bei HWI. Auf Grund der Resistenzsituation jedoch nur noch in Gebieten empfohlen, in denen die lokale Resistenzrate unter 20% liegt Typische Antibiotika zur Behandlung einer akuten unkomplizierten Nierenbeckenentzündung Erstlinientherapie • Fluorchinolone (hochdosiert) Weitere Möglichkeiten: • Aminopenicillin (in Kombination Beta-Lactamase-Inhibitor) • Cephalosporine mit einem Therapiedauer Akute unkomplizierte Harnblasenentzündung (Leitlinienempfehlung: 1-3 Tage, Ausnahme: ältere Personen in Heimen, dann 7 Tage): 1 Tag Fosfomycin 1x 3000 mg oder 5-7 Tage Nitrofurantoin 2x 100 mg (retard) oder 3-4x 100 mg 7 Tage Pivmecillinam 2x 200 mg Chronisch rezidivierende Harnblasenentzündung: 1-7 Tage (ggfs. 14 Tage bei frühem Rückfall) Akute, umkomplizierte Nierenbeckenentzündung: 5-10 Tage Fluorchinolone: Ciprofloxacin 2x 500-750 mg (7-10 Tage), Levofloxacin 1x 500 mg (7-10 Tage), Levofloxacin 1x 750 mg (5 Tage) Spezialfall Schwangerschaft Schwangere haben ein erhöhtes Harnwegsinfektionsrisiko. HWI führen bei diesen Frauen zudem häufig zu Komplikationen. Daher erfolgt bei einer Rezidivprophylaxe Allgemeine Prophylaxe • Ausreichende Trinkmenge (mind. 2 Liter/d) (Kontraindikationen wie z.B. Herzinsuffizienz beachten) • Vollständige, regelmäßige Entleerung der Blase • Miktion nach Geschlechtsverkehr • ggfs. Behandlung einer Obstipation • Keine übertriebene Genital-“Hygiene“, welche die körpereigene Vaginalflora zerstört (Vermeidung von „Intimsprays“ u.ä.) • ggfs. Wechsel der kontrazeptiven Methode (Vermeiden von Scheidendiaphragmen, Spermiziden) • Wärmeapplikation bei Schmerzen (level of evidence IV) • Bei Neigung zu rezidivierenden HWI: Vermeiden von Unterkühlung Antibiotische Rezidivprophylaxe Eine antibiotische Rezidivprophylaxe ist meist mit Trimethoprim als Monosubstanz bzw. Trimethoprim/Sulfonamid, Nitrofurantoin oder oralen Cephalosporine bzw. Aminopenicillin/β-Lactamasehemmer-Kombinationen möglich. Anticholinergika zur Verbesserung der Detrusor-/ Sphinkter-Funktion bei zu geringer Speicherkapazität sowie α-Sympathikolytika und Cholinergika bei unzureichender Entleerung werden ebenfalls eingesetzt. Schmerzmittel Bei sehr starken Beschwerden kann durch die Gabe von Analgetika und/oder Spasmolytika eine rasche Linderung erzielt werden. Phytotherapeutika Sanfte Mittel können den Therapieerfolg unterstützen. Pflanzen können z.B. Substanzen beinhalten, die eine antibiotikaähnliche Wirkung besitzen. So sind z.B. Senföle antibiotisch wirksam, schonen aufgrund der Resorption im oberen Darmtrakt die Darmflora und sind gut verträglich. Nebenwirkungen können gänzlich fehlen oder sind oftmals nur gering. Außerdem besteht nicht die Gefahr, dass die behandelten Patienten eine Resistenz gegenüber diesen Wirkstoffen entwickeln. Für diese Substanzen konnte in vitro auch die Wirksamkeit gegen so genannte Problemkeime wie MRSA und P. aeruginosa nachgewiesen werden. Senföle können daher ebenfalls zur Behandlung von leichten Harnwegsinfektionen ohne weitere komplizierende Faktoren eingesetzt werden. 6/9 Infektionen der Harnwege (HWI) Zertifizierte Fortbildung für Apotheker Senfölglykoside In bestimmten Pflanzen findet man Vorformen der Senföle, sogenannte Glucosinolate (Senfölglykoside). Sie kommen besonders reich in der Familie der Kreuzblütler (Brassicaceae) und verwandten Gewächsen vor. Zu den bekannten Vertretern gehören Meerrettich, Radieschen, Senf und Kresse. Bei den inaktiven Senfölvorformen handelt es sich um so genannte sekundäre Pflanzenstoffe. Die Pflanzen produzieren sie zu ihrem eigenen Schutz, z.B. vor Fraßschäden durch Schädlinge oder als Abwehr gegen krankmachende Kleinstorganismen. Die wichtigsten Spaltprodukte der Senfölvorformen von Meerrettich und Kapuzinerkresse sind nach derzeitigem Kenntnisstand die so genannten Isothiocyanate, die für die antibiotische Wirkung hauptverantwortlich sind. Wirksamkeit Die aktiven Senföle wirken gegen Viren, Bakterien und Pilze. Sie hemmen das Wachstum dieser Erreger. In hohen Dosierungen kann eine Senfölform, das Benzylsenföl (Kapuzinerkresse), auch Bakterien abtöten. Außerdem können aktive Senföle, insbesondere die der Kapuzinerkresse, das Immunsystem anregen und so die körpereigene Abwehr bei der Bekämpfung der Erkrankung unterstützen. Senföle haben auch die Fähigkeit, giftige Stoffe, die Bakterien ausscheiden, zu neutralisieren. Kombinierte Gabe von 80 mg Meerrettichwurzel plus 200 mg Kapuzinerkresse Die antimikrobielle Wirkung von Isothiocyanaten der Meerrettichwurzel (Allylsenföl, 2-Phenylethylsenföl) und der Kapuzinerkresse (Benzylsenföl) konnte in verschiedenen Studien für verschiedene Erreger nachgewiesen werden. Es konnte auch gezeigt werden, dass selbst solche Erreger empfindlich gegenüber Senfölen waren, die eine Antibiotika-Resistenz aufgebaut hatten. Des weiteren liegen auch Hinweise für einen prophylaktischen Effekt einer Behandlung mit Senfölen aus Kapuzinerkresse und Meerrettich bei rezidivierenden Harn­wegsinfekten vor. Abb. 11: Kapuzinerkresse Birkenblätter (Betulae folium), Hauhechelwurzel (Ononidis radix), Orthosiphonblätter (Orthosiphonis folium), Petersilienwurzel/-kraut (Petroselini radix/ herba), Goldrutenkraut (Solidaginis virgaureae herba) oder Löwenzahnwurzel mit Kraut (taraxaci radix cum herba) in Tees. Diese Substanzen dienen der Durchspültherapie. Mögliche Wirkmechanismen sind eine Steigerung der glomerulären Filtrationsrate, osmoregulative/osmodiuretische Wirkung durch Hemmung der Wasserrückresorption im Sammelrohr sowie ein Einfluss auf den endokrinologischen Regelmechanismus. Auf Grund fehlender Untersuchung an Schwangeren und während der Stillzeit sowie Kindern, sollten diese Pflanzen nicht angewendet werden. Wirksamkeit gegen Keime, die Harnwegsinfektionen verursachen Ausgeprägte Wirkung (gramnegativ): Escherichia coli, Pseudomonas aeruginosa Ausgeprägte Wirkung (grampositiv): Staphylococcus aureus (MSSA und MRSA), Staphylococcus pyogenes. Abb. 12: Birkenblätter dienen der Durchspültherapie Bärentraubenblätter Die Wirkung der Bärentraubenblätter beruht auf dem Prodrug Arbutin. Dieses wird nach oraler Zufuhr vermutlich nur zu einem geringen Teil resorbiert und intestinal zu Hydrochinon und Glukose hydrolysiert. Nach der Resorption erfolgt die Entgiftung durch die Bindung an Glucuron- und Schwefelsäure und die Ausscheidung mit dem Harn. Weder Glukuronid noch Schwefelsäureester des Hydrochinons haben antibakterielle Eigenschaften. Alkalisch reagierender Harn führt zu partieller Abb. 10: Meerettichwurzel 7/9 Infektionen der Harnwege (HWI) Zertifizierte Fortbildung für Apotheker Verseifung der Konjugate, erst das unmittelbar gebildete Hydrochinon wirkt antibakteriell. Die für die Wirksamkeit des Arbutins notwendige Alkalität des Harns lässt sich durch pflanzliche Kost – bestehend aus Milch, Gemüse, besonders Tomaten, Früchten, Kartoffeln, Fruchtsäften – oder durch die Gabe von 6 bis 8 g Natriumhydrogencarbonat/Tag erreichen. Die maximale antibakterielle Wirkung wird etwa 3 bis 4 Stunden nach Gabe des Tees erreicht. Die diuretische Wirkung konnte im Tierversuch nachgewiesen werden. Dauer der Anwendung: max. eine Woche, maximal 5x pro Jahr aufgrund der Hepatotoxizität von Hydrochinon/Arbutin Unterstützende Mittel und Verfahren Vitamin C Ein bis zwei Gramm Vitamin C oral täglich säuern den Urin an und hemmen so das Bakterienwachstum. Vitamin C bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen ist leider ein Mythos. Preiselbeere Preiselbeeren hemmen die Adhärenz von Bakterien und fördern damit die natürlich vorgesehene Ausschwemmung durch den Urin. Bakterien werden gehindert anzudocken und in die Blasenwand einzudringen. Der darauf folgende Verkapselungs- und Vermehrungsschritt wird auf ein Ausmaß reduziert, das der körpereigenen Abwehr die Chance gibt, mit den Erregern leichter fertig zu werden. Dabei treten weder Resistenzen noch Störungen der natürlichen Darmflora auf. Die wirksamen Inhaltsstoffe - Anthocyane - werden über die Nieren ausgeschieden und können über den Harn die Bakterien erreichen. Nach ca. 2 Stunden ist der Wirkungseintritt zu erwarten, nach zehn Stunden (bei einmaliger Gabe) nimmt die Wirkung wieder deutlich ab. Untersuchungen zu Folge sind höhere Dosen oder häufigere Gabe sinnvoll. Bei den meisten Preiselbeerpräparaten wie Preiselbeer-Tabletten, -Granulat, -Konzentrat, -Presssaft etc. handelt es sich um diätetische Lebensmittel. Methionin Die Wirksamkeit von L-Methionin in der Urologie beruht auf der Ansäuerung des Harns und der Hemmung der Adhäsion von pathogenen Keimen an das Urothel. Eine ständige Zufuhr von L-Methionin erhöht den Anteil an Protonen, die in freier Form mit dem Endharn ausgeschieden werden. Dabei wird der Harn angesäuert. Ein leicht saurer pH-Wert des Harns wirkt direkt bakteriostatisch auf uropathogene Keime. Literaturangaben zufolge ist eine Keimreduktion um bis zu 50% erreichbar. Aromatherapie Bei Wacholderbeeren (Juniperus communis) zur Durchspülungstherapie wurde im Tierversuch eine ausgeprägte diuretische Wirkung nachgewiesen, die in erster Linie auf den Gehalt an Terpinen-4-ol zurückzuführen ist. Der aquaretische (und nicht saluretische) Effekt dürfte über eine Mehrdurchblutung der Niere ausgelöst werden. Bei langandauernder Anwendung oder bei Überdosierung könnten Nierenschäden auftreten. Vitamin D Ein Mangel an Vitamin D bewirkt ein gestörtes Immunsystem und damit eine allgemeine Infektanfälligkeit. Bei Menschen mit Nierenleiden ist die Umwandlung von Vitamin D in seine aktiven Formen vermindert. Bakterienlysate E.coli (Urovaxom) stimuliert die zelluläre und humorale Immunität, wodurch es zu einer verstärkten lokalen Immunantwort im Bereich der Harnwege kommt. Homöopathie • Aconitum napellus: heftige, schneidende oder reißende Schmerzen mit ständigem Harndrang • Pulsatilla: wiederkehrende Blasenentzündungen • Dulcamara: Reizblase infolge feuchtkaltem Wetter • Lytta vesicatoria (Cantharis): hochakuter Harnwegsinfekt • Berberis: Schmerzen in Nierengegend, vermehrter Harndrang • Strychnos Nux Vomica: Reizblase infolge von Stress oder Erkältung; Wärme und Ruhe bessern Schüßler Salze Harnwegsentzündung Ferrum phosphoricum Nr. 3 Natrium chloratum Nr. 8 Natrium phosphoricum Nr. 9 Calcium sulfuricum Nr. 12 Lithium chloratum Nr. 16 Sitzbäder mit Mineralstoffen Ferrum phosphoricum Nr. 3 Natrium chloratum Nr. 8 Natrium phosphoricum Nr. 9 Lithium chloratum Nr. 16 Abb. 13: Wacholderbeeren wird eine diuretische Wirkung nachgesagt 8/9 Infektionen der Harnwege (HWI) Zertifizierte Fortbildung für Apotheker Literatur Apothekertipp Tipps des Apothekers an seine Kunden • „Trinken Sie mindestens 2 Liter Flüssigkeit täglich.“ • „Wenn Sie Antibiotika nehmen, sorgen Sie für eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr über den Tag.“ • „Leeren Sie Ihre Blase jedes Mal vollständig, wenn Sie Harndrang verspüren.“ • „Gehen Sie sofort zum Arzt, wenn Sie akute Rückenschmerzen spüren oder Fieber bekommen.“ • „Meiden Sie als Frau alle spermienabtötenden Cremes, Intimsprays, Intimspülungen und Scheidendiaphragmen. Auch überzogene „Genitalhygiene“ mit zu viel Seife bringt Ihre Vaginalflora durcheinander.“ • „Durch den Geschlechtsverkehr können Bakterien über die Harnröhre in die Blase gelangen und Harnwegsinfekte auslösen. Entleeren Sie daher die Blase nach dem Verkehr, das kann oft verbeugen helfen.“ • „In aller Regel ist die Antibiotikabehandlung eines Harnwegsinfekts nebenwirkungsfrei. Bei Beschwerden wenden Sie sich bitte an Ihren behandelnden Arzt.“ • „Bei Schmerzen hilft Wärme mit einer Wärmflasche oder einem erwärmten Kirschkernsäckchen.“ • „Wohltuend sind auch feuchte Wickel. Dazu ein feuchtes, warmes Handtuch auf den Unterleib legen und darüber die Wärmflasche. Ganz wichtig: Bettruhe. Und nicht etwa mit Wärmflasche oder feuchtem Wickel vor dem Computer weiterarbeiten.“ • „Für die Zukunft: Nach dem Schwimmen den nassen Badeanzug gegen einen trockenen tauschen, nur auf warmem Untergrund sitzen, sich möglichst mit einem Kissen behelfen, kalten Füßen mit Strümpfen vorbeugen und Belüftungen von unten, zum Beispiel in Büroräumen, abdecken.“ 1. S3 Leitlinien „Unkomplizierte Harnwegsinfektionen“ 2009; F.M.E. Wagenlehner und die Leitliniengruppe S3-Leitlinie Harnwegsinfektionen. Dt. Ges. für Urologie 2. Moura A, Nicolau A, Hooton T, Azeredo J. Antibiotherapy and pathogenesis of uncomplicated UTI: difficult relationships. J Appl Microbiol 106 (2009): 1779-1791 3. Ksycki MF, Namias N. Nosocomial urinary tract infection. Surg Clin North Am 89 (2009): 475-481 4. Nicolle LE. Uncomplicated urinary tract infection in adults including uncomplicated pyelonephritis. Urol Clin North Am 35 (2008): 1-12 5. Wagenlehner FM, Weidner W, Naber KG. 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