Simulation und heuristische Suche für die Werkstattsteuerung Dipl.-Ing. M. Schulz Einleitung Bisher liegt die Mehrzahl von Anwendungen der diskreten Simulation im Bereich der off-line Untersuchung von existierenden oder geplanten Fertigungssystemen. Bei derartigen Simulationsprojekten geht es meist um die Bewertung unterschiedlicher Systementwürfe, die Anordnung und Auslegung von Systemressourcen (Maschinen, Pufferkapazitäten, Transportmittel) oder die Bewertung von Steuerstrategien und Prioritätsregeln. Bei einer Reihe von Aufgaben ist das für die erwähnten Simulationsanwendungen typische Vorgehen nicht praktikabel, da sehr schnelle Entscheidungen erforderlich sind, z.B. im Störungsmanagement. Soll im Störungsfall die Simulation als Mittel zur Entscheidungsunterstützung verfügbar sein, macht das eine Kopplung zwischen einem bereits vorhandenen Modell und der Betriebsdatenerfassung erforderlich, um im Bedarfsfall das Modell mit den aktuellen Zustandsdaten aus der Fertigung versorgen zu können. Das so erzeugte Szenario im Simulationsmodell erlaubt dann die Bewertung verschiedener Strategien als Reaktion auf die eingetretene Störung, z.B den Ausfall einer Maschine. Doch es gibt außerdem Problemstellungen, bei denen auch das simulationstypische Experimentieren zur Bewertung von einzelnen Alternativen und die anschließende Auswahl der besten Lösung nur bedingt sinnvoll ist. Die Ursache dafür liegt in der Komplexität bestimmter Probleme, wie es auch beim Problem der Werkstatt- oder Maschinenbelegung der Fall ist. Trotz dieser Tatsache bieten die bekannten kommerziellen Wekzeuge (z.B. [CIM-94], [THO-92]) zur simulationsgestützten Feinplanung keine anderen Möglichkeiten als die gängigen Terminierungsverfahren. Zwar erfolgt so durch die Kopplung zwischen elektronischer Plantafel und Simulation eine genauere Bewertung der jeweiligen Belegungspläne, aber deren tatsächliche Qualität gegenüber optimalen Lösungen bleibt unbekannt. Das Werkstattbelegungsproblem Das Werkstattbelegungsproblem besteht darin, bei gegebener technologischer Reihenfolge für eine Anzahl von Aufträgen deren organisatorische Reihenfolge festzulegen. Das Ergebnis ist die Reihenfolge, in der die n Aufträge auf den m Maschinen bearbeitet werden. Dabei lassen sich zwei Problemklassen unterscheiden: •allgemeines Werkstattbelegungsproblem (Job-Shop-Problem) •Werkstattbelegung bei Fließfertigung (Flow-Shop-Problem) Bei Job-Shop-Problemen sind n Aufträge auf m Maschinen zu fertigen, wobei für jeden Auftrag eine spezifische Maschinenfolge vorgegeben ist. Es ist nicht notwendig, daß jeder Auftrag auch auf jeder Machine bearbeitet wird. Jeder Maschine ist ein Puffer vorangestellt. Innerhalb dieser Puffer kann eine Umsortierung der wartenden Aufträge erfolgen ("Überholen"). Die Reihenfolge des Eintreffens von Aufträgen an der jeweiligen Maschine ist damit nicht zwingend identisch mit der Reihenfolge der Bearbeitung. Diese Problemklasse stellt den allgemeinsten Fall der Reihenfolgeplanung dar. Die übrigen Problemklassen werden durch Restriktionen aus diesem allgemeinsten Fall abgeleitet. Die Fließfertigung unterscheiden sich vom allgemeinen Fall der Werkstattbelegung dadurch, daß alle Aufträge die Fertigungswerkstatt in der gleichen Bearbeitungsreihenfolge durchlaufen. Bei dieser identischen Reihenfolge der Maschinenbelegung können jedoch die einzelnen Bearbeitungszeiten völlig unterschiedlich sein. Die Fließfertigung läßt es außerdem zu, daß die Reihenfolge der Aufträge geändert wird, während mehrere Aufträge im Puffer vor einer Maschine warten. Beim Permutations-Flow-Shop-Problem wird die Möglichkeit des "Überholens" während des Auftragsdurchlaufs ausgeschlossen. Damit bleibt die Reihenfolge, in der die n Aufträge an der ersten Maschine bearbeitet werden, während des gesamten Auftragsdurchlaufs erhalten. Abb. 1 verdeutlicht das Problem verschiedener Auftragsreihenfolgen bei einer solchen Fließfertigung und ihre Auswirkung auf die Gesamtdurchlaufzeit a) Maschine 1 A B Maschine 2 A C D E B C A D B A D E b) Maschine 1 Maschine 2 E C E B C D Abb. 1: Gantt-Diagramm für 2 Belegungspläne mit 5 Aufträgen auf 2 Maschinen Selbst im einfachen Fall einer Fließfertigung läßt sich anhand der Untersuchung nur weniger Auftragsreihenfolgen kaum eine Aussage über eine möglichst günstige Reihenfolge finden. Das ist der Fall, da der mögliche Lösungsraum extrem groß ist und die Bewertung einiger Lösungen keinen Rückschluß auf deren Güte erlaubt. Bei einer Fließfertigung ergibt sich die Anzahl der möglichen Auftragsreihenfolgen aus der Anzahl der n! Permutationen der n Aufträge. Das sind bereits bei 10 Aufträgen 3 628 800 mögliche Reihenfolgen, wobei dieser Zahl bereits die Restriktion zugrunde liegt, daß die Einlastreihenfolge beim Fertigungsdurchlauf unverändert bleibt. Tabelle 1 verdeutlicht anhand eines Vergleiches mit anderen Funktionen den Aufwand für die Berechnung derartiger kombinatorischer Probleme. Entscheidend ist dabei das Anwachsen möglicher Lösungen und damit des Rechenaufwandes in Abhängigkeit von der Problemgröße n. Funktionstyp cn c n2 c n3 c n6 c 2n c n! Problemgröße n 20 2s 4s 8s 1 min 4s 17 min 4s 21 260 a 10 1s 1s 1s 1s 1s 1s 50 5s 25s 2 min 5s 4 h 20 min 34 865 a 2.7 x 1050 a Tab. 1: Vergleich des Rechenaufwandes für unterschiedliche Funktionstypen [AND-94] Mit Ausnahme weniger Spezialfälle ist der Aufwand für die exakte Lösung eines Maschinenbelegungsproblems erheblich. Kurzen Antwortzeiten, wie sie in der prozeßbegleitenden Simulation erforderlich sind, können auch heute noch nicht realisiert werden. Ein leistungsfähiger Ansatz liegt aber in der Verwendung heuristischer Suchverfahren. Anders als exakte Verfahren bieten Heuristiken keine Garantie dafür, daß ein Optimum gefunden oder als solches erkannt wird. Sie beinhalten aber Vorgehensregeln, die für bestimmte Probleme sinnvoll und erfolgversprechend sind. Simulation und heuristische Suche Ein effektiver Einsatz der Simulation zur Behandlung von Problemen der Werkstattbelegung wird durch die Kopplung mit geeigneten Suchverfahren möglich. Die Aufgabe der Simulation liegt dabei in der Bewertung der Güte einer Lösung, während das Suchverfahren systematisch neue Parameter (Input-Größen für die Simulation) ermittelt, die zu einer Verbesserung der gewünschten Zielfunktion führen (Abb. 2). beste Lösungen mögliche Lösungen Suchverfahren Modellparameter Bewertung der Lösung Simulation Abb. 2: Schematische Darstellung einer Verknüpfung von Simulation und Suchverfahren Für die Untersuchung von Reihenfolgeproblemen eignen sich sog. Nachbarschaftssuchverfahren. Bei derartigen Verfahren wird ausgehend von einer ersten zulässigen Lösung s eine Menge weiterer Lösungen - die sog. Nachbarschaft N(s) dieser Lösung - erzeugt. Das geschieht durch ein bestimmtes Vertauschungsmuster, das auf die Ausgangsreihenfolge angewendet wird. Sämtliche der so neu gebildeten Lösungen s' werden danach bewertet und die beste Lösung s'' dient dann als Ausgangspunkt für die Erzeugung einer weiteren Nachbarschaft. Ergänzt werden kann dieses Vorgehen durch das Einführen spezieller Restriktionen während des Suchprozesses. So werden bei der Methode der sog. Tabusuche Vertauschungsvorgange für eine bestimmte Anzahl nachfolgender Iterationen verboten, wenn sie zu einer besten Lösung innerhalb der Nachbarschaft geführt haben. Sie sind damit "tabu". So soll verhindert werden, daß sich der Suchvorgang zu früh in einem lokalten Optimum festläuft. Die Informationen über die gesperrten Tauschvorgänge werden in einer Tabuliste T verwaltet. Das Grundprinzip derartiger Verfahren sieht folgendermaßen aus: 1. T = ∅ ; Lesen der gegebenen Anfangsreihenfolge s ∈ S ; 2. REPEAT Bestimmen der Nachbarschaft N(s) ; 3. Simulieren des Auftragsdurchlaufes für jedes s' ∈ N(s) ; 4. Auswahl der besten zulässigen Lösung s'' ; s = s'' ; Update der Tabuliste T ; 5. UNTIL Abbruchkriterium ist erfüllt Fallbeispiel Die Tabusuche wurde in ein Simulationsmodell in der Sprache SIMAN V integriert. Das Modell beschreibt ein allgemeines Werkstattbelegungsproblem mit 10 Maschinen und 10 Aufträgen. Dabei liegen die Daten des Problems aus [Muth-63] zugrunde, das erstmals exakt im Jahr 1987 gelöst werden konnte. Bei der Lösung wurde nach einer Priorität unter den 10 Aufträgen gesucht, die eine möglichst kleine Gesamtdurchlaufzeit erlaubt. Es wurde eine experimentelle Untersuchung durchgeführt, die für jede spezielle Einstellung des Suchverfahrens aus 50 Läufen mit einer Länge von 100 Iterationen bestand. Für diese Läufe wurden jeweils die gleichen Anfangsreihenfolgen verwendet. Es zeigte sich, daß die durchschnittliche Gesamtdurchlaufzeit der jeweils 50 Läufe zu einem deutlich besseren Ergebnis als die häufig benutzte KOZ-Regel1 führte. Abb. 3 verdeutlicht den experimentell ermittelten Zusammenhang zwischen der besten Gesamtdurchlaufzeit DLZmin der 10 Aufträge und der Anzahl der Iterationen, für die ein bestimmter Tauschvorgang untersagt ist. 1040 Tabudauer 3 5 7 10 DLZ 1035 1030 1025 1020 1015 2 3 4 5 6 7 8 9 10 x (DLZmin) 1038,46 1025,28 1020,12 1017,52 Abb. 3: Zusammenhang zwischen Tabudauer und bester Gesamtdurchlaufzeit im Mittel der jeweils 50 Läufe Tabudauer Ausblick Die Einbeziehung von derartigen Suchverfahren in Simulationsmodelle kann wesentlich zu einer Reduzierung des Experimentieraufwandes beitragen. Dabei wird künftig der Schwerpunkt solcher Anwendungen bei Problemen liegen, die kurze Reaktionszeiten verlangen, wie im dispositiven Bereich der Werkstattsteuerung. Prinzipiell eignet sich das beschriebene Vorgehen aber auch für "klassische" Simulationsanwendungen zur Auslegung von Produktions- und Logistiksystemen, sofern das spezielle Problem hinsichtlich möglicher Lösungen eine hohe Komplexität aufweist. Das gilt auch für Aufgaben aus der Fabrikplanung, wo ebenfalls kombinatorische Probleme auftreten, z.B. bei der Objekt-Platz-Zuordnung im Rahmen der Layoutprojektierung. Auch hier läßt sich die Zuordnung der Ressourcen auf die bereits definierten Standorte in Form von Permutationen darstellen und so systematisch untersuchen [CHI-96]. Literatur [AND-94] Anderson, E.J.: The Management of Manufacturing - Models and Analysis, S. 373, Wokingham, Reading [u.a]: Addison Wesley, 1994. [CHI-96] Chiang, W. C.; Kouvelis, P.: An improved tabu search heuristic for solving facility layout design problems. Int. Journal of Production Research, Vol. 34, No. 9, Taylor & Francis, 1996. [CIM-94] CIMulation Centre Ltd.: The PREACTOR 200 User Manual. Chippenham, The CIMulation Centre 1994. [MUT-63] Muth, J.F.. et al.: Industrial scheduling. Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall, 1963. [SCU-96] Schulz, M.; Kaldos, A.; Boyle, A.: Using the tabu search method for the optimization of parts scheduling in FMS. 12th Int. Conf. on CAD/CAM Robotics and Factories of the Future, London, 1996 [THO-92] Thompson, M.B.: The marriage between simulation and real time control. Proceedings of the 1992 SCS Western Simulation Multiconference, pp: 253-259. San Diego: 1992. 1 Kürzeste-Operationszeit-Regel (SPT rule: Shortest Operation Time rule)