Dokument_32.

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Aus der Zahnklinik 2 - Zahnärztliche Prothetik
der Friedrich - Alexander- Universität Erlangen - Nürnberg
Direktor Prof. Dr. M. Wichmann
Zum Einfluss verschiedener Mechanorezeptoren
auf die bisssperrungsabhängige relative Aktivierung
der Kieferelevatoren bei isometrischem Beißen.
Inaugural-Dissertation
Zur Erlangung der Doktorwürde
der Medizinischen Fakultät
der Friedrich - Alexander - Universität
Erlangen - Nürnberg
vorgelegt von
Thomas Ebert
aus Rodewisch
Gedruckt mit der Erlaubnis der
Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen- Nürnberg
Dekan:
Prof. Dr. Dr. J. Schüttler
Referent:
apl. Prof. Dr. rer. nat. P. Pröschel
Korreferent:
Prof. Dr. M. Wichmann
Tag der mündlichen Prüfung:
23.06.2010
Widmung
Die vorliegende Arbeit widme ich meiner gesamten Familie, insbesondere
meinen Eltern und meiner Omi, die mich stets bedingungslos mit all ihrer Kraft
und Energie während des gesamten Studiums liebevoll unterstützt haben sowie
meinem Bruder, der immer wieder für die nötige Ablenkung und Entspannung
zur rechten Zeit gesorgt hat.
Inhaltsverzeichnis
1
Zusammenfassung/ summary……………………………………………………...
1
2
Einleitung und Problemstellung…………………………………………………….
5
2.1
2.2
Physiologische Funktion des Kauorgans………………………………….. 5
Propriozeptive Mechanismen im Kauorgan……………………………….. 8
2.2.1
Propriozeption………………………………………………........... 8
2.2.2
Kiefergelenkrezeptoren……………………………………………
8
2.2.3
Hautrezeptoren…………………………………………………….. 8
2.2.4
Parodontale Rezeptoren…………………………………………..
9
2.2.5
Muskelspindeln…………………………………………………….. 10
2.3
Die bisssperrungsabhängige relative Aktivierung als Testgröße
für das Studium von Propriozeptionsmechanismen……………………… 12
Zielsetzung…………………………………………………………………… 13
2.4
3
Material und Methode………………………………………………………………. 14
Prinzipielles Procedere………………………………………………………
Versuchsvorbereitung………………………………………………………..
3.2.1
Herstellung der festen Aufbissschienen…………………………
3.2.2
Anbringung der EMG- Elektroden………………………………..
3.2.3
Anbringung des Sirognatographen……………………………….
3.3 Versuchsdurchführung………………………………………………............
3.4 Registrierung der Messdaten…………………………………………….....
3.5 Auswertung……………………………………………………………………
3.5.1
Extraktion und Aufbereitung der Messdaten…………………….
3.5.2 Statistik………………………………………………………………
3.1
3.2
Ergebnisse………………………………………………………………………………..
4.1
4.2
4.3
4.4
4.5
4.6
4.7
4.8
Aktivitäten der Mm. Masseteres ohne Anästhesie………………………..
Aktivitäten der Mm. Masseteres mit Anästhesie rechts………………….
Aktivitäten der Mm. Temporales ohne Anästhesie……………….............
Aktivitäten der Mm. Temporales mit Anästhesie………………….............
A/B- Verhältnisse der Mm. Masseteres ohne Anästhesie………………..
A/B- Verhältnisse der Mm. Masseteres mit Anästhesie………………….
A/B- Verhältnisse der Mm. Temporales ohne Anästhesie……………….
A/B- Verhältnisse der Mm. Temporales mit Anästhesie………………….
14
14
16
17
17
17
19
20
20
22
23
23
25
27
27
30
31
32
33
5
Diskussion……………………………………………………………………………. 34
6
Schlussfolgerungen…………………………………………………………………. 43
7
Literaturverzeichnis…………………………………………………………………. 44
8
Abkürzungsverzeichnis…………………………………………………………….. 50
9
Danksagung…………………………………………………………………………. 51
10 Lebenslauf…………………………………………………………………………… 52
-11
Zusammenfassung
Zielsetzung
Neuere Untersuchungen stützen die Vermutung, dass das neuromuskuläre
System des Menschen über eine bisher nicht erkannte Schutzstrategie verfügt,
um die Auswirkungen okklusaler Fehlkontakte bei Kau - und Beißvorgängen zu
kontrollieren. Diese Strategie besteht darin, die Stärke des balanceseitigen M.
masseter relativ zur Stärke des arbeitsseitigen Muskels zu verringern, wenn die
Bisssperrung, d.h. der vertikale Zahnreihenabstand bei dem eine Bisskraft
ausgeübt wird, abnimmt. Dieser Effekt, der "bisssperrungsabhängigen relativen
Aktivierung" (B-RA), erfordert, dass das neuromuskuläre System bei einer
einseitigen Kraftapplikation jederzeit den Interokklusalabstand propriozeptiv
erkennt. Ziel der vorliegenden Arbeit war es, zu untersuchen welche Rolle
hierbei den Muskelrezeptoren einerseits und intraoralen Mechanorezeptoren
andererseits zukommt.
Material und Methoden
Bei 30 funktionsgesunden männlichen Studenten wurden die elektrischen
Aktivitäten der Mm. masseteres und temporales bei einseitigem Kauen und
isometrischem Beißen auf nachgiebige und starre Objekt mit unterschiedlichen
Dicken zwischen 0.5 und 5 mm aufgezeichnet. Insgesamt 14 Aktionen wurden
zunächst ohne - und dann mit Anästhesie der rechten Kieferhälften
durchgeführt. Durch die Anästhesie wurden die intraoralen Rezeptoren der
rechten Seite ausgeschaltet, während die Muskelrezeptoren davon nicht betroffen waren. Aus den r.m.s.-Elektromyogrammen wurden die Verhältnisse aus
Arbeits - und Balanceseite (A/B-Verhältnis) gebildet und diese ohne und mit
Anästhesie verglichen.
Ergebnisse
Wurden die Aktionen auf der rechten Seite ausgeführt, so trat unter Anästhesie
(der rechten Seite) die B-RA beim Kauen und beim isometrischen Beißen auf
nachgiebige Silikonplatten in gleicher Weise auf, wie ohne Anästhesie. Beim
Beißen auf starre Zahnfassungen stellte sich mit Anästhesie im Gegensatz zum
nicht anästhesierten Zustand keine merkliche Abschwächung der B-RA ein. Die
-2Muskelaktivitäten waren bei allen Aktionen mit Anästhesie signifikant niedriger
als ohne Anästhesie.
Wurden die Aktionen auf der linken Seite ausgeführt, so trat mit Anästhesie (der
rechten Seite) die B-RA beim Kauen und beim isometrischen Beißen auf nachgiebige Silikonplatten in gleicher Weise auf, wie ohne Anästhesie. Beim Beißen
auf starre Zahnfassungen stellte sich mit und ohne Anästhesie eine merkliche
Abschwächung der B-RA ein. Die Muskelaktivitäten waren bei allen Aktionen
mit - und ohne Anästhesie gleich.
Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse legen nahe, dass die B-RA maßgeblich durch afferente
sensorische Informationen der Muskelspindeln gesteuert wird. Diese sorgen für
eine definierte Abhängigkeit der relativen Aktivierung von der Bisssperrung.
Beim Fehlen sensorischer Information von intraoralen Parodontal - Haut - und
Schleimhautrezeptoren sinkt generell die Muskelaktivität, jedoch tragen die
Sehnenorgane zu einer weitgehenden Aufrechterhaltung und Steuerung der
Bisskraft bei. Intraorale Rezeptoren sind nicht direkt an der Steuerung der B-RA
beteiligt, modulieren aber möglicherweise den afferenten Signalfluss der
Muskelspindeln
in
der
Weise,
dass
je
nach
propriozeptiv
erkannter
biomechanischer Situation eine B-RA entweder unterstützt oder behindert wird.
Die Ergebnisse der Aktionen auf der nicht-anästhesierten Seite stützen die
Vermutung,
dass
unbewusst
auftretende
Balancekontakte
nicht
zu
reflektorischen Inhibitionen der Muskelaktivierung führen. Die Ergebnisse dieser
Studie sind ein weiterer Hinweis auf die Existenz einer nicht-reflexbasierten,
quasi analog funktionierenden neuromuskulären Steuerungsstrategie zum
Schutz der kraniomandibulären Strukturen vor Überlastung.
-3Summary
Aim
Recent research indicated that human neuromuscular control disposes of a so
far unrecognized protection strategy for limiting the impact of occlusal contacts
in chewing and biting actions. This strategy consists of reducing the strength of
the balacing-side masseter with respect to that of the working-side muscle
depending on the jaw gape. This effect called "jaw-gape related relative
activation" (JGRRA) requires that neuromuscular control can perceive the
interocclusal distance at any time during unilateral bite-force applications. This
study aimed to elucidate the contribution of muscle receptors and intraoral
receptors to proprioception of the jaw gape.
Materials and methods
In 30 healthy male students, the electric activities of masseter and temporalis
muscles were recorded during unilateral chewing and isometric biting on
yielding and rigid objects with different thicknesses between 0.5 and 5 mm. In
total 14 actions were registered without - and then with right-sided anesthesia of
the jaws. Anesthesia desesitized intraoral receptors but left muscle receptors
unaffected. From the r.m.s. - electromyograms, ratios between working - and
balancing side activities were determined and compared with respect to the
non-anesthesized and anesthesized condition.
Results
In biting on yielding silicone pads and in chewing on the right side, JGRRA
occured with anesthesia in the same way as without. In biting on rigid objects,
JGRRA was not inhibited with anesthesia, which is in contrast to the nonanesthesia condition. With anesthesia, jaw muscle activities were lower in all
actions than without anesthesia.
In biting on yielding silicone pads and in chewing on the left side, JGRRA
occured with anesthesia (of the right side) in the same way as without. In biting
on rigid objects, JGRRA inhibited with and without anesthesia. Jaw muscle
activities were equal in all actions with anesthesia were equal to those obtained
without anesthesia.
-4-
Conclusions
JGRRA is predominantly controlled by muscle spindles. Their afferent outputs
are used by neuromuscular control to provide a defined dependence of relative
activation on jaw gape. If sensory output from periodontal - and skin receptors is
suppressed, muscle activities are moderately decreasing. However in this case
tendon organs may still contribute to the control of bite force. Even though
intraoral receptors are not directly involved in control of JGRRA, they
nevertheless may modulate muscle spindle output, in the sense that the latter is
facilitated or inhibited. The results of biting actions on the non-anesthesized
side support the assumption that balancing side contacts do not induce reflexdriven inhibitions of muscle activity. In total the results are a further support for
the existence of a rather anaolg and non-reflex-driven strategy for saving
occlusal structures from overloads caused by functional contacts.
-52
Einleitung und Problemstellung
2.1
Physiologische Funktion des Kauorgans
Das menschliche Kauorgan kann hohe Bisskräfte erzeugen, um harte und zähe
Nahrung effektiv zu zerkleinern. Allerdings können unphysiologische Kräfte
besonders in Verbindung mit okklusalen Fehlkontakten auch zu kraniomandibulären Dysfunktionen führen.
Die Annahme, dass Zahnkontakte Funktionsstörungen hervorrufen, basiert auf
Studien die zeigten, dass besonders Kontakte auf der Balanceseite (BS) mit
Veränderungen
der
Kaumuskelaktivität
assoziiert
sein
können
(5,12,
21,22,24,25,28,39,48). Die Balanceseite ist dabei definiert als diejenige
Kieferhälfte, die der Arbeitsseite (AS) gegenüber liegt. Die AS ist die Seite auf
der gekaut oder gebissen wird oder zu der sich der Unterkiefer bei
zahngeführtem Gleiten hin bewegt. Obwohl derartige BS-Kontakte in der
eugnathen, vollbezahnten und funktionsgesunden Bevölkerung weitverbreitet
sind (2,12,26,50), führen sie in aller Regel nicht zu Beeinträchtigungen oder
negativen Effekten (1,7,12,25). Dies ist nicht selbstverständlich, da beim Kauen
während der Kompression des Speisebolus sich die Zahnreihen auf der AS bis
auf eine "minimale interokklusale Distanz" (MID) von wenigen Zehntel
Millimetern annähern (34,36). Dabei kippt der Unterkiefer um den Bolus und
nähert sich auf der BS dem Oberkiefer noch weiter an (3,14,15,29,30). Dabei
könnten Zahnkontakte auf der BS entstehen (25) wenn die Annäherung dort
größer wird als die durch den Bolus verbliebene MID auf der AS. Aktuelle
Studien lieferten Hinweise darauf, dass das neuromuskuläre System zur
Steuerung der Kaumuskelkräfte eine Strategie anwendet, die darauf abzielt,
BS-Kontakte entweder zu verhindern oder sie so zu kontrollieren, dass ihre
Auswirkungen in einem physiologischen Bereich bleiben (8,33,34,42). Als eine
derartige Strategie wurde die „bisssperrungsabhängige relative Aktivierung" (BRA) der Kaumuskulatur vorgeschlagen (33,34). Hierunter versteht man die in
Abb.1
dargestellte
Beobachtung,
dass sich
bei
einer
Reduktion
der
Bisssperrung, d.h. des Abstandes zwischen Ober - und Unterkiefer bei
einseitigem isometrischem Beißen die Arbeits-/ Balanceseiten-Verhältnisse
(A/B-Verhältnis) der Aktivitäten der Elevatoren ändern.
-6Insbesondere nimmt dabei das A/B-Verhältnis das Mm. masseteres stark zu.
Dies ist gleichbedeutend mit einer Abnahme der Aktivität des BS Masseters
relativ zu der des AS Muskels (33,34). Eine relative Abnahme der BS
Masseteraktivität bewirkt, dass der Unterkiefer auf der BS bei einseitigem
Beißen weniger stark angehoben wird. Es war daher naheliegend zu vermuten,
dass dieses Aktivierungsverhalten eine Schutzstrategie darstellt, um bei
einseitigen Kraftapplikationen die Zahnreihen oder die Kiefergelenke auf der BS
vor Überlastung zu schützen. Die zusätzliche Beobachtung, dass bei Reduktion
der Bisssperrung das ansteigende A/B-Verhältnis der Mm. masseteres sich
dem mittleren A/B-Verhältnis des Kauens annäherte (Abb.1) (33) ließ vermuten,
dass die beschriebene Schutzstrategie gerade auch beim Kauen realisiert ist,
wo sie primär sinnvoll wäre. Diese Annahme konnte inzwischen durch ein
weiteres Experiment erhärtet werden (34) bei dem sich zeigte, dass das A/BVerhältnis der Mm. masseteres in gleicher Weise mit der abnehmenden MID
aufeinander folgender Kauzyklen assoziiert ist, wie beim isometrischen Beißen
mit der Bisssperrung. Analog zum isometrischen Beißen wird dieser Effekt beim
Kauen im Folgenden als "MID-abhängige relative Aktivierung" bezeichnet.
Abb.1
A/B-Verhältnisse (W/B-activity ratio) der Masseter - und Temporalismuskeln in Abhängigkeit von der Bisssperrung (jaw gape)
beim isometrischen Beißen im Vergleich zu den Verhältnissen
beim Kauen (nach (33)). M = Masseter, AT = anteriorer
Temporalis, PT = posteriorer Temporalis.
-7Voraussetzung für die Existenz des beschriebenen Schutzmechanismus ist,
dass das neuromuskuläre System in der Lage ist, den Interokklusalabstand zu
jedem Zeitpunkt sensorisch wahrzunehmen und die relative Muskelaktivierung
abhängig davon zu steuern. Für die Propriozeption des Interokklusalabstandes
sind
Rezeptoren,
Propriozeptoren
in
bzw.
im
relevanten
neueren
Sprachgebrauch
anatomischen
Strukturen
sogenannte
erforderlich.
Propriozeptoren können neben chemischen und thermischen Reizen
auch
Schmerzen, Drücke, Berührungen sowie Bewegungen und Positionen von
Gliedmaßen wahrnehmen (46). Im Falle der Unterkieferbewegung müssten
solche Propriozeptoren die Lage des Unterkiefers relativ zum Oberkiefer in
einem Bereich von wenigen Millimetern bis hinab zu einigen Zehntel Millimetern
während des kontinuierlich ablaufenden Kauvorgangs ständig wahrnehmen und
an die motorischen Steuerzentren weitergeben können. Nach dem bisherigen
Stand der Forschung wird den Muskelspindeln die größte Bedeutung für die
Wahrnehmung von Gliedmaßenpositionen und Bewegungen zugeschrieben
(11,16,17,20,37,46). Es ist jedoch nicht bekannt, ob die Muskelspindeln der
Kieferelevatoren, speziell der Mm. masseteres alleine in der Lage sind,
Positionen und Positionsänderungen des Unterkiefers in einem derart kleinen
Bereich zu unterscheiden.
Bei den Experimenten, die zur Entdeckung der MID-abhängigen relativen
Aktivierung beim Kauen geführt hatten (34), nahm mit Verringerung der MID in
Folge der Kompression des Kauguts auch immer die Bisskraft zu. Gleichzeitig
wurden durch die Anspannung der Muskeln sicherlich auch Haut- und
Schleimhautrezeptoren erregt. Insofern ist es vorstellbar, dass Signale von
Parodontal - und Tastrezeptoren auch einen Beitrag zur Propriozeption der
Bisssperrung leisten. (17,49,38).
Für ein besseres Verständnis der Arbeitsweise des neuromuskulären
Regelkreises wäre es daher sehr nützlich, das Zusammenspiel und den
Einfluss von kraft- lage - und tastsensitiven Mechanorezeptoren, vor allem im
Nahbereich der Okklusion, genauer zu verstehen.
-82.2
Propriozeptive Mechanismen im Kauorgan
2.2.1 Propriozeption
Unter dem Begriff Propriozeption versteht man die unbewusste Wahrnehmung
von Körperbewegung und – lage im Raum. Der Unterkiefer kann extrem fein
koordinierte Bewegungen ausführen. Dies lässt auf eine große Sensordichte
und demzufolge eine hohe Tastempfindlichkeit des gesamten orofazialen
Bereichs schließen (46). Rezeptoren bzw. Sensoren, die für die Propriozeption
der Unterkieferposition in Frage kommen sitzen im Kiefergelenk, in der Haut
und Schleimhaut, in den Zähnen selbst und in den Kaumuskeln. Um die
komplexen motorischen Abläufe während der Kaufunktion optimal durchführen
zu können, nutzt das neuromuskuläre System wahrscheinlich afferente
sensorische Zuflüsse aller genannten Rezeptoren (38,46).
2.2.2 Kiefergelenkrezeptoren
In der zahnärztlichen Funktionslehre wurde traditionell dem Kiefergelenk die
Rolle als dominantestes Kontrollorgan für die Bewegungswahrnehmung und –
steuerung zugeschrieben. Ausschaltversuche von Sensoren im Bereich des
Kiefergelenks mit Hilfe von Anästhetika bewirkten allerdings keine signifikanten
Veränderungen kinästhetischer Parameter wie zum Beispiel Positions- und
Bewegungssinn
(46).
Neuere
Studien
sehen
die
Hauptfunktion
von
Gelenkrezeptoren eher im Schutz vor Überdehnung.
2.2.3 Hautrezeptoren
Die große Feinfühligkeit des gesamten orofazialen Bereichs spiegelt sich
eindrucksvoll in der bekannten Somatotopie des sensomotorischen Kortex nach
Penfield/ Rasmussen aus dem Jahr 1950 wieder.
Allgemein betrachtet setzt sich die gesamte intraorale Mechanosensorik aus
Nozizeptoren,
Temperaturrezeptoren,
Chemorezeptoren
und
Mechano-
rezeptoren zusammen. Letztgenannte sind für Vibrations-, Druck-, und
Berührungsempfindung verantwortlich und leisten einen wesentlichen Beitrag
zur Steuerung oraler Funktionen wie Kauen, Saugen, Schlucken oder
Artikulation (46).
-9In den unbehaarten Hautarealen werden allgemein vier verschiedene Typen
von Mechanosensoren unterschieden: FA I Meissner- Körper, SA I MerkelZellen, SA II Ruffini Körper und FA II Pacini- Körperchen.
Hierbei bedeutet FA "fast adapting" und SA "slow adapting". Diese Unterteilung
nach Trulsson (44) berücksichtigt das unterschiedliche Adaptationsverhalten bei
überschwelliger Reizung. „I“ steht für kleine, scharf begrenzte Rezeptorfelder,
„II“ für größere, unschärfere Rezeptorfelder. Die jeweiligen Sensoren finden
sich typischerweise in den unterschiedlichen Hautschichten von Dermis und
Epidermis. (43,44,46).
Im Bereich der Mundschleimhaut zeigen sich neben zahlreichen freien
Nervenendigungen grundsätzlich ähnliche Sensorstrukturen wie bei der
unbehaarten und behaarten Haut, wobei hier allerdings Pacini- Körperchen nur
selten bis gar nicht aufzufinden sind. Hingegen dominieren langsam
adaptierende Sensoren mit kleinen, scharf umgrenzten rezeptiven Feldern (SA
I) (46). Generell nimmt die Anzahl der freien Nervenendigungen und Sensoren
in der Mundhöhle von anterior nach posterior ab. Die sensible Versorgung
dieser Mechanosensoren erfolgt über myelinisierte schnell leitende AßNervenfasern
des
Nervus
Trigeminus.
Die
sensiblen
Kerne
der
Trigeminusafferenzen liegen im Ganglion Gasseri.
Während des Kauvorgangs bzw. der Annäherung des Unterkiefers an den
Oberkiefer oder auch bei isometrischem Beißen kommt es unter anderem zur
Kontraktion der Mm. Masseteres. Durch diese Anspannung baucht sich die
Wange auf, was in Verschiebungen, Dehnungen und Entlastungen der Haut
und Schleimhaut resultiert. Der Umfang dieser Veränderungen ist sicherlich
individuell unterschiedlich. Aufgrund der sehr feinen Sensorik der beteiligten
Strukturen ist anzunehmen, dass afferente sensorische Informationen, die für
die jeweilige motorische Aktion charakteristisch sind, dem ZNS ergänzend zur
Verfügung stehen und somit zur Propriozeption beitragen.
2.2.4 Parodontale Rezeptoren
Ein weiteres wichtiges Sinnesorgan stellen die Zähne selbst dar. Rezeptoren für
die Wahrnehmung von Druck und Berührung liegen innerhalb des parodontalen
Ligaments, dem sogenannten Zahnhalteapparat. Dabei handelt es sich um
Fasern, die schräg zwischen der Zahnalveole und dem Zahn verlaufen und
-10diesen im Knochenfach fixieren. Es lassen sich langsam adaptierende, schnell
adaptierende und spontan feuernde Rezeptoren unterscheiden.
Schmerzen werden hauptsächlich über Aб- und C- Fasern empfunden,
Taststimulationen mittels Aß- Fasern. Die Zellkerne befinden sich sowohl im
Ganglion Gasseri als auch im Nucleus mesencephalicus.
Wenn Zähne okkludieren, übernehmen die parodontalen Mechanorezeptoren
unterschiedliche Aufgaben: Die schnell adaptierenden Rezeptoren geraten
bereits bei einer Kraft von ca. 4 bis 10 N in die Sättigung und können Kräfte, die
über diesen Bereich hinausgehen, nicht mehr differenzieren (43,44). Den
schnell
adaptierenden
Parodontalrezeptoren
wird
die
Eigenschaft
zugeschrieben, leichte Berührungen und die Richtungen von Kräften, die noch
relativ niedrig sind, wahrzunehmen. Dagegen sollten langsam adaptierende
Rezeptoren für die Registrierung hoher Bisskräfte zuständig sein (43).
Untersuchungen, mit einseitiger Anästhesie von Ober- und Unterkiefer zeigten,
dass durch Ausschalten des Informationsflusses der Parodontalrezeptoren die
Kaueffektivität um die Hälfte reduziert wurde (46).
2.2.5 Muskelspindeln
Muskelspindeln arbeiten als Dehnungssensoren der Muskulatur und sind der
auslösende Faktor für den monosynaptischen Dehnungsreflex. Muskelspindeln
sind parallel zu den Fasern der Arbeitsmuskulatur angeordnet und setzen sich
aus einem muskulären und einem nervösen Anteil zusammen. Der muskuläre
Teil besteht aus den sehr feinen intrafusalen Muskelfasern und unterteilt sich in
sogenannte Kernketten- und Kernsackfasern, die für die statische und
dynamische Dehnungsempfindlichkeit der Muskelspindel verantwortlich sind (Ia/
II- Fasern). Der nervöse Teil wird von den Muskelspindelafferenzen gebildetdie Endigungen winden sich spiralförmig um den nichtkontraktilen Mittelteil der
intrafusalen Fasern. Die efferente Innervation erfolgt an den Polregionen der
Muskelspindeln über sogenannte γ- Motoneurone, sie unterteilen sich ebenfalls
in eine statische und eine dynamische Komponente. Die Ausnahmestellung der
Kaumuskulatur zeigt sich darin, dass sie bis zu 36 intrafusale Fasern pro
Spindel besitzt. In den Extremitätenmuskeln lassen sich nur 6- 10 Fasern je
Spindel auffinden.
-11Die komplexe neuronale Vernetzung inklusive kontralateraler Verschaltung
macht die Bedeutung der Muskelspindeln bei der motorischen Steuerung der
Kieferbewegungen und der kinästhetischen Wahrnehmung deutlich.
Abb. 2
Aufbau der Muskelspindel. Die Fasern Ia und II bilden den
afferenten nervösen Anteil und senden die genaue Information über den Dehnungszustand an das System. Über die γMotoneurone kann der polare Anteil der intrafusalen Fasern
je nach Bedarf gedehnt werden. (nach 51)
Der adäquate Reiz für die Erregung von Spindelsensoren ist die Dehnung des
Muskels. Sie nehmen zum einen die Länge des Muskels, zum anderen seine
Längenänderung wahr. Im Falle einer Überdehnung des Muskels senden die
Muskelspindeln afferente Informationen an übergeordnete Zentren, das System
reagiert daraufhin mit einer reflektorischen Kontraktion der entsprechenden
Muskulatur, um wieder die ursprüngliche Länge einzustellen.
Umgekehrt „entdehnen“ sich bei einer Kontraktion der Muskeln, wie z.B. beim
Kauvorgang, die zentralen Anteile der Muskelspindeln. Um die Empfindlichkeit,
und damit die Funktion als Dehnungssensor aufrecht zu erhalten, kontrahieren
die polaren Anteile der Muskelspindeln in Folge der α-γ- Koaktivierung und
arbeiten damit der „Entdehnung“ entgegen. Die Muskelspindeln werden
-12dadurch unabhängig von einer festen Muskellänge und können auf von außen
einwirkende Störungen des Gesamtsystems jederzeit adäquat reagieren.
In neueren Arbeiten wurde festgestellt, dass Muskelspindeln auch dann aktiv
sind und afferente Signale emittieren, wenn der Muskel von einer nichtisometrischen in eine isometrische Kontraktion übergeht wie dies in der
okklusalen Phase des Kauens der Fall ist (9,20). Somit wäre es prinzipiell
möglich, dass Muskelspindeln lageabhängige afferente Signale erzeugen. Es
wurde allerdings bisher keine weg-proportionale afferente Aktivität der
Muskelspindeln nachgewiesen.
2.3
Die bisssperrungsabhängige relative Aktivierung als Testgröße für das
Studium von Propriozeptionsmechanismen.
Die Bisssperrungsabhängigkeit der A/B-Verhältnisse der Massetermuskeln bei
isometrischem Beißen (Abb.1) ermöglicht es, die an der Propriozeption des
Interokklusalabstandes beteiligten Mechanismen am Menschen nicht-invasiv zu
untersuchen. Das Auftreten der B-RA bei isometrischem Beißen ist nicht in
gleicher Weise verständlich wie beim Kauen, da beim isometrischen Beißen
das Argument einer okklusalen Schutzfunktion eigentlich entfällt.
In den
betreffenden Studien (8,33) wurde isometrisch auf Silikonplättchen gebissen,
wobei die Bisskraft flächig und mit sehr geringen vertikalen und horizontalen
Unterkieferbewegungen übertragen wurde. Diese Art des Beißens imitiert sehr
gut die okklusale Phase des Kauens bei der das Kaugut nahezu isometrisch
und flächig belastet wird, und der Unterkiefer beim Durchgang durch die
maximale Interkuspitation minimale vertikale und horizontale Bewegungen
ausführt. Es wurde daher vermutet, dass beim isometrischen Beißen ein
kauähnlicher afferenter Signalfluss vorliegt, der unwillkürlich die kauähnliche
Aktivierung hervorruft. Dieser Signalfluss besteht im Wesentlichen aus der
Wahrnehmung von Bewegung und Lage des Unterkiefers (Muskelrezeptoren)
sowie aus Wahrnehmungen von Berührungen (Hautrezeptoren), sowie von
Höhe - und Richtung der Bisskraft (Parodontalrezeptoren).
Der experimentelle Nutzen der B-RA besteht darin, dass sie die motorische
Regelung des Kauens am wesentlich einfacher zu untersuchenden Vorgang
des isometrischen Beißens widerspiegelt. Man kann dabei Informationen über
-13die Beiträge der einzelnen sensorischen Quellen erhalten, indem man diese
beim isometrischen Beißen selektiv unterdrückt und prüft, welche Auswirkungen
dies auf die B-RA hat.
In einer ersten derartigen Untersuchung (8) wurde der mögliche Einfluss von
minimalen Unterkieferbewegungen studiert indem man Probanden zusätzlich
zum nachgiebigen Silikon auch auf starre Objekte beißen ließ. Dabei zeigte sich
der Effekt der B-RA deutlich abgeschwächt woraus gefolgert wurde, dass die
Wahrnehmung kleiner Unterkieferbewegungen während der Bisskraftentfaltung
für die Generierung eines weg-proportionalen afferenten Signals notwendig ist.
Hierfür kommen zwar durchaus die Muskelspindeln in Frage. Allerdings könnte
die Einschränkung der Kieferbewegung auch über das Berührungsempfinden
von Haut - und Schleimhautrezeptoren oder über ein verändertes Verhalten
des Bisskraftanstiegs von Parodontalrezeptoren wahrgenommen werden.
Daher blieb letztlich ungeklärt, ob die Wahrnehmung der Bewegung über die
Muskelspindeln oder über intraorale Mechanorezeptoren erfolgte.
2.4
Zielsetzung
Vor diesem Hintergrund war es Ziel dieser Arbeit zu untersuchen, welche Rolle
den Haut - und Parodontalrezeptoren einerseits, und den Muskelspindeln
andererseits bei der Steuerung der B-RA zukommt. Da sich die Haut - und
parodontalen Mechanorezeptoren mit Hilfe der Lokalanästhesie "abschalten"
lassen, ist es möglich, den Einfluss der Muskelspindeln isoliert zu studieren.
Im Falle einer signifikanten Beteiligung von Haut - und Parodontalrezeptoren an
der Wahrnehmung des Interokklusalabstandes müssten sich bei einseitiger
Lokalanästhesie deutliche Änderungen in der B-RA zeigen. Da die Funktion der
Muskelspindeln durch die Anästhesie nicht beeinträchtigt wird, sollten sich
umgekehrt im Falle einer dominanten Rolle der Muskelspindeln kaum
Veränderungen der B-RA unter Anästhesie ergeben.
Ziel dieser Arbeit war es daher, den Effekt der B-RA ohne und mit Anästhesie
der Ober- und Unterkieferzahnreihe einer Seite beim isometrischen Beißen
darzustellen und zu versuchen, Rückschlüsse auf die Beteiligung der in Frage
kommenden Rezeptoren zu ziehen.
-143
Material und Methode
3.1
Testpersonen und prinzipielles Procedere
30 männliche Probanden im Alter zwischen 20 und 25 Jahren erklärten sich
nach ausführlicher Aufklärung über den geplanten Versuchsablauf bereit und
dokumentierten schriftlich ihre Einwilligung, an der Studie teilzunehmen. Die
Testpersonen waren vollbezahnt und hatten weder anamnestisch noch klinisch
Anzeichen für Parafunktionen wie etwa Knirschen oder Pressen. Die
Kiefergelenke
zeigten
sich
nicht
druckdolent,
ebenso
konnten
keine
pathologischen Gelenkgeräusche festgestellt werden. Bei allen Probanden
erwies sich die Kaumuskulatur als physiologisch, wobei besonderes Augenmerk
bei der Begutachtung auf die für die Messungen einbezogenen Masseter- und
Temporalis- Muskeln gelegt wurde. Alle 30 Personen gaben an, bislang keine
allergischen Reaktionen gegen Lokalanästhetika entwickelt zu haben.
Jeder Proband führte in einer Mess- Sitzung zunächst ohne Anästhesie 14
unterschiedliche einseitige motorische Aktionen aus. Diese umfassten das
Kauen von Gummibären, das isometrische Beißen auf Silikonstreifen mit
unterschiedlichen
Dicken
sowie
das
isometrische
Beißen
auf
feste,
unnachgiebige Aufbissschienen aus zahnärztlichem Kunststoff (siehe Abb. 3).
Bei diesen Aktionen wurden die Unterkieferbewegungen und die elektrischen
Aktivitäten der Kaumuskulatur aufgezeichnet.
Nach Durchführung der 14 Aktionen wurde jeweils die rechte Seite des Oberund Unterkiefers lokal anästhesiert und nach Eintritt der Wirkung die gleichen
14 motorischen Aktionen erneut durchgeführt und registriert.
Das beschriebene experimentelle Protokoll war von der Ethik- Kommission der
Medizinischen Fakultät der FAU Erlangen- Nürnberg im Antrag Nr. 3600
genehmigt worden.
3.2
Versuchsvorbereitung
Für die Messungen saßen die Probanden in entspannter, aufrechter Haltung
auf einem zahnärztlichen Behandlungsstuhl. Die für den Versuch benötigten
Materialien (Gummibären, Silikonstreifen, Gazetupfer, Alkohol)
einem Nebentisch bereitgelegt.
waren auf
-15-
Abb. 3
Das obere Bild zeigt die verwendeten Silikongummis der Dicken 5,
2, 1, und 0,5 mm.
Unten sieht man die Futar D® Aufbissschienen deren Dicke mit
Hilfe der Silikongummis auf 5 bzw. 1 mm eingestellt wurden.
-163.2.1 Herstellung der festen Aufbissschienen (Abb.3)
Die festen Aufbissschienen wurden aus dem A- Silikon Futar D® hergestellt,
welches in der klinischen Zahnmedizin verwendet wird, um Zahnreihen von
Ober- und Unterkiefer eindeutig zuzuordnen. Hierfür wird das Material mittels
einer Applikationspistole im zähflüssigen Zustand zwischen die Zahnreihen
gespritzt und härtet dann innerhalb von ca. 30 Sekunden aus. Da das Material
auch vestibulär und oral der klinischen Krone etwas anfließt, sind die Zähne
körperlich gut gefasst und aneinander orientiert. Hinsichtlich der Messung der
untersuchten motorischen Aktionen war genau diese eindeutige Zuordnung
beabsichtigt und durch Futar D® gegeben.
Zur Herstellung der Schienen mussten die Probanden zunächst den Mund weit
öffnen. Sodann wurde ein circa 3 cm langer Strang des Futar D® Materials mit
Hilfe einer Applikationspistole im Kauzentrum zwischen dem ersten Prämolaren
und dem ersten Molaren auf die Okklusalflächen aufgetragen. Auf der
Gegenseite wurden dann ebenfalls in die Region des Kauzentrums die
Silikonstreifen mit 5 mm respektive 1 mm Dicke gelegt und durch den
Untersucher gehalten. Nun sollten die Versuchspersonen den Mund senkrecht
schließen bis sie durch die Silikonstreifen einen Stopp verspürten. In dieser
Position wurde dann der Unterkiefer locker gehalten. Nach ungefähr einer
Minute erlangte das zunächst zähplastische Futar D® seine Endhärte, der Biss
war somit also um eine Distanz entsprechend etwa der Dicke der Silikonstreifen
gesperrt. Nach der Entnahme aus dem Mund wurde an einem zahntechnischen
Arbeitsplatz überschüssiges Material mit Hilfe eines Technikerhandstücks und
einer Kunststofffräse entfernt, scharfe Ränder geglättet und poliert. Bei der
klinischen Einprobe am Probanden erfolgte die Kontrolle auf exakten,
schaukelfreien Sitz der Schienen und eventuelle Früh- bzw. Störkontakte. Alle
Probanden gaben an, bei Kieferschluss in eine eindeutige, definierte Position
von Oberkiefer zu Unterkiefer finden zu können und durch die eingesetzten
Schienen bei der Ausführung der motorischen Aufgaben nicht beeinträchtigt zu
sein.
-173.2.2 Anbringung der EMG - Elektroden
Bei
allen
motorischen
Aktionen
wurden
bei
jedem
Probanden
die
Oberflächenelektromyogramme der Mm. masseteres und der anterioren Mm.
temporales jeweils auf der rechten und linken Seite abgeleitet.
Um die Muskelbäuche bestmöglich palpatorisch erfassen zu können, wurden
den Probanden handelsübliche Gummibären (Goldbären, Harribo/ Bonn)
verabreicht, die sie wie gewohnt (habituell) kauen sollten. Nachdem die
entsprechenden Hautstellen mit Alkohol entfettet worden waren, wurde auf
jedem der vier zu registrierenden Muskeln jeweils eine bipolare, selbstklebende
Ag/AgCl- Einmal - Oberflächenelektrode (Noraxon, type 272, Scottsdale, USA)
mit einem Polabstand von 2 cm befestigt. Eine einzelne Erdungselektrode
wurde mittig auf die Stirn der Probanden geklebt.
3.2.3 Anbringung des Sirognathographen
Unterkieferbewegungen der Probanden wurden aufgezeichnet um einerseits die
minimalen interokklusalen Distanzen während des Kauens zu erfassen,
andererseits um für spätere Auswertungen die Kaumuster zu registrieren.
Zu diesem Zweck wurde bei allen Probanden ein Sirognatograph (Siemens,
Binsheim) am Kopf angebracht. Das magnetsensitive Kopfgestell ließ sich
durch ein verstellbares Gummiband leicht individuell anpassen und war
zusätzlich am Nasion abgestützt. Ein kleiner Permanentmagnet (8x 5x 3 mm)
wurde
mittels
Autopolymerisat
(Provisorienkunststoff-
Luxatemp,
ESPE,
Seefeld) an den Unterkieferfrontzähnen befestigt. Nach Abschluss der
Messungen konnte der Magnet rückstandslos entfernt werden.
3.3
Versuchsdurchführung
Vor Beginn der Messungen wurden bei jedem Probanden die EMG-Verstärker
eingestellt. Hierzu kauten die Probanden je einen Gummibären auf der rechten
und linken Seite und die Verstärker wurden so justiert, dass keine
Übersteuerung auftrat. Dieses Verfahren wurde gewählt, da beim Kauen von
Gummibären erfahrungsgemäß die weitaus größten Muskelaktivitäten auftreten.
-18Die individuellen EMG- Verstärkereinstellungen wurden für die spätere
Auswertung notiert.
Während der eigentlichen Messungen führten die Probanden die folgenden
motorischen Aktionen aus, die jeweils 20 Sekunden lang registriert wurden:
Aktionen 1 und 2: Einseitiges habituelles Kauen eines Gummibären auf der
rechten Seite und auf der linken Seite.
Aktionen 3 bis 10: Einseitiges, isometrisches Beißen auf Silikonstreifen mit
den Dicken 5, 2, 1 und 0,5 mm jeweils auf der rechten und linken Seite. Die
Silikonstreifen hatten ein Format von 20 mal 13 mm und wurden zwischen die
Zahnreihen
in
der
Region
des
Kauzentrums
positioniert.
Durch
die
Silikonstreifen konnte kein direkter Kontakt zwischen den Zähnen von
Oberkiefer und Unterkiefer mehr zustande kommen.
Die Probanden wurden angewiesen, isometrisch und intermittierend auf die
Silikonstreifen zu beißen und zwar mit einer Frequenz und einer Kraft, die nach
subjektiver Einschätzung dem Kauen von Gummibären entsprechen sollte.
Dabei musste immer Zahnkontakt zu den Gummistreifen gehalten werden, d.h.
die Silikonstreifen waren stets durch die Ober- und Unterkieferzähne in gleicher
Position fixiert und der Unterkiefer durfte sich bei der Entlastungsphase nicht
nach unten bewegen. Da die Silikonstreifen hinsichtlich ihrer Dicke während der
motorischen Aktion nahezu konstant blieben und nur wenige zehntel Millimeter
nachgaben, ist die Bezeichnung „Isometrisches Beißen“ gerechtfertigt.
Aktionen 11 bis 14: Einseitiges, isometrisches Beißen auf Futar D® auf der
rechten und linken Seite. Hierfür wurden die zuvor individuell für jeden
Probanden hergestellten Bissschablonen eingesetzt und auf korrekten Sitz und
eindeutige Positionierung überprüft.
Wie bei den Aktionen 3-10 wurde das isometrische Beißen auf die Futar D® Schienen intermittierend durchgeführt. Auch hierbei galt es, die aufgewandte
Bisskraft und die Frequenz der Kontraktionen denjenigen des habituellen
Kauens nachzuahmen.
-19Aktionen 15 bis 28:
Nach Abschluss der Messung der 14 Aktionen wurde bei jedem Probanden auf
der rechten Seite sowohl im Ober- als auch Unterkiefer von einem Oberarzt der
Zahnklinik 2 eine Lokalanästhesie gesetzt.
Als Lokalanästhetikum kam Ultracain DS zum Einsatz (Aventis Pharma
Deutschland GmbH, Bad Soden/ Deutschland). Im Unterkiefer erfolgte eine
Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior, die applizierte Menge in Regio
des Foramen mandibulae belief sich bei jedem Probanden auf
2ml. Der
vollständige Wirkungseintritt war zum einen gekennzeichnet durch komplettes
Taubheitsgefühl der entsprechenden extraoralen Wangenhälfte, der oral
gelegenen Mundschleimhaut und der Zähne, zum anderen durch eine
halbseitige Lähmung der Zungenmuskulatur und der Zungensensibiltät. Durch
sanftes Berühren der genannten Areale mit einer stumpfen Sonde wurde die
Effektivität der Anästhesie kontrolliert.
Anschließend erfolgte ebenfalls auf der rechten Seite im OK eine InfiltrationsAnästhesie im Bereich des Kauzentrums- die Gesamtmenge von 2 ml verteilte
sich hierbei auf zwei 1 ml- Depots im Bereich des Zahns 14 bzw. 16. Dadurch
kommt es zum Verlust der Sensibilität der vestibulären Schleimhaut intraoral
und zur Anästhesie der Zähne.
Nach Eintritt der Betäubungswirkung führten die Probanden die motorischen
Aktionen 1 - 14 als Aktionen 15 - 28 in gleicher Weise und Reihenfolge aus wie
zuvor ohne Anästhesie.
3.4
Registrierung der Messdaten
Die Oberflächenelektromyogramme wurden von Elektroden-nahen EMG Verstärkern erfasst. Die EMG- Verstärker (Biovision- Wehrheim/ Deutschland)
hatten eine Eingangsimpedanz von > 10 GOhm, eine Gleichtaktunterdrückung
von 120dB, ein Grundrauschen von 4 µV und eine Bandbreite von 10 bis 500
Hz bei 3dB. Die verstärkten EMG - Signale und die Signale des
Sirognathographen wurden über einen A/D - Wandler mit einer Frequenz von 2
KHz digitalisiert und auf einem Laptop (Dell, Inspiron 8600) abgespeichert. Jede
der oben genannten Aktionen wurde 20 Sekunden lang aufgezeichnet. Die
-20computergestützte Datenerfassung der gesamten Messung wurde mit Hilfe
eines selbsterstellten Schaltbildes auf Basis der DasyLab - Meß - und
Auswertungssoftware
(National
Instruments
Resources
Ireland
Limited)
gesteuert und kontrolliert.
3.5
Auswertung
3.5.1 Extraktion und Aufbereitung der Messdaten
Die Auswertung der aufgezeichneten Daten erfolgte ebenfalls mit Hilfe eines
selbsterstellten Schaltbilds der DasyLab Programmierumgebung. Hierzu
wurden die vier Aktivitätsspuren (siehe Abb. 4) und die drei Bewegungsspuren
jeder einzelnen Aktion und jedes Probanden in das Auswerteschaltbild geladen.
Dieses Programm richtete die Roh-Myogramme gleich und glättete die Kurven
durch eine gleitende Mittelwert- Methode bei der 100 Punkte im Zeitraum von
50 Millisekunden als Mittelungsintervall definiert werden.
Innerhalb jeder Spur wurden alle geglätteten Aktivitätspeaks, die im Verlauf der
20 Sekunden Messzeit zustande gekommen waren, mit Hilfe von senkrechten
Cursor- Balken eingegrenzt. Somit ergab sich für jeden Kauzyklus - bzw. jede
isometrische Kontraktion und jeden Muskel ein Amplitudenwert. Auf Grund der
individuell unterschiedlichen habituellen Kaufrequenzen ergaben sich bei den
Probanden unterschiedliche Anzahlen von Kau - bzw. Kontraktionszyklen.
Die Amplituden der Muskelaktivitäten wurden abgelesen und in Excel-Tabellen
übertragen. Für jeden Probanden wurde in Excel für jede motorische Aktion ein
Mittelwert berechnet. Die so erhaltenen individuellen Mittelwerte wurden dann
über alle Probanden gemittelt, so dass sich letztlich für jede Aktion und jeden
Muskel ein Gruppenmittelwert der absoluten Muskelaktivitäten ergab.
Im Weiteren wurden in Excel aus den Aktivitätsamplituden der einzelnen Kau bzw.
Kontraktionszyklen
die
Aktivitätsverhältnisse
von
Arbeitsseite
zu
Balanceseite (A/B-Verhältnisse) für die beiden Mm. masseteres und anterioren
Mm. temporales bestimmt.
Im Gegensatz zu vorangegangenen Untersuchungen (33,34) konnten hierbei
die Ergebnisse für rechtsseitige und linksseitige Aktionen nicht gepoolt werden.
Vielmehr wurden die Ergebnisse nach Seiten getrennt dargestellt. Dies war
-21nötig, da nur immer die rechte Seite anästhesiert wurde und somit bei den
Aktionen 15 - 28 bzgl. der Seiten eine bewusst unterschiedliche Behandlung
vorlag.
Die Auswertung der mit dem Sirognatographen aufgezeichneten Bewegungen
des Unterkiefers erfolgt nicht im Rahmen dieser Arbeit. Sie bleibt für
nachfolgende Untersuchungen mit erweiterten Fragestellungen vorbehalten.
1500
1000
500
0
-500
-1000
-1500
1500
1000
500
0
-500
-1000
-1500
1500
1000
500
0
-500
-1000
-1500
1500
1000
500
0
-500
-1000
-1500
0
S ch e
r bi e r0
Abb. 4
S ch e
r bi e r1
S ch e
r bi e r2
S ch e
r bi e r3
Beispiel von Roh-Elektromyogrammen der Mm. masseteres und
Mm. temporales beim Kauen. Spur 1 = mass rechts, Spur 2 =
mass links, Spur 3 = temp rechts, Spur 4 = temp links. Die
senkrechte Achse bezeichnet die Muskelaktivitäten in µV.
s
-22-
3.5.2 Statistik
Die statistische Auswertung wurde mit dem Programm Statview 512 (Abacus
Concepts, San Francisco/ CA) auf einem Apple Macintosh G5 Computer
durchgeführt.
Unterschiede zwischen den Gruppenmittelwerten der Muskelaktivitäten bzw.
der Aktivitätsverhältnisse bei den verschiedenen Bisssperrungen wurden mit
Hilfe einer einfaktoriellen Varianzanalyse getestet (ANOVA).
Unterschiede zwischen Mittelwerten der Muskelaktivitäten bzw. zwischen
Aktivitätsverhältnissen
bei
einer
bestimmten
Bisssperrung,
aber
bei
unterschiedlichen Funktionszuständen (ohne und mit Anästhesie) oder bei
unterschiedlichen Kraftapplikationsbedingungen (Kauen, Beißen auf Silikon,
Beißen auf Futar D®) wurden mit Hilfe des t-tests für gepaarte Daten auf
Signifikanz hin untersucht. Wiederholte Einbeziehung des gleichen Datensatzes
in einen Test wurde durch eine Bonferroni Korrektur berücksichtigt, wobei ein
Gesamtsignifikanzniveau von p=0,05 vorgegeben wurde.
Als Schwankungsmaße wurden 95% - Konfidenzbereiche berechnet.
Um die Grafiken nicht unübersichtlich werden zu lassen, sind in den Grafiken im
Sinne einer besseren Klarheit die Konfidenzbereiche nicht den einzelnen
Punkten zugeordnet, sondern die größten und kleinsten Konfidenzbereiche
jeweils am Rande der Grafik als schwarze Balken angegeben.
-234
Ergebnisse
4.1
Aktivitäten der Mm. masseteres ohne Anästhesie: (Abb.5)
Beim rechtsseitigen Kauen von Gummibären zeigte sich eine deutlich höhere
Aktivität beim Masseter der AS (270 µV) als auf der BS (160 µV).
Beim rechtsseitigen isometrischen Beißen auf Silikon kam es bei Verringerung
der Bisssperrung von 5 auf 0,5 mm zu einem unsignifikanten Anstieg der
Aktivität des AS - Masseters von 150 µV auf ca. 160 µV.
Dagegen fiel die Aktivität des BS Muskels signifikant von 135 auf 80 µV ab.
Beim isometrischen Beißen auf Futar D® stieg die Aktivität auf der AS von ca.
170 µV bei 5mm Bisssperrung auf 195 µV bei 1 mm Bisssperrung an. Auf der
BS nahm die Aktivität geringfügig von ursprünglich 149µV auf 135 µV ab.
Bei allen linksseitig ausgeführten Aktionen ergab sich qualitativ ein sehr
ähnliches Verhalten wie bei den rechtsseitig ausgeführten:
Auch hier war beim Kauen die AS Aktivität signifikant höher als die BS Aktivität.
Beim linksseitigen isometrischen Beißen auf Silikon kam es bei Verringerung
der Bisssperrung von 5 auf 0,5 mm zu einem unsignifikanten Anstieg der
Aktivität des AS - Masseters von 150 µV auf ca. 155 µV. Auch hier fiel die
Aktivität des BS Muskels signifikant von 145 auf 80 µV ab.
Beim isometrischen Beißen auf Futar D® stieg die Aktivität auf der Arbeitsseite
von 180 µV auf 210 µV. Auf der BS fiel sie dagegen von 164 µV auf 153 µV.
Zwischen gleichartigen rechts - und linksseitig ausgeführten Aktionen gab es
ohne Anästhesie keine signifikanten Unterschiede.
-24-
Abb. 5
Aktivität der Mm. masseteres auf Arbeits- und Balanceseite bei den
verschiedenen rechtsseitig (oben) bzw. linksseitig (unten)
ausgeführten motorischen Aktionen.
-25-
4.2
Aktivitäten der Mm. masseteres mit Anästhesie (Abb. 6)
Ein Vergleich mit Abb. 5 zeigt, dass generell alle Muskelaktivitäten bei den
rechtsseitigen (anästhesie-seitigen) Aktionen mit Anästhesie kleiner waren als
ohne Anästhesie. Diese Unterschiede erwiesen sich als signifikant.
Wie Abb.6 zeigt, lag die Aktivität des rechten (AS) Muskels beim rechtsseitigen
Kauen mit 160 µV signifikant über der Aktivität des linken (BS) Muskels (90 µV).
Beim rechtsseitigen isometrischen Beißen auf Silikon fiel die Aktivität des
rechten (AS) Muskels zunächst leicht von 135 µv bei 5 mm auf 115 µV bei 1
mm ab und stieg dann wieder auf 140 µV bei 0.5 mm an. Eine signifikante
Abnahme der Aktivität von 120 µV auf 80 µV zeigte sich für die Aktivität der BS.
Beim rechtsseitigen isometrischen Beißen auf Futar D® ergab sich ein sehr
ähnliches Verhalten wie ohne Anästhesie.
Bei den linksseitigen Aktionen ergab sich mit Anästhesie der rechten Seite ein
qualitativ sehr ähnliches Verhalten wie ohne Anästhesie:
Beim linksseitigen Kauen war die Aktivität auf der AS (links) mit 260µV wieder
signifikant höher als die Aktivität des BS (rechten) Muskels die 150 µV betrug.
Beim
linksseitigen
isometrischen
Beißen
auf
Silikon
ergab
sich
bei
abnehmender Bisssperrung für den linken (AS) Masseter kaum eine Änderung.
Erst im Bereich zwischen 1 mm und 0,5 mm nahm die Aktivität signifikant ab.
Die Aktivität des rechten (BS) Masseters nahm dagegen von 155 µV bei 5 mm
auf 110 µV bei 0,5 mm signifikant ab.
Beim linksseitigen isometrischen Beißen auf Futar D® blieb der rechte (BS)
Masseter konstant bei 175 µV, der linke Muskel ließ eine Steigerung von 200
µV auf 230 µV erkennen.
Insgesamt gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen linksseitigen
Aktionen mit und ohne Anästhesie.
-26-
Abb. 6
Aktivität der M. masseteres auf Arbeits- und der Balanceseite bei den
verschiedenen rechts - (oben) und linksseitig (unten) ausgeführten
motorischen Aktionen. Die rechte Kieferhälfte ist lokal anästhesiert.
-274.3
Aktivitäten der Mm. temporales ohne Anästhesie (Abb. 7)
Beim rechtsseitigen Kauen lag die Aktivität auf der AS mit 250µV deutlich höher
als auf der BS bei der sie ca. 190 µV betrug.
Beim isometrischen Beißen auf Silikon stieg die Aktivität auf der AS geringfügig
von 160 auf 170 µV an. Im Gegensatz zum Verhalten der BS Masseteraktivität
(Abb. 5), stieg die BS Temporalisaktivität mit abnehmender Bisssperrung von
85 auf 105 µV an.
Beim Beißen auf die unnachgiebigen Futar D®- Schienen verhielten sich die
Aktivitäten der Mm. temporales auf beiden Seiten so wie beim Beißen auf
Silikon. Es trat kein signifikanter Unterschied auf.
Bei den analogen linksseitigen Aktionen (Abb.7 unten) ergaben sich die
gleichen Tendenzen und Größenordnungen der Aktivitätsänderungen wie für
die rechtsseitigen Aktionen (Abb.7 oben).
4.4
Aktivitäten der Mm. temporales mit Anästhesie (Abb.8)
Wie schon bei den Mm. masseteres, so zeigte sich auch für die Mm.
temporales, dass bei allen rechtsseitigen (anästhesie-seitigen) Aktionen
generell alle Muskelaktivitäten mit Anästhesie (Abb.8 oben) kleiner waren als
ohne Anästhesie (Abb.7 oben). Diese Unterschiede waren signifikant.
Von dieser Verminderung der Aktivitäten abgesehen, zeigte sich bei allen
Aktionen ein analoges Verhalten wie ohne Anästhesie.
Bei allen linksseitig ausgeführten Aktionen ergab sich bei Anästhesie der
rechten Seite (Abb.8 unten) ein analoges Verhalten der Muskelaktivitäten wie
ohne Anästhesie (Abb.7 unten). Auch traten keine signifikanten Unterschiede
zwischen den Muskelaktivitäten mit und ohne Anästhesie bei den linksseitigen
Aktionen auf.
-28-
Abb. 7
Aktivität der Mm. temporales auf Arbeits- und Balanceseite bei
den verschiedenen rechts- (oben) und linksseitig (unten)
ausgeführten motorischen Aktionen.
-29-
Abb. 8
Aktivität der M. masseteres auf Arbeits- und Balanceseite bei
verschiedenen rechts- (oben) und linksseitig (unten) ausgeführten
motorischen Aktionen. Die rechte Kieferhälfte ist lokal anästhesiert.
-304.5
A/B-Verhältnisse der Mm. masseteres ohne Anästhesie (Abb.9)
Für das Kauen ergaben sich A/B-Verhältnisse zwischen 2.6 (AS rechts) und 2.3
(AS links).
Bei
isometrischem
Beißen
auf
Silikon
zeigte
sich
bei
abnehmender
Bisssperrung ein deutlicher Anstieg des A/B-Verhältnisses von 1.3 (re.) bzw.
1.2 (li.) bei 5 mm auf 2.9 (re.) und 2.8 (li.) bei 0.5 mm.
Bei isometrischem Beißen auf Futar D® ergaben sich auf beiden Seiten leichte
Anstiege der A/B-Verhältnisses bei Abnahme der Bisssperrung von 5 auf 1 mm.
Allerdings waren die A/B-Verhältnisse mit Futar D® bei der Bisssperrung 1 mm
signifikant kleiner als mit Silikon.
Abb. 9
A/ B-Verhältnisse der rechtsseitigen und linksseitigen
motorischen Aktionen ohne
Anästhesie der rechten
Seite.
-314.6
A/B-Verhältnisse der Mm. masseteres mit Anästhesie (Abb. 10)
Das A/B- Verhältnis beim Kauen rechts mit Anästhesie der rechten Seite betrug
2,0 und war niedriger als ohne Anästhesie (Abb.9).
Dagegen war das A/B-Verhältnis beim linksseitigen Kauen mit Anästhesie der
rechten Seite mit 2.3 etwa genauso hoch wie ohne Anästhesie.
Beim rechtsseitigen isometrischen Beißen auf Silikon blieb das A/B-Verhältnis
bei Reduktion der Bisssperrung von 5 auf 2 mm zunächst konstant bei 1.25 und
stieg dann auf 2,2 bei 0,5 mm Bisssperrung an. Der Anstieg des A/BVerhältnisses mit abnehmender Bisssperrung war weniger ausgeprägt als ohne
Anästhesie.
Beim rechtsseitigen isometrischen Beißen auf Futar D® erhöhte sich das A/BVerhältnis mit Anästhesie von 1,25 (5 mm Bisssperrung) auf 1,9 (1 mm
Bisssperrung). Dieser Anstieg war wesentlich deutlicher als ohne Anästhesie.
Alle linksseitigen Aktionen verhielten sich mit Anästhesie der rechten Seite sehr
ähnlich zu denen ohne Anästhesie. Es ergaben sich keine signifikanten
Unterschiede zwischen den beiden Konditionen.
Abb. 10
A/B-Verhältnisse der rechtsseitigen und linksseitigen motorischen
Aktionen mit Anästhesie der rechten Seite.
-324.7
A/B-Verhältnisse der Mm. temporales ohne Anästhesie (Abb. 11)
Für das rechtsseitige Kauen ergab sich ein A/B-Verhältnis von 1,5.
Beim rechtsseitigen isometrischen Beißen auf Silikon änderte sich das A/BVerhältnis bei Reduktion der Bisssperrung von 5 auf 0.5 mm kaum.
Beim rechtsseitigen isometrischen Beißen auf Futar D® fiel das Verhältnis von
2.4 bei 5 mm auf den Wert 2.0 bei 1 mm ab.
Das A/B-Verhältnis bei linksseitigem Kauen entsprach mit 1.4 dem Wert des
Kauens auf der rechten Seite.
Beim linksseitigen Beißen auf Silikon verhielt sich das A/B-Verhältnis ähnlich
wie beim rechtsseitigen Beißen und zeigte bei abnehmender Bisssperrung
keine signifikante Veränderung. Ebenso blieb beim Beißen auf Futar D® das
Verhältnis mit 2,0 bei Änderung der Bisssperrung konstant.
Abb. 11
A/B- Verhältnis der
rechtsseitig und linksseitig
ausgeführten motorischen
Aktionen ohne Anästhesie.
-334.8
A/B-Verhältnisse der Mm. temporales mit Anästhesie (Abb. 12)
Unter dem Einfluss der Anästhesie rechts ergab sich beim rechtsseitigen Kauen
mit 2.1 ein signifikant höheres A/B- Verhältnis als ohne Anästhesie mit 1.5
(Abb.11).
Beim Beißen auf Silikon blieb - ebenso wie ohne Anästhesie bei Reduktion der
Bisssperrung das A/B- Verhältnis ungefähr konstant und schwankte um den
Wert 2,9.
Ein signifikanter Abfall des A/B- Verhältnisses von 2.5 auf 1.8 trat beim Beißen
auf Futar D® auf.
Bei linksseitigem Kauen unter Anästhesie rechts entsprach das A/B- Verhältnis
mit 1.6 den Verhältnissen von rechts - und links Kauen ohne Anästhesie.
Beim Beißen auf Silikon ist im Gegensatz zum Ergebnis ohne Anästhesie ein
Abfall von einem hohen Wert 3.1 bei 5mm auf 1.9 bei 0,5 mm Bisssperrung zu
beobachten.
Beim linksseitigen Beißen auf Futar D® zeigte sich in etwa das gleiche
Verhalten wie es ohne Einfluss von Anästhesie ersichtlich wurde.
Abb. 12
Verhältnisse von Arbeits- zu Balanceseite verschiedener
motorischer Aktionen bei unterschiedlicher Bisssperrung mit
Anästhesie der rechten Seite.
-345
Diskussion
Voraussetzungen
Die vorliegende Arbeit sollte einen Beitrag zur Beantwortung der Frage leisten,
welche sensorischen Mechanismen am Zustandekommen der B-RA beim
einseitigen isometrischen Beißen beteiligt sind. Aus den experimentell erzielten
Ergebnissen sollten auch Rückschlüsse auf die am Kauvorgang beteiligten
sensorischen Mechanismen gezogen werden. Zur experimentellen Behandlung
der Fragestellung wurden Teile des afferenten sensorischen Inputs durch
Anästhesie ausgeschaltet. Aus der Reaktion der B-RA sollte auf die Beteiligung
von bestimmten Rezeptormechanismen geschlossen werden.
Diese Vorgehensweise beruht auf Annahmen, Erfahrungen und Methoden,
deren Validität zunächst diskutiert werden soll.
Die B-RA stellt den gleichen Effekt dar, der beim Kauen als MID-abhängige
relative Aktivierung bezeichnet wurde (33,34). Dieser Effekt beschreibt die
Beobachtung, dass bei der Nahrungszerkleinerung in aufeinanderfolgenden
Kauzyklen das A/B-Verhältnis der Mm. masseteres mit enger werdender MID
immer größer wird, d.h., dass die relative Stärke des BS Masseters gegenüber
der des AS Muskels abnimmt. Dabei wird die Muskelaktivität als ein Maß für die
Muskelkraft betrachtet. Dies ist indirekt über die Korrelation zwischen Bisskraft
und Muskelaktivität für das isometrische Beißen hinlänglich gut belegt
(4,10,18,23,47).
Auch
Muskelaktivitäten
mit
für
das
größeren
Kauen
wurde
Kaukräften
gezeigt,
einhergehen
dass
als
hohe
niedrige
Muskelaktivitäten (27,41). Biomechanisch bedeutet die Abnahme der relativen
Stärke des BS Masseters, dass die BS Unterkieferhälfte bei einseitigem Beißen
weniger stark angehoben wird, sodass die Wahrscheinlichkeit der Entstehung
von BS Kontakten verringert wird. In einer aktuellen Arbeit wurde von Schubert
(42) gezeigt, dass bei einer Vermeidung von BS Kontakten die A/B-Verhältnisse
deutlich größer sind als bei der Herbeiführung solcher Kontakte und dass beim
Kauen
die
A/B-Verhältnisse
überwiegend
größer
sind
als
bei
Kontaktvermeidung beim isometrischen Beißen. Somit ist relativ gut begründet,
dass die MID-abhängige relative Aktivierung eine bisher nicht bekannte
Schutzstrategie darstellt. Die Notwendigkeit einer solchen Strategie ist
-35einsehbar, da die Wirksamkeit der reflektorisch initiierten Inhibition der
Muskelaktivität bei abnehmendem Interokklusalabstand abnimmt (19,45).
Dass beim isometrischen Beißen mit abnehmender Bisssperrung in Gestalt der
B-RA ein analoger Effekt eintritt wie beim Kauen, war zunächst nicht ganz
verständlich (33). So wurde argumentiert, dass beim isometrischen Beißen mit
Bisssperrungen zwischen 5 und 1 mm eigentlich keine BS Kontakte zu erwarten
wären und damit für das neuromuskuläre System keine Notwendigkeit
bestünde, die relative Aktivierung bisssperrungsabhängig zu regulieren. Auch
hier belegte die Arbeit von Schubert, dass bereits bei Bisssperrungen von 2 mm
die ersten Kontakte auftraten und bei 1 mm die Hälfte aller untersuchten
Personen BS Kontakte hatten. Schließlich zeigte die Gegenüberstellung der
MID-abhängigen relativen Aktivierung mit der B-RA bei zwei unterschiedlichen
Personengruppen einen völlig konsistenten Übergang der A/B-Verhältnisse
zwischen Kauen und isometrischem Beißen (34).
Damit kann die Annahme, dass beim isometrischen Beißen eine "kauanaloge"
relative Aktivierung in Form der B-RA induziert wird wenn die Bisssperrung so
klein wird wie die MID des Kauens, als die momentan wahrscheinlichste
Erklärung für die beschriebenen Phänomene gelten.
Als Auslöser für die B-RA wurde angenommen, dass beim isometrischen
Beißen auf Silikon ein sehr ähnlicher sensorischer Signalfluss entsteht wie beim
Kauen (34). In der Okklusionsphase des Kauvorgangs entstehen die
Spitzenaktivitäten der Kaumuskeln während der finalen Kompression des
Kauguts in einer nahezu isometrischen Kontraktion. Dabei bewegt sich der
Unterkiefer noch geringfügig nach kranial, jedoch gleichzeitig nach medial, da in
der Okklusionsphase der Unterkiefer in der Regel von der Kauseite zur NichtKauseite hin bewegt wird (32). Während des Kaukraftmaximums betragen diese
geringen Bewegungen einige Zehntel Millimeter (27). Der sensorische
Signalfluss
der
während
dieser
Phase
entsteht,
kann
sich
also
zusammensetzen aus einer Wahrnehmung der Höhe und Richtung der
ansteigenden
Bisskraft
durch
Parodontalrezeptoren,
der
ansteigenden
Muskelkraft durch Sehnenorgane sowie einer Wahrnehmung der geringen
Unterkieferbewegungen. Vertikale Bewegungskomponenten können dabei
durch Muskelspindeln der Mm. masseteres, horizontale durch schnell
adaptierende Parodontalrezeptoren wahrgenommen werden (13,43). Darüber
-36hinaus steuern Rezeptoren der Haut und Schleimhaut ein sensorisches Abbild
der Berührung von Wangen und Zähnen sowie von Hautverschiebungen bei
(31,38,46), welches durch die Ausbauchung der Wangen infolge der
Masseterkontraktion entsteht. Abgerundet wird der sensorische Signalfluss
durch Informationen über Bewegung und Belastung des Kiefergelenks (46).
Aus all diesen Quellen erhält das neuromuskuläre System einen dauernden
afferenten Informationsstrom, der sich ständig verändert. Da das Kauen einen
langjährig gewohnten und ständig wiederkehrenden Vorgang darstellt, ist
anzunehmen, dass Abbilder dieser sensorischen Informationsmuster in den
Steuerzentren
engrammiert
sind.
Durch
Vergleich
des
sensorischen
Signalflusses mit den engrammierten Mustern kann dann eine entsprechende
Aktivierung abgerufen werden.
Dieses Modell der neuromuskulären Steuerung kann erklären, warum beim
isometrischen Beißen auf Silikongummis eine dem Kauen sehr ähnliche relative
Aktivierung (die B-RA) entsteht: intermittierendes isometrisches Beißen mit
einer Kraft, die etwa dem Kauen von Gummibären entspricht, ahmt sehr eng die
nahezu isometrische Kompressionsphase des Kauvorgangs nach. Neben allen
anderen für das Kauen bereits beschriebenen sensorischen Reizen treten dabei
wegen der Nachgiebigkeit des Materials auch geringe vertikale und horizontale
Bewegungen des Unterkiefers auf. Der dem Kauen sehr ähnliche sensorische
Fluss erzeugt dann beim isometrischen Beißen unwillkürlich und unbewusst ein
dem Kauen ähnliches Aktivierungsmuster.
Experimentelle Unterstützung für dieses Modell lieferte die Arbeit von Döhla (8).
Dort wurde gezeigt, dass beim Beißen auf eine unnachgiebige zahnfassende
Schiene die B-RA weitgehend ausblieb. Der sensorische Fluss ist in diesem
Fall demjenigen des Kauens weniger ähnlich als beim Beißen auf Silikon. Der
wesentliche Unterschied besteht darin, dass die Restbewegungen des
Unterkiefers unterbunden werden. Zur sensorischen Wahrnehmung solcher
Veränderungen sind Muskelspindeln und berührungsempfindliche Haut - und
Schleimhautrezeptoren geeignet. Weiterhin werden durch die okklusale
Verriegelung zwar horizontale Bewegungen behindert, nicht jedoch horizontale
Kräfte, die von schnell adaptierenden Parodontalrezeptoren registriert werden
könnten. Schließlich könnte in Folge des Fehlens der dämpfenden Wirkung
-37auch
ein
anderes
Kraftanstiegsverhalten
durch
Parodontal
-
oder
Muskelrezeptoren registriert werden.
Methodik
Vor diesem Hintergrund erschien es angebracht, das Verhalten der B-RA durch
Ausschalten von intraoralen Sensoren bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der
Funktionsfähigkeit der Muskelsensoren zu untersuchen.
Durch die Anästhesie von Ober - und Unterkiefer auf einer Seite trat eine
weitgehende Desensibilisierung der Parodontalrezeptoren, sowie der Haut und Schleimhautrezeptoren in der Umgebung der Seitenzahnreihen ein. Die
Wirkung der Anästhesie wurde sichergestellt, durch entsprechend langes
Abwarten und durch Befragung der Probanden.
Da die Elektroden in situ verblieben, war eine optimale Reproduzierbarkeit bzw.
Vergleichbarkeit der elektromyografischen Ergebnisse gewährleistet.
Ergebnisse
Muskelaktivitäten
Zunächst bestätigen die Muskelaktivitäten der Aktionen ohne Anästhesie die
Ergebnisse der vorangegangenen Arbeiten (8,33). Die Aktivitäten sowohl beim
isometrischen Beißen auf Silikon als auch auf das unnachgiebige Futar D®
waren zwar etwas niedriger als in den vorangegangenen Studien, jedoch in der
selben absoluten Größenordnung. Abgesehen von diesen eher marginalen
Unterschieden war das Verhalten der Aktivitäten in Abhängigkeit von der
Bisssperrung ohne Anästhesie das gleiche wie bereits früher beschrieben
(8,33). Auch in dieser Arbeit hielten die Probanden, unter der Anweisung bei
jeder Bisssperrung die gleiche Bisskraft aufzuwenden wie beim Kauen, die
Aktivität des AS Masseters nahezu konstant, während die Aktivitäten der Mm.
temporales geringfügig anstiegen. Gleichzeitig verringerte sich die Aktivität des
BS Masseters bei enger werdendem Bissspalt. Dies belegt zum wiederholten
Mal, dass die neuromuskuläre Steuerung fähig ist, eine Bisskraft unter
psychophysikalischer Kontrolle sehr gut einzuschätzen und mit nur geringen
Variationen (6) annähernd konstant zu halten. Die hohen Aktivitäten beim
-38Kauen bedeuten nicht, dass die von den Probanden eingestellte Bisskraft
wesentlich niedriger war als die Kaukraft, die sie hatten nachahmen sollen. Es
ist belegt, dass für eine bestimmte Bisskraft beim Kauen wesentlich höhere
Aktivitäten produziert werden als für dieselbe Kraft bei isometrischem Beißen
(35,40).
Unter Anästhesie der rechten Seite waren die Muskelaktivitäten auf beiden
Seiten reduziert, wenn auf der anästhesierten Seite gebissen oder gekaut
wurde. Beim Kauen waren die Aktivitäten deutlich stärker reduziert als bei den
isometrischen Beißaktionen. Nach den oben geschilderten Zusammenhängen
zwischen Kraft und Muskelaktivität bedeutet dies, dass damit auch die Biss bzw. Kaukraft reduziert war. Somit wird durch die Anästhesie die Wahrnehmung
der Bisskraft beeinträchtigt, was auf die Rolle der Parodontalrezeptoren
hinweist. Andererseits zeigt die Einhaltung der Aktivitätsniveaus beim Beißen
auf die Futarschienen mit den unterschiedlichen Dicken, dass ein gewisser Sinn
für die Höhe der Bisskraft auch mit Anästhesie vorhanden ist, der
möglicherweise durch die Sehnenorgane der Kaumuskeln unterstützt wird, die
nicht von der Betäubung betroffen sind.
Eine Auffälligkeit stellt das Verhalten des AS Masseters bei rechtsseitigem
Beißen auf Silikon unter Anästhesie dar. Mit abnehmender Bisssperrung fällt
dessen Aktivität zunächst leicht ab, steigt aber bei 0,5 mm Silikondicke wieder
deutlich an. Eine Interpretation dieses Verhaltens ist an dieser Stelle noch nicht
möglich.
Unter Anästhesie der rechten Seite waren die Muskelaktivitäten auf beiden
Seiten nicht verändert, wenn auf der nicht - anästhesierten Seite gebissen oder
gekaut wurde. Dies galt gleichermaßen für die Aktivitäten von Masseter und
Temporalis. Es bestanden keine signifikanten Unterschiede im Vergleich zu
linksseitigen oder rechtsseitigen Aktionen ohne Anästhesie. Da sowohl beim
Kauen, als auch beim isometrischen Beißen mit Silikondicken von 1 mm oder
darunter häufig BS Kontakte auftreten (42) legt dieses Ergebnis nahe, dass es
für die Steuerung der absoluten Höhe der Muskelaktivität keine Rolle spielt, ob
BS Kontakte wahrgenommen werden oder nicht.
-39-
Aktivitätsverhältnisse
Das Verhalten der Aktivitätsverhältnisse in Abhängigkeit von der Bisssperrung
bei den Aktionen ohne Anästhesie entsprach demjenigen, das bereits in
vorangegangenen Arbeiten gefunden worden war (8,33,34). Besonders wichtig
dabei ist der Befund, dass beim Beißen auf die 1 mm starken Futarschienen
auch hier das A/B-Verhältnis der Mm. masseteres nur geringfügig anstieg, im
Gegensatz zum Beißen auf gleich dünnes Silikon (Abb.9). Dies bestätigt die
Ergebnisse der Arbeit von Döhla (8) an einer zweiten Probandengruppe.
Unter Anästhesie der rechten Seite stieg beim rechtsseitigen isometrischen
Beißen das A/B-Verhältnis mit abnehmender Bisssperrung in gleicher Weise
an, wie ohne Anästhesie. Die grundlegende Charakteristik der B-RA war somit
deutlich
ausgeprägt.
Auch
das
A/B-Verhältnis
des
Kauens
auf
der
anästhesierten Seite war sehr asymmetrisch, aber unsignifikant kleiner als ohne
Anästhesie. Dies legt zunächst den Schluss nahe, dass Parodontalrezeptoren
und Haut - und Schleimhautrezeptoren eigentlich keine nennenswerte Rolle für
die Induktion der B-RA bei isometrischem Beißen haben können.
Die gleichartige Zunahme des A/B- Verhältnisses mit Anästhesie wurde jedoch,
anders als ohne Anästhesie dadurch bewirkt, dass die AS Masseteraktivität mit
abnehmender Bisssperrung zunächst leicht abnahm, dann aber bei 1 mm und
0,5 mm wieder deutlich zunahm (Abb.6). Somit wäre denkbar, dass bei
Unterdrückung der afferenten Information von Parodontal - Hautrezeptoren
zwar eine andere Steuerung der absoluten Aktivität auf der AS eintritt, die
relative Aktivierung jedoch trotzdem so geregelt wird wie ohne Anästhesie.
Unter Anästhesie der rechten Seite stieg beim linksseitigen isometrischen
Beißen das A/B-Verhältnis mit abnehmender Bisssperrung in gleicher Weise
an, wie ohne Anästhesie. Auch beim Kauen auf der linken Seite ergab sich mit
Anästhesie der rechten Seite ein mittleres A/B-Verhältnis wie ohne Anästhesie.
Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass entgegen der gängigen Meinung BS
Kontakte, die beim Kauen oder Beißen auftreten, offensichtlich keine Reflexe
auslösen, die im Sinne eines Schutzmechanismus zu einer Inhibition der
Muskelaktivität führen. Wäre dies tatsächlich der Fall, so müssten sich sowohl
-40Muskelaktivitäten als auch A/B-Verhältnisse bei linksseitigen Aktionen mit und
ohne rechtsseitige Anästhesie voneinander unterscheiden, da BS Kontakte auf
der anästhesierten Seite nicht wahrgenommen werden können. Die hier
dargestellte Gleichheit der Ergebnisse bei den linksseitigen Aktionen mit und
ohne Anästhesie ist somit ein weiteres Indiz für die Existenz eines nichtreflexbasierten Schutzmechanismus in Form der B-RA und MID-abhängigen
relativen Aktivierung.
Ein unerwartetes Ergebnis ist die Erhöhung des A/B-Verhältnisses beim Beißen
auf die Futarschiene mit 1 mm Dicke, welches sich nicht signifikant vom A/BVerhältnis des Beißens auf 1 mm Silikon (Abb.10) unterschied. Dieser Befund
würde bedeuten, dass beim Beißen auf Futar D® unter Anästhesie eine B-RA
ausgelöst wird, während dies ja ohne Anästhesie (Abb.9), (8) und bei der
linksseitigen Aktion mit Anästhesie rechts (Abb.10) nicht der Fall war. Aus der
weitgehenden Unterdrückung der B-RA bei Verriegelung der Zahnreihen (ohne
Anästhesie) wurde gefolgert, dass zur Auslösung der B-RA bei isometrischem
Beißen eine sensorische Wahrnehmung der geringen Restbewegungen des
Unterkiefers nötig ist (8). Dabei wurde diskutiert, ob die Wahrnehmung dieser
Bewegungen durch Muskelspindeln oder durch das Tastempfinden von
intraoralen Rezeptoren vermittelt wird.
Würden diese Bewegungen nur durch Muskelrezeptoren wahrgenommen, so
hätte im vorliegenden Experiment das A/B-Verhältnis beim Beißen auf Futar D®
in
gleicher
Weise
reagieren
müssen
wie
ohne
Anästhesie,
da
die
Muskelrezeptoren davon nicht betroffen waren.
Die Herbeiführung der B-RA und damit einer kauähnlichen Aktivierung beim
Beißen auf Futar D® unter Anästhesie lässt deshalb den Schluss zu, dass
intraorale Rezeptoren doch einen gewissen Einfluss auf die Steuerung der
relativen Aktivierung haben, allerdings möglicherweise anders als bisher
angenommen.
Ein möglicher Erklärungsversuch für die dargestellten Einzelbeobachtungen
könnte von der Annahme ausgehen, dass die Muskelspindeln der Mm.
masseteres grundsätzlich eine quasi genormte, bisssperrungsabhängige
sensorische Information bereit stellen. Dieses Muskelspindelsignal muss bei
-41Fehlen aller anderen sensorischen Einflüsse immer in der Lage sein, eine B-RA
oder
MID-abhängige
relative
Aktivierung
auszulösen.
Das
stereotype
Muskelspindelsignal kann jedoch von den anderen Mechanorezeptoren je nach
motorischer Aufgabe modifiziert werden:
Wird z.B. gekaut, so wird das Muskelspindelsignal von intraoralen Rezeptoren
leicht positiv verstärkt, so dass insgesamt eine wirkungsvolle MID-abhängige
relative Aktivierung entsteht. Die intraoralen Rezeptoren erzeugen dabei einen
sensorischen
Fluss,
der
dem
neuromuskulären
System
"kautypische"
Wahrnehmungen wie Bolusnachgiebigkeit, Kraftempfinden, Berührungsreize
etc. signalisiert. Wird dieser Fluss durch die Anästhesie beseitigt, so bleibt das
Grundsignal der Muskelspindeln, welches die gewohnte MID-abhängige relative
Aktivierung erzeugt, allerdings - wegen der fehlenden positiven Verstärkung auf einem niedrigeren Niveau und mit weniger Kaukraft.
Wird isometrisch auf leicht nachgiebige Silikonpolster gebissen, so überlagert
sich dem Muskelspindelsignal ein dem Kauen sehr ähnlicher sensorischer
Fluss, der, wie bereits geschildert, die B-RA hervorruft. Wird dieser Fluss durch
die Anästhesie beseitigt, so bleibt hier ebenfalls das Muskelspindel Grundsignal erhalten, welches die gewohnte B-RA erzeugt.
Wird auf unnachgiebige Futarschienen gebissen, so entsteht ein sensorischer
Fluss, der sich von demjenigen des Kauvorgangs deutlich unterscheidet: der
Kraftanstieg ist direkter da die Nachgiebigkeit fehlt, das Bewegungs - und
Tastempfinden ist anders, da die Unterkieferrestbewegungen verhindert sind.
Dieser (im Vergleich zum Kauen) stark veränderte sensorische Fluss
signalisiert dem neuromuskulären System, dass nun kein kautypischer Vorgang
gegeben ist. Er überlagert sich dem Muskelspindelsignal quasi negativ, so dass
nur eine abgeschwächte B-RA entsteht. Wird dieser sensorische Fluss durch
Anästhesie beseitigt, so bleibt wiederum nur das Muskelrezeptorensignal,
welches dann die, für den momentanen Interokklusalabstand typische, B-RA
einstellt.
Dieses theoretische Modell erklärt konsistent alle, sowohl in der vorliegenden
als auch in vorangegangenen Arbeiten (8,33,34) gemachten Beobachtungen.
Einschränkend muss gesagt werden, dass Aussagen auf denen es beruht,
teilweise statistisch nicht signifikant waren. Es sollte deshalb versucht werden,
-42in weiteren Untersuchungen durch modifizierte Experimente dieses Modell zu
verifizieren oder zu widerlegen. Besonders interessant erscheint dabei eine
genauere Untersuchung des Beißens mit Bewegungseinschränkungen des
Unterkiefers.
-43-
6
Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit lassen folgende Schlüsse zu:
1.
Die B-RA wird maßgeblich durch afferente sensorische Informationen
der Muskelspindeln gesteuert. Die Muskelspindeln sorgen dabei für eine
definierte Abhängigkeit der relativen Aktivierung von der Bisssperrung.
2.
Beim Fehlen sensorischer Information von intraoralen Parodontal - und
Hautrezeptoren tragen die Sehnenorgane zu einer Wahrnehmung der
Bisskraft bei.
3.
Intraorale Rezeptoren sind zwar nicht direkt an der Steuerung der B-RA
beteiligt, modulieren jedoch möglicherweise den afferenten Signalfluss
der
Muskelspindeln. Dabei wird der Signalfluss der intraoralen
Rezeptoren mit dem immer bisssperrungsabhängigen Signalfluss der
Muskelspindeln so "verrechnet",
dass
je
nach
biomechanischer
Notwendigkeit eine B-RA unterstützt oder behindert wird.
4.
Der
Befund,
dass
bei
isometrischem
Beißen
auf
der
nicht-
anästhesierten Seite unter Anästhesie die gleiche B-RA entsteht wie
ohne Anästhesie spricht für die Vermutung, dass unbewusst auftretende
Balancekontakte nicht über Reflexmechanismen zu einer Inhibition der
Muskelaktivierung beitragen.
Die Tatsache, dass die B-RA auch unter Anästhesie entsteht, hat Bedeutung für
Zahnverlust, Prothesen - und Implantatversorgung. Sie zeigt nämlich, dass
auch bei Verlust oder Beeinträchtigung der parodontalen Sensorik die
vermutete okklusale Schutzstrategie noch wirkt. Dies kann letztlich das
weitgehend problemlose Funktionieren implantatgetragenen Zahnersatzes
erklären.
-44-
7
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-50-
8
Abkürzungsverzeichnis
AS
Arbeitsseite (arbeitsseitig). Die Arbeitsseite ist diejenige
Seite auf der gekaut, oder auf ein Objekt gebissen wird,
oder zu der der Unterkiefer bei zahngeführten
Gleitbewegungen hin bewegt wird.
BS
Balanceseite (balanceseitig). Sie liegt der Arbeitsseite
gegenüber.
A/B-Verhältnis
Verhältnis der arbeitsseitigen zur balanceseitigen
Muskelaktivität
MID
"Minimale interokklusale Distanz".
B-RA
Bisssperrungsabhängige relative Aktivierung
-51-
9
Danksagung
Herrn Prof. Dr. M. Wichmann möchte ich vielmals dafür danken, dass ich diese
Arbeit an der Zahnklinik 2 – Zahnärztliche Prothetik durchführen konnte!
Sehr großer Dank gilt Herrn apl. Prof. Dr. P. Pröschel, der während des
gesamten Verlaufs der Promotion stets mit Rat und Tat zur Verfügung stand
und das Projekt hervorragend betreute.
Weiterhin bedanke ich mich bei Herrn PD Dr. T. Morneburg, der maßgeblich an
der Anästhesie der Probanden beteiligt war.
Frau Dr. C. Berthold erwies sich bei Fragen hinsichtlich der Auswertung der
Daten und der Statistik immer als große Hilfe und war zudem stets bemüht,
eigene Gedanken zum positiven Gelingen der Promotion einfließen zu lassen.
Bedanken möchte ich mich auch bei allen Probanden, die sich für die Versuche
zur Verfügung stellten.
Zu guter Letzt möchte ich mich auch bei meiner Freundin Sandra Fillmer
bedanken, die nicht nur meine Kenntnisse im Umgang mit Word und Excel
liebevoll erweitert hat, sondern auch ansonsten bei der Promotion immer eine
große Stütze war.
-52-
10
Lebenslauf
Name:
Thomas Ebert
Geburt:
27.05.1983 / Rodewisch
Familienstand:
ledig
Eltern:
Diplomingenieur Karl-Heinz Ebert
Margit Ebert
Nationalität:
deutsch
Adresse:
Schlehensteig 1
95326 Kulmbach
BIOGRAPHIE
Schulbildung
1989 – 1993
Grundschule Burghaig (Kulmbach/ Burghaig)
1993 – 2002
Markgraf- Georg- Friedrich- Gymnasium (Kulmbach)
Abschluss: Abitur
Studium
2004
Beginn des Studiums der Zahnmedizin an der FAU Erlangen
2005
Bestehen der Naturwissenschaftlichen Vorprüfung
2006
Bestehen der Zahnärztlichen Vorprüfung mit der Note „gut“
Befreiung von den Semestergebühren aufgrund besonderer Leistungen
2007
Anstellung als Tutor im Zahnerhaltungskurs der Zahnklinik Erlangen
2008
6 wöchiger Forschungsaufenthalt an der University of Texas, Houston
2009
Abschluss des Zahnmedizinstudiums mit der Gesamtnote „gut“
Promotion
2007-2010
Seit April 2007 Forschung im Bereich Oralphysiologie, Unterschiede
der Kaumuskelaktivität mit und ohne Anästhesie, Abschluss der
Messungen und Auswertung Herbst 2008, Fertigstellung April 2010
Beruf
2010
Seit 04.01.2010 Assistenzzeit in Bayreuth in der Praxis Kämpf/ Bittner
Erlangen, April 2010
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