Untersuchung zu Problemen Studierender im

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Untersuchung zu Problemen Studierender im Informatikstudium
Diese Untersuchung widmet sich den Problemen, die bei schwachen Studierenden in der
Informatik aufgefallen sind. Die Probleme werden im Einzelnen aufgeführt und deren
Ursachen untersucht. Anschließend folgt ein Überblick über Maßnahmen, die zur Abhilfe zu
empfehlen sind und die teilweise bereits eingesetzt werden. Der Schwerpunkt der
Betrachtungen liegt auf allgemeinen Ursachen, insbesondere dem Übergangsbereich
zwischen dem allgemeinen und fachspezifischen Sektor.
Symptome
Bei Studierenden der Informatik sind auffallende Probleme sichtbar geworden. Dies betrifft
- fachliche Vorraussetzungen
- Voraussetzungen hinsichtlich der Arbeitshaltung und Arbeitsweise
Diese Probleme stellen in Charakter und Stärke der Ausprägung ein Charakteristikum der
Informatik dar und treten in dieser Form nicht in anderen technischen Fakultäten auf. Das
zeigt die folgende Gegenüberstellung. Beschrieben werden stets die auftauchenden Probleme;
dass auch viele gute Studierende existieren, sei nur an dieser Stelle erwähnt, es wird aber
später nicht mehr hervorgehoben.
1. Mathematik-Vorkurs
Die Studierenden der Informatik zeigen deutlich schlechtere Ergebnisse im Vorkurstest
als jene der anderen technischen Fächer. Nur in der Fakultät Recht fällt der Test
schlechter aus. (Vergleich der Testergebnisse siehe „Ergebnisse des Vorkurstest“)
2. Studierstil
Hier werden Studierende der Versorgungstechnik (V) und der Informatik (I) verglichen.
- Pünktlichkeit:
I: Viele erscheinen noch 15 min nach Vorlesungsbeginn, das Verhalten wird oft im
Semester schlimmer.
V: Auch bei Vorlesungsbeginn um 7:45 Uhr kommen maximal ein oder zwei
Studierende in den ersten 3 min zu spät, das Verhalten wird nicht schlimmer.
- Startposition zu Vorlesungsbeginn:
I: Viele haben den Rucksack und Esspakete auf dem Tisch, surfen, schauen Video,
kein Schreibzeug ist ausgepackt. Arbeitsmaterialien werden schleppend hervorgeholt,
das andere ebenso schleppend weggepackt.
V: Kein Rucksack, kein Esspaket befinden sich auf dem Tisch, erst recht keine
Notebooks. Das Schreibzeug liegt parat, Block und Skript liegen aufgeschlagen da,
der Stift zum Mitschreiben ist griffbereit.
- Verhalten von Schwachen:
I: Gar nicht mehr mitschreiben, kein Arbeitsmaterial da, nur berieseln lassen, surfen,
mailen usw.
V: Auch die meisten Schwachen bemühten sich mitzuarbeiten. Sie versuchen, die in
der Vorlesung gestellten Übungsaufgaben zu lösen und schalten nicht ab (auch wenn
sie die Aufgaben wegen „Land unter“ nicht herausbekommen).
- Konzentrationsfähigkeit:
I: Sehr Schwache zeigen oft Fahrigkeit und Unkonzentriertheit.
V: Die sehr Schwachen wirken nicht fahrig und unkonzentriert, sondern sind einfach
des Faches unkundig.
S. Bellmer
Untersuchung zu Problemen Studierender im Informatikstudium
Folgende weitere Charakteristika schwächerer Studierender sind identifiziert:
- Unselbstständigkeit
- Unfähigkeit zu lesen; Bsp.: Ein Student versteht den Text nicht, weil er nicht begreift,
dass sich die im Relativsatz genannte Information auf das Substantiv bezieht, dem der
Relativsatz zugeordnet ist.
- Völlige Unstrukturiertheit bis hin zur Unfähigkeit, sich im Studium zurecht zu finden
- Probleme, sich zu konzentrieren
- Nicht zu Übungen gehen
- Niemanden fragen und nicht die Frage- und Beratungsangebote wie Mathe-Café und
Informatik-Café wahrnehmen, obwohl Probleme und Fragen existieren und obwohl
der große positive Einfluss dieser Maßnahmen auf den Studienerfolg bekannt ist
- Sprunghaftes Vorgehen beim Arbeiten, kein Erfassen oder Aufbauen längerer
logischer Zusammenhänge oder Ketten
- Computersucht, Internetsucht
- Extrem große Lücken in Mathematik, große Abwehr gegenüber Mathematik
- Falsche Vorstellung von Informatik und dem späteren Berufsleben gepaart mit einer
Unbereitschaft, an den falschen Vorstellungen etwas zu ändern
- Zu schnell aufgeben, nicht knobeln, zu geringes Durchhaltevermögen
- Hinzu kommen fachspezifische Problematiken wie
o Arbeiten nur mechanisch durchführen und nicht verstehen wollen
o Suchen nach Schemata statt die Zusammenhänge ergründen zu wollen
o Kein Konzeptverständnis
o Probleme, abstrakt zu denken und Abstraktes zu erfassen
o Nicht in der Lage, Dinge mathematisch richtig aufzuschreiben;
Aufgeschriebenes ist formal falsch und/oder entsteht in einem erratischen Hin
und Her statt nacheinander von links nach rechts hingeschrieben zu werden
o Lösungen von Aufgaben auswendig lernen wollen statt Prinzipien zu verstehen
o Kaum fähig, einfache Berechnungen im Kopf oder per Hand auszuführen (z.B.
Bruchrechnung); kein Verständnis von Dezimalbrüchen usw.
o Nicht richtig mit Skript oder angegebener Literatur arbeiten wollen bzw.
können
o Zu den fachlichen Charakteristika gehören noch zahlreiche weitere Punkte.
Diese betreffen die Verständnisschwierigkeiten und Fehlkonzepte in Bezug
auf die unterschiedlichen mathematischen Inhalte. Auch wenn diese bekannt
sind und bereits effektiv an der Beseitigung der Problematik gearbeitet wird,
sollen sie an dieser Stelle nicht aufgeführt werden, da dieses Dokument den
Schwerpunkt auf die allgemeinen Problematiken legt und da ein genaues und
differenziertes Eingehen auf die zahlreichen fachspezifischen Punkte den
Rahmen dieses Dokumentes bei weitem sprengen würde.
Die auftretenden Probleme lassen sich also im Wesentlichen in drei Kategorien einteilen:
1. Fachliche Probleme
Beispiel: Einfache Termumformungen werden nicht beherrscht
2. Probleme in Bezug auf Arbeitshaltung und generelle Vorstellung von der Informatik
Beispiel: Schwierigkeiten, konzentriert zu arbeiten
3. Persönliche Probleme
Beispiel: Unselbstständigkeit
S. Bellmer
Untersuchung zu Problemen Studierender im Informatikstudium
Ursachen
Die Ursachen lassen sich im Großen und Ganzen zwei Kategorien zuordnen:
1.) Ursachen, die an eindeutig identifizierten Stellen entstehen
Sie können direkt angegangen werden.
2.) Ursachen, die allgemeineren Charakter besitzen und viel mit der gesamten
Entwicklung der Gesellschaft, der Lebensumstände und/oder des Umgangs mit den
Fachdisziplinen zu tun haben
Hier kann nur bedingt Einfluss auf die Ursachen selbst genommen werden. Ein großer
Teil der Aufgabe besteht darin, an der Beseitigung der aus den Ursachen folgenden
Konsequenzen zu arbeiten und so zu versuchen, Prozesse rückgängig zu machen. Dies
wird noch näher erläutert werden.
1. Ursachen, die an eindeutig identifizierten Stellen entstehen
Diese Ursachen sind mit den speziellen Situationen an den Schulen verbunden. Die Schulen
haben sich hier keiner Versäumnisse schuldig gemacht, sondern die im Folgenden
aufgeführten Effekte sind als Resultat der allgemeinen Bedingungen entstanden. In der Regel
ist den Schulen die Situation bewusst, jedoch konnten sie die Probleme aufgrund fehlender
Möglichkeiten dennoch nicht beseitigen.
Allgemeinbildende Schulen
a) Informatik
Es bestehen Fehlvorstellungen darüber, was Informatik ist. Diese besitzen zwei Quellen:
i) Inhalte, die in der Schule im Fach „Informatik“ angeboten werden
Die behandelten Inhalte vermitteln ein falsches Bild vom Informatikstudium. So werden in
diesem Fach z.B. der Umgang mit Word, Excel, PowerPoint und Zeichenprogrammen geübt,
im besten Fall wird noch das Designen von Webseiten behandelt.
Das Lehren dieser Inhalte, die, vorsichtig gesagt, nicht viel mit dem Informatikstudium zu tun
haben, liegt begründet in
- Mangel an Fachkräften an den Schulen, die Informatik unterrichten können
- Überlastung der Lehrkräfte, so dass sich niemand zusätzlich in den Informatikbereich auf
breiter Ebene einarbeiten und entsprechende Lehrszenarien entwickeln kann.
ii) Einsatz von Computern in anderen Fächern
Hier wird der Computer sehr speziell eingesetzt. So werden in Mathematik etwa Übungen zur
Geometrie durchgeführt oder Graphen von Kurven erstellt, und in den sprachlichen oder
gesellschaftswissenschaftlichen Fächern müssen Texte erstellt werden. Da die Schüler/innen
nur solche Tätigkeiten mit dem Computer verbinden, ziehen sie den Schluss, dass man sich
auch im Informatikstudium, das „mit Computern zu tun hat“, nur mit diesen Dingen befasst.
b) Mathematik
In den Schulen wird bis Klasse 10 überwiegend Handwerkszeug gelehrt, also Rechnen. Daher
verbinden die Schüler/innen mit Mathematik überwiegend Rechnen und kein Verstehen von
Konzepten. In der Regel befassen sich lediglich diejenigen Schüler/innen, die Mathematik als
Prüfungsfach im Abitur gewählt haben, mit Konzepten und entwickeln ein Verständnis. Alle
anderen zeigen eine deutliche Abwehr gegen mathematische Konzepte.
S. Bellmer
Untersuchung zu Problemen Studierender im Informatikstudium
Vom Kultusministerium vorgeschrieben müssen frühzeitig GTR eingeführt werden, sehr zum
Leidwesen der Lehrkräfte. Als Konsequenz hat die Fähigkeit, mit Zahlen umzugehen, speziell
mit Brüchen, deutlich abgenommen. Auch die Fähigkeit, die Plausibilität eines Ergebnisses
zu beurteilen, ist deutlich geringer geworden, da das vom Taschenrechner angezeigte
Ergebnis blind geglaubt wird.
Eine besondere Ursache besitzen Schwierigkeiten, die bei einfachen mathematischen
Basisdisziplinen auftreten. Hier haben die Studierenden, als das Thema in der Schule
behandelt wurde, die Inhalte nicht verstanden. Sie hätten mehr Zeit oder andere Zugänge zum
Thema gebraucht oder ihr abstraktes Denkvermögen entsprach nicht dem Durchschnitt der
Klasse, so dass sie ins Hintertreffen gerieten. In beiden Fällen blieben die Lücken
anschließend bestehen und wurden nie aufgearbeitet.
c) Versorgungstechnik, Elektrotechnik und vergleichbare Fächer
Diese Fächer werden an den Schulen nicht angeboten. Daher kommt es auch zu keinem
Konflikt zwischen den behandelten Lehrinhalten an den Schulen und denjenigen im Studium.
Fachgymnasien, Fachoberschulen
Die fachliche Situation ist vergleichbar der Situation an den allgemeinbildenden Schulen.
Zusätzlich treten folgende Problematiken auf:
i) Fachhochschulreife für technische Studiengänge
Wer die Fachhochschulreife am FG /FOS Wirtschaft erlangt, darf dennoch Informatik
studieren, obwohl auf diesem Schulzweig die dort gelehrte Mathematik für einen Studiengang
aus dem MINT-Spektrum nicht ausreichend ist.
ii) Fachliche Fähigkeiten allgemein:
Schüler/innen der FG und FOS kommen entweder von den Realschulen oder wechselten von
den Gymnasien hierher, weil das Abitur an den allgemeinbildenden Schulen zu schwer
gewesen wäre. Infolgedessen sind Studierende mit diesem schulischen Hintergrund weniger
stark darin ausgebildet, abstrakte Inhalte zu verstehen oder mathematische Texte zu erfassen.
Ferner wurden sie weniger intensiv an selbstständiges Arbeiten herangeführt.
Berufsschulen
Einen speziellen Entwicklungsweg besitzen Studierende, die vor dem Studium eine
Ausbildung absolviert und daher die Berufsschule besucht haben. Da dieser Ausbildungsweg
originär nicht eine Vorbereitung auf ein Studium im Blick hat, wird unter anderem nicht so
viel Wert auf selbstständiges Arbeiten oder die Entwicklung solider mathematischer
Fähigkeiten gelegt. So wird zum Beispiel in der Mathematik nicht verlangt, eine Formel nach
allen auftretenden Größen auflösen zu können; statt dessen arbeitet man mit großen
Formelsammlungen, in denen jede Formel in allen sich durch Auflösen nach jeder
auftretenden Größe ergebenden Varianten aufgeführt ist, so dass man nur noch einsetzen kann
ohne nachzudenken.
Studierende, die vorher die Berufsschule durchlaufen haben, haben stets den Unterschied zu
den Anforderungen als außerordentlich groß empfunden. Besonders in Bezug auf
Arbeitspensum, selbstständiges Arbeiten und Denken war die Diskrepanz derart groß, dass oft
geäußert wurde, man sei zur Faulheit erzogen worden. (Eine Erziehung zur Faulheit liegt
natürlich nicht in der Absicht der Berufsschulen, der Eindruck ist lediglich wegen des großen
Unterschieds zu den Anforderungen im Studium entstanden.)
Die fachliche Situation ist wieder vergleichbar mit der Situation an den anderen Schulformen.
S. Bellmer
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2. Ursachen allgemeineren Charakters
Bei den Ursachen auf breiterer Basis hat man es mit Phänomenen zu tun, die mit dem immer
breiteren Einsatz von Computern im täglichen Leben zu tun haben und den Konsequenzen
aus dieser Entwicklung. Ebenfalls eine Rolle spielen allgemeine gesellschaftliche
Entwicklungen.
Hier kann man nicht mit einfachen gezielten Maßnahmen die Ursachen beseitigen.
Stattdessen muss man sich mit den Auswirkungen befassen und an diesen arbeiten. Sofern
sich die Probleme in den Studierenden noch nicht allzu verfestigt haben, kann man an den
Hochschulen mit entsprechenden Maßnahmen einen positiven Einfluss ausüben, falsche
Entwicklungen rückgängig machen und anschließend Entwicklungen in die richtige Richtung
anstoßen und unterstützen. Hier lassen sich pädagogische Maßnahmen einsetzen.
Sollten die Fehlhaltungen oder andere Problematiken aber bereits sehr verfestigt sein oder
einen sehr großen Umfang einnehmen, sind die Einflussmöglichkeiten der Hochschulen
begrenzt. Hier wären dann besondere Fachleute erforderlich. (Beispiele: exzessive
Internetsucht, extrem konfuses Denken und völlige Unfähigkeit, sich zu konzentrieren).
Einfluss des Computers auf das Arbeitsverhalten
An dieser Stelle sei deutlich gesagt: Der Computer ist ein sinnvolles Instrument und kann
sehr gut eingesetzt werden. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Leider sind auch negative
Auswirkungen feststellbar, wie z.B. auf das Arbeitsverhalten. Diese sollen hier beleuchtet
werden.
Um ein besseres Verständnis der ungünstigen Einflüsse zu gewinnen, wird betrachtet, wie
sich in den verschiedenen Stadien der Computerentwicklung das Arbeitsverhalten von
Studierenden der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät einer Universität verändert
hat (die geschilderten Effekte wurden selbst beobachtet oder von den verantwortlichen
Dozenten der entsprechenden Institute).
1. Stufe: Die Programmierung erfolgt auf Lochkarten
Die Programme müssen auf Papier schriftlich entworfen und niedergeschrieben werden. Dazu
sind strukturiertes, logisches und planvolles Vorgehen notwendig. Man muss ein
übergeordnetes Konzept entwickeln und dieses geordnet in der korrekten Reihenfolge
umsetzen und aufbauen.
Da nur wenige Lochkartenstanzer in einem zentralen Raum vorhanden sind, muss die Arbeit
gut vorbereitet sein, bevor man mit dem Stanzen beginnt, und man muss zügig arbeiten.
Da Korrekturen beim Stanzen von Lochkarten nur selten möglich sind, muss sehr konzentriert
gearbeitet werden.
2. Stufe: Die Programmierung erfolgt an Geräten mit Bildschirm
Schlagartig gab es Studierende, die sich ohne Vorbereitung an den Computer setzten und erst
vor dem leeren Bildschirm zu überlegen begannen, was sie denn eintippen möchten. Sie
hatten nicht vorher genau überlegt, keine Strukturen entworfen und sich keine Gedanken über
eine sinnvolle Reihenfolge gemacht.
Da am Bildschirm Tippfehler leichter korrigierbar sind, wurde auch etwas weniger
konzentriert gearbeitet.
Infolge des Umstands, dass die Terminals noch immer nur in zentralen Rechnerräumen zur
Verfügung standen, war der Anteil derjenigen Personen, die einfach „drauflos
programmierte“, noch gering. Es war notwenig, alle Arbeiten sauber vorzubereiten und gut zu
S. Bellmer
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organisieren, bevor man sich an den Computer setzt, damit zügig gearbeitet werden konnte,
denn andere warteten bereits auf einen freien Rechnerplatz.
3. Stufe: An den einzelnen Arbeitsplätzen steht für jede/n ein Rechner zur Verfügung.
Die Gruppe der Rechnernutzer teilt sich mittlerweile in zwei Gruppen.
Die eine Gruppe strukturiert weiterhin genau ihre Arbeit, entwickelt zuerst sauber die zu
verwendenden Konzepte und beginnt erst danach mit der Programmierung. Die Mitglieder
der anderen Gruppe erstellen nur noch sehr grobe Konzepte, wenn überhaupt, und
programmieren direkt drauflos.
4. Stufe: Komfortablere Software steht zur Verfügung, Verbindung zu anderen Rechnern
weltweit wird möglich
Da auf den nun verwendeten Rechnern auch komfortablere Software zur Verfügung steht, ist
ein zweiter Effekt zu beobachten. Wenn die Software nicht das gewünschte Ergebnis liefert,
überlegen die Mitglieder der ersten Gruppe genau, was die Ursache ist, erschließen die
Zusammenhänge und korrigieren dann den Fehler. Die Angehörigen der zweiten Gruppe aber
probieren lediglich aus, was klappt, ohne sich weiter mit den Gründen zu befassen. Sie
denken weniger logisch nach, denn das wäre anstrengender als das bloße Herumprobieren. Da
nun aber das logische Denken und das Aufbauen größerer Gedankengebäude und logischer
Strukturen weniger geübt werden, nimmt diese Fähigkeit ab.
Des Weiteren wird mehr an den Rechnern gespielt. Das Spielen beginnt bei Tetris und endet
beim mehr oder weniger wahllosen Einloggen in Rechner weltweit (hier handelt es sich im
Grunde um eine Vorstufe des Internetsurfens). In der Folge wird viel Zeit verschwendet, die
Arbeit kann während der Woche nicht geschafft werden, und es muss am Wochenende
gearbeitet werden, damit man mit Diplom- und Doktorarbeit weiterkommt. Wegen
ungeeigneten Umgangs mit dem Rechner wurde also nicht nur das Arbeitsverhalten negativ
beeinflusst, sondern auch das Privatleben (freie Zeit am Wochenende ist eingeschränkt).
Bemerkenswerterweise lässt sich ein Zusammenhang zwischen den negativen Veränderungen
des Arbeitsverhaltens einerseits und der Sichtweise von Computern andererseits feststellen.
Nur solche Studierende glitten in schlechtere Arbeitsweisen ab, die eine Leidenschaft für den
Rechner an sich besaßen. Diejenigen, die ihn als bloßes Instrument zum Arbeiten
betrachteten, waren unempfänglich gegenüber den negativen Einflüssen. Diese Tatsache
erklärt auch, warum bei Studierenden anderer technischer Fächer nicht die gleichen negativen
Effekte im Arbeitsverhalten auftreten. Sie nutzen Rechner lediglich als Arbeitsmittel und sind
nicht näher an ihnen interessiert, stattdessen konzentrieren sie sich auf die Inhalte ihres
Studienfaches. (Natürlich entwickeln nicht alle, die sich für Computer an sich interessieren,
negative Arbeitshaltungen. Es gibt viele gute Informatiker/innen!)
Analog beeinflusst der Computer auch das Arbeitsverhalten von Informatikstudierenden. Ein
Teil der Studierenden, die im ersten Semester noch in Ruhe strukturierte Konzepte entwarfen,
nachdachten und mathematische Sachverhalte sauber aufschrieben, ist in höheren Semestern
davon abgewichen. Sie spielen bei Arbeiten am Computer und Lösen von Problemen so lange
mit dem System, bis das Ergebnis richtig ist. Erst danach machen sie sich Gedanken über die
genauen Zusammenhänge. Manches Mal probierten sie sogar zuerst einmal herum, ohne die
Literatur oder das Skript zu konsultieren, mit dem Ziel, vielleicht zufällig das richtige
Ergebnis zu erwischen. Gleichzeitig waren diese Studierenden deutlich schlechter als zu
Beginn des Studium sind der Lage, mathematische Sachverhalte korrekt aufzuschreiben.
S. Bellmer
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Art der Verwendung von Computern im Privatleben
Es ist verständlich und naheliegend, dass die heutige große Verbreitung von PCs sowie die
Art ihres Einsatzes ebenfalls einen deutlichen Effekt auf das Arbeitsverhalten und den
Denkstil besitzen. Diese Effekte sollen nun im Folgenden beschrieben werden. An ihnen
muss dann angesetzt und gearbeitet werden, da die zugrunde liegende Ursache nicht beseitigt
werden. In diesem Bereich lassen sich auch sehr gut pädagogische Mittel einsetzen, da es sich
um allgemeine und nicht fachspezifische Probleme handelt.
Der Computer wird im privaten Bereich weit überwiegend auf folgende Arten eingesetzt:
- Kommunikationsmittel (E-Mail, Internettelefon, Skype)
- Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter
- Surfen im Internet, YouTube
- Computerspiele
- Textverarbeitung, z.B. mit Word
- Tabellenkalkulation mit Excel, Präsentationen mit PowerPoint (dies tritt bereits weniger
häufig auf)
Somit ist das Bild von der Nutzung von Computern wie folgt geprägt:
- Einfache Tätigkeiten, bei denen nicht nachgedacht werden muss
- Kommunikationsinstrument
- Umgang mit Computer und Software kann ausschließlich durch Spielen erfasst werden,
Lesen von Handbüchern und Ähnlichem ist unnötig
- Alles ist bildhaft. Abstraktes spielt keine Rolle.
- Mathematik spielt überhaupt keine Rolle.
- Webseiten (oder allgemein Bildschirmseiten), auf denen eine Fülle von Informationen
verteilt ist, die sich ihrerseits bisweilen auch schnell ändert, müssen schnell erfasst werden.
- Design ist wichtig.
- Genauigkeit und saubere Strukturen sind nicht so wichtig, wenn überhaupt. Man hat beim
Spiel ja einen nächsten Versuch.
- Der Computer dient der Unterhaltung.
- Nach den Gründen für die Leistungen und Funktionsweise des Computers wird nicht
gefragt.
Diese falschen Vorstellungen spiegeln sich auch in den Aussagen Studierender bezüglich
ihrer Motivation für das Studium und ihrer Vorstellungen über Informatik wieder:
- Ich will Computerspiele programmieren (z.T. wird noch die Art der Spiele eingeschränkt).
- Ich will im Webseitendesign arbeiten (das Erlernen von Fähigkeiten, die mit anderen
Arbeitsbereichen zu tun haben, wird dabei als unnötig betrachtet).
- Bei Informatik kann man alles mit trial and error machen.
- Ich mache Informatik, weil man da nicht lesen muss.
- Ein Programm muss nicht stimmen. Das entwickelt sich doch.
Dies sind nur einige Beispiele.
Ebenso sind die Konsequenzen der falschen Vorstellungen beim Arbeitsverhalten sichtbar:
- Über Programme und auftretende Fehler wird nicht nachgedacht, sondern es wird so lange
herumprobiert, bis der Compiler keinen Fehler mehr meldet. Diese Programmversion wird
dann als richtig betrachtet.
- Ein ähnliches Arbeiten wie bei einem Spiel lässt sich auch beim Umgang mit anderen
Aufgaben am Computer beobachten.
- Dokumente werden nicht gelesen.
S. Bellmer
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- Das Erfassen von Webseiten mit einer Fülle sich teilweise auch verändernder Informationen
hat direkte Konsequenzen. Untersuchungen zeigen, dass der Blick zuerst in die Mittel des
Bildschirms fällt und anschließend in einer definierten Reihenfolge zu den unterschiedlichen
Orten des Bildschirms springt. An diesen Stellen, beginnend mit der Mitte des Bildschirms,
sind auch diejenigen Elemente untergebracht, die am Wichtigsten sind und wegen ihrer
Darstellung am meisten die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dieses Verhalten wird direkt
auf die Mathematik übertragen. Gleichungen werden nicht mehr ordentlich von links nach
rechts und Zeile für Zeile von oben nach unten hingeschrieben, ebenso Termumformungen.
Satt dessen wird bei einer Gleichung zuerst derjenige Term notiert, der die größten Probleme
bereitet und somit die Aufmerksamkeit am meisten fesselt. Dann widmet man sich dem
nächstschwierigen Term, der irgendwo in der Gleichung stehen kann und in der Zeile ohne
Verbindung zum bereits umgeformten Term hingeschrieben wird. So arbeitet man sich
sukzessive durch die Gleichung, um am Ende kleine Terme, Rechen- und Gleichheitszeichen
zu ergänzen. Dieses Phänomen ist mit wachsender Verbreitung von Computern und Internet
zuerst bei Schüler/innen aufgetreten, taucht mittlerweile aber auch an den Hochschulen in
größerem Ausmaß auf.
In den anderen technischen Fächern existieren keine vergleichbaren negativen Vorprägungen.
Ein spielerischer Umgang mit z.B. Elektrotechnik kann mit einem Elektronikbaukasten
erfolgen oder bei konkreten handwerklichen Tätigkeiten zuhause. Dies aber fördert das
Verständnis von Elektrotechnik und führt an praktische Tätigkeiten heran, ist also positiv zu
bewerten.
Darüber hinaus lassen sich allgemeine, nicht fachspezifische Phänomene beobachten, die den
Studienerfolg negativ beeinflussen:
- Ein Mangel an Bereitschaft und/oder Fähigkeit, Verantwortung für die eigenen Belange zu
übernehmen ist feststellbar. Daraus kann sogar die Erwartung resultieren, dass die Lehrenden
alles nahezu mundgerecht präsentieren und man selbst keine Aktivität zu zeigen braucht. Die
Ursachen hierfür liegen in der persönlichen Entwicklung und Geschichte der entsprechenden
Studierenden.
- Ebenso gibt es einen Mangel an Einsicht, dass man für ein Studium auch fleißig uns
angestrengt arbeiten muss. Es fehlt die Einsicht, dass die Studieninhalte für das spätere
Berufsleben benötigt und daher beherrscht werden müssen; dass permanentes Bestehen mit
Minimalpunktzahl und Abschreiben eine Anstellung verhindert, wird nicht realisiert.
Die Selbsteinschätzung ist gerade bei den schwachen Studierenden sehr oft unrealistisch
gewesen. Selbst wenn die Studierenden in mehreren Semestern in allen Fächern die Klausur
erst im dritten Versuch bestanden, hinterfragten sie nicht die Wahl des Studienfaches.
Diese unrealistische Einschätzung von sich selbst und von den an Bildungseinrichtungen
geforderten Fähigkeiten lässt sich schon seit längerer Zeit im Schulbereich beobachten.
Kinder sind nach der Grundschule sehr oft nicht auf die in der Schulempfehlung genannte
Schule geschickt worden, sondern auf die nächsthöhere. Selbst Kinder mit
Hauptschulempfehlung sollten bereits das Gymnasium besuchen. Die Eltern schätzten die
Lage sehr unrealistisch ein und gaben ihre Sichtweise an die Kinder weiter. Kam es dann zu
größeren Misserfolgen auf der höheren Schule und wurde die Überforderung des Kindes
sichtbar, sind leider nur in einem Teil der Fälle die richtigen Konsequenzen gezogen worden.
Viel zu oft mussten sich Kinder mit Fünfen und Sechsen in allen Hauptfächern und mehreren
Nebenfächern lange in Nachhilfe quälen, bis sie endlich so oft sitzen geblieben waren, dass
sie die Schule verlassen mussten.
Der analoge Unrealismus kann auch bei der Berufswahl festgestellt werden. So haben sich
schon Schüler/innen, die extreme Probleme in Mathematik zeigen und weder eine lineare
S. Bellmer
Untersuchung zu Problemen Studierender im Informatikstudium
Gleichung auflösen noch in die p-q-Formel fehlerfrei einsetzen können, bei der Berufsschule
für Elektrotechnik und Zerspannungstechnik eingeschrieben.
Ein entsprechendes Verhalten lässt sich in der Tat bei sehr schwachen Studierenden
feststellen.
Maßnahmen zur Abhilfe
Die Probleme sind also vielschichtig und umfangreich. Sie betreffen natürlich zuerst und vor
allem den fachlichen Bereich. Diese Schwierigkeiten werden von den Fachlehrenden in
vielfältiger Weise angegangen und bearbeitet. Gleichzeitig jedoch tauchen sie auch in
allgemeinen, nicht fachspezifischen Bereichen auf. Hier lässt sich mit pädagogischen Mitteln
weiter nach falschen Motivationen und Haltungen suchen und diese dann auch bearbeiten und
verbessern.
Abhängig von der jeweiligen Problematik sind unterschiedliche Maßnahmen sinnvoll. An der
Fakultät Informatik sind bereits einige Maßnahmen ergriffen worden, und weitere sind
geplant. Diese sollen im Folgenden kurz zusammengestellt werden. Weitere Maßnahmen
oder Erweiterung und Verfeinerung der bestehenden sind denkbar und werden untersucht.
(Natürlich gibt es noch weitere gute Lehrmethoden. Das Augenmerk gilt an dieser Stelle aber
bewusst jenen, die den ausgeführten Problemen entgegenwirken.)
Schulen
Fortbildungen für Lehrkräfte und weitere Zusammenarbeit und Angebote sind geplant.
Dies ist ein sehr guter Weg, um den Schulen zu helfen, die diversen Probleme zu beseitigen.
Fachliche Hilfsangebote
Schwächere Studierende benötigen mehr Unterstützung. Daher wurden zusätzliche
Beratungs- und Frageangebote geschaffen, die, wenn die Studierenden sie wahrnahmen, stets
sehr geholfen haben.
Angepasster Lehr- und Übungsstil
Um der mangelnden Fähigkeit, sich zu konzentrieren und mathematische Sachverhalte
aufzuschreiben, zu begegnen, wurden „alte“ bewährte Konzepte neu eingesetzt. Die Lösung
der wöchentlichen Übungsaufgaben muss schriftlich abgegeben werden, und diese werden
dann korrigiert. Der positive Einfluss ist deutlich messbar.
Um ein Erstellen von Programmen nach Versuch und Irrtum zu vermeiden und um
Nachdenken uns Strukturieren zu fördern, wird überlegt, einen Teil der Programmieraufgaben
nicht mehr am Rechner, sondern an der Tafel zu lösen..
Hilfe bei allgemeinen Problemen
Um allgemeinen Problemen im Studium und auch persönlichen Problemen zu begegnen und
Hilfe anzubieten, besteht seit einiger Zeit die Möglichkeit, Lerncoaching und Beratung in
Anspruch zu nehmen. Dies hat den entsprechenden Studierenden gut geholfen.
S. Bellmer
Untersuchung zu Problemen Studierender im Informatikstudium
Anhang: Ergebnisse des Vorkurs-Tests
Im Folgenden sind die Ergebnisse der Tests aufgeführt, die jedes Semester zu Beginn des
Vorkurses durchgeführt werden. Die Vorkursgruppen wurden gemäß der Fakultäten
zusammengefasst. Gleiche Farben stehen für gleiche Fakultäten. Im SS 2008 sind in den
Gruppen 3 und 4 Studierende von zwei Fakultäten zusammengefasst; dies ist durch Mischung
zweier Farben kenntlich gemacht. Das SS 2009 ist nicht dargestellt, da hier nicht die
Vergleichswerte aller Fakultäten vorliegen.
Ein Vergleich der Ergebnisse der Nachtests, d.h. der Tests, die am Ende des Vorkurses
durchgeführt werden, erfolgte nicht, da an diesem Nachtest nicht an jeder Fakultät alle
Studierenden teilnehmen.
Vorkurstest SS 2008
60
50
40
Prozent
Gruppe 1
Gruppe 2
30
Gruppe 3
Gruppe 4
20
10
0
0-3
4-7
8-11
12-15
16-19
20-23
24-27
Punkte
S. Bellmer
Untersuchung zu Problemen Studierender im Informatikstudium
Vorkurstest WS 2008/2009
70
60
50
Prozent
Gruppe 1
Gruppe 2
40
Gruppe 3
30
Gruppe 4
Gruppe 5
20
10
0
0-3
4-7
8-11
12-15
16-19
20-23
24-27
Punkte
Vorkurstest WS 2009/2010
70
60
50
Prozent
Gruppe 1
Gruppe 2
40
Gruppe 3
30
Gruppe 4
Gruppe 5
20
10
0
0-3
4-7
8-11
12-15
16-19
20-23
24-27
Punkte
S. Bellmer
Untersuchung zu Problemen Studierender im Informatikstudium
Vorkurstest SS 2010
70
60
50
Prozent
Gruppe 1
40
Gruppe 2
Gruppe 3
30
Gruppe 4
20
10
0
0-3
4-7
8-11
12-15
16-19
20-23
24-27
Punkte
Vorkurstest WS 2010/2011
60
50
40
Prozent
Gruppe 1
Gruppe 2
30
Gruppe 3
Gruppe 4
20
10
0
0-3
4-7
8-11
12-15
16-19
20-23
24-27
Punkte
S. Bellmer
Untersuchung zu Problemen Studierender im Informatikstudium
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