ARBEITSSICHERHEIT AUF DEM BAU Sicherheits- und Gesundheitskoordination in der Freiraumplanung. Von Andreas Bunk D ie seit Jahren konstant hohe Zahl von schweren Arbeitsunfällen auf Baustellen war für die europäischen Baugewerkschaften Anlass, auf die EU einzuwirken, um den Arbeitsschutz zu verbessern. In der BRD ereignen sich bspw. Jahr für Jahr 400 tödliche Arbeitsunfälle auf dem Bau; innerhalb der EU sind es rund 1.000 Tote alleine durch Abstürze. Neben diesen tödlichen Unfällen sind allein in Hamburg ca. 380 Unfälle mit Personenschäden jährlich zu beklagen. Vorbild für den Erlass der EU-BaustellenRichtlinie 1992 waren u.a. die Arbeitsschutzstandards, die die Subunternehmer der petrochemischen Industrie und des Bergbaus einzuhalten haben. Mit Hilfe dieser Standards konnte die Zahl der Arbeitsunfälle in den vergangenen 40 Jahren drastisch gesenkt werden. AUSWIRKUNGEN AUF DAS BAUORDNUNGSRECHT Bauordnungsrecht ist originäres Landesrecht, d.h. die Regelungen für die Umsetzung der BaustellenVO durch das Bauordnungsrecht der 16 Bundesländer weicht stark von einander ab. Nur auf Grund der Bundeskompetenz im Bereich des Arbeitsschutzes war es möglich, eine bundeseinheitliche BaustellenVO (19. Juli 1998) einzuführen. Im Folgenden will ich am Beispiel der Hamburgischen Bauordnung (HBauO) die Anwendung der BaustellenVO im Bauprozess kurz erläutern. Gem. § 53 HBauO sind der Bauherr und die anderen im Rahmen ihres Wirkungskreises am Bau beteiligten Personen dafür zuständig, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften befolgt werden. Im Hinblick auf die BaustellenVO gilt dieses insbesondere für die Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften (UVV) im Rahmen des Arbeitsschutzrechts. Die UVV sind in Hamburg gem. § 3 (3) HBauO eingeführte Regeln der Technik und damit allgemein verbindlich. Zu beachten sind insbesondere auch die gesetzlichen Vorschriften des Immissionsschutzes (BImSchG, LärmschutzVO) des Chemikalienrechtes (Chemikalien Gesetz, GefahrstoffVO (Asbest)) des Abfallrechtes (Kreislaufwirtschaftsgesetze) sowie des Brandschutzes auf der Baustelle. Das System des deutschen Arbeitsschutzes bezieht sich originär nur auf abhängig Beschäftigte. Durch die Einführung der UVV in Hamburg als Regeln der Technik durch die oberste Bauaufsichtsbehörde gelten diese Regeln nunmehr auch für alle auf der 16 Baustelle anwesenden Personen (Unternehmer ohne Angestellte, „Scheinselbstständige“, Bauherren, Architekten, Passanten). Den am Bau beteiligten Personen obliegen funktionsbezogen unterschiedliche Verantwortungsbereiche und Befugnisse. Der Bauherr hat für die Sicherheit und Ordnung auf seinem Grundstück zu sorgen und ist für die von hier ausgehenden Gefahren auf Dritte verantwortlich. Ist er hierzu nicht in der Lage, so hat er diese Aufgaben zu delegieren. Es gehört zu den vorrangigen Beratungspflichten eines Architekten – auch Landschaftsarchitekten – den Bauherrn hierüber aufzuklären. Liegen die in § 2 (2) BaustellenVO eindeutig definierten Voraussetzungen vor, so ist der Bauherr verpflichtet, einen ausreichend sachkundigen Sicherheits- und Gesundheitskoordinator zu bestellen, sofern der Bauherr nicht selbst über diese Sachkunde verfügt. In diesen Fällen ist die Anfertigung eines Sicherheits- und Gesundheitsplanes (SiGe-Plan) bzw. der Instandhaltungs-„Unterlage“ erforderlich. Die Vorankündigung gem. BaustellenVO ist mit der Anzeige des Baubeginns bei dem zuständigen Bauordnungsamt einzureichen. Gem. § 2 (2) BaustellenVO sind diese Voraussetzungen gegeben, wenn 1. die voraussichtliche Dauer der Arbeiten mehr als 30 Arbeitstage beträgt und auf der Baustelle mehr als 20 Beschäftigte gleichzeitig tätig sein werden, 2. der Umfang der Arbeiten voraussichtlich 500 Personentage überschreitet, 3. mehrere Unternehmen oder Unternehmer ohne Angestellte in einem Bereich gleichzeitig tätig sind oder 3. auf der Baustelle ein besonderes Gefährdungspotential vorliegt oder von ihr ausgehen könnte. Der Verordnungsgeber geht davon aus, dass in allen Planungsphasen – d.h. insbesondere bei der Ausführungsplanung, Ausschreibung und Bauleitung – die Belange des Arbeitsschutzes frühzeitig angemessen berücksichtigt werden müssen. Kommt es beispielsweise im Rahmen von Ausschachtungs- bzw. Baumfällungsarbeiten zu einem Arbeitsunfall und stellt sich bei der folgenden Untersuchung der Unfallursachen heraus, dass in den Ausführungs- oder Ausschreibungsunterlagen die notwendigen Sicherungsmaßnahmen (wie Verbau, Absperrungen usw.) nicht vorgesehen waren, so trifft den Planer bzw. Bauleiter eine Mitschuld. Im Falle von Personenschäden kann dieses sogar zu strafrechtlichen Konsequenzen führen (vgl. § 319 StGB „Baugefährdung“). SICHERHEITS- UND GESUNDHEITSPLAN IN DER FREIRAUMPLANUNG Im Gegensatz zum Hochbau ist das Problembewusstsein in Bezug auf die Anwendung der BaustellenVO bei Freiraumplanern wenig ausgeprägt. Handelt es sich um Vorhaben im Zusammenhang mit größeren Hochbaumaßnahmen, haben i.d.R. die Hochbauplaner oder Ingenieurbüros dieses Feld bereits besetzt. Das Bauvolumen vieler Freianlagenplanungen erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 2 (2) BaustellenVO oder der Bauherr wird von der Notwendigkeit der SiGe-Koordination nicht überzeugt. Da Freianlagenplanungen meist nicht so intensiv in das Baugenehmigungsverfahren eingebunden sind, besteht auch Seitens der Baugenehmigungsbehörde nicht der Zwang, die Anwendung der BaustellenVO durchzusetzen. Aber gerade im großstädtischen Umfeld kann auch bei freiraumplanerischen Projekten das Gefährdungspotential für Mensch und Umwelt erheblich sein. Dieses liegt insbesondere dann vor, wenn es im Rahmen der Baumaßnahme erforderlich sein sollte: umfangreiche Aufgrabungen, Abstützungen bzw. Unterfangungen vorzunehmen, Bäume zu fällen, im Bereich von Ver- und Entsorgungsleitungen zu arbeiten, Pflanzenschutzmittel einzusetzen, Baumaßnahmen an stark befahrenen Verkehrswegen durchzuführen oder an oder auf Wasserflächen zu arbeiten. In diesen Fällen ist die Durchführung der SiGe-Koordination und die Anfertigung der genannten Unterlagen angezeigt. Der erste Arbeitsschritt bei der Anfertigung eines SiGe-Planes ist die Zusammenstellung und Einschätzung aller einzelnen Gefährdungspotentiale einer Baumaßnahme im Hinblick auf die Sicherheit auf der Baustelle und die Auswirkungen auf die Umgebung. Es sind rechtzeitig alle für die Planung und Baudurchführung bedeutsamen Bestandsunterlagen zu beschaffen, hierzu zählen insbesondere: Leitungspläne, Informationen des Kampfmittelräumdienstes, Beurteilungen der Standsicherheit von Gebäuden, Baugruben und Bäumen, Altlasten, Gefahrstoffe auf der Baustelle (z.B. Asbest, Pestizide, feuergefährliche Substanzen), Grundwasserstände, Unterlagen zur Verkehrssicherheit auf LANDSCHAFTSARCHITEKTEN • HEFT 2/2000 der Baustellen und ihren Zuwegen. Hierauf folgt eine Einschätzung der Gefahren und Risiken, die durch die räumliche und zeitliche Nähe der verschiedenen Gewerke und Bauprozesse auftreten können. Diese erste Bestandserhebung dient dazu, rechtzeitig in allen Planungsphasen Maßnahmen zur Minimierung der Gefährdungspotentiale einzuleiten. Dieses ist bspw. durch eine zeitliche und räumliche Trennung oder durch Auswahl anderer, risikoärmerer Verfahren möglich. Bereits in diesen frühen Planungsphasen müssen in den Kostenermittlungen die für die Sicherheit erforderlichen Mittel (z.B. für Verbau, Fanggerüste oder die Beseitigung von Gefahrstoffen) eingestellt werden. Die Terminplanung ist so vorzunehmen, dass die Bauabläufe nicht durch übermäßigen Termindruck belastet werden, einer der häufigsten Unfallursachen auf dem Bau. Bereits im Rahmen der Ausführungsplanung und erst recht bei der Ausschreibung sind die notwendigen Sicherheitseinrichtungen vorzusehen und ggf. gesondert auszuschreiben, sofern es sich hierbei nicht um Nebenleistungen nach VOB handelt. Die Bauberufsgenossenschaften bieten entsprechende Ausschreibungstexte („Bausteine“) in gedruckter Form oder auf CDROM an. In Fällen besonderer Gefahrstoffe (z.B. Asbest) ist rechtzeitig ein geeigneter Fach-SiGe-Koordinator hinzuzuziehen. Im SiGe-Plan selbst folgt auf die systematische Zusammenstellung der Gefährdungspotentiale eine Gegenüberstellung der entsprechenden Gegenmaßnahmen zur Gefahrenabwehr. SiGe-Pläne sind während des gesamten Bauprozesses fortzuschreiben und durch den SiGe-Koordinator auf der Baustelle in der Umsetzung zu überwachen. Bei der gesamten SiGe-Koordination sind auch alle nach der Abnahme der Baumaßnahme erforderlichen Arbeiten zur Pflege, Wartung und Instandsetzung zu berücksichtigen. D.h. beispielsweise, dass Rasenböschungen so zu gestalten sind, dass sie später gefahrlos gemäht werden können. Sollte dieses mit den üblichen Methoden nicht möglich sein, so sind alternative Arbeitsweisen konkret in der Instandhaltungs„Unterlage“ vorzusehen. Diese „Unterlage“ ist nach Abschluss der Baumaßnahme dem Bauherrn zu übergeben und zu erläutern. Hauptverantwortlich für den Arbeitsschutz auf der Baustelle bleiben die jeweiligen Unternehmer für ihre abhängig Beschäftigten. Gem. § 53 HBauO ist der Bauherr für die Einhaltung der öffentlich-rechtliLANDSCHAFTSARCHITEKTEN • HEFT 2/2000 chen Vorschriften auf seiner Baumaßnahme und die Sicherheit und Ordnung auf seinem Grundstück verantwortlich. Der Bauherr delegiert in der Regel diese Aufgaben gem. §§ 53 und 54 HBauO an den verantwortlichen Bauleiter. Dieses erfolgt schriftlich im Rahmen der Anzeige des Baubeginns. Der SiGe-Koordinator an sich ist nicht weisungsbefugt. Die Umsetzung des SiGePlanes erfolgt über den verantwortlichen Bauleiter als Vertreter des Bauherrn, durch den Bauherrn selbst oder die jeweiligen Unternehmer. Solange der SiGe-Koordinator keine Weisungsbefugnis im Zusammenhang mit seiner Beauftragung erhalten hat, deckt in der Regel seine Berufshaftpflicht dieses Risiko ab. Mit einer Weisungsbefugnis ist ein Prämienzuschlag erforderlich. Der SiGe-Koordinator schuldet seinem Auftraggeber die umfassende, fachlich fundierte Beratung, die Erarbeitung des SiGe-Planes und der „Unterlage“ sowie die Überwachung der Umsetzung auf der Baustelle. Ich halte die personelle Trennung von eigentlicher Bauleitung und SiGe-Koordination für zweckmäßig. Es ergeben sich oft vordergründig Interessenkonflikte zwischen dem Bauleiter und dem SiGe-Koordinator. Der eine hat seine Termine und Kosten einzuhalten, der andere muss ständig gegen Nachlässigkeiten auf der Baustelle vorgehen. Beide können jedoch einem Planungsbüro angehören. DIE HONORIERUNG DER SIGE-KOORDINATION Die Leistungen eines SiGe-Koordinators sind noch nicht in der HOAI berücksichtigt. Somit gibt es auch noch kein allgemein verbindliches Preisrecht. Das Honorar für diese Leistungen ist somit noch frei vereinbar. Die Architektenkammern der Länder haben Honorierungsvorschläge für die Leistungen eines SiGe-Koordinators herausgegeben, die nicht unumstritten sind. M.E. wird hierbei der unterschiedliche Schwierigkeitsgrad und der damit verbundene Aufwand bei den sehr unterschiedlichen Bauaufgaben nicht ausreichend berücksichtigt. Derzeit werden von verschiedenen Verbänden und Kammern (z.B. durch den AHO Ausschuss der Ingenieurverbände und Ingenieurkammern für die Honorarordnung e.V.) Erhebungen vorgenommen, um den mit der SiGe-Koordination verbundenen Aufwand zu ermitteln und erste Kalkulationsgrundlagen zu erar- beiten. Oftmals versuchen Bauherren, die Aufgabe der SiGe-Koordination als Bestandteil der herkömmlichen Planungsleistungen, insbesondere der Bauleitung, zu vereinbaren. Die SiGe-Koordination ist jedoch nicht Bestandteil der entsprechenden Leistungsbilder gem. § 15 HOAI. Der hiermit verbundene Arbeitsaufwand und die Verantwortung sollten nicht unterschätzt werden. Die Voraussetzung des Tätigwerdens als SiGe-Koordinator ist eine ausreichende Sach- bzw. Fachkunde. Hierfür wird eine langjährige Berufserfahrung in allen Leistungsphasen und die Auseinandersetzung mit der Thematik des Arbeitsschutzes vorausgesetzt. Derzeit gibt es ein unübersichtliches Angebot an entsprechenden Seminaren, Fortbildungen und EDVProgrammen. Hervorheben möchte ich das Angebot der Architekten- bzw. Ingenieurkammern sowie der zuständigen Berufsgenossenschaften (BauBG, TiefbauBG, GaLa-BauBG). In Hamburg führt das Amt für Bauordnung und Hochbau der Baubehörde eine entsprechende Eignungsprüfung durch und führt ein Verzeichnis der zugelassenen SiGe-Koordinatoren. Einige Ingenieurund Architektenkammern führen gleichfalls derartige Verzeichnisse. RESÜMEE Die SiGe-Koordination kann bei verantwortungsvoller Anwendung ein Beitrag zur Steigerung der Arbeitssicherheit auf dem Bau sein. Ein SiGe-Plan und die „Unterlage“ können Mittel zu einer verbesserten Strukturierung und Koordination der Bauabläufe sein. Hierdurch lassen sich oftmals Mehrkosten durch nachträglich zu berücksichtigende Sicherheitsmaßnahmen vermeiden. Eine gut koordinierte Baustelle ist i.d.R. auch wirtschaftlicher als Improvisieren auf dem Bau. Arbeitsunfälle kosten Gesundheit, Zeit, Geld und Nerven. Wir Landschaftsarchitekten sollten uns dieses Geschäftsfeld nicht von anderen Professionen, wie z.B. den Ingenieuren, streitig machen lassen. Oftmals wird derzeit SiGe-Koordination von nicht ausreichend qualifizierten Personen oder von Fachingenieuren vorgenommen, deren einzige Sorge darin besteht, dass der Anschluss für die Kaffeemaschine im Baucontainer nicht über einen Fehlerstrom-Schutzschalter verfügt. Als wenn der elektrische Schlag beim Kaffeekochen die einzige Gefahr auf einer Baustelle wäre! Andreas Bunk ist freier Landschaftsarchitekt BDLA in Hamburg. 17