Götter und Helden der Griechen

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APOLLODOROS
GÖTTER U
UND
ND HELDEN
DER GRIECHEN
GRIECHEN
Eingeleitet, herausgegeben und übersetzt
von Kai Brodersen
Zuerst zweisprachig erschienen in der Reihe
EDITION ANTIKE
Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen
und Martin Hose
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
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detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
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© 2012 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt
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Satz: COMPUTUS Druck Satz & Verlag, 55595 Gutenberg
Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier
Printed in Germany
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ISBN 978-3-534-25246-6
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:
eBook (PDF): 978-3-534-73066-7
eBook (epub): 978-3-534-73067-4
Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Apollodoros, Bibliothek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Theogonie (1,1–44) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Die großen Familien (1,45–E2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
– Deukalion und seine Nachfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
darin: Iason und die Argonauten (1,107–147) . . . . . . . .
– Inachos und seine Nachfahren I: Belos (2,1–180) . . . . . . . . .
darin: Herakles und seine Nachfahren (2,61–180) . . . .
– Inachos und seine Nachfahren II: Agenor (3,1–95) . . . . . . . .
darin: Europe (3,1–20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
darin: Kadmos (3,21–95) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
darin wiederum: Die Sieben gegen Theben (3,57–79) .
– Inachos und seine Nachfahren III: Pelasgos (3,96–109) . . . .
– Atlas und seine Nachfahren (3,110–155) . . . . . . . . . . . . . .
– Asopos und seine Nachfahren (3,156–176) . . . . . . . . . . . . .
– Erichthonios, seine Vorgänger und Nachfahren (3,177–E1)
darin: Theseus (3,216–E1,24) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
– Pelops und seine Nachfahren (E2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Der Troianische Krieg und seine Nachwirkungen (E3–E7) . .
– Vor Homer (E3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
– In Homers Ilias (E4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
– Die Eroberung Troias (E5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
– Die Irrfahrten der Heimkehrer von Troia (E6–E7) . . . . . . .
darin: Die Irrfahrten des Odysseus (E7) . . . . . . . . . . .
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Anhang
Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Register
– Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
– Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
– Gestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung
Eine ganze Bibliothek
Ich las ein Büchlein des Grammatikers Apollodoros; sein Titel war
„Bibliothek“. Es enthielt das Allerälteste von den Griechen, das
die Zeit ihnen über die Götter und Helden zu glauben gegeben hat,
und über die Namen von Flüssen, Ländern, Völkern und Städten,
und von da an alles andere, was bis ins Altertum hinaufreicht. Das
Werk geht weiter bis zum Troianischen Krieg und behandelt die
Schlachten, die bestimmte Männer miteinander ausgefochten haben, ihre Taten und manche Irrfahrten der Rückkehrer von Troia,
insbesondere die des Odysseus, mit dem für ihn die Geschichte der
alten Zeit endet. Im allgemeinen ist das Buch eine Synopse, der es
durchaus nicht an Nutzen für die mangelt, die der Erinnerung an
die alten Geschichten Wert beimessen.
So schrieb im 9. Jahrhundert der gelehrte Patriarch Photios in seiner „Bibliothek“ (186) über das Werk, das im vorliegenden Band in
einer modernen Übersetzung erschlossen wird: die „Bibliothek“ des
antiken Mythographen Apollodoros. Der Titel „Bibliothek“ deutet bei
Photios wie bei Apollodoros an, dass das jeweilige Werk eine ganze
Bücherei antiker Texte ersetzen und zu diesem Zweck Kurzfassungen
der in ihr präsentierten Texte bieten will.
Götter und Helden
Viele Mythen von Göttern und Helden konnte man nämlich weit
ausführlicher in den Epen Homers – der „Ilias“ und der „Odysse“ – sowie im „Kyklos“, dem „Kreis“ von Epen, die von den Ereignissen
rings um die Epen sprechen. Weitere wichtige Zeugnisse für die griechischen Mythen fand und findet man bei Hesiod, in den Elegien und
lyrischen Versen der archaischen Zeit und in den Tragödien der klassischen Epoche.
Eine Zusammenstellung der wichtigsten griechischen Mythen jedoch bietet in der erhaltenen antiken griechischen Literatur allein die
„Bibliothek“ des Apollodoros. Tatsächlich erfasst sie nahezu alle Ge-
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Einleitung
schichten der griechischen Götter und Helden, von der Theogonie
(Entstehung der Götter) über die wichtigsten Sagenkreise der griechischen Welt bis zu den Taten der Helden vor, in und nach dem
Troianischen Krieg.
Um den so umfangreichen Stoff überhaupt präsentieren zu können,
bedient sich der Autor dabei zum einen der möglichst weitgehenden
Verknappung der Angaben, zum anderen der klaren genealogischen
Zuordnung aller mythischen Figuren.
So, wie wir bei Photios Apollodoros’ „Bibliothek“ in nur wenigen
Sätzen kennen lernen, so bietet Apollodoros selbst etwa den Inhalt von
Homers großem, 24 Bücher umfassenden Epos „Ilias“ in gerade einmal einen Abschnitt (E4) und die Geschichte von Antigone, der Sophokles eine ganze Tragödie gewidmet hat, sogar in nur zwei Sätzen
(3,78). Noch knapper sind vier Kataloge, die nur die Namen und Abstammungen der Heroen aufzählen, welche sich an der Jagd auf den
Kalydonischen Eber (1,67-69) oder am Argonautenzug (1,111-113)
beteiligten, Freier der schönen Helena waren (3,129-131) oder am
Krieg um Troia teilnahmen (E3,11-14). Fünf weitere Kataloge bieten
gar nur bloße Namen: die der Nereïden (1,11-13), die der je fünfzig
Töchter des Danaos und Söhne des Aigyptos (samt deren Müttern:
2,16-18), die der fünfzig Töchter des Thespios (samt deren von Herakles gezeugten Söhnen: 2,161-164), die der fünfzig Söhne des Lykaon
(3,96-97) und die der mehr als hundert Freier der Penelope (E7,2730). Allein durch eine solche Verknappung der Angaben konnte es
Apollodoros gelingen, die wichtigsten griechischen Mythen in einem
Einzelwerk zusammen vorzustellen.
Und um die Präsentation der so vielfältigen Mythen übersichtlich
zu gestalten, ordnet Apollodoros alle mythischen Figuren nach der
Theogonie und vor dem Troianischen Krieg einer von nur sechs Großfamilien zu: den Nachfahren des Deukalion, denen des Inachos mit
den jeweils von ihm abstammenden Familien des Belos, des Agenor
und des Pelasgos, denen des Atlas, denen des Asopos, denen des
Erichthonios und denen des Pelops.
Diese sechs Familien waren zudem miteinander verwandt: Deukalion war – über Prometheus und Iapetos – ein Urenkel von Uranos und
Ge (Gaia), Atlas als Sohn des Iapetos ein Enkel, und auch Inachos und
Asopos waren – über Okeanos – Enkel desselben Paars; mit Atlas’ Enkelin Hippodameia gründete Pelops seine Familie, und Erichthonios
schließlich war – über Hephaistos, Zeus und Kronos – ein Ururenkel
von Uranos und Ge.
Einleitung
9
Diese Familien stehen im übrigen zugleich für die großen Regionen der griechischen Welt, in denen die Mythen spielen: Inachos’
Nachfahren Belos für Argos, Agenor für Kreta und Theben und
Pelasgos für Arkadien, sodann Atlas für Sparta und Troia, Asopos für
Aigina, Erichthonios für Athen und Pelops für die Westpeloponnes –
und umfassen damit, was den Raum der Darstellung angeht, alle wichtigen Sagenkreise der griechischen Antike.
Was die dargestellte Zeit betrifft, so bleibt Apollodoros fast ganz
in der Epoche zwischen der Theogonie und dem Troianischen Krieg
samt seiner Folgen. Nur einmal (E6,22) wird ein späteres historisches
Ereignis erwähnt, der 346 v. Chr. endende Phokische Krieg. Die Welt
der römischen Mythologie wird hingegen nicht berücksichtigt, Rom
und die Römer sind überhaupt nicht erwähnt, und auch die Verbindungen von griechischem und römischem Mythos, etwa die Gründung
Roms durch den – hier (E5,21) nur in anderem Zusammenhang genannten – troianischen Helden Aineias (Aeneas), finden keine Beachtung.
Quellen und Datierung
Welche Quellen nutzte Apollodoros? Die von ihm am häufigsten
namentlich erwähnten Autoren sind zwei Autoren des 7. Jahrhunderts
v. Chr., Homer und Hesiod, mit denen die griechische Literatur und
damit auch Mythographie beginnt, sowie zwei Autoren des
5. Jahrhunderts v. Chr., deren mythographische Werke uns allerdings
nicht direkt erhalten sind: Pherekydes von Athen und Akusilaos von
Argos (s. jeweils das Register der Autoren).
Eine bestimmte Quellenangabe des Autors hat in der
Altertumswissenschaft besondere Aufmerksamkeit gefunden, da sie für
die Identität des Autors der „Bibliothek“ von Bedeutung ist: die Bezugnahme auf den Historiker Kastor von Rhodos (2,5). Jener nämlich
führte, wie wir aus anderen Zeugnissen wissen, seine Chronik bis ins
Jahr 61/60 v. Chr. Folglich kann der Autor der „Bibliothek“ nicht –
wie offenbar Photios (in der eingangs zitierten Passage) annahm – der
Grammatiker und Mythograph Apollodoros von Athen aus dem 2.
Jahrhundert v. Chr. gewesen sein, der u. a. ein Werk „peri theon“
(„Über die Götter“) verfasste; vielmehr ist der Autor ein wohl ein paar
Jahrhunderte später lebender Gelehrter namens Apollodoros (oder
auch, wie manche vermutet haben, ein Schriftsteller, der seine
„Bibliothek“ unter dem Namen des großen Vorgängers herausbrachte).
10
Einleitung
Direkte und indirekte Überlieferung
Apollodoros’ „Bibliothek“ wurde in Antike und Mittelalter immer
wieder abgeschrieben (und dabei mit Anmerkungen versehen, von denen einige beim wiederholten Kopieren versehentlich in den Text gerieten und erst in den modernen Editionen wieder getilgt werden),
doch ist keine Abschrift der gesamten „Bibliothek“ erhalten. Es fehlen
uns deshalb ein paar kleinere Textteile, vor allem aber fehlt uns der
vollständige Text für die Mythen um Theseus, Pelops und den
Troianischen Krieg mitsamt den Irrfahrten der Heimkehrer.
So sind wir bei der Rekonstruktion des griechischen Textes der
„Bibliothek“ auf unterschiedliche Zeugnisse angewiesen. Deren bestes
bietet eine Handschrift aus dem 14. Jahrhundert, der heute in der Nationalbibliothek zu Paris bewahrte Codex Parisinus graecus 2722, der
letztlich die direkte oder indirekte Vorlage aller erhaltenen späteren
Abschriften war. Von ihm sind aber nur etwa zwei Drittel bewahrt (für
1,12-43.80-115.129-147; 2,1-20.38-76.96-132.152-173; 3,11-46.6790.112-183), so dass wir die fehlenden Partien des griechischen Textes aus zwei Codices rekonstruieren müssen, die aus dem Parisinus zu
einer Zeit abgeschrieben wurden, als dieser noch vollständig erhalten
war: aus dem Codex Oxoniensis Laudianus graecus 55 (15. Jahrhundert), der seinerseits häufiger kopiert wurde, und aus dem Codex
Monacensis graecus 182, einer guten lateinischen Übersetzung von
Auszügen mit griechischen Zitaten, die sich der Humanist Angelus
Politianus (Angelo Ambrogini aus Montepulciano) in demselben Jahrhundert anfertigte.
Ebenfalls aus einem noch vollständigen Exemplar der „Bibliothek“
sind unabhängig voneinander zwei Auszüge (Epitomai) erstellt worden: der im Sabbas-Kloster in Jerusalem bewahrte Codex Sabbaïticus
366 aus dem 13. Jahrhundert und der ein Jahrhundert jüngere, in der
Vatikanischen Bibliothek bewahrte Codex Vaticanus graecus 950, der
wohl eine Arbeit des byzantinischen Gelehrten Johannes Tzetzes (12.
Jahrhundert) wiedergibt. Dieser hat die „Bibliothek“ außerdem in seinem Großgedicht „Chiliades“ (E2,15) sowie seinem Kommentar zu
Lykophrons „Alexandra“ (E6,15a-c) verwendet, wie dies auch für den
anonymen Autor von Zusätzen zu einer (unter dem Namen des
Zenobios überlieferten) Sammlung antiker Sprichwörter gilt
(E1,13.21). Von Wert sind die Epitomai und die weiteren Textzeugnisse für die Rekonstruktion des Textes der ganzen „Bibliothek“, insbesondere aber für die Teile, im Codex Parisinus und seinen Abschrif-
Einleitung
11
ten fehlen. In der vorliegenden Übersetzung ist für diese Teile von
Apollodoros’ Werk die Textgrundlage stets erkennbar: Im Codex
Vaticanus überlieferte Textteile stehen in Grundschrift, kursiv hingegen Teile, die ausschließlich – oder umfassender als dort – im Codex
Sabbaïticus überliefert sind, außerdem in spitzen Klammern und unter
Angabe des Belegs die nur bei anderen Autoren bewahrten Textstücke.
Zur Übersetzung
Die erste Druckausgabe von Apollodoros’ „Bibliothek“ erschien
1555, die beiden Epitomai wurden hingegen erst 1885 bzw. 1887 publiziert und die Bedeutung des Oxoniensis und des Monacensis sogar
nicht vor den 1930er Jahren entdeckt. An die Stelle der weit verbreiteten Ausgabe, die Richard Wagner 1894 (2. Auflage 1926) publiziert
hat, ist 2010 endlich die seit Jahrzehnten erwartete kritische
Neuedition von Manolis Papathomopoulos getreten; sie liegt der vorliegenden Übersetzung zugrunde.
Zusätze, die von den Kopisten irrig in den überlieferten Text aufgenommen wurden, sind in der Übersetzung in eckige Klammern gesetzt und so als „zu tilgen“ markiert; umgekehrt steht, was im Laufe
der Zeit verloren ging, sich aber ergänzen lässt, in spitzen Klammern.
Die Übersetzung, in die moderne Überschriften und Zwischentitel eingefügt sind, gibt der besseren Lesbarkeit halber das Präsens des Griechischen als Präteritum wieder. Namen werden, abgesehen von verbreiteten wie „Athen“, „Ithaka“, „Korinth“ oder „Olymp“ in Umschrift
geboten; wo der Autor auf die Etymologie eines Namens Bezug
nimmt, um diesen zu erklären, kann dies in der Übersetzung nicht
nachgeahmt werden, ist aber knapp in runden Klammern erläutert, die
auch weitere kurze Erläuterungen und Verweise enthalten.
Apollodoros’ „Bibliothek“ bot – wie fast alle antiken Werke – ursprünglich einen nur durch seinen Inhalt gegliederten Lesetext. Um
aber heute Verweise auf einzelne Aussagen des Apollodoros zu erleichtern, hat man eine Einteilung in Bücher des Textes bzw. der
Epitomai und in Paragraphen eingeführt, die auch unsere Ausgabe bietet. Diese Einteilung wird freilich der aus dem Text ersichtlichen Gliederung nicht immer gerecht; zur besseren Orientierung finden sich daher in dieser Übersetzung moderne Zwischenüberschriften.
Die „Bibliothek“ verzeichnet eine Vielzahl von Namen, die in den
drei Registern – zu den von Apollodoros angeführten Autoren, zu Orten sowie zu mythischen Gestalten – erschlossen werden.
12
Einleitung
Alles, was die Welt enthält
Übersetzt wird hier der Text, den Manolis Papathomopoulos in seiner maßgeblichen Neuedition von 2010 präsentiert hat. Die vorliegende Übersetzung geht insofern (und in der Berücksichtigung von Hinweisen in den Besprechungen) über die griechisch-deutsche Ausgabe
in der „Edition Antike“ von 2004 weit hinaus. Wir hoffen, dass sie so
auf einer dem aktuellen Stand der Forschung entsprechenden
Textgrundlage ein Werk neu erschließt, dem seit fast zweitausend Jahren die wichtigsten griechischen Mythen von Göttern und Helden zu
entnehmen waren.
Sicher gibt es weniger komprimierte und mehr erzählende Darstellungen der griechischen Mythologie, allen voran die berühmte Sammlung der „Schönsten Sagen des klassischen Altertums“ (1838-1840)
von Gustav Schwab. Doch beruhen auch diese neuzeitlichen Zusammenfassungen der griechischen Mythologie zu großen Teilen auf dem
antiken Werk des Apollodoros. Wie hoch dieses zu schätzen ist, machte bereits Photios in einem von ihm (im Anschluss an das eingangs Zitierte) wiedergegebenen anonymen Gedicht deutlich, in dem Apollodoros’ Werk zu uns spricht und sich dabei von den oben genannten
umfassenderen älteren Zeugnissen für die griechischen Mythen absetzt. Photios also schreibt:
Das kurze Werk bietet am Schluss ein nicht zu tadelndes Epigramm:
„Der Zeiten Erfahrung aus mir schöpfend,
erkenne die altehrwürdigen Mythen der Bildung;
weder auf die Seiten Homers blicke noch auf Elegien,
nicht auf die tragische Muse und nicht auf den lyrischen Vers,
nicht suche mehr den klangvollen Vers des „Kyklos“
– nein, auf mich blickend,
wirst du in mir alles finden, was die Welt enthält.“
Apollodoros
Bibliothek
BUCH 1
Theogonie (1,1-44)
1 Uranos („Himmel“) war der erste Beherrscher des ganzen Kosmos. Er heiratete Ge („Erde“) und zeugte zuerst die sogenannten Hekatoncheires („Hunderthänder“) Briareos, Kottos und Gyes; jeder von
ihnen war unübertrefflich groß und stark und hatte hundert Hände und
fünfzig Köpfe. Nach ihnen gebar ihm Ge die Kyklopen Arges,
Steropes und Brontes, von denen jeder nur ein Auge hatten, und zwar
mitten auf der Stirn.
2 Aber Uranos fesselte sie und warf sie in den Tartaros – das ist
ein finsterer Ort im (Reich des) Hades, von der Erde ebenso weit entfernt wie die Erde vom Himmel –, und wieder zeugte er mit Ge Söhne,
die sogenannten Titanen, nämlich Okeanos, Koios, Hyperion, Kreios,
Iapetos und als jüngsten von allen Kronos, sowie Töchter, die sogenannten Titaniden, nämlich Tethys, Rhea, Themis, Mnemosyne, Phoibe, Dione und Theia.
3 Ge aber war über den Verlust ihrer in den Tartaros geworfenen
Kinder ungehalten, überredete die Titanen, sich gegen ihren Vater zu
erheben, und gab dem Kronos eine Sichel aus Adamant (besonderem
Stahl). Sie erhoben sich – bis auf Okeanos – und Kronos schnitt dem
Vater das Schamglied ab und warf es ins Meer. Aus Tropfen des fließenden Blutes entstanden die Erinyen Alekto, Tisiphone und Megaira.
Nachdem sie ihn gestürtzt hatten, holten sie ihre in den Tartaros geworfenen Brüder zurück und übergaben die Herrschaft dem Kronos.
4 Kronos aber band sie wieder und schloss sie ‹im› Tartaros ein. Er
heiratete seine Schwester Rhea; weil aber Ge und Uranos ihm verkündeten, ihm werde durch einen eigenen Sohn die Herrschaft entrissen
werden, verschlang er die ihm geborenen Kinder. So fraß er seine erstgeborene Tochter Hestia, danach Demeter und Hera, nach ihnen Pluton und Poseidon.
5 Rhea war darüber zornig und ging nach Kreta, als sie gerade mit
Zeus schwanger war; dort gebar sie ihn in einer Höhle des DikteGebirges. Um das Kind aufzuziehen, übergab sie es den Kureten und
den Töchtern des Melisseus, den Nymphen Adrasteia und Ide. Diese
ernährten den Jungen mit der Milch der Amaltheia (s. 2,148), die
16
Buch 1
Kureten aber, die bewaffnet waren, bewachten das Kleinkind in der
Höhle und schlugen mit den Speeren an die Schilde, damit Kronos
nicht die Stimme des Kindes höre. Rhea aber legte einen Stein in die
Windeln und gab ihn dem Kronos, dass er ihn als das neugeborene
Kind fresse.
6 Als Zeus erwachsen geworden war, nahm er Metis, die Tochter
des Okeanos, als Helferin. Sie gab Kronos ein Zaubermittel zu verschlingen, von dem gezwungen er zuerst er den Stein erbrach, dann die
Kinder, die er verschlungen hatte. Mit ihnen zusammen begann nun
Zeus den Krieg gegen Kronos und die Titanen. Zehn Jahre kämpften
sie miteinander, da gab Ge dem Zeus das Orakel, er werde siegen,
wenn er die als Bündner hätte, die in den Tartaros geworfen worden
waren. Daraufhin tötete er Kampe, die über ihre Fesseln wachte, und
befreite sie so.
7 Damals gaben die Kyklopen dem Zeus Donner, Blitz und
Wetterstrahl (eine aus Donner und Blitz bestehende Waffe), Pluton
den Helm (der unsichtbar machte; s. 2,39) und Poseidon den Dreizack.
Mit diesen Waffen überwanden jene die Titanen, schlossen sie im
Tartaros ein und setzte die Hekatoncheires (s. 1,1) als Wächter ein. Sie
selbst aber warfen das Los um die Herrschaft: Zeus bekam die Gewalt
im Himmel, Poseidon im Meer und Pluton im (Reich des) Hades.
8 Nachkommen der Titanen waren: von Okeanos und Tethys die
[dreitausend] Okeaniden Asia, Styx, Elektra, Doris, Eurynome,
Amphitrite und Metis, von Koios und Phoibe Asteria und Leto, von
Hyperion und Theia Eos, Helios und Selene, von Kreios und Eurybia,
der Tochter des Pontos, Astraios, Pallas und Perses, von Iapetos und
Asia Atlas, der auf seinen Schultern den Himmel trägt, Prometheus,
Epimetheus und Menoitios, den im Titanenkampf Zeus mit einem
Wetterstrahl traf und in den Tartaros schleuderte.
9 Von Kronos und Philyra stammte Cheiron, der doppelgestaltige
Kentaur: von Eos und Astraios stammten die Winde und die Sterne,
von Perses und Asteria stammte Hekate, von Pallas und Styx stammten
Nike, Kratos, Zelos und Bia. Das Wasser der Styx, das von einem Felsen im (Reich des) Hades floss, machte Zeus zum Eidesbegriff – womit er sie dafür ehrte, dass sie mit ihren Kindern ihm gegen die Titanen beigestanden hatte.
10 Von Pontos und Ge stammten Phorkys, Thaumas, Nereus,
Eurybia und Keto, von Thaumas und Elektra stammten Iris und die
Harpyiën (s. 1,121-124) Aëllo ‹und› Okypete, von Phorkys und Keto
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