WORLD HEALTH SUMMIT Mit der Erstellung medizinischer Karten tragen Geografen wesentlich zur Beschreibung pandemischer Krankheitsverläufe bei und sind in Maßnahmen zur Bekämpfung und Vorbeugung von Infektionskrankheiten eingebunden. GLOBAL HEALTH UND GEOGRAFIE ie Eindämmung von Infektionskrankheiten ist eine globale Herausforderung. Ohne das Wissen um die räumliche Ausbreitung der Erreger und die zeitliche Dynamik des Infektgeschehens sind Seuchenzüge in Zeiten von Globalisierung und Klimaveränderung nur schwer zu stoppen. Mit der Erstellung medizinischer Karten tragen Geografen wesentlich zur Beschreibung pandemischer Krankheitsverläufe bei und sind in Maßnahmen zur Bekämpfung und Vorbeugung von Infektionskrankheiten eingebunden. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden erste Atlanten zum Thema Krankheiten. In dieser Zeit wurde Europa von mehreren Cholera-Epidemien heimgesucht. Karten zeigen die Ausbreitungswege der Cholera von Indien nach Europa, aber auch die in dieser Zeit ergriffenen Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung, wie die Einrichtung von Sperrkorridoren. Während der Cholera-Ausbrüche in London trugen Karten entscheidend dazu bei, dem D A 1966 damals noch unbekannten Erreger der Cholera und den Übertragungswegen auf die Spur zu kommen. Auch nach dem Sieg über Pest und Cholera ging den medizinischen Kartografen die Arbeit nicht aus. Im 20. Jahrhundert verbesserte sich durch den Auf- und Ausbau von Statistik- und Gesundheitsbehörden die Datenbasis für kartografische Darstellungen von Infektionskrankheiten deutlich. Karten wurden zum Bestandteil von Gesundheitsberichten, und es entstanden umfangreiche Atlanten, wie der Welt-Seuchen-Atlas. Heute werden Karten am Computer gestaltet, enthalten zahlreichen Animationen und erlauben eine interaktive Nutzung. Das Internet macht eine zeitnahe Veröffentlichung und Aktualisierung möglich. Während eines Ausbruchsgeschehens informieren Karten kontinuierlich über die aktuelle Situation, zum Beispiel während der alljährlichen Influenza-Saison. Computergestützt können kartografische Anamorphosen (Darstel- lungen mit uneinheitlichem Maßstab) und Kartogramme (Darstellung quantitativer Aussagen auf festgelegten Bezugsflächen) hergestellt werden. Dabei wird die Fläche der Bezugseinheiten (Gebiete) in Abhängigkeit von den Datenwerten proportional vergrößert oder verkleinert, die Gebiete werden also verzerrt dargestellt. Influenzaviren „reisen“ um die ganze Welt Die erste pandemisch verlaufende Krankheit des 21. Jahrhunderts war eine Grippe. Nur wenige Wochen, nachdem das Influenzavirus A (H1N1) erstmals bei zwei Patienten in Kalifornien nachgewiesen wurde, warnte die WHO vor dem Risiko einer weltweiten Verbreitung der neuen Virusvariante. Glücklicherweise war die Pathogenität des Virus geringer als anfangs befürchtet, so dass die Pandemie im August 2010 für beendet erklärt wurde. Der relativ harmlose Subtyp H1N1 macht mittlerweile etwa 25 Prozent der saisonal zirkulieren- Deutsches Ärzteblatt | Jg. 110 | Heft 42 | 18. Oktober 2013 Foto: SPL/Agentur Focus Die Wege der Seuchen nachzeichnen WORLD HEALTH den Grippeviren aus. Es muss allerdings weiter damit gerechnet werden, dass sich die Eigenschaften der mutationsfreudigen Influenzaviren durch Antigendrift (oder – schlimmer noch – durch Antigenshift) wiederholt ändern. Das wird zum Auftreten von neuen Virusstämmen und -subtypen führen, gegen die Menschen nicht immun sind. Wann ein solches neues Virus und somit die nächste Pandemie auftritt, lässt sich kaum vorhersagen. Die globale Vernetzung macht es Viren einfach, von Kontinent zu Kontinent zu springen. Das konnten Geografen im Rahmen von Simulationen sehr anschaulich nachweisen: Das SARS-Virus (ein für Lungenentzündungen verantwortliches Coronavirus) folgte bei seinem Feldzug im Jahr 2003 ziemlich genau dem Wegenetz des internationalen Flugverkehrs und schaffte es, ausgehend vom chinesischen Guandong, innerhalb von 90 Tagen um die Welt. Zehn Jahre nach SARS bringt sich das Virus wieder in Erinnerung. Im Februar warnte die WHO vor einem gefährlichen SARS-ähnlichen Coronavirus, an dem in den zurückliegenden Monaten mehrere Menschen erkrankt waren. Das Chikungunya-Virus ist auf dem Weg nach Europa Die Asiatische Tigermücke, ein wichtiger Überträger des Chikungunya-Virus, bevorzugt eigentlich tropische Temperaturen. Als im Jahr 2007 Eier dieser Stechmückenart auf einer Autobahnraststätte der A5 in Baden-Württemberg gefun- den wurden, spürten Geografen dem neuartigen Reiseverhalten der Mücken nach. Vermutlich kamen die nur millimetergroßen Mücken, von denen im Jahr 2012 auch einige erwachsene Exemplare in Deutschland eingefangen wurden, unter anderem mit Schiffstransporten über Genua zu uns. Die blutsaugenden Tiere heften ihre Eier gern ans „Lucky Bamboo“, einer auch hierzulande beliebt gewordenen Zierpflanze. Während Mückeneinschleppungen über Rotterdam und Hamburg aus klimatischen Gründen (noch) unwahrscheinlich sind, fanden die Mücken im Sommer 2007 in Italien gute Lebensbedingungen vor und breiteten sich rasch aus. Zeitgleich wurden dort bis zum September 2007 insgesamt 197 Fälle von Chikungunya-Fieber gemeldet, wobei die meisten der Betroffenen zuvor keine Reise in ein ausländisches Endemiegebiet unternommen hatten. Die vom Chikungunya-Virus ausgelöste, mit Fieber und Gelenkbeschwerden einhergehende Infektionskrankheit hat eine zumeist gute Prognose und hinterlässt eine lebenslange Immunität. Eine ärztliche Meldepflicht besteht nur, wenn der Patient ein hämorrhagisches Fieber entwickelt. Von Chikungunya-Epidemien auf La Reunion, Mauritius, Komoren, Seychellen und Madagaskar mit insgesamt 260 000 Erkrankten waren in den vergangenen Jahren In einer aktuellen Ausstellung im Universitätsklinikum Jena (9. Oktober bis 15. November) wird exemplarisch anhand von 26 medizinischen Karten gezeigt, wie sich die Thematische Kartografie in den vergangenen 200 Jahren im Hinblick auf die eingesetzten Methoden und Techniken verändert hat. PRAKTISCHE GEOGRAFIE: MALARIAPROPHYLAXE Die vom Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit (IHPH) der Universität Bonn konzipierte Internetseite www.malariainfo.net hilft Ärzten bei der reisemedizinischen Beratung ihrer Patienten. Per Schlagwortsuche, Auswahl eines Landes über die Liste oder einen Maus-Rechtsklick in die Karte werden die länderspezifischen Empfehlungen zu Malariaprophylaxe, Standby-Medikation und Resistenzlage als Factsheet zum Ausdruck bereitgestellt. Sämtliche Informationen lassen sich auch in Form von Karten abrufen, was insbesondere bei Unsicherheiten in der Länderauswahl und bei grenzüberschreitenden Reisen hilfreich ist. Die von Geografen und Reisemedizinern des IHPH gepflegte Internetseite kann kostenfrei genutzt werden. Für die Malaria-Impfempfehlungen werden verschiedene Quellen regelmäßig ausgewertet (WHO Travel and Health, Deutsche Tropenmedizinische Gesellschaft, Centrum für Reisemedizin und andere). SUMMIT auch viele Touristen betroffen, so dass die Krankheit nicht nur aufgrund der Vorkommnisse in Italien und Süddeutschland ins Blickfeld gerückt ist. In mancher Hinsicht vergleichbar mit dem Chikungunya-Fieber ist die Leishmaniose, die durch Protozoen der Gattung Leishmania hervorgerufen wird. Der von Sandmücken übertragene Parasit befällt außer Menschen auch (Haus-)Tiere; in Griechenland, Spanien und Frankreich sind bis zu 70 Prozent der Hunde damit infiziert. Aus dem Urlaub mitgebrachte Hunde beherbergen häufig Leishmanien und sind ein Erregerreservoir für den Fall, dass Sandmücken den Weg nach Norden schaffen. Beim Menschen kommt die Leishmaniose im Mittelmeerraum als viszerale Form (Kala Azar) oder als kutane Form (Orientbeule) vor. Auch hier sind der Schutz vor Mückenstichen, die Mückenbekämpfung beziehungsweise in Nordeuropa die Verhinderung der Mückenausbreitung die geeigneten Prophylaxemaßnahmen. In Deutschland wurden Sandmücken-Arten vereinzelt nachgewiesen, wobei allerdings unklar ist, ob diese als Vektoren für Leishmanien infrage kommen. Um das potenzielle Ausbreitungsgebiet der beiden Mückenarten in Europa zu bestimmen, erstellen Kartografen sogenannte bioklimatische Modelle. Darin fließen unter anderem die aktuellen Vorkommenspunkte der Mücke, weltweite Klimadaten sowie ökologische und sozioökonomische Rahmenbedingungen ein. Es geht dabei auch um die Geschwindigkeit, die Richtung und die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Vektor (in diesem Fall die Tigermücke oder die Sandmücke) in neue Gebiete vordringt. Solche Risikoanalysen können künftige „Hotspots“ des Infektionsgeschehens aufzeigen und bei Bedarf Monitoring- beziehungsweise Surveillance-Maßnahmen ansto▄ ßen. Dr. med. vet. Beate Grübler Deutsches Ärzteblatt | Jg. 110 | Heft 42 | 18. Oktober 2013 A 1967