Datenbasierte, präventive Medizin – Chancen und Gefahren von Big

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Big Data: Chancen und Risiken
Datenbasierte, präventive Medizin – Chancen und Gefahren von Big und Open Data
Medizin bleibt
eine Kunst
Das Gesundheitssystem wird datenbasiert. Mittels neuer diagnostischer Verfahren über­wachen und analysieren wir unseren
Körper mit immer höherer Präzision. Dies legt die Grundlage
für eine neue Ära der Medizin: vorbeugend, per­sonalisiert und
partizipativ. Aller­dings bleibt es eine Kunst, den Patienten in der
Datenflut nicht zu vergessen.
Die erste Entschlüsselung des mensch­
lichen Genoms mit rund drei Milliarden
Die Hoffnung auf eine neue Ära
der Medizin
Personalisierte Medizin
Personalisierte Medizin basiert auf der
Basenpaaren bedeutete für die Mensch­
heit einen entscheidenden Fortschritt.
Die zunehmende Vermessung des Menschen
Tatsache, dass jeder Mensch genetisch
Damit waren wir unserer Vision, die Funk­
hat das Potenzial, eine Fokusverschiebung
einzigartig ist und deshalb auch in einzig­
tionsweise unseres Organismus’ besser
in der Gesundheitsbranche zu bewirken.
artiger Weise auf Behandlungsmethoden
zu verstehen, einen bedeutenden Schritt
Heute ist die Medizin noch eine primär
reagiert. Allerdings arbeitet man heute
näher – mittels der intimsten Daten, die
reaktive Disziplin. Morgen könnte sie aber
immer noch mit Statistiken, die auf Durch­
wir überhaupt besitzen. Und letztes Jahr
prädiktiv, präventiv, personalisiert und
schnittswerten der Gesamtbevölke­rung
bereitete die Online-Publikation des ersten
partizipativ sein – man spricht in diesem
beruhen, um zu entscheiden, ob ein Mensch
Bandes einer Krebszellen-Enzyklopädie
Zusammenhang auch von der 4P-Medizin.
gesund ist oder krank. Die 4P-Medizin
wird von diesem Denkmodell abrücken.
den Weg für personalisierte Behandlungs­
methoden in der Onkologie. Denn es gibt
Prädiktive und präventive Medizin gehen
Vielmehr wird sie von den Daten eines
nicht einfach einen Brust-, Haut- oder
dabei Hand in Hand. Die prädiktive Medizin
jeden Individuums ausgehen, um dessen
Lungenkrebs, sondern deren unzählige –
ermöglicht es – durch Untersuchungen, die
«gesunde Werte» festlegen und verdäch­
und womöglich genauso viele Therapie­
aufgrund des individuellen Alters, Gesund­
tige Abweichungen davon feststellen zu
formen. Es ist also von unschätzbarem
heitszustands und der Familiengeschichte
können, die womöglich ein Indiz für Erkran­
kungen sind.
Wert, wenn wir anhand einer kleinen
massgeschneidert sind – den Ausbruch
Zellprobe die exakte DNA-Identitätskarte
von Krankheiten zu antizipieren und prä­
eines Tumors bestimmen und in der Enzy­
ventive Massnahmen zu ergreifen. Darun­
Mit der Einbindung der Patienten ergibt
klopädie nachlesen können, welche
ter fällt auch das Herstellen und Verschrei­
sich die Tendenz zu einer partizipativen
Be­handlungsmethode bei einer bestimm­
ben von «vorbeugenden Arzneimitteln»,
Medizin, weil immer mehr Bürger Daten
ten Krebszellenart besonders gut anzu­
die den Ausbruch einer Krankheit verhin­
über ihre Gesundheit selber erfassen und
schlagen scheint.
dern sollen.
bei Ärzten die genaue Erläuterung poten­
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zieller Behandlungsmöglichkeiten sowie
die dabei implizierten Nebenwirkungen
einfordern. Eine Untergruppe der Prakti­
zierenden partizipativer Medizin, die
so­genannte «Quantified Self»-Bewegung,
verpflichtet sich sogar zur permanen­
ten Überwachung ihres Körpers – sei es,
um allfälligen Krankheiten vorzubeugen
oder auch mit dem Ziel, die hierzu erhobe­
nen Daten anonymisiert der Allgemeinheit
zu­gänglich zu machen und damit einen
Beitrag zur medizinischen Forschung zu
leisten. Technische Gadgets und Apps
erleichtern dabei das Selbst-Tracking, also
das selbstständige Messen von physiologi­
schen Parametern wie Körpertemperatur,
Spannung, Herzfrequenz oder auch die
Konzentration von Traubenzucker im Blut
ohne die Hilfe eines Arztes. Beliebt sind
auch in Smartphones oder Uhren einge­
baute Schrittzähler, die die tägliche
Be­wegung dokumentieren. Bald schon
errechnen sie vielleicht den Kalorienver­
brauch beinahe jeden Bürgers und geben
am Ende des Tages Ernährungs- und
Pa­t ientsLikeMe, ein Webportal, auf dem
stellt die Grundlage der HealthBank dar,
Verhaltenstipps ab.
chronisch Kranke ihre Daten – also Symp­
eines noch in der Entstehungsphase
tome, Effektivität der Behandlung, Neben­
be­findlichen Projekts aus der Schweiz,
Neue Online-Plattformen
wirkungen usw. – mit anderen teilen, die
das zur grössten Gesundheitsplattform
unter ähnlichen Erkrankungen leiden.
der Welt werden und der personalisierten
Bereits seit geraumer Zeit entstehen auch
Gleichzeitig bieten sie so Pharmafirmen,
Medizin zum Durchbruch verhelfen soll:
immer neue Online-Plattformen, die es
aber auch Pflegediensten die Möglichkeit,
Die HealthBank-Gründer haben bestimmt,
ermöglichen, medizinische Daten unter­
bessere Medikamente oder Services
dass die Nutzer selbst bestimmen können,
einander auszutauschen, darunter etwa
zu entwickeln. Ein etwas anderes Modell
ob ihre Daten auch der akademischen
Forschung oder Pharmafirmen zur Verfü­
gung stehen sollen.
Prof. Thomas Gauthier
Thomas Gauthier ist Professor für Strategie an der
Haute Ecole de Gestion in Genf Er studierte Elektro­
ingenieurwissenschaften, experimentelle Medizin und
Computerwissenschaft am Imperial College in London,
am Massachusetts Institute of Technology sowie an der
Ecole Supérieure de Physique et Chimie Industrielles
in Paris. Danach war er Assistent an der Harvard
Uni­versity und arbeitete als Systemdesign-Ingenieur
sowie Chefistratege bei einem Unternehmen für
medizinische Bildgebung in Seattle.
Sein Forschungsschwerpunkt besteht im Moment aus
dem Einfluss von Big und Open Data auf Entschei­
dungsprozesse von Firmen, insbesondere in der
Gesundheits­industrie.
Dem Computer überlegene Gehirne
Rund um all die hohen Erwartungen, die
diese Möglichkeiten wecken, harren aber
noch einige Grundsatzfragen einer befrie­
digenden Antwort. So stellt sich in der
Medizin noch dringlicher als in vielen ande­
ren Bereichen die Frage, wie gut die Qua­
lität und wie hoch die Verlässlichkeit der
Daten ist, die uns zur Verfügung stehen.
Hinzu kommt, dass ja nur gemessen wird,
was (heute bereits) gemessen werden
kann. Und dies entsprechend oft überbe­
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Big Data: Chancen und Risiken
wertet, da es der einzige Anhaltspunkt
den veränderten Umständen anpassen,
Gesundungsprozesse haben. Es ist also
ist, auf den wir unsere Entscheidungen
eine neue Diagnose stellen und entspre­
von grosser Wichtigkeit, nicht einfach nur
stützen können, während wir andere
chend handeln. Hierbei ist die Fähigkeit der
Gesundheitsdaten zu sammeln, sondern
Faktoren, die vielleicht genauso wichtig
menschlichen Intuition ganz entscheidend,
auch das Gespräch zwischen Arzt und
wären, vernachlässigen, da wir sie (noch)
da sie dabei hilft, aus komplexen, manch­
Patient als zentrales «Instrument» beizu­
nicht messen können oder vielleicht noch
mal vielleicht gar unverständlichen Infor­
behalten.Denn nur so können – verbal, aber
nicht einmal wissen, dass sie eine Einfluss­
mationsnetzwerken Sinn zu generieren,
auch emotional – Dinge erfasst werden,
grös­se sind.
und nicht zuletzt auch Informationen von
die nicht so leicht quantifizier- oder gar
Freunden oder Verwandten mit einbezieht,
artikulierbar sind, in Bezug auf die Gene­
Die Gefahr der schier unendlichen Daten­
die andernfalls unbemerkt blieben, da sie
sung unter Umständen aber genauso
menge besteht dabei darin, dass wir glau­
kaum messbar sind – so etwa den Selbst­
ent­scheidend.
ben, quasi allwissend geworden zu sein,
wert eines Patienten oder auch die Qualität
also einer Pseudo-Objektivität und Pseudo-­
seiner zwischenmenschlichen Beziehungen.
Vollständigkeit zum Opfer fallen, die uns
dazu verleitet, einmal gestellte Diagnosen
Wie wünschenswert sind detaillierte
Informationen?
«Wundern ist erlaubt»
Gerade im Zusammenhang mit der Selbst­
kaum mehr zu hinterfragen. Denn unabhän­
gig von ihrem immensen Volumen können
Man darf nicht vergessen: Die Medizin ist
überwachung, die sich in Zukunft nicht
Datensätze immer nur dabei helfen, Spe­
immer noch eine Kunst. Sie ist eine rela­
mehr allein auf Fieber- und Blutdruckmes­
kulationen zu formulieren. Wir müssen
tiv junge Disziplin, die noch lange nicht auf
sen beschränken wird, stellt sich auch die
aufpassen, dass algorithmische Strenge
alles eine Antwort hat. Entsprechend ist
Frage, wie wünschenswert die detaillierte
nicht bald schon Berufserfahrung und
ja auch heute immer mal wieder von einem
Informiertheit über den eigenen Gesund­
menschliche Sensibilität in der Medizin
«Wundern» die Rede, wenn Ärzte sich die
heitszustand überhaupt ist. So besteht
ersetzt. Die Daten sollen wertvolle Assis­
Genesung eines als unheilbar eingestuften
beispielsweise die Gefahr von sich selbst
tenten, aber nicht unsere neuen Ärzte
Patienten nicht erklären können. Dieses
erfüllenden Prophezeiungen. Wenn jemand
sein. Denn gerade im Bereich der Medizin
«Wunder» ist im Grunde aber nichts ande­
glaubt, ein diagnosti­ziertes Schicksal kaum
kann auf Menschen, die diese Daten kri­
res als ein Euphemismus für die Grenzen
mehr abwenden zu können, oder durch das
tisch betrachten und interpretieren, nicht
des medizinischen Wissens. So sind viele
Wissen um eine Erkrankungswahrschein­
verzichtet werden. Diesbezüglich ist das
z.B immer noch erstaunt über den Placebo­
lichkeit gestresst ist, kann sich dies nega­
menschliche Gehirn Computern nach wie
effekt.Dieser besagt ja aber eigentlich
tiv auf die Gesundheit aus­w irken, obwohl
vor weit voraus.
einfach, dass der alleinige Glaube an eine
die antizipierte Krankheit gar nie aus­bricht.
Besserung diese auch herbeiführen kann.
Besonders in unerwarteten Situationen,
Ebenso können eine gute Atmosphäre im
die bisherigen Annahmen widersprechen,
medizinischen Umfeld, Religiosität, sozia­
einer zunehmenden Überwachungsgesell­
oder bei scheinbaren Widersprüchen kann
les Eingebundensein oder auch Humor
schaft. So wurden etwa Kunden einer
ein Mensch sein Denkmodell sehr schnell
einen erstaunlich starken Einfluss auf
US-Krankenversicherung bereits dazu auf­
Nicht zu unterschätzen ist auch das Risiko
gefordert, an einem obligatorischen Diät­
programm teilzunehmen. Denn aus den
Das grosse Rauschen – Warum die Datengesellschaft mehr Menschenverstand braucht
Kleidergrössen bei Online-Bestellungen
hatten die Versicherer geschlossen, dass
«Abstrakt», die Buchreihe des W.I.R.E., gilt unter Insidern längst als Geheimtip. In jeder
Ausgabe werden die Herausforderungen der Zeit an der Wurzel gepackt. Bei der Suche
nach Antworten kommen Denker und Macher aus den unterschiedlichsten Bereichen
zum Wort. Der Herausgeber W.I.R.E. ist ein unabhängiger Think Tank, der sich mit globalen
Entwicklungen in Wirtschaft, Gesellschaft und den Life Sciences auseinandersetzt.
diese Menschen fettleibig sind. Bereits
Die No. 12 von Abstrakt befasst sich schwergewichtig mit der Datengesellschaft. In
Anbetracht der Aktualität und Wichtigkeit der Thematik wird der Beitrag von Thomas
Gauthier aus dem genannten Abstrakt hier nochmals publiziert. Der Autor wird anlässlich
des 11. Schweizerischen Kongresses für Gesundheitsökonomie und Gesundheitswissen­
schaften vom 24. Oktober 2014 im Inselspital Bern, www.skgg.ch, im Rahmen des Zukunfts­
forums Gesundheit ein Referat zu «Big Data im Gesundheitswesen – Standortbestimmung
und Ausblick» halten.
und Verhalten in Bezug auf Finanzierungs­
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seit Längerem diskutiert werden auch
die Implikationen, die das jahrzehntelang
gespeicherte Wissen um Veranlagung
modelle mit sich bringen kann: Muss bei­
spielsweise ein Raucher künftig seine
Behandlung bei Lungenkrebs in höherem
Masse selbst berappen als ein Nichtrau­
cher, da er an seinem Schicksal ja eine
Big Data: Chancen und Risiken
Mitschuld trägt? Wie stark soll diese «Mit­
bekommen, die Verantwortung für ihren
können, in der die Gesundheitspolitik die
schuld» dann gewichtet werden? Und wo
Gesundheitszustand tatsächlich zu über­
präventive Medizin als das neue, zukunfts­
beginnt im medizinischen Feld überhaupt
nehmen, das heisst mit möglichst eindeu­
fähige Paradigma ausruft. Allerdings könn­
Schuld, wo hört sie auf?
tigen, genauen und relevanten Informatio­
te es für diebetroffenen Unternehmen auch
nen über diesen versorgt werden. Während
eine grosse Chance sein, sich selber neu zu
einfach zu bedienende und zu interpretie­
erfinden und von einem relativ engen, kura­
Der ungeduldige Patient
rende Messgeräte dabei eine wichtige Rol­
tiv-medikamentenzentrierten Geschäfts­
Das Versprechen der datenbasierten, prä­
le spielen werden, ist eine «Veränderung
modell zu einem ganzheitlicheren zu gelan­
ventiven Medizin lautet: Wir könnten alle
von innen» jedoch ebenfalls sehr wün­
gen, das auf den gesamten Lebenszyklus
viel gesünder werden, die Weltbevölkerung
schenswert. Das heisst: Patienten müssen
und insbesondere einen gesunden Lebens­
quasi dem Zeitalter einer nie dagewesenen
«impatient», also ungeduldig werden und
stil fokussiert.
Gesundheit entgegenblicken. Gerade der
die Aufklärung über ihren Gesundheitszu­
Ausbruch von Zivilisationskrankheiten wie
stand vehement einfordern.
Denn die Zeitspanne, die ein Mensch als
Patient verbringt, ist glücklicherweise in
Diabetes Typ 2 oder Herz-Kreislauf-Erkran­
kungen, aber auch psychische Leiden wie
Droht ein Siegeszug der Prophylaxe?
der Regel ja deutlich kürzer als jene, die er
sich grundsätzlich gut und gesund fühlt.
Depressionen oder Burnouts – die ja letzt­
lich auch in hohem Masse wirtschafts­
Mit dem Siegeszug einer vorbeugenden
Durch die Entwicklung und das Angebot
schädigend sind, da Menschen oft für
Medizin würden aber natürlich die Ein­
von Produkten, die gesunden Menschen
Monate arbeitsunfähig werden – könnten
nahmen der kurativen Medizin drastisch
dabei helfen, auch wirklich solche zu blei­
drastisch reduziert werden.
schrumpfen. Die Pharmaindustrie stün­
ben, würde die Gesundheitsindustrie also
de vor einem tiefgreifenden Wandel und
mit einer ungleich grösseren potenziellen
der Frage, wie Firmen, die bis anhin vom
Kundschaft konfrontiert und könnte erst
nell kurative wirklich ablösen kann, müs­
Medikamentenverkauf lebten, in einer Welt
noch ihren Beitrag zu einem nachhaltigen
sen die Bürger aber auch die Möglichkeit
überleben oder sogar weiterhin pros­perieren
Gesundheitssystem leisten.
Damit die präventive Medizin die traditio­
Zentraler Service Desk – individuell auf Ihre IT abgestimmt
Profitieren Sie von einer Anlaufstelle für Medizin, Pflege und Administration
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7 x 24 x 365-Erreichbarkeit
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Problemlösung beim Erstkontakt
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