Symptomatische Gesichtsschmerzen

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Kopfschmerzen
Symptomatische Gesichtsschmerzen
Erkennen und richtig behandeln
N. Lukic1; A. R. Gantenbein2,3
1Zentrum
für Zahnmedizin, Universität Zürich, Schweiz; 2Klinik für Neurologie, Universitäts-Spital Zürich, Schweiz;
RehaClinic, Bad Zurzach, Schweiz
3Neurorehabilitation,
Schlüsselwörter
Keywords
Symptomatisch, Gesichtsschmerzen, Zahnschmerzen, Diagnostik, Behandlung
Symptomatic, orofacial pain, dental pain,
neuralgia, diagnosis, therapy
Zusammenfassung
Summary
Akute orofaziale Schmerzen sind oft symptomatisch und betreffen am ehesten die Zähne.
Bei zusätzlichem Fieber stehen Sinusitiden an
erster Stelle. Wenn neurologische Ausfälle
hinzukommen, muss an eine Karotisdissektion oder einen intrakraniellen Prozess gedacht werden. Bei chronischen Gesichtsschmerzen stehen Probleme des temporomandibulären Gelenks im Vordergrund. Im
folgenden Artikel gehen wir auf verschiedene
Formen symptomatischer Gesichtsschmerzen
ein. Wir diskutieren häufigere und seltenere
Krankheitsbilder anhand von klinischen Vignetten und weisen auf diagnostische Schritte und therapeutische Empfehlungen hin.
Acute orofacial pain is often symptomatic
and most likely affecting the teeth. If additional fever is present one has to think on
sinusitis. In combination with neurological
deficits a carotid dissection or an intracranial
process must not been missed. Chronic orofacial pain often originates in the temporomandibular joint. In the following article we
look at various forms of symptomatic facial
pain. We discuss frequent and rare diseases
based on case illustrations and provide diagnostic and therapeutic recommendations.
Korrespondenzadresse
Dr. med. Andreas R. Gantenbein
RehaClinic Bad Zurzach
Quellenstr. 34, 5330 Bad Zurzach, Schweiz
Tel. 004156/26951-51, Fax -81
[email protected]
Symptomatic facial pain – how to recognize
and treat
Nervenheilkunde 2013; 32: 103–111
eingegangen am: 19. Oktober 2012;
angenommen am: 19. Oktober 2012
Dem Patienten sieht man den Schmerz im
Gesicht an, sei es ein seelischer oder ein
körperlicher Schmerz, ein Kopfschmerz
oder ein Gesichtsschmerz.
„Wenn ich eine Weile ohne Lust und ohne
Schmerz war und die laue fade Erträglichkeit sogenannter guter Tage geatmet
habe, dann wird mir in meiner kindischen
Seele so windig weh und elend, dass ich
die verrostete Dankbarkeitsleier dem
schläfrigen Zufriedenheitsgott ins zufriedene Gesicht schmeiße und lieber einen
recht teuflischen Schmerz in mir brennen
fühle als diese bekömmliche Zimmertemperatur.“ (Hermann Hesse – Steppenwolf)
Die Studienlage zur Epidemiologie von Gesichtsschmerzen ist sehr heterogen, es existieren kaum größere Studien, welche alle
Ätiologien – akut und chronisch, primär
und sekundär – erfassen (1). Akute Gesichtsschmerzen betreffen am ehesten die
Zähne, zusammen mit Fieber stehen Sinusitiden an erster Stelle. Wenn neurologische Ausfälle hinzukommen, muss an eine
Karotisdissektion oder einen intrakraniellen Prozess gedacht werden. Bei chronischen Gesichtsschmerzen stehen Probleme
des temporo-mandibulären Gelenks im
Vordergrund. Neuralgien sind wegen des
typischen Schmerzcharakters einfach davon abzugrenzen.
Inwieweit eine Abgrenzung zwischen
Kopf- und Gesichtsschmerzen Sinn macht,
lässt sich sicherlich diskutieren, denn das
Gesicht ist Teil des Kopfes. Genauer definiert (nach Wikipedia): „Das Gesicht, auch
Angesicht, gehoben Antlitz, medizinisch
Facies, in Abbildungen Konterfei, ist allgemein bei Tieren wie Menschen der vordere
Teil des Kopfes.“ Anatomisch betrachtet
wird das Gesicht sensibel vom Nervus trigeminus innerviert, wobei große Teile des
ersten Astes über dem Haaransatz die
Kopfhaut versorgen und der Kieferwinkel
typischerweise ausgespart ist. Eher der
Form und dem Umfang des Gesichts entsprechen die zwiebelschalenartig angeordneten Sölder-Linien, welche von rostral
nach kaudal (entsprechend von zentral
nach peripher im Gesicht) den medullären
trigeminalen Kerngebieten entsprechen
(▶ Abb. 1). Wie wir jedoch vom klinischen
Alltag wissen, gibt es neben den zahlreichen Strukturen, die im Gesicht Schmerzen verursachen, eine Vielzahl primärer
Kopfschmerzen, die ins Gesicht ausstrahlen oder im Gesicht wahrgenommen werden. Als Beispiel seien orofaziale Clusterkopfschmerzen und Migräneformen zitiert
(2, 3). Zakrzewska und Hamlyn grenzen in
ihrem Übersichtsartikel das Gesichts nach
kranial bei der orbito-meatalen Linie ab
(4). Diese Definition hat die IHS für die
ICHD-II übernommen (5). Eine genauere
Differenzierung zwischen (primären)
Kopfschmerzen und orofazialen Schmerzursachen soll dadurch ermöglicht werden.
Einer der wesentlichsten Aspekte ist der
Blickwinkel der Patienten. Die Ursache
wird entsprechend der Schmerzwahrnehmung (Lokalisation oder Struktur) gedeutet und nicht gemäß der eigentlichen Ätiologie (projizierter Schmerz). So führen beispielsweise „Zahn- oder Kieferschmerzen“
den Patienten zum Zahnarzt, „Augenschmerzen“ zum Ophthalmologen oder
„Ohrenschmerzen“ zum Kollegen der
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N. Lukic; A. R. Gantenbein: Symptomatische Gesichtsschmerzen
HNO-Heilkunde, auch wenn sie neurologischer (z. B. Trigeminusneuralgie), rheumatologischer (z. B. Arteriitis temporalis)
oder internistischer (z. B. Angina pectoris)
Ätiologie sind.
In den meisten Fällen liegen die Patienten richtig, da Gesichtsschmerzen – im Gegensatz zu Kopfschmerzen – oft sekundär,
respektive symptomatisch sind. Neben den
anamnestischen Warnsymptomen (▶Kasten Red flags) wird der Kliniker über den
topografischen Ansatz auf die richtige Spur
der zugrunde liegenden Ätiologie geführt
und kann somit zielgerichtet die weiteren
Abklärungsschritte einleiten (6).
Wir wollen im Folgenden auf verschiedene Formen symptomatischer Gesichtsschmerzen eingehen (▶Kasten Übersicht).
Wir werden häufigere Krankheitsbilder anhand von klinischen Vignetten darstellen
und nach anschließender Diskussion diagnostische Schritte und therapeutische
Empfehlungen aufzeigen.
Trigeminusneuralgie
Vignette
Bei der 40-jährigen Patientin ist seit 4 Jahren eine Multiple Sklerose (MS) bekannt.
Sie hatte bisher 3 Schübe mit Residuen einer rechtsbetonten spastischen Paraparese
und einer linksbetonten Visusstörung. Sie
wurde mit Interferon immunmodulatorisch behandelt. Nun klagt sie über einschießende Schmerzattacken seit 4 Tagen
im linken Kieferbereich. Sonst keine Begleitsymptome. Im MRT des Schädels fand
sich neben multiplen demyelinisierenden
RED FLAGS
Sekundäre Ursachen der
Gesichtsschmerzen
• neu- oder andersartig
• progredient oder kontinuierlich
• plötzlicher Beginn
• Erstmanifestation > 50 Jahre
• Auffälligkeiten im neurologischen Status
• Auffälligkeiten im Labor (Infektzeichen)
• Lageabhängigkeit
Läsionen auch eine entsprechende Läsion
im Kerngebiet des N. trigeminus. Unter
Aufdosierung von Carbamazepin sowie einer Schubtherapie mit Steroiden waren die
Schmerzen vollständig regredient.
Diskussion
Die vorliegende Konstellation einer Trigeminusneuralgie bei einer jungen Patientin
ist nahezu immer einer symptomatischen
Ursache zu zuordnen. In diesem Fall war
die MS bekannt, was denn Zusammenhang
einfacher erscheinen lässt. Nicht selten
kann die Trigeminusneuralgie auch Erstmanifestation der MS sein. In einer Fragebogenstudie fand sich bei 2,2% von 1 672
MS-Patienten eine Trigeminusneuralgie
(7). Im Vergleich wird die jährliche Inzidenz der Trigeminusneuralgie auf <
5/100 000 Personen geschätzt (8). Häufiger
im mittleren Alter ist die postherpetische
Neuralgie. Die anfängliche Präsentation
des Herpes-zoster-Virus kann mit Augen-
(Zoster ophthalmicus, 1. Trigeminusast)
oder Ohrenschmerzen (Zoster oticus) einhergehen, letztere nicht selten mit begleitender Fazialisparese (Ramsey-Hunt Syndrom).
An dieser Stelle wollen wir die idiopathische Trigeminusneuralgie (TN) diskutieren. Nicht selten liegt in der Eintrittszone am Hirnstamm (root entry zone) ein
neurovaskulärer Kontakt vor, der insofern
als symptomatische Ursache angesehen
werden könnte. Es wird vermutet, dass es
durch Demyelinisierung in diesem Bereich,
Obersteiner-Redlich-Zone genannt, zur
ephaptischen (Über-)Reizung der Neurone
kommt. Mit neueren und besser auflösenden bildgebenden Techniken (MRT) dürfte
die Zahl der neurovaskulären Kontakte
steigen (9). Doch die Studienlage bleibt
kontrovers, denn es finden sich einerseits
neurovaskuläre Kontakte in Post-mortemUntersuchen von asymptomatischen Fällen, aber auch intraoperativ mikrovaskuläre Kompressionen bei MR-negativen Patienten.
Neben der Trigeminusneuralgie unterscheidet die ICHD-II 7 weitere Neuralgien
(5): Glossopharyngeus-, Intermedius- (N.
facialis), Laryngeus-superior- (N. vagus)
und Okzipitalisneuralgie sowie trigeminale
Endäste N.nasoziliaris, N.supraorbitalis
und andere terminale Äste. Pathophysiologisch, diagnostisch und therapeutisch gelten grundsätzlich dieselben Empfehlungen.
Weitere Diagnostik
•
•
MRT-Schädel,
weitere Abklärungen entsprechend der
Grunderkrankung, z. B. Serologie bei
klinischen Verdacht auf Herpes-zosterInfektion.
Therapieempfehlung
•
•
a
b
Abb. 1 a) Trigeminale Innervation des Gesichts, mit Darstellung der drei Hauptäste des N. trigeminus.
b) Innervation entsprechend der zentralen medullären Trigeminuskerne, mit Darstellung der zwiebelschalenartig angeordneten Sölder-Linien. (hellgrau: Gesichtsbereich; dunkelgrau: Bereich orofazialer
Schmerzen (4); gestrichelt: orbito-meatale Linie).
•
Carbamazepin oder Oxcarbazepin
bleiben Mittel der ersten Wahl.
Für weitere Therapieoptionen, insbesondere interventionelle Möglichkeiten
sei auf die Guidelines der AAN/EFNS
verwiesen (9).
Therapie der Grunderkrankung (z. B.
Virostatika).
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Zahnschmerzen
Überblick
Vignette
Der 23-jährige Konditor sucht seinen
Zahnarzt auf, den er zuletzt vor 5 Jahren
beanspruchen musste. Seit 2 Wochen habe
er zunächst nur einmal alle zwei Tage, dann
mehrmals täglich einen nachziehenden
Schmerz. Aktuell bestehen permanente,
sehr starke, zum Teil pulsierende Schmerzen im rechten Ober- und Unterkiefer. In
der Nacht erwache er wegen den Schmerzen. Vorausgegangen war ein provozierbarer, kurzdauernder stechender Schmerz im
Seitenzahnbereich des rechten Unterkiefers
beim Trinken von zuckerhaltigen Süßgetränken und beim Probieren von Süßspeisen. Im Verlauf entwickelten sich dann attackenartige Spontanschmerzen von zunächst wenigen Minuten, die sich im Verlauf kontinuierlich verlängerten. Demgegenüber dauerten die schmerzfreien Phasen zunächst mehrere Stunden, im Laufe
von wenigen Tagen verkürzten sich diese
auf einige Minuten. Eine Schmerzlinderung für wenige Stunden konnte er mittels
Mefenaminsäure erreichen.
Symptomatische Gesichtsschmerzen (28, 29)
Dentogen
•
•
•
•
•
Frakturen
Dentinhypersensibilität
Karies
Pulpitis
Parodontitis
Knochen-/Weichteile (HNO)
•
•
•
•
Sinusitis
Infekte (z. B. Candidiasis)
Speicheldrüsenpathologie
Neoplasie (primär, Metastase)
Myogen, arthrogen, ligamentär
•
•
Tendomyopathie der Kaumuskulatur
Kiefergelenkschmerzen
Neurologisch
•
•
•
•
•
•
Neuralgie oder Neuropathie
Arteriitis temporalis (Vaskulitis)
Karotisdissektion (▶Abb. 2)
Thrombose im Sinus cavernosus
Hypophysenapoplexie
Entzündlich (Opticusneuritis, Tolosa-HuntSyndrom)
Ophthalmologisch
•
•
•
•
Glaukomanfall
Thrombosen (arteriell oder venös)
Endokrine Orbitopathie
Raumforderung
Diskussion
Die diagnostische Differenzierung zwischen odontogenen und nicht odontogenen Kopf- oder Gesichtsschmerzen ist oft
schwierig. Durch die harte Schmelz- und
Dentinschicht entzieht sich das eigentliche
sensorische Zahnorgan, die Pulpa, der Inspektion. Die klassischen Entzündungszeichen suchen wir am Zahn vergeblich. Der
Schmerz ist somit das einzige Zeichen einer möglichen Entzündung. Es bedarf einer genauen Schmerzanamnese mit Beschreibung von Schmerzbeginn, Lokalisation, zeitlichem Verlauf, sowie dessen auslösenden oder verstärkenden lokale Faktoren
(thermische, mechanische oder chemische
Reize). Der Zahnarzt sucht inspektorisch
spezifisch nach Läsionen im Bereich der
Zahnhartsubstanz und kann mittels einfachem Zahnröntgen eine dentogene
Schmerzursache ausschließen.
Dieser Fall beschreibt zu Beginn einseitig scharfe, kurzdauernde Schmerzen, ausgelöst durch osmotisch wirksame Substanzen. Dieser Dentinschmerz entsteht durch
die Auswärtsbewegung von Flüssigkeit in
Abb. 2
Nachweis eines
Wandhämatoms im
fettsupprimierten
T1-MRI bei Dissektion der linken Arteria
carotis interna.
den traumatisch (Fraktur, Riss, Abrasion)
oder bakteriell-toxisch (Karies) eröffneten
Dentinkanälen. Im weiteren Verlauf
kommt es in unserem Fall zur schnellen
Progression mit nachziehenden Schmerzen
und Auftreten von Spontanschmerzen, als
Hinweis für eine akute Entzündung der
Pulpa. Die gesunde Pulpa reagiert auf genügend starke Irritationen (Trauma, Infektiös-toxisch, Iatrogen) in der Regel mit
einer Entzündung, der Pulpitis. Diese verläuft nach denselben Prinzipien wie wir sie
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von anderen Geweben des Körpers kennen. Allerdings spielt die Zahnhartsubstanz eine wichtige Rolle. Eine räumliche
Ausdehnung des Pulpagewebes ist nicht
möglich und führt zu einem erhöhten lokalen Gewebedruck. Die Widerstandskraft
der Pulpa ist beachtlich, weshalb lokale
Entzündungen für lange Zeit bestehen bleiben können. Wird die Ursache der Reizung
nicht behoben, breitet sich die Entzündung
zentripetal auf die gesamte Pulpa aus. Es
folgt eine irreversible Pulpitis, die letztlich
zu einer Nekrose der Pulpa und zu Erkrankungen des periapikalen Gewebes führen
kann. Die Schmerzlokalisation ist erfahrungsgemäß schwierig. Verantwortlich dafür ist das relativ große rezeptive Feld der
Primärafferenz und das niedrige Vorkommen von Propriozeptoren in der Pulpa.
Hinzu kommt die Beobachtung, dass auf
die Projektionsneurone nebst dentalen, trigeminalen Schmerzfasern auch Fasern
vom N. facialis, N. glossopharyngeus, N.
vagus sowie der oberen Zervikalnerven geschaltet werden (10, 11).
Weitere Diagnostik
•
•
Klinische Untersuchung durch den
Zahnarzt,
Zahnröntgenbild (▶ Abb. 3).
Therapieempfehlung
Diskussion
Konservierende Behandlung der Zahnhartsubstanz. Bei irreversibler Pulpitis zudem die Wurzelbehandlung.
Im Akutstadium könnte ein Glaukomanfall
durchaus mit einer trigemino-autonomen
Kopfschmerzattacke verwechselt werden,
starke Schmerzen ums Auge begleitet von
einer konjuktivalen Rötung. Im Unterschied ist die Pupille jedoch meist weit, reaktionslos und entrundet und nicht miotisch wie z. B. beim Clusterkopfschmerz.
Durch zusätzliche Vagusreizung kommen
meist Übelkeit und Erbrechen hinzu, was
wiederum eine Migräneattacke imitieren
mag (12). Hier helfen zur Abgrenzung das
Alter bei Erstmanifestation (beim Glaukom > 60 Jahre) und die Reizüberempfindlichkeit gegenüber Licht, Lärm, Gerüchen
und Bewegung bei der Migräne. Für den
Neurologen gilt daran zu denken, dass Mydriatika, falls zur Fundoskopie verwendet,
akute Glaukomanfälle auslösen können.
Aber auch Stressreaktionen vor allem in
der Dunkeladaption können Auslöser darstellen (z. B. abendlicher Fernsehkrimi).
Der akute Glaukomanfall stellt nur eine
Ursache von Augenschmerzen dar. Eine
Vielzahl von entzündlichen, infektiösen,
vaskulären, neoplastischen und traumatischen Ursachen kann zu Augenschmerzen
führen (6). In der Neurologie ist vor allem
die Optikusneuritis (mit obligater Sehstörung) als Manifestation der MS anzutreffen, seltener okuläre Myositiden oder die
Arteriitis temporalis. Eine niederschwellige
Indikationsstellung für weitere MRT-Bildgebung ist empfohlen.
Glaukom
Vignette
Eine 61-jährige Patientin (Brillenträgerin
seit Jahren, ansonsten keine ophthalmologische oder internistische Anamnese)
kommt frühmorgens mit stechenden
Schmerzen in der rechten Gesichtshälfte,
Übelkeit und einmaligem Erbrechen. Sie
berichtet zudem über Verschwommensehen seit wenigen Stunden. In der Inspektion finden sich leicht gerötete Konjunktiven. Mit Augendruckwerten von 52 mmHg
rechts, 21 mmHg links lässt sich die Diagnose eines akuten Glaukomanfalls bei Engwinkelglaukom rechts stellen. Mittels einer
Therapie mit Pilocarpin (direktes Parasympathomimetikum) Augentropfen sowie einer Laseriridotomie sind die Symptome
rasch und vollständig regredient. Eine prophylaktische Laseriridotomie wird auch am
linken Auge durchgeführt.
Weitere Diagnostik
•
•
•
Zur eindeutigen Abgrenzung findet sich
palpatorisch ein hartes Auge,
Augendruckmessung (> 10 bis 20
mmHg),
eventuelle weiterführende Bildgebung
(MRI).
Therapieempfehlung
•
Abb. 3 Das Zahnröntgenbild gibt Aufschluss über dentale Demineralisationen im Sinne einer Karies.
Im vorliegenden Beispiel findet sich fortgeschrittene Approximalkaries mesial am Zahn 46. Man erkennt
an einer typischen Prädilektionsstelle die kanalförmige Demineralisation im Schmelzmantel des Zahnes
46, die sich innerhalb des Dentins rasch ausweitet (Pfeil).
Der akute Glaukomanfall gilt als Notfall
und die Therapie der Wahl beim Engwinkelglaukom ist operativ (Laseriridotomie).
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Sinusitis
Vignette
Eine 50-jährige Patientin stellte sich aufgrund exazerbierter Kopfschmerzen als
Notfall vor. Sie litt seit rund 9 Monaten intermittierend an Kopfschmerzen, welche
sie abwechselnd im Gesicht frontal, aber
auch temporal oder retrobulbär jeweils
linksseitig angibt. Da keine rhinologischen
Beschwerden wie Sekretfluss oder Nasenatmungsbehinderung zu verzeichnen waren,
ging man bisher wegen zusätzlicher Lichtund Lärmüberempfindlichkeit von einer
Migräne aus. Bei der Notfallkonsultation
berichtete sie zudem über Schwindel, was
zusammen mit den Untersuchungsbefunden zur Verdachtsdiagnose einer hypertensiven Krise führte. Zur weiteren Ausschlussdiagnostik wurde eine CT des Schädels durchgeführt, welche eine isolierte
komplette Verschattung des Sinus sphenoidalis links zeigte. Nach Hinzuziehung der
Kollegen der HNO-Heilkunde wurde der
Verdacht auf ein Mycetom des Sinus sphenoidalis gestellt, welches intraoperativ mittels Sphenoidotomie bestätigt und drainiert
wurde. In der postoperativen Kontrolle
nach einer Woche waren die Kopfschmerzen regredient.
zur Migräne nicht ganz einfach sein. Es
empfiehlt sich in diesen Fällen, eine rhinologische Ursache auszuschließen(13). Im
experimentellen Setting fand sich eine unterschiedliche Fazilitierung des nozizeptiven Blinkreflex (nBR) bei migränösen und
sinusitisbedingten Gesichtsschmerzen (14).
Diese reicht jedoch nicht aus, um im klinischen Alltag das Individuum zu klassifizieren.
Auf Ohrenschmerzen werden wir nicht
weiter eingehen, da sich diese sowohl für
Arzt wie Patient relativ einfach von Gesichtsschmerzen abgrenzen. Einzig das
Gradenigo-Syndrom (Felsenbein-Spitzensyndrom) sei erwähnt, eine seltene Komplikation einer Mittelohrentzündung, welche mit starken Gesichtsschmerzen und
Hirnnervenausfällen (III & VI) einhergehen kann.
Weitere Diagnostik
•
•
Therapieempfehlung
•
Diskussion
Nicht ganz die banale Rhinosinusitis. Aber
auch so wird letztere in den meisten Fällen
erst vom Spezialisten diagnostiziert. Neben
typischen rhinologischen Beschwerden
(Nasenatmungsbehinderung, Rhinorrhoe),
welche bei der akuten Rhinosinusitis mit
Infektzeichen (leicht erhöhte Temperatur,
CRP-Anstieg) einhergehen, bestehen unterschiedlich ausgeprägte Gesichtsschmerzen, je nach Lokalisation der betroffenen
Sinus: im Oberkieferbereich (Sinus maxillaris, am häufigsten), um Nasenwurzel und
medialer Augenwinkel (Cellulae ethmoidales) oder frontal im Stirnbereich (Sinus
frontalis). Bei der isolierten Sinusitis sphenoidalis (am seltensten) berichten die Patienten über einen dumpfen retrobulbären
Kopfschmerz bzw. Augenschmerz. Typischerweise verstärken sich die Schmerzen
beim Bücken oder die Patienten beschreiben sogar eine Art „Fliessgefühl“. Bei der
chronischen Form kann eine Abgrenzung
Nasenendoskopie durch den ORL-Facharzt,
Röntgenübersichtsaufnahme obsolet,
ggf.
Nasennebenhöhlen-Computertomografie (13).
•
•
•
Primär konservative Therapie mit abschwellenden Nasentropfen,
zusätzlich Inhalation und/oder Wärmebehandlung,
Antibiose bei Beschwerden über 2 bis 3
Wochen,
bei chronischen Beschwerden oder akut
komplizierender Symptomatik (Abszess,
Meningitis oder orbitale Beteiligung):
operative Drainage (FESS: functional
endoscopic sinus surgery).
Tendomyopathie der
Kaumuskulatur
Myogene Ursache
Vignette
Eine 28-jährige Bankangestellte und frühere Leichtathletin meldet sich beim Hausarzt. Sie beschreibt vor allem bei der Arbeit
dumpf-drückende Schmerzen im beidseitigen Kieferbereich, wobei die Intensität variiert. Häufig strahlt der Schmerz in die
Schläfen aus. Die Schmerzen traten erstmalig schleichend vor 2 Monaten auf. Normalerweise ist der Schmerzbeginn morgens gegen neun Uhr, gelegentlich aber
auch schon nach dem Erwachen. Im Tagesverlauf nimmt der Schmerz zu. Schlimmer
wird es wenn sie lange Gespräche führen
muss oder nach dem Essen. Linderung erfährt sie am Morgen durch warmes Duschen, Massieren des Unterkiefers und allgemein am Wochenende. Beruflich ist sie
seit 3 Monaten stärker gefordert.
Diskussion
Im vorliegenden Fallbeispiel handelt es sich
um eine typische Konstellation für einen
Ausstrahlungsschmerz aus der Kaumuskulatur. Diese können ein- oder beidseitig
auftreten und werden im seitlichen Kieferund Gesichtsbereich, aber auch in einzelnen Zähnen empfunden oder gelegentlich
als Ohrendruck lokalisiert. Sie werden als
dumpf-drückend beschrieben oder auch
brennend mit variabler Intensität. Beim
nächtlichen Zähneknirschen, dem Bruxismus, ist das Auftreten bereits am Morgen
beim Erwachen zu beobachten (15).
Schmerzverstärkend ist typischerweise langes Sprechen oder Kauen. Klinisch finden
sich extra- und intraoral druckdolente
Kaumuskeln, gelegentlich mit Triggerpunkten, sowie Zeichen von Zähnepressen
oder -knirschen im Bereich der enoralen
Schleimhaut und der Dentition. Anamnestisch finden sich häufig Hinweise für psychosoziale Belastungen, wobei die Patienten sprichwörtlich auf die Zähne beißen
(16).
Gründe für diese übertragenen Schmerzen sind wie auch beim Zahnschmerz die
Ausdehnung des rezeptiven Feldes eines
trigeminalen Neurons und der nachgeschalteten Neurone über Zahnstrukturen
hinaus, die konvergente Verschaltung mit
den benachbarten Hirnnerven VII, IX und
X sowie andere noch ungeklärte Mechanismen. Der Übertragungsschmerz ist bekannt für Triggerpunkte im Bereich der
Kau-, Nacken- und Schultermuskulatur
und Erkrankungen im Bereich der enoralen Schleimhäute.
Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass koronare Herzerkrankungen sowie auch Tumoren im Thoraxbereich sich
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N. Lukic; A. R. Gantenbein: Symptomatische Gesichtsschmerzen
als Schmerzen im Kiefer- oder Zahnbereich manifestieren können (17). Gelegentlich sogar als einziges Symptom. Tierexperimentell bestehen Hinweise, dass
Schmerzfasern des N. vagus dabei eine
Rolle spielen.
Weitere Diagnostik
•
•
Klinische Untersuchung der Kau-, Nacken und Schultermuskulatur,
intraorale Zeichen für Zähnepressen
sind übermäßig abgeschliffene Zähne
(▶ Abb. 4) und eventuell Abfraktionen,
am lateralen Zungenrand Indentitionen
und in der Wangenschleimhaut Interkalarlinien, Petechien oder Ulzerationen.
•
•
Symptomatische Therapieansätze sind
die lokale Anwendung physikalischer
Maßnahmen, Dehnübungen, entspannte Unterkieferhaltung und Vermeidung
übermäßiger bzw. unnötiger Muskelaktivierung (Zähnepressen, Kaugummi).
Zur Entlastung des Kauapparates empfiehlt sich bei Bruxismus die Anfertigung einer okklusalen Aufbisschiene
(▶ Abb. 4).
Eine interdisziplinäre Behandlung mit
schmerzpsychologischen Therapieansätzen ist wichtig, da intrinsische Faktoren eine entscheidende Rolle spielen bei
Kiefer- und Gesichtsschmerzen.
a
Definition: Das Kiefergelenk bildet die
Doppelverbindung des Unterkiefers zur
Schädelbasis. Die Konkavität der Fossa
mandibularis geht im anterioren Gelenkbereich in die konvexe Eminentia articularis über. Die knöchernen Gelenkflächen
sind anders als in anderen Gelenken nicht
mit hyalinem, sondern mehrheitlich mit
Faserknorpel überzogen. Zwischen den
Gelenkoberflächen liegt ein ebenfalls
faserknorpeliger bikonkaver Diskus articularis. Kaumuskeln sowie Kiefergelenke werden hauptsächlich von sensomotorischen
Fasern des N. trigeminus innerviert.
Vignette
Therapieempfehlung
•
Arthrogen
Eine 54-jährige Dame berichtet über bewegungsabhängige Reibegeräusche im rechten Kiefergelenk seit 5 Jahren. Seit 2 Monaten hat sie nun präaurikuläre Schmerzen
beim Kauen und beim Schlafen auf der
rechten Seite. Sie meidet deshalb harte
Speisen wie Brotrinde, zähes Fleisch oder
Nüsse. Die Mundöffnung sei zwar leicht
eingeschränkt, aber nicht wirklich
schmerzhaft und es bestehe kein Ruheschmerz. Zudem habe sie eine leichte
Schwellung vor dem Ohr beobachtet.
Diskussion
Die Dame beschreibt ein seit Jahren bestehendes schmerzloses funktionsabhängiges
Reibegeräusch, das mit einer inaktiven, also nicht entzündlichen Arthrose vereinbar
ist. Es handelt sich um einen Umbau des
Gelenkknorpels bzw. des subchondralen
Knochens. Radiologisch lassen sich im Kiefergelenk die klassischen Zeichen einer Gelenksdegeneration beobachten wie Osteophytenbildung, Gelenkspaltverschmälerung, Osteosklerose und allenfalls subchondrale Geröllzysten. Gelegentlich
kommt es zu einer Arthralgie im Sinne einer sekundären Entzündungsreaktion mit
Synovialitis und Gelenkserguss, welche die
Präsenz von Schmerzen erklären. Anamnestisch imponiert dieser Reizzustand
mit deutlich funktionsabhängigen Schmerzen, wie in unserem Beispiel, typischerweise ausgelöst durch das Kauen von harten
Speisen oder Zähnepressen. Die lokal
schmerzhafte Schwellung ist diagnostisch
wertvoll und deutet auf ein lokales Geschehen hin (Tumoren sind äußerst selten). Die
lokale Druckdolenz hingegen kann wie
schon bei den myogenen Ursachen durch
Schmerzübertragung eine Arthralgie nur
vortäuschen, sodass die Schmerzursache in
benachbarten Strukturen zu suchen ist. Bei
arthrogenen Schmerzen muss an eine Arthritis im Rahmen einer reaktiven oder autoimmunen Gelenkerkrankung gedacht
werden. Bei älteren Personen ist an eine
Arteriitis temporalis zu denken mit Kauclaudicatio.
In diesem Zusammenhang ist die Diskopathie zu nennen. Bei der anterioren
Diskusverlagerung mit Reposition liegt der
Diskus vor (statt über) der Konvexität des
Kieferköpfchens. Beim Vorschub des Kieferköpfchens während der Mundöffnung
springt dieses wieder unter den Diskus,
was von einem mehr oder weniger lauten
Knackgeräusch mit schneller Medialisie-
b
Abb. 4 Bei der Patientin mit myogenen Beschwerden finden sich auch klinische Hinweise für einen Bruxismus (übermässig abgeschliffene Zähne, a). Bei der
Anwendung einer okklusalen Aufbisschiene (b) ist darauf zu achten, dass diese alle Zähne umfasst, da es sonst zu weiteren Zahnfehlstellungen und entsprechenden Komplikationen kommen kann.
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N. Lukic; A. Gantenbein: Symptomatische Gesichtsschmerzen
rungsbewegung des Unterkiefers begleitet
ist und umgekehrt beim Mundschluss.
Wenn die Translationsbewegung durch
den vorverlagerten Diskus gänzlich verhindert wird, kann dies zu einer dolenten oder
indolenten Mundöffnungsbehinderung
führen ohne Medialisierungsbewegung,
das heißt, mit endgradiger Abweichung des
Unterkiefers auf die betroffene Seite (18,
19).
Weitere Diagnostik
•
•
•
•
Inspektion mit Suche nach klassischen
Entzündungszeichen sowie Symmetrieabweichungen in Ruhe und Funktion.
Palpatorisch geben Geräusche, Druckschmerzen und Gewebekonsistenz Hinweise auf ein mögliches Vorliegen einer
Arthropathie.
Wichtig ist die Funktionsprüfung bei
Bewegungs- bzw. Belastungsschmerz
und bei Veränderungen der Mundöffnung.
Die Diagnostik beruht weitestgehend
auf der Klinik (Anamnese, Befund), daher ist eine zusätzliche Bildgebung nur
ausnahmsweise bei fehlendem Ansprechen auf die initiale Therapie indiziert.
Therapieempfehlung
•
•
•
Symptomatisch, antiphlogistisch.
Eine okklusale Aufbissschiene kann die
beanspruchten Gelenksanteile entlasten
indem die Belastungszone verlagert
wird.
Das Risiko einer Schmerzchronifizierung hängt weniger vom Gelenkzustand
als vielmehr von psychosozialen Belastungen ab, welche häufig mit Kieferbeschwerden assoziiert sind. Bei persistierenden Beschwerden sollte deshalb eine
interdisziplinäre Evaluation unter Einbezug einer schmerzpsychologischen
Diagnostik erfolgen.
Arteriitis temporalis
Vignette
Der 79-jährige Patient wurde mit der Frage
nach einer REM-Schlafverhaltensstörung
zugewiesen. Neben der subjektiven Durchschlafstörung ohne Tagesschläfrigkeit berichtete er über links frontal betonte,
druckartig bis pulsierende Kopfschmerzen
seit 3 Monaten. Davor habe er nie Kopfschmerzen gehabt. Keine Begleitsymptome, im Besonderen keine Sehstörung. In
der Untersuchung fand sich eine derbe,
druckdolente Temporalarterie, bei sonst
unauffälligem neurologischem Status. Auf
Nachfragen Verstärkung der Schmerzen
bei längerem Kauen. Im Labor fand sich eine erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit,
in der Duplex-Sonografie ein positives Halo-Zeichen. Bei bisher fehlender Augenbeteiligung wurde mit der Steroidtherapie bis
zur bioptischen Diagnosesicherung einer
Arteriitis temporalis gewartet. Unter 60 mg
Methylprednisolon waren die Beschwerden
danach komplett regredient und die Verlaufs-BSG auf 3 mm/h.
•
•
•
•
Zusätzlich hilfreich kann mittels Farbduplexsonografie die entzündlich bedingte
Intima-Media-Verbreiterung als „HaloPhänomen“ (▶ Abb. 5) dargestellt werden
(21).
Weitere Diagnostik
•
•
•
Diskussion
Eine nicht ganz alltägliche Beschreibung
einer inzidentellen Riesenzellarteriitis, in
dem vorliegenden Fall über 3 Monate
gänzlich ohne Augenbeteiligung. Nichts
desto trotz sollte mit der Steroidbehandlung bei klinischem Verdacht nicht bis zur
bioptischen Diagnosesicherung gewartet
werden, nicht zuletzt, da die Histologieresultate bis 1 bis 2 Wochen kaum beeinflusst
werden. Die Vaskulitisart ist assoziiert mit
der Polymyalgia rheumatica, welche weit
häufiger als die Arteriitis temporalis anzutreffen ist. Seit 1990 bestehen die Klassifikationskriterien unverändert: Mit 3 der 5
folgenden Kriterien gilt die Diagnose als
gesichert (Sensitivität 93%, Spezifität 91%):
• Alter > 50 Jahre,
neu aufgetretener Kopfschmerz,
Palpable, druckschmerzhafte oder pulslose Temporalarterie,
BSG > 50 mm/h,
typische Histologie mit granulomatösen
Veränderungen und Riesenzellen in der
Gefäßwand (20).
BSR, CRP,
Duplex-Sonografie ,
Biopsie als Goldstandard, nicht mit der
Steroidtherapie zuwarten.
Therapieempfehlung
•
Steroide Beginn mit 60 mg/d, nach frühestens 2 Monaten langsame Reduktion
auf Erhaltungsdosis von 20–30 mg/d
(www.rheumanet.org).
Karotisdissektion
Vignette
Notfallmäßige Vorstellung der 44-jährigen
Patientin mit frontal- und linksbetonten
Kopfschmerzen. Diese seien erstmals gegen
Abend plötzlich und einschießend (wie ein
Elektroschock) in der linken Gesichtsseite
– Ohr und Auge – aufgetreten. Sie habe da-
Abb. 5
Bei dieser Patientin
mit Arteriitis temporalis links findet sich
in der Duplex-Sonografie der linken ein
Halo-Phänomen. Der
dunkle Saum um die
quergeschnittene
Temporalarterie entspricht der entzündlich verbreiterten
Intima-Media-Schicht
(Bild: Eckhard
Hammer, Hamburg).
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N. Lukic; A. R. Gantenbein: Symptomatische Gesichtsschmerzen
nach auf dem linken Auge wie durch einen
Nebelschleier gesehen und sei ein- bis
zweimal mit dem rechten Bein eingeknickt.
Die Kopfschmerzen seien vorübergehend
verschwunden, jetzt aber mit verminderter
Stärke da. Im notfallmäßig durchgeführten
MRT-Schädel zeigte sich eine Wandverdickung der linken A. carotis interna ohne
Nachweis einer zerebralen Diffusionsstörung (▶ Abb. 2). Die Patientin wurde auf
die Überwachungsstation aufgenommen
und eine Sekundärprophylaxe mit Aspirin
wurde begonnen. Im Verlauf bestätigte sich
der Verdacht einer Karotisdissektion in der
konventionellen Angiografie und im MRTHals mit Fettsättigung.
drome von Lance erstbeschrieben und von
Sjaastad weiteruntersucht (24, 25). Einseitige kurzdauernde Schmerzen und Dysästhesien die gleichzeitig an Hals und Hinterkopf wie auch im Bereich der Zunge, wahrgenommen werden, meist bei Kopfdrehung
zur gleichen Seite würde man nicht primär
der gleichen Ursache zuordnen. Es sind einige dieser pathognomonischen Fälle beschrieben. Eine Erklärung liefern sensible
(Propriozeption) Fasern der Zunge welche
über Verbindungen von N. lingualis, N. hypoglossus und Zervikalwurzel C2 gemeinsam das zentrale Nervensystem erreichen.
Diskussion
Sehr selten kann dieser gutartige Knochentumor Grund sein für einen umschriebenen Schmerz im Gesicht, z. B. an der Stirn.
Es sind vorwiegend Kinder und junge Erwachsene betroffen. Eine Präsentation
nach dem 30. Lebensjahr ist eine Rarität.
Die Schmerzen sprechen gut auf Aspirin
und andere NSAR an. Die Diagnose kann
anhand der charakteristischen Konfiguration (Nidus mit verdicktem sklerotischem
Rand) mittels Röntgenbild oder CT gestellt
werden. Eine operative Resektion ist nicht
unbedingt notwendig, da es meist zu einer
spontanen Remission innerhalb 2 bis 15
Jahren kommt (26). In einer kürzlichen
Fallbeschreibung präsentierte sich ein Osteoid-Osteom wie eine Hemicrania continua (27). Hierbei kann die bei der Hemicrania continua mandatorische Antwort
auf Indometacin zur Differenzialdiagnose
nicht beitragen.
Typischerweise präsentiert sich die Karotisdissektion mit Schmerzen entlang der
Gefäßbahn, am Hals, im Ohr- und Schläfenbereich. In den meisten Fällen wird die
Karotisdissektion von ipsilateralen autonomen Symptomen begleitet und führt oft zu
ischämischen Hirninfarkten (22). In seltenen Fällen kann sich eine Dissektion hinzuführender Gefäße aber nur mit Schmerz
alleine präsentieren (23). Die Abgrenzung
zu primären Kopfschmerzen ist dann besonders schwierig, nicht zuletzt weil Dissektionen – spontan oder traumatisch –
häufig jüngere Personen betreffen.
Weitere Diagnostik
•
•
MRT-Hals mit T1-FatSAT-Sequenzen
(Fett-Supprimierung),
bei Unklarheit konventionelle Angiografie als Goldstandard.
Therapieempfehlung
•
Empfehlungen der Schlaganfallgesellschaft und der DGN.
Seltenere und fraglich
symptomatische Ursachen
Nacken-Zungen-Syndrom
Das Nacken-Zungen-Syndrom mag durch
den unerfahrenen Arzt als somatoforme
Schmerzstörung interpretiert werden. Es
wurde wie einige seltene Kopfschmerzsyn-
Osteoid-Osteom
Sinus-cavernosus-Syndrom –
Tolosa-Hunt-Syndrom
Die Pathologien im Sinus cavernosus können vielfältig sein: Infekte, Thrombosen,
Tumoren und entzündliche Prozesse
(Sarkoidose oder Tolosa-Hunt-Syndrom).
Auch die Kopfschmerzpräsentation kann
sehr heterogen sein, migräneartig bis
„trigeminoautonom“. Die schmerzhafte
Ophthalmoplegie, auch Tolosa-Hunt- oder
Orbitaspitzen-Syndrom genannt, ist eine
granulomatöse Entzündung welche von
multiplen Augennervenausfällen, oft mit
Trigeminusbeteiligung, begleitet wird, entsprechend den Hirnnerven, welche durch
den Sinus cavernosus, respektive die
superiore orbitale Fissur ziehen (III, IV, V1,
V2, VI). Im MRI-Schädel finden sich typische retroorbitale Signalveränderungen.
Die genaue Ätiologie ist ungeklärt. Therapeutisch kommen Steroide zum Einsatz.
Danksagungen
Herzlichen Dank an Eva Serafino-Skalsky
(Ophthalmologin) und Hakan Sarikaya
(Neurologe) für ihre Fallbeschreibungen.
Herzlichen Dank an Eckard Hammer und
Thomas Weber (Marienkrankenhaus,
Hamburg), die uns das Halo-Bild zur Verfügung gestellt haben. Vielen Dank an Antonella Palla, Marco Mumenthaler, Sven
Schippling und Dominik Ettlin für beratende Hinweise und Kommentare.
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