FORUM Die Attraktivität „ganz­ heitlicher“ Zahnmedizin Teil 2: Bohren ohne Reue Hans-Werner Bertelsen Eine Frage des Charakters? Auch in der Zahnheilkunde boomt der Markt für Komplementärmedizin. Die Methoden werden von vielen Patienten nachgefragt und bringen niedergelassenen Zahnärzten attraktive Zusatzeinnahmen. Doch bevor sich ein Zahnarzt mit lukrativen Extra-Angeboten schmücken kann, muss er teure Kurse und Workshops besuchen (siehe Teil 1 dieses Beitrags, Skeptiker 2/2013, S. 61 – 64). Nach erfolgreicher Kursteilnahme lässt sich das Heer der „Alternativ“-Mediziner in zwei große Lager aufteilen. 1. Das Lager der Geschäftstüchtigen: Ausgrenzung nach dem Prinzip „Ene mene Muh!“ Quelle: © Michael Tieck - Fotolia.com 2 skeptiker 3/2013 Der Typus des Geschäftstüchtigen ist zu erkennen an der merkwürdigen Ausgrenzungs- und Verteidigungsstrategie, mit der er auf Nachfragen von Kollegen reagiert, etwa wenn diese nähere Erklärungen zur Methodik wünschen. Ist es in der gesamten Medizin üblich, einen anderen Therapieweg als den ursprünglich eingeschlagenen – etwa bei Versagen eines Antibiotikums –, auf Augenhöhe respektvoll zu erörtern (also Alternativmedizin im Wortsinne!), so wird man vom Typus des Geschäftstüchtigen geblendet mit der Ausrede, es gebe Dinge, Schwingungen, Energien, die man eben nicht erklären könne. Man habe als „Nichtwisser“ schlichtweg keine Ahnung. Ene mene Muh. Man solle zunächst esote- rische Bücher lesen. Man solle Kurse buchen. Man solle sich für Schwingungen sensibilisieren. Und dann nochmals Kurse buchen. Schließlich ist das esoterische Fachwissen teuer. Zu teuer, als dass man es einfach verschenkt, obwohl es vom Inhalt her (sehr) billig ist. Eine gut geübte Ausgrenzungsstrategie gegenüber Konkurrenten, welche als „Unwissende“ diffamiert werden. Als Nebeneffekt wird durch die Vermeidung von Standards und Leitlinien ein unliebsamer Adressat ausgegrenzt: die Gerichtsbarkeit. Diese umgangene Überprüfbarkeit verspricht: Bohren ohne Reue. 2. Das Lager der verblendeten Selbsttäuscher Woher kommt der Hang zur Selbsttäuschung? Für den renommierten Hirnforscher Roth ist es eindeutig: Ehrgeiz und Machthunger sind wichtige Quellen der Selbsttäuschung, Versagen und Niederlagen noch wichtigere. Hier geht es darum, eine tiefe Verwundung, die durch Fehlleistungen, Niederlage und Beschämung hervorgerufen wurde, derart zu kompensieren, dass das unbewusste Selbst damit fertig wird. Die oft belächelte Tatsache, dass es nach vielen politischen Wahlen nur Sieger gibt, ist noch die harmloseste Variante dieses Vorgangs. Das Nichterreichen eines wichtigen Ziels, z. B. Betriebsleiter, Vorstandsmitglied, Ordinarius, Präsident oder Bundeskanzler zu werden, oder der Verlust eines solchen „Jobs“ müssen wegerklärt werden, sonst droht die nackte Verzweiflung. Natürlich gäbe es die Möglichkeit, sich zu sagen: „Niederlagen gehören nun einmal zum Machtspiel“, aber dies beruhigt höch- D I E AT T R A K T I V I TÄT „ G A N Z H ­ EITLICHER“ ZAHNMEDIZIN stens das bewusste emotionale Selbst. Unser unbewusstes emotionales Selbst, das Kleinkind in uns, wollte ja aus Macht und Erfolg (bzw. deren Fortdauer) diejenige Befriedigung saugen, die es für die Selbststabilisierung benötigt. Und jetzt wird diese (potenzielle) Lustquelle weggenommen. (Roth 2011, S. 283) Was also liegt näher, als die Uferseite zu wechseln, wenn man mit seriöser Zahnmedizin nicht vorankommt? Wer einer Selbsttäuschung unterliegt, glaubt selbst an den Unsinn, den er verbreitet. Dieses Faktum ist wichtig für die Wirksamkeit von Suggestionsbehandlungen. Die Nachfrage Niemand kommt als Esoteriker auf die Welt. In der Regel erblicken wir das irdische Licht im Schutz einer Klinik unter lebensfreundlichen Bedingungen. Die professionelle Geburtshilfe hat unsere Überlebenschance optimiert, weshalb sich kaum mehr jemand freiwillig dem unnötigen Risiko einer Hausgeburt aussetzt. Haben alle Beteiligten ihre Arbeit gemacht und ist das Kind glücklich zur Welt gekommen, reicht dies augenscheinlich nicht aus zum Glücklichsein: Oft genug erhält die Mutter den Rat, homöopathische Mittelchen einzunehmen (siehe dazu auch Skeptiker 1/2013, S. 4 – 9). Ebenso Federspiel: Schon die Kleinsten werden mit Globuli & Co. versorgt. Nicht selten sind es Hebammen, die den Müttern die Zuckerkügelchen und andere zweifelhafte Mittel ans Herz legen (Federspiel 2012). Der freundlichen Hebamme sei Dank! Hebammen sind die ersten Begleiter auf dem Wege einer esoterischen Laufbahn. Natürlich sind die Zuckerkügelchen überflüssig und, pharmakologisch betrachtet, Unsinn. Wirkungslos sind sie dennoch nicht. Durch die Kugeln passiert genau das, was bereits in Teil 1 des Beitrags als „operante Konditionierung“ bezeichnet wurde (siehe Skeptiker 2/2013, S. 62). Kommt es zu einer Erfüllung des Wunsches (z. B. Genesung oder Futtergabe im Tierversuch), so entsteht eine so genannte „positive Verstärkung“. Ich nehme Zuckerkugeln ein, nichts Schlimmes passiert. Fehlschluss: Also brauche ich Zuckerkugeln, damit nichts Schlimmes passiert. Die Einnahme der Zuckerkugeln ist positiv verstärkt worden (verstärkender Krebs – nach dieser Diagnose ist nichts mehr, wie es war. Die Therapie ist langwierig und belastend, die Erfolgsaussicht in vielen Fällen ungewiss. In ihrer Not suchen nicht wenige Patienten Rettung in teuren, unkonventionellen Methoden. Reiz). Eine auf diese Weise induzierte Verhaltensänderung nennt man in der Psychologie Shapingprozess. Wie wir bereits wissen, ist der Vorgang der Konditionierung kein menschliches Privileg. Konditionieren lassen sich alle Säuger und sogar Vögel, deren gesamte Hirnmasse nur ein paar Gramm beträgt.1 (Wem die Vogelwelt nicht geheuer ist, der sei hierzu an Thorndikes Versuch zum operanten Konditionieren einer eingesperrten Katze2 erinnert. Das Tier entdeckte durch Ausprobieren zufällig, wie es sich aus seinem Käfig befreien konnte. In späteren Versuchen gelang ihm dies immer schneller.) Mittels Unseriöser Methodik Psychologisch Irreführende, Tricksende Zahnmedizin (abgekürzt: MUMPITZ.) Das Kennzeichen aller „alternativen“ Verfahren ist das Fehlen von gutachterlich verwertbaren Standards und Leitlinien. Deshalb ist im Folgenden die Rede von der pseudomedizinischen Parallelwelt, rechtsfreier Raum (PMPrR). Sämtliche unsinnige Verfahren aus der Zahnmedizin aufzuführen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Ich beschränke mich daher auf zwei MUMPITZ-Beispiele aus der PMPrR, eines aus der Diagnostik und eines aus der Therapie. Quelle: © pix4U - Fotolia.com MUMPITZ-Diagnostik – Beispiel Kinesiologie Der kinesiologische Muskeltest ist eine beliebte Methode, um Entscheidungen herbeizuführen und zu legitimieren, auch wenn sie jeglicher logischer Plausibilität entbehren. Ausschlaggebend ist allein eine vom „Heiler“, der gleichzeitig die Personalunion mit dem „Entscheider“ bildet, völlig subjektiv bewertete Muskelspannung des Patienten. Die Entscheidungen glänzen bei objektiver Betrachtung durch Beliebigkeit und können betreffen: • die Auswahl eines Materials, etwa für Zahnfüllungen, • die Auswahl einer Substanz, etwa ein Medikament, • die Auswahl eines Reiseziels u.v.m. Mit Hilfe des kinesiologischen Muskeltests gelangt der Patient an ein wichtiges Gut: Bequemlichkeit. Er muss keine eigene Entscheidung treffen, die Entscheidungsfindung wird kostenpflichtig ausgelagert. Die einmal getroffene Entscheidung für ein Material, eine Substanz oder ein Reiseziel muss nicht mehr angezweifelt werden, schließlich hat der Anbieter „das Richtige“ ausgetestet. Immer mehr Menschen fühlen sich durch ein Übermaß von skeptiker 3/2013 3 FORUM Angeboten und Alternativen überfordert. Daher sind Lösungsstrategien gefragt; je simpler, desto besser. Der Gipfel der Trivialität wird erreicht, wenn einige der von den Zeitschriften zu Rate gezogenen Psychologen feststellen, die richtige Entscheidungsstrategie hänge davon ab, welcher Entscheidungstyp man sei. Es gebe eben Bauchmenschen und Kopfmenschen, und die Ersteren würden besser damit fahren, spontan zu entscheiden, die Letzteren damit, nachzudenken. Dies ist ein klassischen Zirkelschluss, denn schließlich nennt man diejenigen Personen, die üblicherweise spontan entscheiden, „Bauchmenschen“, und diejenigen, die vor Entscheidungen lange nachdenken, „Kopfmenschen“. Anders formuliert lautet der Rat, Bauchmenschen sollten weiter aus dem Bauch heraus entscheiden, Kopfmenschen weiter mit dem Kopf! (Roth 2011, S. 183) MUMPITZ-Therapie – Beispiel Knochenfräsung als Strohhalmgeschäft Es ist bekannt, dass Krebspatienten alles Menschenmögliche tun, um ihrer Erkrankung die Stirn zu bieten. So berichtet Dieter K. Hossfeld, ehemaliger Direktor der Onkologie in Hamburg Eppendorf, resümierend: Der Mensch ist ein Hoffnungs-Wesen, und Hoffnung ist das Elixier des Lebens.“ Diesen Aphorismus hat der Theologe Prof. Thieleke gebraucht, als ich mit ihm über das Sterben sprach. In meinem Berufsleben habe ich „Blockierte Energiebahnen“? Allein anhand der Muskelerfahren, dass Patienten in spannung wollen Kinesiologen feststellen, ob der Patient objektiv aussichtslosen Situbestimmte Medikamente oder Materialien, etwa Amalgam, ationen, in denen Hoffnung verträgt. Quelle: © wildworx - Fotolia.com auf Lebensverlängerung oder Linderung tumorbedingter Beschwerden realistisch war, sehr viel häufiger um Therapie als um Sterbehilfe baten. Wenn ich meinen Patienten so einfühlsam wie möglich, aber so ehrlich wie nötig darstellte, dass die Therapiechance nur wenige Prozent beträgt und – bei Erfolg – sich die Lebensverlängerung auf einige Monate beschränken würde, wurde ich gefragt, ob ich denn wirklich ausschließen könne, dass bei ihm speziell nicht ein besserer Therapieerfolg zu erhoffen sei – was ich nie ausschließen konnte und auch nicht wollte. Und so sah ich mich nicht selten gegen mein Wissen und Gewissen gezwungen, extrem zweifelhafte Therapieversuche zu unternehmen, weil der Aussage des Patienten, „eine zweiprozentige Besserungschance ist besser als Null“, nichts entgegenzusetzen ist.3 Gleiches berichtet mir im persönlichen Gespräch Jörg Diedrich Neumann, Oberarzt in der Onkologischen Tagesklinik am St. Joseph-Stift in 4 skeptiker 3/2013 Bremen: Sterbehilfe ist in der Onkologie überhaupt kein Thema. Die Menschen klammern sich an jede noch so kleine Hoffnung und geben horrendes Geld aus für zweifelhafte Therapien. Diese Fakten dürfen als in der Medizin bekannt vorausgesetzt werden. Und mit der Hoffnung werden Geschäfte gemacht. Weil die Patienten sich in ihrer Verzweiflung an jeden Strohhalm klammern, der ihnen angeboten wird, nenne ich diese Form der Geschäfte Strohhalmgeschäfte. Strohhalmgeschäfte bedienen sich der Angst schwerkranker Menschen und müssen keiner Prüfung oder kritischen Betrachtung standhalten. Oft genug habe ich es erlebt, wie Patientinnen und Patienten mit schweren Krebserkrankungen eine teure Zahnsanierung angedient wurde mit der Begründung, die vorhandene Versorgung sei ungesund und hätte zur Entstehung der Tumoren beigetragen. Noch perfider sind Methoden, die bar jeder medizinischen Logik und Leitlinien das Wegfräsen von Kieferknochen propagieren und diese sadistische „Methode“ mit einem Heilsversprechen verknüpfen. So schrieb mir eine Kollegin aus Süddeutschland, nachdem sie mit ihrer an einem Astrozytom (Hirntumor) erkrankten Tochter bei einem „ganzheitlich arbeitenden Zahnarzt und Heilpraktiker“ gelandet war, folgende entsetzte Mitteilung: Auch ich bin vor fünf Wochen auf den angeblich einzigen und größten RestostitisFachmann, der hier in München Mitte sein Unwesen treibt, hereingefallen. Habe meine Tochter dort vorgestellt, der Kollege war arrogant, selbstherrlich (und) gefühllos, meine Tochter hat ein Astrozytom. Er war so geschmacklos und unsensibel, will sofort sechs Herde Restostitiden (Begriff aus der „Alternativmedizin“ für „Entzündungsherde“ im Kieferknochen, auch „Zahnherde“ genannt, s. u. – d. Verf.) ausräumen. Schlimmer geht´s nimmer. Er hat dubiose Tests auf Titanallergie durchgeführt. Die Laborberichte und Ergebnisse sehr unglaubwürdig. Aus den Restostitiden bekommt man Krebs. Habe von einer Kollegin einen sehr dubiosen histologischen Befund gesehen. Habe alle Termine abgesagt. Er wollte hartnäckig SOFORT operieren und Magnetfeld, Eigenblutinjektionen usw., drängte auf sofortige OP, obwohl er ja angeblich so voll mit Terminen ist. Im „Minuten-Takt“ Aufklärung über die Kosten, die die pri- D I E AT T R A K T I V I TÄT „ G A N Z H ­ EITLICHER“ ZAHNMEDIZIN vaten Kassen nicht übernehmen. Über einen Patienten mit Astrozytom sagte er im Beisein meiner 28-jährigen Tochter: ein Wunder, dass der überhaupt noch lebt. Ich war entsetzt. Jetzt bin ich auf die Rechnung gespannt. Es war sonnenklar, dass wir das keinesfalls machen lassen. Trotz seines Drängens. Am liebsten würde ich gegen ihn agieren, da er so respektlos zu meiner Tochter war. Sie ist fertige Pharmazeutin, die gerade ihre Promotion schreibt und von diesem schrecklichen Tumor geplagt ist. Hier ist die Methodik gut beschrieben. Es wird Zeitdruck aufgebaut und auf eine sofortige Durchführung des unsinnigen und schädigenden Eingriffs gedrängt. Unter grober Missachtung gültiger medizin-juristischer Richtlinien, schreibt der Gesetzgeber doch eine 24-stündige Bedenkzeit bei invasiven Eingriffen vor, wird die Patientin massiv unter Druck gesetzt. Die Diagnose lautet, wenn überhaupt eine Diagnose gestellt wird, in solchen Fällen in der Regel „NICO“ – eine aseptische Knochennekrose ohne jeglichen Nachweis einer Korrelation zu bösartigen Erkrankungen. Prof. Dr. Ferdinand Hofstädter von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren e. V., Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT), Direktor des Institutes für Pathologie der Universität Regensburg und Träger der Karl-Heinrich-Bauer-Medaille der Deutschen Krebsgesellschaft e. V., teilte mir auf Anfrage mit, bei der Diagnose NICO handele es sich um eine Art aseptische Knochenekrose. Alle Bezüge zu Diabetes, Herzinfarkt, Mamma-, Magen- Pankreaskarzinom (…) sind rein spekulativ und nicht belegt. Um eine Nachfrage zu schaffen, bedient man sich einfach geschriebener Texte, die bar jeder wissenschaftlichen Logik nur ein Ziel verfolgen: die Erzeugung von Panik. So titelt die Zeitschrift Natur & Heilen in ihrer Ausgabe 7/2012: „Zahnherde – die unterschätzte Gefahr“. Zahnherde? Was sind Zahnherde? Wikipedia kennt dieses Wort noch nicht. Mit der nötigen Portion Pathos werden Banalitäten zu medizinischen Dramen hochstilisiert. Wurzelbehandelte Zähne als Krankmacher entlarvt. Und das, obwohl wurzelbehandelte Zähne in der Patientengruppe ab der fünften Lebensdekade eher die Regel als die Ausnahme darstellen. Dabei ist die Sache sehr einfach: Auf wurzelbehandelte Zähne zu verzichten, ist leicht möglich. Das Werkzeug hierzu ist die Extraktionszange. Jeder Zahn, der mit einer Wurzelbehandlung erhalten werden kann, kann auch extrahiert werden. Vorausgesetzt, man fürchtet sich nicht vor den Folgen der anschließenden prothetischen Versorgung. Der Autor Torsten Engelbrecht scheut sich hier nicht, eine nachweislich unwahre Propaganda von der Gefährlichkeit wurzelbehandelter Zähne zu verbreiten und damit Panik zu schüren. „Zahnherd“, ein verstaubter Begriff aus den 40er Jahren des vorherigen Jahrhunderts, ein Begriff, der daher in Wikipedia als „unbekannt“ deklariert wird, dient als Instrument zur Aufführung eines überholten Krankheitsbegriffes und verkommt zur Lächerlichkeit. Gleichzeitig wird ein so genannter „Test“ propagiert, der – nein nicht heilen, sondern erst einmal „verschiedene Toxine“ anzeigen soll. Für die Kleinigkeit von 250 EUR – ohne jegliche Aussagekraft und ohne jegliche therapeutische Konsequenz. Unerkannte „Zahnherde“ werden in Verbindung gebracht mit allen möglichen Erkrankungen. Der Hypochonder erhält also „freie Auswahl“. Jahrzehntelange Bemühungen werden wertlos Die unermüdliche Arbeit der Zahnärzteschaft hat im Bereich der Kariesvorsorge bei Kindern und Jugendlichen sehr viel Gutes bewirkt. Esoterische Weltbilder sind gefährlich und besitzen das Potenzial, diese wertvolle Arbeit zunichte zu machen. Wenn ein Kind nicht imstande ist, sich vernünftig die Zähne zu pflegen, so ist es die Pflicht der Eltern, das Kind in Zusammenarbeit mit dem Zahnarzt hierzu anzuleiten. Dies kann nicht gelingen, wenn Eltern gesagt bekommen, das Ganze sei sinnlos, weil ihr Kind laut esoterischer Konstitutionslehre ein „SulfurTyp“ sei. Und diese seien von „Natur aus schmutzig“.4 Eine „alternative Zahnmedizin“ ist überflüssig. Deutliche Worte findet der Vorsitzende des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte, Karl-Heinz Sundmacher. Analog zu meinen Erfahrungen beschreibt auch er zweifelhafte „Fortbildungen“. Es gebe, so Sundmacher, keine Alternativen zu den vielfältigen (!) Methoden der wissenschaftlich fundierten (Schul-)Zahnheilkunde. Wer etwas anderes behauptet, ist den Beweis dafür schuldig. Wer, ohne den relevanten Beweis der Wirksamkeit erbringen zu können, „alternative“ Behandlungsmethoden anwendet, verstößt gegen das Zahnheilkundegesetz, missbraucht das Vertrauen der Patienten, ja, begeht (die Fälle sind bekannt) Körperverletzung. Diese Personen verstoßen gegen die ethischen Verpflichtungen des Arztseins. Für mich sind sie keine Zahnärzte.5 Siehe auch die Pressemitteilung des FVDZ hierzu.6 Die Vertreter der esoterischen zahnmedizinischen Seilschaften sehen das völlig anders. Der Zahnarzt Bodo Wettingfeld zum Beispiel. Nach seinen Worten solle man „(a)lternative Methoden als Bereicherung sehen“7. Ach so. Dann habe ich verstanden. Sie auch? Literatur Federspiel, C. (2012): „Alternativ”-Medizin – vom Außenrand ins Zentrum. Skeptiker 4/2012, S.167 – 170. Graneis, C. (2013). Heiße Luft für Hebammen. Skeptiker 1/2013, S. 4 – 9. Roth, G. (2011) : Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten, Klett-Cotta, Stuttgart 2011. 1 Bowe T. & Irak D.: Grundlegende Prinzipien der Operanten Konditionierung – Wie lernen wir willkürliche Reaktionen? Referat Uni Giessen v. 24.11.2005 www.allpsych.uni-giessen. de/knut/2005-ws0506-seminare-lernen/ bowe_irak.pdf 2 Siehe http://www.uni-due.de/edit/lp/behavior/ thorndike.htm 3 Hossfeld, D. K.: Sterbehilfe: Ansichten eines Onkologen/Hämatologen. www.aerztekammer-hamburg.de/funktionen/aebonline/pdfs/ 1179759519.pdf, Zugriff am 06.08.2013. 4http://scienceblogs.de/kritisch-gedacht/2012/ 08/28/ganzheitliche-zahnheilkunde/, Zugriff am 06.2013. 5Sundmacher, K.-H.: Meine Meinung. Kommentar zur Alternativzahnmedizin, DFZ 9/2012, S. 26, http://dr-bertelsen.de/pdf/Der_ Freie_Zahnarzt_9-12-Von_ethischen_Prinzipien.pdf, Zugriff 06.08.2013. 6FVDZ, Pressemitteilung 10.09.2012, http:// www.fvdz.de/Pressenachricht/items/mehrals-ein-placebo.html?file=tl_files/dateianhaenge/Presse/120910_FVDZ-Pressemitteilung. pdf, Zugriff am 06.09.2013. 7 Bertelsen, H.-W. : Von ethischen Prinzipien. Der Freie Zahnarzt - Freier Verband Deutscher Zahnärzte e.V. 9/12, 30-31. http://dr-bertelsen. de/pdf/Der_Freie_Zahnarzt_9-12-Von_ethischen_Prinzipien.pdf, Zugriff am 06.08.2013. skeptiker 3/2013 5