1.3 Lösungsmethoden für spezielle Typen von Dgln. 1. Ordnung

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Inhaltsverzeichnis
1 Differentialgleichungen erster Ordnung
1.1 Allgemeine Definition und Beispiele . . . . . . . . . . . .
1.2 Lineare Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . .
1.3 Lösungsmethoden für spezielle Typen von Dgln.
1. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3.1 Die Bernoullische Dgl . . . . . . . . . . . . . . .
1.3.2 Die Riccatische Dgl. . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3.3 Differentialgleichungen mit trennbaren Variablen .
1.3.4 Exakte Differentialgleichungen . . . . . . . . . . .
2 Existenz und Eindeutigkeit
2.1 Vorbetrachtung . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Räume stetiger Funktionen . . . . . . . .
2.3 Parameterabhängigkeit . . . . . . . . . .
2.4 Differentialgleichungen höherer Ordnung
2.5 Potenzreihenansatz . . . . . . . . . . . .
2.6 Schwache Singularität . . . . . . . . . .
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3 Lineare Differentialgleichungen
3.1 Systeme linearer Differentialgleichungen
erster Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Dgls höherer Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.1 Spezielle Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.2 Der Fall konstanter Koeffizienten . . . . . . . . .
3.2.3 Partikuläre Lösungen bei speziellen Störgliedern F
3
5
. . . . . . . . . . . . . . 5
. . . . . . . . . . . . . . 11
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4
INHALTSVERZEICHNIS
Kapitel 1
Differentialgleichungen erster Ordnung
1.1
Allgemeine Definition und Beispiele
Sei I ein offenes Intervall und k ≥ 1 ganz. Eine Funktionengleichung für eine auf I k-mal stetig
differenzierbare Funktion u = u(t), welche eine Beziehung herstellt zwischen der Variablen t, der
Funktion u und ihren Ableitungen u0 , u00 , ..., u(k) wird als Differentialgleichung (kurz Dgl.) k.-ter
Ordnung bezeichnet.
Definition. Ist F ∈ C 0 (I × IRk+1 ), so sagen wir, eine Funktion u ∈ C k (I) löse auf I die Dgl.
F (t, u, u0 , ...., u(k) ) = 0
(1.1.1)
wenn für alle t ∈ I gilt: F (t, u(t), u0 (t), u00 (t), ..., u(k) (t)) = 0. In der Form (1.1.1) nennen wir die
Dgl. implizit. Hat (1.1.1) die Form
u(k) = f (t, u, ..., u(k−1) )
(1.1.2)
mit einer Funktion f ∈ C 0 (I × IRk ), (also F (t, v0 , ..., vk−1 , w) = w − f (t, v0 , ...vk−1 )) so sprechen
wir von einer expliziten Dgl.
Ist t0 ∈ I und u0 ∈ IR, so bezeichnen wir als Anfangswertproblem (AWP) für die Dgl (1.1.1)
oder (1.1.2) die Aufgabe, alle Funktionen u ∈ C 1 (I) zu finden, die (1.1.1) bzw. (1.1.2) erfüllen
und zusätzlich bei t0 den Wert u0 annehmen. Wir schreiben das AWP in der Form
F (t, u, u0 , ..., u(k) ) = 0, u(t0 ) = u0
(1.1.3)
u(k) = f (t, u, ..., u(k−1) ), u(t0 ) = u0
(1.1.4)
bezw.
Man trifft in der Natur und Technik (insbesondere in der Physik) immer wieder auf Dgln.
Hier sind einige
5
6
KAPITEL 1. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER ORDNUNG
Beispiele.
1) Die Traktrix (auch Ziehkurve):
y
Z
a0
P(x|y)
a
0
x
Der Punkt Z (das eine Ende einer geraden Schnur) wandert auf der y-Achse. Auf welcher
Kurve wandert nun das freie Ende P (x|y). Hier ist y eine Funktion von x mit y(a0 ) = 0. Es zeigt
sich, dass y das AWP
p
a20 − x2
y0 = −
,
y(a0 ) = 0
(1.1.5)
x
auf I = (0, ∞) löst.
Durch Integration finden wir
! q
p
a0 + a20 − x2
y(x) = a0 log
− a20 − x2
x
2) Bakterienvermehrung
Die Größe P (t) einer Bakterienpopulation zu einer Zeit t genügt einer Dgl. der Form
P 0 (t) = aP (t)
1.1. ALLGEMEINE DEFINITION UND BEISPIELE
7
mit einer Konstanten a > 0.
Kennt man sie zu einer Zeit t0 , so lässt sie sich für andere Zeitpunkte vorausberechnen.
Als Lösung dient hier
P (t) = P (t0 )ea(t−t0 )
3) Radioaktiver Zerfall
Die Menge u(t) der zu einem Zeitpunkt t noch vorhandenen radioaktiven Substanz genügt
der Dgl
u0 = −λu,
mit einer Zerfallskonstanten λ > 0.
Hier haben wir mit u(t) = u(t0 )e−λ(t−t0 ) die (, wie wir bald sehen werden), eindeutig bestimmte
Lösung.
Die Zeit T , die vergeht, bis die Hälfte der Substanz zerfallen ist, erfüllt die Bedingung
1
u(T ) = u(0),
2
also
log 2
: Halbwertszeit
λ
Bei U 238 wird T = 4.5 Milliarden Jahre.
Man kann zum Beispiel durch Messen der Mengen zerfallender radioaktiver Stoffe fossile
Objekte datieren: Man benutzt bei der Radiokarbonmethode, dass das Verhältnis der Mengen
radioaktiven Kohlenstoffs C 14 zu der des normalen Kohlenstoffs C 12 bei Organismen von dem
Zeitpunkt an abnimmt, in dem der Tod eintritt. Die relevante Zerfallskonstante ist bekannt, die
Rate des zerfallenen C 14 kann im Labor bestimmt werden. Bei C 14 ist T = 5568 Jahre, also
λ = 0.693
= 1.244 · 10−4 /Jahr.
5568
Ist der Tod etwa zur Zeit t = 0 eingetreten, so hat man u(t) = p u(0), wobei p ∈ (0, 1) im
Labor gemessen wird. Es folgt dann für das Alter des Fossils:
T =
t=−
log p
log(1/p)
=
· 104 Jahre
λ
1.244
Auch ist es auf der Basis der Dgl des radioaktiven Zerfalls möglich geworden, die Echtheit von
Gemälden zu verifizieren. (Das Alter der verwendeten Farben oder der Leinwand ist bestimmbar).
4) Freier Fall mit Berücksichtigung der Luftreibung
Wenn ein Körper der Masse m mit nicht zu hoher Geschwindigkeit nach unten fällt, so genügt
seine Fallgeschwindigkeit der Dgl.
mv 0 = mg − %v,
8
KAPITEL 1. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER ORDNUNG
wobei g die Erdbeschleunigung und % > 0 ein Reibungsfaktor ist.
5) Wechselstromkreis. Angenommen, wir haben eine Spule und einen Widerstand in Serie
geschaltet und an eine Wechselspannung angeschlossen.
R
E
L
Dann fließt in dem Stromkreis ein Strom I, der der DGL genügt:
L · I0 + R · I = E
Dabei sind R und L Materialkonstanten und E eine Funktion der Zeit t.
6) Salzkonzentration in einer Lösung
Ein Tank enthalte V0 Liter Wasser, in dem S0 kg Salz aufgelöst sind. Ab der Zeit t = 0
wird Wasser mit Salzkonzentration a kg je Liter eingefüllt (mit der Geschwindigkeit V1 Liter pro
Minute). Die als ”gut” verrührt angenomme Lösung verlässt mit der selben Geschwindigkeit den
Tank. Frage : Wie hoch ist zur Zeit t die Salzmenge S(t) im Tank?
Es gilt: S 0 (t) ist die Änderung der Salzmenge zur Zeit t und damit gleich der Menge Salz, die
je Minute zufließt minus der Menge Salz, die austritt, also gleich aV1 − S(t)
V . Man kommt also
V0 1
auf
V1
S 0 = aV1 − S(t)
V0
Die Anfangsbedingung lautet hier S(0) = S0 .
7) Logistisches Wachstum
Die Bevölkerung eines Landes oder die Population irgendeiner Tierart nimmt nicht unbegrenzt
zu, sondern nähert sich einem Sättigungswert K > 0 (der Grund dafür sind etwa Begrenzungen
bei der verfügbaren Nahrung oder beim verfügbaren Lebensraum). Ihr Wachstum P 0 (t) wird zur
Zeit t proprtional der derzeitigen Größe P (t) und dem Spielraum K − P (t) sein (Modell von
Verhulst). Man hat (mit einer Konstanten λ > 0 die Dgl
P 0 = λP (K − P ) : logistische Dgl.
Auch das Wachstum von Sonnenblumen oder die Ausbreitung von Gerüchten unterliegt einer
logistischen Dgl.
Die Funktion w := −1/P erfüllt eine Dgl wie in Beispiel 6), wenn P die logistische Gleichng
lösen soll.
1.1. ALLGEMEINE DEFINITION UND BEISPIELE
9
8) Grenzgeschwindigkeit eines Autos
Fährt ein Auto mit hoher Geschwindigkeit, so ist die Luftreibung durch −%v 2 zu beschreiben
und die Geschwindigkeit des Autos durch
v 0 = −%v 2 + f
q
q
√
Ist v(0) = 0, so ist v(t) = f% tgh( f %t) ≤ f% .
9) Scheinwerfer
Die reflektierende Fläche eines Scheinwerfers entsteht durch Drehung einer Kurve y = y(x)
um die x-Achse. Sie soll alle von der Lichtquelle L ausgehenden Strahlen parallel reflektieren.
Was ist die Gleichung für y?
L
Für y besteht eine Dgl der Form
x
y =− +
y
0
r
x
1 + ( )2
y
Die Funktion u(x) = y(x)/x löst die Dgl
u0
1
=
f (u) − u
x
10
KAPITEL 1. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER ORDNUNG
mit f (s) = s/(1 +
√
1 + s2 ).
10) Äquipotentiallinien im elektrischen Feld
Angenommen, man befinde sich in einem elektrischen Feld mit Potential U = U (x, y), das
nur von den zwei Variablen x und y abhängt. Gesucht sind die Kurven y = y(x), längs deren U
konstant ist.
Das Problem führt auf die (implizite) Dgl:
∂U
∂U 0
+
y (x) = 0
∂x
∂y
11) Clairaut’sche Dgl
Diese implizite Dgl hat die Form
y = x y 0 + φ(y 0 )
(1.1.6)
und tritt auf, wenn man die Tangentenschar an den Graphen einer konvexen Funktion f
beschreiben will.
Man sieht, dass die Geraden yα (x) := αx + φ(α) Lösungen sind. Hat die Schar (yα )α eine
einhüllende Kurve (d.h. zu jedem α gebe es einen Punkt p der Kurve γ, so dass yα gerade
Tangente an γ in p wird), so löst auch diese Kurve die Clairautsche Dgl.
Ist etwa φ(s) = s2 , so haben wir die Geradenschar yα (x) = αx + α2 vor uns. Sie hat als
Hüllkurve die Parabel y = −x2 /4.
0.4
0.3
0.2
-1
-0.2
12) D’Alembert’sche Dgl
Diese Dgl. verallgemeinert die vorhergegangene und hat die Form
y = xg(y 0 ) + φ(y 0 )
wobei g und ϕ stetige Funktionen sein sollen.
Ist c ein Fixpunkt von φ, so wird y(x) := cx + φ(c) eine Lösung.
1.2. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN
1.2
11
Lineare Differentialgleichungen
Sei wieder I ein offenes Intervall.
Definition. Sind a, b ∈ C 0 (I) komplexwertig, so bezeichnen wir als lineare Dgl 1. Ordnung
eine Dgl der Form
u0 = a · u + b
(1.2.7)
Eine solche Dgl lässt sich immer lösen. Es gilt nämlich:
1.2.1 Satz a) Es sei A die Stammfunktion für a auf I mit A(t0 ) = 0. Genau dann ist eine
Funktion u ∈ C 1 (I) eine Lösung der Dgl (1.2.7), wenn
Z t
A(t)
−A(s)
u(t) = e
b(s)e
ds + C
(1.2.8)
t0
mit irgendeinem t0 ∈ I und einer Konstanten C ∈ C ist.
b) Das zu (1.2.7) gehörige AWP
u0 = a · u + b,
u(t0 ) = u0
ist für beliebige Startwerte u0 ∈ C eindeutig lösbar: Man wähle C = u0 .
Beweis. a) Dass (1.2.8) eine Lösung zu (1.2.7) ist, rechnet man leicht nach. Umgekehrt sei
jetzt u ∈ C 1 (I) eine Lösung zu (1.2.7) und A eine Stammfunktion zu a. Dann ist
u e−A
0
= e−A (u0 − A0 u) = e−A (u0 − a u) = be−A ,
und damit u e−A eine Stammfunktion zu b e−A . Damit unterscheidet sich u e−A von
nur um eine additive Konstante, und u hat die in (1.2.8) beschriebene Form.
Rt
t0
b(s)e−A(s) ds
Beispiele
Wir erinnern uns an die ”linearen” Beispiele aus §1.
Die zu Beisp. 1,2 und 3 angegebenen Lösungen sind eindeutig bestimmt: Weitere Lösungen
existieren nicht.
Beispiel 4 (Luftreibung). Die Dgl mv 0 = −%v + mg wird gelöst nur durch die Funktionen
Z t
%
%
%
%
mg −m
t
s
−m
t
m
+ v(0)e− m t
1−e
v(t) = e
e ds =
C +g
%
0
12
KAPITEL 1. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER ORDNUNG
Beispiel 5 (Wechselstromkreis). Die DGL für den Strom I DGL lautet:
L · I0 + R · I = E
Dabei sind R und L Materialkonstanten und E eine Funktion der Zeit t. Angenommen nun, es sei
E(t) = E0 sin(ωt), und zur Zeit t = 0 wird die Spannung eingeschaltet, I(0) = 0. Dann erhalten
wir mit dem oben angegebenen Verfahren folgendes. Es gilt a = R/L und f = E/L.
I(t) = g(t) exp(−
R
t),
L
wobei
g(t) =
=
=
=
Z
1 t
R
E(τ ) exp( τ )dτ
L 0
L
Z t
1
R
sin(ω(τ )) exp( τ )dτ
L 0
L
2 2 −1
L Rt/L
E0
ωL2 Rt/L
ωL2
ω L
e
sin(ωt) − 2 e
cos(ωt) + 2
1+
L
R2
R
R
R
Rt/L
ωL
e
R
ωL
E0 2
+p
( p
sin(ωt) − p
cos(ωt) )
2
2
2
2
2
2
R + (ωL)
R + (ωL)
R + (ωL)
R + (ωL)2
|
{z
}
|
{z
}
=cos γ
=sin γ
Rt/L
= E0
R2
ωL
e
+p
sin(ωt − γ),
2
2
+ (ωL)
R + (ωL)2
wobei der Phasenverschiebungswinkel γ durch γ = arctg( ωL
) definiert ist. Das ergibt:
R
I(t) =
R2
E0 ωL
E0
R
exp(− t) + p
sin(ωt − γ)
2
+ (ωL)
L
R2 + (ωL)2
Beispiel 6 (Salzlösung). Die Salzmenge zur Zeit t genügt der Dgl
S 0 = aV1 −
V1
S(t)
V0
und es ergibt sich
V
− V1 t
S(t) = aV0 + (S0 − aV0 )e
Die Salzkonzentration ist dann
S(t)
=a+
c(t) =
V0
0
V
S0
− 1t
− a e V0
V0
1.3. LÖSUNGSMETHODEN FÜR SPEZIELLE TYPEN VON DGLN.
Beispiel 7 (Logistische Gleichung).
Die Dgl
führt auf
1. ORDNUNG
13
P 0 = λKP − λP 2
−P 0
λK
+λ
=
−
P2
P
Die Funktion v = −1/P löst die Dgl
v 0 = −λKv + λ ,
ist also gegeben durch
−λKt
v(t) = e
Z t
1
λKs
1 − e−λKt + v(0)e−λKt
e ds = −
v(0) − λ
K
0
Es folgt:
P (t) = −
KP (0)
1
=
≤K
v(t)
(K − P (0)e−λKt + P (0)
und P (t) −→ K, wenn t −→ ∞.
1.3
Lösungsmethoden für spezielle Typen von Dgln.
1. Ordnung
Sei wieder I ein offenes Intervall.
1.3.1
Die Bernoullische Dgl
Sind a, b ∈ C 0 (I) und ist % ∈ IR \ {0, 1}, so nennt man eine Dgl der Form
u0 = au + b u%
(1.3.9)
eine Bernoullische Dgl. Sie ist, wenn % ∈
/ ZZ, nur definiert für C 1 -Funktionen mit Werten in
+
−
IR0 . Ist % ∈ ZZ , so ist alles außerhalb der Nullstellen der Funktion u sinnvoll. Wenn % ∈ ZZ + ,
ist keine Einschränkung über den Wertebereich von u nötig.
Sie lässt sich reduzieren auf eine lineare Dgl, nämlich
14
KAPITEL 1. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER ORDNUNG
1.3.1.1 Lemma a) Ist z ∈ C 1 (I) eine positive Funktion, die die Dgl
z 0 = (1 − %)(a z + b)
(1.3.10)
1
löst, so löst die Funktion u = z 1−% die Bernoulligleichung (1.3.9).
b) Umgekehrt liefert jede Lösung u : I −→ IR der Bernoulligleichung (1.3.9) mit z = u1−%
eine Lösung der Dgl (1.3.10).
c) Stimmen zwei positive Lösungen zu (1.3.9) an einer Stelle t0 ∈ I überein, so sind sie
identisch.
Beweis. a) Das rechnet man leicht nach:
0
%
1 %/1−% 0
u0 = z 1/1−% =
z
z = z %/1−% (az + b) = a z 1/1−% + b z 1/1−% = au + bu%
1−%
b) Auch hier hat man
0
z 0 = u1−% = (1 − %)u−% u0 = (1 − %)u−% (au + bu% ) = (1 − %)(au1−% + b) = (1 − %)(az + b)
c) Angenommen, u, v ∈ C 1 (I) sind positive Lösungen zu (1.3.9) und u(t0 ) = v(t0 ). Dann
sind zu := u1−% und zv := v 1−% an der Stelle t0 gleich. Beide lösen dann das selbe AWP zur Dgl
(1.3.10) und müssen daher übereinstimmen, also zu = zv und damit u = v auf I.
Eine Verallgemeinerung von Teil c) ist die folgende Eindeutigkeitsaussage:
1.3.1.2 Lemma Wenn in (1.3.9) der Exponent % eine positive ganze Zahl ist, so gilt: Hat eine
Lösung w an der Stelle t0 ∈ I den Wert 0, so ist schon w = 0.
Beweis. Wir schreiben M := maxI |w| und L := maxI |a| + M %−1 maxI |b|. Dann wird für alle
t ∈ I schon
Ln
|w(t)| ≤ M (t − t0 )n
(1.3.11)
n!
wie man durch Induktion nach n ≥ 0 nachweisen kann. Für n = 0 ist dies klar. Angenommen,
t ≥ t0 . Ist Die Ungleichung für n − 1 richtig, so gilt sie auch für n, denn
Z t
Z t
0
|w(t)| = w (s)ds = (a(s)w(s) + b(s)w(s)% )ds
t
t0
Z t0
≤
|a(s)| + |b(s)||w(s)|%−1 |w(s)|ds
t0
Z t
Ln−1
Ln
≤ L
(s − t0 )n−1 ds = M (t − t0 )n
M
(n − 1)!
n!
t0
Für t < t0 geht der Beweis ähnlich. Lassen wir in (1.3.1.2) aber n −→ ∞ gehen, so folgt
w(t) = 0 für alle t ∈ I.
1.3. LÖSUNGSMETHODEN FÜR SPEZIELLE TYPEN VON DGLN.
1.3.2
1. ORDNUNG
15
Die Riccatische Dgl.
Diese Dgl enthält die linearen und die logistische Dgl als Spezialfälle und lautet:
u0 = a u + b u2 + f
(1.3.12)
mit auf I stetigen Funktion a, b und f .
Einen Zusammenhang mit der Bernoullischen Dgl beobachtet man, wenn man untersucht,
wie sich zwei Lösungen der Riccati-Dgl voneinander unterscheiden.
1.3.2.1 Lemma Angenommen, man habe eine Lösung up ∈ C 1 (I) der Dgl (1.3.12) gefunden.
a) Genau dann ist eine Funktion u ∈ C 1 (I) eine Lösung von (1.3.12), wenn w := u − up die
Dgl
w0 = (a + 2b up )w + bw2
(1.3.13)
löst. (Letztere ist eine Bernoullische Dgl).
b) Sind 2 Lösungen u, v der Riccatigleichung an der Stelle t0 ∈ I gleich, so ist u = v auf I.
Beweis. a) Das wird durch Rechnung überprüft:
w0 = u0 − u0p
= a (u − up ) + b (u2 − u2p )
= a w + b(u + up )w = aw + b(w + 2up )w
= (a + 2bup ) w + b w2
Ist umgekehrt w eine Lösung von (1.3.13), so gilt für u := up + w
u0 = u0p + w0
= aup + bu2p + f + (a + 2bup ) w + b w2
= a(up + w) + (up + 2up w + w2 ) + f
= au + bu2 + f
b) Ist w = u − v, so löst w die Bernoulligleichung. Wenn also w(t0 ) = 0, so sind w und die
Nullfunktion Lösungen zur Bernoulligleichung, welche in t0 übereinstimmen. Es muss dann nach
Lemma (1.3.1.2) schon w = 0 sein.
Beispiel: Grenzgeschwindigkeit eines Autos (Beispiel 8 aus §1).
Die Geschwindigkeit eines Autos genügt der Dgl
v 0 = f − %v 2
16
KAPITEL 1. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER ORDNUNG
Das lässt sich als p
Riccatigleichung ansehen mit f > 0 konstant, a = 0, b = −%. Man findet als
eine Lösung vp = f /%. Weitere Lösungen sind von der Form v = vp + w, wobei w die Dgl
w0 = (−2%vp ) w − % w2
lösen muss. Durch Übergang zu u := −1/w wird daraus
p
u0 = 2%vp u − % = 2 f % u − %
Wir erhalten
√
2 f% t
Z
C−%
u(t) = e
√
−2 f % s
e
ds
0
r
1 % −2√f % s t
= e
e
C+
2 f
0
r
√
1 % −2√f % t
2 f% t
= e
(e
− 1)
C+
2 f
r
√
√
1 %
2 f% t
= Ce
(1 − e−2 f % t )
+
2 f
√
2 f% t
t
Damit wird
v(t) = vp −
p
1
1
q
= f /% −
√
√
u(t)
Ce2 f % t + 12 f% (1 − e−2 f % t )
Wenn wir fordern, dass v(0) = 0 sein soll, so muss C =
s
v(t) =
q
%
f
gewählt werden. Es entsteht
p
f
tgh
f% t
%
Das Auffinden einer partikulären Lösung der Riccatigl. ist nicht leicht. Unter geeigneten
Zusatzvoraussetzungen lässt sich die Dgl aber vereinfachen.
1.3.2.2 Lemma Sei b ∈ C 2 (I) und habe keine Nullstelle. Ist a ∈ C 1 (I) und F die Funktion
2
0 1
1
b0
b0
F = bf +
−
a+
(a + )
2
b
2
b
so gilt:
a) Ist z ∈ C 1 (I) eine Lösung der ”speziellen Riccati-Dgl. ”
z0 = z2 + F
(1.3.14)
1.3. LÖSUNGSMETHODEN FÜR SPEZIELLE TYPEN VON DGLN.
so löst die Funktion
1
y :=
b
b0
1
z − (a + )
2
b
1. ORDNUNG
17
die Riccati-Dgl (1.3.12).
0
b) Sei w ∈ C 2 (I) eine positive Funktion. Genau dann ist z := − ww eine Lösung von (1.3.14),
wenn w Lösung der Dgl.
w00 + F w = 0
(1.3.15)
ist.
0
Beweis. a) Folgt aus z = b y + 12 (a + bb ), denn
b0
1
z 0 − z 2 − F = b0 y + by 0 + (a + )0 − z 2 − F
2
b
b0
1
= b0 y + aby + (by)2 + bf + (a + )0 − z 2 − F
2
b
+b(y 0 − ay − by 2 − f )
2
b0
b0 0
b0
1
1
2
= b y(a + ) + (by) + bf + (a + ) − b y + (a + ) − F
b
2
b
2
b
0
2
+b(y − ay − by − f )
= b(y 0 − ay − by 2 − f )
b) Auch dies wird nachgerechnet:
0 2
0
w
w0
w00
w00 + F w
0
2
2
z − (z + F ) = −
+
− (z + F ) = −
− (z 2 + F ) = −
w
w
w
w
Anmerkungen. a) J. Bernoulli hat als erster die spezielle Riccati-Dgl. mit F (x) = x2 gelöst.
Es werden zur Lösung sog. Bessel-Funktionen benötigt.
b) Man wird auf eine Riccati-Dgl. geführt, wenn man eine Dgl 2. Ordnung in Normalform
bringen will: Angenommen, man studiert eine Dgl der Ordnung 2, nämlich
y 00 + gy 0 + hy = 0
mit stetigen Funktionen g, h ∈ C 0 (I). Dann schreiben wir folgende 2 Dgln 1. Ordnung an:
z 0 + (g − ψ)z = 0 ,
y 0 + ψy = z
wobei ψ ∈ C 1 (I) geeignet zu wählen ist. Dann wird y eine Lösung von
(
d
d
+ g − ψ)( + ψ)y = 0
dx
dx
18
KAPITEL 1. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER ORDNUNG
Aber die linke Seite ist gerade gleich
(
d
+ g − ψ)(y 0 + ψy) = y 00 + ψ 0 y + ψ y 0 + (g − ψ)y 0 + (g − ψ)ψ = y 00 + g y 0 + (ψ 0 + (g − ψ)ψ)y
dx
Wir müssen also ψ so wählen, dass
ψ 0 = ψ 2 − gψ + h
Das ist aber eine Riccati-Dgl.
1.3.3
Differentialgleichungen mit trennbaren Variablen
Es sei I = [α, β] wieder ein Intervall und J ein weiteres Intervall, auf dem eine stetige Funktion
h definiert sein soll. Angenommen, die Menge M + := {x ∈ IR | h(x) > 0} enthalte ein Intervall
J 0 = [c, d].
1.3.3.1 Satz. Ist g : I −→ IR eine stetige Funktion und I 0 ⊂ I und a ∈ I 0 . Dann ist eine
Lösung u : I 0 −→ IR der DGL
y 0 = g · h(y)
(1.3.16)
mit Werten in J 0 , also eine differenzierbare Funktion, die für alle t ∈ I 0 die Beziehung
u0 (t) = g(t)h(u(t))
Rd
erfüllt, darstellbar als u = H∗−1 ◦ (H∗ (u(a)) + G), wobei H∗ : J 0 −→ [0, c h1 dτ ] eine invertierbare
Stammfunktion von 1/h : J 0 −→ IR und G : I −→ IR eine Stammfunktion von g mit G(a) = 0
ist.
Beweis. Sei u : I 0 −→ M + eine solche Lösung von (1.3.16). Dann gilt
u0 (s)
= g(s), ∀s ∈ I 0
h(u(s))
(1.3.17)
Die Funktion 1/h hat auf J 0 eine Stammfunktion H∗ . Diese ist invertierbar: H∗ : J 0 −→
Rd
[0, c h1 dτ ]. Aus (1.3.17) erhalten wir durch Integration:
Z
t
H∗ (u(t)) = H∗ (u(a)) +
a
also
d H∗ ◦ u
(s) ds = H∗ (u(a)) +
ds
Z
t
a
u0 (s)
ds = H∗ (u(a)) +
h(u(s))
u(t) = H∗−1 (H∗ (u(a)) + G(t) ), auf I 0
Z
t
g(s)ds
a
1.3. LÖSUNGSMETHODEN FÜR SPEZIELLE TYPEN VON DGLN.
1. ORDNUNG
19
Beispiel: Logistische Dgl. Es seien a, b und A positive Parameter, mit A < a/b. Wir betrachten
nochmals die Dgl:
y 0 = ay − by 2
Hier ist g(t) = 1 und h(y) = ay − by 2 . Der Bereich {h > 0} enthält für kleines ε > 0 das
Intervall J = [ε, a/b − ε]. Dort hat die Funktion
1
1
b
1
1
=
+
=
2
h(x)
ax − bx
ax a a − bx
die Stammfunktion
1
x
log
a
a − bx
Diese hat den Wertebereich (H∗ (ε), H∗ ( ab − ε)). Die Umkehrfunktion von H∗ ist gegeben durch
H∗ (x) =
H∗−1 (z) =
aeaz
.
1 + beaz
Angenommen, es sei I = [0, T ] (T > 0 geeignet) und es solle u(0) = A sein. Da eaH∗ (A) =
haben wir als Lösung (wegen G(t) = t)
u(t) = H∗−1 (H∗ (A) + t) =
=
A
,
a−bA
aeaH∗ (A) eat
1 + beaH∗ (A) eat
aA
(a − bA)e−at + bA
Wir sehen, dass wir T beliebig groß wählen dürfen. Die Lösung u hat Werte in [A, a/b).
Wir können Differentialgleichungen geeigneten Typs auf die in Satz 1.3.3.1 diskutierte reduzieren.
A. Dgln vom Typ y 0 = f (at + by + c)
Angenommen, f : J −→ IR ist stetig und a, b und c seien reelle Konstanten. Man ersetze
dann y durch v = at + by + c. Es entsteht
v 0 = a + by 0 = a + bf (v) = h(v)
Das ist eine DGL vom Typ (1.3.16) mit g(x) = 1.
Beispiel: Die DGL y 0 = (2t + 3y + 1)2 . Hier ist a = 2, b = 3 und f (x) = x2 . Nun wird mit der
Substitution v = 2t + 3y + 1 daraus
v 0 = 2 + 3v 2 =: h(v)
20
KAPITEL 1. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER ORDNUNG
Die Funktion 1/h hat als eine Stammfunktion
Z
H∗ (u) =
u
0
dv
1
=
2 + 3v 2
2
Z
u
0
dv
p
=
1 + ( 3/2 v)2
Es folgt
r
p
1
arctg( 3/2 u)
6
r
2 √
tg( 6 w)
3
und damit sehen wir, dass die gegebene DGL v 0 = h(v) durch
r
2 √
v(t) =
tg( 6 t)
3
H∗−1 (w) =
gelöst wird. Wir erhalten daraus für u:
1
u(t) = (v(t) − 1 − 2t)
3
B. Dgl’s vom Typ y 0 = f (y/t)
Nun führen wir die Hilfsfunktion v = y/x ein und rechnen aus
v 0 = −t−2 y + t−1 y 0 = t−1 (−v + f (v))
Diese DGL hat wiederum die Form (1.3.16) mit g(t) = 1/t und h(x) = −x + f (x).
1.3. LÖSUNGSMETHODEN FÜR SPEZIELLE TYPEN VON DGLN.
1. ORDNUNG
21
Beispiel. Scheinwerfer. Angenommen, man hat eine Lichtquelle L im Nullpunkt des Koordinatensystems angebracht. Welche Form muss ein Spiegel haben, wenn er alles von L ausgehende
Licht parallel zur x-Achse reflektieren soll?
L
Die Spiegelfläche ist Drehfläche einer Kurve y = y(x), die der Dgl:
x
y +
y
0
2
x
= 1 + ( )2
y
genügt. Da y 0 > 0 sein soll, folgt hieraus
x
y =− +
y
0
r
x
y
1 + ( )2 = f ( ),
y
x
wobei
f (s) :=
s
√
.
1 + 1 + s2
Die Funktion u(x) = y/x erfüllt die DGL:
u0
1
=
f (u) − u
x
22
KAPITEL 1. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER ORDNUNG
oder:
0
u ·
1
1
+ √
u u 1 + u2
Die linke Seite hat als Stammfunktion
U := log
= −
u2
√
1 + 1 + u2
1
x
und Integration der rechten Seite liefert −ln x + C. Nun setzen wir wieder ein: y = u · x und
entlogarithmieren. Es folgt
(y/x)2
C1
p
,
=
x
1 + 1 + (y/x)2
wobei C1 > 0. Auflösen nach y ergibt
y 2 = 2C1 x + C12 :
C. Dgln vom Typ
y0 = f
a1 t+b1 y+c1
a2 t+b2 y+c2
Parabelgleichung
Angenommen zuerst, es sei a1 b2 − a2 b1 6= 0. Dann gibt es eine Lösung
a1 b1
a2 b2
ξ
η
=−
c1
c2
ξ
η
Dann gehen wir von y zu
w(s) = y(s + ξ) − η
über und erhalten durch Einsetzen:
a1 · (s + ξ) + b1 (w(s) + η) + c1
w (s) = y (s + ξ) = f
a2 · (s + ξ) + b2 (w(s) + η) + c2
a1 s + +b1 w(s)
a1 + b1 [w(s)/s]
= f
=f
a2 + b2 w(s)
a2 + b2 [w(s)/s]
= F (w/s),
a1 +b1 x
wobei F (x) = f a2 +b2 x .
Angenommen, es sei b1 = b2 = 0. Dann reduziert sich die obige DGL auf
a1 t + c1
0
y = g(t) := f
: trivial
a2 t + c2
0
0
der Gleichung
1.3. LÖSUNGSMETHODEN FÜR SPEZIELLE TYPEN VON DGLN.
1. ORDNUNG
23
Wir behandeln daher den Fall, dass a1 b2 − a2 b1 = 0, aber b1 6= 0 oder b2 6= 0. Sei etwa b1 6= 0.
Dann wird a2 = a1 b2 /b1 , also
a1
a1
a1 t + b1 y = b1
t + y , a2 t + b2 y = b2
t+y
b1
b1
und die Funktion u(t) =
a1
t
b1
+ y erfüllt
a1 t + b1 y + c1
a1
a1
0
u (t) =
+y =
+f
b1
b1
a t + b2 y + c2
2
b1 u + c1
a1
=
+f
b1
b2 u + c2
=: F∗ (u)
0
Beispiel. Die Dgl y 0 = − 4x+3y−1
.
3x+4y+1
Hier ist f (s) = −s und a1 = 4, b1 = 3, c1 = −1, a2 = 3, b2 = 4, c2 = 1. Da a1 b2 − a2 b1 = 7,
finden wir ξ, η ∈ IR mit
4 3
ξ
−1
=−
3 4
η
1
nämlich ξ = 1, η = −1.
Wir setzen w(s) = y(s + 1) + 1. dann erfüllt w die Dgl
w0 = −
4 + 3w/s
4s + 3w
=−
3s + 4w
3 + 4w/s
Die Funktion v(s) := w(s)/s löst die Dgl
4 + 3v
1 4v 2 + 6v + 4
1
v 0 = − (v +
)=−
s
3 + 4v
s
3 + 4v
oder
v0 ·
1
3 + 4v
=−
+ 6v + 4
s
4v 2
Links steht
1 d
3 + 4v
=
log(2v 2 + 3v + 2)
4v 2 + 6v + 4
2 dv
und rechts die Ableitung von − log s.
Damit wird aber
v0 ·
1
1
log(2v 2 + 3v + 2) = − log s + C = log(e2C /s2 )
2
2
24
KAPITEL 1. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER ORDNUNG
mit einer Konstanten C ∈ IR. Es folgt
v 2 + 1.5v + 1 =
r
und damit
1
v(s) =
4
−3 ±
e2C
2s2
e2C
9 − 16(1 − 2 )
2s
!
Es folgt w(s) = sv(s), und y(x) := −1 + w(x − 1) löst die Dgl.
1.3.4
Exakte Differentialgleichungen
Es sei R = I × J ein Rechteck in IR2 (also I und J Intervalle in IR).
Wir untersuchen nun Dgln der Form
P (x, y) + Q(x, y)y 0 (x) = 0
(1.3.18)
(Man schrieb diese Dgl auch in der Form P (x, y)dx + Q(x, y)dy = 0. Da die Ausdrücke dx, dy
als Differentiale bezeichnet wurden, nannte man diese Gleichungen Differentialgleichungen).
Man folgendes Lösbarkeitskriterium für (1.3.18) finden:
1.3.4.1 Lemma Wenn P, Q ∈ C 0 (R) und eine Funktion F ∈ C 1 (R) existiert, so dass
∂F
∂F
= P,
=Q
∂x
∂y
(1.3.19)
so ist eine Funktion y : I −→ J genau dann eine Lösung der Dgl (1.3.18), wenn die Funktion
x 7−→ F (x, y(x)) konstant ist.
Ist (x0 , y0 ) ∈ R und y : I −→ J eine C 1 -Funktion mit y(x0 ) = y0 , und F (x, y(x)) = F (x0 , y0 ),
so ist y Lösung des zu (1.3.18) gehörigen AWP
P (x, y) + Q(x, y)y 0 (x) = 0, y(x0 ) = y0
Beweis. In der Tat folgt das aus
P (x, y) + Q(x, y)y 0 (x) =
∂F
∂F
d
(x, y) +
(x, y)y 0 (x) =
F (x, y(x))
∂x
∂y
dx
Beispiel: Die Dgl
y 2 ex + 1 + (2yex − 1)y 0 = 0
1.3. LÖSUNGSMETHODEN FÜR SPEZIELLE TYPEN VON DGLN.
1. ORDNUNG
25
Hier ist P (x, y) = y 2 ex + 1 und Q(x, y) = 2yex − 1. Nun haben wir in F (x, y) := y 2 ex − y + x
eine Funktion mit
∂F
∂F
= P,
=Q
∂x
∂y
gefunden.
Gesucht sind die Kurven y = y(x) mit F (x, y(x)) = c. Wir erhalten
p
1
y = yc (x) = e−x 1 ± 1 − 4ex (x − c)
2
Der Definitionsbereich ist ein Intervall der Form (−∞, A(c)), wobei A(c) die Gleichung 4ex (x −
c) = 1 löst.
Sicher ist es nicht immer so, dass man zu den Funktionen P und Q eine Lösung F der
Bedingung (1.3.19) zur Verfügung hat. Das folgende Lemma sagt, ob und gegebenenfalls wie
man eine solche Funktion F finden kann.
1.3.4.2 Lemma Sind P, Q ∈ C 1 (R) Funktionen, so dass
∂P
∂Q
=
∂y
∂x
(1.3.20)
so gibt es eine Funktionen F ∈ C 2 (R) mit (1.3.19). Diese sind gegeben durch
Z y
Z x
P (t, r)dt +
Q(x, s)ds
F (x, y) := c +
a
r
Dabei ist c ∈ IR frei wählbar und a ∈ I, r ∈ J.
Beweis. Die angegebene Funktion erfüllt offenbar
∂F
∂y
Z
= Q. Es gilt aber weiter
y
∂Q
(x, s)ds
r ∂x
Z y
∂P
= P (x, r) +
(x, s)ds
r ∂y
= P (x, r) + P (x, y) − P (x, r)
= P (x, y)
∂F
(x, y) = P (x, r) +
∂x
Sind F und G nun 2 Lösungen aus C 2 (R) zu (1.3.19), so ist offenbar F − G konstant. Damit
gibt es außer den angegebenen keine anderen Funktionen F , die (1.3.19) erfüllen.
In der Sprache der Differentialformen sagt man auch, die Differentialform Ω = P dx + Qdy sei
exakt, wenn man eine Funktion F ∈ C 1 besitzt, so dass (1.3.19) gilt. Diese wird Stammfunktion
zu Ω genannt. Die Bedingung des obigen Lemmas bedeutet, dass Ω integrabel sei.
26
KAPITEL 1. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER ORDNUNG
Wir können nicht hoffen, dass stets die Integrabilitätsbedingung (1.3.20) befriedigt werden
kann. Aber durch Multiplikation der Funktionen P, Q mit einem Faktor kann dies manchmal
erreicht werden.
Definition. Ist R wie zuvor ein Rechteck und sind P, Q ∈ C 1 (R) Funktionen, so nennen wir
eine Funktion µ ∈ C 1 (R) auch Eulerschen Multiplikator (oder integrierenden Faktor), wenn
∂(µP )
∂(µQ)
=
∂y
∂x
gilt.
Dann haben wir
1.3.4.3 Lemma Ist R ein Rechteck und sind P, Q ∈ C 1 (R) Funktionen, so dass ein Eulerscher
Multiplikator µ ∈ C 1 (R) existiert, so können wir die Dgl (1.3.18) lösen, indem wir eine Stammfunktion Fµ zu µ(P dx + Qdy wählen und die Lösungskurven zu Fµ (x, y(x)) =const bestimmen.
Einen Eulerschen Multiplikator aufzufinden ist im Allgemeinen nicht leicht. Aber in speziellen
Fällen gelingt es durch Lösen einer Dgl 1. Ordnung.
1.3.4.4 Lemma Sind P, Q wie zuvor, so gibt es einen Eulerschen Multiplikator, wenn eine der
folgenden Bedingungen erfüllt ist:
i) Q hat keine Nullstelle, und ( ∂P
− ∂Q
)/Q hängt nicht von y ab.
∂y
∂x
ii) P hat keine Nullstelle, und ( ∂P
−
∂y
∂Q
)/P
∂x
hängt nicht von x ab.
Beweis. Eine Funktion µ ∈ C 1 (R) ist genau dann ein Eulerscher Multiplikator, wenn gilt
µ
∂P
∂µ
∂Q
∂µ
+P
=µ
+Q
∂y
∂y
∂x
∂x
oder
∂µ
∂µ
Q
−P
=µ
∂x
∂y
Im Falle i) lösen wir die Dgl
1
µ
e =
Q
0
∂P
∂Q
−
∂y
∂x
∂P
∂Q
−
∂y
∂x
µ
e
und wählen µ(x, y) := µ
e(x).
Im Fall ii) setzen wir µ(x, y) = µ
b(y), wobei
∂Q
1 ∂P
0
µ
b =−
−
µ
b
P ∂y
∂x
1.3. LÖSUNGSMETHODEN FÜR SPEZIELLE TYPEN VON DGLN.
1. ORDNUNG
erfüllt.
Die Funktion µ
e bezw. µ
b existieren nach dem, was wir in §1 gesehen haben.
Beispiel. Die Dgl.
27
xy 2 + y − xy 0 = 0
Auf einem Rechteck R, das ganz im positiven Quadranten {x, y > 0} liegt. Nun wird P (x, y) =
y + xy 2 und Q(x, y) = −x. Da
∂P
∂Q
−
= 2xy + 2 6= 0
∂y
∂x
hat P dx + Qdy nirgends eine Stammfunktion. Aber
1 ∂P
∂Q
2xy + 2
2
−
= 2
=
P ∂y
∂x
xy + y
y
hängt nicht von x ab, also liegt Fall ii) vor. Wir lösen jetzt
µ
b0 = −2
So sehen wir, dass µ(x, y) =
1
y2
µ
b
y
ein Eulerscher Multiplikator ist. Wir finden, dass
1
x
µP dx + µQdy = (x + )dx − 2 dy
y
y
exakt ist. Eine mögliche Stammfunktion ist
F (x, y) =
x2 x
+
2
y
Die Lösungen y = y(x) erfüllen die Gleichungen
x2
x
+
=C
2
y(x)
für positive Konstanten C.
28
KAPITEL 1. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER ORDNUNG
Wir finden
y(x) =
2x
2C − x2
y
R
1
x
1
2
3
4
Der Fall C = 8.
Ein weiterer Zugang zu einem integrierenden Faktor ist der Ansatz µ(x, y) = a(x)b(y) mit
differenzierbaren Funktionen a, b. Einsetzen in die Exaktheitsbedingung ergibt uns
a(x)b0 (y)P (x, y) + a(x)b(y)
∂P
∂Q
= a0 (x)b(y)Q(x, y) + a(x)b(y)
∂y
∂x
Teilen wir durch µ, folgt
∂P
a0
∂Q
b0
(y)P (x, y) +
= (x)Q(x, y) +
b
∂y
a
∂x
Man kann nun versuchen diese Gleichung durch Raten nach a oder b aufzulösen.
Beispiel. Sei P (x, y) = 4x2 y + 2y 3 , Q(x, y) = 2x3 + 4xy 2 . Obige Gleichung für a und b nimmt
dann die Form
b0
a0
(y)(4x2 y + 2y 3 ) + 4x2 + 6y 2 = (x)(2x3 + 4xy 2 ) + 6x2 + 4y 2
b
a
an. Wir wählen a0 /a = 1/x und sehen, dass dann
b0
b0
(y)(4x2 y + 2y 3 ) + 4x2 + 6y 2 = 8x2 + 8y 2 , also (y)(4x2 y + 2y 3 ) = 4x2 + 2y 2 .
b
b
Lösen wir dann noch b0 /b = 1/y, haben wir mit a(x) = log x, b(y) = log y und µ(x, y) = log x log y
einen integrierenden Faktor gefunden. Dieser ist auf {(x, y) | x, y > 0} definiert.
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