Sexualisierung in den Medien und im Alltag von Mädchen und Jungen Pädagogische Anregungen Bernhild Manske-Herlyn Aktion Jugendschutz BW 25.09.2012 Ziele Spannungsfeld (sexuelle) Selbstbestimmung • „Selbstbestimmung entwickelt sich im Kontakt und in Konflikten. Und sie braucht solidarische weibliche (Erg. d. Verf. - männliche) Bezugspersonen.“ • Mädchen (+ Jungen) wünschen sich Pädagog/innen auf Augenhöhe. • Dr. Ulrike Graff, in Selbstbestimmung für Mädchen, Rundbrief der LAG-Mädchenpolitik BW II/2007 C ajs-bw manske-herlyn Wünsche an Erotik in den Medien Jungen (und nicht nur sie) möchten informiert sein; Jungen möchten aber selbst auswählen können, was sie erotisch finden; manchmal nervt es sie, dass sie dauernd mit Sexualität konfrontiert werden. Nach Winter, Neubauer, in Televizion, Sex, Lust und Liebe - Paradoxon? • Macht es Lust über Porno zu reden? • Anais Nin schreibt im Vorwort zu ihren berühmten erotischen Tagebüchern, ob der Leser (oder die Leserin) etwa glaube, dass erotische Geschichten aus Lust geschrieben würden? Eher sei es der Hunger und die Not, die die Schriftsteller inspiriere. • Deutungen: • Extreme & Kultur: • „die Popkultur verlange in ihrer ausschnitthaften Focussierung auf banale und reduzierte Lebenswirklichkeit nach Extremen als Ergänzung.“ C ajs-bw manske-herlyn Deutungen 1: Über die strukturelle Gewalt in Pornographie • • • • • • • • Ein Hemd und eine Hose kommen aus der Mangel; die Frage ob das Hemd die Hose oder die Hose das Hemd platt gewalzt hat, ist einigermaßen absurd. Eberhard Schorsch in Gunther Schmid S. 85 Das verschwinden der Sexualmoral 1996 Pornographie inszeniert größte Lust – aber damit man nicht in ihr untergeht, bleibt man sich fremd; größte Intimität – aber damit man sich nicht auflöst, behält man die Kontrolle über den Partner, notfalls mit Gewalt; größte körperliche Nähe – aber damit man nicht in ihr versinkt, hält man sich den anderen vom Leibe, in dem man ihn zur Sache zum Fetisch degradiert; größte Potenz, größte Attraktivität, nazistischer Glanz – aber damit das grandiose Bild der eigenen Weiblichkeit/Männlichkeit nicht zerstiebt, macht man den anderen fertig, im doppelten Wortsinn… S. 96/97 ebd. Obwohl der Dämon Sexualität sich in der Pornographie scheinbar materialisiert, bringt sie ihn heute tatsächlich zur Strecke, treibt ihn aus, durch endlose Wiederholung und Trivialisierung. S. 97 Deutungen 2 Schädliche Wirkung von Porno auf Jugendliche ist Fiktion Sexualwissenschaftler Kurt Starke, Leipzig, 10.03.2010 • Eine schädliche Wirkung von Pornographie auf Jugendliche kann nicht belegt werden… • Aus einer Expertise von der Firma Huch Medien in Auftrag gegeben… • Nicht der Konsum einfacher Pornographie, sondern erst das Verbot und die damit einhergehende soziale Ächtung könne Jugendliche in ihrer Entwicklung beeinträchtigen. Ein Verbot könne den Konsum nicht verhindern, sondern sorge nur für Schuldgefühle bei Jugendlichen. Aus http://heise.de/959704 Deutungen: Zur Diskursanalyse zu Sexualisierung in den Medien von Kurt Möller in DJI 4/11 • Konstruktionselemente von sexuellen Skripten weisen zwei Seiten auf: Jugendliche als Objekte des Pornokonsums sowie Jugendliche als Subjekte von Pornokonsum. Möller fordert die Subjekte anzusprechen, • Denn Diskurse gestalten die Wirklichkeit mit! • Sie geben symbolisch, sprachlich und bildlich Deutungsmuster sowie Orientierung für die Strukturierung des Alltags und Sinngebung des Lebens. Rahmenbedingungen werden definiert • Macht, Interessen, Gelegenheit – sind nicht für alle gleich verfügbar • Prägend wirken auch institutionelle, kognitive und handlungspraktische Infrastrukturen • Möller fordert, Pornographie als Herausforderung zur Gestaltung von Sexualkultur bzw. Sozialkultur zu betrachten, den Ressourcenansatz anstelle von Problemfixierung, um den Bedürfnissen von Mädchen und Jungen Gehör zu verschaffen. Renate Freund zu Moral Die restriktive Sexualmoral (Doppelmoral) • Bestimmte Handlungen • sind erlaubt / verboten; • Sexualität ist in bestimmten • Kontexten erlaubt / verboten. • • • C ajs-bw manske-herlyn ist abgelöst durch eine Verhandlungsmoral. Erlaubt ist alles, wozu alle Beteiligten zustimmen. Medien und Sexualverhalten • • • • • • Sexualität ist in der Gesellschaft heute: • in den Medien und im Alltag sichtbarer • scheinbar spektakulärer • tatsächlich oft belangloser (auch für Jugendliche) (Aktuelle BZgA Studie zum Sexualverhalten von Jugendlichen von 2010 bestätigt diese Tendenzen, online) Renate Freund, Tagung der BAG der Kinderschutzzentren in Köln am 20.09.07 C ajs-bw manske-herlyn Veränderungen im gesellschaftlichen Umfeld • Politisches Modell für Tiefgang? Verbraucherinformation zu Sexualität am Kiosk Sonderheft Sexualität Ökotest 2012 Inhalt: Alte und neue Tabus, Alles legal oder was? Liebe in den Zeiten des Internets Sex sells oder Liebe statt Hass? Provokationen • Der italienische Modehersteller Benetton hat eine neue Werbekampagne. Die Motive, die in dieser Woche in allen europäischen Metropolen zu sehen sind, zeigen Barack Obama, der den chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao küsst, Benjamin Netanjahu in derselben Pose mit Machmud Abbas, und Angela Merkel küsst Nicolas Sarkozy. Das Plakat, das den Papst in inniger Intimität mit dem ägyptischen Imam Ahmed el Tajjeb zeigt, musste nach Protesten aus dem Vatikan schon wieder zurückgezogen werden. Der Kirchenstaat kündigte an, weltweit rechtlich gegen die Veröffentlichung des Motivs vorzugehen. Kommentare • Und jetzt küssen einander religiöse Führer und Staatsoberhäupter, die sich mehr oder weniger verfeindet gegenüberstehen. Unhate betitelt Benetton die Serie. Hört auf, zu hassen. Eine Userin hat auf dem Benetton-Blog ihre Einschätzung als Kommentar hinterlassen. Unter das Bild von Obama und Hu Jintao schreibt sie: "Sagt es doch gleich. Hier geht es nicht um Unhate, sondern es geht um Homosexualität." Alltäglicher Sexismus – reine Gewohnheit? : Der deutsche Werberat, Trend • Sexismus, Alkohol und Gewaltverherrlichung • Im ersten Halbjahr 2010 warf der Werberat vier Unternehmen öffentlich Frauen diskriminierende Werbesujets vor und einer Firma Gewaltverherrlichung. Die Herabwürdigung von Frauen ist mit 41 Prozent an erster Stelle der Kritik an kommerzieller Werbung. Erstmals an zweiter Stelle rangiert mit neun Prozent erstmals die Unterstellung, die Werbung verstoße gegen die Alkohol-Regeln des Werberats. (pte) These 1 zur gesellschaftlichen Situation • Die Sexualisierung von jugendlichem Verhalten durch Medieninhalte wird von vielen Forschern bestritten. Die Partnerschaftsvorstellungen der Jugendlichen sind nach wie vor romantisch, sehr frühe sexuelle Erfahrungen macht nur eine kleine Gruppe von Jugendlichen, Idealbild der Partnerschaft ist mehrheitlich die serielle Monogamie, die Mehrheit der Jugendlichen möchte über Porno Bescheid wissen, differenziert aber was eklig ist, was antörnen darf oder was brutal ist. These 2 Jugendliche • Mediale Kommunikation ist für Jugendliche selbstverständlich, sie kennen sich aus. • Sie verfügen meist über Ressourcen, um einen gewissen Grad an „Pöbeleien“ zu verkraften. • Internet und soziale Netzwerke bieten (neue) Chancen für Mädchen und Jungen , die ausprobiert werden. • Nur „nicht dabei sein“ ist für sie gefährlich. These 3 Selbstbehauptung • Konsum ist für Mädchen und Jungen ein wesentlicher Bestandteil von gesellschaftlicher Partizipation, auch bei Sex und Porno. • Allerdings ist die Notwendigkeit von Wissen über Datenschutz, Verbraucherrechte und mediale Selbstdarstellung bzw. Selbstbehauptung in der Bedeutung stark gestiegen. These 4 Demokratisierung? • Im sozialkonstruktivistischen Kontext stellt sich nicht die Frage, ob und wie Frauen und Männer Körper in der jeweiligen Gesellschaft zeigen dürfen oder sollen. • Sondern wie Weiblichkeit und Männlichkeit über Körperdiskurse hergestellt werden. • Tragen Inszenierungen zu mehr Demokratisierung oder zur Rekonstruktion hierarchischer Geschlechterverhältnisse bei? • Bsp. Fußballerinnen im Playboy… es geht auch um die Frage, welche Körper sie unsichtbar machen. Gegenbeispiel Ronald Beckham und Cristiano Ronaldo bei Hennes& Mauritz bzw. Giogio Armani – die Zuordnung in das Bezugssystem fällt schwer, sie bestätigen bestehende Erwartungen. Angela Till mann, in Martina Schuegraf, Angela Tillmann: Pornografisierung von Gesellschaft UVK, 2012 These 5 Aufklärung? „Mama wir sind doch nicht notgeil!“ • Recht auf altersgemäße Fehler? • Wie geht Kommunikation auf Augenhöhe? • Welche Fragen bringen Jugendliche mit? Ökonomisierung des Sozialen • Ökonomisierung des Sozialen bedeute, arbeite dauernd an Dir, mach was aus Dir, Du stehst immer im Wettbewerb. Empowerment beispielsweise in Form von Porno- und Gangsterrap setzt vor allem auf das Ablegen eines „OpferStatus“. • In neoliberalen Zeiten sei nichts so schlimm wie ein Opfer zu sein. Gerade für junge Frauen müsse es doch enorm verlockend sein, aus der Not eine Tugend zu machen und ihre Selbstpornographisierung als handlungsmächtiges Empowerment zu begreifen und zu inszenieren. • Wenn Du schon nichts ‚werden’ kannst, so mach aus jeder Not noch eine vermeintliche Tugend. „Wenn du also zum Sexobjekt gemacht wirst, dann sollst du das immer selbst gewollt haben.“ so Prof. Dr. Paula Irene Villa. „Du Opfa“ • • • • • • Ja kein Opfer sein! Pornographisches Empowerment besser ficken als gefickt-werden (pornographische Metaphorik) Pornographisierung als angemessene Artikulation prekarisierter Menschen, insbes. Jugendlicher auf „Ökonomisierung des Sozialen“ (Bröckling/ • Krassmann/Lemke 2000) • Aus Vortrag von Paula Irene Villa, Landshut 2010 Auszug aus einem Vortrag: „jung, männlich: Körper und Risikoverhalten“ Jungen und körperliches Risikoverhalten – Prävention in einer körperfreundlichen Schule Von jung, männlich: • Der männliche Körper fungiert als inszenierter Bedeutungsträger Exkurs: „Coole Jacke!“ – Sprache über den Körper • Körperliches Risikoverhalten bei männlichen Jugendlichen steht damit in direktem Zusammenhang • Prävention in einer körperfreundlichen Schule? These 6 • Die Bedeutung von Opferschutz bei Gewalt, bei Mobbing, bei Cybermobbing, gegen sexueller Übergriffe ist gestiegen, • Betroffene sind auf niedrigschwellige Hilfsangebote angewiesen. These 7 • Es besteht ein wachsender Bedarf an Prävention von Partnergewalt. • Auch für Teenager ist Partnergewalt ein Thema von wachsender Bedeutung. Zur Internet Generation: • Man führt u. a. den Rückgang der Technik Begeisterung von Mädchen auf schlechten Schulunterricht bzw. die Einführung des Fachs Computerunterricht im Fach Medien Web 2.0 zurück. • Von Nicola Döring, 2011 Und … Ergebnisse aus Jugendstudien zeigen: Viele Kontakte im Internet = gute Kontakte in der Realität. Kultureller Umgang Klatsch und Tratsch wird verbreitet: z.B. Mädchen/=Hure. Koppelung von Gesichtskennung und Lokalisierung wird zunehmen, positiv wie negativ i. d. Auswirkungen. Soziale Beziehungen werden im Netz Sichtbarer. Mädchen haben online mehr Macht! Ein positiver Nebeneffekt ist, die Sensibilisierung gegen Mobbing ist gestiegen. Thesen von Nicola Döring Technische Hochschule Thüringen, Medienpsychologin, Vortrag bei der LAG Mädchenpolitik, 2011 Empfehlung: • • • • • • • • • • Nutzungskompetenz fördern. Jugendliche brauchen Freiräume keine Kontrolle. Nicht verbieten oder verurteilen. Eltern und Pädagogen sollten sich für die medialen Lebenswelten interessieren. Chat funktioniert anders, hier kann man neue Leute kennenlernen, man kann zeitgleich flirten. Chat reduziert Schüchternheit. Im Chat reden wirkt viel sympathischer als persönlich reden. Entspannt, authentisch? Man kann besser persönliche Themen ansprechen, im Chat bin ich mehr, wie ich Wirklich bin. Chatkommunikation ist emotionaler als real, es gibt auch starke Körperbezüge. Virtuelle Distanz erleichtert die Kommunikation. Daten zu Pornokonsum • Pornografie - Bravo Studie 2009 • Zwei Drittel der Jugendlichen in Deutschland haben schon Erfahrungen mit pornografischen Bildern oder Filmen gemacht. • Bei den 11- bis 13-Jährigen waren es 42 Prozent, bei den 14- bis 17-Jährigen bereits 79 Prozent. • Acht Prozent konsumieren regelmäßig Pornos, 35 Prozent „nur hin und wieder“. • Während Mädchen die Bilder eher abstoßend fänden, bezeichneten Jungs sie durchaus als erregend. © Bernhild Manske-Herlyn, Aktion Jugendschutz BW Juni 2009 Welche Pornos Jugendliche angesehen haben – 50% zufällig – ca. ab 11 Jahre • • • • • • • • Normaler Sex 33% Illegale Inhalte 16% Bisexuelle Inhalte 15% 10% Aufklärung 9% Sextechniken 6% Spezielle Techniken 11% Sonstiges Studie Landau Pro Familia Koblenz Bei Pornokonsum • Entscheidend für die Wirkung ist die Frage: • What do people do with porn? • zit. Nach Gunther Schmidt BZgA Forum Medien 1 -2009 • Vor den ersten eigenen sexuellen Erfahrungen sind Pornobilder für Mädchen und Jungen schwer einzuordnen. • Was hält uns Pädagog/innen ab, Mädchen und Jungen sexualpädagogisch zu begleiten? © Bernhild Manske-Herlyn, Aktion Jugendschutz BW Juni 2009 Unterscheiden: Was interessiert Kinder? Prävention „Kleiner Kumpel“ zu Pornographie Aufgaben für die Zukunft • Mädchen und Jungen in ihrer Fähigkeit zum Verhandeln zu stärken • Manipulation oder Bestechung in Verhandlungen erkennbar werden zu lassen • Partizipation auch in der Sexualerziehung anzuregen Ressourcen wahrnehmen Basis für Resilienz • • • • • • • • • Stärken entdecken Positive, verlässliche Bindung in der Gruppe soziales Interesse, gute Atmosphäre Selbstwirksamkeit Sprache entwickeln Zugang zu Wissen über Sexualität Konflikte lösen können Sich selbst behaupten können Schutz und Hilfen im Problemfall erhalten C ajs-bw manske-herlyn Grundsätzlich Sexualität und Gewalt unterscheiden! C ajs-bw manske-herlyn Gewalt: Risiken in Sexuellen Skripts • Hoch riskant wenn: • Individuelles Skript konservativer als das allgemeine • Rape Skript: Kürzere Bekanntschaftsdauer und höherer Alkohol- und Drogenkonsum • Jugendliche neigen dazu, sich in der Clique sicher zu fühlen; sie sind jedoch unter Gleichaltrigen am stärksten gefährdet. © Bernhild Manske-Herlyn, Aktion Jugendschutz BW Juni 2009 Risikofaktoren Sexueller Gewalt • Negative Kindheits- Erfahrungen (Gewalt/Vernachlässigung) • Nicht eindeutige Kommunikation sexueller Absichten • Alkohol- und Drogenkonsum • Gruppendruck • Erhöhte (und frühe) sexuelle Aktivität, nach Barbara Krahe´ © Bernhild Manske-Herlyn, Aktion Jugendschutz BW Juni 2009 Prävention für Mädchen und Frauen • Wissen über Vergewaltigung • Risikoreiche Verhaltensmuster wie hoher Alkoholkonsum und uneindeutige Kommunikation abbauen • Vermeiden einer Angriffssituation und Widerstand in einer Angriffsituation erlernen Prävention für Jungen und Männer • • • • • Vergewaltigungsmythen abbauen Wissen über Vergewaltigung vermitteln Empathie mit Opfern fördern Erregungskontrolle erlernen Vergewaltigungsbereitschaft wahrnehmen Rahmenbedingungen werden definiert • Macht, Interessen, Gelegenheit – sind nicht für alle gleich verfügbar • Prägend wirken auch institutionelle, kognitive und handlungspraktische Infrastrukturen • Möller fordert, Pornographie als Herausforderung zur Gestaltung von Sexualkultur bzw. Sozialkultur zu betrachten, den Ressourcenansatz anstelle von Problemfixierung, um den Bedürfnissen von Mädchen und Jungen Gehör zu verschaffen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!