Skript Uni zum Strafvollzug - Juristischen Fakultät Basel

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Peter Aebersold 2007
Sanktionen des Erwachsenenstrafrechts und ihr Vollzug
Strafen und Massnahmen des Strafgesetzbuchs
Strafrechtliche Sanktionen (Oberbegriff) sind Strafen oder Massnahmen. Die Strafe (Geld-, ArbeitsFreiheitsstrafe oder Busse) ist die ordentliche und statistisch häufigere Sanktion, ausnahmsweise wird
zusätzlich eine Massnahme (Behandlung oder Verwahrung) angeordnet. Beide Sanktionen sind Eingriffe in die Rechte oder in die Freiheit eines Täters, beide werden in einem Strafurteil durch ein Strafgericht angeordnet, beide knüpfen an den Nachweis einer Straftat an. Diese Straftat setzt in der Regel
ein Verschulden voraus; in seltenen Ausnahmefällen kann eine Massnahme allein angeordnet werden, wenn der Täter nicht schuldfähig (nicht zurechnungsfähig) ist.
Die Strafe wird nach dem Vergeltungsprinzip zugemessen, massgeblich ist das Verschulden, d.h. die
vorwerfbare Schwere der Straftat. Die Strafe ist vergangenheitsbezogen, weil sie sich am begangenen
Delikt orientiert. Sie wird vom Gericht nach diesem Massstab festgelegt und ist damit inhaltlich bestimmt. Im Rahmen der durch das Verschulden definierten Grenze dürfen auch spezial- oder generalpräventive Überlegungen berücksichtigt werden, das Strafmass darf aber die Verschuldensgrenze
nicht überschreiten. Die Strafe hat gegenüber der Massnahme den Vorteil, dass sie berechenbar ist.
Wer das Gesetz und die Gerichtspraxis kennt, kann einigermassen abschätzen, wie hoch die Strafe
für eine bestimmte Straftat ausfallen wird.
Die Massnahme richtet sich nach dem Zweck der Spezialprävention. Es geht darum, einer Rückfallgefahr vorzubeugen. Eine Massnahme findet deshalb nur Anwendung, wenn eine erhebliche Rückfallgefahr besteht, zu deren Abwehr die Strafe nicht genügt. Die Massnahme orientiert sich an der
Gefährlichkeit, die von der verurteilten Person ausgeht. Sie ist in diesem Sinne zukunftsbezogen. Damit hängt zusammen, dass sie zeitlich nicht zum vornherein festgelegt ist, ihre Dauer richtet sich nach
dem Zweck. Die Massnahme wird so lange durchgeführt, wie die Gefahr besteht, das kann bei einer
Behandlung kürzer sein als die entsprechende Strafe, die Massnahme kann aber auch wesentlich
länger, im Extrem sogar lebenslang dauern. Die Begrenzung der Sanktion ergibt sich bei den Massnahmen nicht aus dem Verschulden, sondern aus dem Verhältnismässigkeits-Grundsatz. Dieser besagt, dass die Schwere des Eingriffs in einem Verhältnis zur drohenden Gefahr stehen muss (nicht mit
Kanonen auf Spatzen schiessen), und dass unter mehreren erfolgversprechenden Massnahmen die
leichtere vorzuziehen ist.
Das Ziel der Rückfall-Verhütung kann bei den Massnahmen auf zwei völlig unterschiedliche Arten
angestrebt werden: Entweder durch eine Behandlung in Form einer therapeutischen oder einer sozialpädagogischen Beeinflussung, die ambulant oder stationär durchgeführt werden kann, oder aber
dadurch, dass ein gefährlicher Täter durch die Inhaftierung auf unbestimmte Zeit physisch an der Begehung neuer Delikte gehindert wird. Wir unterscheiden deshalb zwischen bessernden Massnahmen
(Behandlung) und sichernden Massnahmen (Verwahrung). Neben den freiheitsentziehenden (stationären) und freiheitsbeschränkenden (ambulanten) Massnahmen kennt das StGB noch andere Massnahmen, auf die nicht weiter eingegangen wird, z.B. Berufverbot, Fahrverbot, Einziehung von Vermögenswerten, Einziehung von Gegenständen, mit denen eine Straftat begangen wurde, Art.66-73
StGB.
Im Jahr 2005 wurden (unter der Geltung des noch nicht revidierten Strafrechts) rund 15'000 unbedingte, d.h. zu verbüssende Freiheitsstrafen ausgesprochen. Im Vergleich scheinen die rund 600 stationären Massnahmen fast bedeutungslos. Allerdings sind die grosse Zahl der Freiheitsstrafen kurze Strafen. Strafen über 18 Monate wurden 2005 nur in 932 Fällen verhängt. Verglichen damit fällt die Zahl
der Massnahmen doch ins Gewicht.
In den meisten Fällen spricht das Gericht nur eine Strafe aus. Wenn es zusätzlich eine Massnahme
anordnet, stellt sich die Frage, wann welche Sanktion vollzogen wird. Dieses Verhältnis von Strafe und
Massnahme ist bei den bessernden Massnahmen anders geregelt als bei den sichernden. Im Rahmen
der bessernden Massnahmen gilt das sog. vikariierende Prinzip, was bedeutet, dass die eine statoinäre Sanktion die andere ersetzt: In erster Linie wird die Massnahme vollzogen (der Verurteilte wird z.B.
in eine Drogentherapie eingewiesen). Wird diese Massnahme erfolgreich abgeschlossen (der Verurteilte kann geheilt entlassen werden), wird die Strafe nicht mehr vollzogen, auch wenn sie länger ist
als die in der Massnahme verbrachte Zeit. Kann die Massnahme nicht erfolgreich abgeschlossen wer-
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den (der Verurteilte wird nach einigen Monaten rückfällig und ist nicht mehr motiviert für die Therapie),
wird auf die „Schiene“ Strafe gewechselt: Die in der Massnahme verbrachte Zeit wird zwar angerechnet, aber der noch nicht verbüsste Strafrest muss in der Strafanstalt abgesessen werden. Dieses vikariierende Prinzip gilt bei den bessernden stationären Massnahmen.
Bei den sichernden (Verwahrungs-) Massnahmen gilt dagegen das kumulative Prinzip. Das bedeutet,
es werden beide Sanktionen vollzogen. Zuerst muss die Strafe abgesessen werden. In den meisten
Fällen sind das viele Jahre. Vor deren Ende wird überprüft, ob in der Zwischenzeit nicht eine stationäre Behandlung Sinn macht. Wenn diese Voraussetzung nicht zutrifft, wird anschliessend an die Strafe
die Verwahrung vollzogen, in der Regel in der gleichen (geschlossenen) Strafanstalt.
Wie legt das Gericht eine Sanktion fest ?
Nach Art.47 misst das Gericht die Strafe nach dem Verschulden zu. Es berücksichtigt dabei die
Schwere der Verletzung oder Gefährdung, die Verwerflichkeit des Handelns sowie die Beweggründe
und Ziele des Täters. Für jeden Straftatbestand ist ein Strafrahmen vorgegeben, definiert durch eine
Unter- und eine Obergrenze. So lautet die Strafdrohung beim Diebstahl 1 Tag bis 5 Jahre („Freiheitsstrafe bis 5 Jahre oder Geldstrafe“), beim bandenmässigen Raub 2 Jahre bis 20 Jahre. Das Gericht
gewichtet das begangene Delikt im Spektrum zwischen der leichtesten und der schwerst möglichen
Tat, die unter die betreffende Strafbestimmung fällt, und legt im entsprechenden Bereich die Strafe
fest: Je schwerer das Delikt ist, desto mehr nähert sich die Strafe der Obergrenze an.
Allerdings werden bei der Strafzumessung auch subjektive Gesichtspunkte wie das Vorleben, die
persönlichen Verhältnisse und die Strafempfindlichkeit berücksichtigt. Zudem können Strafmilderungsgründe zu einer Reduktion der eigentlich angemessenen Strafe führen, z.B. verminderte Zurechnungsfähigkeit, ein Handeln in einem verständlichen Affekt, unter Druck oder aus achtenswerten
Beweggründen sowie die aufrichtige Reue, wenn sie sich in Taten manifestiert hat. Hat ein Täter mehrere Taten verübt, werden die Strafen nicht zusammengezählt; das Gericht bestimmt vielmehr die
Strafe für das schwerste Delikt und erhöht sie um maximal die Hälfte (sog. Asperationsprinzip).
Synoptische Darstellung des Sanktionensystems
SANKTIONENSYSTEM DES ERWACHSENENSTRAFRECHTS
STRAFEN
StGB.
Art.
Sanktionsart
34 ff.
Geldstrafe
37 ff.
Gemeinnützige Arbeit
40 ff.
Freiheitsstrafe
Höhe
1 – 360 Tagessätze
1 Tagessatz =
max. 3'000 Franken
1 – 180 Tagessätze
1 Tagessatz =
4 Std. Arbeit
Bedingter Strafvollzug oder
ambulante Massnahme
Art. 42: Bis 2 J. ist bedingter Vollzug
die Regel, ausser bei ungünstiger
Prognose oder bei Rückfall (in den
letzten 5 Jahren Freiheits- oder
Geldstrafe von mind. 180 Tagen,
Ausnahmen möglich).
Teilbedingter Strafvollzug
Art. 43: Strafen von 1 bis 3 Jahren
(verschuldensabhängig)
Vollziehbarer Teil maximal Hälfte und
mind. 6 Monate.
Aufgeschobener Teil mind.
6 Monate.
6 Monate - 20 Jahre
(ausnahmsweise
lebenslänglich).
Unter 6 Monate als
Ersatzfreiheitsstrafe
Probezeit 2 - 5 J., Bewährungshilfe und W eisungen möglich
Bessernde
Massnahmen
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Sichernde
Massnahme
n
MASSNAHMEN
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64 ff.
höchstens 5 Jahre,
Behandlung von
Verlängerung um je
psychischen Störungen 5 Jahre möglich
höchstens 4 Jahre,
Verlängerung um
Suchtbehandlung
1 Jahr möglich
Massnahme für junge
höchstens 4 Jahre,
Erwachsene (bis
nach Rückversetzung
25 Jahre, im Vollzug
höchstens 6 Jahre
höchstens bis
30 Jahre)
Verwahrung
Verzicht
Verwahrung BV 123a
52 ff.
lebenslang
Peter Aebersold 2005
Vollzug
Wenn nicht bezahlt wird,
Umwandlung 1 : 1 in Freiheitsstrafe
(evtl. Modifikation, Art. 36)
Zugewiesene unentgeltliche Arbeit,
evtl. Umwandlung in Geld- oder
Freiheitsstrafe
4 Std. Arbeit = 1 Tagessatz
Bis 1 J. in der Regel
Halbgefangenschaft.
Über 1 J. geschloss. oder offene
Strafanstalt (evtl. nacheinander),
nach Hälfte Arbeitsexternat möglich,
danach evtl. W ohnexternat.
Vollzugsplan obligatorisch
Psychiatrische Klinik oder
Massnahmenvollzugseinrichtung
Spezialisierte Einrichtung oder
Psychiatrische Klinik
Art. 63 Ambulante
Behandlung, evtl. Einleitung der
Behandlung stationär (max.
2 Monate)
Besondere Einrichtung
Bei Antrit, dann nach 2 Jahren,
später alle Jahre Überprüfung, ob
Behandlung nach Art.59 möglich ist
Zuerst Strafe, anschliessend
Massnahme in einer MassnahmenVollzugseinrichtung oder in einer
geschlossenen Strafanstalt.
Überprüfung bei Vorliegen neuer
wissenschaftlicher Erkenntnisse
Geschlossene Strafanstalt
Strafbefreiung wegen fehlendem Strafbedürfnis, W iedergutmachung oder Betroffenheit durch Tat.
Bedingte Entlassung
Art. 86 ff.: Nach 2/3 (Kriterien
Verhalten und Prognose),
mindestens 3 Monate,
ausnahmsweise nach der Hälfte.
Probezeit = Strafrest (mindestens
1J., höchstens 5 Jahre)
Art. 62: Bedingte
Entlassung bei günstiger Prognose
oder Ablauf der Höchstfrist,
ambulante Behandlung,
Bewährungshilfe und W eisungen
möglich. Probezeit kann verlängert
werden.
Art. 64a: Bedingte
Entlassung bei günstiger Prognose
(Stellungsnahme der Kommission
zur Beurteilung der Gefährlichkeit
erforderlich).
keine bedingte Entlassung
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Strafen im Erwachsenenstrafrecht
Das Strafgesetzbuch sieht vier Arten von Strafen vor: Geld- Arbeits- Freiheitsstrafe und Busse. Die
ersten drei Arten sind im Überschneidungsbereich durchlässig, die ausgesprochene Strafe kann nachträglich in eine andere umgewandelt werden.
Geldstrafe, Art.34-36
Die Geldstrafe wird nach dem Tagessatz-System festgelegt. Das hat zur Folge, dass die Strafe in
einem ersten Schritt in einem Zeitmass bestimmt wird, zwischen 1 und 360 Tagessätzen. Massgeblich
ist allein das Verschulden, die finanziellen Verhältnisse der verurteilten Person spielen bei dieser Berechnung keine Rolle. Die Zahl der Tagesätze ergibt auch das Mass, falls die Strafe nachträglich in
eine andere Strafart umgewandelt wird. Dabei entspricht ein Tagessatz Geldstrafe einem Tag Freiheitsstrafe oder 4 Stunden gemeinnütziger Arbeit, Art.39.
In einem 2.Schritt wird dann berechnet, wie viel Franken ein Tagessatz angesichts der finanziellen
Verhältnisse der verurteilten Person ausmacht. Der einzelne Tagessatz kann zwischen einem und
3000 Franken variieren. Massgeblich sind die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, namentlich nach Einkommen und Vermögen, Lebensaufwand sowie allfälligen Familien- und Unterstützungspflichten. Der Grundgedanke ist, dass dem Verurteilten der Betrag abgeschöpft wird, der ihm über das
für sein Leben Notwendige zur Verfügung steht. Dadurch soll für die durch das Verschulden bestimmte Zeit eine Freiheitsbeschränkung statt der mit der Freiheitsstrafe verbundenen Freiheitsentziehung
angestrebt werden. Das Strafmass, ausgedrückt in Tagessätzen, ist demnach für arm und reich genau
gleich, doch muss der gut betuchte Verurteilte für jeden Tagessatz ein Vielfaches dessen hinblättern,
was ein armer Schlucker berappen muss. Mit dieser Individualisierung wird angestrebt, dass sich die
Geldstrafe sozial gerechter auswirkt.
Busse, Art.105 f. StGB
Das aufwändige Tagessatz-System findet nur bei Verbrechen oder Vergehen Anwendung. Für Übertretungen werden pauschale Bussen nach dem Geldsummen-System festgelegt, wobei der Höchstbetrag 10'000 Franken beträgt. Bei den alltäglichen Strassenverkehrsdelikten werden die Bussen nach
festen Tarifen festgelegt und im untern Bereich sogar von der Polizei direkt eingezogen. Für Bussen
gibt es keinen bedingten Vollzug.
Nach Art.42, Abs.4 kann zudem jede bedingte Geld-, Arbeits- oder Freiheitsstrafe mit einer Busse
verbunden werden. Die Gerichtspraxis macht von dieser Möglichkeit in den meisten Fällen Gebrauch.
Gemeinnützige Arbeit, Art.37-39
Die Arbeitsstrafe ist eine besonders sinnvolle Sanktion, weil sie nicht nur eine Geldzahlung oder ein
passives Absitzen von Zeit beinhaltet, sondern eine aktive Leistung der verurteilten Person erfordert.
Dadurch kann eine zumindest symbolische Wiedergutmachung erreicht werden. Allerdings kommt
dieser Wert nur zum Tragen, wenn eine nützliche Arbeit geleistet wird, die den persönlichen Verhältnissen und Fähigkeiten der verurteilten Person Rechnung trägt. Sinnlose oder als Schikane empfundene Beschäftigungen entwerten die gemeinnützige Arbeit. Die Arbeit sollte deshalb individuell festgelegt werden. Wichtig sind auch eine gute Vorbereitung und eine Begleitung für die Betriebe, die Arbeit
anbieten.
Gemeinnützige Arbeit kann zwischen 1 und 180 Tagessätzen angeordnet werden. Ein Tagessatz
beträgt 4 Stunden unentgeltliche Arbeit. Damit ist es auch Personen möglich, gemeinnützige Arbeit zu
leisten, die voll beschäftigt sind. Die Arbeit kann dann nach dem Feierabend verrichtet werden. Die
gemeinnützige Arbeit wird zugewiesen, sie ist „zu Gunsten sozialer Einrichtungen, Werken in öffentlichem Interesse oder hilfsbedürftiger Personen zu leisten“, Art.37,Abs.2. Angeboten werden vor allem
Reinigungs-, Büro-, Archivierungs-, Garten-, Umwelt- oder Küchenarbeiten. „Arbeitgeber“ sind Werkhöfe, kantonale Verwaltungen, Verkehrsbetriebe, Stadtgärtnereien, Heime, Spitäler, Museen etc. Wird
die Arbeit trotz Mahnung nicht geleistet, wird sie in Geldstrafe oder Freiheitsstrafe umgewandelt.
Freiheitsstrafe, Art.40f.
Die Dauer der Freiheitsstrafe beträgt in der Regel mindestens 6 Monate, kürzere Freiheitsstrafen finden nur Anwendung, wenn Geld- und Arbeitsstrafe zum vornherein nicht durchführbar sind, oder wenn
sie später wegen Verweigerung nicht vollzogen werden können (sog. Ersatzfreiheitsstrafe). Die
Höchststrafe beträgt 20 Jahre resp. das im einzelnen Straftatbestand festgelegte Höchstmass. Ausnahmsweise (bei extrem schweren Delikten, insbesondere Mord) sieht das Gesetz lebenslängliche
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Freiheitsstrafe vor. In diesem Fall ist die Dauer unbestimmt, eine bedingte Entlassung ist nach 15
Jahren möglich.
Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr werden in der Regel in Form von Halbgefangenschaft vollzogen,
Art.77b und 79. Bei dieser Vollzugsform verbringt die verurteilte Person nur die Nacht und das Wochenende in einer Einrichtung, an Werktagen geht sie ihrer gewohnten Arbeit oder ihrem Studium
nach. Dadurch kann eine berufliche Entsozialisierung als Folge der Strafverbüssung vermieden werden. Soweit Halbgefangenschaft nicht in Betracht kommt, werden kurze Freiheitsstrafen meist in Gefängnissen (Untersuchungs- Amts-, Bezirksgefängnisse) vollzogen.
Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr werden in Strafanstalten vollzogen, je nach Flucht- oder
Rückfallgefahr in offenen oder geschlossenen Anstalten (s.u. Strafvollzug).
Electronic Monitoring
Der elektronisch gesicherte Hausarrest befindet sich zur Zeit noch in der Erprobung. Darum ist er
bundesgesetzlich noch nicht geregelt. Diese Vollzugsform wird aber bereits in 7 Kantonen angewendet: Beide Basel, Bern, Solothurn, Genf, Waadt, Tessin. Nach der front door-Variante können Personen, die in diesen Kantonen zu einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr verurteilt worden sind, bei der
Vollzugsbehörde den Antrag stellen, die ganze Strafe zu Hause zu verbüssen. Bei der back doorVariante kann nach dem teilweisen Absitzen einer längern Freiheitsstrafe der Antrag gestellt werden,
den verbleibenden letzen Teil derstrafe auf die gleiche Weise zu verbüssen. Wird das Gesuch bewilligt, legt die Bewährungshilfe oder eine ähnliche Organisation zusammen mit den Verurteilten ein Programm fest, das festlegt, wann sie zur Arbeit zu gehen haben, wann sie zu Haus sein müssen (in der
Regel in der Nacht und in der Freizeit), und wann sie Zeit für Einkäufe und Ähnliches haben. Den Verurteilten wird eine Fussfessel angepasst, die sie während des ganzen Programms nicht ablegen können. Die Fussfessel enthält einen Sender, der über ein ans Telefon angeschlossenes Modem regelmässig Signale an einen zentralen Computer übermittelt. Der Computer vergleicht die Signale mit dem
vorgegebenen Programm und schlägt Alarm, sobald er Abweichungen feststellt. In einem solchen Fall
rückt die Bewährungshilfe aus. Wenn die verurteilte Person wiederholt das Programm nicht einhält,
wenn sie an den technischen Geräten manipuliert, oder wenn sie Delikte begeht, wird der Hausarrest
abgebrochen und die Reststrafe im Gefängnis vollzogen.
Vorausgegangen ist in den erwähnten Kantonen eine Experimentier-Phase, die wissenschaftlich evaluiert wurde. In den 3 Versuchsjahren wurden 631 Strafvollzüge mit elektronischer Kontrolle durchgeführt. Die Verurteilten hatten vor allem Vermögens- und Strassenverkehrs-Delikte begangen. Die Abbruchrate betrug nur 6 %, überwiegend wegen Nichteinhaltung des vorgeschriebenen Programms.
Eine Befragung der Angehörigen ergab, dass sich das Electronic Monitoring ausgesprochen positiv
auf das Familienleben und die Beziehungen ausgewirkt hatte.
Die definitve Einführung ist umstritten. Der Bund will demnächst entscheiden, ob und in welcher Form
das Electronic Monitoring gesetzlich geregelt werden soll.
Strafbefreiung, Art.52-55
Auch wenn die Voraussetzungen für eine Strafe erfüllt wären, kann das Gericht in bestimmten Konstellationen von einer Bestrafung absehen. Da es in diesen Fällen keinen Sinn macht, ein teures und
belastendes Strafverfahren bis zur gerichtlichen Entscheidung durchzuführen, kann bereits die Untersuchungsbehörde das Strafverfahren einstellen. Das trifft insbesondere in Bagatellfällen zu, wo
„Schuld und Tatfolgen geringfügig sind“. In solchen Fällen kann davon ausgegangen werden, dass an
einer Bestrafung kein öffentliches Interesse besteht. Eine Strafbefreiung ist zudem möglich, wenn der
Täter durch die unmittelbaren Folgen seiner Tat so schwer betroffen ist, dass eine weitere Übelszufügung unangemessen wäre. Das trifft etwa dann zu, wenn der Täter bei einem von ihm verschuldeten
Autounfall eine nahestehende Person verloren hat oder selbst invalid geworden ist.
Ein neuartiger Strafbefreiungsgrund ergibt sich aus Art.53. Danach kann von Strafe abgesehen werden, wenn der Täter eine angemessene Wiedergutmachungs-Leistung erbracht hat. Das ist allerdings
nur dann möglich, wenn die Voraussetzungen für die bedingte Strafe erfüllt sind (Art.42, s.u.), und
wenn das Interesse der Öffentlichkeit und des Opfers an einer Bestrafung gering sind. Die Wiedergutmachung kann vom Täter aus eigener Initiative erbracht werden, häufiger ist sie aber Ergebnis
eines strukturierten Aussöhnungsverfahrens unter fachlicher Anleitung. In Österreich, wo diese Regelungsart eine erhebliche Bedeutung erlangt hat, wird von „Aussergerichtlichem Tatausgleich“ (ATA)
gesprochen, in Deutschland von „Täter-Opfer-Ausgleich“ (TOA). In der Schweiz stehen solche Bemühungen noch in den Anfängen, als Bezeichnung findet sich meistens „strafrechtliche Mediation“. Ein-
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schlägige Erfahrungen gibt es vor allem im Jugendstrafrecht, für Erwachsene bestehen erst in einigen
Städten Projekte oder Organisationen, die Mediation anbieten, z.B. in Zürich die Fachstelle „StrafMediation“.
Eine Straf-Mediation wird durch eine speziell ausgebildete Fachkraft geleitet. Ziel des Verfahrens ist
es, zwischen Täter und Opfer eine Versöhnung zu erarbeiten. Der Täter soll sich entschuldigen und
eine Wiedergutmachungsleistung erbringen, die vom Opfer akzeptiert werden kann. Wenn sich das
Opfer damit als befriedigt erklärt, ist der dem Strafverfahren zu Gunde liegende Konflikt unter den
Beteiligten gelöst. Allerdings genügt das nur für leichtere Delikte. Bei schweren Straftaten und bei
ehemals tabuisierten Delikten (z.B. häusliche Gewalt, Übergriffe auf Kinder) überwiegt das öffentliche
Interesse an einer Bestrafung gegenüber der privaten Konfliktregelung. In solchen Fällen darf auf die
staatliche Intervention aus generalpräventiven Gründen nicht verzichtet werden.
Bedingte und teilbedingte Strafen, bedingte Entlassung
Bedingter Strafvollzug bedeutet, dass eine Strafe ganz oder teilweise zur Bewährung ausgesetzt wird.
In allen Fällen wird eine Probezeit festgelegt, innerhalb der die verurteilte Person sich bewähren
muss. Bewährt sie sich, ist die ganze Strafe oder der aufgeschobene Teil erlassen, bewährt sie sich
nicht, wird die ausstehende Strafe nachträglich verbüsst. Die drei Varianten unterscheiden sich nach
dem Umfang: Bei der bedingten Strafe wird die ganze Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Bei der teilbedingten Strafe entscheidet das Gericht, dass ein kleinerer Teil vollzogen und der Rest ausgesetzt
wird. Die bedingte Entlassung erfolgt nach der Verbüssung einer längeren unbedingten Strafe; dabei
wird der Strafrest, in der Regel ein Drittel, durch die Vollstreckungsbehörde bedingt erlassen.
Bedingte Strafe, Art.42
Bei der (voll) bedingten Strafe wird der Vollzug einer Geldstrafe, einer gemeinnützigen Arbeit oder
einer Freiheitsstrafe zwischen 6 Monaten und 2 Jahren in vollem Umfang aufgeschoben. Der bedingte Strafvollzug hängt innerhalb dieses Rahmens nicht von der Tatschwere ab, sondern von der günstigen Prognose: Die bedingte Strafe ist die Regel, „wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten“. Weil die
bedingte Strafe spezialpräventiv eine sehr wirksame Sanktion ist, rechtfertigt es sich, diese Voraussetzung im Zweifel als gegeben anzunehmen. Deshalb werden heute 3 von 4 Freiheitsstrafen mit
bedingtem Vollzug angeordnet. Vor allem bei der ersten Verurteilung wird fast immer der bedingte
Vollzug gewährt. Meistens wird der bedingte Strafvollzug mit einer Busse verbunden.
Ausgeschlossen ist die bedingte Strafe in der Regel, wenn der Täter in den letzten 5 Jahren zu einer
Geld- oder Freiheitsstrafe von mindestens 6 Monaten verurteilt worden ist. Wenn besonders günstige
Umstände vorliegen (der Täter hat z.B. in der Zwischenzeit erfolgreich eine Drogentherapie abgeschlossen), kann selbst in solchen Fällen eine bedingte Strafe ausgesprochen werden. Umgekehrt
kann die bedingte Strafe trotz günstiger Prognose verweigert werden, wenn der Täter eine zumutbare
Schadenbehebung unterlassen hat.
Wird der bedingte Strafvollzug gewährt, wird immer eine Probezeit von 2 bis 5 Jahren festgelegt. Die
Höhe der Probezeit hängt von der Höhe der Strafe und vom Ausmass einer allfälligen Rückfallgefahr
ab (je höher die Strafe und je grösser die Gefahr neuer Delikte, desto länger wird die Probezeit angesetzt). Für die Dauer der Probezeit kann Bewährungshilfe angeordnet werden, was selten der Fall ist,
und es können Weisungen erteilt werden, z.B. betreffend Besuch eines Trainingsprogramms. Bewährt
sich die verurteilte Person bis zum Ablauf der Probezeit, wird die Strafe oder Teilstrafe nicht mehr
vollzogen, Art.45.
Im Falle der Nichtbewährung widerruft das Gericht die bedingte Strafe oder Teilstrafe und erklärt sie
als vollziehbar, Art.46. Meist geschieht das im Zusammenhang mit einer Verurteilung für neue Delikte.
Das Gericht bildet dann aus den beiden Strafen eine sog. Gesamtstrafe, die als Einheit vollzogen wird.
Falls es sich nur um einen leichten Rückfall handelt, kann das Gericht auch auf den Widerruf verzichten und die verurteilte Person verwarnen oder die Probezeit um maximal die Hälfte verlängern. Ein
Widerruf ist nicht nur als Folge eines Rückfalls möglich, sondern ausnahmsweise auch in Fällen, wo
sich die verurteilte Person der Bewährungshilfe entzieht, oder wo sie Weisungen missachtet, Art.95.
Teilbedingte Strafe, Art.43
Bei der teilbedingten Strafe wird nicht die ganze Strafe, sondern nur ein Teil zur Bewährung ausgesetzt. Das Gericht ordnet an, dass ein Teil, mindestens 6 Monate und höchstens die Hälfte, vollzogen
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werden muss, „um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen“. Der Rest, in der
Regel mehr als die Hälfte, wird nach den gleichen Regeln wie bei der voll bedingten Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Der teilbedingte Vollzug ist möglich bei Geld-, Arbeits- und Freiheitsstrafen von einem Jahr bis höchstens drei Jahren. Er ist zugeschnitten auf höhere Verurteilungen als der voll bedingte Vollzug, und somit auf Fälle, wo der Unterschied zwischen bedingter und unbedingter Strafe im
Einzelfall sehr gross ist (bei einer Strafe in der Grössenordnung von 1-2 Jahren ist z.B. für den Verurteilten die Frage, ob er „den Bedingten“ erhält, wichtiger als das genaue Strafmass). Im Gegensatz zur
Gewährung der voll bedingten Strafe spielt hier das Verschulden eine Rolle. Mit dem teilbedingten
Vollzug kann das Gericht der verurteilten Person einen Denkzettel verpassen und damit auch eine
spürbare Warnung vorsehen. Allerdings bleiben als Problematik die schädlichen Wirkungen, die tendenziell mit dem Vollzug kurzer Freiheitsstrafen verbunden sind.
Die Folgen betreffend Probezeit und Bewährung resp. Nichtbewährung sind die gleichen wie bei der
bedingten Strafe.
Bedingte Entlassung, Art.86ff.
Die bedingte Entlassung knüpft an den Vollzug unbedingter Strafen an, Art.86ff., oder auch an den
Vollzug von stationären Behandlungsmassnahmen, Art.62ff., resp. der regulären Verwahrung, Art.64a.
Die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug ist nach der Verbüssung von zwei Dritteln der ausgesprochenen Strafe und frühestens nach drei Monaten möglich. Sie wird in den meisten Fällen gewährt,
das Bundesgericht hat bestimmt, dass nur in begründeten Fällen die bedingte Entlassung verweigert
werden soll. Entscheidend für die Gewährung ist auch hier die günstige Prognose (wenn „nicht anzunehmen ist, er werde weitere Verbrechen oder Vergehen begehen“). Daneben wird verlangt, das Verhalten im Strafvollzug müsse die Entlassung rechtfertigen. Dieses Kriterium bedeutet nicht, dass die
„gute Führung“ ausschlaggebend ist, wie in den Medien immer wieder berichtet wird. Denn die gute
Führung im Sinne einer Überanpassung an die Strafanstalt wäre ein negatives Prognosekriterium:
Wer sich im Gefängnis zu sehr anpasst, bewährt sich nach der Entlassung schlechter. Umgekehrt
besteht der Zusammenhang nicht: wer sich widerspenstig oder völlig unangepasst verhält, hat nicht
bessere Bewährungschancen. Das Verhaltenskriterium in Art.86 heisst deshalb nur, dass ein ausgesprochen negatives Verhalten die bedingte Entlassung ausschliessen kann.
Für die bedingte Entlassung ist nicht das Gericht zuständig, sondern die Vollstreckungsbehörde (je
nach Kanton eine Abteilung der Justiz- oder Polizeidirektion). Ob ein Gefangener bedingt entlassen
werden kann, ist von Amtes wegen zu prüfen. Das bedeutet, die Prüfung ist auch vorzunehmen, wenn
der Gefangene kein Gesuch gestellt hat. Der Entscheid ist so frühzeitig vorzubereiten und zu fällen,
dass die bedingte Entlassung sorgfältig geplant und rechtzeitig durchgeführt werden kann. In seltenen
Ausnahmefällen kann auch nach der Hälfte der Strafverbüssung eine bedingte Entlassung bewilligt
werden, wenn ausserordentliche, in der Person des Gefangenen liegend Umstände dies rechtfertigen.
Diese können etwa darin liegen, dass ein Aidskranker nicht mehr lange zu leben hat, oder dass ein
Gefangener in der Katastrophenhilfe freiwillig Leben gerettet hat.
Auch bei der bedingten Entlassung wird eine Probezeit festgelegt. In der Regel entspricht sie dem
erlassenen Strafrest, sie beträgt jedoch mindestens 1 Jahr und höchstens 5 Jahre. Bewährungshilfe
ist hier die Regel. Weisungen können ebenfalls angeordnet werden. Die Folgen von Bewährung und
Nichtbewährung sind entsprechend wie bei der bedingten Strafe geregelt, Art.88 und 89.
Freiheitsentziehende und -beschränkende Massnahmen
Die Massnahmen, die das StGB in Art.56 ff. vorsieht, verfolgen das gleiche spezialpräventive Ziel
(Rückfallverhütung), unterscheiden sich aber grundsätzlich nach der Art, wie dieses Ziel angestrebt
wird. Bei den Verwahrungen wird ein gefährlicher Täter physisch daran gehindert, neue Straftaten zu
begehen, indem er auf unbestimmte Zeit, notfalls lebenslang, in einer geschlossenen Anstalt untergebracht wird. Bei den therapeutischen Massnahmen wird mit einer psychiatrischen, drogentherapeutischen oder sozialpädagogischen Einwirkung angestrebt, dem Verurteilten die Fähigkeit und die Motivation zu einer deliktfreien Lebensführung zu vermitteln. Neben der stationären Behandlung gibt es
die ambulante Behandlung, die ganz unterschiedlich ausgestaltet ist, je nachdem, ob sie in Freiheit
oder in der Strafanstalt durchgeführt wird. Eine Massnahme kann vom Gericht ausgesprochen werden, wenn eine erhebliche Rückfallgefahr bezüglich ernsthafter Delikte besteht, der mit einer Strafe
allein nicht genügend Rechnung getragen werden kann. Massnahmen können jederzeit, auch nachträglich, geändert werden. Die Änderung kann insbesondere bedeuten, dass eine strengere Mass-
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nahme angeordnet wird. Im Extrem könnte eine ambulante Behandlung, die erfolglos verläuft, später
in eine Verwahrung umgewandelt werden.
Stationäre Behandlung von psychischen Störungen, Art.59
Die stationäre Behandlung kann angeordnet werden, wenn ein Täter schwere psychische Störungen
aufweist (z.B. Persönlichkeitsstörungen, Schizophrenien, affektive Störungen, organisch bedingte
Störungen) und Straftaten begangen hat, die damit in Zusammenhang stehen. Eine Behandlung der
Störung muss möglich und erfolgversprechend sein, d.h. es muss eine Einrichtung zur Verfügung
stehen, die eine derartige Therapie durchführen kann. In diesen Fällen ist eine psychiatrische Begutachtung durchzuführen, die sich zur Diagnose, zur Zurechnungsfähigkeit, zur Gefährlichkeit und zu
den Behandlungs-Bedürfnissen und –Möglichkeiten äussert. Vollzogen werden sollte die Massnahme
eigentlich in Einrichtungen ausserhalb des Strafvollzugs, insbesondere in Psychiatrischen Kliniken, in
Forensischen Abteilungen (z.B. Rheinau, UPK Basel) oder in Massnahmen-Vollzugszentren (z.B.
St.Johannsen BE, Schachen SO, Bitzi SG). Vor allem im geschlossenen Bereich gibt es in der
Schweiz nicht genügend Behandlungsplätze. Art.59, Abs.3 lässt deshalb den Vollzug in Strafanstalten
zu, obwohl diese in der Vollzugswirklichkeit keine genügende Behandlung gewährleisten können. Die
Massnahme wird in diesem Fall zum Etikettenschwindel.
Die Dauer der Massnahme richtet sich unabhängig von der Höhe der Strafe nach dem Verlauf der
Behandlung. In den meisten Fällen ist eine mehrjährige Behandlung erforderlich. Die Höchstdauer
beträgt zunächst 5 Jahre, doch kann sie um jeweils höchstens 5 Jahre verlängert werden, wenn dadurch der Gefahr weiterer Straftaten begegnet werden kann.
Suchtbehandlung, Art.60
Unter analogen Voraussetzungen können Straftäter, die von Drogen oder Alkohol abhängig sind, zur
Behandlung in eine spezialisierte Einrichtung eingewiesen werden. Meistens handelt es sich um eine
Klinik oder therapeutische Gemeinschaft ausserhalb des Justizbereichs. Solche Einrichtungen (z.B.
Kirchlindach BE oder Forelklinik ZH für Alkoholiker, Terra Vecchia BE, Chratten SO oder Ulmenhof
ZH für Drogenabhängige) haben meist eine private Trägerschaft. Sie nehmen nicht nur strafrechtlich
verurteilte Patienten auf, sondern auch freiwillig eingetretene oder zivilrechtlich eingewiesene (FFE).
Die Dauer richtet sich nach dem Verlauf der Behandlung, doch arbeiten die Einrichtungen meistens
nach standardisierten Behandlungsprogrammen, so dass sich die Dauer hier eher abschätzen lässt
(häufig zwischen 6 und 18 Monaten). Vom Gesetz her dauert die Behandlung höchstens drei Jahre
mit einer Verlängerungsmöglichkeit um ein Jahr. Derart lange Vollzugsdauern kommen allerdings in
der Regel nur in Fällen vor, wo nach einer bedingten Entlassung eine Rückversetzung durchgeführt
werden musste.
Massnahme für junge Erwachsene, Art.61
Einrichtungen für junge Erwachsene (früher „Arbeitserziehungsanstalten“ genannt) nehmen junge
Täter bis 25 Altersjahre auf, die in ihrer Persönlichkeitsentwicklung erheblich gestört sind. Die Einrichtungen sollen ihnen in einem sozialpädagogisch oder sozialtherapeutisch orientierten Vollzug die Fähigkeit vermitteln, selbstverantwortlich und straffrei zu leben. Gleichzeitig soll ihre berufliche Aus- und
Weiterbildung gefördert werden. Die Einrichtung für junge Erwachsene knüpft inhaltlich an die Massnahmen des Jugendstrafrechts an und bietet für eine Altersgruppe, die nach Meinung des Gesetzgebers einer erzieherischen Beeinflussung noch zugänglich ist, eine Art Nacherziehung an. Die Einrichtungen werden getrennt vom Strafvollzug geführt (z.B. Arxhof BL, Uitikon ZH, Kalchrain TG). Sie verfügen über qualifizierte berufliche Ausbildungsmöglichkeiten und teilweise über spezielle therapeutische Angebote, z.B. für Gewalttäter oder Drogenabhängige. Der Freiheitsentzug kann höchstens 4
Jahre dauern, im Falle der Rückversetzung nach bedingter Entlassung höchstens 6 Jahre. In der Praxis erfolgt die bedingte Entlassung meist nach 2-3 Jahren.
Ambulante Behandlung, Art.63
An Stelle einer stationären kann das Gericht auch eine ambulante Behandlung anordnen, wenn diese
zur Vorbeugung vor weiterer Delinquenz genügt. Die ambulante Behandlung kommt in zwei völlig
unterschiedlichen Varianten vor, je nachdem, ob das Gericht den Vollzug der gleichzeitig ausgesprochenen Strafe aufschiebt oder nicht. Bei der ersten Variante handelt es sich um eine echte ambulante
Behandlung, die in Freiheit durchgeführt wird, meist in der Praxis eines frei praktizierenden Psychiaters oder Psychotherapeuten oder in einem Forensischen Dienst (z.B. UPK Basel). Bei der zweiten
Variante findet die „ambulante“ Behandlung während des Strafvollzugs in der Strafanstalt statt. Ambulant ist dort nur der Therapeut. Mit der Anordnung von ambulanter Therapie während des Strafvollzugs
versuchen die Gerichte, die Strafanstalten dazu anzuhalten, Therapien durchzuführen. Allerdings
vermag das, was in der Strafanstalt vom Anstalts-Psychologen angeboten werden kann, den weiter
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gehenden therapeutischen Bedürfnissen bei schweren Persönlichkeitsstörungen nicht zu genügen.
Die ambulante Behandlung kann bei beiden Varianten höchstens 5 Jahre dauern. Sie kann um jeweils
1-5 Jahre verlängert werden.
Verwahrung, Art.64
Verwahrung heisst Unterbringung in einer geschlossenen Strafanstalt über die Strafzeit hinaus, auf
unbestimmte Zeit, notfalls lebenslang. Als Voraussetzung muss der Täter ein ernsthaftes Verbrechen
begangen haben, „durch das er jemanden schwer geschädigt hat oder schädigen wollte“. Genannt
werden Mord, vorsätzliche Tötung, Schwere Körperverletzung, Vergewaltigung, Raub, Geiselnahme
und Brandstiftung, doch kommt auch jeder andere Straftatbestand in Frage, bei dem im Gesetz eine
theoretische Höchststrafe von 5 oder mehr Jahren angedroht ist. In der Praxis sind es vor allem die
genannten Delikte, die zu einer Verwahrung Anlass geben. Als zusätzliche Voraussetzung muss auf
Grund einer schweren psychischen Störung oder auf Grund der Umstände und Persönlichkeitsmerkmale ernsthaft zu erwarten sein, dass der Täter weitere schwere Straftaten begeht. Neu kann eine
Verwahrung nach Art.65, Abs.2, auch nachträglich angeordnet werden, wenn sich während des Vollzugs einer Strafe zeigt, dass die Voraussetzungen der Verwahrung gegeben sind (problematisch im
Hinblick auf das Prinzip der Rechtskraft des Urteils).
Die Verwahrung wird nach der Strafverbüssung vollzogen (kumulatives Prinzip). Bevor sie vollzogen
wird, muss geprüft werden, ob nicht eine stationäre Behandlung nach Art.59 möglich und erfolgversprechend ist. Das Ergebnis dieser Prüfung kann anders ausfallen als anlässlich der gerichtlichen
Prüfung, weil seither viel Zeit vergangen ist. Auch nach Antritt der Verwahrung ist alle zwei Jahre zu
prüfen, ob die Verwahrung durch eine Behandlung nach Art.59 ersetzt, oder ob der Verurteilte bedingt
entlassen werden kann. Damit trägt das Gesetz den Menschenrechten und der Erkenntnis Rechnung,
dass Prognosen über die Gefährlichkeit und das künftige Verhalten nur für eine begrenzte Zeit erstellt
werden können. Bei allen Gefährlichkeits-Beurteilungen im Zusammenhang mit Verwahrungs-Delikten
ist zudem eine unabhängige sachverständige Begutachtung durch eine interdisziplinäre Fachkommission durchzuführen. Solche Kommissionen wurden nach dem Mord am Zollikerberg eingeführt, wo ein
aus dem Strafvollzug beurlaubter Gefangener eine junge Frau 1993 brutal ermordet hatte. Damals
hatte sich gezeigt, dass die durch die Strafanstalt erstellten Gefährlichkeitsbeurteilungen ungenügend
waren.
Verwahrung nach BV 123a (auf Grund der sog. Verwahrungsinitiative)
Weil die Verwahrungsinitiative in der Volksabstimmung 2004 angenommen worden ist, enthält die
Bundesverfassung den folgenden Art. 123a:
«Wird ein Sexual- oder Gewaltstraftäter in den Gutachten, die für das Gerichtsurteil nötig sind, als
extrem gefährlich und nicht therapierbar eingestuft, ist er wegen des hohen Rückfallrisikos bis an sein
Lebensende zu verwahren. Frühzeitige Entlassung und Hafturlaub sind ausgeschlossen.»
Eine neue Beurteilung wäre nach Abs.2 nur beim Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse
möglich.
Diese Bestimmung wäre theoretisch direkt anwendbar, doch denkt in der Praxis niemand daran, sie
anzuwenden, so lange sie im Strafgesetzbuch nicht konkretisiert ist. Die Umsetzung bestände darin,
dass sie als zusätzliche, verschärfte Variante der Verwahrung nach Art. 64 StGB eingefügt würde. Die
gesetzliche Regelung bietet deshalb grosse Schwierigkeiten, weil der Ausschluss einer NeuÜberprüfung gegen die Praxis des Europäischen Gerichtshofs zu Art.5, Abs.4 EMRK verstösst und
deshalb menschenrechtswidrig ist. Der Bundesrat hat aus diesem Grund eine Regelung vorgeschlagen, die eine Neubeurteilung im Einzelfall zuliesse. Damit würde wohl den Menschenrechten, nicht
aber dem Wortlaut der Initiative Rechnung getragen. Die Rechtskommission des Nationalrats beantragt, von einer gesetzlichen Umsetzung ganz abzusehen. Es wird erwartet, dass die eidgenössischen
Räte diesem Vorschlag folgen werden. Damit bliebe die Verfassungsbestimmung toter Buchstabe.
Strafvollzug
Nachdem das Gericht eine Strafe ausgesprochen hat, muss diese vollstreckt, d.h. durchgeführt werden. Handelt es sich um eine Freiheitsstrafe, muss die Zeit der Verbüssung geregelt, die Anstalt ausgewählt und beauftragt, die Finanzierung geregelt und dafür gesorgt werden, dass die verurteilte Person die Strafe antritt. Diese Aufgabe und die folgende Betreuung des Vollzugs wird auch als Vollstreckung bezeichnet (das Gesetz hält sich allerdings nicht an diese Terminologie). Mit dem Einweisungsentscheid ist die verurteilte Person aber erst in einer Anstalt untergebracht. Was dort mit ihr geschieht,
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richtet sich nach Zielen und Grundsätzen. Die Zeit des Freiheitsentzugs muss inhaltlich gefüllt werden.
Diese konkrete Umsetzung und Ausgestaltung der Freiheitsstrafe bezeichnen wir als Strafvollzug (im
engern Sinne).
Vollzugsziel und Vollzugsgrundsätze
Achtung der Menschenwürde, Art.74
Die Freiheitsstrafe wird zwar nach Vergeltungsprinzip zeitlich festgelegt. Doch erschöpft sie sich im
Freiheitsentzug, es ist nicht zulässig, in der Vollzugsgestaltung vergeltende Elemente zusätzlich zum
Tragen zu bringen, etwa durch ein schikanöses oder besonders hartes Regime. Die Rechte von Gefangenen dürfen nach Art.74 nur soweit eingeschränkt werden, als der Freiheitsentzug und das Zusammenleben in der Anstalt es erfordern. Diese Forderung ergibt sich aus der Menschenwürde, die
auch im Strafvollzug zu achten ist. Mit der Menschenwürde werden die Menschrechte garantiert, die
zu wahren sich die Schweiz verpflichtet hat. Die Menschenwürde ist schon nach Art.7 der Bundesverfassung das für alle Grundrechte wegleitende Prinzip.
Das Sozialisierungsziel, Art.75
Der Begriff „Sozialisierung“ kommt im Gesetz nur im Zusammenhang mit „Sozialisierungsbemühungen“ (Art.75,Abs,4) vor, doch ist es üblich, die auf Wiedereingliederung und Straffreiheit ausgerichtete
Zielsetzung zusammenfassend als „Sozialisierung“ oder „Resozialisierung“ zu bezeichnen. Art.75 gibt
dem Strafvollzug den Auftrag, „das soziale Verhalten der Gefangenen zu fördern, insbesondere die
Fähigkeit, straffrei zu leben“. Die Förderung des sozialen Verhaltens kann nicht bedeuten, dass von
der Strafanstalt erwartet wird, schwarze Schafe in fromme Lämmer zu verwandeln. Doch soll der
Vollzug Anreize schaffen und Angebote bereitstellen, die es den Gefangenen ermöglichen, neue soziale Kompetenzen zu erwerben, Chancen zu verbessern, ein tragfähiges Beziehungsnetz zu erarbeiten. Gefangene sollen dazu angehalten werden, sich mit der Tat und mit den Gründen auseinander zu
setzen, warum sie straffällig geworden sind. Die Anstalt kann eine Verhaltensänderung nicht erzwingen, aber sie kann Gefangene, die dazu motiviert sind, unterstützen und die dazu erforderlichen Fähigkeiten fördern. Das Hauptziel der Rückfallverhütung wird ergänzt durch die weitern in Art.75 genannten Zwecke:
• Der Strafvollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit als möglich entsprechen
(Normalisierungs-, Angleichungs- oder Äquivalenzgrundsatz): Eine künstliche, von den Lebensbedingungen in der Freiheit abweichende Anstaltswelt soll vermieden werden, weil sie
dem Gefangenen keine für die Freiheit tauglichen Lebenstechniken, sondern bloss untaugliche Überlebenstechniken vermittelt.
• Der Strafvollzug soll die Betreuung der Gefangenen gewährleisten (Betreuungsgrundsatz,
Fürsorgepflicht): dieser Grundsatz knüpft an die Abhängigkeit des Gefangenen und an die
Tatsache an, dass er in seiner Selbstverantwortung eingeschränkt ist. Der Staat, der ihm die
Freiheit entzieht, übernimmt damit eine erhöhte Verantwortung und eine besondere Fürsorgepflicht.
• Der Strafvollzug soll schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs entgegenwirken (Entgegenwirkungs- oder Gegensteuerungsgrundsatz, harm reduction): Aus der Erkenntnis heraus, dass
Freiheitsentzug tendenziell negative Wirkungen hat, soll alles unternommen werden, um diese
zu minimieren. Passivität, Isolation und Monotonie sind zu vermeiden. Statt dessen sind Aktivität, Selbstverantwortung und Kontakte zur Aussenwelt zu fördern.
• Der Strafvollzug soll dem Schutz der Allgemeinheit, des Vollzugspersonals und der Mitgefangenen Rechnung tragen (Sicherheitsgrundsatz, Schutzprinzip). Dieser Grundsatz bezieht sich
auf das Verhindern von Entweichungen und auf den Schutz vor Übergriffen und Gewalttaten
innerhalb der Anstalt.
Vollzugswirklichkeit
Statistik
Die Schweiz weist mit 82 eine relativ niedere Gefangenenrate auf. Darunter versteht man die Zahl der
Personen, die unter irgend einem Titel inhaftiert sind, im Verhältnis zu 100'000 Personen der Gesamtbevölkerung. Zum Vergleich die Raten anderer Länder: Deutschland 96, Frankreich 85, Italien 95,
Österreich 85, England 139, Polen 213, Russland 638, USA 686.
An einem Stichtag sind in der Schweiz ca. 6'000 Personen inhaftiert, 51% (ca. 3'000 Personen) davon
sind rechtskräftig verurteilt. Die andern sind in Untersuchungshaft, im vorzeitigen Strafvollzug, in Polizeihaft, in Ausschaffungshaft oder in Fürsorgerischer Freiheitsentziehung. Der Ausländeranteil ist in
den strafrechtlichen Einrichtungen hoch, er beträgt insgesamt 62%. In den geschlossenen Strafanstal-
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ten beträgt er 80-90%, in den offenen entsprechend weniger. Die hohen Ausländeranteile sind nicht
auf eine höhere Delinquenzbelastung der ausländischen Wohnbevölkerung zurückzuführen. Hohe
Anteile weisen dagegen Asylsuchende und Kriminaltouristen auf.
Schweizerische Strafanstalten sind kleine Einrichtungen. Selbst die 6 für unsere Begriffe grösseren
Anstalten mit 150-350 Plätzen sind im internationalen Vergleich Kleinanstalten. Die meisten Anstalten
weisen 50-120 Plätze auf. Die Kleinheit ist im Hinblick auf die Vollzugsziele vorteilhaft. Sie hat weniger
Bürokratie, Uniformierung und Gleichschaltung zur Folge.
Anstaltstypen
Kurze Strafen werden, soweit sie ausnahmsweise im geschlossenen Rahmen durchgeführt werden, in
Untersuchungsgefängnissen vollzogen. Dagegen findet der Vollzug von längeren Strafen in Strafanstalten statt. Die Schweiz kennt 2 Arten: offene und geschlossene Strafanstalten. Es gibt keine
Hochsicherheitsanstalt (maximum security prison), doch weisen verschiedene geschlossene Einrichtungen Abteilungen mit erhöhter Sicherheit auf.
Eine offene (nach internationalen Standards eigentlich halb-offene) Strafanstalt verfügt über keine
Aussensicherung, die das Entweichen verhindern könnte (deshalb „offen“). Dennoch werden die Gefangenen nachts und am Wochenende in Zellen eingeschlossen (deshalb nur „halb-offen“). Die Anstalten verfügen meist über einen grossen Landwirtschaftsbetrieb. Die Einweisung in die offene Anstalt erfolgt nicht nach Delikten und nicht nach der Höhe der Strafe, sondern nach Flucht- oder Rückfallgefahr. Gefangene, die weder flucht- noch rückfallgefährdet sind, werden von Anfang an in die
offene Einrichtung eingewiesen, auch wenn sie schwerste Straftaten, z.B. Tötungsdelikte, begangen
haben. Andere Gefangene, die zunächst einen grösseren Teil der Strafe in der geschlossenen Anstalt
verbüsst haben, können für die letzte Zeit vor der Entlassung in einer offenen Anstalt untergebracht
werden, sofern sie nicht mehr flucht- oder rückfallgefährdet sind.
Für Gefangene, die in der letzten Stufe vor der Entlassung an einem externen Arbeitsort beschäftigt
sind oder zu Haus Kinder betreuen (Arbeitsexternat), gibt es Übergangsheime (international: half
way house) mit Heimcharakter. Sie können zu einer Anstalt gehören, selbständig staatlich organisiert
sein oder eine private Trägerschaft haben. Strafen bis zu einem Jahr werden in der Regel in Form von
Halbgefangenschaft vollzogen, Art.77b und 79. Das bedeutet, dass die Verurteilten während des
Tages ihrer gewohnten Arbeit oder ihrem Studium nachgehen und nur die Nacht sowie das Wochenende in einer Einrichtung verbringen. In einigen Kantonen gibt es dafür besondere Einrichtungen mit
Heimcharakter, in andern wird die Halbgefangenschaft im Untersuchungsgefängnis vollstreckt (was
wegen der Kosten und der schädlichen Wirkungen nicht besonders sinnvoll ist). Soweit kurze Freiheitsstrafen weder durch andere Strafen ersetzt noch in Halbgefangenschaft vollstreckt werden können, müssen sie im Untersuchungsgefängnis (je nach Kanton Amts-, Bezirksgefängnis o.ä.) verbüsst
werden.
Regime in der Strafanstalt
Frauen, die im Strafvollzug nur etwa 5% ausmachen, werden in separaten Anstalten untergebracht (in
der deutschen Schweiz in Hindelbank BE). Sonst aber wird in den schweizerischen Strafanstalten
überwiegend Einheitsvollzug praktiziert. Das bedeutet, die Gefangenen unterliegen innerhalb der Anstalt dem gleichen Regime. Sie werden nicht nach Strafdauer, nach Deliktsart oder Betreuungsbedürfnissen gesondert untergebracht und behandelt. Ausnahmen bestehen in einigen Anstalten, wo einzelne Abteilungen für Gefangene mit besondern Merkmalen geführt werden (z.B. Gefangene, die freiwillig auf Drogen verzichten wollen, Gefangene, die ein Behandlungsprogramm durchlaufen, oder solche, die einer besonderen Betreuung bedürfen). Die Gefangenen arbeiten während des Tage gruppenweise in Werkstätten, im Gartenbau oder in der Landwirtschaft, sie nehmen gemeinsam die Mahlzeiten ein und können auch einen Teil der Freizeit in einer Abteilung gemeinsam verbringen. In der
restlichen Zeit sind sie eingeschlossen, mehrheitlich in Einzelzellen.
Strafgefangene sind zur Arbeit verpflichtet. Bei den angebotenen Arbeiten handelt es sich oft um einfache Tätigkeiten, doch verglichen mit andern Ländern ist das Niveau relativ hoch. Die Arbeitsbetriebe
werden von den Anstalten in eigener Regie geführt. Eine besondere Rolle spielt die Landwirtschaft.
Die Beschäftigung in der Landwirtschaft hat entscheidend dazu beigetragen, dass es auch in Krisenzeiten, wo es für die Anstalten schwer war, Arbeitsaufträge zu bekommen, meistens gelungen ist,
Vollbeschäftigung aufrechtzuerhalten. Den Gefangenen wird für die Arbeit eine Belohnung ausbezahlt
(sog. Pekulium). Diese beträgt je nach Arbeit und Leistung meistens zwischen 20 und 30 Franken pro
Tag. Im internationalen Vergleich sind das recht hohe Ansätze.
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Eine erhebliche Bedeutung hat das Drogenproblem. Der Anteil von Drogen konsumierenden Insassen
beträgt je nach Anstalt zwischen 20 und 50 %. Wie überall sind Drogen auch in der Strafanstalt erhältlich. Erst mit Verspätung und unter dem Druck der HIV-Problematik haben sich die in der Aussenwelt
im Interesse der harm reduction praktizierten Präventions- und Behandlungsmassnahmen auch im
Strafvollzug durchgesetzt. Sterile Spritzen werden allerdings noch nicht an allen Orten zur Verfügung
gestellt. In den meisten Anstalten kann heute ärztlich verschrieben Methadon abgegeben werden.
Zwei Anstalten (Schöngrün SO und Realta GR) praktizieren zudem die ärztliche Heroinverschreibung.
Vollzugsablauf
Der Strafvollzug ist progressiv ausgestaltet. Gefangene, die eine längere Strafe zu verbüssen haben,
befinden sich vorher meistens in Untersuchungshaft. Sie werden dort in der Regel ganztags in Einzelhaft untergebracht (Ausnahmen: Waaghof BS, Grosshof LU). Gefangene, die bis zur Gerichtsverhandlung in Haft bleiben müssen, können beantragen, schon vorher in die Strafanstalt zu wechseln und
damit den Strafvollzug vorzeitig anzutreten, Art.75,Abs.2. Das ist rechtsstaatlich nicht unbedenklich,
weil Personen in der Strafanstalt untergebracht werden, die nicht rechtskräftig verurteilt sind, dient
aber den Interessen der Verhafteten, weil damit die schädliche Isolation vermieden wird. Mit dem Eintritt in die Strafanstalt beginnt der sog. Normalvollzug, Art.77. Es wird ein Vollzugsplan erstellt, der
über die Einzelheiten der Vollzugsgestaltung und insbesondere über den geplanten Verlauf informiert.
Auch im Normalvollzug gibt es progressive Elemente, indem z.B. Urlaube, Vertrauensposten oder
bevorzugte Unterbringungen erst nach einiger Zeit bewilligt werden.
Wenn der Gefangene mindestens die Hälfte verbüsst hat, kann er von der geschlossenen in eine
halboffene Anstalt verlegt werden. Auf Antrag kann ihm das Arbeitsexternat bewilligt werden, das in
der Regel im Übergangsheim durchgeführt wird. Wenn er sich im Arbeitsexternat bewährt hat, kann
das Wohn- und Arbeitexternat bewilligt werden. Die verurteilte Person wohnt dann zu Hause, untersteht aber immer noch dem Strafvollzug. In Zukunft dürfte bei dieser Vollzugsform Electronic Monitoring zur Anwendung kommen (sog. back door-Variante). Die bedingte Entlassung wird als letzte Stufe
des progressiven Strafvollzugs verstanden. Dem entspricht, dass die Probezeit in der Regel identisch
mit dem bedingt erlassenen Strafrest ist (mit einer Untergrenze von einem Jahr und einer Obergrenze
von 5 Jahren). Bei der bedingten Entlassung wird in der Regel Bewährungshilfe angeordnet.
Rückfallziffern
Die letzte vom Bundesamt für Statistik durchgeführte Evaluation hat folgende Wiedereinweisungsraten
ergeben: Insgesamt wurden nach der Entlassung aus irgend einer Anstalt 31,4 % innert 6 Jahren erneut in eine strafrechtliche Einrichtung eingewiesen. Dieser Wert schliesst allerdings auch die Entlassungen aus Untersuchungsgefängnissen ein, für die das Resozialisierungsziel nicht gilt. Wenn wir die
Wiedereinweisungsraten auf die Strafanstalten einschränken, ergeben sich folgende Werte: Nach der
Entlassung aus einer halboffenen Strafanstalt wurden 39,4% innert 6 Jahren erneut in eine Anstalt
eingewiesen, nach der Entlassung aus einer geschlossenen Anstalt waren es 53,4%. Wiedereinweisungsraten von 40-50% sind nicht berauschend, aber doch besser als die Vergleichswerte aus Zeiten,
in denen Resozialisierung weniger ernst genommen wurde. Vor allem sind sie deutlich positiver, als es
den Unterstellungen radikaler Vollzugskritiker entspricht. In deren Darstellungen finden sich immer
wieder behauptete Rückfallziffern von 70-80%.
Die realen Rückfallzahlen verdeutlichen, dass die Strafanstalt nicht einfach die Schule des Verbrechens ist, wo der Rückfall praktisch vorprogrammiert ist. Darauf verweist auch die qualitative Rückfalluntersuchung von Besozzi. Dieser hat 600 Gefangene, die zum ersten Mal eine Freiheitsstrafe verbüssten, vor ihrer Entlassung befragt. Mit 120 Rückfälligen führte er nach der erneuten Einweisung ein
zweites Interview durch. Die Auswertung zeigt, dass die Bewährung einerseits von der Motivation der
Gefangenen und von ihrer Bereitschaft, etwas zu verändern, abhängt, andererseits aber auch von den
Anstössen und Anreizen, welche die Anstalt in diese Richtung vermitteln kann.
Organisation des Strafvollzugs
Laut Art.123, Abs.2 der Bundesverfassung sind die Kantone für den Straf- und Massnahmenvollzug
zuständig. Dementsprechend verpflichtet das StGB die Kantone in Art.374 zum Vollzug der von ihren
Gerichten ausgefällten Urteile und in Art.382 zur Bereitstellung der erforderlichen Anstalten. Allerdings
würde es selbst die grossen, aber erst recht die kleinen Kantone überfordern, wenn sie alle erforderlichen Anstalten führen müssten, wegen der Geschlechtertrennung sogar doppelt. Deshalb sieht Art.
382,Abs.2 vor, dass die Kantone über die gemeinsame Errichtung von Anstalten Vereinbarungen treffen können. Diesen Weg haben 2 Kantone in einem einzigen Fall eingeschlagen: Zug und Basel-Stadt
haben zusammen die geschlossene Strafanstalt Bostadel in Menzingen ZG gebaut und betreiben sie
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als interkantonale Anstalt gemeinsam. Alle andern Anstalten werden vom jeweiligen Standortskanton
allein geführt, sie stehen aber auch andern Kantonen zur Verfügung.
Alle Kantone haben sich in Staatsverträgen zu drei etwa gleich grossen Vollzugsregionen zusammengeschlossen. Solche Staatsverträge heissen in der Schweiz Konkordate. Die Konkordatsgebiete umfassen die Ostschweiz, die Nordwest- und Innerschweiz sowie Westschweiz und Tessin. Dem geografisch in der Mitte gelegenen Nordwest- und Innerschweizer-Konkordat gehören die Kantone Bern,
beide Basel, Solothurn, Aargau, Luzern, Zug, Uri, Schwyz und beide Unterwalden an. Alle Kantone
östlich dieses Gebiets gehören zum Ostschweizer Konkordat, alle westlich und der Tessin zum Westschweizer Konkordat.
Die Strafvollzugskonkordate nehmen unter den angeschlossenen Kantonen eine Aufgabenteilung vor,
indem jeder Kanton die Aufgabe übernimmt, mindestens einen bestimmten Anstalttyp zu führen und
diese Anstalt den andern Kantonen zur Verfügung zu stellen. Auf der andern Seite haben alle Kantone
das Recht, die Anstalten der andern mit zu benutzen. Deshalb können Verurteilte für den Vollzug einer Strafe oder Massnahme im ganzen Konkordatsgebiet in eine entsprechende Anstalt eingewiesen
werden. Die meisten längern Freiheitsstrafen und freiheitsentziehenden Massnahmen werden nicht im
Kanton vollzogen, der das Urteil erlassen hat.
Mit der Überstellung von Gefangenen ist aber keine Abtretung der Vollstreckungskompetenz verbunden. Zuständiger Kanton bleibt der Urteilskanton. Er entscheidet insbesondere über eine allfällige
Verlegung in eine andere Einrichtung und über die bedingte Entlassung. Der Urteilskanton hat dem
Anstaltskanton eine festgelegtes Taggeld zu bezahlen (zwischen 200 und 500 Franken pro Tag, je
nach Art des Vollzugs), man nennt das Pensionärssystem. Neben der Zusammenarbeit in der Anstaltskoordination nehmen die Konkordate Planungsaufgaben wahr. Zudem erlassen sie Richtlinien
für die Vollzugsgestaltung, z.B. zu Fragen wie Höhe der Pekulien, Urlaubsgewährung, Umgang mit
gefährlichen Gefangenen. Die Richtlinien sind zwar nur Empfehlungen, sie werden aber vielerorts wie
gesetzliche Regeln angewendet. Sie haben eine Vereinheitlichung der Vollzugspraxis bewirkt, doch
gibt es immer noch erhebliche Unterschiede.
ANSTALTEN DES STRAF- UND
MASSNAHMENVOLLZUGS FÜR ERWACHSENE IN DER SCHWEIZ
KONKORDATE
(119 Einrichtungen inkl Auschaffungshaft)
OSTSCHWEIZ
Vollzugsart
Gesetzliche
Grundlagen
Untersuchungshaft
Ersatzfreiheitsstrafe
StPO
Halbgefangenschaft
StGB 77b
StGB 79
Strafanstalten
20 Anstalten beherbergen ca.
55% aller Gefangenen
Ungefährliche Gefangene und Progressionsstufe vor
der Entlassung
WESTSCHWEIZ / TESSIN
Kantonale Gefängnisse (Amts-, Bezirks- oder Untersuchungsgefängnis)
an den Gerichtsorten, unterstehen nicht den Konkordaten.
Ca. 80 Einrichtungen beherbergen ca. 30% aller Gefangenen
Z.T. Gefängnisse, z.T. besondere Einrichtungen ohne Gefängnis-Charakter
(Bsp. Klosterfiechten BS)
Gemischte Anstalt
(Halb-)Offene Strafanstalt
NORDWEST-/ INNERSCHWEIZ
(Kantone AG, BE, BL,
BS, LU, NW, OW, SO,
SZ, UR, ZG)
Grosshof LU
Lugano-Stampa TI
Geplant :Schachen SO
StGB 76
Saxeriet SG
Gmünden AR
Realta GR
Schöngrün SO
Wauwilermoos LU
Witzwil BE
Bellechasse FR
Gorgier NE
Crêtelongue VS
Lugano-Stampa TI
(besondere Abteilung)
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Geschlossene Strafanstalt
StGB 76
Pöschwies ZH
Sennhof GR
Schaffhausen SH
StGB 77a
Verschiedene kleine Einrichtungen, z.T. anstaltsabhängig (Bsp. Ringwil ZH),
z.T. staatlich/anstalts-unabhängig (Bsp. Klosterfiechten BS), z.T. privat (Bsp.
Burgdorf BE)
Einrichtung für junge Erwachsene
StGB 61
Kalchrain TG
Uitikon ZH
Arxhof BL
Pramont VS
Stationäre Behandlung : Alle
Arten von Anstalten, Heimen und
Psychiatrischen Kliniken kommen
neben den folgenden spezialisierten Einrichtungen in Betracht
Behandlung von Süchtigen:
StGB 59
Rheinau ZH
Therapieabteilung in
Pöschwies ZH
Bitzi SG
St.Johannsen BE
Schachen SO
UPK Basel
La Pâquerette GE
In Planung: Curabilis GE
StGB 60
In der Regel spezialisierte, justiz-unabhängige Einrichtungen, klinik- oder
WG-artig, auch für andere Patienten vorgesehen
Flucht- oder Rückfallgefährdete Strafgefangene, Verwahrte
Arbeitsexternat im (offenen)
Übergangsheim: fakultative Stufe
vor der Entlassung
Verwahrung
Straf- und Massnahmenvollzug an
Frauen
StGB 64
BV 123a
Bostadel ZG/BS
Lenzburg AG
Thorberg BE
Plaine de l’Orbe
(Bochuz) VD
Lugano-Stampa TI
(besondere Abteilung)
Ausnahmsweise Abteilungen innerhalb des Vollzugs:
Pöschwies
Realta GR
St.Johannsen BE
Le Tram GE
Geschlossene Strafanstalt, vor einer allfälligen Entlassung Unterbringung in
einer Behandlungseinrichtung (s.o) oder in einer offenen Einrichtung
Für die deutsche Schweiz werden in Hindelbank BE alle Arten von Freiheits-entzügen
(ausser UH, Kurzstrafen und stationären
Behandlungen) vollzogen
Lonay VD
Lugano-Stampa TI
(besondere Abteillung)
Gesetzliche Regelung
Das StGB enthält in den Art. 74 bis 92 eine minimale Rahmenregelung. Geregelt sind insbesondere
die Vollzugsformen (Halbgefangenschaft, offener/geschlossener Vollzug,) der progressive Vollzugsverlauf einschliesslich bedingte Entlassung, Arbeit und Arbeitsentgelt, Aus- und Weiterbildung, Beziehungen zur Aussenwelt, Kontrollen und Untersuchungen und die Disziplinarsanktionen. Für die Regelung im Einzelnen sind gestützt auf BV 123, Abs.2 die Kantone zuständig. Da das Bundesrecht rudimentär ist und die Konkordatsrichtlinien nur Empfehlungscharakter haben, sollten die Kantone in Gesetzen regeln, wie der Vollzug im Détail durchzuführen ist, wie die im Bundesrecht festgelegten Ziele
konkret umzusetzen sind, welche Rechte und Pflichten die Gefangenen haben und wie das Disziplinarrecht ausgestaltet ist. In Wirklichkeit finden sich diese Bestimmungen in den meisten Kantonen nur
in Verordnungen, nicht in Gesetzen im formellen Sinn. Das ist darauf zurückzuführen, dass das Bundesgericht in 99 Ia 269 eine Regelung auf Verordnungsstufe zugelassen hat.
Immerhin hat das Bundesgericht in jenem Entscheid und in einigen seither ergangenen (vor allem
BGE 106 Ia 282 und 123 I 221) festgehalten, dass die mit der Untersuchungshaft und dem Straf- und
Massnahmenvollzug verbundenen Freiheitsbeschränkungen durch einen generellen Erlass zu regeln
seien. Ein solcher Erlass müsse durch eine klare Fassung und eine ausreichende Regelungsdichte
eine erhöhte Gewähr für die Vermeidung verfassungswidriger Anordnungen bieten. Damit gab das
Bundesgericht die frühere Rechtsprechung auf, wonach Beschränkungen im Rahmen von besondern
Gewaltverhältnissen nicht dem Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Das „besondere
Gewalt- oder Rechtsverhältnis“ war nach jener älteren Lehre ähnlich wie die Polizeiklausel im Polizeirecht ein Freiraum gewesen, wo der sonst geltende Gesetzesvorbehalt nicht anwendbar war.
Trotz der Forderung nach einem generellen Erlass verlangt das Bundesgericht nicht, dass jede denkbare Beschränkung der Freiheit, die mit einem Gefängnisaufenthalt verbunden sein kann, rechtlich
erfasst sein müsse. Gewisse Generalklausel seien unvermeidlich, da nicht alle im Einzelfall bestehenden Probleme voraussehbar seien. Das heisst im Ergebnis, dass das besondere Rechtsverhältnis
(ebenso wie die Polizeiklausel) als Ersatz für eine gesetzliche Grundlage subsidiär anwendbar bleiben, wenn es sich um nicht vorhersehbare, aber vom Zweck her notwendige Eingriffe handelt.
Materiell dürfen die Beschränkungen verfassungsmässiger Rechte nicht weiter gehen, als der Zweck
des jeweiligen Freiheitsentzugs und die für das geordnete Zusammenleben in der Anstalt sowie für die
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Sicherheit unerlässlichen Regeln es erfordern. Alle Beschränkungen müssen dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit genügen.
Soweit die Kantone Gesetze im formellen Sinn erlassen haben, erschöpfen sich diese in der Regel in
Organisations- und Zuständigkeitsnormen. Die vom Bundesgericht geforderten inhaltlichen Normen
finden sich dagegen in Verordnungen und Reglementen, das heisst in Erlassen von untergesetzlichem Rang. Das ist umso bedenklicher, als es sich beim Freiheitsentzug um eine der stärksten
Grundrechtsbeschränkungen handelt, die unser Recht kennt. Zudem erschwert die kantonale Zersplitterung die Orientierung und Fortentwicklung. Die rechtliche Durchdringung des Vollzugs ist auf der
gesetzlichen Ebene noch nicht genügend verwirlicht.
Bewährungshilfe und ambulante Programme
„Mit der Bewährungshilfe sollen die betreuten Personen vor Rückfällen bewahrt und sozial integriert
werden. Die für die Bewährungshilfe zuständige Behörde leistet und vermittelt die hierfür erforderliche
Sozial- und Sachhilfe“, Art.93. Bewährungshilfe ist Sozialarbeit mit straffällig gewordenen Personen.
Sie hat ein doppeltes Mandat, indem sie sowohl den Interessen der betreuten Personen als auch dem
präventiven Auftrag der Gesellschaft verpflichtet ist. In ihrer Geschichte ist sie immer wieder zwischen
den beiden Polen hin und her geschwankt. Sie ist im 19.Jahrhundert entstanden aus privatem, karitativem Engagement von philanthropischen, meist christlichen Vereinen. Im 20.Jahrhundert übernahm
der Staat die Aufgabe. Mit dem 1942 in Kraft getretenen Strafgesetzbuch wurde die Straffälligenhilfe
zur „Schutzaufsicht“. Sowohl in ihrem Selbstverständnis als auch in der Praxis wurde sie zum verlängerten Arm der Strafjustiz. Mit der seit den 70er-Jahren erfolgten Professionalisierung setzte sich ein
neues Konzept durch. Die Bewährungshilfe, wie sie sich zunehmend selbst nannte, baute ganz auf
freiwillige Einzelbetreuung. Damit verlor sie viele Klienten, die ihre Dienste nicht mehr in Anspruch
nahmen. Erst seit den 90er-Jahren setzt sich ein neues Verständnis durch. Die Bewährungshilfe ist
heute ein ambulanter Vollzugsdienst. Einzelbetreuung ist nach wie vor ein wichtiges Angebot, zudem
werden aber auch Trainingsprogramme, Mediation, Wiedergutmachungsprojekte, Wohnprogramme,
gemeinnützige Arbeit oder Kontrolle beim elektronisch gesicherten Hausarrest durchgeführt.
Mit Ausnahme von 5 kleinern Kantonen, welche die Bewährungshilfe an private Organisationen delegiert haben, werden die Aufgaben von öffentlich-rechtlichen Diensten wahrgenommen, die in der Regel in die Justiz- oder Polizei-Direktion eingegliedert sind. Grosse Kantone beschäftigen bis zu 50
Sozialtätige, wobei die Dienstleistungen in regionalen Filialen erbracht wird. Insgesamt arbeiten rund
300 Berufsleute in der Bewährungshilfe. Einige Kantone setzen für die individuelle Betreuung zudem
freiwillig Mitarbeitende ein, die durch Fachleute vorbereitet und begleitet werden, in Bern z.B. werden
über 300 Betreuungen auf diese Weise geführt. Trotz des in den letzten Jahren erfolgten Ausbaus
sind die präventiven Chancen der ambulanten Straffälligenarbeit noch lange nicht ausgeschöpft.
Bewährungshilfe als individuelle Betreuung wird in der Praxis vor allem im Zusammenhang mit der
bedingten Entlassung angeordnet, insgesamt in rund 1’200 Fällen pro Jahr. Sie ist bei der bedingten
Entlassung die Regel, im Rahmen der bedingten Strafe dagegen die Ausnahme (ca. 300 Anordnungen pro Jahr auf 40'000 Urteile mit bedingter Strafe). Die individuelle Betreuung leistet Sach- und Integrationshilfe, unterstützt die betreute Person auf Grund der gemeinsam festgelegten Betreuungsziele, strebt Vernetzung an, interveniert bei Krisen, überwacht Weisungen. Eine besondere Bedeutung
hat die Schuldenregulierung, weil die meisten Strafentlassenen mit Überschuldungssituationen
konfrontiert sind. Im Sinne der durchgehenden Betreuung wird mit Personen, die nach einer
Inhaftierung betreut werden sollen, frühzeitig Kontakt aufgenommen, im Ideal schon in der
Untersuchungshaft. Damit wird angestrebt, dass im Moment der Entlassung bereits ein Arbeitsbündnis
besteht.
Neue Programme und Arbeitsformen
Unter gemeinschaftsbezogenen Sanktionen werden ambulante Strafen oder Massnahmen verstanden, die den Täter in Freiheit belassen, aber seine Freiheit beschränken, durch Auflagen, Verpflichtungen und Bedingungen. Dazu gehören alternative Strafformen wie das Electronic Monitoring, aber
auch besondere Programme, die in Form von Weisungen angeordnet werden können. In Zürich, aber
auch an andern Orten, werden sozialpädagogische Lernprogramme durchgeführt. Solche Programme
können an bestimmte Delikte anknüpfen, so etwa Kurse für Gewalttäter (z.B. das Coolness- oder AntiAggressivitätstraining), Kurse gegen häusliche Gewalt (z.B. das in beiden Basel angeordnete Trainingsprogramm für gewaltausübende Männer), Trainings für risikobereite Verkehrsteilnehmer, Trainings für alkoholauffällige Verkehrsteilnehmer (beide z.B. in Zürich). Soziale Trainingsprogramme
knüpfen an die Strafverbüssung an und verbessern praktische und soziale Fertigkeiten. Sie beginnen
15
vor der Entlassung noch im Strafvollzug und werden dann in Freiheit weitergeführt. Ein neues Arbeitsfeld sind auch Wohnprogramme. Es gibt Straftäter, die Delikte begehen, wenn sie allein und unkontrolliert leben, nicht aber, wenn sie gut betreut und beaufsichtigt sind. Sie brauchen keine geschlossene
Anstalt, wohl aber eine betreute Wohnform.
Um Bedürfnisse und Risiken besser einschätzen zu können, werden neuerdings wissenschaftlich
abgestützte diagnostische Instrumente eingesetzt (sog. risk-assessment). In all diesen neuen Arbeitsformen wandelt sich das Gesicht der Bewährungshilfe von der nacheilenden, reaktiv tätigen Einzelhilfe
zu einer proaktiv handelnden Fachagentur im Dienst gemeinschaftsbezogener Kriminalprävention.
Peter Aebersold 2007
Rechtsstellung von Gefangenen
Information
Das Bundesamt für Justiz bietet auf seiner Internetseite einen Wegweiser zu den BundesgerichtsEntscheiden betreffend Freiheitsentzug an:
www.ofj.admin.ch/d/index.html
Rubrik Dienste - Straf- und Massnahmenvollzug – Dokumentation – Bundesgerichtliche Rechtsprechung.
Mit Hyperlinks kann direkt auf die zitierten BGE zugegriffen werden. Diese betreffen meistens die UH.
Bundesverfassung
Die Bundesverfassung gewährleistet in Art.10 ein ausdrückliches Verbot der Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung.
Art.31 garantiert die Information über Gefangenenrechte sowie die sog. „Miranda warnings“ bei der
Verhaftung. Verhaftete müssen über folgende Sachverhalte informiert werden:
Konkreter Grund der Verhaftung (Haftgründe)
Anspruch auf richterliche Haftprüfung
Recht auf Information naher Angehöriger
Recht auf Verweigerung der Aussage
Hinweis, dass Aussagen als Beweismittel gegen den Verdächtigen verwendet werden können
Recht auf Verteidigung gemäss der anwendbaren StPO
Gefängnisreglement (mindestens in Form eines Merkblatts).
Für Ausländer:
Recht, bei der diplomatischen Vertretung Unterstützung zu beantragen und bei ungenügenden
Sprachkenntnissen den Beizug eines Dolmetschers zu verlangen
Bei Polizeihaft: Hinweis auf maximale Dauer
Grundrechte und Freiheitsbeschränkungen
Freiheitsbeschränkungen sind zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sind; zudem dürfen die verfassungsmässigen Rechte
nicht ihres Kerngehalts entleert werden (allgemein geltende Regel, 118 IA 73). Verhältnismässigkeit
umfasst die Elemente der Geeignetheit, der Erforderlichkeit (Subsidiarität) und der Angemessenheit
(Verhältnismässigkeit im engern Sinne: nicht mit Kanonen auf Spatzen schiessen). Verhältnismässigkeit bezieht sich auf die Gefahr künftiger Delikte (nicht auf die begangenen): Je leichter diese sind,
desto grösser muss die Wahrscheinlichkeit sein.
Die von der BV garantierten Freiheitsrechte, insbesondere die persönliche Freiheit, stehen auch den
Gefangenen zu. Die Beschränkung der Freiheitsrechte darf nicht über das hinausgehen, was zur Gewährleistung des Haftzwecks und zur Aufrechterhaltung eines ordnungsgemässen Anstaltsbetriebs
erforderlich ist. Freiheits-Beschränkungen müssen zudem mit den Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar sein, BGE 118 IA 73, 122 I 222, 123 I 221. Freiheitsbeschränkungen
müssen insbesondere dem Gebot eines menschenwürdigen Vollzugs entsprechen. Dieser muss frei
sein vor schikanösen und sachlich nicht begründeten Eingriffen.
Allerdings hebt das BG eine kantonale Vorschrift nur dann auf, wenn sie sich einer verfassungskonformen Auslegung völlig entzieht, nicht aber wenn sie einer solchen gerade noch zugänglich ist. Das
BG würde somit die Bestimmung „Gefangene erhalten einmal am Tag eine Mahlzeit“ nicht aufheben
16
(weil eine mehrmalige Verpflegung nicht ausgeschlossen ist), wohl aber eine Formulierung „Gefangene erhalten nur eine Mahlzeit pro Tag“). Diese Praxis trägt der Tatsache nicht Rechnung, dass im
Strafvollzug sowohl die Regelanwender als auch die Regelbetroffenen in der Regel juristische Laien
sind.
Die Mindestgrundsätze zur Behandlung der Gefangenen (neu erlassen am 11.1.2006 als Europäische
Haft- und Strafvollzugsgrundsätze vom Ministerkomitee des Europarats) haben den Charakter von
Richtlinien und Empfehlungen. Sie sind nicht in der Weise völkerrechtlich verbindlich, dass ihre Missachtung für sich allein als Verstoss gegen verfassungsmässige Rechte angefochten werden könnte.
Dennoch werden sie vom BG bei der Konkretisierung der Grundrechts-Gewährleistungen im Hinblick
darauf berücksichtigt, dass sie wichtige Richtlinien für eine moderne strafrechtliche FreiheitsentzugsPraxis beinhalten. Soweit sie kriminalpolitische Ziele festlegen, obliegt ihre Verwirklichung aber nicht
der Rechtsprechung, sondern den für die Gesetzgebung und die Rechtsanwendung zuständigen politischen Behörden, 118 IA 70.
Gefängnisreglement und Regelungsdichte
Schwere Eingriffe in die Freiheitsrechte, namentlich Inhaftierungen, bedürfen einer klaren und ausdrücklichen Regelung in einem formellen Gesetz. Falls die Haftvoraussetzungen im Gesetz konkretisiert sind, lässt es das BG bedauerlicherweise zu, dass die Haftbedingungen auf Verordnungsstufe
(Gefängnisreglement) geregelt werden, 117 IA 465, 123 I 221. Allerdings muss das Gefängnisreglement, um einen ausreichenden Schutz gegen willkürliche und verfassungswidrige Haftbedingungen zu
gewährleisten, ein Mindestmass an Klarheit und an Regelungsdichte aufweisen. Die vollziehenden
Organe sind an diesen Erlass gebunden, 106 IA 277. Damit wurde die früher angewendete Eingriffsermächtigung durch das in Anstalten zugrundeliegende sog. besondere Gewaltverhältnis oder besondere Rechtsverhältnis zumindest eingeschränkt (vgl. Aebersold, Der Zweck des Strafvollzugs und die
Rechtstellung der Gefangenen, 1973).
Hafterstehungsfähigkeit
Auf Freiheitsentzug, insbesondere auf Untersuchungshaft, muss verzichtet werden, wenn die gesundheitlichen Auswirkungen in keinem vernünftigen Verhältnis zum Haftzweck stehen. Die Haft lässt sich
umso weniger mit der persönlichen Freiheit und mit dem Verhältnismässigkeitsprinzip vereinbaren, je
geringer das Interesse an der Fortsetzung des Freiheitsentzugs ist, und je eher der Tod oder eine
dauernde schwere Krankheit die Folge wären, 113 IA 328. Es ist deshalb in jedem Fall eine Interessenabwägung vorzunehmen, bei der insbesondere der Zweck der Haft, die Schwere der gesundheitlichen Gefährdung und die Möglichkeiten der medizinischen Betreuung in der Haftsituation zu berücksichtigen sind, 116 IA 423.
Die Untersuchungshaft kranker Personen greift im Allgemeinen nicht derart stark in die persönliche
Freiheit ein, dass diese völlig unterdrückt oder ihres Kerngehalts entleert würde, 115 IA 247. Insbesondere hat die Tatsache, dass ein Untersuchungsgefangener Aids-krank und suizidgefährdet ist, kein
absolut wirkendes Gewicht. Sie geht deshalb nicht jedem Haftzweck vor und rechtfertigt nicht zum
vornherein die Haftentlassung, 116 IA 420.
Disziplinarrecht
Nach der Praxis des BG ist bei schweren Disziplinarverstössen der Vollzug einer Arreststrafe von
einigen Tagen zulässig, 117 IA 189. Wer sich der Disziplinargewalt im Gefängnis nicht unterzieht,
muss sich stärkere Eingriffe in die persönliche Freiheit gefallen lassen als die übrigen Gefangenen.
Zur Durchsetzung des Gefängnisreglements müssen die Disziplinarsanktionen zudem von gewisser
Empfindlichkeit sein. Im revidierten StGB Art.91 sind die Disziplinarsanktionen ausdrücklich geregelt
worden. Vorgesehen sind der Verweis, Geldsanktionen, die Einschränkung von Freizeitmöglichkeiten
und Aussenkontakten sowie der Arrest. Die Disziplinartatbestände, die einzelnen Sanktionen und das
Verfahren müssen in einer kantonalen Disziplinarordnung festgehalten sein.Nach der Praxis des BG
und der Strassburger EMRK-Organe ist Art.6, Ziff.1 EMRK (richterliche Anordnung) auf Disziplinarmassnahmen gegenüber Gefangenen nicht anwendbar, 118 IA 89
Der Ausschluss von Medieninformationen über die Dauer von mehreren Wochen ist eine empfindliche
Sanktion. Sie kann deshalb nur bei schweren oder wiederholten Disziplinarvergehen in Frage kommen
und darf nicht mit andern schweren Sanktionen kumuliert werden, 118 IA 89.
17
Unter- und Durchsuchungen
Körperdurchsuchung: Das BG hat in 109 IA 146 festgehalten, eine Durchsuchung im Intimbereich
müsse von einer Person durchgeführt werden, die über eine „formation médicale“ verfüge. Der neue
Art.85 StGB sieht eine solche Einschränkung nicht vor. Leibesvisitationen müssen aber durch eine
Person gleichen Geschlechts durchgeführt werden. Nur die eigentlichen medizinischen Untersuchungen sind Ärzten vorbehalten, 123 I 236. Die Pflicht, sich periodisch einer Urinkontrolle (zur Überprüfung des Konsums verbotener Stoffe) zu unterziehen, ist mit der EMRK vereinbar.
Obwohl die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze eine ärztliche Eintrittsuntersuchung in allen Fällen
vorsehen, genügt es nach 123 I 236, eine solche von einem entsprechenden Wunsch des Gefangenen abhängig zu machen.
Zellenkontrollen dürfen in Abwesenheit des betroffenen Gefangenen durchgeführt werden.
Haftbedingungen
Räume, die zur Unterbringung von Gefangenen dienen, müssen den Erfordernissen der Gesundheit
und der Hygiene genügen, insbesondere bezüglich Kubikinhalt, Bodenfläche, Beleuchtung, Heizung
und Lüftung. Die Fenster müssen gross genug sein, damit die Gefangenen bei Tageslicht lesen oder
arbeiten können. Eine Quantifizierung dieser Anforderungen ist nicht vorgeschrieben.
Die Grösse der Zellen ist mit den konkreten Umständen des Haftregimes abzuwägen. In einem liberalen Regime können kleinere Zellen in Kauf genommen werden, 123 I 220.
Das zentral gesteuerte Lichterlöschen ist ein einfaches und in keiner Weise erniedrigendes oder schikanöses Mittel, um im Rahmen eines geregelten Tagesablaufs einen vernünftigen Beginn der
Nachtruhe herbeizuführen, 99 IA 262.
Ein Verbot, Kleintiere zu halten, verstösst weder gegen die Rechtsgleichheit noch gegen das Diskriminierungsverbot.
Das Verbot von Alkohol und Drogen und von andern als vom Anstaltsarzt verschriebenen oder zugelassenen Medikamenten ist gerechtfertigt. Eine Freigabe von beschränkten Mengen würde Missbräuchen und Schwarzhandel Vorschub leisten und die Gefahren von Exzessen und von Alkoholismus
nach sich ziehen, 118 IA 64.
In den Vorschriften zur Ernährung genügt es, wenn der Weltanschauung und Religion der Gefangenen nur „nach Möglichkeit“, nicht aber zwingend Rechnung getragen wird (entsprechend Empfehlung
Nr.25 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze: „dans toute la mesure du possible“), 118 IA 79.
Gefangene haben kein Recht auf freie Arztwahl. Der grundrechtliche Anspruch auf ausreichende
(spezial-)ärztliche Versorgung oder ein (aus objektiven Gründen) gestörtes Verhältnis zum Gefängnisarzt können allerdings im Einzelfall den Beizug eines weitern Arztes als notwendig erscheinen lassen,
123 I 235.
Ein Entscheid, der Moslems das gemeinsame Freitagsgebet verweigert, weil ihre GlaubensGemeinschaft nicht öffentlich-rechtlich anerkannt sei, verstösst gegen die Kultusfreiheit, 113 IA 304.
Eine grundrechtskonform ausgestaltete Gottesdienst-Ordnung muss zum Zweck haben, möglichst
vielen Häftlingen den Besuch von Gottesdiensten ihrer Religion zu ermöglichen. Unter dem Gesichtspunkt beschränkter räumlicher und organisatorischer Möglichkeiten kann es sich aber rechtfertigen,
nicht jeder kleinen Glaubensgemeinschaft, die das wünscht, einen eigenen Gottesdienst zu gestatten.
Christliche Sekten können z.B. auf interkonfessionelle christliche Feiern verwiesen werden.
Spaziergang ( vor allem in der Untersuchungshaft): Das BG verlangte ursprünglich einen täglichen
Spaziergang von mindestens einer halben Stunde ab zweiter Woche der Inhaftierung, 106 IA 293. Die
Empfehlung Nr.86 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze sieht allerdings einen täglichen Spaziergang von mindestens einer vollen Stunde vor. Gestützt darauf fordert das BG in denjenigen Anstalten,
wo die tatsächlichen Verhältnisse dies zulassen, heute einen einstündigen Spaziergang. Unabhängig
von den örtlichen Verhältnissen muss der einstündige Spaziergang nach einer Haftdauer von einem
Monat gewährt werden, 118 IA 82. Der Anspruch besteht auch für gefährliche Gefangene. Im Rahmen
einer Arreststrafe kann in den ersten drei Tagen von der Gewährung des Spaziergangs abgesehen
werden, 118 IA 64.
18
Das Verbot, in den ersten sieben Tagen der Haft eigene Zeitungen und Zeitschriften zu abonnieren,
bedeutet keinen unzulässigen Eingriff in die Grundrechte, 118 IA 83.
Kontakte
In 106 IA 136 liess das BG eine kantonale Vorschrift, die den Untersuchungsgefangenen „in der Regel“ einen Besuch von 20 Minuten in der Woche gewährt hatte, zumindest für eine kurze Haftzeit genügen. Anders verhält es sich aber bei einer längeren Haftzeit, in der Regel nach einem Monat. In
diesem Fall muss einem Untersuchungsgefangenen gestattet werden, pro Woche während mindestens einer Stunde Besuche von nahen Angehörigen zu empfangen. Zulässig ist eine anfängliche
Sperrfrist von einer Woche, 118 IA 85.
Auch wenn ein Besuchsreglement nur von „nahen Angehörige“ spricht, ist eine EMRK-konforme Auslegung nicht ausgeschlossen (s.S.1), weil darunter auch nichteheliche Lebenspartner und andere
nahestehende Personen subsumiert werden können, 118 IA 86.
Die Tatsache, dass in einer gleichartigen Anstalt eines andern Kantons eine für den Gefangenen
günstigere Regelung des Telefonverkehrs (oder sinngemäss auch anderer Haftbedingungen) besteht,
stellt keine Verletzung der Rechtsgleichheit dar, weil die in der BV verankerte Eigenständigkeit der
Kantone dem Gleichheitsgrundsatz vorgeht, 104 IB 385.
Die Einschränkung des Briefverkehrs durch eine massvolle, ausschliesslich gegen Missbräuche gerichtete Beschränkung der Anzahl zulässiger Briefe verletzt Art.8 EMRK nicht. Kann ein Gefangener
jedoch schutzwürdige Interessen für einen umfangreicheren Briefverkehr geltend machen, ist dieser
zuzulassen, 118 IA 87.
Bedingte Entlassung
Die bedingte Entlassung als letzte Stufe des Strafvollzugs wird in der neuern BG-Praxis als Regel
bezeichnet, von der nur aus guten Gründen abgewichen werden soll, 124 IV 193. Ob die mit einer
bedingten Entlassung verbundene Gefahr neuer Delikte zu verantworten sei, hänge nicht nur von der
Wahrscheinlichkeit des Rückfalls ab, sondern auch von der Bedeutung des bedrohten Rechtsguts.
Wenn ein Gefangener nur unbedeutende Eigentumsdelikte begangen habe, dürfe ein höheres Risiko
eingegangen werden als bei einem Gewaltverbrecher.
Zu beurteilen ist, ob die Rückfallgefahr bei einer allfälligen Vollverbüssung abnehmen, gleich bleiben
oder zunehmen wird. In den meisten Fällen müsse angenommen werden, dass sich am Zustand, in
dem sich der Täter nach Zwei-Drittel-Verbüssung befinde, während dem restliche Drittel der Verbüssung nicht mehr allzu viel ändern werde. Die bedingte Entlassung ist immer dann anzuordnen, wenn
sie in Verbindung mit Auflagen und Bewährungshilfe eher zu einer Resozialisierung beiträgt als die
Vollverbüssung.
Laut 124 IV 195 könne man sich fragen, ob das im Gesetz erwähnte Verhalten im Vollzug überhaupt
noch ein selbständiges Entscheidungs-Kriterium oder vielmehr bloss ein Umstand sei, der bei der
Gesamtwürdigung im Rahmen der Prognose zu beachten sei. Dabei sei vor allem auf Situationen
abzustellen, die dem normalen Leben ähnlich seien; dazu gehöre häufig das Verhalten bei der Arbeit.
Von einer Uneinsichtigkeit im Anstaltsalltag dürfe nicht unbesehen auf eine ungünstige Prognose geschlossen werden, 124 IV 204, 119 IV 5. In der Revision ist das Verhalten im Strafvollzug als Kriterium
allerdings stehen geblieben.
Landesverweisung
Bei der bedingten Entlassung prüft die zuständige Behörde, ob und unter welchen Bedingungen der
Vollzug der im Strafurteil angeordneten unbedingten Landesverweisung probeweise aufgeschoben
werden soll. Für diesen Entscheid ist massgeblich, ob die Schweiz oder das Heimatland die günstigeren Voraussetzungen für eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft bieten, 114 IV 97. Entscheidend ist somit der Resozialisierungsgedanke. Die Resozialisierungs-Chancen sind nach den persönlichen Verhältnissen des Entlassenen, seinen Beziehungen zur Schweiz und zum Ausland, den Familienverhältnissen und den Arbeitsmöglichkeiten zu beurteilen. Wenn der Betroffene über enge Beziehungen zu im Ausland lebenden Personen verfügt, liegt ein Indiz dafür vor, dass die Chancen einer
Resozialisierung dort grundsätzlich gut oder jedenfalls nicht schlechter als in der Schweiz sind, 116 IV
285.
19
Mit der Revision des Allgemeinen Teils des StGB ist die gerichtliche Landesverweisung weggefallen.
Was aber bleibt, sind die fremdenpolizeilichen Ausweisungen. Diese werden nach ähnlichen Kriterien
beurteilt. Allerdings wird bei schweren Delikten das Schutzinteresse der Schweiz schwerer gewichtet
als das Resozialisierungsinteresse. Vorbehalten bleiben Ausweisungen, die wegen des Prinzips des
Non-Refoulements (Rückschiebeverbote) nicht vollzogen werden können.
Peter Aebersold 2007
Ist Sozialisierung als Ziel des Strafvollzugs noch zeitgemäss ?1
Sozialisierung wird als Ziel des Strafvollzugs oft in Frage gestellt. Bevor diese Zielsetzung über
Bord geworfen wird, ist zu prüfen, wie häufig Rückfall tatsächlich ist. Und zudem stellt sich die
Frage, wie andere Vollzugsmodelle aussehen könnten. Da Alternativen kaum in Sicht sind, ist
es sinnvoll, das bisherige Verständnis weiterzuentwickeln. Der Strafvollzug sollte vermehrt die
Auseinandersetzung mit den Gründen der Straffälligkeit ins Zentrum rücken.
Die Ausgangslage
(Re-)Sozialisierung beabsichtigt eine Besserung des Straftäters im Sinne einer gesetzeskonformen
Lebensführung. Angestrebt wird eine Verminderung des Rückfall-Risikos. In neuerer Zeit wird die
Erreichbarkeit dieses Ziels und damit seine kriminalpolitische Berechtigung oft in Frage gestellt. Zusammen mit dem Kosten-Argument und der weltweit bestätigten Austauschbarkeit der Sanktionen hat
2
diese Skepsis bewirkt, dass Freiheitsstrafen bis 6 Monate seit dem Jahr 2007 nur noch in Ausnahmefällen ausgesprochen werden. Mit der Strafrechts-Revision wurde auch der Anwendungsbereich des
bedingten Strafvollzugs erweitert, die Halbgefangenschaft wurde für Strafen bis zu einem Jahr zur
ordentlichen Vollzugsform. Zudem dürfte in absehbarer Zeit das Electronic Monitoring, das in Modell3
versuchen erfolgreich erprobt wurde , definitiv eingeführt werden.
Obwohl die Freiheitsstrafe nur noch beschränkt zur Anwendung kommen wird, gibt es auch in Zukunft
längere Freiheitsstrafen, die in Anstalten vollzogen werden müssen. Das Schutzinteresse der Bevölkerung und die verbreiteten Vergeltungs-Bedürfnisse verbieten es, im Bereich der schweren Kriminalität
auf die Freiheitsstrafe ganz zu verzichten. Die Frage, ob Sozialisierung eine realistische Zielsetzung
ist, bleibt deshalb aktuell. Bevor sie beantwortet werden kann, soll zunächst die Ausgangslage dargestellt werden.
Das Schweizerische Strafgesetzbuch unterstellt seit seiner Einführung im Jahre 1942 den Strafvollzug
dem Sozialisierungsziel. Der Begriff kam im Gesetz zwar nicht vor, Art.37 der früheren Fassung sagte
vielmehr, der Vollzug solle erziehend auf den Gefangenen einwirken und ihn auf den Wiedereintritt in
das bürgerliche Leben vorbereiten. Doch galt diese Formulierung schon lange als veraltet, weil es als
überheblich empfunden wurde, Erwachsene erziehen zu wollen. Zudem war unbestritten, dass die
4
Beeinflussung nur auf Legalbewährung, nicht aber auf eine moralische Besserung abzielen darf . Statt
der „erzieherischen“ Einwirkung setzte sich in Theorie und Praxis schon früh der Begriff Sozialisierung
5
(oder Resozialisierung) durch .
Das Sozialisierungsziel blieb nach der Inkraftsetzung des Strafgesetzbuchs zunächst mehr oder weniger wirkungslos. In der folgenden Periode, den 70er und frühen 80er-Jahren, wurde Sozialisierung
1
Überarbeitete und stark gekürzte Fassung eines in der Festgabe zum Schweizerischen Juristentag
2004 erschienen Beitrags.
2
Schweizerisches Strafgesetzbuch, Änderungsgesetz vom 13.12.2002
3
vgl. Evaluations-Schlussbericht zum interkantonalen Modellversuch „Elektronisch überwachtewr
Strafvollzug“, hrsg. von e&e, Zürich 2003 (für die Westschweiz: Villetaz/Killias, Rapport final, Lausanne 2003)
4
Erst im Zusammenhang mit dem Opferhilfegesetz wurde das Resozialisierungsziel 1993 mit dem
Aspekt der Wiedergutmachung ergänzt.
5
Kaiser/Schöch, Strafvollzug, 5.A., Heidelberg 2003, 16
20
dann weitgehend mit Liberalisierung gleichgesetzt. Erst seit den späten 80erJahren begann das Sozialisierungsziel sich auch mit seinem positiven Inhalt zu entfalten, vor allem deshalb, weil die neu eingeführte Personalausbildung zunehmend zum Tragen kam. Mitte der 90er-Jahre wurde das aufkei6
mende Pflänzchen dann durch den Mord am Zollikerberg und das in der Folge neu erwachte Sicherheitsdenken wieder zurückgebunden. In Frage gestellt wird es zudem durch die hohen Ausländeranteile, vor allem im geschlossenen Strafvollzug. Bei Kriminaltouristen und andern Verurteilten, welche
die Schweiz nach der Strafverbüssung umgehend verlassen müssen, stossen Integrationsbemühungen schon bald an enge Grenzen.
Dennoch hat der Gesetzgeber den Resozialisierungsgedanken auch im revidierten Strafgesetzbuch
beibehalten, das 2007 in Kraft getreten ist. Art.75 StGB vermeidet zwar auch weiterhin den Begriff
„Sozialisierung“, gibt aber dem Strafvollzug als Zielsetzung vor, die Fähigkeit zu fördern, straffrei zu
leben, und schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs entgegenzuwirken. In Art.75, Abs.4 spricht das
Gesetz von „Sozialisierungsbemühungen“, bei denen der Gefangene aktiv mit zuwirken habe.
Angesichts der praktischen Schwierigkeiten und vor dem Hintergrund der hohen Rückfallraten wird
das Sozialisierungsziel heute vielfach abgelehnt. Das Schlagwort „nothing works“, das ursprünglich
nur für den therapeutisch ausgerichteten Vollzug formuliert worden war (und selbst dort später revi7
diert wurde ), wird oft verallgemeinert und auf alle sozialpädagogischen Bemühungen bezogen. Lo8
cker wird das Pauschalurteil in die Runde geworfen; „Resozialisierung funktioniert nicht“ .
Wenn wir uns der Frage, ob und mit welchem Inhalt ein Sozialisierungsziel auch weiterhin eine
brauchbare Zielsetzung für den Strafvollzug abgibt, etwas differenzierter nähern, müssen zunächst
zwei Vorfragen geklärt werden:
1. Wie weit wird der Strafvollzug diesen Erwartungen gerecht ? Sind die Erfolge wirklich so
negativ, wie oft behauptet wird ?
2. Welche Alternativen stehen zur Verfügung, falls wir vom Sozialisierungs-Konzept abrücken
wollen ?
Mit diesen Vorfragen setze ich mich zunächst auseinander.
Wird der Vollzug dem Ziel Rückfall zu verhindern gerecht ?
9
Rückfalluntersuchungen unterliegen vielfachen Schwierigkeiten : Sie können nur die Legalbewährung
messen, und selbst die nur auf Grund der Eintragungen ins schweizerische Strafregister. Diejenigen
Ausländer, die nach der Strafverbüssung ausgewiesen werden, müssen zum vornherein ausgeschieden werden, da wir nicht über die nötigen Informationen verfügen. Nur unvollständig erfassen können
wir die Art und Schwere des Rückfalls sowie die Rückfallintervalle, in denen sich ein verbessertes
Legalverhalten ausdrücken kann. Vor allem aber sind Rückfalluntersuchungen immer verspätet: Wenn
wir die Erfolge des heutigen Vollzugs messen wollen, müssen wir zuwarten, bis die Mehrzahl der Gefangenen entlassen ist. Danach muss die Bewährungszeit abgewartet werden. Und bis dann die Untersuchung ausgewertet ist, sind glatt 10 Jahre ins Land gegangen.
10
Die letzte vom Bundesamt für Statistik durchgeführte Evaluation hat folgende Wiedereinweisungsraten ergeben: Insgesamt wurden nach der Entlassung aus irgend einer Anstalt 31,4 % innert 6 Jahren
erneut in eine strafrechtliche Einrichtung eingewiesen. Dieser Wert schliesst allerdings auch die Entlassungen aus Untersuchungsgefängnissen ein, für die das Sozialisierungsziel nicht gilt. Wenn wir die
Wiedereinweisungsraten auf die Strafanstalten einschränken, ergeben sich folgende Werte: Nach der
Entlassung aus einer halboffenen Strafanstalt wurden 39,4% innert 6 Jahren erneut in eine Anstalt
eingewiesen, nach der Entlassung aus einer geschlossenen Anstalt waren es 53,4%. Wiedereinweisungsraten von 40-50% sind nicht berauschend, aber doch besser als die Vergleichswerte aus Zeiten,
in denen Sozialisierung weniger ernst genommen wurde. Vor allem sind sie deutlich positiver, als es
6
Am Zollikerberg bei Zürich ermordete am 30.10.1993 ein einschlägig vorbestrafter Strafgefangener
während eines Hafturlaubs eine 20-jährige Frau. Der Mord löste eine Welle öffentlicher Empörung aus
und stellt einen Einschnitt in der schweizerischen Kriminalgeschichte dar.
7
J.Wilson, What works revisted:New findings on criminal rehabilitation, The public interest 1981,3-17;
G.Mair,What works-nothing or everything? Home Office Research Bulletin 30/1991,3ff.
8
St.Trechsel in Plädoyer 5/98,14
9
vgl. K-L.Kunz, Kriminologie, 3.A.,Bern 2001,333ff.
10
Bundesamt für Statistik, Rückfallraten, Bern 1997,23
21
den Unterstellungen radikaler Vollzugskritiker entspricht. In deren Darstellungen finden sich immer
11
wieder behauptete Rückfallziffern von 70-80% .
Die realen Rückfallzahlen verdeutlichen, dass die Strafanstalt nicht einfach die Schule des Verbrechens ist, wo der Rückfall praktisch vorprogrammiert ist. Darauf verweist auch die qualitative Rückfall12
untersuchung von Besozzi . Dieser hat 600 Gefangene, die zum ersten Mal eine Freiheitsstrafe verbüssten, vor ihrer Entlassung befragt. Mit 120 Rückfälligen führte er nach der erneuten Einweisung ein
zweites Interview durch. Die Auswertung zeigt, dass die Bewährung einerseits von der Motivation der
Gefangenen und von ihrer Bereitschaft, etwas zu verändern, abhängt, andererseits aber auch von den
Anstössen und Anreizen, welche die Anstalt in diese Richtung vermitteln kann.
Mögliche Alternativen zum Sozialisierungsvollzug
Bevor ich mich der Frage zuwende, wie ein zeitgemässer Vollzug aussehen könnte, will ich prüfen,
welche andern Vollzugsmodelle auf dem Markt sind.
13
1. Keine inhaltliche Alternative stellt der private Strafvollzug dar. Selbst wenn private Firmen
mit der Durchführung beauftragt werden, müssen die Ziele vom Staat vorgegeben und evaluiert werden. Delegiert wird nur die Durchführung, nicht aber die Inhaltsbestimmung. Privater
Vollzug ist deshalb nur eine andere Organisationsform. Dabei würde ich von einer Übertragung geschlossener Vollzugsformen an Private abraten. Es handelt sich hier um den Kernbereich des staatlichen Gewaltmonopols. Diskutabel ist eine Privatisierung überall dort, wo es
sich um privilegierte Vollzugsformen handelt (halboffener oder offener Strafvollzug, Massnahmenvollzug). Denn dort gibt es Markt-Mechanismen für die Gefangenen, indem sie die
Verlegung in solche Einrichtungen beantragen oder eben nicht beantragen können. Im Bereich des Massnahmenvollzugs hat sich die private Organisation in der Schweiz bewährt,
doch handelt es sich bei unsern Suchteinrichtungen oder Erziehungsheimen nicht um gewinnorientierte Unternehmen.
2. Angesichts der hohen Ausländeranteile in den geschlossenen Anstalten wurden wiederholt
14
Spezialanstalten für Angehörige bestimmter Nationalitäten gefordert ; z.T. wurde sogar erwogen, solche Einrichtungen unter Schweizer Flagge in den betroffenen Sprachregionen zu
15
führen, z.B. in Costa Rica oder in der Rumänien. Ich bezweifle, ob eine solche Auslagerung
in absehbarer Zeit realisierbar sein wird. Eine Lösung des Ausländerproblems sollte vor allem
16
über die Strafverbüssung im Heimatland angestrebt werden . Diese scheitert allerdings in
den meisten Fällen an bürokratischen Hürden und an der nicht geregelten Kostenfrage. Soweit die Überstellung von Ausländern, die nach der Strafverbüssung mit Sicherheit ausgeschafft werden, nicht möglich ist, scheint es mir vertretbar, in grössern Anstalten besondere
Abteilungen vorzusehen und dort Personal aus den betreffenden Ländern einzustellen. Damit
könnte dem Resozialisierungsziel sogar besser Rechnung getragen werden. Allerdings müssten solche Einrichtungen, wollten sie sich nicht dem Vorwurf einer menschenrechtswidrigen
Diskriminierung aussetzen, die gleichen Ziele und Standards zugrundelegen wie die andern
Abteilungen. Deshalb ist auch dieser Vorschlag keine echte Alternative zu einem Resozialisierungsvollzug.
3. Bis in die 70er Jahre des 20.Jahrhunderts galt der therapeutische Vollzug als mögliche Alter17
native. Die von Martinson unter dem Schlagwort „nothing works“ zusammengefassten Auswertungen bewirkten dann aber die Abkehr von der Behandlungsideologie. Unterdessen hat
sich in Europa wieder eine differenziertere Einschätzung durchgesetzt, wobei in den heutigen
18
Einrichtungen auch moderne, von der therapeutic community inspirierte Behandlungsmodelle zur Anwendung kommen. Behandlungsorientierter Vollzug kann in diesem Sinn für Verurteilte mit genau umschriebener Indikation und Motivation ein Angebot sein, das zu einer Ver19
minderung von Rückfallrisiken beiträgt . Ein solcher Vollzug, wie er in der Schweiz etwa in
11
z.B. B.Maelicke, Die Resozialisierung der Sozialarbeit, Sozialmagazin 6/82,40
C.Besozzi, Die (Un-) Fähigkeit zur Veränderung, Bern 1998
13
vgl. J.Nibbeling, Die Privatisierung des Haftvollzugs, Frankfurt 2001
14
Facts 5/2001,38ff.
15
V.Gähwiler, Sastra – Schweizer Strafanstalt in Süd-/Mittelamerika, Uitikon 1994
16
Info-Bulletin (Informationen zum Straf- und Massnahmenvollzug) 3/2003,3ff.
17
R.Martinson, What works? The public interest 1974,22-54
18
M. Jones, Prinzipien der therapeutischen Gemeinschaft, Bern 1976
19
Egg/Pearson/Cleland/Lipton, in Rehn/Wischka/Lösel/Walter, Behandlung gefährlicher Straftäter,
Herbolzheim 2001,321ff.
12
22
4.
5.
6.
7.
St.Johannsen, im Schachen oder im Arxhof praktiziert wird, ist aber keine umfassende Alternative für den Normalvollzug, sondern eine Ergänzung für ausgewählte Einzelfälle.
Der Verwahrvollzug ist in den USA noch immer das vorherrschende Vollzugs-Modell. Er beschränkt sich darauf, die Gefangenen sicher zu verwahren und die Gesellschaft vor ihnen zu
schützen. Eine auf die Gefangenen bezogene Zielsetzung besteht nur insoweit, als im Interesse eines ruhigen Betriebs versucht wird, die sozialen Spannungen im Knast gering zu halten. Verwahrvollzug verstärkt die Subkultur des Gefängnisses und fördert kriminelle Ansteckung. Verwahrvollzug beruht auf einem zynischen Menschenbild, das sich mit unserem Sozialstaats-Verständnis und unserer Vorstellung von Menschenwürde nicht vereinbaren lässt.
Die Rolle des Personals erschöpft sich im Schliessen und Bewachen. Qualifizierte Angestellte, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten bei uns rekrutiert wurden, finden darin keine Berufsperspektive.
Eine Perpetuierung des Verwahrvollzugs stellt das in den USA entwickelte Konzept der selec20
tive incapacitation dar. Nach den in vielen Bundesländern erlassenen three strikes-Gesetzen
hat eine dritte Verurteilung zwingend die lebenslange Verwahrung zur Folge. Die Konsequenz
ist ein ständiges Anwachsen der Gefängnispopulation (über 700 Gefangene pro 100'000 Ein21
wohner gegenüber 68 in der Schweiz ) und der damit verbundenen Kosten (Kalifornien gibt
22
mehr Geld für Gefängnisse als für Hochschulen aus ). Im Gegensatz zu Europa, wo die Verwahrung auf einen kleinen Kreis von Hochrisiko-Tätern beschränkt bleibt, deren Gefährlichkeit
individuell bestimmt wird, kann irgend ein Delikt, sofern es Anlass zur dritten Verurteilung gibt,
zu einer lebenslangen Verwahrung führen. Ein derartiger Automatismus widerspricht dem europäischen Rechtsempfinden und lässt sich mit den Menschenrechten nicht vereinbaren.
Boot camps schiessen in den USA wie Pilze aus dem Boden. In diesen camps wird eine Emotionalisierung der Bestrafung und eine durch Beschämung bewirkte Verhaltensveränderung
angestrebt. Längere Strafen werden durch kürzere, aber härtere ersetzt. Die Mittel der Unterwerfung sind militärischer Drill und Zwangsarbeit, die als pure Schikane ausgestaltet ist. Eine
23
von Gescher vorgelegte Auswertung der Evaluations-Studien zeigt, dass die boot camps mit
Ausnahme der Kostenreduzierung keines der angestrebten Ziele erreichen. Gescher kommt
zum Schluss, die boot camps könnten keinesfalls als Vorbild für einen modernen Vollzug gel24
ten . Für mich spielt zudem eine Rolle, dass mit derartigen Strafmethoden sadistische Motive eine neue Legitimation erhalten. Ich halte die Überwindung solcher Praktiken seit dem
19.Jahrhundert für einen gesellschaftlichen Fortschritt. Wenn wir das Rad der Geschichte zurückdrehen, hat das eine unerwünschte Signalwirkung. Ein Staat, der selbst Gewaltexzesse
vorlebt, verliert an Glaubwürdigkeit, wenn er von seinen Bürgern Gewaltverzicht einfordert.
25
Das opportunity- oder Justiz-Modell stammt aus Skandinavien. Es betont einerseits den
Schutz der Bevölkerung, andererseits die Rechte und die Menschenwürde der Gefangenen.
Die Strafe soll im Freiheitsentzug bestehen, und nicht noch verschärft werden durch Isolation,
Sexualentzug und Zwangsarbeit ohne Lohn. Angestrebt wird die Normalisierung des Vollzugs
mit weitgehender Selbstverantwortung. Gefangene sollen mit dem Geld, das sie verdienen,
selbst für ihre Nahrung, Kleider und Wäsche sorgen. Das Modell verzichtet auf Besserungsversuche mit Zwangscharakter. Doch werden auf freiwilliger Basis Angebote gemacht (insbesondere im Bildungsbereich), welche die Bewährungschancen verbessern können. Trotz
dem von den skandinavischen Verantwortlichen betonten Verzicht auf den Begriff der Resozialisierung ist das Modell von einem modifizierten Resozialisierungs-Verständnis, wie es sich
bei uns herauskristallisiert, nicht allzu weit entfernt.
Das Ergebnis des tour d’horizon: Alternativen zur Sozialisierung bieten sich für den Normalvollzug
kaum an. Das skandinavische Modell, das als einziges in Frage kommt, ist bei genauerem Hinsehen
eher eine Variante mit interessanten Besonderheiten und einer andern Bezeichnung. Es empfiehlt
sich daher, vom bisherigen Verständnis auszugehen und dieses gezielt weiterzuentwickeln.
20
K-L.Kunz, Kriminologie, 3.A.,Bern 2001,349ff.
www.statistik.admin.ch
22
a.a.O.,355
23
N.Gescher, Boot-Camp-Programme in den USA, Godesberg 1998
24
a.a.O.,291
25
Kaiser/Schöch, Strafvollzug, 5.A., Heidelberg 2003,16f.
21
23
Neue Schwerpunkte
Neue Akzente hat in der Diskussion um die Vollzugsziele vor allem Besozzi gesetzt. Er empfiehlt als
Ergebnis seiner Untersuchung, „dass die Auseinandersetzung mit der Straftat in den Mittelpunkt reso26
zialisierender Bemühungen rücken muss.“
Die Auseinandersetzung mit der Straftat ist in diesem
Zusammenhang nicht als moralisierendes Vorhalten der Schuld zu verstehen, sondern als gezielte
Arbeit an den Ursachen der Straffälligkeit. Eine solche Ausrichtung bedeutet eine Abkehr von der früher verbreiteten Schonhaltung, welche die begangenen Delikte im Alltag des Strafvollzugs tabuisierte,
27
und dies teilweise sogar bei Tätern, die schwerste Gewaltdelikte begangen hatten .
Die Deliktsbearbeitung wird in diesem Verständnis als Zentrum der Sozialisierung verstanden. Der
Verurteilte hat sich mit der Tat gegen die Gesellschaft gestellt und ihr gegenüber einen Konflikt geschaffen, der im Strafvollzug angegangen werden sollte. Die Konfliktbearbeitung geht über die individuelle Wiedergutmachung hinaus, die in der früheren Gesetzesfassung als selbständige Zielsetzung
genannt war. Sie erfordert eine Auseinandersetzung nicht bloss mit den Opfern, sondern mit all den
Gründen, die zur Straffälligkeit geführt haben. Als Ergebnis wird die Verminderung von Rückfallrisiken
angestrebt.
Im Programm von Besozzi wird verlangt, neue Schwerpunkte zu setzen. Vor allem werden vermehrte
Konfrontationen und Auseinandersetzungen gefordert - mit der Straftat, mit individuellen Defiziten, mit
den sozialen Spannungen in der Anstalt. Ich halte diese Ausrichtung für gut begründet und wegweisend. Aus eigener Erfahrung würde ich den Vorschlag ergänzen mit dem Ziel, Versorgungsleistungen
abzubauen. In der heutigen Zeit macht es immer weniger Sinn, wenn den Gefangenen zum vorn herein die Verantwortung für das Essen, für die Unterkunft, für die persönliche Wäsche und für die Bettwäsche entzogen wird. Bei restriktiven Haftformen wie der Untersuchungshaft ist eine solche Versorgung unvermeidlich, je mehr aber die Entlassungsvorbereitung im Vordergrund steht, desto mehr sollte die Versorgung der Selbstverantwortung weichen.
Fazit
Die Freiheitsstrafe bleibt in Europa und in der Schweiz in den nächsten Jahren sozialpädagogisch
ausgerichtet und auf die soziale Eingliederung bezogen. Der Strafvollzug hat auch weiterhin die Aufgabe, auf der Basis der Menschenrechte und der Menschenwürde Vollzugsschäden zu vermeiden
und Angebote zur Optimierung der Bewährungs-Chancen zu machen. Insbesondere soll er sich mit
den Gründen und Ursachen der Straffälligkeit auseinandersetzen. Von einem solchen Verständnis
geht auch das revidierte Strafgesetzbuch in Art.75 aus, das seit 2007 in Kraft ist.
Ob man diese modifizierte Interpretation wie bisher als (Re-)Sozialisierung bezeichnen oder zur Betonung der neuen Akzente eine modernere Bezeichnung suchen will, ist eine blosse Definitionsfrage. So
oder so empfiehlt es sich, auf dem bisher Erreichten aufzubauen und dieses weiterzuentwickeln.
Wenn es gelingt, kriminalpräventive Kräfte im Strafvollzug tatsächlich zu verstärken, ist das Problem
zweitrangig, ob wir diesem Anliegen eine zeitgemässer klingende Bezeichnung geben.
Peter Aebersold 2007
26
27
C.Besozzi, Die (Un-)Fähigkeit zur Veränderung, Bern 1998,124
P.Aebersold, in Bauhofer/Bolle/Dittmann, Gemeingefährliche Straftäter, Chur 2000,186
24
Straf- und Massnahmenvollzug für Erwachsene:
Gesetzliche Grundlagen
Bundesverfassung Art.123
Strafgesetzbuch (Allg. Teil in Kraft seit 2007)
Strafen Art. 34 – 46
Strafzumessung Art. 47-55
Freiheitsentziehende Massnahmen Art. 56-65
Vollzug von Strafen und Massnahmen Art. 74-92, Art. 372-380
Bewährungshilfe Art. 93-96
Verordnung zum Strafgesetzbuch
Verordnung zum Strafregister
Bundesgesetz über die Leistungen des Bundes für den Straf- und Massnahmenvollzug vom 5.10.84
Verordnungen dazu vom 29.10.86 und vom 24.9.01
Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
(EMRK) vom 4.11.50
Europäisches Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder
erniedrigender Strafe (Antifolterkonvention) vom 26.11.87
Europäische Strafvollzugsgrundsätze (European Prison Rules) vom 11.1.2006
Übereinkommen vom 21.3.83 über die Überstellung verurteilter Personen mit Zusatzprotokoll vom 18.12.1997 (in Kraft seit 2005)
Strafvollzugskonkordate
Nordwest- und Innerschweiz vom 4.3.59
Ostschweiz vom 19.6.75
Westschweiz/Tessin vom 10.4.2006
Kantonales Recht
Teilweise Strafvollzugsgesetze (meist fragmentarisch)
Strafprozessordnungen (betr. Untersuchungshaft, vorzeitigem Strafantritt)
Begnadigungsgesetze
Verordnungen (BS: Verordnung über das Gefängniswesen vom 14.11.2000)
Anstaltsreglemente
StGB 305 (Begünstigung), 310 (Gefangenenbefreiung), 311 (Gefangenenmeuterei)
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Peter Aebersold 2007
25
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