Die Evolution der bioenergetischen Prozesse

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Die Evolution der bioenergetischen Prozesse
1. Vorbemerkung
Unsachlich motivierte Feindseligkeit gegen den Darwinismus gewinnt neuerdings in
Form des sogenannten Kreationismus an Boden. Er wird in mehreren Staaten der USA den
Schulen aufgezwungen, d. h. die Lehrer müssen im Unterricht der Lehre von der
gesonderten Schöpfung aller Arten von Lebewesen ebensoviel Raum geben wie der
Entwicklungslehre, ob sie nun die gesonderte Schöpfung aller Arten von Lebewesen
(4 Millionen) für richtig halten oder nicht. Auch die Schulbücher müssen entsprechenden
Vorschriften Genüge tun, wenn sie zugelassen werden sollen. Daher stehen Verlage unter
Druck, keine wissenschaftlich einwandfreien Schulbücher mehr herauszubringen.
Angesichts dieser bedauerlichen Rückentwicklung sei im vorliegenden Beitrag dargelegt,
wie die Wissenschaft auf einem bestimmten Gebiet, dem der Evolution der bioenergetischen Prozesse, im Rahmen der darwinistischen Vorstellungswelt Arbeit leistet. Natürlich
sei gerne zugegeben, daß wir von einer befriedigenden Erklärung aller Erscheinungen
innerhalb dieses Wissensgebietes weit entfernt sind. Mit Umwälzungen, oft auch für den
Kenner überraschend, ist gewiß noch zu rechnen. Alle Meinungskämpfe laufen jedoch
innerhalb des Rahmens der evolutionistischen Gedankenwelt ab. Keinem ernsthaften
Forscher würde es einfallen, die allmähliche Entwicklung der bioenergetischen Prozesse
anders als durch das Wirken von Mutation, Selektion und genetischer Rekombination zu
begründen.
Auf dieser Grundlage soll dargelegt werden, wie die Lebewesen in ihrer Entwicklung
über Milliarden Jahre gelernt haben, ihren Energiebedarf zu decken. Es wird sich zeigen,
daß belebte Natur und menschliche Technik durchaus verschiedene Wege gegangen sind.
Die Fragestellungen müssen gerade auch an einer Technischen Universität interessieren.
In der Gegenwart ermöglicht die Sonnenenergie durch die Photosynthese das Leben auf
der Erde. Man schätzt, daß die Pflanzen alljährlich 100 Milliarden Tonnen Kohlenstoff aus
dem Kohlendioxid der Luft assimilieren. Die Größe dieser Menge sei durch eine
Überlegung veranschaulicht. Kohle und Öl enthalten zersetzte Biomasse. Die Menge an
Kohle auf der Erde, die wirtschaftlich ausgebeutet werden kann, dürfte sich auf 7,6 Billionen (10 12), an Öl auf 0,6 Billionen Tonnen belaufen. Mit der gegenwärtigen Geschwindigkeit der Kohlenstoff-Assimilation könnten die angegebenen enormen Mengen an Kohle und
Öl bereits in 50 bzw. 5 Jahren gebildet werden. Die Belege für diese Zahlenwerte findet
man in einem Buch des Verfassers.' Übrigens ist noch nicht sicher, inwieweit die
Vortrag beim Symposium zum 100. Todestag von Charles Darwin "Das Phänomen Evolution",
Außeninstitut der Technischen Universität Wien, Mai 1982; erscheint im Sammelband "Das Phänomen
Evolution", M. Horvat (Hrsg.), Literas Verlag, Wien 1986. Abdruck hier ohne Zusammenfassung und
Inhaltsverzeichnis.
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Kohlenwasserstoffe (Öl und vor allem Gas) ausschließlich biotischen und daher solaren oder
aber zum Teil präsolaren (galaktischen) Ursprungs sind.'
Offenbar kann die Assimilation nicht immer mit dieser riesenhaften Geschwindigkeit
erfolgt sein. Die Erde war anfangs frei von Leben. Die ursprünglichen Lebensformen waren
wahrscheinlich nicht photosynthetisch, da der Mechanismus der Photosynthese kompliziert
ist, und die Geschwindigkeit muß zunächst bescheiden gewesen sein. Nun sollen einige
zeitgenössische Ansichten über die Entwicklung der bioenergetischen Prozesse, also auch
über die Entstehung und Entwicklung der Photosynthese, dargelegt werden - wie sie vom
Verfasser ausgearbeitet wurden.' Die Vorstellungen sind freilich zum Teil hypothetisch und
werden nicht in jeder Hinsicht von jedermann geteilt.
2. Ursprung des Lebens
Nach Oparin J · ' und Haldane,'·5 deren Gedankengänge im allgemeinen, wenn auch nicht
in jeder Einzelheit, von der Fachwelt angenommen werden, entwickelten sich die
Lebewesen aus organischen Stoffen, die durch abiotische Prozesse gebildet worden waren.
Nach diesen Autoren war die Atmosphäre, die mit der Hydrosphäre im Gleichgewicht
stand, ursprünglich reduzierend und enthielt große Mengen an Wasserstoffverbindungen
wie H 2 0, CH 4 , NHJ und H 2 • Die Erdkruste enthielt ebenfalls reduzierende Gase, die
allmählich abgegeben wurden. Andere Autoren meinen, daß auf der Erde fast von Anfang
an "redoxneutrale" Stoffe wie CO 2 und N2 vorherrschten, aber auch nach dieser Auffassung
waren zur Zeit der Lebensentstehung Reduktionsmittel wenigstens in einem gewissen
Ausmaß anwesend. Oxidationsmittel wie O2 waren jedenfalls in der Atmosphäre nicht
vorhanden, in der sich das Leben entwickelte. Auf anderen Planeten, die kein Leben
aufweisen, wird auch noch heute keine nennenswerte Menge an O2 gefunden.
Während langer Zeit ging freier Wasserstoff allmählich in den Weltraum verloren, und
das gleiche Schicksal hatte der Wasserstoff, den das kurzweilige Ultraviolett (UV) des
Sonnenlichts durch photochemische Zersetzung aus seinen Verbindungen freimachte.
Mangels einer absorbierend wirkenden Ozonschicht über der Erde war die UV-Strahlung
intensiv. Daher ging die Atmosphäre allmählich aus einem reduzierenden in einen
redoxneutralen Zustand über. Soweit photochemisch auch Spuren von Oxidationsmitteln,
wie 02, entstanden, reagierten sie rasch mit den anfänglich reichlich vorhandenen
Reduktionsmitteln und verschwanden wieder.
Der Aufbau komplizierter organischer Stoffe in der frühen Atmosphäre und Hydrosphäre aus einfachen Stoffen erforderte Energie. Diese wurde wohl durch die UV-Strahlung
und/oder durch elektrische Entladungen geliefert. Miller6 hat in klassischen Experimenten
seit 1953 gezeigt, daß in reduzierenden Mischungen geeigneter Gase Aminosäuren und
andere "Biomoleküle" in guter Ausbeute gebildet werden, wenn sie elektrischen Entladungen ausgesetzt werden. Seither sind von anderen Forschern Hunderte ähnliche Experimente
ausgeführt worden. Möglicherweise wurden relativ einfache organische Moleküle auch
während oder nach der Bildung der Erde aus dem Weltraum aufgenommen, und zwar über
Meteoriten oder auf andere Weise.
Organische Moleküle, die in den Urgewässern gelöst oder auch an Gesteine adsorbiert
waren,' reagierten miteinander, wobei schließlich Polymere wie Proteine oder Nukleinsäuren entstanden. Nach Ansicht Oparins können sich solche Polymere zusammen mit anderen
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Stoffen aus der "Ursuppe" (Haldanes Bezeichnung) als Tröpfchen ("Koazervate") abgeschieden haben. Solche Tröpfchen können sich zu "Protozellen"8 und sodann zu Vorläufern
einzelliger Lebewesen, zu sogenannten Eobionten, entwickelt haben. Andere Autoren"
schlagen vor, daß sich unter Beteiligung von Vorläufern von Proteinen und Nukleinsäuren
"Hyperzyklen" gebildet haben. Die beiden Vorstellungen schließen einander übrigens nicht
aus.
Wie immer es gewesen sein mag, war diese "chemische Evolution" ebenso wie die
anschließende biologische Evolution darwinisch. Im Kampf ums Dasein überlebten
vorzugsweise die widerstandsfähigeren und besser angepaßten "Wesen", um einen neutralen Ausdruck zu gebrauchen. Dies galt insbesondere für jene Wesen, die imstande waren,
sich auf Kosten von organischen Substanzen im Medium zu vermehren. Selektion
ermöglichte weitere Entwicklung.
Offenbar wird für das Überleben von Eobionten oder von weiter fortgeschrittenen
Wesen stets Energie benötigt, ob sie nun unverändert bleiben oder sich entwickeln, d. h. es
muß Arbeit geleistet werden. Die Formen der Arbeitsleistung werden alsbald aufgezählt
werden. Die vorhandene Energie war zu Beginn galaktischen, vorwiegend aber wohl
solaren Ursprungs, d. h. die reaktionsfähigen organischen Stoffe waren entweder im
Weltraum oder durch die solare UV-Strahlung oder die elektrischen Entladungen aufgebaut
worden, die durch atmosphärische Prozesse nach Einstrahlung von Sonnenlicht ermöglicht
wurden. Dieser Aufbau erfolgte lange Zeit, bevor der biotische Prozeß auftrat, der als
Photosynthese bezeichnet wird.
3. Energie aus Gärung
Alle derzeit existierenden Lebewesen bestehen aus Zellen, die durch Membranen
begrenzt sind. Wir kennen auch heute noch viele Arten von Zellen, die ihren Energiebedarf
durch nichtphotosynthetische Umsetzungen organischer Stoffe unter anoxischen Bedingungen (in Abwesenheit von 02) decken, bei denen also Atmung im üblichen Sinn nicht
möglich ist. Gemeint sind die anaeroben Bakterien, unter denen die Clostridien und die
Methanbildner am bekanntesten sind. Man findet sie etwa in sauerstofffreien Tiefen von
Gewässern oder innerhalb des Verdauungstraktes von höheren Tieren. Nach Pasteur
bezeichnet man die bioenergetischen (Energie erzeugenden) Prozesse solcher Lebewesen
als Gärungen oder Fermentationen. In der Technik werden diese Namen jedoch weniger
restriktiv als in der biochemischen Wissenschaft verwendet. Zum Beispiel erfordert die
bakterielle Essiggärung Oxidation des Alkohols durch Luftsauerstoff, d. h. der Prozeß ist
nicht anaerob, sondern aerob.
Vielleicht sind unter den heute noch überlebenden Bakterien die Clostridien den
ursprünglichen Lebewesen am ähnlichsten. Auch die Methanbildner lO werden vielfach als
entwicklungsgeschichtlich besonders alt betrachtet, doch sollten weitere experimentelle
Resultate über ihre Eigenschaften, auch ihre bioenergetischen Prozesse, abgewartet
werden, bevor ein Urteil gefällt wird; die Methanbildner weichen in ihren Eigenschaften
von anderen Anaerobiern überraschend stark ab. Natürlich sei keinesfalls behauptet, daß
die Anaerobier (oder andere Lebewesen) über geologische Zeiträume in jeder Hinsicht
unverändert geblieben sind. Mit "alt" ist bloß gemeint, daß Eigenschaften von zentraler
Bedeutung aus alter Zeit erhalten geblieben sind. Im gegebenen Zusammenhang denkt man
an die Grundprinzipien der Energieproduktion.
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Wenn der Biophysiker oder Biotechnologe von Energieproduktion spricht, so meint er
natürlich nicht Produktion von Energie aus nichts, sondern Umwandlung von Energie in
eine nützliche Form. In den gegenwärtigen Lebewesen wird die aus primären Quellen
gewonnene Energie gewöhnlich zuerst in Form besonderer chemischer Verbindungen
gespeichert und dann zur Anwendung gebracht. Sie wurden von Fritz Lipmann 11 energiereich genannt. Der bei weitem wichtigste dieser Stoffe ist das Adenosintriphosphat (ATP),
das deshalb auch die universelle Energiewährung genannt wird. ATP ist ein weißes,
kristallines Pulver mit dem Molekulargewicht 507, kann leicht abiotisch synthetisiert
werden und ist billig im Handel. Die Zusammensetzung ist ClOH16013NsP3, und die Struktur
kann durch das Schema (keine chemische Formel im üblichen Sinn)
A-R-PC\lPC\lP
wiedergegeben werden. A ist die heterozyklische Base Adenin, also ein organischer Stoff,
der innerhalb eines Ringes neben Kohlenstoff auch andere Atome, in diesem Fall Stickstoff,
enthält. R ist Ribose, ein Zucker mit 5 Kohlenstoffatomen im Molekül, und P bezeichnet
eine Einheit Phosphorsäure (genauer: eine Phosphorylgruppe).
Das Zeichen C\l zeigt an, daß die Bindung energiereich ist. Nach Definition bedeutet dies,
daß die Lösung dieser Bindung zu einer besonders starken Abnahme der freien Energie
führt, die dann zur Verfügung steht. Natürlich werden die dabei freiwerdenden chemischen
Valenzen durch Anlagerung anderer Atome abgesättigt. Falls es sich dabei um die Atome
aus dem Molekül von Wasser handelt, spricht man von Hydrolyse. Die stationäre
Konzentration von ATP in den Zellen ist immer gering, doch kann der Stoff rasch umgesetzt
werden.
So werden etwa in der Reaktion
A - R - P C\l P C\l P + H 2 0 = A - R - P C\l P + P
(1)
d. h. ATP + H 20 = ADP [Adenosindiphosphat] + P [freies Orthophosphat], unter
Standardbedingungen etwa 8 Kilokalorien je Mol verfügbar. Die Biochemiker und Biophysiker haben gefunden, daß die im ATP gespeicherte Energie für chemische Arbeit (Aufbau
von Biomolekülen), osmotische Arbeit (Konzentrierung gelöster Stoffe), elektrische Arbeit
(Ladungstrennung, etwa in Nervenzellen) und für mechanische Arbeit (Bewegung)
verwendet werden kann. Grob gesprochen, ist ATP für derartige Prozesse sogar notwendig.
Daher "bemühen" sich alle Zellen, in ihrem Energiestoffwechsel jederzeit hinreichende
Mengen von energiereichen Stoffen, besonders von ATP, zu erzeugen. Dazu wird die ATPHydrolyse umgekehrt, und es findet Aufbau aus ADP + P statt. Für alle diese Aufbau- und
Abbauprozesse benötigt die Zelle spezifische Enzyme als Katalysatoren.
Die Gärungen bestehen im wesentlichen aus Reduktions-Oxidations-("Redox"-)Reaktionen, die exergon sind, also unter Abnahme des Gehaltes an freier Energie ablaufen und
durch Koppelung mit Enzymen zum gleichzeitigen Aufbau von ATP aus seinen Komponenten führen. Es sei in Erinnerung gerufen, daß in Redox-Reaktionen Elektronen von
Reduktionsmitteln auf Oxidationsrnittel übertragen werden. Falls gleichzeitig Wasserstoffionen übertragen werden, kann man von Transhydrogenierung sprechen, da ja
H+ + e- = H. In wässerigen Systemen sind H+-Ionen stets gegenwärtig.
Die am besten bekannte Gärung ist die Milchsäuregärung, die in vielen Arten von
Bakterien, auch in Clostridien, außerdem aber auch in den Zellen höherer Organismen
gefunden wird:
(2)
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Obwohl diese Form der Gärung über ein Dutzend Stufen verläuft, jede durch ein
spezifisches Enzym katalysiert, besteht die Gesamtreaktion einfach in der Spaltung eines
Moleküls Glukose in 2 Moleküle Milchsäure. Gleichzeitig werden "zwangsweise" 2 Moleküle ATP aufgebaut, d. h. die beteiligten Enzyme werden nur wirksam, wenn diese
Voraussetzung erfüllt werden kann. Die genauere Untersuchung lehrt, daß die Spaltung zu
einer Verschiebung von H-Atomen innerhalb der organischen Substanz, also zu einer
Redox-Reaktion führt. In diesem Fall verläuft die Verschiebung intramolekular. Die
alkoholische Gärung, etwa durch Hefe, ist bloß eine Variante der Milchsäuregärung. Es gibt
aber auch Gärungen, die sich von der Milchsäuregärung viel stärker unterscheiden.
Die Gärungen und auch die übrigen bioenergetischen Prozesse verlaufen isotherm.
Temperaturdifferenzen innerhalb von Zellen sind gering. Soweit sie bestehen, werden sie
nicht ausgenützt. Darin liegt ein grundlegender Unterschied gegenüber den wichtigsten
technischen Verfahren zur Erzeugung von Energie. Man kann daher auch von chemodynamischen statt von thermodynamischen Prozessen sprechen, obwohl die Gesetze der
Thermodynamik natürlich eingehalten werden.
4. Photosynthetische Bakterien
Nachdem die Gärer sich in der Ursuppe stark vermehrt hatten, drohte Erschöpfung des
ursprünglichen Vorrats an Stoff und Energie. Die Biomasse als Produkt von Lebewesen
tendierte zu exponentiellem Wachstum, während die abiotische Produktion von organischen
Substraten des Energiestoffwechsels mehr oder weniger gleichmäßig verlief. Daher waren
Organismen, die eine neue, zusätzliche Quelle von Energie verwerten konnten, im Vorteil.
Im Rückblick kommt man leicht zum Urteil, daß die einzige in Betracht kommende neue
Energiequelle im Licht bestand. Wir können wohl kaum erwarten, daß Bakterien imstande
waren, Kernenergie zu verwerten! So entstanden scWießlich durch Mutation und Selektion,
also nach Darwinschen Mechanismen, die photosynthetischen Bakterien.
Die heute noch existierenden Arten photosynthetischer Bakterien verwenden sichtbares
und bis zu einem gewissen Grad infrarotes (IR), aber kein ultraviolettes Licht. Wahrscheinlich wurde letzteres niemals durch irgendwelche Lebewesen verwendet, d. h. das Licht, das
von photosynthetischen Bakterien ausgenützt wurde (und wird), unterschied sich qualitativ
von jenem Licht, das die Ursuppe erzeugt hatte. Dies ist insofern verständlich, ais die UVQuanten wegen ihres hohen Energiegehalts komplizierte Verbindungen zerstören und sich
daher für geordnete, konstruktive Photochemie wenig eignen. Übrigens übertrifft der Fluß
der Sonnenenergie im Sichtbaren und im IR den im UV bei weitem.
Es ist ein glücklicher Umstand, daß wir diese relativ einfachen und primitiven photosynthetischen Lebewesen, die photosynthetischen Bakterien, noch studieren können. Aber
im Haushalt der Natur wurden sie schon vor langer Zeit durch die Pflanzen überholt, die
weiter fortgeschrittene photochernische Mechanismen verwenden und von denen später
die Rede sein wird.
Die Bakterien und die Pflanzen fangen Lichtquanten durch Arten von Chlorophyll ein.
Dies ist eine Gruppe nahe verwandter Stoffe bekannter Struktur. Bakteriochiorophyil A ist
in den Bakterien und Chlorophyll A in den Pflanzen photochemisch aktiv. Wir kennen die
"purpurnen" und die "grünen" photosynthetischen Bakterien, die zwar morphologisch
verschieden sind, sich aber in ihren bioenergetischen Prozessen weitgehend gleichen. Die
50
Farben stammen von akzessorischen Pigmenten, die neben dem Bakteriochlorophyll
vorliegen.
Die bioenergetischen Prozesse in den Gärern mußten ATP erzeugen. Daher ist
anzunehmen, daß die erste, ursprüngliche Aufgabe der Photosynthese gleichfalls die
Erzeugung von ATP war. Es ist plausibel, daß in den frühen photosynthetischen Bakterien
die Gesamtwirkung des Lichts insofern in einer Umkehr der Gärungsreaktion bestand, als
einerseits Oxidations- und andererseits Reduktionsmittel gebildet wurden. In diesem
Zusammenhang ist interessant, daß durch die sogenannten Krasnovsky-Reaktionen '2
Lösungen von Chlorophyll (in nichtwässerigen Lösungsmitteln; Chlorophyll löst sich nicht
in Wasser) im Licht die Verschiebung von Elektronen oder H-Atomen zwischen verschiedenen Verbindungen bewirken. Zum Beispiel gilt
Askorbinsäure
+ NAD+
~
Dehydroaskorbinsäure
+ NADH + H+.
(3)
NAD+ ist Nikotinamid-Adenin-Dinukleotid, ein biogenes Oxidationsmittel von größter
Bedeutung, und NADH ist seine reduzierte Form. *
In gemeinsamer Lösung unterliegen Oxidations- und Reduktionsmittel spontanen
Rückreaktionen, so daß keine hohen stationären Konzentrationen dieser Stoffe auftreten.
Größere Mengen können vorliegen, falls die Photoreaktion innerhalb einer Membran
erfolgt, die zwei "Kompartimente" (Räume) in solcher Weise voneinander trennt, daß das
neu gebildete Oxidationsmittel auf der einen, das Reduktionsmittel auf der anderen Seite
der Membran erscheint. Es ist vorstellbar, daß ein anisotropes System dieser Art so gestaltet
wird, daß die Rückreaktion nur entlang eines bestimmten Reaktionsweges erfolgt, und,zwar
so, daß sie zwangsweise mit ATP-Synthese verknüpft ist. Dabei müssen Enzyme mitwirken.
Derartige "asymmetrische" Membranen, die zu "vektoriellen" Reaktionen befähigt sind,
existierten (und existieren) schon in nichtphotosynthetischen Anaeroben, wo sie "aktiven
Transport" bewirken. Dies ist der gerichtete Transport gelöster Stoffe entgegen ihrer
natürlichen Flußrichtung auf Kosten zellulärer Energie; dabei wird osmotische Arbeit
geleistet. Es gibt anscheinend überhaupt keine lebende Zelle ohne aktiven Transport. Die
Theorie der vektoriellen Reaktionen in Membranen, die zu aktivem Transport und zu ATPSynthese führen, beruht auf den radikal neuartigen Gedanken von Peter Mitchell,13 die nun
von den meisten Bioenergetikern angenommen werden.
Auch die Maschinerie für die Photosynthese, also die durch Chlorophyll "photokatalysierte" endergone Redox-Reaktion, ist tatsächlich in Membranen lokalisiert. Diese haben
eine dauernd wohl orientierte Struktur. ATP-Synthese durch Lichtenergie wird photosynthetische Phosphorylierung oder kurz Photophosphorylierung genannt, weil dem ADP eine
Phosphorylgruppe zugefügt wird, wie oben gezeigt wurde. In Bakterien wurde dieser Prozeß
durch Frenkel" und in Pflanzen durch Arnon 1' aufgefunden. Wann immer ATP das einzige
Produkt der Photosynthese ist, gibt es im schließlichen Gesamteffekt keine RedoxReaktion, d. h. alle Elektronen kehren schließlich zu ihrer Quelle zurück. Dann spricht man
von zyklischem Elektronenfluß und von zyklischer Photophosphorylierung.
• Zur Vereinfachung im Druck wird das Pluszeichen in NAD+ oft weggelassen. In vielen Organismen
wird NAD durch eine eng verwandte Verbindung, sogenanntes NADP, ersetzt; die reduzierte Form
ist NADPH. Wann immer beide Verbindungen gemeint sind, kann man NAD(P) bzw. NAD(P)H
schreiben.
51
Nach der Erfindung der Photophosphorylierung in ihrer zyklischen Form konnte das
Leben im Prinzip in alle Zukunft weiterbestehen. Die Sonne konnte stets den Energiebedarf
decken. Jedoch war die Menge der Biomasse noch immer dadurch begrenzt, daß zunächst
im wesentlichen nur jene Menge an organischem Kohlenstoff verfügbar war, die abiotisch in
reduzierte Form gebracht worden war. Vermutlich war aber viel mehr Kohlenstoff in Form
von CO z, z. T. in Form von Salzen (Bikarbonat im Ozean), als in Form von organischen
Stoffen vorhanden. Daher hatten die Lebewesen einen starken Anreiz zur Verwendung von
Lichtenergie nicht nur zur ATP-Synthese, sondern auch zur Reduktion von CO z zum Zweck
der "Assimilierung" oder "Fixierung" von Kohlenstoff. Dazu mußte allerdings in der
Umgebung ein Reduktionsmittel gefunden werden, das die zur Reduktion nötigen
Elektronen lieferte; der zyklische Prozeß genügte nicht.
Ein häufig vorliegendes Reduktionsmittel bestand im reduzierten Schwefel (schematisch:
HzS), obwohl nicht auszuschließen ist, daß zunächst Hz angewendet wurde. Das Prinzip der
photochemischen Gesamtreaktion mit HzS ist
2 HzS + CO z = (CHzO) + HzO + 2 S
(4)
wobei (CHzO), in Klammer, die Einheitsmenge an Kohlehydrat und nicht etwa Formaldehyd, CHzO, bedeutet. Kohlehydrat ist der Hauptbestandteil von Biomasse. Zum Beispiel
bestehen Baustoffe (Zellulose) und bioenergetische Speicherstoffe (Stärke, Glykogen) oft
aus Polymeren, die durch Kondensation von Glukose unter Austritt von HzO gebildet
werden. Glukose wird durch die Formel C6H 1Z 0 6 - im bioenergetischen Schema einfacher:
6 (CHzO) - repräsentiert.
Reaktion (4) ist unter Standardbedingungen im Ausmaß von 115 kcal endergon, sie
benötigt also freie Energie. Die Energie, durch die die Reaktion durchgezogen wird,
stammt wieder von der Sonne. Diesen photosynthetischen Prozeß beobachtet man in den
purpurnen und grünen Bakterien, die deshalb auch als gefärbte Schwefelbakterien
bezeichnet werden. Die meisten Lagerstätten von Schwefel beruhen auf Prozeß (4). Einige
Arten machen in ihrem lichtgetriebenen Redox-Prozeß nicht nur elementaren Schwefel,
sondern sie erzeugen in einem weiteren Schritt auch Sulfat:
0,5 HzS + CO z + HzO = (CHzO) + 0,5 H ZS0 4 •
(5)
Die Reihe von lichtunabhängigen ("Dunkel"-)Reaktionen, die der Lichtabsorption
folgen und schließlich zu Kohlenstoff-Assimilation aus CO z führen, also zur Synthese von
(CHzO), wird als Calvin-Zyklus l6 bezeichnet. Der Zyklus ist in allen photosynthetischen
Organismen, die ein Chlorophyll verwenden, identisch oder wenigstens sehr ähnlich. Für
den Calvin-Zyklus werden zwei Produkte der Lichtreaktion benötigt, nämlich Reduktionsmittel [NAD(P)H] und ATP. Nur für deren Herstellung ist Energie nötig.
(In Klammer: In "Halobakterien" , die in konzentriertem Salzwasser leben, wurde
kürzlich ein neuartiger photosynthetischer Prozeß entdeckt, bei dem ein Carotenoid
["Bakteriorhodopsin"] statt eines Porphyrinderivats [Chlorophyll] als Photokatalysator
verwendet wird. Bei dieser Art der Photosynthese wird wohl ATP, aber kein Reduktionsmittel erzeugt. Der Kohlenstoff der Biomasse entstammt daher nicht dem CO z, sondern
organischen Verbindungen der Umgebung. Entwicklungsgeschichtlich kann der Prozeß
nicht mit der gewöhnlichen Photosynthese zusammenhängen. Er dürfte neueren Ursprungs
sein.)
52
Kontroverse besteht über den Mechanismus der Produktion des primären Reduktionsmittels NADH durch die gefärbten Schwefelbakterien, das dann die Assimilation von CO 2
ermöglicht. Erzwingen sie die Reaktionen (4) und (5) durch Einsatz von ATP, das in einem
zyklischen Prozeß photosynthetisch erzeugt wird? Oder heben sie Wasserstoff mit direkter
Hilfe von Lichtenergie aus dem Energieniveau des H 2S in das Niveau des Reduktionsmittels
NADH? Im letzteren Fall würde man von "nichtzyklischem" oder "offenendigern"
Elektronenfluß sprechen. Vermutlich arbeiten beide Prozesse nebeneinander, und ihre
relative Bedeutung hängt von den Umständen ab. Vielleicht wurde die erstere Möglichkeit
in der Natur früher verwirklicht.
5. Blaualgen
Wie immer es damit stehen mag, jedenfalls war eine Zunahme der Biomasse durch die
Tätigkeit der gefärbten Schwefelbakterien oder verwandter Organismen nur möglich,
solange ein Vorrat von reduzierten Schwefelverbindungen oder anderen geeigneten
Elektronenquellen vorhanden war. Früher oder später mußte der Vorrat an leicht
zugänglichen Reduktionsmitteln erschöpft und eine neue Grenze für die Expansion der
Biomasse erreicht werden. Abermals hatten die Lebewesen einen starken Anreiz, durch
Hervorbringung neuer bioenergetischer Maßnahmen auf dem Wege von Mutation und
Selektion eine Grenze zu überwinden.
Die Lösung wurde durch die Blaualgen gefunden. Diese urtümlichen Algen ähneln in
ihrer Morphologie noch den Bakterien, so daß viele Forscher sie lieber als Blaubakterien
bezeichnen. (Sie sind übrigens keineswegs immer blau oder auch nur bläulich; die Farbe
hängt wieder von akzessorischen Pigmenten ab.) Sie sind aber jedenfalls von den gefärbten
Schwefelbakterien durch die Grundtatsache scharf unterschieden, daß sie H 2 0 statt H 2S als
Elektronenquelle verwenden können. Freilich können einige Arten von Blaualgen im
Bedarfsfall noch immer H 2S statt H 20 anwenden, sich also auf eine Photosynthese
bakteriellen Typs zurückziehen.
Die Gesamtreaktion mit H 20 kann in einer Form angeschrieben werden, durch die die
Analogie mit (4) betont wird:
(6)
Vertrauter ist die inhaltlich identische Form:
(7)
Dieser photosynthetische Gesamtprozeß liegt auch in den höheren Algen (Grünalgen
u. a.) und überhaupt in allen Pflanzen vor.
Daher kann die Art des Prozesses auch zur Definition der Pflanze verwendet werden,
wobei man freilich farblose Pflanzen, die den Prozeß durch saprophytische oder parasitische
Lebensweise nachträglich wieder verloren haben, einschließen wird. Falls man nun die
Blaualgen ebenso wie sonstige, höhere Algen Pflanzen nennt, trennt man sie natürlich von
den Bakterien. Man kann sie dann nicht Blaubakterien nennen. Es wäre nämlich höchst
unzweckmäßig, Bakterien und Pflanzen zusammenzufassen, wie dies früher oft geschah.
Vom Standpunkt der Bioenergetik ist die Bezeichnung "Blaualgen" vorzuziehen.
53
Die entscheidend wichtige Ähnlichkeit zwischen (4) und (6) wurde von C. B. van Niei"
entdeckt. Natürlich wird nur durch die pflanzliche, nicht aber durch die bakterielle
Photosynthese Sauerstoff freigesetzt; dies ist die direkte Folge der Verwendung von
Wasser als Quelle von Elektronen. Daher muß die Erdatmosphäre vor der Entstehung der Blaualgen im wesentlichen anoxisch geblieben sein. Photolytischer O 2 aus der
photochemischen Zersetzung von Wasserdampf durch UV kann nicht viel ausgemacht
haben.
Die Blaualgen waren und sind außerordentlich erfolgreich. Sie entstanden spätestens
etwa 1,5 Gigajahre ("GJ": 1,5 Milliarden Jahre) nach der Bildung der Erde und existieren
daher schon während 3,2 GJ. Während dieser langen Zeit änderten sich einige der Arten
morphologisch nur wenig. Allerdings traten später "filamentöse" (Faden-)Algen auf. Sie
bestehen statt aus Einzelzellen aus zusammenhängenden Reihen von Zellen, so daß
Differenzierung möglich wurde.
Obwohl die Reaktionen (4) und (6) in Analogie stehen, unterscheiden sie sich doch stark
in ihrer Energetik. Die freie Energie, die in (6) investiert werden muß, beträgt 115 kcal und
übertrifft jene für (4) um eine Größenordnung. Die Fähigkeit der Algen zur Erzwingung
einer so stark endergonen Reaktion durch Sonnenlicht war eine erstaunliche Errungenschaft. Tatsächlich erforderte sie ein neues Prinzip. Zur energetischen Hebung jedes
Elektrons aus der Urquelle, H 20, bis zum Ziel, NADP, genügt nicht 1 Lichtquant, wie dies
bei Bakterien mit der Urquelle H 2S zutrifft, sondern es müssen in einem wohlgeordneten
Prozeß nacheinander 2 Quanten absorbiert werden. Diese Tatsache drückt sich im
sogenannten Z-Schema aus, welches zuers(von HilI und Bendal1'8 vorgeschlagen wurde.
Nach diesem Schema wird ein Quant zuerst durch "Photosystem 2" absorbiert und ein
Elektron auf ein höheres (nach Definition stärker negatives) Potential gehoben. Es wird
dabei von einer Art Chinon aufgenommen, dessen Molekül durch zwei Elektronen (und
2 H+-Ionen) zu einem Molekül Hydrochinon reduziert wird. Sodann fließen die Elektronen
"bergab", d. h. zu Stoffen abnehmenden negativen Potentials. Dieser Fluß erfolgt in einer
Kette von exergonen ("dunklen") Redox-Reaktionen. Schließlich wird jedes Elektron in ein
"Loch" in "Photosystem 1" aufgenommen. Das Loch war vorher durch photochemische
Hebung eines Elektrons aus diesem Photosystem entstanden. Man beachte, daß die beiden
Photosysteme sozusagen verkehrt numeriert sind, d. h. entgegen der zeitlichen Reihenfolge
im Elektronenfluß.
Die Elektronen aus Photosystem 1 landen im Ferredoxin. Dies ist eine Art Protein, die
außerdem noch Eisen sowie anorganisch gebundenen Schwefel enthält und sich durch
besonders hohes negatives Potential auszeichnet. (Ferredoxine verschiedener Art werden
übrigens auch in photosynthetischen und anderen Bakterien gefunden.) Das reduzierte
Ferredoxin schließlich überträgt Elektronen auf NADP und macht daher (unter Beteiligung
von H-Ionen) NADPH.
Der exergone Elektronenfluß über die "Brücke" zwischen den beiden Photosystemen ist
mit der Synthese von ATP verknüpft, d. h. im beschriebenen nichtzyklischen 2-QuantenProzeß wird nicht nur Reduktionsmittel (reduziertes Ferredoxin und sodann NADPH),
sondern auch energiereicher Stoff gewonnen. Belichtete Pflanzen sind jedoch ebenso wie
Bakterien auch zu zyklischem Elektronenfluß mit ATP-Aufbau befähigt, also zu zyklischer
Photophosphorylierung. Das quantitative Verhältnis zwischen dem nichtzyklischen und dem
zyklischen Prozeß kann offenbar je nach dem unter den herrschenden Verhältnissen
bestehenden Bedarf an NADPH und ATP geregelt werden.
54
Die beiden Phot 0 systeme der Pflanze beruhen beide auf Chlorophyll A, die reaktiven
Moleküle dieser Art müssen sich aber in den beiden Fällen in unterschiedlichen Zuständen
mit verschiedenen Potentialen befinden. Sie sind unter Mitbeteiligung von Proteinen in
verschiedene Festkörperstrukturen eingebettet, ähnlich wie dies auch für das einzige
Photosystem der photosynthetischen Bakterien zutrifft. Die beiden pflanzlichen Photosysteme haben unterschiedliche photochemische Aktionsspektren; Photosystem 1 spricht
stärker auf "fernrotes" Licht (längere Wellen) an als Photosystem 2. Daher ist die Ausbeute
an Biomasse nur dann optimal, wenn die beiden Photosysteme gleichzeitig genügend Licht
geeigneter Wellenlänge bekommen, wenn also das Licht, das besser von dem einen
Photosystem verwertet wird, durch Licht ergänzt wird, auf das das andere Photosystem
stärker anspricht. Diese superadditive Ausnützung von Licht führt zum sogenannten
Emerson-Effekt. '9
6. Atmende Organismen
Die Pflanzen sind das Nonplusultra der Bioenergetik. Für grenzenlose Vermehrung
brauchen sie nichts als Licht, Salze, H 2 0 und CO 2 • Nach der Erfindung der pflanzlichen
Photosynthese konnte das Leben fast die ganze Erde in Besitz nehmen. Während der
Ausbreitung der Blaualgen verwandelten sie die Atmosphäre, die ursprünglich reduzierend
und später redoxneutral, jedenfalls aber anoxisch gewesen war, in eine oxidierende
(oxische) Atmosphäre. So wurden für das Leben ganz neue Bedingungen geschaffen. In den
Ozeanen erschien von den Blaualgen erzeugtes O2 viel früher als vor 2 GJ, wobei es freilich
durch lange Zeit durch dortige Reduktionsmittel, etwa Ferroion, beseitigt wurde, in der
Atmosphäre vor weniger als 2 GJ. Diese Schätzungen sind dadurch möglich, daß O 2 Eisen
aus der Wertigkeit 2 in die Wertigkeit 3 überführt. Dreiwertiges Eisen findet sich in
marinen Ablagerungen viel früher als in kontinentalen Gesteinen.
In der oxischen Biosphäre mußten alle Organismen sehen, wie sie mit dem aggressiven
Sauerstoff fertig wurden. Für manche Lebewesen ist Sauerstoff ein gefährliches Gift
geblieben. Das sind die obligat anaeroben Bakterien, die schon erwähnt wurden. Andere
Lebewesen bildeten Mechanismen zur Verteidigung gegen O2 aus. Viel besser war
natürlich, wenn O2 bioenergetisch ausgenützt werden konnte. Vom Standpunkt der
Biochemie und Biophysik, der freilich mit dem der gewöhnlichen Stoffwechseiphysioiogie
nicht zusammenfällt, ist dies das Wesen der Atmung oder Respiration. Zum Beispiel kann
die Verwertung von Glukose durch die Gleichung
(8)
dargestellt werden, also durch Umkehrung von (7). Die freigesetzte Energie beträgt daher
115 kcal je Mol Kohlenstoff oder 690 kcal je Mol Glukose - eine große Menge. Die
wichtigsten Wesenszüge der Atmung sind stets die gleichen, doch werden unter den aeroben
Bakterien im einzelnen auch Verschiedenheiten festgestellt. Wahrscheinlich hat sich die
Atmung in verschiedenen Gruppen von Bakterien und auch in den Blaualgen unabhängig
und parallel entwickelt.
Die Mechanismen der Atmung wurden am gründlichsten an den Mitochondrien studiert,
besonderen intrazellulären Organellen, die allerdings in Bakterien und Blaualgen nicht
vorkommen. Man findet sie aber in beinahe allen höheren Zellen. Festgestellt wurde, daß
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Glukose, das als typisch betrachtete Substrat, zunächst ebenso wie bei der Milchsäuregärung zu Pyruvat abgebaut wird. Dieses wird dann in den "Zitronensäure"- oder "Krebs"Zyklus eingeführt und dort zu CO 2 und H 20 aufoxidiert. Gleichzeitig werden in diesen
vorbereitenden Prozessen Reduktionsmittel, besonders NADH, erzeugt. Diese beliefern
dann die sogenannte Atmungskette mit Elektronen.
Diese Kette besteht aus einer Reihe von Redoxstoffen, die in Membranen eingebaut
sind. Der exergone Fluß von Elektronen zwischen diesen Stoffen ist mit ATP-Synthese
gekoppelt. Im Gesamtprozeß der "Verbrennung" von 1 Glukose zu 6 CO 2 + 6 H 2 0 werden
vermutlich 38 Moleküle ATP synthetisiert, also fast zwanzigmal soviel wie bei der
Verwertung von Glukose bei der Milchsäuregärung. Der Zahlenwert 38 ist zwar neuerdings
wieder zur Diskussion gestellt worden, doch kann an der enormen energetischen Überlegenheit der Atmung über die Gärung kein Zweifel bestehen.
Fast alle Zellen höherer Lebewesen sind zur Atmung befähigt, wenn auch die grünen
Teile der Pflanzen bei Tageslicht ihren ATP-Bedarf vorwiegend durch Photosynthese
decken. Die gegenwärtige Biosphäre wird durch die antagonistischen Prozesse einerseits der
pflanzlichen Photosynthese mit Erzeugung von O2 und andererseits der Atmung mit
Verbrauch von O 2 beherrscht. Beiderlei Prozesse werden zum ATP-Aufbau verwendet.
Es wurde schon erwähnt, daß bei der Photosynthese der Elektronenfluß in Membranen
durch photosynthetische Phosphorylierung ATP ergibt. Jetzt haben wir bei der Atmung
einen ähnlichen Prozeß gefunden; er heißt oxidative Phosphorylierung. Überdies sind die
Redox-Stoffe, die in den beiden Fällen den Elektronenfluß vermitteln, chemisch ähnlich
und manchmal sogar identisch. Diese auffallende Übereinstimmung muß entwicklungsgeschichtlich erklärt werden. Ein unabhängiger Ursprung beider Systeme ist auf Grund der
großen Übereinstimmung gewiß abzulehnen.
Mindestens in der beschriebenen Form, in der O2 als schließlicher (terminaler) Elektronenakzeptor diente, konnte die Atmung erst nach der pflanzlichen Photosynthese
auftreten. Offenbar erfolgte eine Anpassung an die bereits vorher vorliegende Maschinerie
für Photosynthese, d. h., die Maschinerie wurde "konvertiert" ("Konversions-Hypothese").'
Es ist allerdings möglich, daß das Prinzip des mit ATP-Synthese gekoppelten Elektronenflusses in primitiver Form schon vor der Einführung der Photosynthese vorhanden war. 20
Dann müssen freilich wegen des Fehlens von O2 andere terminale Elektronenakzeptoren
verwendet worden sein, etwa bei Gärungen entstandenes Fumarat." Bei dessen Reduktion
entsteht Succinat.
Für das Studium des Übergangs von der Photosynthese zur aeroben Atmung eignen sich
besonders Zellen, die die beiden Arten von Prozessen in einem und demselben Raum
ausführen, nämlich gewisse fakultativ aerobe purpurne Schwefelbakterien sowie die
Blaualgen. Dabei scheint sich zu zeigen, daß Teile der Strukturen, die dem Elektronenfluß
dienen, wahlweise im Rahmen des Gesamtprozesses der Photosynthese oder auch der
Atmung verwendet werden können. Andere Organismen verloren nach der Erwerbung der
Fähigkeit zur Atmung die Fähigkeit zur Photosynthese. Ein Beispiel für solche chlorophyllfreie Lebewesen sind die Coli-Bakterien.
In einigen Gruppen von Bakterien werden andere terminale Elektronenakzeptoren als
O 2 verwendet, etwa Nitrat, Sulfat oder, wie schon erwähnt, Fumarat ("Nitrat-Atmung"
usw.). Diese Organismen werden "chemosynthetisch" genannt. In all diesen Fällen wird
ebenfalls durch oxidative Phosphorylierung ATP erhalten. Die Frage des Ursprungs solcher
Prozesse ist von Interesse. Zum Beispiel kann die Nitrat-Atmung erst entstanden sein,
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nachdem Nitrat in der Biosphäre häufig geworden war; dies traf wohl nur auf die spätere,
oxische Biosphäre zu. In bezug auf Fumarat ist die Lage, wie bemerkt, anders.
In einer weiteren interessanten Gruppe von Atmungs(Elektronenfluß-)prozessen bestehen die Reduktionsmittel (Elektronenquellen) nicht aus organischen, sondern aus anorganischen Stoffen, etwa Sulfiden, während O2 oder Nitrat als terminale Elektronensenken
dienen. Eine derartige Oxidation von Sulfid mit ATP-Synthese wird durch die weißen
("farblosen") Schwefelbakterien, die Thiobacilli, durchgeführt. Sie können in oxidierenden
Bedingungen aus den gefärbten Schwefelbakterien entstanden sein, wieder mit Konversion
einer photosynthetischen in eine respiratorische Elektronenflußkette, die ja beide der ATPProduktion dienen.
Abschließend sei nochmals nachdrücklich betont, daß die Atmungsprozesse im Gegensatz zu den gleichfalls ohne Teilnahme von Licht ablaufenden Gärungsprozessen nur in und
an Membranen, also nicht in homogener Lösung stattfinden. Sie erfordern also einen viel
höheren Organisationsgrad der Zellen. Immerhin gibt es, wie erwähnt, auch schon atmende
(aerobe) Bakterien. In Abwesenheit von Elektronenakzeptoren (0 2 oder Nitrat) können sie
oft das zum Leben nötige ATP durch Gärung erzeugen, also auf diesen älteren Prozeß
zurückgreifen (fakultative Anaerobier).
7. Eukaryoten aus Prokaryoten
Die Entstehung höherer Organismen war nur bei reichlicher Energieversorgung möglich,
nachdem sich also die pflanzliche Photosynthese und die Atmung entwickelt hatten.
Tatsächlich erschienen, wie man der Untersuchung von Mikrofossilien entnimmt, die ersten
Zellen, welche die radikal verbesserte innere Organisation von "Eukaryoten" zeigen, vor
etwa 1,5 GJ. Eukaryoten haben abgegrenzte Zellkerne und die schon erwähnten der
Atmung dienenden Mitochondrien sowie, wenn es sich um photosynthetische Organismen
handelt, auch Chloroplasten. Die älteren "Prokaryoten", also Bakterien und Blaualgen,
enthalten alle keine solchen "Organellen".
Die Kompartimentierung von Zellen bezüglich der bioenergetischen Prozesse bietet bei
deren gesonderten Regelung große Vorteile. Man beachte aber, daß die verschiedenen
bioenergetischen Prozesse, also Gärung, Photosynthese und Atmung, in ihren Grundlagen
schon durch Prokaryoten hervorgebracht worden waren. Fixierung von Stickstoff (N 2) ist
bisher sogar überhaupt nur als Eigenschaft von Prokaryoten bekannt. Entweder konnten
jene prokaryotischen Zellen, aus denen sich die eukaryotischen Zellen entwickelten, N 2
nicht binden, oder es ging diese Fähigkeit später verloren.
Die bemerkenswerte Hypothese des Ursprungs der Eukaryoten durch Symbiose kann
nur kurz genannt werden. 22 Es wird vorgeschlagen, daß die Mitochondrien ursprünglich aus
endosymbiontischen aeroben Bakterien entstanden sind, die in die (ebenfalls prokaryotischen) Wirtszellen eingedrungen waren. Ähnlich können die Chloroplasten ursprünglich aus
endosymbiontischen Blaualgen entstanden sein, die die Wirtszellen mit Photosynthat
versorgten. Später verloren die Endosymbionten einige ihrer ursprünglichen Fähigkeiten
und ihre genetische Unabhängigkeit. Die Organeilen der gegenwärtigen Eukaryoten
enthalten nur mehr wenig Erbmasse, also DNA.
Aus den eukaryotischen Einzellern entwickelten sich die Vielzeller. In ihnen sind
Differenzierung und Arbeitsteilung möglich. Bei den höchsten Lebewesen, etwa Insekten
57
und Wirbeltieren, wurde die Arbeitsteilung sehr weit getrieben. Dagegen wird bei
Prokaryoten Differenzierung nur gelegentlich und ansatzweise beobachtet, so bei den
filamentösen Blaualgen, wo es Zellen gibt, die auf die Fixierung von atmosphärischem
Stickstoff spezialisiert sind.
Aufbau und Abbau von ATP erfolgen auch bei Vielzellern stets intrazellulär, da der
Stoff nicht durch die Zellmembran durchtreten kann. Jede Zelle sorgt für die eigene
Energie. So enthält etwa ein Wirbeltier, das aus 1013 Zellen besteht, ebenso viele
"Kraftwerke". Anders als in der menschlichen Energiewirtschaft ist daher die natürliche
Energiewirtschaft völlig dezentral. Offenbar war den Vielzellern eine Zentralisierung der
Energieerzeugung nicht mehr möglich, auch wenn sie Vorteile gebracht hätte. Die
Umstellung wäre zu schwierig gewesen.
Fossile vielzellige Tiere (Metazoa) mit weichen Körpern werden erstmals in der
Ediacara-Periode (vor 0,68 GJ) gefunden. 23 Doch sind natürlich Überreste von Tieren mit
harten Bestandteilen, zunächst Schalen und später auch Knochen, viel reichlicher. Sie
erscheinen zuerst, vor 0,58 GJ, im unteren Kambrium. Die ersten vielzelligen Pflanzen
(Metaphyta) finden sich ebenfalls im Kambrium.
Alle frühen Organismen lebten in Gewässern. Die dauernde Eroberung des Landes fand
erst im Silur (vor 0,4 GJ) statt. Die Hauptursache der Verzögerung war, daß das Leben in
einer nassen Umgebung mit nur wenig wechselnden Eigenschaften grundsätzlich leichter ist
als das Leben zu Lande, daher an der Luft. Überdies schützte das Wasser die frühen
Organismen vor der solaren UV-Strahlung. Die frühe, anoxische Atmosphäre ließ die
Strahlung durch, so daß die Lebewesen die Absorption im Wasser brauchten. Erst die
verbesserte Energieversorgung durch die Atmung ermöglichte schließlich die Bewältigung
der Schwierigkeiten im Leben zu Lande. Auch bildete sich in der oxischen Atmosphäre in
großer Höhe die bekannte Ozonschicht, die das kurzweilige UV fast vollständig verschluckt.>'
Während bei der weiteren Entwicklung der Vielzeller, also der Tiere, Pflanzen und Pilze,
keine grundlegenden Änderungen in den Verfahren zur Erzeugung von Energie erfolgten,
wurden die Methoden zu ihrer Verwendung fortlaufend verbessert. Dies setzte Ausbau der
Informationsübertragung innerhalb der immer komplizierter werdenden Organismen voraus. Sie erfolgte zunächst hormonal und bei Tieren später vorwiegend neural. Fähigkeit zu
Reflexen, sodann Gedächtnis, also geistige Funktionen, entstanden. Dadurch ergaben sich
auch in einigen Tierstämmen, besonders bei Insekten und Wirbeltieren, Möglichkeiten zum
sozialen Zusammenwirken von mehreren, ja vielen Individuen. Mit der Ausbildung von
Bewußtsein und freiem Willen 25 wurde schließlich die höchste Stufe erreicht. Wir haben
keinen Grund, an irgendeiner Stelle dieser langen Entwicklungsreihe vom Eobionten zum
Menschen eine Diskontinuität anzunehmen. Mutation, Selektion und später auch genetische Rekombination (in hochentwickelter Form: Sexualität) sind stets die maßgebenden
Mechanismen gewesen.
8. Die Entwicklung des atmosphärischen Stickstoffs
Die bisher angestellten Überlegungen führen auch zu Hypothesen über den Einfluß der
bioenergetischen Evolution auf den Oxidationszustand des atmosphärischen und hydrosphärischen Stickstoffs. 25,26,27,28,29,30.31 In der ursprünglichen reduzierenden Biosphäre konnte
58
der Stickstoff teilweise als NH 3 vorliegen, doch hatte er wegen der leichten photochemischen Zersetzung dieses Stoffes durch UV gewiß meist die Form von Nz. Bereits die
frühesten Bakterien benötigten NH3 zur Synthese von Aminosäuren und anderen Biomolekülen. Nachdem aber spätestens in der redoxneutralen Biosphäre Mangel an NH 3 auftrat,
mußten Bakterien die Assimilation von Nz auf dem Wege über seine Reduktion (Fixierung)
lernen. Viele Arten von gärenden, photosynthetischen und atmenden Prokaryoten fixieren
N z; in jedem Fall muß viel ATP aufgewendet werden. Das notwendige Enzymsystem,
Nitrogenase genannt, könnte sich aus Enzymen des Hz-Stoffwechsels entwickelt haben.
Diese Entwicklung dürfte lange Zeit beansprucht haben.
In der späteren, oxischen Biosphäre hat NH3 ähnlich wie HzS chemosynthetischen
Bakterien als Substrat, also als Elektronendonor für oxidative Phosphorylierung durch
Elektronenfluß gedient. Dieser Prozeß heißt Nitrifikation und führt zu Nitrit und Nitrat.
Andererseits dienen diese Stoffe, wie erwähnt, als terminale Elektronenakzeptoren bei der
Nitrat-(Nitrit-)Atmung, auch als "dissimilatorische" Nitrat-(Nitrit-)Reduktion bekannt,
wobei abermals ATP-Synthese durch Elektronenfluß erfolgt. Die für diese Reduktion
verantwortlichen Organismen werden als Denitrifikanten bezeichnet. Die Produkte sind Nz
oder NzO, aber der letztere Stoff ergibt bald Nz. So funktioniert in unserer Biosphäre ein
Zyklus des anorganisch gebundenen Stickstoffs zwischen den Wertigkeitsstufen - 3 (NH3),
± 0 (Nz) und + 5 (NO}).
(Neben der dissimilatorischen Nitrat-Reduktion mit ATP-Erzeugung gibt es auch eine
assimilatorische Nitrat-Reduktion, die zum Einbau von Stickstoff in vollständig reduziertem
Zustand in Biomasse führt. Der Prozeß verläuft oft in Lösung, erfordert also keine
Membranen und liefert kein ATP. Auf ihn soll hier nicht weiter eingegegangen werden.
Analog kennt man bei Prokaryoten auch eine dissimilatorische und eine assimilatorische
Sulfat-Reduktion.)
Die globale Umsatzzeit im genannten Stickstoffzyklus kann mangels an genauen
experimentellen Unterlagen nur grob geschätzt werden: etwa 10-100 Millionen Jahre. Zum
Vergleich: Die Umsatzzeit des Wasserstoffs im Wasser der Ozeane auf Grund der
Photosynthese beträgt 15 Millionen Jahre, jene des Sauerstoffs der Atmosphäre bloß
6000 Jahre und jene des Kohlenstoffs im verfügbaren CO z (COz-Gas und Bikarbonat in
Lösung) sogar nur 500 Jahre. Obwohl Nz ebenso wie 0z immer wieder durch die Tätigkeit
von Organismen ergänzt wird, besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen den Rollen
der beiden Elemente. In Abwesenheit von Leben, d. h. auch nach dem Ende allen Lebens,
würde die Atmosphäre zwar weiterhin Nz, aber nach einer gewissen Zeit kaum mehr 0z
enthalten. Dieses würde mit Reduktionsmitteln in der Erdkruste reagieren, während Nz
inert ist.
9. Ausblick
Die hier vorgelegten Gedanken über bioenergetische Evolution sind meistens auf
Grundlage von Deduktion formuliert worden, d. h. ein entwicklungsgeschichtlicher Stammbaum wurde nach Betrachtung der bioenergetischen Prozesse in den derzeit existierenden
Lebewesen entworfen. Das Schema wurde mit Hilfe dreier Kriterien gestaltet. Jeder Schritt
in der Evolution mußte 1) thermodynamisch möglich, 2) biologisch nützlich oder mindestens
neutral und 3) mechanistisch plausibel sein. Kriterium 3 beinhaltet auch, daß die einzelnen
Schritte nicht zu groß sein durften.
59
Natürlich darf der deduktiv erhaltene Stammbaum nicht der induktiven Beweislage
widersprechen. Induktive Beweisstücke wurden durch die Sequenzanalyse bei Proteinen
und Nukleinsäuren, 32,33 durch mikropaläontologische34 und geochemische3s • 36, 37 Untersuchungen sowie durch Arbeiten über die Isotopenzusammensetzung von abgelagerten Kohlenstoff- und Schwefelverbindungen38 ,39 geliefert.
Die Aufklärung der Evolution der bioenergetischen Prozesse hat erstens enormes
wissenschaftliches Interesse, das man zunächst als akademisch bezeichnen könnte. Zweitens
haben die evolutionistischen Ideen große Bedeutung für eine natürliche Klassifikation der
Organismen. Drittens hilft das Verständnis der evolutionären Möglichkeiten und Wege bei
der Suche nach noch unentdeckten Gruppen von Lebewesen, besonders von Prokaryoten.
Viertens erleichtert Kenntnis des Stammbaums die Didaktik, da der Lernende die so
vielfältigen bioenergetischen Prozesse und ihre Träger nicht mehr mechanisch auswendig
lernen muß.
Schließlich, also fünftens, kann die Betrachtung der bioenergetischen und ihrer
evolutionären Zusammenhänge auch technologische Studien fördern. Erinnert sei an die
Verbesserung der Leistungen der vielen Mikroorganismen, die zur Herstellung von Stoffen
verwendet werden, durch Züchtung. 40 Auch denkt man an die technische Nutzbarmachung
der Sonnenenergie auf dem Weg über die Photolyse des Wassers.'"42. 43 Diese ist, wie man
gesehen hat, der Kernpunkt der pflanzlichen Photosynthese.
Für technische Zwecke müßte man künstliche Systeme aufbauen, in denen statt
reduziertem FerredQ)cin H 2 entsteht. Da die Standard-Redox-Potentiale der beiden Stoffe
gleich sind, sie also gleich leicht oder gleich schwer erzeugt werden können, besteht
theoretisch die Möglichkeit zu solchen Systemen. Ein sehr kleiner Teil der Energie des auf
die Erde auftreffenden Sonnenlichts würde genügen, alle vernünftigen Bedürfnisse der
Menschheit zu befriedigen; die gesamte auftreffende Energieleistung beträgt 40 000 Kilowatt pro Kopf. Wenn es uns gelingt, nach diesem Verfahren die Energieprobleme zu lösen,
so hat die Menschheit im Kampf ums Dasein im Sinne Darwins einen wichtigen Schritt
vorwärts getan.
1 E. Broda: The Evolution of the Bioenergetic Processes, Pergamon Press, Oxford 1975; durchgesehene Auflage, Oxford 1978.
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3 A.1. Oparin: The Origin of Life, Macmillan, London 1938, und spätere Ausgaben. Die ursprüngliche Arbeit Oparins erschien 1924 in Russisch.
4 Siehe J. D. Bemal: The Origin of Life, Weidenfeld and Nicolson, London 1967.
5 J. B. S. Haldane: The Origin of Life, The Rationalist Annual (1929).
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43 E. Broda: Großtechnische Verwendung der Sonnenenergie durch Photochemie, Naturwiss.
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