H 64122 ISSN 1439-1139 2/2006 April 8. Jahrgang Urologie Rheumatologie @ U R O LO G I E : Ü B E R A K T I V E B L A SE Neues in der medikamentösen Therapie @ U R O L O G I E : H A R N V E R H A LT Lesen Sie mehr dazu ab Seite 12 Wiederherstellung der Spontanmiktion @ R H E U M AT O L O G I E : A R T H R I T I S Medikamentöse Therapie der RA @ R H E U M AT O L O G I E : O S T E O P O R O S E Eine vielschichtige Herausforderung www.gerikomm.de EDITORIAL Tabuthemen, Rheumatoide Arthritis, Osteoporose I n der Bevölkerung herrscht noch immer die Meinung, Harninkontinenz sei – insbesondere im Alter – ein unabwendbares Schicksal und als nicht lebensbedrohende Erkrankung nicht behandlungsbedürftig. So versorgte ein Patient seine Stressinkontinenz nach transurethaler Resektion der Prostata 30 Jahre lang mit einer Penisklemme. Die Folge dieser inadäquaten Versorgung war die Entwicklung eiHarninkontinenz nes Penis-Druckulkus mit Harnwird aus Scham röhrenfistel, die den Patienten dazu veranlasste, einen Arzt aufmeist verschwiegen zusuchen. Dieses – extreme – Beispiel macht die Problematik der Harninkontinenz extrem deutlich: Sie ist für Patienten mit erheblichen Leidensdruck verbunden, wird aber aus Scham meist verschwiegen. Oft ziehen sich die Betroffenen auch noch aus der Gesellschaft zurück und vereinsamen. Inkontinenz ist aber nicht ein psychosoziales Problem, sondern auch ein medizinisches. Denn sie ist neben sozialer Isolation mit Depressionen, Stürzen und Frakturen und häufigen Krankenhausaufenthalten assoziiert. Aus diesem Grund greift das GERIATRIE JOURNAL dieses Thema immer wieder auf. In diesem Heft gibt Dr. Andreas Wiedemann ab Seite 12 einen Überblick über Neuigkeiten in der medikamentösen Therapie der Überaktiven Blase. Durch die zunehmende Lebenserwartung wird der Anteil der Personen, die im höheren Lebensalter erstmalig und auch dauerhaft von einer Rheumatoiden Arthritis betroffen sind, ansteigen. Diese Erkrankung weist im höheren Alter häufig eine höhere Entzündungsaktivität und Aggressivität auf und ist mit erheblichen Einschränkungen hinsichtlich Selbstständigkeit und Lebensqualität der Betroffenen verbunden. Die Rheumatoide Arthritis zeichnet sich klinisch insbesondere durch einen akuten Beginn mit schwerem Krankheitsgefühl, häufig mit Befall der kleinen und großen Gelenke aus. Hinzu kommen systemische Manifestationen in Form von Fieber, Gewichtsverlust, Leistungsschwäche und rascher Muskelatrophie. Die Möglichkeiten der medikamentösen Therapie erläutert Dr. Thomas Brabant ab Seite 23. Die Osteoporose stellt in der Geriatrie eines der häufigsten Krankheitsbilder dar. Weltweit sollen 200 Millionen Menschen darunter leiden. In der Europäischen Union passiert alle 30 Sekunden eine Fraktur auf Grund einer Osteoporose und in Deutschland ereignen sich – Hochrechnungen zufolge – jährlich ca. 225.000 Wirbelkörperhalsfrakturen und ca. 100.000 Schenkelhalsfrakturen. Diese Frakturen können einschneidende Auswirkungen auf Morbidität und Mortalität der Betroffenen haben. 20% der Patienten mit Nur jeder vierte Hüftfraktur versterben innerhalb des an Osteoporose ersten Jahres nach dem Ereignis, 20- Erkrankte 40% der über 75-Jährigen werden wird therapiert dadurch dauerhaft pflegebedürftig. Bislang wird leider nur die Hälfte der Erkrankungen diagnostiziert und nur jeder vierte Erkrankte therapiert. Dr. Parvis Farahmand widmet sich der Osteoporose mit einem umfassenden Artikel. Teil 1 (S. 29 ff ) befasst sich mit Epidemiologie, Pathophysiologie, Ätiologie und Diagnostik. Teil 2 erscheint in Ausgabe 3/2006 und gibt Hinweise zur Schmerztherapie sowie zur medikamentösen und nicht medikamentösen Therapie. Eine informative Lektüre wünscht Ihnen Jola Horschig Redakteurin GERIATRIE JOURNAL I N H A LT EDITORIAL Tabuthemen, Rheumatoide Arthritis, Osteoporose Jola Horschig, Springe 3 NACHRICHTEN: TRENDS & THEMEN Foto: Wiedemann Wichtige Informationen in Kürze 6 L I T E R AT U R : R E F E R I E R T & K O M M E N T I E R T Ein akuter Harnverhalt hat in vielen Fällen die Anlage einer Harnblasenlangzeitdrainage zur Folge. Strukturiertes Vorgehen bietet die Möglichkeit, therapeutische Alternativen in Betracht zu ziehen. Seite Schmerzen bei Gonarthrose: Glucosamin und Chondroitinsulfat bei symptomatischer Gonarthrose Delirium: Wie man der akuten Verwirrtheit auf Station vorbeugt Ältere Ehepaare: Letalität nach Krankenhaus- und Heimeinweisung des Ehepartners 9 9 10 16 U R O LO G I E : H A R N I N KO N T I N E N Z Überaktive Blase – Neues in der medikamentösen Therapie A. Wiedemann, Gelsenkirchen 12 U R O L O G I E : A K U T E R H A R N V E R H A LT Strukturiertes Vorgehen zur Wiederherstellung der Spontanmiktion A. Wiedemann, H. Müller, Gelsenkirchen 16 Foto: Wiedemann U R O LO G I E : P E N I SV E R Ä N D E R U N G E N Das Tabu unter der Bettdecke A. Wiedemann, Gelsenkirchen Scham, klassische Tabuisierung und körperliche Defizite können dazu beitragen, dass geriatrisch relevante Penisveränderungen über lange Zeit unentdeckt und damit unbehandelt bleiben. Seite 20 20 R H E U M AT O L O G I E : A R T H R I T I S Die medikamentöse Therapie der Rheumatoiden Arthritis Thomas Brabant, Bremen und Dirk O. Stichtenoth, Hannover Titelbild R H E U M AT O L O G I E : O S T E O P O R O S E © Getty Images/Stockbyte Osteoporose – eine vielschichtige Herausforderung, Teil 1 Parvin Farahmand und Johann Diederich Ringe, Leverkusen 4 23 29 GERIATRIE JOURNAL 2/06 I N H A LT P S Y C H I AT R I E : I N S O M N I E 36 ERNÄHRUNG: MALNUTRITION „Patienten mit ernährungsbedingtem Risiko identifizieren“ Interview mit Prof. Dr. med. Sci Jens Kondrup 42 Foto: Farahmand Schlafstörungen im Alter, Teil 2 Jürgen Staedt, Berlin Die Osteoporose ist die wichtigste und häufigste generalisierte metabolische Skeletterkrankung. Der Artikel befasst sich mit Epidemiologie, Pathophysiologie, Ätiologie und Diagnostik von Osteoporose. Seite 29 E R N Ä H R U N G : W A S S E R H A U S H A LT Dehydratation – viele Ursachen, eine Lösung Dr. Susanne Nowitzki-Grimm, Schorndorf 45 G E R I AT R I E J O U R N A L – S P E Z I A L Demenzbedingte Verhaltensstörungen: Risperidon bleibt Mittel der Wahl Jola Horschig, Springe 46 P U B L I K AT I O N E N : F A C H B Ü C H E R Aktuelle Neuerscheinungen 48 Neues Lehrbuch für Geriatrie erschienen Seite 48 P H A R M A : S Y M P O S I E N & P R A X I S I N F O R M AT I O N E N Gelenk- und Bewegungsschmerzen: Studie belegt Wirkstärke von Etoricoxib bei akuter Gichtarthritis Arthrose: Ernährungstherapie bei Arthrose Osteoporose: Ergebnisse der EVA-Studie 49 49 50 DIVERSES Termine/Impressum GERIATRIE JOURNAL 2/06 51 Beilagenhinweis Dieser Zeitschrift liegen Beilagen der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) und der Deutschen Krankenhaus Verlagsgesellschaft bei. Wir bitten um freundliche Beachtung. 5 NACHRICHTEN: TRENDS & THEMEN Neue Rheumatherapie mit entzündungshemmenden Exosomen Eine Düsseldorfer Ärztegruppe hat eine neue biologische Stoffklasse, sog. „entzündungshemmende Exosomen“, zur Behandlung von Gelenkrheuma entdeckt und erfolgreich eingesetzt. Exosomen sind Zellpartikel weißer Blutkörperchen, die eine wichtige Rolle bei der Regulation des Immunsystems spielen. „Durch Exosomen lernt das Immunsystem, die eigenen Zellen wieder als eigen zu erkennen“, sagte Prof. Dr. med. Peter Wehling vom Zentrum für Molekulare Orthopädie. Wehling behandelte 66 überwiegend austherapierte Rheumapatienten verschiedenen Alters mit Exosomen. Es handelte sich um Patienten, bei denen mit klassischen Basistherapien und Operationen kein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht werden konnte. Die Patienten erhielten eine einmalige Injektion der Exosomen in das rheumatische Gelenk. „Wir haben bei zwei Drittel der Patienten rasche und deutliche Besserungen beobachtet“, sagte Wehling, der die Patienten bis zu fünf Jahre lang beobachtet hatte. Die Besserung hielt durchschnittlich drei bis sechs Monate an und konnte mit Quelle: ots/Pressemitteilung Zentrum für Molekulare Orthopädie Sturz – Risikoerfassung und Prävention Am 8./9. Mai 2006 veranstaltet die Bereichsleitung für Strukturentwicklung der Stadt Wien im Rathaus Wien die Fortbildung „Sturz – Risikoerfassung und Prävention“. Wissenschaftliche Begleitung und Organisation obliegen dem Ludwig-BoltzInstitut (LBI) für Interdisziplinäre Rehabilitation in der Geriatrie (Prim. Dr. Katharina Pils). Das Themenspektrum der Vorträge und Workshops ist breit gefächert und reicht von der Erkennung der Risikofak- ANZEIGE Arzt/Oberarzt mit Weiterbildung Geriatrie gesucht Für die neu einzurichtende Geriatrische Abteilung suchen wir einen Arzt oder Oberarzt mit der Weiterbildung Geriatrie. In der bestehenden Inneren Abteilung werden alle Diagnostischen Verfahren der Grundversorgung angeboten. Der Chefarzt verfügt über eine Weiterbildungsermächtigung Innere Medizin von drei Jahren. Ihre Bewerbung richten Sie bitte an: Chefarzt Dr. med. Hartmut Wolf Fabricius-Klinik Remscheid GmbH Brüderstraße 65 Tel. 0 21 91/7 97–6 01 dem gleichen positiven Effekt wiederholt werden. Das Zentrum für Molekulare Orthopädie, Düsseldorf, plant Langzeitstudien zum besseren Verständnis der Exosomen und ihrer Funktion innerhalb des Immunsystems. toren über die Geriatrische Notfall-Trias (Sturz – Exsikkose – Delirium) und das Österreichische Sturzassessment bis hin zur Sturzprävention. Im Rahmen der Veranstaltung werden Univ.-Prof. Dr. Dr.h.c. Ursula Lehr für ihr Lebenswerk geehrt und der Ignatus-Nascher-Preis verliehen. Die Teilnahme ist kostenlos. Nähere Informationen sind erhältlich unter LBI, Ilse Howanietz, Tel: +43 1 52 103-5770, Fax -5779, eMail: [email protected] Alzheimer-Frühzeichen entdeckt Bestimmte Eiweißstoffe in der Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) weisen frühzeitig auf das Risiko hin, an der Alzheimer-Demenz zu erkranken. Das haben schwedische Forscher von der Sahlgrenzka-Universität Göteborg herausgefunden. Gedächtnisstörungen können vielfältige Ursachen haben. Ob sie aber der Beginn einer Alzheimerkrankheit sind, die in völliger Hilflosigkeit enden kann, vermögen Ärzte heute noch nicht vorauszusagen. Eine gezielte Frühbehandlung ist deshalb auch nicht möglich. Der Test auf die Eiweißstoffe „Beta-Amyloid“, „Gesamt-Tau“ und „phosphoryliertes Tau“ im Liquor könnte eine frühe Prognose ermöglichen. Die Wissenschaftler konnten nachweisen, dass Patienten mit diesen Eiweißen innerhalb der nächsten fünf Jahre tatsächlich an Alzheimer erkrankten. Quelle: ots/ Apotheken Umschau 6 GERIATRIE JOURNAL 2/06 NACHRICHTEN: TRENDS & THEMEN Dies und Das aus der Geriatrie Generation 50Plus zeigt sich sportlich Die Generation der über 50jährigen hält sich heute im Allgemeinen fit. 74% aller Bundesbürger über 50 Jahre geben an, Sport zu treiben oder sich anderweitig körperlich zu betätigen. Dabei sind Männer deutlich bewegungsmuffliger als Frauen (69% zu 78%). Die beliebtesten körperlichen Aktivitäten sind Spazierengehen (49%), Haus- oder Gartenarbeit (44,5%) und Schwimmen (33%). Zu diesen Ergebnissen kam eine Best-Ager-Studie der DBV-Winterthur Krankenversicherung in Kooperation mit dem Marktforschungsinstitut TNS-Infratest. Die Bewegungsfreude nimmt mit zunehmendem Alter nicht wesentlich ab. Sind es bei den 50 bis 60-Jährigen 75%, die sich körperlich betätigen, sind es bei den über 60-Jährigen immerhin noch 73%. Allerdings verschiebt sich die Präferenz mit zunehmendem Alter deutlich vom Joggen und Fahrradfahren zum Spazierengehen und zur Gymnastik. Quelle: ots/DBV-Winterthur Versicherungen Modellprojekt „Fit für 100“ Im Raum Köln startete das Modellprojekt „Fit für 100“ mit ersten Bewegungsangeboten für hochbetagte Menschen. Forscher der Universität Bonn entwickelten zusammen mit der Deutschen Sporthochschule Köln Angebote, mit denen alte Menschen länger fit bleiben sollen. Ziel ist ein Leitfaden, der Senioren- und Pflegeheime berät, wie sie entsprechende Angebote aufbauen können. Mitinitiatoren des Projektes sind die Landesseniorenvertretung NRW und der LandesSportBund NRW. Erste Modelle mit 16 Einrichtungen werden nun in verschiedenen Regionen NRWs in sämtlichen Bereichen der Altenhilfe erprobt. In einer Kölner Einrichtung wird es beispielsweise spezielle Kurse für Menschen mit Demenz geben. Quelle: VDAB 8 Dekubitus-Forum will Versorgungsqualität verbessern Die Unternehmen des Fachbereichs „Hilfsmittel gegen Dekubitus“ des Bundesverbands Medizintechnologie (BVMed) haben in Berlin ein Dekubitus-Forum ins Leben gerufen. Ziel ist es, an den künftigen Rahmenbedingungen der Versorgung mit Hilfsmitteln gegen Dekubitus mitzuwirken, die Information von Ärzten, Patienten und der Öffentlichkeit zu verbessern, ein „Qualitätsbewusstsein“ und entsprechende Qualitätsstandards zu etablieren sowie eine umfassende Marktforschung zu betreiben, so der BVMed. Quelle: BVmed Versorgungsforschung – Manuskriptaufruf/Call for Papers Das Deutsche Ärzteblatt ist sich der enormen Bedeutung von Ergebnissen in der Versorgungsforschung für alle Ärzte und Entscheider im Gesundheitswesen bewusst. und ruft Autoren dieser Forschungseinrichtungen auf, wissenschaftliche Originalarbeiten einzureichen. Es sollte sich um Ergebnisse handeln, die für die allgemeine Leserschaft der Zeitschrift von Interesse sind. Entsprechende Originalarbeiten sollen nach einer redaktionellen Vorauswahl dem obligaten Peer-Review-Verfahren dem Deutschen Ärzteblatt zugeführt werden. Über eine Veröffentlichung wird dann auf der Basis von Gutachten entschieden. Autoren werden gebeten, bei der Manuskripterstellung die Autorenhinweise (www.aerzteblatt.de) einzuhalten, insbesondere hinsichtlich der Umfangsgrenzen. Manuskripte sind zu senden an: Priv.Doz. Dr. med. Christopher Baethge, Leiter der Medizinisch-Wissenschaftlichen Redaktion, Ottostr. 12, 50859 Köln, eMail: [email protected] NICE-Institut gibt Empfehlungen zur Alzheimer-Therapie Der Schwerpunkt in der Behandlung der Alzheimer Demenz liegt darauf, den Verlauf der Erkrankung zu verlangsamen und die Symptome zu bessern. Welche Medikamtene dazu am besten geeignet sind, hat das britische NICE-Institut (National Institute for Health and Clinical Excellence) überprüft und sich dabei vor allem mit der Bewertung von Medikamenten unter Berücksichtigung des medizinischen Nutzens und der Wirtschaftlichkeit befasst Für ihre Empfehlungen werteten die Wissenschaftler die Ergebnisse von 32 internationalen Studien aus, an denen mehr als 12.000 Alzheimer-Patienten teilgenommen hatten. Als für die Alzheimer-Therapie besonders geeignet und sinnvoll beurteilt NICE Medikamente aus der Gruppe der sog. Acetylcholinesterasehemmer (AChE). So konnte z.B. der auch in Deutschland verfügbare AChE-Wirkstoff Galantamin bei 57% der damit behandelten Demenz-Patienten die geistige Leistungsfähigkeit stabilisieren oder sogar verbessern. Prof. Lutz Frölich, Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim sieht die bisherige Vorgehensweise gegen die Alzheimer-Demenz durch die NICE-Empfehlungen bestätigt. Er plädiert allerdings für einen früheren Therapiebeginn als NICE dies vorsieht, da bekannt sei, dass die Medikamente gerade am Beginn der Alzheimer-Demenz besonders erfolgreich helfen. Eine ähnliche Meinung vertritt auch die britische Alzheimer-Gesellschaft. Quelle: dgk/www.nice.org.ug GERIATRIE JOURNAL 2/06 L I T E R AT U R : R E F E R I E R T & K O M M E N T I E R T Schmerzen bei Gonarthrose Glucosamin und Chondroitinsulfat bei symptomatischer Gonarthrose Eine Studie untersuchte den Einfluss von Glucosamin und Chondroitinsulfat auf Schmerzen bei Gonarthrose. Sie zeigte, dass die Kombination durchaus eine Therapieoption darstellt. S tudie: An der multizentrischen, prospektiven Plazebo-kontrollierten Doppelblindstudie waren insgesamt 1.583 Patienten mit symptomatischer Gonarthrose beteiligt. Sie wurden durch Randomisation einer der folgenden fünf Therapiegruppen zugeteilt: Therapie mit täglich 1.500 mg Glucosamin oder Therapie mit 1.200 mg Chondroitin Sulfat oder mit beiden Substanzen gemeinsam. Zwei weitere Patientengruppen wurden entweder mit Plazebo oder mit Celecoxib behandelt. Das mittlere Alter der Patienten betrug 59 Jahre, 64% waren Frauen. Die Studiendauer betrug 24 Wochen. Ergebnisse: Der Hauptendpunkt der Studie war eine 20%-ige Reduktion der Schmerzen auf einer standardisierten Schmerzskala. Dabei fand sich kein statistisch signifikanter Unterschied in der Schmerzreduktion zwischen der alleinigen Gabe von Glucosamin oder Chondroitinsulfat sowie der Kombinationsbehandlung mit beiden Substanzen im Vergleich zu Plazebo. Lediglich in der Gruppe der Patienten mit mäßiggradigem bis schwerem Schmerz (N = 356) zeigte sich die Kombinationsbehandlung beider Substanzen dem Plazebo bei der Schmerzreduktion überlegen (79,2% versus 54,3%, p = 0,002). Die Ansprechrate von 200 mg Celecoxib übertraf die Rate der Plazebogruppe um 10% (p = 0,008). Diskussion: Auffällig bei dieser Studie war die hohe Ansprechrate des Plazebo: Bei 60,1% der Patienten besserte sich der Gonarthroseschmerz unter Plazebotherapie. Dieser hohe Wert konnte weder durch Glucosamin noch durch Chondroitinsulfat signifikant übertroffen werden. Der Nachweis der schmerzlindernden Wirkung von Colecoxib stärkt die Aussagekraft der Studie. Die insgesamt geringfügigen und GERIATRIE JOURNAL 2/06 seltenen Nebenwirkungen waren gleichmäßig auf alle Therapiegruppen verteilt. Kommentar: Vorangegangene Studien mit beiden Substanzen haben unterschiedliche Ergebnisse gezeigt; teilweise konnte ein Nutzen gezeigt werden, teilweise auch nicht. Die Mehrzahl der Studien wies erhebliche methodische Mängel auf. Die vorliegende Untersuchung ist die bislang größte prospektive Studie zu dieser für den klinischen Alltag bedeutsamen Fragestellung. Auf die Praxis übertragen bedeuten die Studienergebnisse, dass bei ausgeprägter schmerzhafter Gonarthrose die Kombination beider Substanzen durchaus eine Therapieoption darstellt, insbesondere vor dem Hintergrund der minimalen Nebenwirkungen. PD Dr. Rupert Püllen, Frankfurt am Main Quelle Clegg DO et al: Glucosamine, Chondroitin Sulfat, and the Two in Combination for Painful Knee Osteoarthritis. NEnglJMed 2006; 354: 795-808 Delirium Wie man der akuten Verwirrtheit auf Station vorbeugt Die akute Verwirrtheit (Delirium) ist eine häufig auftretende Komplikation bei älteren Patienten. Das Delirium stellt allerdings nicht nur für die stationäre Führung des Patienten ein Problem dar, delirante Phasen sind nicht zuletzt Alarmzeichen und mit einem ungünstigen Krankheitsverlauf korreliert. Eine britische Studie untersuchte, ob Pflegende die akute Verwirrtheit beeinflussen können. E ine Arbeitsgruppe bestehend aus Allgemeinkrankenhäusern und psychiatrischen Abteilungen an Londoner Kran- L I T E R AT U R : R E F E R I E R T & K O M M E N T I E R T Tab. 1: Inhalte des Schulungsprogramms Tab. 2: Ursachen der Verwirrtheit General information an delirium: @ Definition @ Aetiology @ Epidemiology @ Symptoms @ Outcomes Prevention: @ Recognition of risk factors @ Active management of treatable risk factors @ High vigilance @ Active early intervention of cases with possible diagnosis Management of diagnosed delirium cases: @ Environmental @ Nursing care @ Investigations @ Identifying and treating underlying causes @ Management of symptoms Non-pharmacological Pharmacological, assess after 48 hours and discontinue before discharge. Intervention ward Number of patients assessed 122 Mean age 81,39 Sex (male : female) 57 : 65 Mean DRS (all subjects) 4,22 Mean DRS (delirium patients only) 18,83 Mean AMTS (all patients) 6,59 Mean AMTS (delirium patients only) 3,25 Number of dementia cases 26 Underlying dementia in delirium 6/12 Point prevalence delirium 12/122 Recognition of delirium cases 8/12 Overall recorded diagnosis 20/116 kenhäusern und der Universität Brighton verfolgte die Arbeitshypothese, dass Intervention und Verhütung von Verwirrtheit durch entsprechende Schulung des Personals auch den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen können. Studie: Das Design der Studie war eine einfachverblindete Fallkontrollstudie. Sie wurde in zwei Akut-Aufnahmestationen von hochfrequentierten Londoner Innenstadt-Hospitälern durchgeführt. Konsekutiv wurden 250 Akutaufnahmepatienten mit einem Alter >70 im stationären Verlauf beobachtet. Das Schulungsprogramm für das Personal bestand aus einer Stunde Frontalunterricht verbunden mit einer Gruppendiskussion und Darstellung von Leitlinien zum Management verwirrter Patienten. Die Initialschulung wurde ergänzt durch mehrere Folgeunterrichte und Supervisionen und vor allen Dingen von Fallbesprechungen bereits entlassener Patienten, die im Verlauf dieses Aufenthaltes eine delirante Phase gezeigt hatten. Ergebnisse: Die Prävalenz von Verwirrtheitszuständen wurde signifikant reduziert, aber nur in der Interventionsgruppe, nicht jedoch in der Kontrollgruppe: 9,8% versus 19,5%, P < 0,05. 10 Control ward 128 79,28 62 : 66 5,65 19,16 7,12 2,30 20 12/23 22/128 6/23 13/120 P value 0,007** 0,442 0,087 0,804 0,218 0,304 0,342 1,000 0,034* 0,001** 0,156 * p < 0,05, ** p < 0,01 Diskussion: Die Ausgangshypothese wurde in dieser Untersuchung vollständig bestätigt. Ein vergleichsweises einfaches Schulungsprogramm (Tab. 1) führte in kurzer Zeit zur Verhütung von Verwirrtheitsphasen oder zumindest zur Früherkennung der Symptome und damit konsekutiv zur richtigen Intervention. Die Ursachen der Verwirrtheit entsprachen der üblichen bekannten Verteilung in der Literatur (Tab. 2). Kommentar: Auf Grund der Ergebnisse der hier dargestellten Studie sollten durch ein intensives, wenn auch kurzes Trainingsprogramm, Pflegende, die öfters mit typischen Risikopatienten für akute Verwirrtheitszustände arbeiten, geschult werden. Prof. Dr. Dr. Gerald F Kolb, Lingen (Ems) Tabet N, Hudson S, Sweeney V, Sauer J, Bryant C, MacDonald A, Howard R. An educational intervention can prevent dellrium on acute medical wards. Age and Ageing 2005; 34: 152-156 Ältere Ehepaare Letalität nach Krankenhaus- und Heimeinweisung des Ehepartners Die Lebenserfahrung zeigt, dass bei zusammen alt gewordenen Ehepartnern eine schwere Erkrankung, eine Hospitalisierungsphase oder die Heimeinweisung oft auch gesundheitliche Folgen des Ehepartners nach sich zieht. Diese Annahme ist jedoch statistisch bislang noch nie recht bewiesen worden. Eine amerikanische Arbeitsgruppe hat sich dieser Frage einmal systematisch angenommen. S tudie: Es wurden 518.240 Ehepaare, die in das Medicare-Programm 1993 aufgenommen worden waren, untersucht. Dabei wurden die Ereignisse Hospitalisation und Tod während der folgenden neun Jahre bei den Ehepartnern verfolgt. Eine große Zahl, nämlich 383.480 (74%) Ehemänner und 347.269 Ehe- frauen (67%) wurden im Beobachtungszeitraum zumindest einmal im Krankenhaus aufgenommen. 252.557 Ehemänner (49%) und 156.004 Ehefrauen (30%) starben in diesem Zeitraum. Die Letalität (engl. Mortality) nach der Hospitation eines Ehepartners variierte in Abhängigkeit von der Diagnose des Ehepartners ganz erGERIATRIE JOURNAL 2/06 L I T E R AT U R : R E F E R I E R T & K O M M E N T I E R T Foto: Ortho Biotech, Division of Janssen-Cilag GmbH heblich. Unter den Männern starben 6,4% innerhalb eines Jahres, wenn die Partnerin an einem Kolon-Karzinom erkrankte, 6,9% wenn die Partnerin einen Schlaganfall erlitten hatte, 7,5%, wenn der Aufnahmegrund eine psychiatrische Diagnose war und 8,6% im Fall von Demenz. Unter den Ehefrauen starben 3,0% innerhalb eines Jahres, wenn der Ehepartner an einem Kolon-Karzinom erkrankte, 3,7% wenn er wegen eines Schlaganfalls aufgenommen wurde, 5,7% bei psychiatrischen Diagnosen und 5% bei Aufnahmegrund Demenz. Adaptiert an die alterstypische Kovariablen zeigte sich im Fall von Darmkrebs kein wesentlicher Unterschied zwischen den Geschlechtern, wohl hingegen aber bei Schlaganfall (hazard ratio 1,06, 95% confidence interval, 1,03 bis 1,09). Weitere Unterschiede zeigten sich bei Herzinsuffizienz, Hüftfraktur, psychiatrischen Erkrankungen oder Demenz. Alles über alles war für die Ehemänner das Letatitätsrisiko im Zusammenhang mit einer Hospitalisation der Partnerin mit 22% (17-27%) höher als für Frauen mit 16% (8-24%) bezogen auf einen Einjahreszeitraum. Diskussion: Die Studie zeigt eindeutig, dass für Ältere die schwere Erkrankung und Hospitalisierung eines Ehepartners mit einer signifikanten Risikoerhöhung zum eigenen Tod verbunden ist. Die Ergebnisse der ganz aktuell vorliegenden Studie fordern Interventionsprogramme bei Hospitalisation Älterer, die in festen Beziehungen, in der Regel traditionellen Ehen leben, geradezu und dringend heraus. Prof. Dr. Dr. Gerald F Kolb, Lingen (Ems) Nicholas A Christakis, Paul D. Allison. Mortality after the Hospitalization of a Spouse. N ENG J Med 2006; 354: 719-30 ANZEIGE GERIATRIE JOURNAL 2/06 11 U R O LO G I E : H A R N I N KO N T I N E N Z Überaktive Blase – Neues in der medikamentösen Therapie A. Wiedemann, Gelsenkirchen Für die Behandlung der Überaktiven Blase steht heute neben klassischen Substanzen eine Reihe von neuen Präparaten bzw. neuen Darreichungsformen zur Verfügung. Der Artikel gibt eine Übersicht über ihre pharmakologischen Eigenschaften und ihre Wirksamkeit. D © Autor ie Bedeutung der Harninkonti- Diabetes mellitus – nicht behandlungsnenz im medizinischen Alltag in bedürftig sei. Dabei wissen wir heute, dass Klinik und Praxis bildet nicht ih- eine Harninkontinenz nicht nur zu einer re altersabhängig steigende Prävalenz mit Vereinsamung der Betroffenen führt und rund 40% der Bevölkerung [16] ab. Die- damit ihre Lebensqualität mindert, sonses Phänomen hat mehrere Gründe: Ne- dern auch ganz konkret schwerwiegende ben dem immer noch weit verbreiteten medizinische und soziale Folgen hat. HierIrrglauben, eine Harnzu zählen habituelMit zunehmendem Alter inkontinenz sei eine les Dursten [15], Alterserscheinung und Heimunterbringung ist die Prävalenz der Harndamit unabwendbares inkontinenz bei Männern fast [24], Stürze und Schicksal, ist es auch Frakturen [4], Uroso hoch wie die bei Frauen die schambedingte sepsis [7] und DeTabuisierung durch pression [10]. In Anden Patienten, der besonders eine leichte betracht dieser doch erheblichen medizioder mittelschwere Harninkontinenz lie- nischen und sozialen Folgen und den ber über Jahre einer – häufig insuffizien- bestehenden Überlappungen mit neuroten – Selbstversorgung zuführt, als pro- logischen, internistischen und chirurgifessionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. schen Krankheitsbildern ist der Stellenwert Ein Extrembeispiel ist hierfür der in Abb. 1 der Harninkontinenz in der ärztlichen gezeigte Patient, der seine drittgradige Routineausbildung als eher unterrepräStressinkontinenz nach transurethraler Resektion der Prostata Anfang der 1970er Jahre mehr als 30 Jahre lang mit einer Penisklemme versorgte. Der Grund für den ersten Arztkontakt in dieser Sache war dann die Entwicklung eines Penis-Druckulkus mit Harnröhrenfistel, die eine weitere Versorgung mit dem Inkontinenz„Hilfsmittel“ unmöglich machte, also letztlich die Nichtanwendbarkeit der insuffizienten und inadäquaten Versorgung. Wer letztendlich die Penisklemme rezeptierte, ließ sich nicht mehr eruieren. Die Unterschätzung des Problems „Harninkontinenz“ liegt aber auch in der Abb. 1: Penisulkus mit Harnöhrenfistel weit verbreiteten Ansicht begründet, dass nach 30-jährigem Gebrauch einer Penisdie Harninkontinenz als nicht lebensbe- klemme (nach mehreren Selbstumbauten drohende Erkrankung – anders als z.B. und mit Puderresten rechts dargestellt) 12 sentiert anzusehen. So herrscht vielfach noch die Auffassung vor, dass Harninkontinenz ganz überwiegend ein weibliches Problem ist und insbesondere ein Problem der Frau nach (vaginalen) Geburten. Dies ist jedoch sowohl im Vergleich von Frauen, die geboren haben mit ihren nulliparen Schwestern [5], als auch für den Vergleich der von Frauen mit vaginalen Geburten bzw. Kaiserschnitten [13] widerlegt. Mit zunehmendem Alter ist die Prävalenz der Harninkontinenz bei Männern fast so hoch wie die bei Frauen [29]. Die Gründe hierfür sind beide Geschlechter betreffende ultrastrukturelle Veränderungen von Sphinkterapparat [22] und Detrusor [11, 12] neben einer Vielzahl von Erkrankungen anderer Organsysteme wie Schlaganfall, M. Parkinson oder Diabetes mellitus, die Inkontinenz nach sich ziehen können. Nomenklatur Die internationale Fachgesellschaft mit Meinungsführer-Charakteristik, die „International Continence Society“ (ICS) definiert Harninkontinenz als jeden unfreiwilligen Urinverlust [1]. Dabei wird im Rahmen eines Organigramms Harninkontinenz auf der untersten Stufe zunächst als Symptom gesehen, das durch Beobachtung im Rahmen der körperlichen Untersuchung oder durch einfache diagnostische Maßnahmen wie Stress-Test oder Vorlagen-Wiege-Test („sign“) verifiziert werden kann. In der nächsten Stufe wird eine Inkontinenz durch eine urodynamische Messung evaluiert und damit zu einer „urodynamic observation“. Lässt sich das Symptom einer Harninkontinenz auf diese Weise kongruent in allen Ebenen nachweisen, wird von „condition“ gesprochen (Abb. 2). GERIATRIE JOURNAL 2/06 U R O LO G I E : H A R N I N KO N T I N E N Z Conditions urodynamic observations signs suggestive of lower urinary tract dysfunction (LUTD) lower urinary tract symptoms (LUTS) Abb. 2: ICS-Terminologie Neu in der ICS-Terminologie ist die Ablösung des Begriffs „Stressinkontinenz“ durch den die Pathophysiologie besser beschreibenden Terminus „Belastungsinkontinenz“ und die Zusammenfassung aller sprachlich unscharfen Bezeichnungen für die verschiedenen Ausprägungen einer Harndranginkontinenz unter dem Dach der „Überaktiven Blase“. Dieser Begriff ergänzt dabei bewusst die klassische Harndranginkontinenz mit unfreiwilligem Urinverlust mit starkem Harndrang als „overactive bladder wet“ um den der „Überaktiven Blase“ mit Pollakisurie, Nykturie und imperativem Harndrang aber ohne Harnverlust als „overactive bladder dry“. Medikamentöse Therapie Für die Behandlung der Überaktiven Blase steht heute neben den klassischen Substanzen Oxybutynin, Tolterodin, Propiverin und Trospiumchlorid eine Reihe von neuen Präparaten bzw. neuen Darreichungsformen zur Verfügung. So wurden 2004 und 2005 Solifenacin und Darife- nacin zugelassen, zu Oxybutynin wurden tertiären Aminen hydrophil. Im Hinblick eine retardierte orale Darreichungsform auf die Rezeptoraffinität zu den mit M1und ein Pflaster entwickelt. Für 2007 ist M5 benannten muskarinergen Rezeptordie Zulassung eines weiteren Anticholin- subtypen besitzt Darifenacin eine höheergikums, Fesoterodin, vorgesehen. re Affinität zu dem Rezeptor-Subtyp „M3“ In der Beurteilung der internationalen als zu anderen Rezeptorsubtypen und wird Fachgesellschaften werden alle Anticholi- deshalb häufig als „M3-selektiv“ bezeichnergika als wirksam und verträglich be- net. urteilt [2]. Neuere randomisierte UnterDie chemische Struktur der auf dem suchungen zeigen bei allen Präparaten ei- Markt befindlichen Anticholinergika hat ne statistisch signifikante Besserung der Konsequenzen für die pharmakologischen Symptomatik bei einer Mundtrocken- Eigenschaften der Substanzen: Während heitsquote, die zwischen 20 und 30% tertiäre Amine über die Leber durch Zytoliegt. Eine Ausnahme bildet hier das Oxy- chrome abgebaut werden, wird das quarbutynin-Pflaster, das mit einer Mundtro- täre Amin nahezu komplett renal elimickenheitsrate von 9,6% am besten ab- niert. Da die hepatischen Zytochrome schneidet (Tab. 1). durch eine Vielzahl von Substanzen inBei vergleichbarer Wirksamkeit und duziert oder inhibiert werden können, (mit Ausnahme des Oxybutynin-Pflas- bedeutet der klinische Einsatz eines terters) ähnlicher Quote an Mundtrocken- tiären Amins die Notwendigkeit des Abheit stellt sich die Fragleiches der noch verNeu in der ICS-Terminologie ge nach den klinisch ordneten Medikarelevanten Unter- ist die Ablösung des Begriffs mente des Patienten schieden. Diese ergeauf eine mögliche „Stressinkontinenz“ ben sich im Hinblick Interaktion auf der durch den Terminus auf die pharmakoloEbene des Zytoch„Belastungsinkontinenz“ gischen Eigenschaften rom-Systems [32], der Substanzen. So um einen Wirkverlust können alle Anticholinergika nach unter- im Falle einer Komedikation mit einem schiedlichen Ordnungskriterien eingeteilt Zytochrom-Induktor oder eine Wirkverwerden, etwa nach der chemischen Struk- stärkung bis hin zu toxischen Effekten tur oder der Rezeptoraffinität. bei gleichzeitiger Gabe eines ZytochromAlle Anticholinergika gehören mit Aus- Inhibitors zu vermeiden. Zu einem solnahme von Trospiumchlorid zu der Grup- chen Wirkverlust durch Zytochrom-Inpe der tertiären Amine; Trospiumchlorid duktion kommt es bei Komedikation mit besitzt als einziger Vertreter der sog. quar- Rifampicin, Carbamazepin und Dexatären Amine eine positive Ladung und methason, während Ketoconazol, Itroverhält sich damit im Gegensatz zu den conazol, Erythromycin, Verapamil, Flu- Tab. 1: Übersicht Untersuchungen Neuere randomisierte, doppelblinde Untersuchungen zu den derzeit auf dem Markt befindlichen Anticholinergika (Darstellung – wo möglich – der Veränderung der Miktionsfrequenz in 24 Stunden und der Mundtrockenheit) Trospium 2 x 20; Zinner 2004 [32] Propiverin 3 x 15; Dorschner 2000 [9] Oxybutynin ER; Appell 2001 [3] Oxybutynin TDS; Dmochowski 2002[8] Tolterodin 2 x 2; Malone-Lee 2001 [19] Tolterodin 4 mg; V. Kerrebroeck 2001 [27] Solifenacin 5-10 mg; Chapple 2005 [6] Darifenacin 15 mg; Haab [14] 14 Abnahme der Miktionsfrequenz [%] (wo möglich) Verum Plazebo Kontrolle Mundtrockenheit -19% -10% – 21,8% -22% -8% – – -22% – -27% (Tolterodin 2 x 2) 28,1% -2,3 -1,7 – 9,6% Miktionen Miktionen -18% – -18% Oxybutynin (2 x 2,5-5) 37% -32% – -30% (Tolterodin 2 x 2) 21% -21% – -19% (Tolterodin 2 x 2) 30% -15,3% -8% – 31,3% GERIATRIE JOURNAL 2/06 U R O LO G I E : H A R N I N KO N T I N E N Z oxetin, Codein, Haloperidol und Meto- antwortlich für die Kognition sind, könnprolol Zytochrome inhibieren und damit te diese Substanz ebenfalls zu einer Rezu einer unerwünschten Wirkverstärkung duktion von zentralnervösen Nebenführen können. wirkungen bei vorgeDie renale Elimina- Die internationalen Fach- schädigten Personen tion des quartären gesellschaften beurteilen beitragen. Erste ErgebAmins bedeutet einen alle Anticholinergika als nisse zu ZNS-NebenZugriff auf das Zielorwirkungen bei Patienwirksam und verträglich gan „Harnblase“ nicht ten über 65 Jahren, die nur systemisch über über zwei Wochen mit den Blutweg, sondern auch über die uro- Darifenacin behandelt wurden, konnten theliale Seite. So ist eine Bindung ver- keine derartigen Nebenwirkungen zeischiedener Anticholinergika an muskari- gen [20]. nerge Rezeptoren des Urothels heute belegt [9]; für Trospiumchlorid, das un- Literatur 1. Abrams P, Cardozo L, Fall M, Griffith D, Rosier P, verändert renal eliminiert wird, wäre daUlmsten U, Van Kerrebroeck P, Victor A, Wean A: The mit eine pharmakologische Aktivität standardisation of terminology in lower urinary tract function: report from the standardisation subdurch lokale Effekte zu postulieren. committee of the International Incontinence Society, Ein weiterer Unterschied zwischen den Urology 61 (2003): 37-49 verschiedenen Anticholinergika ergibt sich 2. Abrams P, Cardozo L, Khouri S, Wein A: Pharmacological treatment of urinary incontinence, 3 Internahinsichtlich ihrer Liquorgängigkeit und tional Consultation on Incontinence, Edition 2005, damit dem Risiko der potentiellen Aus822-6 lösung von zentralnervösen Nebenwir3. Appell RA, Sand P, Dmochowski R, Anderson R, Zinner N, Lama D, Roach M, Miklos J, Saltzstein D, kungen. Diese sind wegen ihres unterBoone T, Staskin DR, Albrecht D: Prospective randoschiedlichen klinischen Erscheinungsbilmized controlled trial of extended-release Oxybutydes, das von Schlafstörungen [3] über nin chloride and Tolterodine Tartrate in the treatment of overactive bladder: results of the OBJECT Gedächtnisstörungen [8] bis hin zu Halstudy, Mayo Clin Proc 76 (2001): 358-53 luzinationen [19] und neuropsychiatri4. Brown JS, Vittinghoff W, Wyman J: Urinary incontischen Krankheitsbildern [27, 6] oder Parnence: does it increase risk for falls and fractures? JAGS 48 (200) 721-25 kinson-artigen Erscheinungsbildern [10, 5. Buchsbaum GM, Duecy EE, Kerr LA, Huang LS, 30] reicht, ein unterschätztes Problem in Guzick DS: Urinary incontinence in nulliparous women and their paraous sisters, Obstet gynecol der medikamentösen Inkontinenzbe106 (2005): 1253-8 handlung. Lipophile Substanzen mit nie6. Chapple CR, Martinez-Garcia R, Selvaggi L, Toozsdrigem Molekulargewicht, zu denen alle Hobson P, Warnack W, Drogendijk T, Wright DM, Bolodeku J: A comparison of the efficacy and toleratertiären Amine zählen, können die Blutbility of solifenacin succinate and extended release Liquorschranke penetrieren und damit Tolterodine at treating overactive bladder syndrome: Effekte im ZNS auslösen. Dies ist bei results of the STAR trial, Eur Urol 27 (2005): 464-70 7. Diokno AC, Brock BM, Herzog AR, Bromberg J: Medidem quartären Amin Trospiumchlorid, cal correlates of urinary incontinence in the elderly, das als hydrophile Substanz eine positive Urology 36 (2000): 129-38 Ladung trägt, nicht möglich. So gibt es 8. Dmochowski RR, Davila W, Zinner NR, Gittelman MC, Saltzstein DR, Lyttle S, Sanders SW: Efficacy and folgerichtig in der Literatur bisher nicht safety of transdermal oxybutynin in patients with einen Fallbericht über ZNS-Nebenwirurge and mixed urinary incontinence, J Urol 168 kungen unter dem Einfluss von Trospi(2002): 580-6 9. Dorschner L, Stolzenburg JU, Griebenow R, Halaska umchlorid. M, Schubert G, Murtz G, Frank M, Wieners F: Efficacy Eine andere Konzeption zur Redukand cardiac safety of propiverine in elderly patients – a double-blind, placebo-controlled clinical study, tion von ZNS- und anderen NebenwirEur Urol 37 (2000): 702-8 kungen liegt der Entwicklung von Dari10. Dugan E, Cohend SJ, Bland DR: The association of fenacin zugrunde. Während alle Antidepressive symptoms and urinary incontinence among older adults cholinergika die verschiedenen peripheren 11. Elbadawi A, Yalla SV, Resnick NM: Structural basis of Rezeptorsubtypen des cholinergen Sysgeriatric voiding dysfunction. III. Detrusor overactivitems gleichmäßig beeinflussen, besitzt ty, J Urol 150 (1993): 1668-80 Darifenacin eine rund 10-fach höhere 12. Elbadawi A, Yalla SV, Resnick NM: Structural basis of geriatric voiding dysfunction. II. Normal versus Affinität zum M3- im Vergleich mit dem impaired contractility, J Urol 150 (1993): 1657-67 M1-Rezeptor. Da zentrale M1-Rezepto- 13. Fritel X, Ringa V, Varnoux N, Fouconnier A, Pialt S, Breart G: Mode of delivery and severe stress incontiren in Kortex und Hippocampus verrd GERIATRIE JOURNAL 2/06 nence: a cross-sectional study among 2625 perimenopausal women, BJOG 112 (2005): 1646-51 14. 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Abschätzung der Ursache Dies gilt umso mehr bei zu Hause oder in Pflegeeinrichtungen lebenden Patien- Zusammen mit der rektalen Palpation ten, für die nicht das ganze apparative In- (Prostata vergrößert/suspekt) ergibt die strumentarium mehrerer Fachdisziplinen Anamnese des Patienten Hinweise auf die Ursache der zur Dekomgreifbar ist. Umso wichpensation des unteren tiger scheint es, durch Der alte Merkspruch, Harntraktes führenden ein strukturiertes, stanbei einem „palpablen Erkrankung. Die klassidardisiertes Vorgehen Unterbauchtumor“ an sche Einteilung in einen die Chancen auf eine Restitution der Spon- eine volle Harnblase zu obstruktiven Harnverhalt oder eine Blasenatonie ist tanmiktion in dieser Sidenken, hat an Aktuabei geriatrischen Patientuation zu optimieren lität nichts eingebüßt ten häufig verwischt, weil und bei jedem Patieneine obstruktiv wirkende ten alle operativen Therapieoptionen unter Einbeziehung aller Benigne Prostatahyperplasie (BPH) geminimal-invasiven Verfahren zu prüfen, nauso häufig vorhanden ist wie eine antiehe eine Langzeit-Harnblasendrainage cholinerge Begleitmedikation oder eine autonome Polyneuropathie als potenmittels Katheter indiziert wird. tielle Auslöser einer schlaffen Blase. Besteht jedoch ein Status nach transurethDiagnose Harnverhalt raler Operation, sollte der Patient zum Die Diagnosestellung kann klinisch Ausschluss eines konservativ nicht bedurch Blick (Abb. 1) oder Palpation in einflussbaren subvesikalen Hindernisses Zusammenhang mit der anamnestischen wie einer Harnröhrenstriktur oder einer Angabe eines schmerzhaften Harndran- Blasenhalssklerose invasiver Diagnostik ges ohne Miktion gestellt werden. zugeführt werden. Ist durch ein retroSchwieriger gestaltet sich die Diagnose grades Urethrogramm (Abb. 2) und/oder bei dementen oder indolenten Patien- eine Zystoskopie z.B. eine Harnröhrenten, bei denen sich ein Harnverhalt durch enge ausgeschlossen oder liegen primär Unruhe, unklare Schmerzen, Überlauf- keine Hinweise für eine solche Ätiologie symptomatik oder als Zufallsbefund der Harnverhaltung vor, kann ein sog. einer prallvollen Blase darstellt. Der al- „optimierter Auslassversuch“ gestartet te Merkspruch, bei einem „palpablen werden. 16 Fotos: Wiedemann Ein akuter Harnverhalt ist bei einem hochbetagten, multimorbiden Patienten ein einschneidendes und folgenschweres Ereignis und hat in vielen Fällen die Anlage einer Harnblasenlangzeitdrainage zur Folge. Ein strukturiertes Vorgehen bietet die Möglichkeit, therapeutische Alternativen in Betracht zu ziehen. Abb. 1: Akuter Harnverhalt Sonographie Die Sonographie im Harnverhalt hilft nicht nur, eine Oligurie bzw. Anurie abzugrenzen, sie ermöglicht auch mit der orientierenden Beurteilung der oberen Harnwege den Ausschluss oder die Bestätigung einer Harnstauung und mit einer Bewertung des Nierenparenchyms eine grobe Abschätzung der Nieren- Abb. 2: Retrogrades Urethrogramm mit sanduhrförmiger Enge im bulbären Harnröhrenabschnitt; unterhalb der Harnblase zur Darstellung kommende „Vorblase“ – „offene Prostataloge“ als sichtbare Folge der vorangegangenen transurethralen Prostataresektion (TUR-P) GERIATRIE JOURNAL 2/06 U R O L O G I E : A K U T E R H A R N V E R H A LT funktion. Die approximative Bestim- einer Restitution der Nierenfunktion mung mit der anschließenden Doku- kann erneut ein Auslassversuch untermentation des Restharnvolumens gibt nommen werden. Kommt es nicht zu zusätzlich Auskunft einer Erholung der über das Ausmaß der oberen und unteren Liegen keine hohen Restmyogenen Dilatation Harnwege, sollte ohne harnmengen vor und sind des Detrusors. So beweitere Auslassversudie oberen Harnwege unsteht bei Restharnche überlegt werden, gestaut, sollte ein sog. mengen deutlich über ob der Patient einer 1000 ml häufig eine operativen Versorgung „optimierter AuslassverSchädigung der Dezugeführt werden kann such“ gestartet werden trusormuskulatur, die oder einer Dauerversich zumindest nicht sorgung mittels Blakurzfristig zurückbilden wird und die da- senfistelkatheter oder Dauerkatheter mit in die weitere Planung einbezogen unterzogen werden muss. werden muss. Liegt eine solche hohe Blasenkapazität vor oder ist es über eine StauEntscheidung Auslassversuch/ ung der oberen Harnwege bereits zu einer Einschränkung der Nierenfunktion Langzeitdrainage gekommen, sollte zunächst eine konse- Liegen keine hohen Restharnmengen vor quente Dauerableitung über 4-6 Wochen und sind die oberen Harnwege ungevorgenommen werden. Bei einer Nor- staut, sollte ein sog. „optimierter Ausmalisierung der Blasenkapazität und ggf. lassversuch“ gestartet werden (Abb. 3). Hier hat sich gezeigt, dass die Chance einer Restitution der Spontanmiktion am höchsten ist, wenn unter passagerer Dauerableitung ein alpha-Sympatholytikum verabreicht wird. Da die zur Verfügung stehenden Prostata-selektiven Substanzen wie Terazosin, Doxazosin, Alfuzosin und Tamsulosin nach 48 Stunden ihre Wirkung erzielen, hat sich eine Dauerableitung über 48 bis 72 Stunden als sinnvoll erwiesen. Die Chance der Erholung der Blasenfunktion wird in der Literatur mit 61% für den alpha-Blocker-unterstützten und 28% für den nicht medikamentös begleiteten Auslassversuch angegeben [2]. Ein solcher optimierter Auslassversuch ist dann besonders erfolgversprechend, wenn sich in der Medikation des Patienten Substanzen mit anticholinerger, d.h. die Detrusorkontraktionskraft kompromittierender Begleitwirkung finden. Die Liste solcher Präparate ist lang und beinhaltet Antidepressiva, Schlaf- Abb. 3: Organigramm Strukturiertes Vorgehen bei akutem Harnverhalt Akuter Harnverhalt Sonographie Hinweise für BPH-unabhängige subvesikale Obstruktion? keine Stauung obere Harnwege und/ oder Restharn < 1000 ml Stauung obere Harnwege und/ oder Restharn > 1000 ml invasive Diagnostik optimierter Auslassversuch Dauerableitung für 4 Wochen Dauerableitung für 48-72 h + AlphaBlocker + Absetzen aller anticholinerger Substanzen ggf. Cholinergikum Kapazitätsprüfung, Kreatininkontrolle V. a. BPH Harnverhalt Spontanmiktion Alpha-Blocker weiter, Restharnkontrollen 18 spez. Therapie Blasenkapazität/Kreatinin normal Spontanmiktion V. a. Striktur o.ä. Auslassversuch Blasenkapazität/Kreatinin m Harnverhalt bei Operabilität bei Inoperabilität OP-Planung TUR/ Laser-Vaporisation Katheterversorgung keine BFKKontraindikation Kontraindikation gegen BFK BFK-Anlage transurethraler DK GERIATRIE JOURNAL 2/06 U R O L O G I E : A K U T E R H A R N V E R H A LT Harnblasenlangzeitdrainage Ist ein optimierter Katheterauslassversuch frustran geblieben oder besteht Inoperabilität bzw. Ablehnung aller Therapiealternativen, muss eine Harnblasenlangzeitdrainage indiziert werden. Bei Männern sollte wegen des höheren Tragekomforts und der Vermeidung von harnröhrenassoziierten Komplikationen wie Prostatitis, Epididymitis oder Harnröhrenulkus bzw. -abszess dem suprapubischen Katheter der Vorzug gegeben werden. Kontraindikationen für die Anlage eines solchen Blasenfistelkatheters sind ein Status nach Unterbauchoperationen oder eine geringe Blasenkapazität (Gefahr der Fehlpunktion mit Verletzung des Peritoneums), ein anamnesAbb. 4: Original-Verordnungszettel, von der Ehefrau des Betroffenen niedergetisch bekannter Harnblasentumor (mögschrieben, mit sechs anticholinerg wirkenden Präparaten (Pos. 4, 5, 7, 8, 10, 11) und liche Tumorausbreitung entlang des Fiseiner cholinergen Substanz (Pos. 9), die offenbar die parasympatholytischen Effekte telkanales) sowie eine iatrogene oder antagonisieren sollte. autonome Blutgerinnungsstörung [1]. Bei Frauen bestehen zwar in geringerem medikamente, Tranquillizer, Neurolep- einem Kalium-Titanyl-Phosphat-Laser Maße harnröhrenassoziierte Komplikatika, Morphine, nichtsteroidale Antir- eine effektive, minimalinvasive Thera- tionsmöglichkeiten, dennoch bietet der heumatika und andere (Abb. 4). Durch pieoption. Da einerseits das Laserlicht suprapubische Katheter die Möglichkeit das Absetzen dieser Medikation – ggf. des sog. „Greenlight-Lasers“ in hohem eines Katheterwechsels ohne direkte Maunterstützt durch die Gabe eines Para- Maße von Oxyhänipulation im GeniBei Männern sollte dem sympathomimetikums – kann es gelin- moglobin resorbiert talbereich, sodass aus gen, die blockierten parasympathischen wird, andererseits ein suprapubischen Katheter der Gründen der WahRezeptoren des Detrusors wieder für cho- effektiver vaporisierung der Intimsphäre Vorzug gegeben werden linerge Impulse zu sensibilisieren und render Effekt ohne und der Praktikabidadurch die Detrusorkontraktilität zu größere Eindringtielität etwa bei Gelenkverbessern. Tritt nach Entfernung des fe erreicht wird, gelingt unter optimaler kontrakturen auch bei Patientinnen an Katheters unter den genannten Bedin- Blutstillung ein Gewebe-abladierender die Option der suprapubischen Blasengungen eine erneute Harnverhaltung ein, Effekt ohne wesentliche Ödem- und fistelung gedacht werden sollte. sollte bei dem Patienten ein operativer Nekrosenbildung. Die GreenlightlaseEingriff in Erwägung gezogen oder aber rung kann dabei auch unter ASS-, Clo- Literatur eine Harnblasenlangzeitdrainage ange- pidogrel- und sogar Marcumar-Medika- 1. Albers C, Bojack B, Heckmann J, KirschnerHerrmanns R, Kümmerle S, Müller H, Mühlich S, strengt werden. tion vorgenommen werden [3] (Abb. 5). Nemitz G, Schlusche-Flömer B, Wiedemann A: Leitlinie Harninkontinenz der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie, Eur J Ger Suppl. 7 (2005): 1-44 2. Hua LX, Wu HF, Sui YG, Chen SG, Xu ZQ, Zhang W, Qian LX: Tamsulosin in the treatment of benign prostatic hyperplasia patients with acute urinary retention Zhonghua Nan Ke Xue 9 (2003): 510-11 3. Sarica K, Alkan E, Lucci H, Tasci AI: KTP-Laser: Long-term results in 240 Patients, J Endourol 19 (2005): 1199-1202 Operation Zur operativen Versorgung einer BPH stehen heute neben den klassischen Methoden der transurethralen Resektion der Prostata alternative Verfahren zur Verfügung. Für Patienten, bei denen hinsichtlich der üblichen Risiken (Blutverlust, TUR-Syndrom) von einer TUR-P abzuraten ist und solche, bei denen eine Thrombozytenaggregationshemmung oder eine Marcumarisierung nicht abgesetzt werden kann, bietet die sog. Photoselektive Vaporisation der Prostata mit GERIATRIE JOURNAL 2/06 Abb. 5: Transurethrale Photoselektive Prostata-Vaporisation mit dem KTP„Greenlight“-Laser. Korrespondenzadresse: Dr. Andreas Wiedemann, Urologische Abteilung, Marienhospital, Virchowstr. 135, 45886 Gelsenkirchen 19 U R O LO G I E : P E N I SV E R Ä N D E R U N G E N Foto: Wiedemann Das Tabu unter der Bettdecke A. Wiedemann, Gelsenkirchen Scham, klassische Tabuisierung und körperliche Defizite können dazu beitragen, dass geriatrisch relevante Penisveränderungen über lange Zeit unentdeckt und damit unbehandelt bleiben. Der Artikel befasst sich mit möglichen Erkrankungen und ihren Therapieoptionen. Abb. 1: Phimose; die verengte Vorhaut lässt gerade noch den Meatus urethrae einsehen, ein Repositionsversuch ist als frustran anzusehen und sollte unterbleiben. V Im ersten Lebensjahr sind Verklebungen zwischen Vorhaut und Glans penis physiologisch. Vorhautengen (Abb. 1) und -verwachsungen können aber auch noch im hohen Alter durch chronisch-entzündliche, vernarbende Prozesse besonders auch bei Diabetes mellitus auftreten. Hier spie- len „gewaltsame“ Repositionsversuche, ein Sekretstau mit Balanitis und Rhagadenbildung eine Rolle. Die einzige Möglichkeit, den circulus vitiosus aus Entzündung, Vernarbung und Phimose zu durchbrechen, ist die Zirkumzision. Der Eingriff kann nach Absetzen aller Thrombozytenaggregationshemmer in Lokalanästhesie vorgenommen werden und ist wenig belastend. Unter Verwendung von resorbierbarem Nahtmaterial ist die Nachbetreuung mit einer offenen Wundbehandlung unproblematisch. Ein Minimaleingriff bei schlechtem Allgemeinzustand des Patienten stellt die dorsale Vorhautinzision dar (Abb. 2). Wird eine Balanitis bei Phimose nicht effektiv behandelt, kann eine Penisphlegmone oder eine Elephantiasis des Penis mit schwar- Abb. 3: Chronische Balanitis mit Elephantiasis des Penis und trophischen Störungen der Haut mit ulzerösen Veränderungen. Abb. 4: Peniskarzinom im Bereich der Glans penis, histologisch T2-Plattenepithelkarzinom; eine Harnröhrenmündung ist nicht mehr zu erkennen. eränderungen des äußeren Genitales werden häufig erst bei Inanspruchnahme professioneller Pflege oder bei einer systematischen und kompletten körperlichen Untersuchung – etwa im Rahmen der geriatrischen Rehabilitation oder einer internistischen Aufnahmeuntersuchung diagnostiziert. Als Gründe für die – teilweise jahrelange – Latenz bis zur Entdeckung sind neben der klassischen Tabuisierung aller Aspekte, die mit dem äußeren Genitale und damit der Sexualität im weitesten Sinne zu tun haben, auch körperliche Defizite zu nennen. Sie erschweren es dem Hochbetagten, Erkrankungen seines Genitalbereiches überhaupt wahrzunehmen. Hierzu gehören eine Adipositas oder Visusminderungen, die eine Beobachtung z.B. des Abb. 2: Dorsalinzision: nach Lokalanästhesie wird die verengte Vorhaut dorsal bei 12 Uhr bis zum Sulcus coronarius unter Schutz der Glans penis inzidiert; es folgen 3-4 Einzelknopfnähte mit resorbierbarem Nahtmaterial im Bereich des Schnittrandes jeder Seite. 20 Penis oder des Skrotums unmöglich machen, genauso wie dementielle Prozesse, die im Rahmen der Vernachlässigung der Körperpflege auch und besonders eine mangelnde Intimhygiene bedeuten. Im Folgenden sollen Erkrankungen des äußeren männlichen Genitales dargestellt werden, die im Grenzbereich zwischen Urologie und Geriatrie auftreten. Phimose, Balanitis, Karzinom GERIATRIE JOURNAL 2/06 U R O LO G I E : P E N I SV E R Ä N D E R U N G E N Abb. 5: Status nach Penisteilamputation; die dorsal erhaltene Hautfalte (Fadenmarkierung) dient als „Steuerfalte“ dazu, nach Entfernung des Katheters eine gerichtete Miktion im Stehen zu ermöglichen. Abb. 6: Längsinzision des „Schnürringes“ bei Paraphimose Abb. 8 : Extreme Anasarka mit Penisund Skrotalödem. Beachte: durch die Peniselongation und Vorwölbung des Skrotums wird die gesamte Länge des Katheters „aufgebraucht“; der Katheter reicht nur knapp über den Penis hinaus. epithelkarzinome zu klassifizierenden Neubildungen entstehen als maligne Umwandlungen auf dem Boden eines jahrelangen entzündlichen Reizes. Für den Betroffenen unbemerkt bleiben bei nicht reponibler Vorhaut die scholligen und verrukös anmutenden Veränderungen, die meist im Bereich der Glans penis entstehen und nach proximal den Penisschaft entlang unter jauchigem Gewebszerfall wandern (Abb. 4). Nach der histologischen Diagnosesicherung mittels einer Probeexzision ist bei invasiven Stadien eine Penisteilamputation neben einer tiefen inguinalen Lymphadenektomie notwendig. Ersterer Eingriff kann auch unter palliativer Zielsetzung bei schlechtem Allgemeinzustand in Lokalanästhesie vorgenommen werden (Abb. 5). Paraphimose Abb. 7: Queres Vernähen der Inzision zur Umfangsvermehrung tenartigem Aspekt und ulzerösen Veränderungen die Folge sein (Abb. 3). Eine chronisch-entzündliche Phimose stellt in hohem Maße einen Risikofaktor für die Entstehung eines Peniskarzinoms dar. Diese histologisch meist als Platten- 22 Einen häufigen „Notfall“ stellt die sog. Paraphimose oder der „spanische Kragen“ dar. Bei relativer Vorhautenge kann die hinter den Sulcus coronarius zurückgerutschte Vorhaut ödematös anschwellen. Bleibt dies über längere Zeit unbemerkt, ist ein Zurückstreifen der Vorhaut über die Glans nicht mehr möglich. Eine Strangulation mit Nekrosenbildung kann die Folge sein. Ist eine einfache Reposition unmöglich, sollte zunächst eine Lokalanästhesie in Form eines Peniswurzelblockes für Schmerzfreiheit sorgen. Häufig gelingt es dann, das Ödem der Vorhaut ma- nuell soweit „auszuwringen“, dass ein Zurückstreifen möglich wird. Wichtig ist dann die Fixation der Vorhaut vor der Glans penis etwa durch einen Pflasterstreifen, um ein erneutes Entstehen einer Paraphimose zu verhindern. Ist eine Reposition unter den genannten Bedingungen weiterhin nicht zu erreichen, sollte der häufig bereits derbe „Schnürring“ längs inzidiert und quer vernäht werden, um eine Umfangsvermehrung der Vorhaut zu erreichen (Abb. 6 und 7). Eine komplette Zirkumzision empfiehlt sich in der Situation einer Paraphimose mit ödematösem, trophisch gestörtem Gewebe wegen der Gefahr der Wundheilungsstörung nicht. Penisbeteiligung bei Anasarka Bei einer ausgeprägten Herzinsuffizienz ist eine ödematöse Penis- und Skrotalschwellung – bei entsprechend indolenten Patienten gelegentlich monströsen Ausmaßes (Abb. 8) – möglich. Neben der internistischen Therapie der Herzinsuffizienz ist eine Hochlagerung des Genitales mittels einer zum quadratischen Block gefalteten Einmalunterlage nützlich. Problematisch ist in dieser Situation die Harnblasendrainage des Patienten. Bei ödematöser Verschwellung des Unterbauches ist eine suprapubische Blasenfistelung als risikoreich anzusehen, weil das Austasten der Symphysenoberkannte erschwert und der Punktionskanal über Gebühr verlängert werden. Das Penisödem erschwert aber auch bei Mitbeteiligung der Vorhaut den transurethralen Katheterismus. In dem in Abb. 8 dargestellten Fall gelang der Katheterismus unter Zuhilfenahme eines HNO-ärztlichen Nasenspekulums, mit dem der Meatus urethrae eingestellt werden konnte. Die ödembedingte Elongation des Penis kann dabei die gesamte Länge des Katheters „aufbrauchen“, so dass vor einem unkritischen Blocken des Katheters der korrekte Sitz der Katheterspitze in der Harnblase entweder klinisch durch Anspülen oder sonographisch kontrolliert werden sollte. Dr. Andreas Wiedemann, Urologische Abteilung, Marienhospital, Virchowstr. 135, 45886 Gelsenkirchen GERIATRIE JOURNAL 2/06 R H E U M AT O L O G I E : A R T H R I T I S Die medikamentöse Therapie der Rheumatoiden Arthritis Thomas Brabant, Bremen und Dirk O. Stichtenoth, Hannover Die Rheumatoide Arthritis weist im höheren Alter häufig eine höhere Entzündungsaktivität und Aggressivität auf. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf Selbstständigkeit und Lebensqualität der Patienten. Der Artikel befasst sich mit den Möglichkeiten der medikamentösen Therapie. D GERIATRIE JOURNAL 2/06 tationen in Form von Fieber, Gewichtsverlust, Leistungsschwäche und rascher Muskelatrophie. Die Patienten haben typischerweise im Labor im Vergleich zu jüngeren Patienten stark erhöhte humorale Abb. 1: Erkrankungsalter RA-Patienten Erkrankungsalter der RA-Patienten in der Kerndokumentation 1993 und 2000 nur Patienten mit maximal fünf Jahren Krankheitsdauer 25 2000 µ = 55,6 Prozent 20 15 10 1993 µ = 54,1 5 0 ≤ 20 21-25 26-30 31-35 36-40 41-45 46-50 51-55 56-60 61-65 66-70 71-75 Alter (Jahre) 76-80 > 80 Kerndokumentation der Regionalen Kooperativen Rheumazentren in der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie. DRFZ, 2003. Tab. 1: Gegenüberstellung [modifiziert nach 24] ie so genannte Alters-RA, die Rheumatoide Arthritis des höheren Lebensalters, manifestiert sich in der Regel nach Erreichen des 60. Lebensjahres. Aus den Daten der Kerndokumentation des deutschen Rheumaforschungszentrums Berlin ergibt sich, dass das Erkrankungsalter der Rheumatoiden Arthritis im Jahre 1993 im Mittel bei 54,1 Jahren, im Jahre 2000 bei 55,6 Jahren liegt (Abb. 1). International wird ebenfalls über einen Trend zu einem höheren Erkrankungsalter der Rheumatoiden Arthritis berichtet. Der Anteil der Patienten mit einem Erkrankungsbeginn nach dem 60. Lebensjahr (61 und älter) betrug 2001 21,7% und war damit deutlich höher als 1993. Die differentialdiagnostisch immer zu beachtende Polymyalgia rheumatica, eine typische Erkrankung des höheren Lebensalters, zeigte in einer Untersuchung aus dem Jahr 1992 ein mittleres Erkrankungsalter von 64,2 Jahren; 68% der Patienten erkrankten nach dem 60. Lebensjahr. Durch die zunehmende Lebenserwartung wird der Anteil der über 60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung weiter ansteigen und damit auch der Anteil von Patienten im höheren Lebensalter, die erstmalig und auch dauerhaft von einer Rheumatoiden Arthritis betroffen sind. Diese im angelsächsischen Sprachraum auch als „elderly onset rheumatoid arthritis“ bezeichnete Erkrankung zeichnet sich klinisch insbesondere durch einen akuten Beginn mit schwerem Krankheitsgefühl, häufig mit Befall der kleinen und großen Gelenke, bevorzugt der Schultergelenke, aus. Zusätzlich finden sich systemische Manifes- Entzündungszeichen, wobei Rheumafaktoren initial häufig bei den Patienten, die ein polymyalgisches Beschwerdebild zeigen, negativ sind. Differentialdiagnostisch, insbesondere zu Beginn der Erkrankung, sind die Polymyalgia rheumatica, Paraneoplasien, Kristallarthropathien und die aktivierte Arthrose unbedingt auszuschließen. Eine weitere wichtige Differentialdiagnose ist das RS3PE-Syndrom, die remittierende serone- Differentialdiagnostische Gegenüberstellung wesentlicher Charakteristika von Rheumatoider Arthritis im höheren Lebensalter (Alters-RA, RS3PE-Syndrom und Polymyalgia rheumatica PMR) Alters-RA RS3PE PMR Myalgie + – +++ Prox. Extremitätengelenke ++ – +++ Periph. Extremitätengelenke +++ +++ + Tenosynovitis + +++ + Handrückenödem + +++ + Erosive Gelenkveränderungen ++ – – BSG-Beschleunigung + + +++ Rheumafaktoren + – – 23 R H E U M AT O L O G I E : A R T H R I T I S gative, symmetrische Synovitis mit diffusem Ödem. Dabei stehen insbesondere die teigige, ödematöse Schwellung der Handund Fingergelenke mit begleitender Tendovaginitis der Beugesehnen im Vordergrund der klinischen Symptomatik (Tab. 1). Medikamentöse Therapie Die medikamentöse Therapie der Rheumatoiden Arthritis im höheren Lebensalter unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der Therapie jüngerer Patienten. Im Wesentlichen kommt dabei eine kombinierte Therapie aus folgenden Medikamentengruppen zum Tragen [5]: @ Nicht-steroidale Antirheumatika einschließlich der Coxibe @ Analgetika @ Glukokortikoide @ Langwirksame Antirheumatika (LWAR) @ Biologika Unter der Berücksichtigung individueller Merkmale wie Multimorbidität, Polymedikation, Aktivität der Erkrankung, Rezidivhäufigkeit, Einschränkung der Lebensqualität und Selbstständigkeit müssen bei Erstellung eines individuellen Therapieplanes zusätzlich die bestehenden regressiven Veränderungen der Organe und die veränderte Pharmakokinetik berücksichtigt werden. Insbesondere sind dabei die verzögerte Metabolisierung in der Leber und die abnehmende Eliminationsfähigkeit der Niere zu berücksichtigen. Die nachlassende Organkompetenz, die im höheren Lebensalter sich darstellenden Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten und die auf Grund einer Vielzahl von verordneten Medikamenten häufigen pharmakologischen Wechselwirkungen erfordern neben einer sorgfältigen Indikationsstellung eine hohe Aufmerksamkeit des behandelnden Arztes. Je einfacher daher die Verordnung ausgestaltet ist, desto besser ist die Compliance. Daher gilt auch insbesondere in der Therapie rheumatischer Erkrankungen im Alter das Prinzip: „start low, go slow,“, d.h., die im Folgenden aufgeführten einzelnen Therapieoptionen sollten unter der Prämisse einer möglichst niedrigen Eingangsdosis und erst bei sicherer Verträglichkeit unter Beachtung der Nierenfunktion gesteigert werden. 24 Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) Die erwünschten wie die unerwünschten Wirkungen der nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) beruhen zum größten Teil auf der Hemmung der Zyklooxygenase (COX) und der davon abhängigen Prostaglandinsynthese. Die hochselektiven COX-2-Inhibitoren („Coxibe“) verringern die Produktion schützender Prostaglandine weniger stark als herkömmliche, COXunselektive NSAR [21]. Coxibe zählen aber weiterhin zu den NSAR, mit Ausnahme der Plättchenaggregationshemmung ist prinzipiell mit den gleichen Nebenwirkungen zu rechnen. Alle NSAR besitzen auch beim alten Patienten eine zuverlässige, aber nur symptomatische Wirkung gegen Schmerz und Entzündung, d.h. NSAR ersetzen weder bei alten noch bei jungen Patienten die progressionsverzögernde Therapie mit Basistherapeutika. Im Alter ändert sich das Risiko für schwere NSAR-Nebenwirkungen, das bei Patienten über 65 Jahren erheblich ansteigt. Die Ursachen hierfür sind vielfältig: @ Zunächst ist an die pharmakokinetischen Veränderungen im Alter zu erinnern, welche zu höheren wirksamen NSARKonzentrationen führen können [12]. @ Ein Lebensalter über 65 Jahre ist ein unabhängiger Risikofaktor für NSAR-be- dingte gastrointestinale Ulzera und deren Komplikationen, die im Alter 5-fach häufiger sind [7]. @ Die physiologische Abnahme der Nierenfunktion bedingt ein erhöhtes Risiko für NSAR-induzierte Natrium-/Wasserretention, Hyperkaliämie sowie Abnahme der glomerulären Filtrationsrate bis hin zum akuten Nierenversagen [22]. @ Das Risiko für Nebenwirkungen steigt durch die altersassoziierte Komorbidität und Komedikation. Einen Überblick zu den typischen NSAR-Arzneimittelinteraktionen bei Patienten mit Rheumatoider Arthritis im höheren Lebensalter gibt Tab. 2 [22, 23]. Diese altersbedingten bzw. -assoziierten ungünstigen Faktoren betreffen alle NSAR, also auch die Coxibe. Letztere haben im Vergleich zu herkömmlichen NSAR aber einige Vorteile: @ Das Risiko für gastroduodenale Ulzera und deren Komplikationen ist um 4080% niedriger [22]. Die gleiche Risikoreduktion wird auch im Dünn- und Dickdarm erzielt, wo eine Prophylaxe mit Protonenpumpeninhibitoren nicht möglich ist [14]. @ Das Auftreten von Dyspepsie ist ebenfalls reduziert. Auch wenn es sich um eine harmlose Nebenwirkung handelt, die nicht mit dem Ulkusrisiko korreliert, zwingt die Dyspepsie doch häufig zum Therapieabbruch [1]. Tab. 2: NSAR-Arzneimittelinteraktionen Typische NSAR-Arzneimittelinteraktionen bei Patienten mit rheumatoider Arthritis im höheren Lebensalter [22, 23] Arzneimittel Wechselwirkung ACE-Inhibitoren und Risiko für Nierenfunktionsstörungen erhöht. Angiotensin-Rezeptor- Isolierte Hyperkaliämie möglich antagonisten Alle Antihypertensiva Abschwächung der antihypertensiven Wirkung Clopidogrel Risiko für gastrointestinale Schädigung und Blutung erhöht Diuretika Risiko für Nierenfunktionsstörungen erhöht Glukokortikoide Risiko für gastrointestinale Schädigung erhöht Methotrexat Verminderte Elimination von Methotrexat möglich Niedrig dosierte Risiko für gastrointestinale Schädigung und Blutungen erAcetylsalicylsäure höht. Mögliche Abschwächung der ASS-Kardioprotektion Spironolacton Hyperkaliämie möglich Triamteren Hyperkaliämie möglich Vitamin-K-AntaRisiko für gastrointestinale Blutungen erhöht. Erhöhte gonisten Vitamin-K-Antagonisten Plasmakonzentration möglich GERIATRIE JOURNAL 2/06 R H E U M AT O L O G I E : A R T H R I T I S @ Coxibe inhibieren nicht die Plättchen- @ Bei gastrointestinalen Risikofaktoren au- aggregation, was bei Blutungsgefahr (postoperativ, orale Antikoagulantien) vorteilhaft ist. @ Coxibe schwächen die kardioprotektive Wirkung von niedrig-dosierter Acetylsalicylsäure (ASS) nicht ab. Diese Wechselwirkung, bedingt durch Blockierung der ASS-Bindungsstelle in der COX-1, wurde für Ibuprofen durch epidemiologische Studien belegt [13]. Keinen Vorteil bieten die Coxibe bzgl. der renalen NSAR-Nebenwirkungen. Eng damit verknüpft sind die unerwünschten kardiovaskulären Effekte der NSAR. Die derzeit vorliegenden pro- und retrospektiven Daten zeigen ein substanzspezifisch erhöhtes Risiko für Rofecoxib, während die übrigen, strukturell unterschiedlichen Coxibe ein mit den herkömmlichen NSAR vergleichbares Risiko für Herzinsuffizienz, Herzinfarkt und Schlaganfall aufweisen [19, 15, 6, 8]. Diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen folgend, verfügte die USamerikanische Arzneimittel-Zulassungsbehörde FDA im April 2005 verschärfte Warnhinweise vor den kardiovaskulären Risiken von Celecoxib (dem einzigen verbliebenem Coxib in den USA) und herkömmlicher NSAR. Zusammenfassend lassen sich für die NSAR-Therapie der Rheumatoiden Arthritis im Alter folgende Empfehlungen geben: @ Möglichst niedrige Dosis und zeitliche Begrenzung der Therapie. Verwendung reiner Analgetika, um NSAR einzusparen. @ NSAR der Wahl sind Ibuprofen, Diclofenac und Meloxicam. ßer dem Alter selbst: Coxib oder ein herkömmliches NSAR mit Magenschutzprophylaxe (Protonenpumpeninhibitor oder Misoprostol). @ Kontrolle der Nierenfunktion. Wenn GFR <30 ml/min, keine NSAR. @ Bei kardiovaskulärem Risiko: Vorsicht ist bei allen NSAR angebracht. Coxibe sind bei Gabe von niedrigdosierter ASS eigentlich vorteilhaft, aber derzeit in Europa (im Gegensatz zu den USA) bei koronarer Herzkrankheit und nach Schlaganfall offiziell kontraindiziert. Analgetika Nicht jeder Schmerz ist bei Patienten mit einer Rheumatoiden Arthritis auf einen akuten Entzündungsschub zurückzuführen. Auch bei der Rheumatoiden Arthritis im höheren Lebensalter treten Schmerzen chronisch oder chronisch rezidivierend auf. Chronisch rezidivierender Schmerz ist im höheren Lebensalter immer schlechter zu ertragen, auch nimmt die Schmerzsensitivität im Alter zu (Abb. 2) [5, 4]. Primär ist in dieser Altersgruppe eine Therapie mit Paracetamol sinnvoll. Um eine chronische zermürbende Schmerzsituation zu unterbrechen, ist es bei unzureichender Analgesie unter Paracetamol/ NSAR/Coxiben indiziert, ein schwaches Opioid zu verordnen. Dabei empfiehlt sich die Gabe von Tramadol bzw. auch bei langandauernden starken Schmerzen die Gabe von Opioiden. Erst kürzlich konnte der gute Effekt von Fentanyl-TTS bei starken Schmerzen durch eine RA nachgewiesen werden [2]. Insbesondere führte diese The- Veränderung der max. Potentialamplitude nach Zahnschmerzreizung relative Amplitude Versuchsperson: 66 Jahre 45 Jahre 23 Jahre 11 Jahre GERIATRIE JOURNAL 2/06 Glukokortikoide Glukokortikoide sind auf Grund ihrer stark entzündungshemmenden Wirkung unverzichtbarer Bestandteil in der Therapie entzündlich rheumatischer Erkrankungen im höheren Lebensalter. Niedrigdosierte Glukokortikoide führen in Verbindung mit langwirksamen Antirheumatika zu einer Reduzierung der Knochendestruktion. Zusätzlich bleibt die Beweglichkeit erhalten, die der durch die Rheumatoide Arthritis selbst und durch das Glukokortikoid induzierten Osteoporose entgegenwirkt. Allerdings muss der ältere Mensch mit einem deutlich höheren Risiko und unerwünschten Wirkungen durch Glukokortikoide rechnen. Wesentlich häufiger kann es zu Glukokortikoidpsychosen schon nach wenigen Tagen kommen. Insbesondere bei gleichzeitig bestehender Osteoporose, Eng- und Weitwinkelglaukom, Diabetes mellitus und Hypertonie sollten Glukokortikoide so niedrig und so kurz wie möglich dosiert werden. Zur Prophylaxe einer Osteoporose empfiehlt sich die gleichzeitige Gabe von Kalzium 800-1000 mg/Tag sowie Vitamin D 1000 IE/Tag, sofern keine Kontraindikationen bestehen. Auch muss auf das deutlich erhöhte Risiko gastrointestinaler Blutungen und Ulkusentstehung bei gleichzeitiger Gabe von NSAR hingewiesen werden [18]. Langwirksame Antirheumatika (LWAR) Abb. 2: Schmerzsensitivität 0 rapie zu einer deutlichen Reduzierung der Schmerzstärke und damit zu einer verbesserten Lebensqualität und Alltagsbewältigung. 10 20 Die Indikation zu einer Therapie mit langwirksamen Antirheumatika wird im Wesentlichen durch die Aktivität der Erkrankung bestimmt. Im Vordergrund steht gerade beim älteren Patienten eine Therapie, die durch einen schnellen Wirkungseintritt überzeugt, so dass Medikamente mit einem milden bzw. mittelstarken oder auch langsamen Wirkungseintritt (besonders Antimalariamittel, orales Gold oder Sulfasalazin) nicht unbedingt Mittel der ersten Wahl sind, gleichwohl sich die- 25 R H E U M AT O L O G I E : A R T H R I T I S se sehr gut für eine Kombinationstherapie eignen. Ziel jeder Basistherapie ist es, drohende Frühschäden mit beginnender Destruktion von Knorpel und Gelenk zu vermeiden, die Immobilisation zu verhindern und die Lebensqualität zu sichern. Auf Grund seines schnellen Wirkungseintritts, seiner hohen anti-inflammatorischen Potenz und seiner verhältnismäßig guten Verträglichkeit ist Methotrexat (MTX) als Basistherapeutikum häufig die erste Wahl. Bei regelmäßiger klinischer Kontrolle gilt Methotrexat in der Dosierung von 7,5-20 mg/ Woche als ein auch im Alter sicheres Medikament [11]. Da Methotrexat zu 90% über die Niere ausgeschieden wird, ist immer die Nierenfunktion zu kontrollieren und gegebenenfalls die Dosis entsprechend anzupassen. Nebenwirkungen wie Haarausfall, Haut-/Schleimhautveränderungen und unerwünschte Nebenwirkungen im Gastrointestinaltrakt und Knochenmark können durch die Addition von Folsäure (5-20 mg) am Tag nach der MTX Einnahme reduziert werden. Auf Grund der bekannten Hepatotoxizität sollten die Leberwerte beachtet werden und bei pulmonalen Beschwerden ist auch an eine Pneumonitis zu denken. Interaktionspotentiale bestehen zwischen MTX und konventionellen NSAR bzw. MTX und Penicillin durch renale Hemmung der MTX-Elimination in der Niere und damit erhöhter Knochenmarktoxizität. Antibiotika auf Sulfonamidbasis und gleichzeitige MTX-Therapie zeigen additive Effekte und können eine Panzytopenie induzieren. Leflunomid blockiert die de novo-Synthese des Pyrimidins, dadurch wird die Proliferation aktivierter Lymphozyten begrenzt. Leflunomid besitzt eine sehr lange Halbwertszeit von zwei Wochen. Es wird zur Hälfte sowohl über die Niere wie auch den Darm ausgeschieden. Bei Leberinsuffizienz ist unbedingt eine Dosisanpassung erforderlich. Blutdrucksteigerung und Transaminasenanstieg als wichtigste Nebenwirkung begrenzen den Einsatz dieses Basismedikamentes, wobei zusätzlich noch pharmakologische Interaktionen vor allem mit Warfarin zu berücksichtigen sind. Die Elimination von Leflunomid kann im Bedarfsfall mit Colestyramin oder Aktivkohle erheblich beschleunigt werden. Antimalariamittel. Gerade bei der milden Verlaufsform einer Rheumatoiden Arthritis im höheren Lebensalter sind Chloroquin und auf Grund des geringeren Nebenwirkungspotentials Hydroxychloroquin besonders geeignete Medikamente. Neben einer augenärztlichen Untersuchung auf Grund der Möglichkeit von Einlagerungen in die Hornhaut (reversibel) und in die Retina (zumeist irreversibel) vor und in regelmäßigen Abständen während der Therapie sind insbesondere eine vorbestehende Niereninsuffizienz, wie auch ein Körpergewicht unter 65 kg verantwortlich für eine Dosisreduktion. Sulfasalazin wirkt schwächer als Leflunomid und Methotrexat, ist aber eine substantielle Alternative in der Behandlung der Rheumatoiden Arthritis. Sulfasalazin wird im Wesentlichen gut vertragen und zeigt bei einer einschleichenden Dosierung von 0,5 g, beginnend in wöchentlicher Steigerung bis auf 2 g täglich, einen Eintritt der Wirkung nach 1-3 Monaten. Auch hier ist bei Patienten mit Niereninsuffizienz eine Dosisanpassung sinnvoll. Neben gastrointestinalen Problemen (Übelkeit) treten dermatologische (Pruritus, Sulfonamidallergie) und hämatologische (Thrombozytopenie, Leukozytopenie) Nebenwirkungen auf. Sulfasalazin eignet sich sehr gut zur Kombinationstherapie mit Methotrexat. Goldsalze. Die parenterale Goldtherapie wie auch die Therapie mit D-Penicillamin sind als Basistherapien heute weitgehend in den Hintergrund getreten. Die Nebenwirkungsrate ist mit Einschluss aller auch der leichten Nebenwirkungen recht hoch. Insbesondere sind Blutbildveränderungen, Proteinurie, Dermatitiden und Nephropathie beschrieben. Die Wirkung einer parenteralen Goldtherapie setzt nach 3-6 Monaten ein, falls keine Besserung des Krankheitsbildes in diesem Zeitraum erkennbar ist, sollte die Therapie abgesetzt werden. Azathioprin kann eine gute Alternative zu Methotrexat sein, gerade bei einer mehr autoimmunologisch geprägten Rheumatoiden Arthritis. Die Therapie wird mit einer Anfangsdosis von 50 mg gestartet und kann unter Beachtung der Leberwerte bis auf 100-150 mg gesteigert werden. Als unerwünschte Wirkung können reversible Veränderungen des Blutbildes und Tab. 3: Unterschiede und Gemeinsamkeiten der TNF-alpha-Inhibitoren – Antizytokine [18] Handelsname Bindungsziel und -affinität Halbwertszeit (T) Applikationsform und -intervall Dosierung (mg) Mögliche (zwingende) Kombinationen Struktur 26 Etanercept Enbrel TNFα, TNFα hoch-sehr hoch 4-5 subcutan 2x/Woche 25 Monotherapie oder MTX Infliximab Remicade TNFα hoch-sehr hoch 10-14 intravenös 4-8 Wochen 3-8/kg KG zwingend mit MTX Adalimumab Humira TNFα hoch-sehr hoch 14-19 subcutan jede 2. Woche 40 Monotherapie oder MTX Anakinra Kineret Typ-I-Interleu-Rezeptoren sehr hoch 4-6 Stunden subcutan täglich 100 zwingend mit MTX lösliches TNF-Rezeptorfusionsprotein (human) chimärer monoklonaler Antikörper humaner, monoklonaler Antikörper rekombinanter IL-1-Rezeptorantagonist GERIATRIE JOURNAL 2/06 R H E U M AT O L O G I E : A R T H R I T I S auch gastrointestinale Störungen zusätzlich auftreten Ciclosporin. Das Immunsuppressivum Cyclosporin, welches die T-Lymphozyten inhibiert, ist im höheren Lebensalter wegen seiner Nephrotoxizität als Reservemittel anzusehen. Die Therapie sollte eine maximale Dosierung von 2,5 mg/kg/KG nicht überschreiten, immer unter Beachtung der Nierenfunktion und des Kreatinins. Bei Kreatininanstieg und Blutdruckerhöhung sollte die Dosis reduziert bzw. die Therapie abgesetzt werden. Biologica Eine Therapie mit den unterschiedlichen TNF-alpha-Inhibitoren – Biologica (Tab. 3) [18] zeigt auch bei älteren Rheumapatienten im Vergleich zu jüngeren keine wesentlichen Unterschiede bezüglich Wirksamkeit und Sicherheit. Allerdings hat die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie folgende Voraussetzungen für die Therapie mit diesen Substanzen festgelegt: @ die sichere Diagnose der Rheumatoiden Arthritis, @ das Versagen von mindestens zwei Basistherapeutika (eines davon Methotrexat), @ hohe Krankheitsaktivität über sechs Monate und @ die gewährleistete Überwachung und Dokumentation der Therapie. Biologica wirken erheblich schneller und ihre Wirkung ist deutlich ausgeprägter als die bekannten Basistherapeutika und Substanzen zur Langzeittherapie der Rheumatoiden Arthritis. Infliximab darf allerdings nur in Kombination mit niedrig dosiertem Methotrexat eingesetzt werden, während Etanercept auch als Monotherapie zugelassen wurde. Gemeinsam ist allen, dass insbesondere beim älteren Rheumatiker nicht hoch genug einzuschätzende Infektionsrisiko. Auch muss vor der Therapie eine latente Tuberkulose ausgeschlossen werden, da unter der Therapie mit Infliximab über das vermehrte Auftreten von Tuberkulose berichtet worden ist [9]. Langzeiterfahrungen bei älteren Patienten liegen noch nicht vor, die Therapie ist sehr kostenintensiv ist und sollte in erster Linie von erfahrenen Rheumatologen durchgeführt werden. 28 Zusammenfassung Zusammenfassend findet man bei der Rheumatoiden Arthritis im höheren Lebensalter häufig eine höhere Entzündungsaktivität und Aggressivität mit krankheitsbedingt erheblichen Auswirkungen auf die Selbstständigkeit, die Lebensqualität und die Aktivitäten des täglichen Lebens. Infolge der häufig vorhandenen Multimorbidität und Polymedikation hat die Therapie das Nebenwirkungspotential und die pharmakologischen Interaktionen sorgfältig abzuwägen. Medikamente mit geringerem Nebenwirkungspotential und schnellerem Wirkungseinritt sind häufig vorzuziehen. In Abstimmung mit dem betreuenden Hausarzt sollte die Therapie fachärztlich rheumatologisch geführt und den Erfordernissen der jeweiligen Krankheitssituation angemessen angepasst sein. Literatur 1. Armstrong CP, Blower AL. Non-steroid anti-inflammatory drugs and life threatening complications of peptic ulceration. Gut 1987; 28: 527-532 2. Berliner, M., Schwalen, S., Seidel, W, Häntzschel, H., Fentanyl-TTS bei durch Rheumatoide Arthritis bedingten Schmerzen, Akt. Rheumatologie 2002 27: 230-235 3. Bombardier C, Laine, Lreicin, Ashapiro D, BurgosVargas R, Davis B, Day R, Ferraz MB, Hawkey CJ, Hochberg MC, Kvien TK, Schnitzer TJ; Vigor Study Group.Comparison of upper gastrointestinal toxicity of rofecoxib and naproxen in patients with rheumatoid arthritis. Vigor Study Group.N. Engl J Med. 2000; 343: 1520-8. 4. 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Epidemiologie Hochrechnungen zufolge ereignen sich in Deutschland jährlich ca. 225.000 Wirbelkörperfrakturen und ca. 100.000 Schenkelhalsfrakturen [8]. Auf Grund des demographischen Wandels ist mit einem weiteren Anstieg dieser Zahlen zu rechnen. Hervorzuheben ist dabei, dass die Fraktur nicht nur ein Schmerzereignis darstellt, sondern gravierende Auswirkungen auf Morbidität und Mortalität der Betroffenen hat: etwa 20% der Patienten mit Hüftfraktur versterben innerhalb des ersten Jahres nach der Fraktur und weitere 20-40% der über 75jährigen Patienten werden infolge der Fraktur dauerhaft pflegebedürftig. Abb.1 zeigt die Alters- und Geschlechtsverteilung von Hüftfrakturen gemittelt aus verschiedenen Regionen Frankreichs um 1990. Erkennbar ist, dass die Inzidenz exponentiell mit dem Alter zunimmt und Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Das durchschnittliche Alter für Hüftfrakturen liegt GERIATRIE JOURNAL 2/06 bei Frauen bei 81 Jahren, bei Männern beträgt es 73 Jahre [1]. Die Mortalität von Hüftfrakturen steigt dabei sowohl bei Männern wie auch bei Frauen linear mit dem Alter an und ist bei Männern durchschnittlich doppelt so hoch wie bei Frauen, wie Untersuchungen aus den USA zeigen [9]. Werden die ersten sechs Monate nach dem Ereignis überlebt, so ist die Lebenserwartung von Patienten mit und ohne Hüftfraktur wieder identisch. Zu den häufigsten Todesursachen werden erwartungsgemäß Infektionen gezählt. Zahlreiche Untersuchungen zusammenfassend sind aber zwei Faktoren entscheidend: der Gesundheitsstatus vor Fraktur und der mentale Status, so dass Knochendichte auch ein Maß für den allgemeinen Gesundheitsstatus zu sein scheint. Pathophysiologie Der Knochen ist keineswegs ein statisches Gebilde, sondern ein hochspezialisiertes Gewebe mit ausgesprochen hoher Stoffwechselaktivität. Dabei sei hervorgehoben, dass diese Stoffwechselaktivität lebenslang erhalten bleibt, sich das Knochengewebe also jederzeit an Änderungen der Belastung anpasst (Remodeling). Vermehrte Aktivität kann zu einer Stabilisierung, verminderte Aktivität hingegen zu einem Abbau der Knochensubstanz führen. Der Knochenquerschnitt ist einer der bedeutendsten Stabilitätsfaktoren wie Abb. 1: Alters- und geschlechtsbezogene Inzidenz von Hüftfrakturen 3500 Inzidenz pro 100.000 Personenjahre A ktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass es weltweit etwa 200 Millionen Menschen gibt, die an Osteoporose leiden. Nach Berechnungen der WHO ist bis zum Jahre 2050 mit einer Zunahme osteoporosebedingter Hüftfrakturen um das Dreifache zu rechnen. Aber bereits jetzt ereignet sich in der Europäischen Union alle 30 Sekunden eine Fraktur auf Grund einer Osteoporose [23]. Hervorzuheben ist allerdings auch, dass weitere 20% der über 75jährigen Patienten infolge der Fraktur dauerhaft pflegebedürftig werden und häufig nicht mehr in ihrem häuslichen Umfeld leben können. Leider wird bisher nur etwa die Hälfte der Erkrankungen diagnostiziert und nur jeder vierte Erkrankte therapiert. Selbst bei Vorliegen einer osteoporosebedingten Fraktur erhöht sich dieser Anteil bedauerlicherweise nicht. 3000 2500 2000 1500 Frauen Männer 1000 500 0 20 30 40 50 60 Alter 70 80 90 100 29 R H E U M AT O L O G I E : O S T E O P O R O S E physikalische Berechnungen belegen. Der Ätiologie größere Knochenquerschnitt männlicher Die Genese der primären Osteoporose Knochen bedingt im Wesentlichen die ge- ist als multifaktorielles Geschehen zu seringere Frakturinzidenz bei Männern im hen. Jedes Individuum erreicht in etwa zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr Vergleich zu Frauen. Die Knochenmasse spiegelt sich in seine individuelle, maximale KnochenDurchmesser, Länge, Kompaktadicke masse (peak bone mass), deren Höhe von und Spongiosamenge wieder. Die Kno- endogenen, genetischen und exogenen chenstruktur, die sog. Mikroarchitektur, Faktoren sowie optimaler Ernährung und hingegen umfasst Qualität, Quantität körperlicher Aktivität in der Phase des Skelettaufbau abund Ausrichtung In der Europäischen Union hängt. Zahlreiche getrabekulärer Vernetzungen inner- ereignet sich alle 30 Sekunden netische Polymorphismen, darunter halb der Spongioeine Fraktur auf Grund des Kollagens, des sa entlang der Beeiner Osteoporose Östrogen- und des lastungslinien Vitamin-D-Rezep(Trajektorien). Die Knochenstabilität ist von Knochenmas- tors sowie anderer den Knochenstoffse und -struktur sowie der Fähigkeit zur wechsel regulierender Proteine wurden kontinuierlichen, ausgewogenen Mate- inzwischen beschrieben [18]. Nach Erreichen der peak bone mass rialerneuerung (Remodeling) abhängig. Knochenresorption und -formation ste- zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr ist hen im gesunden Knochen dabei im ein jährlicher Verlust von etwa 1-2% der Gleichgewicht. Jeder Remodelingzyklus Knochenmasse zu verzeichnen. Östrodauert in etwa vier bis sechs Monate und gen wird für eine Verbesserung sowohl der innerhalb eines Jahres werden ca. 10% intestinalen Absorption als auch der renalen Konservierung des Kalziums verdes Skeletts erneuert. Die Osteoporose ist durch eine Re- antwortlich gemacht [13]. Auf zellulärer duktion der Knochenmasse und Zer- Ebene soll es zudem Osteoblasten stimustörung der knöchernen Mikroarchi- lieren und Osteoklasten hemmen. Durch tektur gekennzeichnet. Die Erkrankung den Wegfall der Östrogene in der postbleibt lange klinisch stumm und tritt menopausalen Phase kommt es zu einem ganz überwiegend erst im höheren Le- deutlich gesteigerten Knochenumsatz zubensalter durch eine verminderte Stabi- gunsten der Knochenresorption und eilität der Knochen in Erscheinung. Da ner Verminderung der intestinalen Kalbeim älteren Menschen häufig gleich- ziumresorption. Der Wegfall der Östrogene im Rahzeitig eine erhöhte Sturzneigung vorliegt, nimmt die Inzidenz von Frakturen men der Menopause führt zu einem Verlust von etwa 15% der Knochenmasse im Alter zu. Die knochenabbauenden Prozesse be- innerhalb weniger Jahre. Aus präventiver treffen sowohl kortikalen als auch spon- Sicht ist es demnach entscheidend, eine giösen Knochen. Die Kortikalis dünnt möglichst hohe Knochenmasse vor der aus, die Trabekel innerhalb der Spon- Menopause zu erreichen. Die Osteopogiosa verlieren ihre plattenartige Struk- rose der Älteren ist aber gesondert zu betur und die Zahl intraspongiöser Ver- trachten, da hier Ernährungsfaktoren, netzungen reduziert sich durch Trabe- Komorbiditäten und dadurch bedingte kelperforationen. Dieser Entwicklung Veränderungen in der Lebensführung in liegt ein gestörtes Verhältnis aus Kno- den Knochen- und Muskelstoffwechsel chenresorption und -formation zugun- ganz besonders eingreifen und damit das sten der Resorption zu Grunde. Histo- Frakturrisiko deutlich erhöhen. logische Untersuchungen von osteopoKalzium- und Vitamin D-Stoffwechrotischen Knochen weisen daher eine vermehrte Zahl und Aktivität der Kno- sel. 99% des Kalziums im menschlichen chen abbauenden, vielkernigen Osteo- Körper sind im Knochen gespeichert, der größte Teil davon in Form von Hydroxylklasten auf. 30 apatit-Kristallen. Kalzium wird nur zu etwa 25-35% aus der Nahrung absorbiert. Regelmäßige Verluste treten über Urin, Haut und den Darm auf. Erst ab einer Kalziumzufuhr von etwa 1500 mg am Tag steigt auch die Kalziumausscheidung, das heißt, dass bis zu diesem Wert vermehrt Kalzium in den Knochen aufgenommen wird. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die intestinale Kalziumabsorption in höherem Alter abnimmt und eine entsprechende Supplementierung häufig notwendig macht. Auf Grund ihrer weitreichenden humoralen Bedeutung ist die Kalziumhomöostase sehr fein reguliert. Ein niedriger Kalziumspiegel führt zu vermehrter Sekretion von Parathormon (PTH) aus den Nebenschilddrüsen. Im Knochen stimuliert PTH die osteoklastäre Knochenresorption und erhöht so die Serumspiegel von Kalzium und Phosphat. In der Niere wird die Rückresorption von Kalzium gesteigert, die Phosphat-Rückresorption vermindert und die 1-alpha-Hydroxylierung von 25-OH-Vitamin D3 zum aktiven Vitamin D-Hormon, dem Calcitriol, stimuliert. Vitamin D3 (Cholecalciferol) wird beim Gesunden durch Photosynthese mittels UV-B-Strahlung aus in der Haut gebildetem Provitamin D3 produziert oder über die Nahrung aufgenommen. In der Leber erfolgt die 25-Hydroxylierung zu 25-OH-Vitamin D3, und in der Niere entsteht durch 1-alpha-Hydroxylierung das aktive D-Hormon Calcitriol. Calcitriol steigert im Darm die KalziumResorption, in der Niere die Bildung von Vitamin D-Hormon und hemmt in den Nebenschilddrüsen die Bildung von PTH. Im Knochen fördert Calcitriol die Differenzierung von Vorläuferzellen zu Osteoblasten und stimuliert in diesen Kalziumaufnahme und Proteinsynthese. Die Bedeutung von Vitamin D-Rezeptoren in der Muskulatur ist Gegenstand aktueller Forschung. Untersuchungen haben ergeben, dass eine alleinige Vitamin D-Substitution eine Reduktion der Körperschwankung und eine Verbesserung des Muskeltonus bewirken kann – mit der Folge seltener Stürze [15]. Besonders im hohen Alter ist die Prävalenz eines sekundären HyperparathyGERIATRIE JOURNAL 2/06 R H E U M AT O L O G I E : O S T E O P O R O S E reoidismus auf Grund eines Vitamin DMangels außerordentlich hoch. Dabei stellen Menschen in Alten- und Pflegeheimen ein Hochrisikokollektiv dar. In der Studie von Chapuy aus dem Jahre 1992 wurden 3.270 in französischen Altenheimen lebende, gehfähige Frauen entweder mit 1200 mg Kalzium und 800 IU Vitamin D3 täglich oder mit Plazebo behandelt. Das durchschnittliche Alter der Frauen betrug 84 Jahre. Nach 18 Monaten Behandlung ergab sich eine Reduktion von Schenkelhalsfrakturen um 43%, nach 36 Monaten immerhin noch um 29%. Die gemessenen PTH-Spiegel halbierten sich im Beobachtungszeitraum, so dass in Kombination mit der Tatsache einer anamnestisch mit 400 mg Kalziumzufuhr vor Studienbeginn geringen Kalziumzufuhr eine Mangelernährungssituation vorgelegen haben dürfte [3]. Zu bedenken ist außerdem die altersbedingte Abnahme der kutanen Synthesefähigkeit von Vitamin D3 auf weniger als die Hälfte im Vergleich zu Jüngeren. Hinzu kommt die ungünstige geographische Lage Deutschlands in Bezug auf kutane Vitamin D-Synthese, da von November bis März auf Grund des ZenitWinkels der Sonne praktisch keine kutane Synthese von Vitamin D3 stattfindet. Vor allem ältere Menschen in Pflegeeinrichtungen weisen häufig einen Vitamin D3-Mangel meist multifaktorieller Genese auf. Fehlende Sonnenlichtexposition, alimentäre Aspekte und Störungen der Metabolisierung der Calcitriol-Vorstufen zu aktivem Vitamin D3-Hormon sind die Hauptprobleme. Da die Hydroxylierung des 25-OH-Vitamin D3 in der Niere von der Kreatinin-Clearance abhängig ist, liegt dementsprechend häufig ein Mangel an Calcitriol vor. Diagnostik Anamnese. Die entscheidende Frage im Rahmen des diagnostischen Ablaufes ist, welche Patienten man weiterführenden Untersuchungen wie Röntgen, Labor und Knochendichtemessung zuführen sollte. Die Leitlinien des DVO (hier modifiziert) empfehlen folgende Einteilung [5]: 32 @ Älterer Patient mit akuter oder älterer Wirbelkörperfraktur bei nicht-adäquatem Trauma @ Älterer Patient mit starken Risikofaktoren (inklusive peripherer Frakturen) @ Älterer Patient mit/ohne Fraktur/ schwerpflegebedürftig/institutionalisiert/immobil Es empfiehlt sich bei Erwägung einer Osteoporose eine gezielte Anamnese hinsichtlich des Risikoprofils vorzunehmen. Auf Grund der unterschiedlichen Wertigkeit der verschiedenen Risiken wird eine Einteilung in starke und moderate Risikofaktoren vorgenommen (Tab. 1). Weitere Erkrankungen, die Ursache einer sekundären Osteoporose sein kön- nen, sind in Tab. 1 aufgeführt. Sehr wichtig ist außerdem die Genussmittelund Medikamentenanamnese, vor allem hinsichtlich Glukokortikoiden. Die Beeinflussung des Knochenstoffwechsels durch Glukokortikoide ist sehr komplex und beruht vorwiegend auf einer Hemmung der Knochenneuformation infolge einer Verminderung der Osteoblasten-Vorläuferzellen und einer gesteigerten Apoptose von Osteoblasten und Osteozyten. Darüber hinaus wurde – vor allem in der Initialphase einer Glukokortikoidtherapie – eine überproportionale Osteoklastenformation bei gleichzeitig verminderter Apoptose beschrieben [18]. Tab. 1 Risikofaktoren der Osteoporose Starke Risikofaktoren für Osteoporose @ Untergewicht (BMI < 20 kg/m2) bzw. ein starker Gewichtsverlust > 10% @ Abnahme der Körpergröße > 4 cm @ Vorbestehende Frakturen bei nur geringem auslösenden Trauma @ körperliche Inaktivität, insbesondere Bettlägerigkeit (auch von nur wenigen Wochen) @ Alter > 70 Jahre @ Hohes Sturzrisiko (mindestens zwei Stürze in den letzten sechs Monaten) Moderate Risikofaktoren für Osteoporose @ Positive Familienanamnese bzgl. Osteoporose @ Weibliches Geschlecht @ niedrige Östrogen-Expositionszeit (Menarche bis Menopause < 30Jahre) @ geringe oder fehlende Sonnenlichtexposition @ Mangelernährung hinsichtlich Kalzium (< 500-850 mg/Tag) und Vitamin D Erkrankungen, die mit einem erhöhten Osteoporoserisiko einhergehen @ Malassimilationssyndrome (Zustand nach Magenresektion, exokrine Pankreasinsuffizienz, cholestatische Lebererkrankungen, M. Crohn des Dünndarmes, Sprue, Kurzdarmsyndrom) @ Laktoseintoleranz @ Rheumatoide Arthritis @ Niereninsuffizienz @ Hyperparathyreoidismus @ Hypogonadismus @ Amenorrhoe (zum Beispiel durch Hochleistungssport) @ Wachstumshormonmangel @ M. Cushing @ Diabetes mellitus @ Alkoholismus, Nikotinabusus @ Erkrankungen, die eine verminderte Mobilität bedingen (z.B. M. Parkinson, Querschnitts-Syndrome, Multiple Sklerose, Chronisch obstruktive Lungenerkrankung usw.) Arzneimittel, die ein erhöhtes Osteoporoserisiko bedingen @ Glukokortikoide @ Heparin-Langzeitbehandlung @ Antikoagulantien @ Zytostatika @ Immunsuppressiva @ Antiepileptika @ Aromatasehemmer, Antiandrogene GERIATRIE JOURNAL 2/06 R H E U M AT O L O G I E : O S T E O P O R O S E Rückenschmerzen sind das häufigste geschilderte Symptom der Osteoporose und können sowohl chronischer Natur sein als auch durch akute Exazerbationen bei Wirbelkörperfrakturen oder Nachsinterungen bereits höhengeminderter Wirbel hervorgerufen werden. Typischerweise geben die Patienten an, Schmerzen zu haben, die im Tagesverlauf zunehmen und sich durch Ruhepausen oder Abstützen bessern. Osteoarthrotische Veränderungen hingegen zeichnen sich überwiegend durch morgendliche, lumbosakral betonte Schmerzen aus, die sich im Tagesverlauf und bei Bewegung bessern [6]. Wichtig ist zudem die Befragung nach der Körpergrößenentwicklung. Meist erinnern sich Patienten an ihre maximale Körpergröße im jungen Erwachsenenalter oder haben Ausweise mit entsprechenden Angaben. Die Entwicklung ei- ner ausgeprägten Kyphose durch Osteoporose wird meist noch als allgemeine Alterserscheinung wahrgenommen. Ein für geriatrische Patienten entscheidender Faktor ist die Ermittlung des Sturzrisikos. Bei bereits abgelaufenen Stürzen ist das Frakturrisiko besonders deutlich erhöht [11]. Die Rate steigt mit zunehmendem Alter weiter an. So liegt sie bei den 80- bis 89-Jährigen bei 40-50% und bei den 90- bis 99-Jährigen deutlich über der Hälfte. Von den dabei entstehenden schwerwiegenden Verletzungen ist die Schenkelhalsfraktur die häufigste. Zu bedenken ist zudem, dass etwa 40% aller Altenheimeinweisungen die Folge eines Sturzes sind. Ein Aufgreifen des Problems durch den behandelnden Arzt ist deshalb so wichtig, weil 60-70% der Gestürzten innerhalb der folgenden zwölf Monate erneut stürzen und bis zu 70% der älteren Gestürz- Tab. 2: Einteilung von Stürzen aus ätiologischer Sicht Extrinsische Stürze Synkopale Stürze Lokomotorische Stürze Sturz nachvollziehbar durch von außen einwirkende Kräfte mit oder ohne Bewusstseinsverlust, z.B. TIA, Herzrhythmusstörungen Stürze auf Grund von Funktionsdefiziten bei alltäglichen Umgebungsbedingungen oder Tätigkeiten Tab. 3: Evaluation des Sturzrisikos Endogene Sturzrisikofaktoren @ Positive Sturzanamnese @ Neurologische Defizite, vor allem Paresen, M. Parkinson, Demenz, Depression, Polyneuropathie @ Schwindel, Gleichgewichtsstörungen @ Seh- und Hörstörungen @ Gangstörungen, zum Beispiel infolge gestörter Gelenkfunktion, Muskelatrophie, -schwäche und ausgeprägter Kyphose @ Gliedmaßenamputation, Deformierung unterer Gliedmaßen @ Schwankungen von Blutdruck und Blutzucker @ Alkoholabusus @ Medikation mit Schlafmitteln, anderen psychotropen Substanzen, Diuretika @ Multimedikation (> 4 Medikamente) @ Nykturie Exogene Sturzrisikofaktoren @ Schlechte Lichtverhältnisse, vor allem nachts @ Auf dem Fußboden lose verlegte Kabel @ Lose Teppiche, glatte Böden @ Treppen, Schwellen @ Ungeeignetes Schuhwerk @ Frei laufende Haustiere @ Nicht fest stehendes Mobiliar @ Fehlen von Handgriffen im Bad GERIATRIE JOURNAL 2/06 ten Angst vor weiteren Stürzen entwickeln. Die Einschränkung der Mobilität aus Angst erneut zu stürzen, mündet in einen Teufelskreis mit zunehmendem Abbau neuromuskulärer Koordinationsfähigkeit und Muskelkraft. Zu unterscheiden sind drei Typen von Stürzen (Tab. 2). Ein entsprechendes Risikoprofil sollte durch individuelle Bewertung der in Tab. 3 aufgeführten Sturzrisikofaktoren ermittelt werden. Die Sturzanamnese sollte daher Einschränkungen sowohl des Aktionsradius als auch der Verrichtung von Dingen des täglichen Lebens umfassen. Gezielt gefragt werden sollte auch nach subjektiv empfundener Gangunsicherheit. Bei stattgehabtem Sturz sollten die näheren Umstände wie Tageszeit, Befinden und Verhalten vor dem Sturz sowie eventuelle Zusammenhänge zu Medikamenten- und Alkoholeinfluss erfragt werden. Erfahrungsgemäß ist eine Fremdanamnese oder idealerweise eine Begutachtung der häuslichen Verhältnisse bei einem Hausbesuch sehr hilfreich. Körperliche Untersuchung. Leider ist das Bild der älteren Frau mit „Witwenbuckel“ auch heute noch das bekannteste Korrelat zur Osteoporose. Die verstärkte Kyphose resultiert in einer Bauchvorwölbung. Durch die Verkürzung der Wirbelsäule wirken die Arme der Patienten relativ zu lang (Abb. 2). Der Körpergrößenverlust kann zu der charakteristischen Hautfaltenbildung am Rücken („Tannenbaumphänomen“, Abb. 3) führen. Die neuromuskuläre Funktionslage kann durch einfache Tests überprüft werden: @ Chair-Rising-Test: Der Patient wird aufgefordert, sich aufrecht auf einen fest stehenden Stuhl ohne Armlehnen zu setzen, die Arme vor dem Brustkorb zu verschränken, die Füße parallel zueinander zu stellen und fünfmal so schnell wie möglich aufzustehen und sich wieder zu setzen. Zeiten über 15 Sekunden sprechen für eine eingeschränkte Funktionslage. @ Geh-und-Zähl-Test: Dieser Test ist für hausärztliche Patienten aussagekräftig und in der Praxis einfach durchführbar. Je stärker die Gehgeschwindigkeit unter Ablenkung abnimmt, um so größer 33 Fotos: Autor R H E U M AT O L O G I E : O S T E O P O R O S E Abb. 2: Typischer Habitus einer Patientin mit multiplen Wirbelkörperfrakturen bei Osteoporose: deutlich erkennbar die ausgeprägte Kyphosierung der BWS mit Verkürzung des Thorax sowie die dadurch bedingt relativ zu lang wirkender Arme. Abb. 3: Tannenbaumphänomen: Hautfaltenbildung am Rücken infolge von multiplen Wirbelkörperhöhenminderungen. 34 ist die individuelle Sturzgefährdung. Die Durchführung umfasst zwei Punkte: - Patient geht 4 m so schnell wie ihm möglich ist, dabei wird die Zeit gemessen. - Patient geht 4 m so schnell wie ihm möglich ist und zählt dabei rückwärts von 100 in Dreierschritten (100, 97, 94 ...), dabei wird wiederum die Zeit gemessen. - Wird der Patient dabei um 20% langsamer, so entspricht dies einer 3- bis 4-fach erhöhten individuellen Sturzgefährdung. @ Up & Go-Test: Dieser Test dient zur primär zur Testung der Gehfähigkeit. Ähnlich wie beim Chair-Rising-Test wird der Patient bei dem Up & Go-Test aufgefordert, von einem Stuhl, allerdings mit Armlehne, ohne personelle Unterstützung aufzustehen, eine Strecke von 3 m gehen, sich umzudrehen, zum Stuhl zurückzugehen und sich wieder hinzusetzen. Durch Erweiterung um eine zusätzliche Aufgabe wie z.B. das Tragen eines mit Wasser gefüllten Glases, kann eine Sturzprognose für Stürze gemacht werden, da das Gangbild in einer komplexen, den Verrichtungen des täglichen Lebens entsprechenden Situation beobachtet werden kann. Weitere einfache Prüfungen umfassen die Aufforderung zum Einbeinstand und die Begutachtung des Gangbildes. Labor. Die Labordiagnostik dient zur Überprüfung des Kalzium- und VitaminD-Stoffwechsels sowie zur Differenzierung von anderen, den Knochen betreffenden Erkrankungen aus differentialdiagnostischer Sicht. Basislabordiagnostik sollte Blutbild, Kreatinin, Kalzium, Phosphor, GGT und Alkalische Phosphatase (AP), Serum-Elektrophorese, Blutsenkungsgeschwindigkeit sowie TSH basal umfassen, um häufige und wichtige Ursachen sekundärer Osteoporosen aufzuspüren und Störungen der Kalziumhomöostase zu erkennen (z.B. Multiples Myelom, Osteomalazie, Knochenmetastasen, M.Paget, Niereninsuffizienz, Leberparenchymschaden bzw. Cholestase und Störungen des Schilddrüsenstoffwechsels), die dann jeweils weiterer Abklärung bedürfen. Bei Vorliegen einer Niereninsuffizienz ist ein sekundärer Hyperparathyreoidismus durch Mangel an Vitamin D3-Hormon in Betracht zu ziehen, vor allem bei wiederholt niedrig normalen Serum-Kalziumwerten. Die Diagnosestellung erfolgt mittels Bestimmung des Parathormon intakt, wobei auf die ausgeprägte Thermolabilität des Moleküls hingewiesen sei, die bei längerer Lagerung in falsch niedrigen Messwerten resultieren kann. Ein erhöhtes Parathormon gibt Anlass zu weiterer Differenzierung zwischen primärem (hoher Serum-Kalzium-, niedriger SerumPhosphat-Spiegel, und sekundärem (renalem, enteralem oder Vitamin D-Mangel bedingtem) Hyperparathyreoidismus. Ein Sammelurin auf Kalzium und Kreatinin-Clearance gibt weiteren Aufschluss über Nierenfunktion, Kalzium- und Vitamin D-Haushalt. Eine Verminderung des Urin-Kalzium-Spiegels ist Ausdruck einer vermehrten Ausschöpfung des Kalziums durch maximale Rückresorption und sollte eine entsprechende Substitution nach sich ziehen. Die Bestimmung von Knochenstoffwechselmarkern für Knochenformation (Kollagen-1-Propeptide etc.) und -resorption (Crosslinks etc.) werden derzeit nicht für die klinische Routine empfohlen. Bei speziellen Fragestellungen sind sie in den Händen osteologisch Erfahrener sowie zu wissenschaftlichen Zwecken hilfreiche Instrumente. Konventionelle Röntgenbildgebung. Auf Grund der meist vorliegenden Rückenschmerzen ist auf bildgebende Diagnostik in Form von Röntgenbildern der Lendenwirbelsäule (LWS) und Brustwirbelsäule (BWS) nicht zu verzichten. Neben der Erkennung von Frakturen sind sie auch von differentialdiagnostischer Bedeutung (z.B. Osteoarthrose, Osteolysen, M. Scheuermann, Spondylolisthesis). Wirbelkörperfrakturen werden leider immer noch häufig übersehen, vor allem, wenn es sich um Deck- oder Grundplatteneinbrüche handelt. Als signifikant wird eine Höhenminderung eines Wirbelkörpers von 20% oder von 4 mm ventral, zentral oder dorsal innerhalb des Wirbelkörpers oder im Vergleich mit einem Nachbarwirbel eingestuft. GERIATRIE JOURNAL 2/06 R H E U M AT O L O G I E : O S T E O P O R O S E Bemerkenswert ist, dass etwa 40% der und des Dachverbandes Osteologie Wirbelkörperfrakturen unbemerkt ab- (DVO). laufen bzw. retrospektiv nicht mehr siDie DXA-Messung liefert neben dem cher einer Schmerzphase zuzuordnen sind. absoluten Messwert einen T-Score und Die Erkennung von Frakturen ist so be- einen Z-Score. Die beiden Scores entstedeutsam, da 20% der Betroffenen inner- hen durch Vergleich mit Referenzpopuhalb eines Jahres nach lationen (T-Score: 20 Der Knochen ist ein einer Fraktur eine weibis 30-jährige, gesuntere Wirbelkörper- hochspezialisiertes Gewebe de Menschen gleifraktur erleiden. Eigechen Geschlechts und mit ausgesprochen hoher ne Erfahrungen lehgleicher ethnischer Stoffwechselaktivität ren, dass Folgebrüche Herkunft, Z-Score: häufig nicht mehr gleichaltrige Personen asymptomatisch ablaufen und nicht sel- gleichen Geschlechts und gleicher ethniten eine komplexe Schmerztherapie be- scher Herkunft) und stellen Abweichundingen, da die zunehmende Veränderung gen vom Referenzwert in Standardabder Wirbelsäulenstatik in Verspannungen weichungen dar. und chronischen Schmerzzuständen reFür die klinische Anwendung hat sich sultiert. Um die Inzidenz von Folgebrü- die Einteilung der Osteoporose nach Maßchen zu senken, ist eine frühzeitige effi- gabe der WHO bisher als einfach und ziente Diagnostik und Therapie der praktikabel erwiesen. Eine Gruppierung Osteoporose entscheidend. erfolgt dabei durch die Kombination von DXA-Knochendichtemessung und dem Knochendichtemessung. Bei entspre- Vorliegen von Frakturen (Tab. 4). chendem Verdacht auf Vorliegen einer Derzeit sind andere Verfahren wie die Osteoporose auf Grund anamnestischer Computertomographie und die SonograDaten ist die Durchführung einer Kno- phie bei der Diagnostik der Osteoporose chendichtemessung der nächste Schritt. kritisch zu bewerten. Die quantitative Bereits seit über zwanzig Jahren werden Computertomographie ist ein dreidiVerfahren zur Messung der sog. Kno- mensionales Verfahren, welches Messerchendichte routinemäßig eingesetzt. Da- gebnisse an peripheren (pQCT) oder zenbei wird die Schwächung von Röntgen- tralen Messorten (aQCT) liefert. Dadurch strahlen beim Durchtritt an den defi- ist auch eine sehr interessante Unternierten Messorten, lumbale Wirbelsäule scheidung zwischen kortikalem und spon(LWK 1 bis 4) und Hüften, zweidimen- giösem Knochen möglich. Die wesentlisional gemessen. Die aktuellen Geräte che Einschränkung ist jedoch, neben der messen nach dem DXA-Prinzip (dual höheren Strahlenbelastung, dass alle Zuenergy X-ray absorptiometry), dem Gold- lassungsstudien der modernen Osteopostandard nach der Definition der WHO rosetherapeutika auf der DXA-Messung Tab. 4: Stadieneinteilung auf Basis von T-Scores und Frakturen Klinisches Stadium 0 präklinische Osteoporose 1 Osteoporose (ohne Frakturen) 2 Osteoporose (mit Frakturen) 3 Fortgeschrittene Osteoporose GERIATRIE JOURNAL 2/06 Kriterien @ Knochenmineralsalzgehalt moderat vermindert (T-Score -1,0 bis -2,5 SD) @ keine Wirbelfrakturen @ Knochenmineralsalzgehalt vermindert (T-Score < -2,5 SD) @ keine Wirbelfrakturen @ Knochenmineralsalzgehalt vermindert (T-Score < -2,5 SD) @ 1-3 Wirbelfrakturen ohne adäquates Trauma @ Knochenmineralsalzgehalt vermindert (T-Score < -2,5 SD) @ multiple Frakturen ohne adäquates Trauma basieren. Dementsprechend gibt es für die CT-Methoden auch keine klar definierten Grenzwerte, die eine wissenschaftlich fundierte Behandlung einer Osteoporose zulassen. Die weit verbreitete Ultraschallmessung kann zur Zeit nicht als Routinediagnostik empfohlen werden, da die verwendeten Geräte, die Messparameter und die Messorte nicht standardisiert sind. Für beide Verfahren kann derzeit keine Empfehlung ausgesprochen werden. Sonstige Diagnostik. Die Knochenszintigraphie ist bei der Osteoporose nicht als Routineverfahren zu empfehlen. Sie kann hier aber Hinweise darüber geben, ob bereits frakturierte Wirbelkörper nachsintern oder ob Frakturen frisch oder bereits alt und durchbaut sind. Bei Verdacht auf pathologische Frakturen kann sie natürlich zur Suche nach oder zum Ausschluss von Knochenmetastasen hilfreich sein. Die Kernspintomographie gibt ebenfalls sehr gut Auskunft darüber, ob eine Fraktur frisch ist. Zudem erlaubt sie eine bessere Differenzierung gegenüber malignen Prozessen. Zur Routinediagnostik sollte sie aber ebenfalls nicht eingesetzt werden. Eine histologische Untersuchung von Knochenbiopsien ist dann zu erwägen, wenn zwischen einer Osteoporose, einer Osteomalazie und einer renalen Osteopathie zu unterscheiden ist. Die Aufarbeitung erfolgt an nicht-entkalkten Biopsaten und sollte in einem entsprechend osteopathologisch erfahrenen Zentrum stattfinden. Die Untersuchung von entkalktem Biopsat hingegen ist indiziert, wenn eine hämatologische Verdachtsdiagnose besteht. Fortsetzung und Literatur in GERIATRIE JOURNAL 3/2006 Korrespondenzadresse: Dr. med. Parvis Farahmand, Medizinische Klinik IV, Allgemeine Innere Medizin/Osteologie, Klinikum Leverkusen gGmbH, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität zu Köln, Am Gesundheitspark 11, 51375 Leverkusen 35 P S Y C H I AT R I E : I N S O M N I E Schlafstörungen im Alter, Teil 2 Degeneration von cholinergen pedunculopontinen Neuronen sein, die den Muskeltonus im Schlaf beeinflussen. In der Anamnese der Patienten findet sich häufig ein Sprechen im Schlaf. Jürgen Staedt, Berlin Therapie: Sundowning und Schlaf-/ Wachrhythmusstörung Mehr als ein Drittel älterer Menschen und drei Viertel dementer Patienten leiden unter Schlafstörungen. Der 2-teilige Artikel befasst sich mit den Ursachen und erläutert therapeutische Maßnahmen. Teil 1 (GERIATRIE JOURNAL 1/2006, S. 30 ff.) beschäftigte sich mit Schlafstörungen bei organischen Faktoren und bei Demenz. Im nachfolgenden 2. Teil geht es um Sundowning und Schlaf-/Wachrhythmusstörungen. S undowning findet sich bei Patien- einfacht könnte man auch sagen, es ten mit Alzheimer-Demenz oder kommt beim Sundowning in der Dämauch bei der Lewy-Körperchen- merung bei reduzierter SCN Aktivierung Demenz. Beim Sunzu einem Arousal bei Die REM-Schlafdowning handelt es „abgeschaltetem“ – auf sich typischerweise um NONREM-Schlaf Verhaltensstörung ist eine in der Dämmeeingestelltem – Neonicht an das Vorliegen rung oder abends aufkortex. Die Folge ist, einer Demenz gebunden tretende Unruhe und dass der zur Agitation Erregtheit, bei der die führende Stimulus Patienten desorientiert sind, oft unkon- nicht bearbeitet werden kann und die trollierbar schreien, schwer zu beruhigen Agitation bestehen bleibt oder sogar noch sind und sich durch ihr Verhalten ge- zunimmt. fährden. Auslöser für die Unruhezustände sind häufig Vokalisationen von MitREM-Schlafverhaltensstörung patienten oder irritierende Geräusche, z.B. durch Reinigungspersonal oder Es- Vom Sundowning abzugrenzen ist die REM-Schlafverhaltensstörung, die sich senswagen. bei Parkinson Demenzen und bei LewyKörperchen-Demenzen findet. Hierbei Sundowning & Schlaf-/Wachkommt es in der REM-Schlafphase 1-2rhythmusstörung mal pro Woche, teilweise bis zu 4-mal Sundowning wird durch die Ausprägung nachts, zum Ausagieren von bedrohlichen der Demenz wie auch durch räumliche Trauminhalten (Flucht- und/oder fremdVeränderungen begünstigt. Da das Auf- aggressivem Verhalten), die auf Nachfratreten des Sundownings an das Vorliegen ge im Gegensatz zum Sundowning auch einer Demenz gebunden ist und in der erinnert werden können. Die REMRegel mit einem phase delay (Tempera- Schlaf-Verhaltensstörung betrifft in der turmaximum verschoben) gegen Abend Regel nur Männer und tritt auch im Vorauftritt, handelt es sich pathophysiolo- feld der demenziellen Erkrankung auf, gisch wahrscheinlich um eine kortikale sodass sie nicht an das Vorliegen einer DeAktivierung (Arousalreaktion) bei gleich- menz gebunden ist. Es handelt sich um zeitig reduzierter cholinerger „Basissti- eine motorische Störung, weil die im mulation“ des Kortex, wie sie in Teil 1 be- REM-Schlaf normalerweise vorliegende schrieben wurde. Zusätzlich wird in der Muskeltonuserniedrigung ausbleibt und Dämmerung noch die indirekte Licht- so die geträumten Impulse „ausgelebt“ vermittelte Aktivierung reduziert. Ver- werden. Ursächlich hierfür könnte die 36 Schlafhygiene. Da die Aktivitätsabnahme im SCN und NBM im Zusammenhang mit dem Auftreten des Sundownings und einer Schlaf-/Wachrhythmusstörung steht, sollte in erster Linie versucht werden, durch nicht-medikamentöse Therapiemaßnahmen die zirkadiane Rhythmik zu stabilisieren. Deshalb sollte man sich bei dementen Patienten mit Sundowning und Schlaf-/Wachrhythmusstörung zunächst einmal von den Bezugspersonen den Tagesablauf schildern lassen. Es sollte sichergestellt werden, dass die Betroffenen einen gleichmäßigen und stabilen Tagesrhythmus (Essen, Toilettengänge etc.) verbunden mit ausreichenden sozialen Kontakten haben und auch die körperliche Aktivierung nicht zu kurz kommt. Dazu passend konnte in Untersuchungen durch eine soziale Aktivierung einem polyphasischen Schlafrhythmus entgegengewirkt werden. Weiterhin ist eine klare Abgrenzung der Hell-Dunkel-Phasen zwingend notwendig. Aus Untersuchungen ist bekannt, dass im Heimbereich zum Teil im Median nur eine Lichtstärke von 54 Lux gemessen wurde und die Bewohner ca. nur zehn Minuten mit mehr als 1000 Lux verbrachten [24]. Im Vergleich dazu erreichen wir in unseren beleuchteten Arbeitsräumen 300-500 Lux. Selbst an bewölkten Wintertagen im Freien beträgt die Lichtstärke noch 3000-4000 Lux. Der positive Effekt von Tageslicht auf den Schlaf konnte bei älteren Schlafgestörten nachgewiesen werden. In einer Untersuchung führte eine Tageslichtexposition von 10.00-12.00 Uhr und von 14.00-16.00 Uhr zu erhöhten Melatoninspiegeln und einer Schlafverbesserung. Lichttherapie. Bei dementen Patienten reduziert abendliche Lichttherapie nächtliche motorische Unruhe [11], aber auch morgendliche Lichttherapie ist wirkGERIATRIE JOURNAL 2/06 P S Y C H I AT R I E : I N S O M N I E sam [18]. Auch eine indirekte Lichttherapie mit verstärkter Lichtintensität in den Aufenthaltsräumen führt zu einer Stabilisation des Schlaf-Wach-Rhythmus [36]. Neben der Stabilisation des Rhythmus konnte auch unter morgendlicher und abendlicher Lichttherapie eine Verbesserung der Kognition im Mini-Mental-State-Test nachgewiesen werden. Bei nicht ausreichender Lichtstärke tagsüber ist daher bei Schlaf-/Wachrhythmusstörungen eine 30-minütige Lichttherapie mit 10.000 Lux empfehlenswert, die in Anbetracht der zeitlichen Belastung auch gut in den Stationsalltag integrierbar ist. Alternativ können auch 2.500 Lux über zwei Stunden angewendet werden. Allerdings bleibt anzumerken, dass schwer demente Patienten mit ausgeprägterer Degeneration des SCN von der Lichttherapie nur (noch) begrenzt profitieren können. Neueste Untersuchungen zeigen auch, dass sich sogar die Simulation von Sonnenauf- und -untergang positiv auf die Einschlaflatenz, nächtliche Unruhezustände und auch auf die Schlafdauer bei älteren Patienten mit fortgeschrittener Demenz auswirkt. Melatonin wird in der Regel während der Dunkelphase zwischen 22.00 und 6.00 Uhr freigesetzt. Melatonin soll in erster Linie über Mel1a,b-Rezeptoren die Aktivität des SCN hemmen und so indirekt durch Hemmung der zirkadianen „Wach-Aktivität“ den Schlaf begünstigen. Licht ab einer Lichtstärke von 180 Lux wiederum kann über den glutamatergen retinohypothalamischen Trakt die Melatoninfreisetzung modulieren, wobei diese Wirkung durch die serotonergen Verbindungen zum SCN modifiziert werden können (Abb. 3). Melatonin spielt eine wichtige Rolle in der Regulation des Schlafes. So weisen jüngere Insomniker [12] aber auch etwa 50% der älteren Patienten mit Durchschlafstörung eine reduzierte Melatoninsekretion auf [14]. Nicht schlafgestörte Ältere weisen im Vergleich dazu signifikant höhere Melatoninspiegel auf [10]. Folglich ist auch der direkte Einsatz von Melatonin zur Behandlung von Schlafstörungen bei Dementen von Interesse, zumal es bei der Alzheimer Demenz mit Progression der Er- 38 krankung auch zu einer Abnahme des Melatonin-Liquorspiegels kommt. Erwähnt sei an dieser Stelle, dass Pharmaka wie β1-Rezeptor Antagonisten (z.B. Atenolol) oder α2-Rezeptor Agonisten (z.B. Clonidin) aber auch zu einer Senkung der Melatoninspiegel führen können [16, 34]. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Musiktherapie bei Alzheimer Patienten die Melatoninspiegel erhöht und möglicherweise über diesen Mechanismus auch beruhigend wirkt. Zwei Plazebo-kontrollierte Studien zum Einsatz von Melatonin ergaben widersprüchliche Ergebnisse. Asayama et al. [3] fanden unter Melatonin (3 mg) nach vier Wochen eine signifikante Abnahme nächtlicher Aktivität, eine Verlängerung des Schlafes und eine Verbesserung der Werte im ADAS-Cog im Vergleich zu Plazebo, während Serfaty et al. [22] nach zwei Wochen unter 6 mg Melatonin keine Verbesserung des Schlafes fanden. Die Wirksamkeit von Melatonin sollte daher erst nach längerfristiger Ga- be überprüft werden. Dazu passend fanden Cardinali et al. [6] im Vier-Monatsverlauf unter 6 mg Melatonin einen positiven Einfluss auf Sundowing und Schlaf (Melatonin kann über die internationale Apotheke bezogen werden, 3 mg Melatonin kosten ca. 40 Cent/pro Tag). Therapie: REM-Schlafverhaltensstörung In der Regel kann die REM-Schlafverhaltensstörung längerfristig erfolgreich ohne Gewöhnungseffekte mit Clonazepam in einer Dosierung von 0,5-1 mg behandelt werden. Auch eine Erhöhung der abendlich gegebenen Acetylcholinesterasehemmer-Dosis kann sich positiv über eine Verstärkung der cholinerg vermittelten Muskeltonuserniedrigung im REM-Schlaf auswirken. Bei ungenügendem Behandlungserfolg kann gegebenenfalls eine Kombination mit Melatonin in einer Dosis zwischen 3-6 mg in Erwägung gezogen werden. Allerdings liegen Abb. 3: Kontrolle der Melatoninsynthese durch Licht, andere Zeitgeber und das serotonerge System. Licht mit einer Lichtstärke ab 180 Lux wirkt auf die zirkadiane Rhythmik. Die lichtvermittelten Impulse werden über das Ganglion zervikale superior an die Pinealis vermittelt und stimulieren abends glutamaterg die Melatoninsynthese. Die lichtvermittelte Aktivierung kann durch die serotonergen Bahnen und andere Zeitgeber moduliert werden. Abkürzungen GABA = Gammahydroxybuttersäure; Glu = Glutamat, NOR = Noradrenalin. GERIATRIE JOURNAL 2/06 P S Y C H I AT R I E : I N S O M N I E keine kontrollierten Studien vor. Abschließend sei noch erwähnt, dass serotonerg wirkende Antidepressiva zu einer Muskeltonuszunahme während des REMSchlafes führen und somit das Risiko der Entwicklung einer REM-Verhaltensstörung begünstigen könnten (man sollte dies bei der Verordnung von SSRI`s zur Therapie von Verhaltensstörungen mit berücksichtigen!). Odds Ratio gung entlang eines Kontinuums unter- tagsüber im Vordergrund stehender Apaschiedlich auf höhere kortikale Funktio- thie oder nächtlichen Alpträumen ist es nen (Bewusstsein, Aufmerksamkeit) sinnvoll, die Einnahme von Acetylcholiund/oder Schlaf-/Wachnesterasehemmern in Lichttherapie und rhythmus auswirken. die Morgenstunden zu Bezugnehmend auf dieSpaziergänge verbessern verlegen. Abschliese Überlegungen ist auch ßend sei daran erden Schlaf-/Wachverstehbar, dass z.B. deinnert, dass in der rhythmus bei Dementen mente Patienten häufig Literatur auch eine im Rahmen fieberhafter Wirksamkeit von Infekte eine delirante Symptomatik ent- Cholinesterasehemmern in der Therapie wickeln. Nach neuesten Untersuchungen von nichtkognitiven Symptomen gut beAllgemeine Pharmakotherapie von kommt es dabei zur Bildung von endoge- legt ist [35, 39]. Schlaf-/Wachrhythmusstörungen nen anticholinergen Substanzen [8], die Acetylcholinesterasehemmer. Nächtli- durch eine Blockade von MuskarinrezepBenzodiazepine. Benzodiazepinreche Unruhezustände im Rahmen von toren das schon bestehende cholinerge zeptoragonisten wie Zolpidem sind zum Schlaf-/Wachrhythmusstörungen bei De- Defizit so verstärken könnten, dass die Teil erfolgreich für Schlafstörungen bei menzen sind zum Teil schwierig von einer cholinerge neokortikale Aktivierung nicht Dementen eingesetzt worden, wobei sich deliranten Symptomatik abzugrenzen. Die ausreicht und sich ein reversibles Delir mit allerdings relativ hohe Dosierungen Abgrenzungsschwierigkeit liegt meiner Einschränkung der höheren kortikalen (20 mg) als wirksam erwiesen. Es sei aber Meinung nach darin begründet, dass die Funktionen entwickeln kann. an dieser Stelle auch erwähnt, dass in der cholinergen zum aufsteigenden aktivieDeshalb ist es wichtig, grundsätzlich Literatur bei jüngeren Patienten unter renden retikulären System (ARAS) gehö- bei der Verordnung von Acetylcholines- Einnahme von Zolpidem psychotische renden Bahnen, maßgeblich Arousal, Auf- terasehemmern nicht nur an die Kogni- Reaktionen beschrieben sind. Folglich merksamkeit, Gedächtnis und Schlaf-/ tion, sondern auch an die Stabilisation kann hier nur eine eingeschränkte TheWachrhythmus beeinflussen. Folglich kön- des Schlaf-/Wachrhythmus zu denken, da rapieempfehlung ausgesprochen werden. nen sich Störungen des cholinergen Sys- beide Bereiche maßgeblich durch das cho- Gut gesichert ist hingegen die Therapie tems je nach Vulnerabilität und Ausprä- linerge System beeinflusst werden. Bei der REM-Schlafverhaltensstörung im Rahmen Lewy-Körperchen-Demenz mit Clonazepam in einer Dosis 0,5-1 mg. Abb. 4: Nicht außer Acht gelassen werden dürOdds Ratio (relatives Risiko) für zerebrovaskuläre Ereignisse, fen bei Demenzpatienten ÜberhangefReferenzsubstanz Acetylcholinesterasehemmer fekte mit Tagesmüdigkeit, Koordina8,00 tionsstörungen und Sturzgefahr. Grundsätzlich sollten nur Benzodiazepine 7,00 verordnet werden, die keine Verlänge6,00 rung der Halbwertszeit im höheren Lebensalter haben, um Überhangeffekte zu 5,00 vermeiden (Tab. 2 in Teil 1). 4,00 Das ebenfalls partiell Benzodiazepinrezeptor agonistisch wirkende Clome3,00 thiazol ist in der Kurzzeittherapie bei aus2,00 geprägtem Sundowning einsetzbar (2 bis 1,00 4 Kps. zeitlich versetzt), da es auf Grund der kurzen Halbwertszeit (3-6 h) gut steu0,00 Risperidon Olanzapin Haloperidol Benzodiazepine Acetylcholinesteerbar ist. Eingeschränkt wird die Anrasehemmer wendungsmöglichkeit allerdings dadurch, n = 939 n = 484 n = 395 n = 2419 n = 8773 dass Clomethiazol wegen der atemdeDie Odds Ratio beschreibt ein Verhältnis, eine Odds Ratio von 1 bedeutet „kein pressiven Wirkung nicht bei respiratoriUnterschied“. Ein Wert größer als 1 beschreibt ein Risiko für ein Ereignis, ein Wert scher Insuffizienz eingesetzt werden darf. kleiner als 1 beschreibt einen „Schutz“ vor einem Ereignis. Der Wert für ACH-H ist Generell sollte bei der Verordnung von gleich 1 gesetzt, da sich unter ACH-H bisher kein erhöhtes Risiko für zerebrovaskuläBenzodiazepinen auch an das Vorliegen re Ereignisse gezeigt hat. Eine Odd Ratio von 3 bedeutet, dass die Wahrscheinlicheines Schlafapnoesyndroms gedacht werkeit für das Auftreten eines zerebrovaskulären Ereignisses gegenüber der Referenzden, da Benzodiazepine durch Muskelsubsubstanz (ACH-H) um den Faktor 3 erhöht ist. relaxation und ArousalschwellenerhöGERIATRIE JOURNAL 2/06 39 P S Y C H I AT R I E : I N S O M N I E hung die Sauerstoffentsättigung verstärken können. zodiazepinen bei insgesamt 14.648 Patienten (> 60 Jahre mit Demenz; Ausschluss vaskuläre Demenz) erfasst und Neuroleptika. Problematisch erscheint das Auftreten eines zerebrovaskulären Erder Einsatz von Neuroleptika, da sowohl eignisses innerhalb von 90 Tagen nach die Fa. Janssen-Cilag als auch Lilly Therapiebeginn dokumentiert. InteresDeutschland Anfang März 2004 in Ro- santerweise zeigte sich dort, dass nicht nur te Hand Briefen über ein erhöhtes Risi- unter Risperidon und Olanzapin, sonko zerebrovaskulärer Ereignisse bei De- dern auch unter Benzodiazepinen und menzpatienten unter der Therapie mit Haloperidol das relative Risiko für zereRisperidon bzw. Olanbrovaskuläre Ereignisse zapin berichteten. Bei der Medikation sollten erhöht ist (Abb. 4). Das Olanzapin erhielt darunterstützt die Hypomöglichst wenig sedieaufhin in der Fachinthese, dass Neuroleptirende Psychopharmaka formation den Warnka und andere sediezum Einsatz kommen hinweis: „Olanzapin rende Pharmaka potenist für die Behandlung tiell über eine zerebrale von Psychosen und/oder Verhaltensstö- Hypoperfusion Mikroinfarkte bei Alzrungen im Zusammenhang mit einer heimer-Demenzen begünstigen könnten Demenz nicht zugelassen und die An- [21]. Eine kürzlich publizierte Analyse wendung in dieser speziellen Patienten- von insgesamt elf Studien zum Einsatz gruppe wird nicht empfohlen, da die von Risperidon und Olanzapin kommt Mortalität und das Risiko eines zerebro- allerdings zu dem Schluss, dass die Urvaskulären Zwischenfalls erhöht ist.“ Bei sachen für das Auftreten eines zerebroRisperidon wurde die Indikation enger vaskulären Ereignisses sich zum gegengefasst, statt in der Indikation „Chroni- wärtigen Zeitpunkt nicht schlüssig kläsche Aggressivität“ wurde die Zulassung ren lassen [13]. begrenzt auf: „Schwere chronische AgVom Einsatz klassischer Neuroleptika gressivität, durch die sich die Patienten sollte aber auf jeden Fall Abstand geselbst und andere gefährden, oder psycho- nommen werden. Denn in einer retrotische Symptome bei Demenz, durch die spektiven Auswertung von 22.890 Padie Patienten erheblich beeinträchtigt tientendaten, von denen rund von 50% werden.“ Die Einschränkung der Zulas- an einer Demenz litten, ergab sich unter sung für Risperidon und Olanzapin klassischen Neuroleptika im Vergleich zu grenzt die therapeutischen Optionen stark neueren Neuroleptika eine um den Fakein, obwohl es bisher nur für Risperidon tor 1,37 erhöhte Wahrscheinlichkeit und Olanzapin eine ausreichend große innerhalb der ersten 180 Tage verstorAnzahl von randomisierten, doppelblin- ben zu sein [37]. Diesen Überlegungen den Studien gibt, die eine realistische Be- folgend sollte der Einsatz von Neurolepwertung des Nutzen-/Risikoprofils der tika und anderen sedierenden PsychoSubstanzen bei Demenzpatienten erlau- pharmaka erst nach Ausschöpfung der ben. Mit Blick auf diese Anwendungs- erwähnten schlafhygienischen Maßnaheinschränkungen dürften Neuroleptika men und Beginn einer Therapie mit Chofolglich nicht mehr zur Therapie von linesterasehemmern erfolgen. Schlaf-/Wachrhythmusstörungen eingeAls Mittel der ersten Wahl ist dann Rissetzt werden und wir müssten verstärkt peridon (0,5-0-0,5 mg) anzusehen. RisBenzodiazepine verordnen. In diesem Zu- peridon führte in Untersuchungen bei sammenhang ist die 2003 von Kozma et dementen Patienten zur Stabilisierung al. [15] als Poster auf dem International des Schlaf-/Wachrhythmus und zeigte College of Geriatric Psychoneurophar- auch im Vergleich zu Melperon weniger macology in Puerto Rico präsentierte Stu- Nebenwirkungen wie Schwindel, Gangdie von Interesse. In der Studie wurden unsicherheit und Tagessedierung, ohne im Zeitraum 1999-2001 die Verordnung dass sich beide Substanzen in ihrem Einvon Acetylcholinesterasehemmern, Olan- fluss auf den Nachtschlaf unterschieden zapin, Risperidon, Haloperidol und Ben- [Übersicht 32]. 40 Als Mittel zweiter Wahl sollten bei unzureichendem Therapieerfolg unter Risperidon Melperon oder Dipiperon zum Einsatz kommen. Haloperidol sollte nicht zur Therapie von Schlafstörungen eingesetzt werden, da Haloperidol gemäß Cochrane Review [17] nicht für die Therapie von Unruhezuständen bei Demenzpatienten empfohlen werden kann und es auch Hinweise darauf gibt, dass Haloperidol die zirkadiane Rhythmik negativ beeinflussen kann. Alternativ kann hier auch an den Einsatz des gut sedierend wirkenden Quetiapins gedacht werden (0-0-25 mg; langsame Steigerung auf bis zu 0-0-100 g). Quetiapin ist auf Grund der kurzen Halbwertszeit (~7h) gut steuerbar, hat keine anticholinergen Nebenwirkungen und ein geringes Risiko hinsichtlich extrapyramidalmotorischer Nebenwirkungen. Es ist allerdings für diese Indikation noch nicht in kontrollierten Studien untersucht. Fazit Bei nicht-dementen Patienten sollte bei Schlafstörungen die Schlaf-Psychoedukation unter Berücksichtigung der Stimuluskontrolle und der Schlafrestriktion mit erster Priorität eingesetzt werden. Diese Maßnahmen sind aber häufig allein nicht ausreichend. Pharmakotherapeutisch sollten bei längerfristigem Therapiebedarf sedierende Antidepressiva wie Remergil und Trimipramin zum Einsatz kommen. Neben diesen Maßnahmen sollte genau die Struktur des Tagesablaufes erfasst werden, um durch die Sicherstellung eines stabilen Tagesrhythmus mit einer ausreichenden körperlichen Aktivierung (mit Aufenthalt im Freien und einer Begrenzung von „Nickerchen“) physiologisch den Ruhe-Aktivitätsrhythmus zu verbessern. Die Beleuchtung sollte in den Wohnbereichen tagsüber bei ca. 500 Lux liegen (Lux-Messgeräte können bei der Firma Conrad Electronic im Internet günstig bestellt werden). Bei nicht ausreichender Lichtstärke im Wohnbereich sollte bei Sundowning-Patienten tägliche Lichttherapie zu Einsatz kommen. Um auch eine Umsetzung dieser schlafhygienischen Maßnahmen im Alltag zu gewährleisten, ist eine entsprechende AufGERIATRIE JOURNAL 2/06 P S Y C H I AT R I E : I N S O M N I E klärung der Betroffenen bzw. der Angehörigen von Demenzpatienten notwendig. Erste Untersuchungen zeigen, dass die Information der Angehörigen und Instruktion der Demenzpatienten mit Begrenzung von Nickerchen, Lichttherapie und täglichen Spaziergängen zu einer deutlichen Stabilisierung des Schlaf-/Wachrhythmus bei Dementen beiträgt [20]. Erst, wenn diese Maßnahmen nicht zum erwünschten Erfolg führen, sollte an eine medikamentöse Behandlung der Schlafstörung bei dementen Patienten gedacht werden. Bei der Auswahl der Medikation sollten möglichst wenig sedierende Psychopharmaka zum Einsatz kommen, um nicht durch einen Überhang mit Sedierung am Vormittag den ohnehin reduzierten neuronalen Metabolismus (neuronale Aktivität) der Demenzpatienten noch zusätzlich zu schwächen. Langfristig kann hier eine fortgesetzte Sedierung der neuronalen Inaktivierung/Atrophie im Rahmen der Demenz Vorschub leisten und die nutzungsabhängige dynamische Plastizität neuronaler Verschaltungen schwächen. Daher sollte auch bei Schlaf-/Wachrhythmusstörungen an den Einsatz von Cholinesterasehemmern gedacht werden, da, wie oben gezeigt, das cholinerge System maßgeblich an der Aufrechterhaltung der Vigilanz und der Regulation des Schlaf-/Wachrhythmus beteiligt ist. Literatur: 1. Abetz L, Allen R, Follet A, Washburn T, Earley C, Kirsch J, Knight H. (2004). Evaluating the quality of life of patients with restless legs syndrome. Clin Ther 26 (6): 925-35 2. 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Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin kam in einer Studie zu dem Ergebnis, dass jeder 2. Patient über 65 Jahre bei Aufnahme in die Klinik mangelernährt ist. GERIATRIE JOURNAL sprach mit Prof. Jens Kondrup über Ursachen und Möglichkeiten, Mangelernährung frühzeitig zu erkennen. ? „Die Mangelernährung – speziell bei geriatrischen Patienten – nimmt in Deutschland alarmierende Ausmaße an. Mindestens jeder zweite Ältere ist bei Aufnahme in das Krankenhaus mangelernährt. Die gleiche Situation findet man in Pflegeheimen. Welches sind die Gründe dafür?“ Prof. Jens Kondrup: „Bei Aufnahme in die Klinik werden routinemäßig vitale Funktionen wie Temperatur, Blutdruck sowie Wasser- und Elektrolythaushalt überprüft und falls notwendig, therapeutische Maßnahmen eingeleitet. Es ist auch ziemlich verbreitet, dass der Ernährungszustand beschrieben wird. Im Gegensatz zu anderen Messungen führen die Beobachtungen des Ernährungszustandes aber oft nicht zu den notwendigen Aktivitäten, weil erst in den vergangenen 10-15 Jahren eine große Anzahl von Interventions-Studien gezeigt hat, dass eine entsprechende Ernährungstherapie den Krankheitsverlauf der Patienten günstig beeinflusst. Aus diesem Grund wurde das Problem bisher vernachlässigt. Das alarmierende Ausmaß dieses unbehandelten klinischen Problems wird aber allmählich allen an der Pflege Beteiligten mehr und mehr klar. Zusätz- 42 lich sind die Klinikpatienten heutzutage – wegen der Reduktion der Bettenzahlen – wahrscheinlich schwerer krank. Auch deshalb ist ein schlechter Ernährungszustand bei Krankenhauspatienten häufiger.“ ken die Kosten im Laufe eines Klinikaufenthaltes. Bei Mangelernährten ist aber wegen der zusätzlichen Komplikationen mit einer Kostenzunahme zu rechnen. Diese Patienten haben auch eine verminderte Muskelkraft. Dies hat eine verzögerte Mobilisierung und damit verbundene spätere Entlassung, verglichen mit gut ernährten Patienten, zur Folge. Mehrere Studien zeigen, dass die Kosten bei mangelernährten Patienten mindestens 50 Prozent höher sind als die bei einem gut ernährten Patienten.“ ? „Eine neue Leitlinie, von der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Prof. Jens Kondrup: Ernährungsmedizin (DGEM) erarbeitet, emp„Ältere essen nach Gewichtsfiehlt dringend, „Ernähverlust, zum Beispiel auf rungstherapie nicht erst bei Grund einer infektiösen schwerer Mangelernährung zu beginnen, sondern Erkrankung, nicht spontan mehr, um den Gewichtsverlust frühzeitig, sobald Hinweise auf Ernährungsrisiauszugleichen.“ ken vorliegen“. Früherkennung heißt also auch hier das Gebot der Stun„Die Mangelernährung stellt eine er- de. Mit welcher Methode lässt sich eine norme finanzielle Belastung des Ge- Mangelernährung frühzeitig einfach, sundheitswesens dar. Kürzlich publizier- schnell und sicher diagnostizieren?“ te Daten aus Großbritannien, ergeben – umgerechnet – für Deutschland Gemein- Prof. Jens Kondrup: „Es ist wichtig, Pakosten von mehr als 14 Mrd. Euro pro tienten mit einem ernährungsbedingJahr. Woraus resultiert diese hohe Sum- ten Risiko für Komplikationen oder Einme?“ schränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit zu identifizieren. Das Prof. Jens Kondrup: „Mangelernährte bedeutet, dass die Mangelernährung Patienten erleiden häufiger Komplika- selbst diagnostiziert werden muss. Es tionen und haben zum Beispiel wesent- geht aber auch um solche Patienten, die lich mehr Infektionen. Aus diesem eventuell eine Mangelernährung entwiGrund ist ihre Verweildauer länger und ckeln könnten. Eine bestehende Mandie Tagestherapiekosten für diese Pa- gelernährung kann durch einen niedritienten sind höher. Normalerweise sin- gen BMI (Body-Mass-Index), durch ei- ? GERIATRIE JOURNAL 2/06 ERNÄHRUNG: MALNUTRITION nen kürzlichen Gewichtsverlust oder dadurch, dass der Patient seit kurzem weniger isst als üblich, identifiziert werden. Das Risiko, eine Mangelernährung zu entwickeln, ist hauptsächlich dann gegeben, wenn eine verminderte Nährstoffzufuhr zu erwarten ist oder eine Erkrankung mit erhöhtem Bedarf diagnostiziert wurde, wie zum Beispiel bei Krebs, vielen chronischen Erkrankungen oder multiplen chirurgischen Eingriffen. Eine exakte Abschätzung der Ernährungssituation ist sehr zeitaufwändig. Aus diesem Grund ist ein entsprechendes Hilfsmittel notwendig. Die Europäische Gesellschaft für klinische Ernährung und Stoffwechsel (ESPEN) hat ein solches Hilfsmittel entwickelt, das bei Aufnahmen eingesetzt werden soll. Am Anfang steht dabei ein initiales Screening mit den folgenden vier Fragen: 1. Ist der BMI < 20,5? 2. Wurde kürzlich Gewicht verloren? 3. Isst der Patient seit kurzem weniger? 4. Ist der Patient schwerwiegend erkrankt? Falls eine der vier Fragen mit ,,Ja“ beantwortet wird, wird ein formelles Screening durchgeführt mit dem Ergebnis, dass die vier Fragen quantitativ beantwortet und direkt mit folgenden Aktionen verknüpft werden: @ Ernährungstherapie oder @ Wiederholung des Screenings. Der gesamte Prozess dauert weniger als fünf Minuten. Das Screening kann auf der Website von ESPEN (www.espen. org) nachgelesen werden.“ ? „Wie oft sollte ein solches Screening bei älteren Patienten wiederholt werden?“ Prof. Jens Kondrup: „Das Screening sollte in den ersten 24 Stunden nach Aufnahme erhoben werden. Bei den Patienten, die kein Ernährungsrisiko aufweisen, sollte das Screening einmal wöchentlich wiederholt werden.“ Ernährungszustand einfach und schnell erfassen Malnutrition hat einen weitreichenden Einfluss auf den Gesundheitszustand älterer Menschen. Sie verringert z.B. bei gesunden Personen die Mobilität, beeinträchtigt die kognitiven Fähigkeiten und schwächt die Abwehrkräfte. Bei kranken Menschen sind die Auswirkungen noch weitreichender. Mangelernährung verzögert den Wundheilungsprozess, erhöht die Sturzgefahr und verlängert den Krankenhausaufenthalt, um nur einige Beispiele zu nennen. Hinzu kommt, dass Erkrankungen den Energiebedarf eines Menschen erhöhen, kranke Menschen also mehr Nahrung zu sich nehmen müssen. Um den sinnvollen Einsatz einer Ernährungstherapie zu gewährleisten, hat die Europäische Gesellschaft für Parenterale und Enterale Ernährung (ESPEN) eine validierte Leitlinie veröffentlicht. Sie ermöglicht es, einfach und schnell Mangelernährung zu erfassen Das Nutritional Risk Screening NRS 2002 wurde von Fresenius Kabi Deutschland GmbH, Hersteller von hochkalorischer Trinknahrung, in einen leicht zu bedienenden Kalkulator umgesetzt. Mit diesem Rechner ist es möglich, schnell und zuverlässig den aktuellen Ernährungstatus eines Patienten zu bestimmen und zu beurteilen, ob eine supportive Ernährung notwendig ist oder nicht. Der Rechner für das Screening ist erhältlich bei: Fresenius Deutschland GmbH, Dr. Christiane Reiß, Else-Kröner-Str. 1, 61352 Bad Homburg v.d.H., Tel. 0 61 72/686-8131, eMail: [email protected] 44 ? „Eine vernünftige Ernährungstherapie gestaltet sich – speziell bei älteren Patienten – oft schwierig, weil sie gewissermaßen auf lange Gewohnheiten festgelegt sind. Welche Strategien empfehlen Sie?“ Prof. Jens Kondrup: „Es ist schwierig, eine angemessene Ernährungstherapie bereit zu stellen und kein Krankenhaus hat die Probleme bisher komplett gelöst. Bei Älteren gibt es noch zusätzliche Schwierigkeiten wie zum Beispiel Probleme mit dem Gebiss, eine Dysphagie und Störungen der kognitiven Funktionen. Die Hauptstrategie liegt in der Motivation des Patienten, indem man ihm erklärt, dass sich sowohl die physischen Fähigkeiten als auch die Stimmung mit einer adäquaten Ernährung erheblich verbessert. Es ist von größter Bedeutung, Älteren die Nahrung so anzubieten, dass sie diese auch erkennen können. Moderne gesunde Kost – empfohlen für Jüngere – sollte im Pflegeheim nicht die erste Wahl sein. Zusätzlich sollte bekannt sein, dass Ältere nach Gewichtsverlusten, zum Beispiel auf Grund einer infektiösen Erkrankung, nicht spontan mehr essen, um den Gewichtsverlust auszugleichen. Sanfter Druck vom Personal ist in dieser Situation besonders wichtig. Bei Älteren mit einer guten Prognose sollte frühzeitig eine der Varianten der künstlichen Ernährung erwogen werden, wie zum Beispiel flüssige Supplemente oder Sondennahrung bei Langzeitfällen vorzugsweise über eine PEGSonde.“ Prof. Dr. med. Sci Jens Kondrup, Senior Physician, Head Of Office, Nutrition Unit 5711, Rigshospitalet, 9 Blegdamsvej, 2100 Kopenhagen, Dänemark GERIATRIE JOURNAL 2/06 E R N Ä H R U N G : W A S S E R H A U S H A LT Dehydratation – viele Ursachen, eine Lösung Dr. Susanne Nowitzki-Grimm, Schorndorf V on milder Dehydratation spricht man bei einem Flüssigkeitsverlust von 1 bis 2% des Körpergewichts. Typische Symptome sind Durst – bei Senioren ein wenig ausgeprägter Parameter – und vermindertes Urinvolumen. Patient und Arzt erkennen diesen Zustand leicht an der intensiven Färbung des Urins. Klinische Symptome Dehydratation mit klinischen Symptomen liegt ab einem Flüssigkeitsverlust von 2% vor. Wie schnell das erreicht ist, zeigt ein Beispiel: 2% entsprechen 1,2 kg bei einem Körpergewicht von 60 kg. Bei warmem Trinktipps für die Praxis @ Die optimale Trinkmenge liegt bei 1,5 bis 2,5 l pro Tag (Umgebungswärme berücksichtigen). @ Ideale Durstlöscher sind Leitungswasser, Mineralwässer, Kräuterund Früchtetees sowie Schorlen aus Obst- und Gemüsesäften. Bei Energiedefizit eignen sich besonders Säfte, Buttermilch, Milch, Kakao oder auch Suppen. @ Als Gedächtnisstütze sollten Getränke möglichst sichtbar bereit gestellt werden – am besten die komplette Tagesration. @ Mäßig, aber regelmäßig – so wird die Flüssigkeit am besten zugeführt. @ Das Trinken ohne Durst muss erlernt werden. Dabei hilft ein Tagestrinkplan. GERIATRIE JOURNAL 2/06 Wetter kann der Erwachsene 1,4 l Wasser pro Tag allein über den Schweiß verlieren. Verminderte körperliche und geistige Leistungsfähigkeit wie z.B. verringerte Konzentration, Müdigkeit, Schlafstörungen und Einbußen im Kurzzeitgedächtnis sind erste eher unspezifische Symptome. Je ausgeprägter die Dehydratation wird, desto gravierender werden die Symptome: Schwäche, Schwindel, Verstopfung, Durchblutungsstörungen, Tachykardien (ab 5%), Muskelkrämpfe bis hin zu Verwirrtheitszuständen (ab 10%). Ein Wasserdefizit von mehr als 20% ist tödlich. Ursachenfahndung Nicht nur das im Alter nachlassende Durstgefühl ist schuld an der Dehydratation. Eine konstant warme Umgebung sowie die häufig eingesetzten Diuretika sorgen für Flüssigkeitsverluste. Schluckbeschwerden, Schlaganfall, Demenz oder auch die Angst vor überraschenden Toilettengängen oder Inkontinenz tragen zur Entstehung eines Wasserdefizits bei. Richtige Rehydratation Grundsätzlich muss langsam rehydriert werden. Schon beim gesunden Erwachsenen ist eine schnelle Rehydratation bei ausgeprägterem Wasserdefizit (ab ca. 3%) nicht möglich. Sie muss auf 16 bis 24 Stunden ausgedehnt werden. Beim älteren Menschen – vor allem, wenn eine Dehydratation schon länger be- Foto: CMA-Fotoservice Schon auf Grund physiologischer Altersveränderungen sind Senioren deutlich anfälliger für Dehydratation und ihre Folgen als jüngere Erwachsene. Typische Begleitumstände bei Senioren, wie z.B. Medikamenteneinnahme oder warme Umgebung, können eine Dehydratation schnell verstärken. Da Senioren aber auf Flüssigkeitszufuhr anders reagieren, sind die Prophylaxe sowie richtiges Rehydrieren äußerst wichtig. Eine bunte Getränkeauswahl regt zum Trinken an. steht – kann eine schnelle Rehydratation sogar gefährlich werden. Erstens können Betagte größere Wassermengen nur verzögert ausscheiden. Zweitens kann sich das Gehirn auf geringe Wasserzufuhr einstellen. Eine zu schnelle, zu hohe Wasserzufuhr führt dazu, dass die Zellen viel Wasser aufnehmen. Zellschwellungen und Hirnödeme können auftreten. Geeignete Rehydratationsgetränke sind verdünnte Fruchtsäfte, leicht gezuckerte Tees sowie Bouillon. Vorbeugen ist angesagt Am besten ist folglich, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Eine an die individuellen Bedürfnisse angepasste Flüssigkeitszufuhr, regelmäßige Kontrolle der Urinfarbe und praxisorientierte Tipps zum Trinken (siehe Kasten) helfen dabei. Dr. rer. nat. Susanne NowitzkiGrimm, Schurwaldstraße 37, 73614 Schorndorf 45 G E R I AT R I E J O U R N A L – S P E Z I A L Demenzbedingte Verhaltensstörungen Risperidon bleibt Mittel der Wahl Bei der Therapie von ausgeprägten demenzbedingten Verhaltensstörungen geht es darum, den Patienten mehr Lebensqualität zu ermöglichen und ihre Alltagskompetenz zu erhalten. Aktuelle Studien zeigen, dass der Wirkstoff V erhaltensstörungen sind obligater Teil einer Demenz“, erläuterte Prof. Dr. Alexander Kurz im Rahmen einer Veranstaltung der Janssen-Cilag GmbH in Hamburg. „Sie treten bei fast allen Patienten auf und äußern sich unter anderem in Unruhe, Aggressivität, Antriebsminderung und psychotischen Symptomen wie Wahn und/oder Sinnestäuschungen.“ Die damit verbundenen Auswirkungen, unter denen Betroffene und Angehörige gleichermaßen leiden, gehören zu den Hauptursachen für die Aufnahme in ein Pflegeheim. Die Behandlung der Verhaltensstörungen sollte nach den Worten von Prof. Kurz multimodal angelegt sein und nicht-medikamentöse sowie medikamentöse Aspekte beinhalten. Zu den nicht-medikamentösen zählen die Gestaltung des Umfeldes, die konsequente Strukturierung des Tagesablaufs, die Beschäftigung mit angenehmen Tätigkeiten und die Beratung der Bezugspersonen. Doch diese Maßnahmen allein reichen – insbesondere bei beeinträchtigenden psychotischen Symptomen sowie schwerer chronischer Aggressivität mit Selbst- und Fremdgefährdung – nicht aus. Hier ist 46 Risperidon in einer Dosierung von 1 mg/Tag Verhaltensstörungen signifikant verbessert, dabei gut verträglich ist und die Lebensqualität der Betroffenen – und damit auch der Angehörigen und Pflegekräfte – erheblich verbessert. eine medikamentöse Intervention angezeigt. Atypische Neuroleptika weisen Verträglichkeitsvorteile auf Zur Therapie schwerer Verhaltensstörungen bei Demenz sind atypische Neuroleptika, von denen nur Risperidon (Risperdal® 1 mg) eine entsprechende Zulassung besitzt, Therapie der ersten Wahl. Konventionelle Neuroleptika sind hingegen keine Alternative: Hochpotente konventionelle Neuroleptika können mit extrapyramidalen Störungen einhergehen, niederpotente mit Sedierung und anticholinergen Nebenwirkungen, die die geistige Leistungsfähigkeit weiter einengen. Kritisch sind auch Benzodiazepine zu sehen, denn auch sie können Nebenwirkungen wie Sedierung, Verwirrtheit und erhöhte Sturzgefahr hervorrufen. Eine strenge Indikationsstellung bildet die Voraussetzung für die Therapie mit Neuroleptika. Eindeutige Indikationen sind hierbei beeinträchtigende psychotische Symptome sowie schwere chronische Aggressivität mit Selbst- und Fremdgefährdung. Bei der Wahl des Wirkstoffes ist darauf zu achten, dass dafür eine entsprechende Zulassung vorliegt. Außerdem sollte das Medikament eine breite Datenbasis bei demenzbedingten Verhaltensstörungen aufweisen. Diese Anforderungen werden zur Zeit nur von Risperidon erfüllt, das mit über 1.200 Patienten in kontrollierten und Abb. 1: Gründe für das Absetzen der niederpotenten Neuroleptika mangelnde Wirksamkeit gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus schlechte Verträglichkeit (Mehrfachnennungen waren möglich) anticholinerge Effekte Tagesmüdigkeit sonstige (z.B. Wunsch der Angeh.) 0 10 20 30 40 50 Anteil der Patienten (%) 60 70 80 GERIATRIE JOURNAL 2/06 Quelle: [5] Foto : Ja nss en - Cil ag G E R I AT R I E J O U R N A L – S P E Z I A L Abb. 2: Verbesserung der Verhaltensstörungen Erregbarkeit nächtl. Verh.st. Reizbarkeit Apathie Depression Angst Halluzinationen erster Besuch veränd. Appetit letzter Besuch (Woche 6) abn. mot. Verh. p < 0,0001 Enthemmung Euphorie 0 1 2 3 4 Schweregrad (Mittelwerte) fast 8.000 Patienten in offenen Studien eine breite Erfahrungsgrundlage vorweisen kann. Die Dosierung von Risperidon sollte einschleichend erfolgen und mit niedrigen Dosen beginnen. In diesem Zusammenhang wies Prof. Kurz auch darauf hin, dass „die Symptome diskontinuierlich kommen und gehen. Daher sollte die Notwendigkeit der Therapie regelmäßig überprüft werden.“ Er berichtete von einer Metaanalyse der US-amerikanischen Food-and-Drug Administration (FDA), die für die atypischen Neuroleptika eine erhöhte Mortalität und bei Risperidon, Aripiprazol und Olanzapin eine erhöhte Inzidenz zerebrovakulärer Ereignisse zeigt. Angesichts dieser Ergebnisse sei die Frage diskutiert worden, ob demenzbedingte Verhaltensstörungen künftig wieder mit konventionellen Neuroleptika oder Benzodiazepinen behandelt werden sollten. Wang et. al. [7] haben jedoch festgestellt, dass die Mortalität unter konventionellen Neuroleptika gegenüber atypischen Neuroleptika signifikant erhöht ist. Auch ein zerebrovaskuläres Risiko ist, wie andere Autoren [2, 3, 4, 6] zeigten, unter konventionellen Neuroleptika vorhanden und die retrospektive Anlayse von MEDICAID-Daten [2] ermittelte unter konventionellen Neuroleptika und Benzodiazepinen sogar signifikant häufigere Klinikaufnahmen auf Grund zerebrovaskulärer Ereignisse als unter atypischen Neuroleptika. GERIATRIE JOURNAL 2/06 5 6 Ein Vergleich der Atypika zeigte ein vergleichbares Risikoprofil. Kurz betonte, dass Risperidon nicht nur insgesamt in der Risiken-Nutzen-Abwägung am besten abschneide, sondern auch beim Vergleich der Atypika untereinander eine gute Wahl sei. sierung (durchschnittlich ca. 25 mg/ Tag) noch über einige Wochen beibehalten und erst zu einem späteren Zeitpunkt (bis auf 41 Patienten) ganz abgesetzt. Die Auswertung zeigte, dass die Komedikation (Risperidon und Melperon) gegenüber der sofortigen Umstellung keine Vorteile hinsichtlich der Symptomatik hatte. Die Auswertung zeigt nach der Umstellung auf Risperidon eine hochsignifikante Verbesserung aller untersuchten Symptome wie Schlaf-Wach-Rhythmus, Erregung/Unruhe, Misstrauen, sozialer Rückzug, Aggressivität, Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Dies spiegelt sich auch in einem Globalurteil der behandelnden Ärzte wider, die zu 82% die Patienten als (sehr) viel verbessert ansahen. Zufriedener waren auch die Patienten – sowohl hinsichtlich der Symptomatik als auch hinsichtlich der Verträglichkeit. Letzteres zeigte sich auch in der mit 1% sehr niedrigen Rate unerwünschter Ereignisse. Literatur Patienten profitierten von Umstellung auf Risperidal Prof. Dr. Gabriela Stoppe berichtete im Rahmen der Veranstaltung über eine neue Studie [5], in der der Fragestellung nachgegangen wurde, inwiefern Patienten mit schwerer chronischer Aggressivität mit Fremd-/Selbstgefährdung oder beeinträchtigenden psychotischen Symptomen im Rahmen einer Demenz von einer Umstellung vom niederpotenten Neuroleptikum Melperon auf Risperidon profitieren können. 1.486 Patienten mit einem mittleren Alter von 80 Jahren (± 8 Jahre) nahmen an der offenen, prospektiven, multizentrischen Untersuchung teil. Gründe für die Umstellung waren mangelnde Verträglichkeit (88%), Tagesmüdigkeit (57%), Gangunsicherheit (48,2%) und eine Verschlechterung der Kognition (45,1%). Während der Untersuchung erhielten 44% der Patienten ab dem 1. Tag ausschließlich Risperidon, bei 30% wurde Melperon in den ersten zwei Wochen stufenweise abgesetzt. Bei 26% wurde die Medikation in geringer Do- 1. Ballard et al., BMJ 330 (7496): 874 Epub 2005 Feb 18 2. Finkel et al., Int Psychogeriatr 17: 617-629, 2005 3. Gill SS et al., BMJ 330: 445, 2005 4. Herrmann N et al., Am J Psychiatry 161: 1113-1115, 2004 5. JC-AWB-RIS-0011: Patienten-orientierte Therapie mit Risperdal 1 mg (PRO Patient): Dokumentation von mit Melperon vorbehandelten Patienten, die von einer Therapie mit Risperdal 1 mg profitieren können (data on file) 6. Liperoti R, J Clin Psychiatry 66: 1090-1096, 2005 7. Wang et al., N Engl J Med 353: 2335-2341, 2005 Impressum S P E Z I A L Pressekonferenz „Ausgeprägte demenzbedingte Verhaltensstörungen: Patientenfokussierte Therapie mit Risperidon“, 8. Februar 2006 in Hamburg, Veranstalter: Janssen-Cilag Berichterstattung und Redaktion: Jola Horschig Layout: Sabine Löffler Druck: Verlag Gödicke Druck & Consulting, Hannover Auflage: 5.500 Exemplare 47 P U B L I K AT I O N E N : F A C H B Ü C H E R Handbuch Geriatrie – Lehrbuch für Praxis und Klinik Das vorliegende umfangreiche Lehrbuch (1.600 Seiten) reiht sich als drittes deutschsprachiges Buch (neben denen von Füsgen und Nikolaus) in den Reigen der Lehrbücher für Altersmedizin ein. Es gelingt ihm gut, die Synthese zwischen Geriatrie einerseits und angrenzenden Fächern andererseits zu destillieren, was es gerade für GeriaterInnen zu einem interessanten Nachschlagewerk macht. Dies ist sicherlich auch die primäre Zielgruppe, weniger der geriatrische Laie. Das Faktum eines „Vielautoren“-Buches (über 250 Experten/innen) beinhaltet immer ein gewisses Spannungsfeld im Positiven wie Negativen. So kann hier nur punktuell und hoffentlich exemplarisch auf einige Beiträge eingegangen werden. Sehr gut gelungen sind die Kapitel diabetischer Fuß (mehrere Einzelkapitel) sowie das der geriatrischen Onkologie. Der Teil 3 – angrenzende Gebiete – ist ebenfalls bereichernd, als er die zentralen Schnittstellen der Altersmedizin zu angrenzenden Strukturen kompetent nennt und beleuchtet. Andere Kapitel wie das der Osteoporose lassen aber Fragen offen. So wäre hier der Verweis auf die Leitlinien der DVO – der Autor gewichtet unabhängig davon – doch sehr wichtig gewesen. Der Begriff „hirnorganisches Psychosyndrom“ in einem geriatrischen Lehrbuch tut dem Geriater in der heutigen Zeit doch „weh“. Was wäre zusätzlich wünschenswert gewesen? Ein Inhaltsübersicht Handbuch Geriatrie Teil 1 Einführung A Geriatrie heute (Raem, Berger, Rychlik) B Rückblick und Ausblick (Birg, D. Schäfer) Teil 2 Geriatrie A Allgemeine Geriatrie (Nikolaus) B Innere Medizin (Kolb) C Chirurgie (Kocher, Nürnberger) D Urologie, Andrologie (Nieschlag, Piechota) E Gynäkologie (W. Böcker, Wischnik) F Sexualmedizin (Beier) G Neurologie (Ringelstein) H Psychiatrie (Arolt, Heuft) I Allgemeine und technische Orthopädie (Steinbeck, Wetz) J Augenheilkunde (Gerding) K Zahnheilkunde (Joos, R. Marxkors) L Anästhesie, Intensivmedizin, Schmerztherapie (Basler, van Aken) M Hals-, Nasen-, Ohren-Heilkunde (Grevers, Schmäl) N Dermatologie (Schwarz) O Radiologie, Nuklearmedizin, Strahlentherapie (Heindel, Micke, U. Schäfer, Schober) P Pathologie, Neuropathologie, Rechtsmedizin (B. Brinkmann, G. Köhler, Paulus) Q Rehabilitationsmedizin (Elkeles) R Labordiagnostik (Braun) S Pharmakologie und Toxikologie (Boknik, Jaehde, F. U. Müller) Teil 3 Angrenzende Gebiete A Gerontologie (Wahl) B Ausgewählte Aspekte der Pflege (Lorenz-Krause) C Recht (Fenger) D Wirtschaft und Sozialpolitik (Pientka) 48 eigenes Kapitel über die pAVK, da sie sehr häufig beim Betagten ist, sowie ein Kapitel über Stürze, eines der klassischen Themata für Altersmediziner. Insgesamt jedoch handelt es sich um ein breit gefächertes, bis auf wenige Einschränkungen fachlich gut balanciertes Lehrbuch und vor allem auch Nachschlagewerk vorab für den Geriater sowie den schon geriatrisch vorgebildeten Kollegen aus angrenzenden Fachdisziplinen. Vom Layout her ist das Buch sehr gut gelungen, da viele übersichtliche Tabellen wie auch qualitativ hochstehende Abbildungen die zentralen Lerninhalte konzis zusammenfassen. Als insgesamt umfangreichstes Lehrbuch für Geriatrie im deutschsprachigen Raum reiht es sich auch in sinnvoller Weise in die schon bestehende Fachliteratur ein. Der Verkaufspreis von 158,00 Euro ist angemessen. In diesem Sinne ist diesem Lehrbuch eine große Verbreitung zu wünschen. Prof. Dr. med. Cornel Sieber Handbuch Geriatrie – Lehrbuch für Praxis und Klinik. Herausgegeben von A.M. Raem, H. Fenger, G.F. Kolb, Th. Nikolaus, L. Pientka, R. Rychlik, Th. Vömel. Deutsche Krankenhaus Verlagsgesellschaft mbH (www.DKVG.de, Tel. 02 11/17 92 35 0), Düsseldorf, 2005. 1.632 Seiten, gebunden, ca. 500 farbige Abbildungen, 158,00 Euro, ISBN 3-935762-27-5. GERIATRIE JOURNAL 2/06 P H A R M A : S Y M P O S I E N & P R A X I S I N F O R M AT I O N E N Gelenk- und Bewegungsschmerzen Studie belegt Wirkstärke von Etoricoxib bei akuter Gichtarthritis Für die medikamentöse Behandlung von Gelenk- und Bewegungsschmerzen stehen unterschiedliche Wirkstoffe zur Verfügung, die sich in Wirksamkeit, Verträglichkeit und therapeutischer Zielsetzung zum Teil erheblich unterscheiden. Auf Grund ihrer Kombination aus analgetischer und antiphlogistischen Wirksamkeit sind nicht-steroidale Antiphlogistika (NSAR) häufig Mittel der Wahl. Um allerdings das Risiko unerwünschter Arzneimittelwirkungen – wie gastrointestinale (GI) Komplikationen – zu minimieren, sollte, so Dr. Wolfgang W. Bolten, Wiesbaden, die Therapie mit der niedrigsten wirksamen Dosis durchgeführt und auf die kürzeste notwendige Behandlungsdauer begrenzt werden. Eine Komedikation mit einem Protonenpumpeninhibitor (PPI) reduziere zwar die Komplikationsrate um 50% – allerdings nur am oberen GI-Trakt. Auf den unteren GI-Trakt haben PPI keinen Einfluss. Anders sieht es mit den Zyklooxygenase 2-selektiven NSAR (Coxibe) aus. Sie verringern die Komplikationsrate am oberen und am unteren GI-Trakt um durchschnittlich mehr als 50%. Die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit kardiovaskulärer (KV) Ereignisse in kontrollierten Langzeitstudien unter verschiedenen NSAR (Adenomatous Polyp Prevention on Vioxx (APPROVe) Studie mit Rofecoxib, Adenoma Prevention with Celecoxib (APC) Studie mit Celecoxib, Alzheimer’s Disease Anti-Inflammatory Prevention (ADAPT) Studie mit Naproxen) hat die Aufmerksamkeit auf dieses zuvor wenig beachtete Risiko gelenkt. Inzwischen wird nach Publikation mehrerer klinischer Studien und Beobachtungsstudien allerdings vermutet, dass herkömmliche NSAR (tNSAR) und Coxibe in gleichem Maße das Risiko für schwere KV-Ereignisse wie Herzinfarkt und Schlaganfall geringfügig erhöhen können. Aus diesem Grund dürften Kontraindikationen und Warnhinweise bezüglich GERIATRIE JOURNAL 2/06 kardiovaskulärer Ereignisse bald für die gesamte Gruppe der Antiphlogistika gelten, meinte Prof. Klaus Krüger, München. Ein erhöhtes Risiko für GI-Komplikationen hingegen stellt eine klare Indikation für die Verwendung von Coxiben dar. In dieser Gruppe könnte Etoricoxib (ARCOXIA®, MSD) von der Wirkstärke her eine Sonderrolle einnehmen, denn die Substanz zeigte in einer der durchgeführten Studien bei Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) und in einer Studie mit Spondylitis-Patienten eine überlegene Wirksamkeit gegenüber Naproxen. Darüber hinaus ist Etoricoxib die einzige Substanz, die bei der akuten Gichtarthritis, einer Indikation mit exzessiver Symptomatik, als effektiv und im Vergleich mit Indometacin, dem wirkstärksten NSAR, als gleichwertig getestet wurde. Auch beim Dosierungsintervall gibt es Unterschiede: Während tNSAR für eine ausreichende Schmerzbefreiung normalerweise 2- bis 3-mal täglich eingenommen werden müssen, reicht bei Etoricoxib die einmal tägliche Einnahme von 60 mg (Arthrose) oder 90 mg (RA). jh Quelle: Pressegespräch „Den Gelenkschmerz besiegen – Entscheidungskriterien zur Auswahl eines Analgetikums in der Therapie von Gelenkschmerzen“ MSD Sharp & Dohme GmbH, München, 31. Januar 2006 Benigne Prostatahyperplasie Die Dr. R. Pfleger GmbH aus Bamberg hat ihre urologische Palette um das Präparat Tamsublock® erweitert. Der selektive Alpha-1-Rezeptorblocker mit dem Wirkstoff Tamsulosinhydrochlorid ist in Form von 0,4 mg Retardkapseln in den Packungsgrößen 20, 50 und 100 Stück erhältlich. Tamsublock® wird zur Behandlung von Symptomen des unteren Harntraktes bei der benignen Prostatahyperplasie (BPH) angewandt. Informationen: Dr. R. Pfleger GmbH, 96045 Bamberg, Tel. 09 51/60 43-0, Fax -116, www.pfleger.de Arthrose Ernährungstherapie bei Arthrose Die primäre Therapie von arthrotischen Gelenkveränderungen beschränkt sich meist darauf, Schmerzen und Funktionseinschränkungen mit Analgetika, nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), Muskelrelaxanzien oder Gelenkinjektionen zu reduzieren, mitunter ergänzt durch eine physikalische Therapie. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen allerdings, dass bestimmte Nährstoffe in den Pathomechanismus der Arthrose eingreifen und so nicht nur den Knorpel- und Knochenstoffwechsel unterstützen, sondern auch die Symptome nutritiv mildern können. Dabei sind besonders die Chondroprotektiva Glucosaminsulfat und Chondroitinsulfat sowie das Kollagenhydrolysat wichtig. Als Bausteine der Knorpelzellen unterstützen sie den Knorpelstoffwechsel und modifizieren die Knorpelstruktur, indem sie vom Knorpel resorbiert werden und dort die Proteoglycan- beziehungsweise Kollagensynthese stimulieren. Neben den Chondroprotektiva haben viele Mikronährstoffe mit ihren er- 49 P H A R M A : S Y M P O S I E N & P R A X I S I N F O R M AT I O N E N © Orthomol Arthro® (modifiziert) nährungsphysiologischen Eigenschaften und Merkmalen eine große Bedeutung für den Knorpel- und Knochenstoffwechsel: Omega-3-Fettsäuren hemmen Entzündungen. Die Vitamine A, E und C, sekundäre Pflanzenstoffe wie Carotinoide und Citrus-Bioflavonoide sowie die Spurenelemente Selen, Zink und Kupfer wirken antioxidativ. Kalzium, die Vitamine D3, K1, B6 und C beeinflussen den Knochenstoffwechsel positiv. In Kombination mit den genannten Mikronährstoffen können Glucosaminsulfat und Chondroitinsulfat den Knorpel vor oxidativem Stress schützen und Entzündungen vermindern. Auf Grund dieser nutritiven Eigenschaften haben die drei Chondroprotektiva, kombiniert mit den Mikronährstoffen, einen positiven Einfluss auf die SymptoErnährungstherapie bei Arthrose – matik der Arthrose. In Nutritive Eigenschaften und Merkmale des Gelenkklinischen Studien linStruktur-Komplexes. derte ihre orale Gabe die Schmerzen und die Gelenke waren besser beweglich. Dies steigert die Lebensqualität von Arthrosepatienten und kann zusätzlich den Bedarf an Schmerzmitteln verringern. Eine gezielte ergänzende Zufuhr dieser Nährstoffe kann die Arthrose ernährungsphysiologisch beeinflussen. Studienergebnisse zeigen, dass sie eine teilweise synergistische Wirkung aufweisen, so dass es sinnvoll ist, die Nährstoffe in Kombination zuzuführen. Die Knorpelbausteine und Mikronährstoffe in Orthomol Arthro® sind so kombiniert, dass sie speziell zur diätetischen Behandlung von arthrotischen Gelenkveränderungen geeignet sind. Die Tagesportion besteht aus einem Granulat mit Chondroprotektiva und Mikronährstoffen sowie zwei Kapseln mit Omega-3-Fettsäuren. Osteoporose Zusätzlich zur Wirkung am Knochen hat Raloxifen (Evista®) bei Frauen mit postmenopausaler Osteoporose nichtindikationsbezogene Zusatznutzen auf das Brustgewebe sowie auf das HerzKreislauf-System. Nach vierjähriger Therapie sank bei Patientinnen mit postmenopausaler Osteoporose die Zahl der invasiven Mammakarzinome um 72% [4]. Bei Patientinnen mit postmenopausaler Osteoporose und zusätzlich hohen kardiovaskulären Risikofaktoren wurde die Inizidenz kardiovaskulärer Ereignisse um 40% reduziert [5]. Ergebnisse der EVA-Studie Anlässlich des Kongresses der Amercian Society of Bone and Mineral Research in Nashville wurden erste Ergebnisse der EVA-Studie vorgestellt [1]. Die Daten von 1.412 postmenopausalen Frauen im Alter von 50 bis 80 Jahren gingen in die Auswertung ein. Einschlusskriterium war eine Knochenmineraldichte mit einem T-Score von -2,5 bis -4,0 SD. Alle Patientinnen hatten weder eine vorbestehende osteoporotische Fraktur noch waren die Teilnehmerinnen mit einem Osteoporose-Präparat vorbehandelt worden. Die Frauen erhielten entweder täglich 60 mg Raloxifen (n = 699) oder täglich 10 mg Alendronat (n = 713). Nach ca. einem Jahr Behandlung (312 ± 254 Tage) hatten vier Patientinnen der Alendronat-Gruppe eine neue mittelschwere oder schwere Fraktur erlitten und keine Patientin der Raloxifen-Gruppe (p = 0.04). 50 Ein ähnliches – wenn auch statistisch nicht signifikantes – Ergebnis zeigte sich bei den extravertebralen Frakturen. Hier erlitten 14 Frauen der Alendronat-Gruppe und 15 Frauen der Raloxifen-Gruppe eine osteoporotische Fraktur. Die Auswertung zeigt, dass beide Antiresorptiva hinsichtlich der Frakturreduktion gleichwertig sind. Anders als Bisphosphonate nutzt Raloxifen jedoch einen physiologischen Wirkansatz. Der Knochenstoffwechsel wird dabei auf ein Niveau wie vor den Wechseljahren gebracht [2]. Natürliche Umbauprozesse, die zur Regeneration des Knochens notwendig sind, können deshalb unter der antiresorptiven Therapie mit Raloxifen weiter ablaufen. Der Knochen bleibt dadurch lebendig und langfristig stabiler. Die Mineralisierung des Knochens erfolgt heterogen wie unter physiologischen Bedingungen und ohne Mineralisierungsdefekte [3]. Quelle: Presseinformation, Orthomol GmbH, Langenfeld, www.orthomol.de Literatur 1. Recher R et al: JBMR 2005, 20 (Suppl. 1): S. 97 2. Delmas et al: J Clin Endocrin Metabol 2002, 87: 3609-3617 3. Boivin et al: J. Clin Endocrin Metabol. 2003, 4199-4205 4. Clauley et al: Breast Cancer Res Treat, 2001, 65, 1125-134 5. Barret-Connor et al: JAMA 2002, 287, 847-857 Quelle: Pressemitteilung Lilly Deutschland, Bad Homburg, www.lilly-pharma.de GERIATRIE JOURNAL 2/06 IMPRESSUM/TERMINE Impressum Termine 2006 Herausgeber: @ 6. Mai 2006, Erfurt Prof. Dr. Dr. med. G. Kolb, Lingen; Prof. Dr. med. I. Füsgen, Wuppertal; Prof. Dr. med. C. Sieber, Nürnberg; Prof. Dr. med. B. Höltmann, Grevenbroich; Prof. Dr. R. Hardt, Trier; PD Dr. M. Haupt, Düsseldorf; Dr. D. Lüttje, Osnabrück 7. Hessisch-Thüringischer Geriatrietag Redaktion: Jola Horschig (Ltd. Redakteurin, presserecht- Kurs-Weiterbildung Allgemeinmedizin „Betreuungskonzepte für den geriatrischen Patienten“ lich verantwortlich), Im Kampe 9, 31832 Springe, Telefon: 0 50 41 / 98 90 58, Telefax: 0 50 41/ 98 90 59, e-Mail: [email protected] Herstellung: Sabine Löffler (verantwortlich) Grafik: Sabine Löffler (verantwortlich) Verlag: gerikomm Media, Kampstr. 7, 30629 Hannover Verlagsleiter: Uwe Wegner, Telefon: 05 11 / 58 15 84, Telefax: 05 11 / 58 32 84, e-Mail: [email protected] Anzeigen: Uwe Wegner, Telefon: 05 11 / 58 15 84, Telefax: 05 11 / 58 32 84, e-Mail: [email protected] Zur Zeit gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 1 vom 01.01.2004 Anzeigenschluss: 3 Wochen vor Erscheinen Rechte: Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. 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Vertrieb: gerikomm Media, Heike Niemann, Telefon: 05 11 / 58 15 84, Telefax: 05 11 / 58 32 84 Bezugspreise: Jahresbezugspreise für 6 Ausgaben inkl. Versandkosten: Inland: Euro 42,– Ausland: Euro 46,– Studenten/AiP (gegen Vorlage einer Bescheinigung): Inland: Euro 28,– Studenten/AiP (gegen Vorlage einer Bescheinigung): Ausland: Euro 32,– Institutionen: Euro 62,– Einzelheft: Euro 12,– Für Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Gerichtsstand und Erfüllungsort: Hannover. Informationen: Helios Klinikum Erfurt – Sekretariat Geriatrisches Zentrum, Nordhäuserstraße 74, 99089 Erfurt, Tel. 03 61/781 28 51, Fax 03 61/781 28 52, eMail: [email protected] @ 6. Mai 2006, Bad Nauheim Informationen: Landesärztekammer Hessen, Akademie für ärztl. Fortbildung und Weiterbildung, Carl-Oelemann-Weg 7, 61231 Bad Nauheim, Tel. 0 60 32/782-0, Fax 0 60 32/782-220, eMail: [email protected], www.laekh.de @ 12./13. Mai2006 in Münsterlingen (Schweiz) Alter, Realität und Illusion - Psychotherapie im Alter Informationen: Psychiatrische Klinik Münsterlingen, Dr. med. Peter Bäurle, Postfach 154, 8596 Münsterlingen (Schweiz), Tel. +41/71/ 68 64 141, eMail: [email protected], www.alter-nativen.ch @ Zusatz-Weiterbildung Palliativmedizin, Bad Lippspringe Teil 1: 21. bis 23. Mai 2006; Teil 2: 2. bis 4. Juni 2006 Informationen: Akademie für ärztl. Fortbildung der ÄKWL und der KVWL, Gartenstr. 210-214, Postfach 4067, 48022 Münster, Tel. 02 51/929-22 05, Fax -22 49, eMail: [email protected], www.aekwl.de @ 31. Mai 2006, Heidelberg Umgang mit harninkontinenten älteren Menschen Informationen: Akademie für Fort- und Weiterbildung am Bethanien-Krankenhaus, Geriatrisches Zentrum, Rohrbacher Str. 149, 69126 Heidelberg, Tel. 0 62 21/3 19-16 31, Fax 0 62 21/3 19-16 35, eMail: [email protected] @ 13./14. Juni 2006, Friedrichshafen/Bodensee 1. Internationaler Palliative Care Kongress – Mehr Lebensqualität durch Integration? Informationen: homecare kongress, Fabrik am See, Mühlstr. 10, 88085 Langenargen, Tel. 0 75 43/93 05-32, Fax 0 75 43/93 05-30, eMail: [email protected], www.home-care-kongress.de @ 20. bis 22. Juni 2006, Bonn Ernährung im Alter und hohen Alter Informationen: Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), Silke Grützmacher, Referat Fortbildung, Godesberger Allee 18, 53175 Bonn, Tel. 02 28/3776-634, Fax 02 28/3776-800, eMail: [email protected], www.dge.de @ 23./24. Juni 2006, Kassel Druck: Verlag Gödicke Druck & Consulting, Hannover 49. Kasseler Symposium Palliativmedizin: Heilen – selten, Lindern – manchmal, Beistehen – immer © gerikomm Media 2006 Druckauflage: 5.500 Exemplare Informationen: B. Braun Melsungen AG, Susanne Großmann, Stadtwaldpark 10, 34212 Melsungen, Tel. 05 661/71 27 16, Fax 05 661/75 27 16, eMail: [email protected], www.kasseler-symposium.de GERIATRIE JOURNAL 2/06 ISSN 1439-1139 I. Quartal 2006 51