Kapitel 7 Wahrscheinlichkeitsrechnung 7.1 Kombinatorik Def. 7.1.1:a) Für eine beliebige natürliche Zahl m bezeichnet man das Produkt aus den Zahlen von 1 bis m mit m Fakultät: m! := 1 · 2 · 3 · · · m, Beispiele: 3! = 1 · 2 · 3 = 6, 5! = 1 · 2 · 3 · 4 · 5 = 120, 0! := 1 . 1! = 1 b) Für zwei beliebige ganze Zahlen n und k mit 0 ≤ k ≤ n ist durch n n! := k! · (n − k)! k der Binomialkoeffizient “n über k” definiert. Für diesen Binomialkoeffizienten gilt für 1 ≤ k ≤ n: n n · (n − 1) · · · (n − k + 1) (7.1.1) = . k 1 · 2···k Diese Darstellung ist für die zahlenmäßige Auswertung oft günstiger als die Formel, durch die der Binomialkoeffizient definiert ist. Darüberhinaus liefert die formale Anwendung von (7.1.1) die sinnvolle Definition: n (7.1.1’) := 0 für k, n ∈ ZZ, 0 ≤ n < k. k (7.1.2) (m + 1)! = m! · (m + 1). Beispiele für die Bildung des Binomialkoeffizienten: 120 5 5! = = 10 = 2! · 3! 2·6 2 oder 5 5·4 = = 10, 2 1·2 7 7·6·5 = 35. = 1·2·3 3 54 Satz 7.1.1 (Binomischer Lehrsatz): Für a, b ∈ IR und n ∈ ZZ, n ≥ 0 gilt: n X n n (a + b) = · ak · bn−k . k k=0 Dabei setzt man x0 := 1, wobei die Funktion von x gemeint ist. 00 für sich genommen bleibt undefiniert. Einige Eigenschaften des Binomialkoeffizienten, die z.T. im Beweis des Binomischen Lehrsatzes (vergl. Skriptum zur Mathematik I, S. 22f) benötigt, werden, aber auch sonst nützlich sind: n n! n n! = = = (n − k)! · (n − (n − k))! k! · (n − k)! k n−k n n n! n! = = =1 = n 0 0! · (n − 0)! 1 · n! (7.1.3) n n (n − 1)! · n n! = =n = = n−1 1! · (n − 1)! 1 · n! 1 n n n+1 + = k−1 k k Urnenmodell: Urne mit n Kugeln; k Kugeln werden nacheinander aus der Urne ”gezogen” und in einer Stichprobe zusammengestellt. I) Regeln des Ziehens a) Ohne Zurücklegen (Abk.: o.Z.) Jede gezogene Kugel wird nicht wieder in die Urne zurückgelegt, sondern kommt in die Stichprobe. b) Mit Zurücklegen (Abk.: m.Z.) Jede gezogene Kugel wird in der Stichprobe ”registriert” und wieder in die Urne zurückgelegt. Modell für das ”Registrieren”: Ein Duplikat der gezogenen Kugel kommt in die Stichprobe. II) Regel des Zusammenstellens a) Ohne Berücksichtigung der Anordnung (Abk.: o.B.d.A) Jede gezogene Kugel bzw. ihr Duplikat kommt in eine Stichprobenurne. Die Reihenfolge der Ziehungen ist also nachher nicht mehr feststellbar. b) Mit Berücksichtigung der Anordnung (Abk.: m.B.d.A) Jede gezogene Kugel bzw. ihr Duplikat kommt in dasjenige Fach eines Stichprobenfächerbretts, das die Nummer der Ziehung trägt. Bem.: ”m. bzw. o. Wiederholung” = ”m. bzw. o. Z.” Beispiel 7.1.2: Aus einer Urne mit den 3 Buchstaben “A”, “B” und “C” wird eine Stichprobe vom Umfang 2 gezogen. Wieviele verschiedene Möglichkeiten gibt es? Wir listen alle Kombinationen auf: Kombinationen m.Z.m.B.d.A.: AA, AB, AC, BA, BB, BC, CA, CB, CC, Kombinationen m.Z.o.B.d.A.: AA, AB, AC, BB, BC, CC, Kombinationen o.Z.o.B.d.A.: AB, AC, BC, Kombinationen o.Z.m.B.d.A.: AB, AC, BA, BC, CA, CB. 55 n verschiedene Kugeln in der Urne, k Kugel in die Stichprobe: Kombination k-ter Ordnung aus n (verschiedenen) Elementen (ergänzt durch Regeln aus I) und II), z.B. m.Z.o.B.d.A.) Kk (n) := Anzahl aller möglichen verschiedenen Kombinationen der jeweils beschriebenen Art. Kk (n) m.B.d.A. m.Z. nk o.B.d.A. (k ∈ IN bel.) (n + k − 1) · (n + k − 2) · · · n 1 · 2···k = n k n! (n − k)! o.Z. n+k−1 k (k ∈ IN und k ≤ n) = n · (n − 1) · · · (n − k + 1) = n · (n − 1) · · · (n − k + 1) 1 · 2···k Sonderfall k = n bei der K.o.Z.m.B.d.A.: Permutation der Menge {1, 2, . . . , n} := Anordnung der Zahlen 1, 2, . . . , n in willkürlicher Reihenfolge. Anzahl: Pn := Kn (n)(o.Z.m.B.d.A.) = n! Bem.: Statt {1, 2, . . . , n} kann jede beliebige Menge mit n verschiedenen Elementen verwendet werden. Beispiel 7.1.3: Ein Vertreter möchte an einem Tag die 6 Kunden A, B, C, D, E und F besuchen. Wieviele verschiedene Tourenpläne gibt es? Jedem Tourenplan entspricht eine Festlegung der Reihenfolge der Kundenbesuche, also eine Permutation von {A, B, C, D, E, F }. 1. Permutation: A, B, C, D, E, F 2. Permutation: A, B, C, D, F, E 3. Permutation: A, B, C, F, E, D .. . Es gibt P6 = 6! = 720 Permutationen, also 720 verschiedene Tourenpläne, die wir hier nicht alle aufzählen werden. Herleitung der Formel für die Anzahl der Kombinationen m.Z.o.B.d.A.: Aus einer Urne mit n Kugeln wird k–mal eine Kugel m.Z. gezogen und die Duplikate werden in einer Stichprobenurne gesammelt. Statt nun direkt mit dem Urnenmodell zu arbeiten, verwenden wir ein anderes Modell: Zunächst reihen wir die n Kugeln in der Urne auf: 1 2 3 ··· n−1 n Bei jeder Ziehung setzen wir dann einen Strich in den Zwischenraum vor die gezogene Kugel: 1 2 3 ··· n − 1 n 56 Beispiele: a) 1 5 6 4 2 3 liefert die Stichprobe 1, 3, 3, 5. b) 1 2 3 4 5 6 liefert die Stichprobe 2, 3, 6, 6, 6 . Jeder Kombination m.Z.o.B.d.A. k–ter Ordnung aus n Elementen entspricht eine Verteilung von k Strichen und (n − 1) Kugeln auf (k + (n − 1)) Plätze. Auf Platz (k + n) kommt immer die Kugel n, also kein Strich. Deshalb wird nicht auf (k + n) Plätze verteilt und deshalb wird nur (n − 1) Kugeln ein Platz zugewiesen. Jeder Kombination m.Z.o.B.d.A. k–ter Ordnung aus n Elementen entspricht daher eine Auswahl von k Plätzen (für die Striche) aus (k + (n − 1)) Plätze (mit der Wahlmöglichkeit “Kugel” oder “Strich”), also eine Kombination o.Z.o.B.d.A. k–ter Ordnung aus (k + (n − 1))(= n + k − 1) Elementen. In Beispiel a) haben wir folgende Verteilung: Auf Platz 1 ist ein Strich, auf Platz 2 ist ist die Kugel “1”, auf Platz 3 ist ist die Kugel “2”, auf den Plätzen 4 und 5 sind Striche, auf Platz 6 ist die Kugel “3”, auf Platz 7 ist die Kugel “4”, auf Platz 8 ist ein Strich, auf Platz 9 ist die Kugel “5”. Der letzte Platz ist immer für die letzte Kugel, also in Beispiel a) für die Kugel “6” reserviert. Wir erhalten schließlich: n+k−1 Kk (n) m.Z.o.B.d.A. = Kk (n + k − 1) o.Z.o.B.d.A. = . k Satz 7.1.2 (Stirling–Formel): Für große natürliche Zahlen m ist die folgende Näherung verwendbar: m m √ m! ≈ 2πm e Für die Genauigkeit der Näherung gilt: (m/e)m √2πm − m! m ≥ 9 ⇒ |prozentualer Fehler| := · 100 ≤ 1(%) m! m ≥ 85 ⇒ |prozentualer Fehler| ≤ 0.1(%) Bem. 7.1.5: a) Wir haben k gleichartige Mengen von je n Elementen. Ziehen wir aus jeder Menge je ein Element, so ist die Formel für Kombinationen m.Z. . . . k-ter Ordnung aus n Elementen anzuwenden. Ein Urnenmodell ist dazu nicht mehr nötig. 57 b) Wenn es auf die Reihenfolge der Auswahl (oder Ziehung) ankommt, ist die Formel ”m.B.d.A” ist anzuwenden, und wenn nicht (z.B. wenn gezogene Zahlen in natürlicher Reihenfolge bekanntgegeben werden) die Formel ”o.B.d.A” . Beispiel 7.1.6: Für die 60 Sitze eines Parlamentes bewerben sich 3 Parteien A, B und C. Wieviele Möglichkeiten der Sitzverteilung gibt es? Die Wahl einer Partei für Sitz j, kann man dabei als j–te Ziehung auffassen. Pro Sitz ist eine Partei auszuwählen, d.h. ein Element aus der Menge {A, B, C}. Jede Partei kann mehrfach ausgewählt werden. Wir haben also Kombinationen m.Z. 60. Ordnung aus 3 Elementen zu bilden. Offen ist zunächst, ob m.B.d.A. oder o.B.d.A. a) Wir nehmen an, dass einem Sitz ein Wahlkreis entspricht wie z.B. beim Mehrheitswahlrecht. Dann ist es wichtig, welcher Wahlkreis von welcher Partei vertreten wird, und damit ist die Reihenfolge der Ziehungen wesentlich, also m.B.d.A. Die Anzahl der möglichen Sitzverteilungen ist damit K60 (3) m.Z.m.B.d.A. = 360 = 4.2 · 1028 . b) Wir nehmen an, dass nur von Wahllisten gewählt werden, wie z.B. beim reinen Verhältniswahlrecht. Dann ist Reihenfolge der Ziehungen unwesentlich, also o.B.d.A. Die Anzahl der möglichen Sitzverteilungen ist damit 3 + 60 − 1 62 62 · 61 = 1891. K60 (3) m.Z.o.B.d.A. = = = 1·2 60 2 58