1 Anhang 1 WISSENSBLATT STIGMA ist ein Merkmal, das benutzt wird, um Menschen oder Gruppen gesellschaftlich auszugrenzen und abzuwerten. Herleitung aus dem Altgriechischen: Stich, Zeichen oder Brandmal Historisch wurden Stigmata zur Kennzeichnung von Sklaven, Verbrechern, Prostituierten und anderen gesellschaftlich geächteten Gruppen verwendet (z.B: Judenstern). Stigma & psychische Erkrankung: Der Soziologe Erwin Goffman führte den Begriff Stigma in den 60er Jahren in seiner Arbeit über die „Bewältigung beschädigter Identität“ ein. Seither wird der Begriff in der soziologischen, psychologischen und psychiatrischen Sprache verwendet. BEGRIFFSKLÄRUNG SEITE 1 SELBST-STIGMA entsteht, indem wir alle sozial lernen, dass gewisse Merkmale (z.B. psychische Erkrankungen) nicht erwünscht sind. Wird ein solches Merkmal dann einer Person zugeschrieben, wendet sie Stereotype und Vorurteile auf sich selbst an; dies führt zu vermindertem Selbstwert und kann die Lebensqualität erheblich und dauerhaft beeinträchtigen. STEREOTYPE sind Verallgemeinerungen und Vereinfachungen – „Schubladen des Denkens“; es sind sozial geteilte Vorstellungen über Eigenschaften und Verhaltensweisen von Mitgliedern einer sozialen Gruppe, die Individualität außer Acht lassen (z.B. „Frauen sind zickig; Männer sind zackig“). Stereotype erleichtern die Orientierung in sozialen Situationen, indem sie Wissen über Gruppen bereit stellen. Sie können aber auch Vorurteile enthalten und zu Diskriminierung führen. 45*(." VORURTEILE sind Bewertungen einer sozialen Gruppe oder ihrer Mitglieder, die nicht sachlich begründet oder selbst durch Erfahrung erworben sind (z.B.: „Alle Deutschen sind humorlos“). SOZIALE AUSGRENZUNG (EXKLUSION) meint, dass gewisse Gruppen (z.B. Menschen, die arbeitslos oder chronisch erkrankt sind) nicht in das gesellschaftliche Leben einbezogen werden; der Begriff wird neuerdings mit sozialem Abstieg (Statusverlust) gleichgesetzt und ist eng mit Armut und Rollenverlust verknüpft. DISKRIMINIERUNG bedeutet Ungleichbehandlung von Personen oder Gruppen aufgrund von Merkmalen wie sexuelle Orientierung, Herkunft, Hautfarbe, Weltanschauung, Behinderung, Erkrankung oder Alter. Negative Diskriminierung bezeichnet die nicht gerechtfertigte Benachteiligung. Positive Diskriminierung meint die (sachlich begründete) Bevorteilung, z.B die Quotenregelung. ETIKETTIERUNG beschreibt den Prozess, in dem ein Etikett (Label) verwendet wird, um eine Person mit einem einzigen Begriff (z.B. Diagnose) zu charakterisieren. Dies birgt die Gefahr, die Person auf dieses Etikett zu reduzieren. STIGMA ENTSTEHT, wenn Etikettierung, Stereotypisierung, Ausgrenzung, Statusverlust und Diskriminierung gemeinsam in einer Situation auftreten, in der ein Machtverhältnis besteht; erst die Ungleichheit an Macht führt dazu, dass diese Komponenten ihre negative Wirkung entfalten. Link & Phelan (2001) www.kompetenznetz-schizophrenie.de Freimüller/Wölwer: Antistigma-Kompetenz in der psychiatrisch-psychotherapeutischen und psychosozialen Praxis. © Schattauer GmbH 2012 Die „zweite Krankheit“ Stigma erleben betroffene Menschen und ihr Umfeld oft als ebenso beeinträchtigend und schmerzhaft, wie die eigentliche Erkrankung. 2 Anhang 1 (Fortsetzung) WISSENSBLATT BEGRIFFSKLÄRUNG SEITE 2 ANTISTIGMA-KOMPETENZ beschreibt die Fähigkeit, sich wirksam gegen Stigma und Diskriminierung zu richten. Sie drückt sich in Wissen, Haltungen und Verhalten aus und bedeutet einen aktiven Beitrag zu einem respektvollen und gleichberechtigten Miteinander. WISSEN Freimüller/Wölwer: Antistigma-Kompetenz in der psychiatrisch-psychotherapeutischen und psychosozialen Praxis. © Schattauer GmbH 2012 Q psychische Erkrankungen Q Bedeutung des Stigmas für Betroffene Q Stigmatheorien und – Forschung Q Geschichte der Psychiatrie Q Menschenrechte & PatientInnenrechte Q Selbsthilfe Q Recovery Q Stigmatisierung anderer Gruppen Q… HALTUNGEN Q Sensibilität für Stigmatisierungsprozesse Q Reflexion der eigenen Rolle Q Respekt für die menschliche Würde & Verschiedenheit Q Akzeptanz Q Empathie Q Bemühen um Gewaltfreiheit Q Wertschätzung der eigenen Person Q Recovery- und Ressourcenorientierung Q ... VERHALTEN QZivilcourage QSensibler Sprachgebrauch QGut verständliche Aufklärung im privaten und beruflichen Umfeld QDirektes Thematisieren von Stigmatisierung QEmpowerment & Selbstbefähigung QTrialogische Zusammenarbeit QBewusste Konfliktbearbeitung Q… EMPOWERMENT/SELBSTBEFÄHIGUNG beschreibt den Prozess des Zurückgewinnens von Selbstbewusstsein und Kraft sowie von Einflussmöglichkeiten auf das eigene Leben. Der Begriff wurde erstmals von der Frauenbewegung und Bürgerrechtsbewegung verwendet und bezeichnet heute oft auch Strategien in der Gemeindepsychiatrie und Selbsthilfebewegung, die zur Selbstbestimmung ermutigen. ZIVILCOURAGE ist der sichtbare, meist öffentliche Widerstand bzw. das soziale Handeln einer Person, die freiwillig für die Anerkennung einer anderen Person oder Gruppe eintritt und sich dabei an humanen und demokratischen Prinzipien orientiert. Zivilcourage erfordert, wie das Wort „courage“ schon deutlich macht, Mut. SOZIALE TEILHABE (INKLUSION) beschreibt die Forderung und das sozialethische Ideal, dass jede Person mit ihren Besonderheiten an der Gesellschaft und allen Lebensbereichen teilhaben kann, frei nach dem Motto: „Alle anders, alle gleich!“ www.kompetenznetz-schizophrenie.de