Die Wirkung frühkindlicher Bildung auf den Schulerfolg

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Stamm, Margrit
Die Wirkung frühkindlicher Bildung auf den Schulerfolg
Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften 30 (2008) 3, S. 595-614
urn:nbn:de:0111-opus-37034
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Varia
Die Wirkung frühkindlicher
Bildung auf den Schulerfolg
Margrit Stamm
Im Zuge der internationalen Schulleistungsstudien haben sich zwei miteinander verschränkte Forschungsbereiche herauskristallisiert: die frühkindliche Bildung und die
Risikoschüler. Das schlechte Abschneiden 15-Jähriger hat zur Forderung geführt, die
kognitive Bildungsfunktion von vorschulischen Einrichtungen stärker zu betonen,
um den Schulerfolg aller Schüler garantieren zu können. Dieser Aufsatz untersucht
den Zusammenhang zwischen frühkindlichen Bildungsprogrammen und Schulerfolg, welcher als Schulabschlüsse operationalisiert wird. Anhand der Forschung zum
Schulabbruch («Dropout») und der Wirksamkeitsstudien frühkindlicher Interventionsprogramme diskutiert er relevante Prädiktoren, die bereits im Vorschulalter
wirksam sind, für späteres Schulversagen und Dropout verantwortlich zeichnen und
deshalb präventiv vermieden werden können.
Einleitung
Schulabschlüsse gelten als das Mass des Bildungserfolgs. Die grosse Mehrheit der
deutschsprachigen Jugend schliesst die obligatorische Schule mit einer Abschlussprüfung ab. In Deutschland jedoch verlassen pro Jahr durchschnittlich acht
Prozent (ca. 85’000 Jugendliche) die Schule vorzeitig. Für Österreich und die
Schweiz liegen bislang keine offiziellen Daten vor, so dass man auf Angaben in
Studien angewiesen ist, die einen Bezug zum Schulabbruch herstellen. Riepl
(2004) spricht für Österreich von fünf Prozent, eine Schweizerischer Nationalfonds-Studie von sechs bis neun Prozent Schulabbrechern (Eckmann-Saillant,
Bolzmann & de Rham, 1994). Der Anteil an jungen Männern ist dabei deutlich
höher als an jungen Frauen. Gleiches gilt für Jugendliche mit Minoritätshintergrund. Alle diese Jugendlichen, welche das Bildungssystem vor Ablauf der obligatorischen Schulzeit verlassen, gelten als Schulabbrecher oder Dropouts. In unserer hoch entwickelten Gesellschaft sind die Konsequenzen für solche
Jugendlichen bemerkenswert. Sie haben nicht nur deutlich grössere Schwierigkeiten, eine Beschäftigung zu finden als Jugendliche mit regulären Bildungsab-
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ISSN 1424-3946, Academic Press Fribourg
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schlüssen, sondern im Allgemeinen auch mehr Gesundheitsprobleme, sind häufiger in kriminelle Aktivitäten verwickelt, von Arbeitslosigkeit betroffen und von
staatlichen Unterstützungsprogrammen abhängig (Catterall, 1998; Natriello,
McDill & Pallas, 1990). Solche Probleme generieren für den Staat hohe soziale
Kosten. Deshalb ist es wichtiger denn je, Faktoren benennen zu können, welche
an der Entstehung früher Schuldistanzierung beteiligt sind. Frühkindliche Bildungsprogramme gelten als eine der wichtigsten Massnahmen, den späteren
Schulerfolg von Kindern und ihre Bindung an die Schule zu erhöhen.
Der Zweck dieses Aufsatzes liegt deshalb darin, die Verbindung von vorschulischer Beteiligung und Schulerfolg – operationalisiert als Schulabschlüsse –, so
wie sie in der Fachliteratur publiziert worden ist, zu untersuchen. Dazu stelle ich
die Hauptbefunde und Konklusionen aus der Dropoutforschung und den Wirksamkeitsstudien zu frühkindlichen Bildungsprogrammen zusammen und prüfe
die Annahme, inwiefern solche Programme Schulerfolg unterstützen und Schulabbruch verhindern können. Dabei konzentriere ich mich auf Modell- und
Interventionsprogramme im Schulsystem zwischen drei und fünf Jahren. Programme, welche früher beginnen, werden berücksichtigt, sofern sie auch für den
Zeitraum von drei bis fünf Jahren gelten. Ausgeschlossen werden Kindergartenprogramme. Da aus dem deutschsprachigen Raum zur Dropoutforschung und
zur Effektivität frühkindlicher Bildungsprogramme in Bezug auf Bildungsabschlüsse kaum Studien vorliegen, beziehe ich in erster Linie Untersuchungen
und Überblicksarbeiten aus den USA und aus England ein. Mein Zugang ist somit ein selektiver. Zunächst stelle ich im folgenden Kapitel die Erkenntnisse der
Dropoutforschung im Hinblick auf ihre vorschulische Relevanz dar. Dabei
unterscheide ich zwischen einer individuellen und einer institutionellen Perspektive. Das anschliessende Kapitel stellt die aktuellen Erkenntnisse einiger Effektivitätsstudien zusammen. Abschliessend formuliere ich Konklusionen und
Implikationen, die sowohl auf bildungspolitische Überlegungen als auch auf zukünftige Forschungsvorhaben ausgerichtet sind.
Dropoutforschung und frühkindliche Bildung
Was unterscheidet Schulabbrecher von Jugendlichen, welche die Schule abschliessen? Die Dropoutforschung hat eine grosse Anzahl an Faktoren identifiziert, welche voraussagen können, weshalb gewisse Schülerinnen und Schüler
schwierige Laufbahnen entwickeln und zu Aussteigern oder gar Schulabbrechern
werden und andere nicht. Diese Faktoren lassen sich zwei Perspektiven zuordnen: Die individuelle Perspektive fokussiert auf individuelle und familiäre Faktoren, welche mit Schuldistanzierung verbunden sind. Schuldistanziertes Verhalten und auch Schulabbruch gelten in dieser, sowohl in der Forschung als auch in
der pädagogischen Praxis verbreiteten und gut akzeptierten Perspektive als in
den Risikofaktoren des Individuums und seiner Familie begründetes Verhalten.
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Die andere Perspektive zielt auf institutionelle Faktoren ab. Sie geht davon aus,
dass verschiedene Schulfaktoren, die in der Verantwortung der einzelnen Institution liegen, schulmeidende Verhaltensweisen provozieren, verstärken, aber
auch minimieren können und somit Schulen in Bezug auf Schulausstieg und
Schulabbruch eine unterschiedliche Haltekraft entwickeln. Beide Perspektiven
eröffnen zusammen ein umfassendes Verständnis des komplexen Dropout-Phänomens.
Die individuelle Perspektive
Zur individuellen Perspektive liegt eine Vielzahl an Erkenntnissen vor. Diese Perspektive umfasst die Risikofaktoren des Kindes und seiner Familie. Dabei ist die
Liste möglicher Ursachen lang und auch konsistent. Als besonders starke Prädiktoren gelten schlechte Schulleistungen und niedrige kognitive Fähigkeiten, Verhaltens- und Disziplinprobleme sowie eine hohe Schülermobilität im Sinn von
häufigem Wohnort-, Schul- und Klassenwechsel (vgl. zusammenfassend Rumberger & Larson, 1998). Schuldistanz, Schulabbrüche und infolgedessen fehlende
Bildungsabschlüsse sind bei Jugendlichen aus benachteiligten Milieus am verbreitetsten. Die Gründe sind vielfältiger Art. Teilweise liegen sie auch in den Alltagstheorien der Lehrkräfte bzw. in der eingeschränkten Gültigkeit ihrer Urteile
durch den Mittelschicht-Bias (Hartmann, 1990), welcher sie verstärkt die Überzeugung vertreten lässt, mit bestimmten Kulturen seien auch tiefere intellektuelle
Fähigkeiten und grössere soziale Anpassungsprobleme verbunden. Weiterhin besteht Konsens darüber, dass Klassenrepetition – als Ausdruck individueller Schulschwierigkeiten und Etikettierungen der Lehrkräfte – insbesondere in den ersten
Schuljahren die Chance zu Schuldistanz und Schulabbruch signifikant erhöht
(Grisson & Shepard, 1989; Roderick, 1994). Rumberger (1995) zeigt beispielsweise auf, dass Kinder und Jugendliche, welche zwischen der ersten und fünften
Klasse sitzenbleiben, im Vergleich zu nicht zurückversetzen Schülern ein viermal
höheres Risiko zum Schulabbruch aufweisen, und zwar ungeachtet von sozioökonomischem Status, Schulleistung und Schulfaktoren. Für den deutschsprachigen Raum liegen Analysen von Bless, Schüpbach und Bonvin (2004) oder von
Bellenberg (2005) vor, die ähnliche Interpretationen zulassen.
Schulschwierigkeiten und soziale Probleme sind die beiden am häufigsten genannten Ursachen für fehlende Schulabschlüsse. Solche Probleme können teilweise bereits im Vorschulalter entstehen. Dazu liegt eine Reihe von Studien vor.
In ihren Forschungsübersichten verweisen Hinshaw (1992) oder Vitaro (2005)
auf Faktoren wie Sprachprobleme, Aufmerksamkeitsdefizite oder phonetische
Schwierigkeiten als die wichtigsten Prädiktoren für spätere schulische Schwierigkeiten und vorzeitige Schulabgänge. Auf den Zusammenhang von Problemen in
Vorläuferfertigkeiten und späteren Schulschwierigkeiten weisen auch deutschsprachige Längsschnittstudien hin wie beispielsweise die Untersuchung von
Klicpera und Gasteiger Klicpera (1993) oder die Logik- und Scholastik-Studien
von Weinert und Helmke (1997) resp. von Weinert (1998).
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Hymel und Ford (2003) fokussieren auf einen weiteren wichtigen, bislang jedoch marginalisierten und entsprechend wenig beforschten Bereich zum Schulabbruch: Sie identifizieren die sozio-emotionale Kompetenz als wesentliche vorschulische Erfahrung von Kindern, welche zu ihrem späteren Schulerfolg resp.
Schulversagen beitragen kann. In ihrer Forschungsreview belegen sie anhand einer grossen Anzahl von Studien, dass Kinder mit ungünstigen sozialen Fähigkeiten und schlechter emotionaler Kontrolle nicht nur grosse Schwierigkeiten mit
der Integration in die Welt Gleichaltriger und Erwachsener haben, sondern auch
frühe Erfahrungen mit schulischem Misserfolg machen. Diese Negativerfahrungen können zu sozialen Problemen oder zu allmählicher Schuldistanz führen
und den regulären Schulabschluss gefährden. Derartige Analysen werden durch
die Dokumentation von Cybele Raver (2002) gestützt, wonach frühe interpersonale Verhaltensmerkmale geeignetere Prädiktoren darstellen als intellektuelle
Faktoren. Ihre Befunde gelten auch dann, wenn mögliche konfundierende Effekte von schulischen Verhaltensweisen in Rechnung gestellt werden.
Vorschulische Peer-Beziehungen können sowohl ein schädlicher als auch ein
protektiver bzw. kompensatorischer Faktor sein, der das Leistungsstreben eines
Kindes hemmen oder unterstützen und die Bindung an die Schule beinträchtigen oder fördern kann. Studien von Ladd, Birch und Buhs (1999) oder Ryan
(2000) weisen die bedeutsame Rolle von Peers als Sozialisationsagenten für schulisches Engagement und Leistungsmotivation nach. Kinder, welche bereits in der
Vorschulzeit Freunde haben und bei Peers beliebt sind, zeigen im Verlauf der
Schulzeit bessere Schulleistungen, positivere Einstellungen und geringere schulmeidende Verhaltensmuster als Kinder, welche von Peers zurückgestossen werden, sich eher aggressiv verhalten und als Einzelgänger auffallen. Diese wiederum sind anfälliger für risikoreiche Schullaufbahnen, die sich in schlechten
Schulleistungen, Klassenwiederholungen und Schulabsentismus (Hymel &
Ford, 2003), oder auch in minimaler schulischer Partizipation und antisozialem
Verhalten manifestieren können (McDougall, Hymel, Vaillancourt & Mercer,
2001). Probleme mit sozialer Anpassung, Aggression oder schlechte Selbstregulation können jedoch auch indirekt Schulschwierigkeiten und Schulabbruch
verursachen. Wie im nächsten Abschnitt anhand der institutionellen Perspektive
gezeigt wird, können Lehrkräfte oder Mitschüler selbst sozialen Ausschluss und
negative Sanktionen auslösen und auf diese Weise ursächlich an der Herausbildung antisozialen Verhaltens und schulischen Rückzugs beteiligt sein. Solche
Verhaltensweisen können somit sowohl Ursache als auch Folge von Schulproblemen, Schulversagen und letztlich Schulabbrüchen sein.
Die Auswirkungen früher Peer-Beziehungsprobleme sind facettenreich. Derartige Probleme kommen sowohl aus sozial als auch durch individuelle Verhaltenstendenzen determinierte Störungsbildern zustande. Festzuhalten bleibt dabei, dass Unbeliebtheit und Zurückweisung in Sozialbeziehungen zwei starke
Prädiktoren für spätere Schuldistanz und Schulabbruch darstellen. Logischerweise ziehen sich Kinder, denen es nicht gelingt, sich in den Peer-Verband zu in-
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tegrieren, tendenziell aus dem Schulmilieu zurück. Somit erstaunt es nicht, dass
sich schuldistanzierte Kinder im Verlauf ihrer Schulkarriere zunehmend weniger
in schulische und ausserschulische Aktivitäten involvieren lassen und sich verstärkt mit anderen marginalisierten Peers zusammentun, welche dem Schulerfolg
wenig Bedeutung beimessen (Ellenbogen & Chamberland, 1997; Olweus, 1993).
Die Dropoutforschung widmet sich in letzter Zeit verstärkt den Fragen der
Resilienz. Diesem Fokus folgend untersucht sie, wie und warum Kinder und Jugendliche positiv verlaufende Schulkarrieren mit guten Bildungsabschlüssen vorweisen und ungünstigen Lebensumständen trotzen können, auch wenn sie mehrfach Risikofaktoren wie Armut, Vernachlässigung, Misshandlung oder
Alkoholkrankheit der Eltern ausgesetzt sind. Gemäss Worrell (1996) oder Entwisle, Alexander und Olson (1997) spielen vor allem soziale Schutzfaktoren eine
grosse Rolle. Dabei handelt es sich um frühe und intensive Beziehungen zu Erwachsenen, die zu Bezugspersonen innerhalb des sozialen Nahraumes werden
und die Funktion von Ersatzeltern übernehmen. Gleichzeitig wirken sie als Identifikationsmodelle oder als problemreduzierende Coaches. Wie Cybele Raver
(2002) herausstreicht, erweist sich der Fokus auf frühe und gute Erwachsenenbeziehungen deshalb als besonders wichtig, weil problematische vorschulische Beziehungen zwischen Kind und Ausbildungsperson strenge Prädiktoren für spätere
Schulschwierigkeiten und schulische Integration darstellen. Das Versäumnis der
Vorschule, gute und konfliktarme Beziehungen zu etablieren, kann deshalb zum
Anfang eines ungünstigen Kreislaufes schulischer Distanzierung werden.
Insgesamt verweist die individuelle, auf Risikofaktoren des Schulkindes und
seiner Familie fokussierende Perspektive darauf, dass Schulabbrüche und nicht
erfolgte Schulabschlüsse ihre Ursache nicht lediglich in schulischen Schwierigkeiten haben können, sondern ebenfalls mit sozialen und verhaltensbezogenen
Einstellungen verbunden sind. Beide Annahmen werden durch theoretische und
empirische Literatur gestützt. Gemäss Rumberger (2001) stellt der Rückzug von
der Schule immer eine Form der Abkoppelung von der Schule dar, die eine ursächlich schulische (z.B. Schulstoff nicht bewältigen und/oder Hausaufgaben
nicht erledigen zu können oder zu wollen) und soziale Dimension (z.B. sich
nicht in den Klassenverband integrieren zu können oder zu wollen) beinhaltet
und sowohl in den formalen (Schulaktivitäten) als auch informellen Aspekten
von Schule (Peer- und Erwachsenenbeziehungen) zum Ausdruck kommt.
Die institutionelle Perspektive
Die vorangehend referierte Forschung unterstreicht zu Recht die grosse Bedeutung der Identifikation von individuellen Verhaltensweisen und Einstellungen in
der frühen Kindheit, welche zu späterem Schulversagen beitragen können. In ihrem Fokus bleibt sie jedoch einseitig, weil sie die Rolle der Schule in diesen Prozessen unberücksichtigt lässt. Dazu liegen einige neue Arbeiten vor, welche den
Blick auf die institutionelle Perspektive lenken und dabei fragen: Was tun Schulen spezifisch, um Schuldistanz und Schulabbrüche zu verhindern – oder sie zu
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provozieren? Neue statistische Ergebnisse zeigen auf, dass zwischen 20 und 50
Prozent der Variabilität in Leistung und anderen Ergebnissen zwischen Schülerinnen und Schülern den Schulen, die sie besuchen, zugewiesen werden können
(Lee & Burkam, 2003; Rumberger & Thomas, 2000; vgl. zusammenfassend
Stamm, 2007). Solche Ergebnisse belegen, dass nicht nur individuelle Charakteristika von Kindern spätere Schuldistanz voraussagen können, sondern ebenso
organisatorische und strukturelle Charakteristika von Schulen. Riehl (1999) verweist jedoch darauf, dass Schulen auch mittels impliziter Strategien Schuldistanz
und Schulabbruch verhindern oder provozieren können. Möglich sind zwei
Handlungsmuster:
– Das eine Handlungsmuster ist motivationaler Art. Es ist konsistent mit der
vorangehend diskutierten Theorie von Dropout, die das fehlende Engagement der Schülerschaft als Prädiktor für Entfremdung sieht. Schulen, welche
sich um die notwendigen disziplinarischen, sozialen und lernförderlichen Bedingungen futieren, die für Engagement und Schulerfolg der Schülerinnen
und Schüler zentral wären, fördern schuldistanzierte Verhaltensweisen und
damit auch die freiwillige Entfremdung. Als Faktoren, die dafür verantwortlich zu machen sind, werden in erster Linie Unterrichtsklima und Schulqualität als «soziales Kapital» (Bourdieu, 1983; Coleman, 1988) diskutiert. Dazu
liegen auch für den deutschen Sprachraum umfassende Bestandesaufnahmen
vor, die Zusammenhänge zwischen Wohlbefinden, Schulklima und – vereinzelt – Absentismusraten herstellen (Bos et al., 2004; Pinquart & Masche,
1999). Je höher das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler und je besser die Beziehungen zu den Lehrkräften eingeschätzt werden, desto seltener
entsteht Schuldistanz und desto tiefer fallen Ausstiegs- und Dropout-Raten
aus (Rumberger & Thomas, 2000).
– Das zweite Handlungsmuster basiert auf verdeckten Strategien der Schulen,
welche Schülerinnen und Schüler zu unfreiwilliger Entfremdung zwingen.
Meist handelt es sich dabei um stark leistungsorientierte Schulen, die ihr Anspruchsniveau hoch setzen und die Misserfolgsrate durch Rückstufungs- und
Aussonderungsstrategien klein halten wollen. Dazu gehören schnelle, in eskalierender Form erfolgende Schulverweise, die Umplatzierung in andere Schulen oder die Wegberatung an Drittinstitutionen. Besonders häufig dürften jedoch versteckte Praktiken zur Einstufung nach Leistung sein, die dazu
führen, dass Schülerinnen und Schüler kontinuierlich Prüfungen nicht bestehen, als leistungsschwach etikettiert und entmutigt werden. Sie distanzieren
sich dann häufig auf «eigene» Initiative von der Schule und werden so zum
allmählichen Aussteigen («Fade-outs») und zum Verlassen der Schule («Pushouts’, «Time-outs’) geradezu gedrängt (Blaug, 2001; Hascher, Knauss &
Hersberger, 2005; Mettauer & Szaday, 2005).
Im Ergebnis erweisen sich die Erkenntnisse der Dropoutforschung als sehr bedeutsam für die Legitimation von Vorschulprogrammen, allerdings in widersprüchlicher Art und Weise. Während die individuelle Perspektive eine beachtli-
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che Anzahl an Prädiktoren für späteres Dropoutverhalten zu Tage fördert und
damit wichtige Hinweise für die Ausgestaltung von wirksamen Vorschulprogrammen liefert, relativieren die Erkenntnisse zur institutionellen Perspektive
solche Ansprüche. Sie weisen darauf hin, dass die Schule wesentliche Anteile
beim Zustandekommen von Schulabbrüchen hat und somit im Hinblick auf die
Frage der Bildungsabschlüsse als Mass des Schulerfolgs einen Teil der Verantwortung übernehmen muss.
Zur Effektivität frühkindlicher Bildungsprogramme
Die in diesem Kapitel diskutierten frühkindlichen Bildungsprogramme basieren
auf organisierten und supervidierten Angeboten mit sozial und schulisch relevanten Zielen für Vorschulkinder bis zu fünf Jahren, die in temporärer Abwesenheit der Eltern durchgeführt werden. Dabei handelt es sich sowohl um Modellprojekte als auch um staatlich geförderte und in das Schulsystem eingebettete
Programme.
Die Auswirkungen auf die Schulleistungen
Frühkindliche Bildungsprogramme wurden in den USA vor mehr als 40 Jahren
und in England vor mehr als 30 Jahren erstmals implementiert. Lag ihr erstes
Ziel damals vor allem in der Verbesserung der Schulfähigkeit von Kindern aus
vorwiegend benachteiligten Milieus bzw. aus bescheidenen sozialen Verhältnissen und damit im Bestreben, ihnen ein im Vergleich zu ihren Peers entsprechendes Fundament für die formalen Voraussetzungen ihres schulischen Bildungsweges offerieren zu können, so geht es heute eher darum, die frühe Kindheit
zunehmend als bedeutsame Phase in der individuellen Bildungsbiografie eines
Menschen zu erkennen und sie als ersten Schritt im Prozess des lebenslangen
Lernens zu verstehen. Auch aus diesem Grund ist es von Interesse, inwiefern vorschulische Bildungsprogramme zum späteren Schulerfolg einen Beitrag leisten
können.
Insgesamt liegen nur wenige amerikanische Studien vor, welche längsschnittlich bis ins Erwachsenenalter angelegt waren und spezifische Langzeiteffekte herauskristallisieren konnten. Zu diesen Studien gehören die Modellprojekte «Carolina Abecedarian Project» und das «High/Scope Perry Preschool Program»
sowie das breiter angelegte und ins Schulsystem integrierte Interventionsprogramm «Chicago Child-Parent Program» (Barnett, 2006; Ramey et al., 2000).
Ihnen ist gemeinsam, dass sie im Ergebnis durchgehend positive Effekte nachweisen können, die allerdings nur mit spezifischem Blick auf Angehörige des sozio-ökonomisch benachteiligten Milieus Gültigkeit haben. Im Vergleich zur
Kontrollgruppe zeigten die Jugendlichen, welche ein Vorschulprogramm absolviert hatten, bessere Schulleistungen, höhere Bildungsabschlüsse, tiefere Klas-
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senwiederholungsraten, bessere Gesundheit und niedrigere Kriminalitäts- und
Delinquenzraten bei gleichzeitig guter Integration in den Arbeitsmarkt. Eine Review von Barnett (1998) auf der Basis von 38 Längsschnittstudien zu vorschulischen Bildungsprogrammen weist in 60 Prozent der Programme signifikante Effekte auf spätere Schulleistungen sowie tiefere Klassenwiederholungsraten und
geringere Quoten spezieller sonderpädagogischer Massnahmen nach.
Erweitert man den auf die USA gerichteten Blick auf andere Länder, so lassen
sich einige weitere Follow-Up-Studien nennen, die ebenfalls positive Auswirkungen von frühkindlicher Bildungspartizipation auf spätere Schulleistungen
nachweisen. Allerdings sind sie deutlich kurzfristigerer Art. Dazu gehören Studien aus Irland (Hayes & Kernan, 2001), Neuseeland (Wylie, Thompson & Lythe, 2001), Kanada (Goelman & Pence, 1987), Südkorea (Rhee & Lee, 1990)
oder Schweden (Lamb, Hwang, Broberg & Bookstein, 1990). Für Deutschland
liegen ebenfalls Befunde aus der so genannten ECCE-Studie (European Child
Care and Education (ECCE)-Study Group, 1999) vor. Sie untersucht in vier europäischen Ländern (Deutschland, Österreich, Spanien, Portugal) die Auswirkungen vorschulischer institutioneller Betreuungsformen auf das Sozialverhalten
und die Schulleistungen von Kindern im Alter von acht Jahren. Während sich in
Spanien und Österreich signifikante resp. tendenziell signifikante Zusammenhänge zeigten, war dies für Deutschland erst in einer erweiterten Analyse von
Tietze, Rossbach und Grenner (2005) der Fall.
Interessante Ergebnisse liefern die Untersuchungen von Osborn und Milbank (1987) und von Sylva, Melhuish, Sammons, Siraj-Blatchford und Taggart
(2004). Bei beiden Studien handelt es sich um gross angelegte Längsschnittprojekte, welche die Effekte vorschulischer Bildung auf die schulische und soziale
Entwicklung von Kindern zwischen dem dritten und achten Lebensjahr in England untersuchten. Osborn und Milbank (1987) konnten in ihrer «Child Health
and Education Study» langfristige positive Effekte bis zum vierten Schuljahr in
den sprachlichen und mathematischen Fähigkeiten sowie in geringen Klassenwiederholungsquoten und verringerten Zuweisungen zu sonderpädagogischen
Massnahmen nachweisen. Lediglich schwache Effekte zeigten sich im Verhalten
(soziale Integration, Ängstlichkeit, Extraversion, Konzentration) und im Selbstkonzept. Die Ergebnisse der EPPE-Studie (Effective Provision of Pre-School
Education Project) von Sylva et al. (2004) belegen ebenfalls, dass diejenigen Kinder, die Vorschuleinrichtungen besucht hatten, auch zwei Jahre nach Schuleintritt in ihrer kognitiven Entwicklung weiter fortgeschritten waren als Kinder,
welche keine Vorschulprogramme besucht hatten. Positive Effekte zeigten sich
auch in der sozialen Entwicklung, und zwar insofern, als Kinder, die bei Eintritt
in das Vorschulprogramm erhöhte soziale Entwicklungsdefizite aufgewiesen hatten, diese bis zum achten Lebensjahr weitgehend aufholen konnten.
Vitaro (2005) konzentrierte sich in seiner Forschungsanalyse auf die Best
Practice von denjenigen Vorschulprogrammen, die sich nicht nur in der Förderung der kognitiven, sondern auch der sozialen und emotionalen Entwicklung
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besonders auszeichneten. Dabei erwiesen sich diejenigen Projekte als am erfolgreichsten, die früh starteten, langfristige und intensive Angebote zur Verfügung
stellten, eine kontinuierliche Unterstützung und Begleitung der Eltern vorsahen,
von klaren Curricula mit entwicklungsspezifischen und pädagogischen Zielen
geleitet waren und einen positiven Betreuungsschlüssel mit hoch qualifiziertem
Personal aufwiesen. Auffallend war dabei, dass die kognitive Stimulation der
Kinder zwar im Mittelpunkt der Programmaktivitäten stand, die sozial-emotionalen und verhaltensbezogenen Fähigkeiten jedoch durch spezifische Trainings
mit Eltern und Peers gefördert wurden.
International lassen sich jedoch auch weniger eindeutige Ergebnisse finden,
so bei Andersson (1992) in einer schwedischen Untersuchung, bei Chin-Quee
und Scarr (1994) in einer Längsschnittstudie in Bermuda oder bei Feinstein, Robertson und Symons (1999) in der englischen «National Child Development
Study» (NCDS). In allen drei Untersuchungen zeigten sich kaum Effekte auf die
späteren Schulleistungen. Allerdings zeigten sich chancenausgleichende Wirkungen, und zwar dann, wenn den Vorschulprogrammen weitere und kontinuierliche Investitionen im Verlaufe der Schulzeit folgten. Currie und Thomas (2001)
wiederum relativieren solche Befunde mit der Erkenntnis, dass die langfristige
Zu- oder Abnahme der Schulleistungsunterschiede im Hinblick auf den sozialen
Hintergrund grösstenteils auf die Unterschiede in der Bildungs- und Betreuungsqualität zurückzuführen seien. Entsprechende Befunde zur Wirksamkeit
der pädagogischen Qualität liegen inzwischen auch für Deutschland vor (Colberg-Schrader, 1998; Heinrich & Koletzko, 2005; Tietze, 1998; vgl. auch den
Überblick bei Rossbach, 2006, S. 112ff.).
Solche Befunde und darüber hinaus insbesondere auch die Erkenntnisse von
Vitaro (2005) machen darauf aufmerksam, dass die Partizipation in einem frühkindlichen Bildungssetting allein nicht genügt, um später gute Schulerfolge zu
erzielen. Die Forschung demonstriert denn auch, dass die Qualität einen Unterschied macht. Burchinal, Roberts, Nabors und Bryant (1996) und Wylie et al.
(2001) unterscheiden zwei Hauptdimensionen von Qualität: Strukturqualität
und Prozessqualität. Rossbach (2006) fügt eine dritte Dimension an: die Betreuungsqualität. Die Strukturqualität ist die beobachtbare organisationale Charakteristik, die in den Regelsystemen zum Ausdruck kommt. Sie ist eine notwendige, aber nicht genügende Bedingung von Qualität. Es lassen sich drei Aspekte
von struktureller Qualität differenzieren, die meist als eiserner Triangel beschrieben werden: Gruppengrösse, Personal-Kind-Relation sowie Qualifikation des
Ausbildungspersonals. Andere strukturelle Faktoren beziehen sich auf die Löhne
des Personals und die tiefen Quoten im Personalwechsel. Die Prozessqualität
schliesst die sozialen Beziehungen und Interaktionen innerhalb des Programmsettings ein. Eine gute Prozessqualität äussert sich in sensitiven Lehrkräften, welche Kinder fortwährend trösten und ermutigen, auf ihre Initiativen antworten
und sie auch aktiv oder gar provokativ unterstützen ohne dass sie punitive oder
kontrollierende Methoden anwenden. Sie kennen die ihnen anvertrauten Kinder
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genug, um ihre Handlungen zu interpretieren, sie herauszufordern, ihre Peer-Beziehungen und ihr Lernen insgesamt zu unterstützen. Derart ausgeprägte kindzentrierte Zugänge münden gemäss Burchinal et al. (1996) und Wylie et al.
(2001) in langfristig gute Schulleistungen.
Insgesamt lässt sich anhand der international verfügbaren Erkenntnisse die
allgemein vorherrschende Überzeugung bestätigen, dass frühkindliche Bildungsprogramme eine positive Auswirkung auf spätere Schulleistungen haben. Allerdings verweisen amerikanische Evaluationen zu qualitativ herausragenden Programmen nur für sozial benachteiligte Vorschulkinder deutlich positive Effekte.
Für privilegierte Kinder sind die Befunde zwiespältig. Übereinstimmend mit
Spiess, Büchel und Wagner (2003) oder Wolter und Corradi Vellacott (2004) ist
deshalb davon auszugehen, dass Kinder aus benachteiligten Milieus am ausgeprägtesten von solchen Programmen profitieren. Trotzdem gilt es zu beachten,
dass bislang nur wenige Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Vorschulprogrammen vorliegen, die nicht vorselektierten Kindergruppen angeboten werden. Die
Forschungslage lässt somit keine Aussagen darüber zu, ob vorschulische Bildungsprogramme auch für Kinder aus bevorzugten Sozialmilieus förderlich sind.
Zu beachten ist ebenfalls, dass in vielen Studien Zusammenhänge nur über relativ kurze Zeiträume nachgewiesen werden konnten, in der Regel nur bis in die
ersten Schuljahre hinein. Bekannt ist hingegen, dass einige Effekte erst nach einer längeren Zeit auftreten (sleeper effect), so dass sich positive Auswirkungen auf
die Schullaufbahn nicht zwingend bereits in den ersten Schuljahren zeigen. Von
Interesse ist deshalb der zweite in diesem Aufsatz zu untersuchende Wirksamkeitsindikator, nämlich die Schulabschlussquote.
Die Auswirkungen auf Schulabschlüsse
Obwohl viele Studien eine Verbindung zwischen Vorschulprogrammen und
Schulleistung nachweisen, haben nur wenige Untersuchungen Schulabschlüsse
als Ergebnis des Bildungserfolgs untersucht. Einer der Gründe liegt sicher in der
mangelnden Verfügbarkeit längsschnittlicher Daten. Im Zuge der internationalen Diskussion zu den neuen Herausforderungen von Bildung als zentrale, wettbewerbsfähige Ressource wird die Frage nach früheren als bisher üblichen Bildungsinvestitionen im Hinblick auf Schulabschlüsse besonders wichtig. Im
Zentrum dieser Diskussion steht denn auch die Hoffnung, sowohl einen Beitrag
zur Überwindung sozialer Ungleichheit zu leisten als auch die Chancen Jugendlicher zu ökonomischer Selbstständigkeit und positivem Gesundheitsverhalten
zu erhöhen. Diese Bedeutung ist heute von der angloamerikanischen Forschung
erkannt, und es liegen inzwischen Studien vor, welche aussagekräftige Beweise
zur Stützung der Verbindung von Vorschulprogrammen und Schulabschlüssen
liefern (Barnett, 1998; Borman & Hewes, 2002).
In diesem Aufsatz wurden die Effekte von Vorschulprogrammen auf die
Schulabschlüsse in sieben veröffentlichten Studien untersucht. Es sind dies: das
«Carolina Abecedarian Project», die «Curriculum Comparison Study», das
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«Consortium for Longitudinal Studies», das «High/Scope Perry Preschool Program», das «Chicago Child-Parent Center Program» und zwei «Head-Start»-Programme an unterschiedlichen Orten. Die vier erst genannten Programme sind
Modellprojekte mit relativ kleinen Stichprobengrössen; bei den letztgenannten
handelt es sich um ins Schulsystem integrierte Programme. In Tabelle 1 sind die
relevanten Informationen mit besonderer Berücksichtigung der Schulabschlussraten dargestellt. Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl die Modell- als auch die integrierten Programme positive Effekte auf die Schulabschlüsse ausweisen. Überall
sind die Abschlussquoten der Experimentalgruppe (E) höher als die Abschlussquoten der Kontrollgruppe (K). Das «Head Start Program», das grösste Vorschulprogramm der USA, zeigt allerdings unterschiedliche Ergebnisse. Während
Oden, Schweinhart und Weikart (2000) eine Abschlussquote der Experimentalgruppe von 95.1% gegenüber der Kontrollgruppe mit 81.1% eruieren konnte,
sind es bei Garces, Thomas und Currie (2002) nur 64.6% resp. 58.6%.
Tabelle 1: Übersicht über ausgewählte Längsschnittprojekte mit dem
Wirksamkeitskriterium Schulabschluss
Integrierte Schulprogramme
Modellprogramme
Frühkindliches
Bildungsprogramm
Eintritts- Dauer
alter
Programmbeschreibung
Stichprobe
(E=Experimental-, K=Kontrollgruppe)
Schulabschlussrate
Carolina Abece- 6 Wodarian Project
chen bis
(Campbell et al., 5 Jahre
2002)
5 bis 8
Jahre
Ganztägige Kinderbe- N=111
treuung für VorschulE=57
kinder; ElternproK=54
gramm für Schulkinder
E(70.3%) >
K(67.2%)
Curriculum
Comparison
Study
(Miller & Bizzell, 1983)
4 Jahre
1 bis 2
Jahre
Halbtags-Vorschulpro- N=312
gramm
E=244
Kindergartenprogramm K=68
E(67.2%) >
K(53.1%)
Consortium
(Royce et al.,
1983)
3 Jahre
3 Jahre Vorschulprogramm
Perry Preschool
Program
(Schweinhart et
al., 1993 –
1997)
3 bis 4
Jahre
Chicago Child
Parent Centre
Program (Reynolds et al.,
2001)
Head Start
(Oden et al.,
2000; Garces et
al., 2002)
N=364
E=252
K=112
E(64.8%) >
K(52.5%)
1 bis 2
Jahre
Vorschulprogramm,
N=123
12.5 Std./Woche; Haus- E=58
besuche 1.5
K=65
Std./Woche, 30 Wochen/Jahr
E(67.2%) >
K(49.3%)
3 bis 4
Jahre
1 bis 6
Jahre
Halbtags-Vorschulprogramm
Halbtags- oder Ganztags-Kindergartenprogramm
N=1539
E=989
K=550
E(49.7%) >
K(38.5%)
3 oder 4
Jahre
1 Jahr
Vorschulprogramm
N=3255
E=2122
K=1133
E(95.1%) >
K(81.1%)
E(64.6%) >
K(58.6%)
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Varia
Verschiedene dieser hier untersuchten Studien haben die Effektivität der Vorschulprogramme auf die Schulabschlüsse im Hinblick auf die ihnen zu Grunde
liegenden Theorien untersucht. Dazu gehören die Studien von Schweinhart, Barnes und Weikart (1993), Campbell, Ramey, Pungello, Sparling und Miller-Johnson (2002), Oden et al. (2000) oder Barnett (1998). Zur Erklärung solcher Langzeiteffekte schlagen sie verschiedene Hypothesen vor. Am häufigsten wurden die
kognitive Vorteilhypothese und die Familienunterstützungshypothese untersucht. Gemäss der kognitiven Vorteilhypothese zeigen sich die positiven Effekte der
Vorschulprogramme auf die kognitive Entwicklung in erster Linie in positiven
Leistungsentwicklungen und günstigen Schuleinstellungen bereits bei Kindern ab
Schuleintritt. Sie begünstigen gute Entwicklungsergebnisse in der Adoleszenz
und im Erwachsenenleben und führen zu sicheren Schulabschlüssen. Entsprechend den bisherigen Ausführungen geniesst diese Hypothese konsistenten Support durch die Forschung. Zu den Fähigkeiten, welche aus dieser Perspektive besonders gefördert werden müssen, gehören Sprache und Wortschatz, Kenntnis
numerischer Konzepte sowie mündliche Kommunikation, aber auch allgemeine
kognitive Fähigkeiten, Leistungsmotivation, Einstellungen und Interessen. Die
Familienunterstützungshypothese geht davon aus, dass langfristige Effekte in Form
von Schulabschlüssen in dem Mass auftreten, in welchem das Programm in der
Lage ist, die Selbstwirksamkeit der Familie und die Eltern in ihrer Erziehungspraxis kontinuierlich zu unterstützen. Beispielsweise kann eine verstärkte Programmintegration der Eltern dazu führen, dass sie höhere Bildungsaspirationen
für die schulischen Leistungen und die beruflichen Ambitionen ihres Kindes entwickeln, seine Schularbeiten deshalb stärker unterstützen und mit ihm infolgedessen auch bildungsorientiertere Freizeitaktivitäten pflegen wie Vorlesen, gemeinsames Lesen oder Besuche von Bibliotheken, Konzerten oder
Kunstausstellungen. Auf solche langfristigen Stabilisierungseffekte – dass Langzeiteffekte von Vorschulaktivitäten wahrscheinlicher werden, wenn die häusliche
Umgebung als hauptsächliches Lernumfeld des Kindes gestärkt wird – hat Bronfenbrenner (1975) schon vor dreissig Jahren aufmerksam gemacht. Vorschulprogramme sind zeitlich limitiert, aber Familienerfahrungen sind beständig.
Beide Thesen gehen davon aus, dass die Stärkung der Allgemeinbildung, der
Sprache und der kognitiven Fähigkeiten, aber insbesondere auch die Integration
des Elternhauses wichtige Ziele von Vorschulprogrammen sind, um langfristige
positive Effekte wie Schulerfolg und Schulabschlüsse zu erzeugen. Vereinzelt
sind auch weitere Hypothesen untersucht worden. Die Schulunterstützungsthese
von Lee und Loeb (1995) beispielsweise erinnert im Ansatz an die im letzten Kapitel dargelegte institutionelle Perspektive der Dropoutforschung. Entsprechend
sagt die Schulunterstützungsthese voraus, dass ein qualitativ gutes Vorschulprogramm die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass das Kind im Verlauf der Schulzeit
ein grundlegendes Bindungsverhalten an die Schule und folgedessen eine gute
Schulpräsenz entwickelt. Die Wahrscheinlichkeit schuldistanzierten Verhaltens,
zu der auch verschiedene Formen der Schulmobilität gehören, dürfte deshalb
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vermindert und ein Bildungsabschluss wahrscheinlicher werden. Mit Blick auf
die institutionelle Perspektive scheint allerdings die Einschränkung geboten,
dass die Schule hierzu einen aktiven Beitrag zur Entfaltung ihrer Haltekraft leisten muss.
Konklusionen und Implikationen
Ohne Zweifel lassen die verfügbaren Befunde eine positive Antwort auf die Frage
zu, ob frühkindliche Bildungsprogramme zum späteren Schulerfolg einen Beitrag leisten können. Es existiert ein beachtlicher Forschungskorpus, welcher
kurz- und – wenngleich weniger ausgeprägt – auch langfristige förderliche Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung nachweist, die sich insbesondere in
besseren Schulleistungen, höherem Schulengagement sowie reduzierter Schuldistanz und vermehrten Bildungsabschlüssen äussert. Ob die Auswirkungen alle
Kinder betreffen, ist nicht schlüssig. Sicher jedoch profitieren benachteiligte
Kinder ganz besonders. Trotzdem darf nicht übersehen werden, dass die Forschung zu den Effekten frühkindlicher Bildung nicht nur positive Befunde zu
Tage fördert, sondern auch solche, die frühkindlichen Bildungsprogrammen
eine gewisse Wirkungslosigkeit attestieren. Dieser zweite Befund wird jedoch –
zumindest im deutschsprachigen Raum – fast durchgehend ignoriert. Wenn
man beispielsweise postuliert, dass frühkindliche Bildungsprogramme für Kinder aus benachteiligten Familien wirksam sind, dann kann man diese Aussage
gewiss mit den Befunden belegen, dass ein Teil der Kinder sowohl kurz- als auch
langfristig davon profitiert. In diesem Fall müsste aber auch der Hinweis erfolgen, dass sich die Leistungen eines ansehnlichen Teils der partizipierenden Kinder kaum verbessert haben.
In Rechnung zu stellen ist dabei, dass insbesondere die amerikanischen, aber
auch einige englische Erfahrungen keine direkten Implikationen für die deutschsprachige Vorschulbildung zulassen. Die in den meisten Programmen untersuchten Kinder hatten eine schwarze Hautfarbe, stammten aus sehr armen Familien und wiesen niedrige Intelligenzwerte auf. Dazu kommt, dass die
Stichproben teilweise sehr klein, die Panelmortalitäten hingegen sehr gross sind.
Mit diesem Profil sind gewiss nicht die charakteristischen Merkmale von Kindern in einem typisch deutschsprachigen Vorschulprogramm bezeichnet. Trotzdem liegt die Bedeutung dieser Vorschulprojekte darin, dass sie viele Beweise für
ihre Fähigkeit liefern, die intellektuelle Kapazität und den Schulerfolg über
unterschiedlich lange Perioden zumindest für einen Teil der Kinder zu erhöhen.
Wie die vorausgehenden Befunde zur Dropoutforschung gezeigt haben, spielt
die Schule jedoch eine bedeutende Rolle in diesem Prozess. Ihr wesentlicher Beitrag liegt dort, wo es darum geht, alle Schülerinnen und Schüler zu Bildungsabschlüssen zu führen und Anpassungsprobleme in Kindheit und Adoleszenz zu
vermeiden. Es wäre somit blauäugig, den Vorschulprogrammen per se die Fähig-
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keit zuzusprechen, die angemessenen Bedingungen für den späteren Schulerfolg
und die persönliche Entwicklung von Risikokindern sicherstellen zu können.
Risikofaktoren können zwar im Vorschulalter erkannt und mit entsprechenden
Förderprogrammen bekämpft werden. Im Verlaufe der Schulzeit zeigen sich jedoch immer wieder neue Risikofaktoren, die zumindest teilweise in die Verantwortung der Schule gelegt werden müssen. Bildungspolitik darf nicht dem Kurzschluss verfallen, die Arbeit sei mit der Durchführung des Vorschulprogramms
erledigt. Notwendig sind deshalb nicht nur kontinuierliche Unterstützungsangebote für Kinder und ihre Familien während der gesamten Schulzeit, sondern
auch eine Schule, welche sich ihrer Wirkung bewusst ist, dass sie schulmeidende
und schuldistanzierte Verhaltensweisen über ihre Organisations- und Interaktionsstrukturen minimieren, verstärken oder provozieren kann.
Der vorliegende Aufsatz hat aufgezeigt, dass viele Fragen zur Verbindung von
frühkindlichem Bildungsprogrammen und späterem Schulerfolg offen bleiben
müssen. Ebenso hat er deutlich gemacht, wie marginal die wissenschaftlichen
Erkenntnisse sind, die dazu aus dem deutschsprachigen Raum vorliegen. Sie führen zu mindestens drei basalen Forderungen, welche eine frühkindliche Bildungsforschung einlösen müsste:
1. Es sind Studien erforderlich, welche kurz- und vor allem langfristige Effekte
von frühkindlichen Bildungsprogrammen auf den Schulerfolg untersuchen.
Erstes Hauptziel sollte dabei sein, ein fundiertes Verständnis der Mechanismen von Kurz- und Langzeiteffekten zu erhalten. Gleichzeitig ist es wichtig,
die Strategien und Praktiken der Schulen zu evaluieren, die zu freiwilliger
und unfreiwilliger Entfremdung von Schülerinnen und Schülern führen, welche mögliche Erfolge frühkindlicher Bildungsprogramme längerfristig neutralisieren und damit einen Beitrag zu späteren schulischen Schwierigkeiten
leisten. Klassenwiederholungspolitiken können stellvertretend als ein Beispiel
genannt werden.
2. Die Forschung hat auch verstärkt Anstrengungen zu leisten, um zu definieren, welche Programmqualitäten an kurz- resp. langfristigen Bildungserfolgen ursächlich beteiligt sind. Dazu bedarf es klar artikulierter Ziele. Diese
fehlen jedoch für vorschulische Bildungsprogramme häufig oder sie liegen lediglich in Form von sozialer Entfaltung und Anpassung sowie von selbstregulativem Funktionieren vor. Das wichtigste Ziel frühkindlicher Bildungsprogramme liegt jedoch in besserem Schulerfolg und erhöhten Schulabschlüssen.
3. Als notwendig erweist sich die Entwicklung und Nutzung theoretischer Modelle. Ohne konzeptionellen Rahmen können keine systematischen Hypothesentestungen vorgenommen werden. Demzufolge ist es auch nicht möglich, grundlegende kausale Mechanismen zu identifizieren, welche
langfristigen Schulerfolg bedingen.
Frühkindliche Bildungsprogramme stellen entscheidende Bestandteile des Bildungssystems dar. Trotzdem muss der Glaube daran, dass früh geförderte Kinder
später keine Schwierigkeiten haben, als blauäugig zurückgewiesen werden. Lang-
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fristiger Bildungserfolg und Interesse am lebenslangen Lernen kann man nicht
mit der Etablierung vorschulischer Bildungsprogramme garantieren. Notwendig
sind zusätzliche, kontinuierlich flankierende Unterstützungsmassnahmen während der gesamten Schulzeit, sowie Schulen, welche ihren Auftrag, eine «Haltekraft» für alle Schüler zu entwickeln, ernst nehmen.
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Schlagworte: Dropoutforschung, Vorschulprogramme, Schulerfolg, frühkindliche Bildungsforschung
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Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften 30 (3) 2008
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Les effets de l’éducation précoce sur la réussite scolaire
Résumé
Dans la foulée des études internationales sur les performances scolaires, deux domaines de recherche entre eux liés se sont développés : la recherche sur l’éducation précoce et celle concernant les élèves « à risques ». Les mauvais résultats des
élèves de 15 ans ont suscité une demande adressée aux institutions préscolaires :
celle d’accentuer l’éducation préscolaire au plan cognitif, afin de mieux garantir
la réussite scolaire de tous les élèves. Cet article examine la relation entre les programmes d’éducation précoce et la réussite scolaire telle qu’elle s’opérationnalise
par la certification. Sur la base de la recherche sur le «décrochage» scolaire (dropout) et d’études sur l’efficacité de programmes d’intervention préscolaire, l’article focalise les « prédicteurs » significatifs, déjà à l’œuvre au préscolaire, et ultérieurement responsables de l’échec et du décrochage scolaires, qui pourraient être
préventivement évités.
Mots clés: recherche de «drop out», programmes scolaires précoces, réussite scolaire, recherche en formation précoce
Gli effetti della formazione precoce sul successo scolastico
Riassunto
Nell’ambito degli studi internazionali sulle prestazioni scolastiche si sono sviluppati due ambiti di ricerca strettamente legati: l’uno relativo alla formazione precoce, l’altro ai cosiddetti allievi allievi a rischio. La riduzione dell’insuccesso di
questi ultimi sembra poter dipendere proprio anche dalla formazione cognitiva
nel periodo prescolastico. L’articolo esamina pertanto la relazione tra i programmi di formazione precoce e il successo scolastico, operationalizzato in termini di diplomi di fine studio. Discute inoltre, sulla base di studi attinenti all’efficacia di programmi d’intervento precoce, predicatori dell’insuccesso scolastico
e del “drop out” già riscontrabili appunto a livello prescolare e che si prestano
per legittimare interventi preventivi.
Parole chiave: Drop-out, programme scolastici precoci, successo scolastico, ricerca in formazione precoce.
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The Effects of Early Childhood Education on School Success
Abstract
International school performance studies brought to relief two research areas,
which are connected together, and these are early childhood education and pupils at risk. In order to guarantee school success of the pupils and to prevent 15
year olds from receiving bad results, it is one of the postulations to focus on cognitive aspects of preschool education. The paper analyzes the interconnections
between early childhood education programs and school success, which is operationalized by school leaving certificates. Relevant predictors will be discussed
on the basis of research in the field of school dropout and of studies examining
the effectiveness of intervening via early childhood education programs. Predictors will be analyzed, which show efficacy already in preschool age and which are
responsible for later school failure and school dropout – these predictors should
be preventively avoided.
Key words: Research on dropout, preschool programs, school success, research
in early education
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