P O L I T I K MEDIZINREPORT der genetischen Veränderungen beim Kolonkarzinom. Der Verlust des APC-Gens wird von einer Induktion von COX-2 begleitet. Damit geht gleichzeitig die Butytrat-induzierte Fähigkeit zur Apoptose (programmierter Zelltod) der Kolonmukosa verloren (9). Auf der anderen Seite induzieren nichtsteroidale Antirheumatika (NSAIDs) die Apoptose in der Darmmukosa von Patienten mit familiärer Adenomatosis coli (23) und in Tumorzellinien (14, 61) beziehungsweise hemmen das Wachstum derartiger Zellen (51). Die Größenzunahme und die Dedifferenzierung des Adenoms ist mit einer Aktivierung des K-RAS-Gens verbunden. Der Übergang vom Adenom zum Karzinom geht mit einem Verlust des Tumorsuppressorgens p53 einher. Es liegen mehrere Arbeiten zur Frage ASS und Kolonadenome vor. Die erneute Bildung von Adenomen ist in einer Studie von 795 Teilnehmern, die koloskopisch saniert und damit frei von Polypen waren, bei ASSVerwendern seltener als bei Nichtkonsumenten (25). Martinez konnte zeigen (40), daß Patienten, die ASS oder andere NSAIDs mindestens einmal pro Tag mindestens drei Monate einnahmen, ein 40 Prozent geringeres Risiko (Einnahme > fünf Jahre) beziehungsweise ein 60 Prozent geringeres Risiko (Einnahme < fünf Jahre) hatten, Adenome zu entwickeln. Weitere Untersuchungen beim Menschen (36, 57) und beim Tier (4) wiesen ähnliche Resultate auf. Kann eine Chemoprävention zum jetzigen Zeitpunkt empfohlen werden? Den weitesten Schritt in diese Richtung tat Marcus (38), der für Patienten mit erhöhtem Risiko für ein Kolonkarzinom empfahl, regelmäßig ASS einzunehmen. Andere Autoren sind vorsichtiger (7, 58, 67). Für die derzeitige Zurückhaltung sprechen mehrere Gründe: Der Mechanismus, wie ASS chemopräventiv wirken könnte, ist nicht genau untersucht. Es gibt jedoch verschiedene Erklärungsansätze. So ist bekannt, daß die Prostaglandinspiegel in kolorektalen Tumorzellen erhöht sind (7, 31). ASS senkt diese Spiegel über eine Hemmung der Cyclooxygenase (8). Weiterhin könnte Wirkmechanismus von Acetylsalicylsäure Bei mechanischer oder chemischer Reizung wird aus der Zellwand Arachidonsäure freigesetzt. Sie ist der Grundbaustein für alle Prostaglandine (PGI2, PGD2, PGE2 und PGF2) und vieler Prostaglandin-ähnlicher Substanzen wie Thromboxan A2. Diese Reaktion wird durch das Enzym Cyclooxygenase katalysiert. ASS acetyliert die Cyclooxygenase und inaktiviert sie damit. Nach neueren Untersuchungen bestehen zwei Isoformen der Cyclooxygenase: COX-1 und COX-2. ASS ist ein relativ selektiver Inhibitor von COX-1. COX-2 ist in der Lage, die Hydroxy-Fettsäure 15R-HETE zu synthetisieren. Diese Reaktion wird durch ASS nicht beeinflußt. Die mRNA für COX-2 ist in Kolontumorzellen vermehrt nachgewiesen und kann damit die erhöhten Prostaglandinspiegel in diesen Zellen erklären. Ein weiteres Produkt des Arachidonsäuremetabolismus sind die überwiegend in den Leukozyten gebildeten Leukotriene. Sie entstehen via Lipoxygenasen, die gleichfalls ASS-unabhängig sind. Leukotriene spielen eine Rolle bei der Aktivierung und Chemotaxis von Leukozyten (LTB4) und vermitteln als slow reacting substances die allergische Reaktion (LTC4, LTD4, LTE4) an Bronchien und Gefäßen. Daneben katalysieren Lipoxygenasen die Synthese von S-HETE. Wird die Enzymaktivität von COX-1 und COX-2 durch ASS gehemmt, steht die Arachidonsäure vermehrt für die Synthese von Lipoxygenaseprodukten zur Verfügung. Ob dies zum Antitumoreffekt von ASS beiträgt, ist noch unklar. es sein, daß die Hydroxy-Fettsäure 15R-HETE für den antitumoralen Effekt verantwortlich ist. Sie wird unter ASS vermehrt gebildet, da bei ASS-inaktivierter Cyclooxygenase die anderen Arachidonsäureabbauwege (TXA2, Prostaglandine) blokkiert sind. Die in den Tumorzellen exprimierte COX-2 (60) vermindert die Apoptose (9). Nichtsteroidale Antirheumatika hingegen steigern die Apoptose in Tumorzellinien (4, 14, 23, 51, 61). Kürzlich wurde von Tsujii (70) vermutet, daß die Cyclooxygenase die Bildung angiogenetischer Faktoren induzieren kann, die für das Tumorwachstum wichtig sind. Eine Hemmung des Enzyms würde in diesem Modell das Tumorwachstum über die Blockade der Angiogenese beeinflussen. Außerdem wird diskutiert, ob die chemopräventive Wirkung Cyclooxygenase-unabhängig ist. So kann die exogene Zufuhr von Prostaglandinen den antitumoralen Effekt von ASS nicht umkehren. Zudem wurden die zytostatischen Wirkungen von ASS auch in Zellinien festgestellt, denen die Cyxclooxygenase fehlt (23). Präneoplastische Veränderungen können auch mit ASS-ähnlichen Substanzen, welche die Cyclooxygenase nicht hemmen, verhindert werden (3). Es ist zu berücksichtigen, daß in den bisherigen klinischen Studien nur unzureichend Aussagen über eingehaltene Dosierungen gemacht werden. Dies ist um so wichtiger, da die Wirkung von ASS dosisabhängig ist. Außerdem erlauben die Studien nicht immer eine Trennung zwischen der Einnahme von ASS und anderen nichtsteroidalen Antirheumatika, da die Untersuchungen häufig an Rheumatikern durchgeführt wurden, die verschiedene Wirkstoffe gleichzeitig einnehmen. Demzufolge kann auch nicht genau zwischen den Wirkungen der jeweiligen Substanzen unterschieden werden. Die Chemoprävention von malignen Kolontumoren und Dickdarmadenomen mit ASS ist noch nicht ausreichend untermauert, um die Substanz mit dieser Indikation generell zu empfehlen. Der positive Trend der bisherigen Untersuchungen rechtfertigt weitere Studien, die zur Zeit auf nationaler und internationaler Ebene durchgeführt werden (33, 58). Insbesondere für Risikogruppen (Adenomträger, Patienten mit Polyposis coli, familiäre Belastung) muß noch genauer evaluiert werden, ob und mit welcher Dosis eine Prophylaxe mit ASS das Erkrankungsrisiko vermindert. Priv.-Doz. Dr. med. Frank-W. Peter Literaturverzeichnis beim Verfasser. Anschrift: Klinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte, Universitätsklinik Bergmannsheil, Buerkle de la Camp-Platz 1, 44789 Bochum Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 9, 5. März 1999 (31) A-535