PPA Patientenkommunikation PRAXISKOMMUNIKATION Wenn türkische Wurzeln der Kommunikation im Wege stehen von Derya Zeyrek, sentez – Texte | Übersetzungen | Diversity, Köln | Sie kennen die Situation: Ein Patient mit türkischen Wurzeln kommt in Ihre Praxis, kann aber kaum deutsch sprechen. Um das erste Eis zu ­brechen, können Sie die türkischen Grußformeln am Ende dieses Beitrags ausprobieren. Für die weitere Kommunikation brauchen Sie jedoch zuverlässige Unterstützung. | Vorsicht bei dolmetschenden Freunden des Patienten Dolmetschende Freunde sind keine zuverlässigen Übersetzer Ihr Patient hat vielleicht einen Freund, eine Nachbarin oder den Ehepartner mitgebracht, der fließend deutsch spricht. Für den Moment scheint die Sprachbarriere überwunden. Der Freund übersetzt Ihre Fragen und gibt die Antworten des Patienten an Sie oder Ihren Chef weiter. Doch weder Sie, noch der Patient ­können beurteilen, wie gut die Übersetzung des hilfsbereiten Freundes ist. Hat er alles richtig verstanden? Hat er vollständig und neutral übersetzt? Diese Konstellation ist aus mehreren Gründen problematisch. Macht der Dolmetscher Fehler, kann das verheerende Folgen für die Behandlung haben. ◼◼Auswirkungen fehlerhafter Übersetzungen Fehlerhafte Diagnostik durch falsch verstandene Informationen Lückenhafte Anamnesen Unpassende Therapiekonzepte Ausbleibende Therapieerfolge Unzufriedene und frustrierte Patienten, die sich in der Folge eine andere Praxis suchen Beachten Sie | Freunde des Patienten sind nicht unbedingt gute Übersetzer. Ihnen fehlt es unter Umständen an übersetzerischem Talent, an Fachwissen, ­einer professionellen Haltung und Übung. PDF erstellt für Gast am 03.06.2017 Beziehung verhindert professionelle Haltung Der dolmetschende gute Freund hat eine mehr oder weniger emotionale ­Beziehung zum Patienten. Einerseits ist es für den Patienten vorteilhaft, die Unterstützung eines vertrauten Menschen zu genießen, andererseits kann es den Patienten hemmen. Aus Scham oder anderen Gründen lässt er dann wesentliche Details der Krankheitsgeschichte aus oder gibt nur vage Antworten auf wichtige Fragen. Außerdem überschätzen Begleiter häufig ihre Rolle als Dolmetscher und interpretieren die Aussagen des Arztes oder des ­Patienten – sie beschönigen, relativieren oder übertreiben gegebenenfalls. Auch Kinder sind keine Dolmetscher Dolmetschen belastet Kinder Kompliziert ist die Situation, wenn Kinder für ihre Eltern dolmetschen sollen. Dabei ist nicht das Dolmetschen an sich das eigentliche Problem. ­Kinder, die 16 PRAXISTEAM02-2015 PROFESSIONELL Patientenkommunikation PPA mit zwei Sprachen aufwachsen, spielen gerne mit ihren sprachlichen Fertigkeiten. Gespräche im Rahmen einer Therapie sind allerdings ­weder spielerisch noch kindgerecht. Die oben beschriebenen Risiken für die Kommunikation verschärfen sich drastisch. Abgesehen davon, dass Kinder mit ihrem bescheidenen Sprach- und Weltwissen und ihrer blühenden ­Phantasie nicht zuverlässig übersetzen können, sind sie psychisch schnell überfordert. MERKE | Kinder, die im Arzt-Patienten-Gespräch für ihre Eltern dolmetschen sollen, übernehmen ihren Eltern gegenüber eine Rolle, der sie nicht gewachsen sind. Eine einfache Frage wie: „Wann hat deine Mutter angefangen zu stottern?“, erfordert vielleicht einen Bericht über leidvolle Erfahrungen aus der Vergangenheit. Wird die Mutter offen und ehrlich antworten k ­ önnen? Wie geht das Kind dann mit diesem neu entdeckten Kapitel im ­Leben der Mutter um? Die Alternative Dolmetscher eignen sich die nötigen Fertigkeiten durch einen akademischen Studiengang oder durch Selbststudium an. Meist spezialisieren sie sich auf ein oder mehrere Fachgebiete. Es gibt Dolmetscher, die für die Übersetzungs­ arbeit in der Behandlung von Patienten geschult sind. Sie sind kompetent, neutral und zur Verschwiegenheit verpflichtet. Professionelle Dolmetscher leisten zwar gute Arbeit, aber sie kosten Geld. Nach wie vor übernehmen Krankenkassen keine Dolmetscherkosten, weil es hierfür keine gesetzliche ­Grundlage gibt. Was können Sie also tun, wenn nicht Freunde oder Kinder dolmetschen sollen, die Kosten für einen professionellen Dolmetscher jedoch zu hoch sind? PDF erstellt für Gast am 03.06.2017 Vereine und Initiativen In vielen Städten und Regionen gibt es Vereine und Initiativen, die einen besseren Zugang von Migranten in das Gesundheitssystem fördern. Dazu zählt auch die Überwindung von sprachlichen Barrieren. Inzwischen wurden vielerorts Sprach- und Kulturmittlerpools eingerichtet, über die Patienten kostengünstig Dolmetscher engagieren können, zum Beispiel im Ethno-Medizinischen Zentrum in Hannover (siehe auch weiterführende Hinweise). Gegen eine geringe Aufwandsentschädigung können Patienten, Ärzte und Krankenhäuser Dolmetscherdienste in Anspruch nehmen. Diese Leistungen werden vom Land bezuschusst. Kommunen und Gemeinden Aktuelle Anhaltspunkte für die Dolmetschersuche bietet der „Gesundheitswegweiser für Migrantinnen und Migranten“, der in Köln und vielen anderen Städten erscheint. In Einzelfällen werden die Dolmetscherkosten von der Kommune getragen, zum Beispiel für Psychotherapien, wenn die Patienten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen. Für andere Personengruppen rät der Gesetzgeber zu einer Therapie in der Mutter­ sprache des Patienten, was sinnvoll sein mag, aber nicht immer praktikabel ist. Türkischsprachige Ärzte und Therapeuten sind in Ballungsräumen sehr gefragt, die Wartelisten sind deshalb lang. 02-2015PRAXISTEAM PROFESSIONELL Krankenkassen übernehmen Dolmetscherkosten nicht Kontakt zu kostengünstigen Dolmetschern Kommunen unterstützen und bezuschussen 17 PPA Patientenkommunikation Kultursensible Behandlung Doch oft wird der Dialog mit Menschen türkischer Herkunft nicht unbedingt durch sprachliche Defizite erschwert, sondern vielmehr durch das, was nonverbal vermittelt wird, wie etwa das Image oder kulturelle Besonderheiten. Fremdes wird in den Köpfen leicht zum Feindbild Kommunikationsmuster hinterfragen Image türkischer Migranten in Deutschland Unbewusst festigen sich Bilder von gewalttätigen Jugendlichen, fundamentalistischen Moslems und zwangsverheirateten Mädchen in den Köpfen — unabhängig davon, wie realitätsnah diese sind und wie überzeugt man von ihrer Richtigkeit ist. Ohne es zu merken, können fremd erscheinende Eigenschaften mit dem türkischen Migrationshintergrund assoziiert werden. Trainings zur interkulturellen Kommunikation Um das Bewusstsein für das eigene Verständnis von Kultur zu ­stärken, sind Trainings zur Interkulturellen Kommunikation sehr hilfreich. Die Teilnehmer erfahren mehr über die Schwierigkeiten der Kommunikation zwischen Menschen, die scheinbar oder tatsächlich kulturell unterschiedlich sind. Sie lernen Strategien, wie Missverständnisse und Konflikte vermieden oder geklärt werden können. Für den Bereich Gesundheitswesen werden in vielen Städten zielgruppenspezifische Trainings angeboten. PRAXISHINWEIS | Je mehr man sich mit den Feinheiten der interkulturellen Kommunikation auseinandersetzt, umso deutlicher wird, warum Sätze, die mit den Worten „Bei uns ...“ oder „Bei euch ...“ beginnen, Barrieren aufbauen. Seien Sie interessiert und neugierig! So gelingt Kommunikation Das Geheimrezept für eine gelingende Kommunikation ist also ganz einfach: ehrliches Interesse und natürliche Neugier für die Lebensgewohnheiten und individuellen Eigenschaften des Kommunikationspartners. ◼◼Grußformeln Türkisch-Deutsch Hallo! / Guten Tag! Nasılsın(ız)? (Aussprache: Nasselssen(-ys) Wie geht es Dir (Ihnen)? iyi Gut idare eder Es geht İyi günler! Auf Wiedersehen! ↘↘ WEITERFÜHRENDE HINWEISE INFORMATION Buchtipps und Dolmetscher online PDF erstellt für Gast am 03.06.2017 Merhaba! •Buchtipp: Kahraman, Birsen: Die kultursensible Therapiebeziehung. Störungen und Lösungsansätze am Beispiel türkischer Klienten. Psychosozialverlag, 2008 •Medknowledge Suchkatalog: Gesundheit und Migration aus der Türkei; weiterführende Links und Buchtipps: www.medknowledge.de/migration/migration-tuerkei.htm •Gesundheitswegweiser für Migrantinnen und Migranten: http://tinyurl.com/kgcvnck ARCHIV •Dolmetscherservices: Ethno-Medizinisches Zentrum in Hannover: www.ethno-medizinisches-zentrum.de; Bayrisches Zentrum für Transkulturelle Medizin: www.bayzent.de Ausgabe 7 | 2014 Seite 16 – 17 •„Umgang mit muslimischen Patienten“ (PPA 07/2014, Seite 16). 18 PRAXISTEAM02-2015 PROFESSIONELL