Udo Backhaus 14 Astronomie im Physikunterricht 14.1 Einführung Die Astronomie stand am Anfang der wissenschaftlichen Beschäftigung des Menschen mit seiner Umwelt. Die langfristige Beobachtung des Himmels und seiner Veränderungen führte zu der Entdeckung von Regelmäßigkeiten und zu dem Versuch, sie sich kalendarisch und astrologisch nutzbar zu machen. Bei den Griechen führten diese Erfahrungen zur Entwicklung mathematischer und geometrischer Modelle, deren Eigenschaften weit über die beobachteten Phänomene hinausgingen. In der beginnenden Neuzeit bildete die Schwierigkeit, die Bewegungen der Planeten genauer zu beschreiben und vorherzusagen, den Ausgangspunkt für die Überwindung der Vorstellung von der Erde als Mittelpunkt der Welt und für die Entwicklung der modernen Naturwissenschaft. Galileis Trägheitsgesetz und die von Newton aufgestellten Bewegungsgesetze, die die grundsätzliche Kluft zwischen Himmel und Erde aufhoben, wären ohne das Streben, das Planetenproblem zu lösen und damit die Stellung der Erde und des Menschen in der Welt neu zu definieren, undenkbar geblieben. Auch heute steht die Astronomie, insbesondere die moderne Kosmologie, an der Spitze aktueller naturwissenschaftlicher Fragestellungen und Entwicklungen, z.B. in der Hochenergiephysik. Die Bilder, die moderne Teleskope „vom Himmel holen“, finden große öffentliche Aufmerksamkeit. Sie werden heute, trotz aller scheinbaren Unveränderlichkeit des Himmels, als Abbildungen von Vorgängen heftigster Dynamik interpretiert, die in unvorstellbaren Entfernungen – und vor unvorstellbar langer Zeit! – stattgefunden haben und immer noch stattfinden. Die Behandlung astronomischer Themen im Schulunterricht, die aus diesen Gründen auf großes Interesse bei den Schülern stößt, ist allerdings mit spezifischen Problemen verbunden: • Die Untersuchungsgegenstände sind so weit entfernt und von so großen Ausmaßen, dass im Allgemeinen naturwissenschaftliche Experimente, also die gezielte Manipulationen der untersuchten Explodierender Stern Kollidierende Galaxien 486 14 Astronomie im Physikunterricht Objekte nicht möglich und die Menschen deshalb auf die Rolle passiver Beobachter beschränkt sind. • Diese Beobachtungen können zum größten Teil nur nachts (also nicht zur Schulzeit) und mit komplexen Geräten (Teleskopen, Spektrometern, Raumsonden, Beschleunigern usw.) durchgeführt werden. • Fast alle astronomischen Vorgänge laufen sehr langsam ab. Sie erfordern also einen sehr langen Atem bei der Beobachtung und Aufzeichnung oder sehr indirekte Schlüsse, um ihrer Dynamik auf die Spur zu kommen. Diskrepanz zwischen Gewusstem und Erfahrenem Die Folge dieser Schwierigkeiten ist, dass astronomische Aussagen in der Regel nur über lange Ketten logischer Schlussfolgerungen mit unmittelbar zu machenden Erfahrungen zusammenhängen. Die Diskrepanz zwischen Gewusstem (d.h. angelesenem und aus dem Fernsehen übernommenem Wissen) und Erfahrenem ist deshalb in der Astronomie besonders groß – und sie beschränkt sich nicht auf die Aussagen, deren Gegenstände unmöglich selbst zu erfahren sind. Auch bei elementaren astronomischen Aussagen fehlt oft jede Anbindung an eigene Beobachtungen und Erlebnisse. Beispiel: Entstehung der Mondphasen Diese Aussage soll im Folgenden kurz am Beispiel der Entstehung der Mondphasen erläutert werden. Bei Umfragen zeigt sich immer wieder, dass Befragte jeden Alters und unterschiedlichster Bildung (sogar unabhängig vom Umfang des erfahrenen Astronomieunterrichts!) sich die Phasengestalten des Mondes dadurch erklären, dass der Schatten der Erde auf den Mond falle. Erdschatten? Ist diese Erklärung beim Sichelmond im allerersten Moment vielleicht noch einleuchtend, so erstaunt sie hinsichtlich des Halbmondes (müsste dafür doch die Erde eine Scheibe sein!) und noch mehr beim fast vollen Mond (Hohlerde!). Um mit Wagenschein zu sprechen: „Nicht die Unkenntnis als solche ist es, die hier bestürzt. Anständige Unkenntnisse, ehrliche, von schwierigen Dingen, gehören zur Bildung. Aber hier ist die Wahrheit leicht zu sehen; und noch leichter wäre zu bemerken, dass es der Erdschatten unmöglich sein kann, der den Mond aushöhlt.“ (Wagenschein 1992, S. 62) Dabei sind die Mondphasen ein gängiges Thema des OptikUnterrichts in Schule und Hochschule! Offensichtlich erreicht das übliche Diagramm zur Erklärung der Mondphasen „von außen“ die Lernenden nicht: 487 14.1 Einführung • Es erfordert einen abstrakten Prozess des Standortwechsels: Wir müssen uns in Gedanken auf die Erdoberfläche zurückversetzen und uns vorstellen, wie von dort die beleuchtete Hälfte des Mondes zu sehen wäre. Und wir müssen uns vorstellen, wie Sonne und Mond über den Himmel wandern, wenn die Erde sich um ihre eigene Achse dreht - und wir mit ihr! • Und selbst wenn uns gelingt, erklärt das Diagramm Phänomene, die die meisten von uns noch nicht wahrgenommen haben, z.B. dass der junge zunehmende Mond nur am frühen Abend zu sehen ist, der abnehmende Halbmond aber bereits mittags untergeht und warum der Vollmond im Sommer so viel niedriger steht als im Winter. Es ist nicht damit getan, im Klassenraum eine Kugel halbseitig zu beleuchten. Zwar machen diese und weitere Demonstrationen von Analogien (Ball in der Sonne zeigt dieselbe Gestalt wie der darüber stehende Mond, aus unterschiedlichen Richtungen betrachtete runde Gegenstände im Lichte der Sonne) plausibel, dass die Mondphasen so zustande kommen könnten. Es könnte aber auch anders sein: Eine sich drehende, nur halbseitig (selbst-) leuchtende Kugel würde dieselben Gestalten zeigen! Eine naturwissenschaftliche Erklärung wird erst daraus, wenn die Aussagen gut zu anderen beobachtbaren Phänomenen passen - insbesondere also zu den sich mit der Phasengestalt ändernden Auf- und Untergangszeiten des Mondes. Übliche Erklärung der Mondphasen In geozentrischer Sichtweise stellen sich die Phänomene folgendermaßen dar: Wenn man, beginnend kurz nach Neumond, jeden zweiten Abend kurz nach Sonnenuntergang zum Himmel sieht, dann wandert der Mond in zwei Wochen von tief im Westen über hoch im Süden nach tief im Osten. Simultan dazu ändert sich die Phasengestalt vom Sichelmond über den Halbmond zum Vollmond. Wenn man bei dieser Wanderung des Mondes die gerade untergegangene Sonne mit in den Blick nimmt (eine Idee, auf die Lernende von allein kaum kommen können!), dann erkennt man allmählich, „wie der Mond als eine dunkle Kugel im Licht der Sonne hängt, und zwar einer sehr weit schräg hinter dem Mond schwebenden riesigen Sonne. – Das ist ein großer Augenblick: Die Himmelskuppel löst sich im Raum auf.“ (Wagenschein 1992, S. 63) Anhand dieses Beispiels lassen sich unschwer vier Ursachen für die große Diskrepanz zwischen Gewusstem und Erfahrenem ausmachen: Abendliche Mondbewegung Der Halbmond im Lichte der Sonne Gründe für die Diskrepanz 488 14 Astronomie im Physikunterricht • Verstädterung, moderne Medien und ähnliche Veränderungen der Lebenswelt haben zu einer Entfremdung des Menschen von der Natur geführt. Hinsichtlich unmittelbarer astronomischer Erfahrungen kommt die zunehmende „Lichtverschmutzung“ unserer Umwelt hinzu. • Die dadurch hervorgerufene mangelnde Kenntnis der Phänomene hat zur Folge, dass Modelle und Theorien Erklärungen für Vorgänge liefern, die nicht „gegenwärtig“ sind, die also noch nicht beobachtet worden sind und deren Charakteristika unbekannt, vielleicht sogar unvorstellbar sind: Das Modell beantwortet nie gestellte Fragen. • Ein voreiliger Übergang von der geozentrischen zur heliozentrischen Beschreibung überfordert das Abstraktionsvermögen der Lernenden und vergrößert den Abstand zwischen Beobachtung und Erklärung. • Astronomische Zahlenangaben überschreiten das menschliche Vorstellungsvermögen bei weitem. Wenn die zugehörigen Probleme und Messverfahren überhaupt thematisiert werden, dann ist ihre Darstellung oft so grob vereinfachend, dass man sie auch als falsch bezeichnen könnte. Es ist hier nicht der Platz für eine gründliche Diskussion des Verhältnisses zwischen geozentrischer und heliozentrischer Betrachtungsweise. Deshalb soll sich hier auf den letzten Punkt konzentriert werden und am Beispiel eigener Messversuche zur Bestimmung der Größe des Weltalls aufgezeigt werden, inwieweit astronomische Entfernungsmessungen exemplarisch sein können für die astronomische Erkenntnisgewinnung, dafür also (um mit Wagenschein zu sprechen), „wie man so etwas wissen kann“, was es also „heißt, Astronomie und Physik zu betreiben“. Dabei bewährt sich die heliozentrische Sichtweise insofern, als es erst durch sie möglich wird, aus den Beobachtungen quantitative Aussagen über Entfernungen abzuleiten. 14.2 Astronomische Entfernungsmessung Astronomische Einheit Die Entfernung zwischen Erde und Sonne ist eine der fundamentalen Konstanten der Astronomie: die Astronomische Einheit. Ihr Zahlenwert ist die Grundlage nicht nur zur Bestimmung der Größe und der Struktur des Weltraumes, sondern auch für die Messung der astrophysikalischen Eigenschaften von Planeten und Sternen. Alle mit der Sonnenentfernung zusammenhängenden astrometrischen 14.3 Übersicht über die Messmethoden 489 Effekte sind jedoch sehr klein, weil die Sonne unglaublich weit entfernt ist. Die Messung der so genannten Sonnenparallaxe war deshalb während mehrerer hundert Jahre eines der Hauptprobleme der Astronomie, und es ist bis heute schwierig, die Sonnenentfernung in der Schule anhand eigener Messwerte zu bestimmen. Bei der Beschäftigung mit diesem Problem kann jedoch viel über Physik und Astronomie gelernt werden. Sonnenparallaxe 14.3 Übersicht über die Messmethoden Bis heute besteht die sicherste Methode, die Entfernung eines weit entfernten astronomischen Objektes zu bestimmen, darin, seine trigonometrische Parallaxe zu messen. Der zugrunde liegende Effekt ist jedem vom Auto- oder Zugfahren bekannt: Die Gegenstände der Umgebung scheinen sich gegenüber dem Hintergrund in der entgegengesetzten Richtung zu bewegen, und zwar umso schneller, je näher sie sind. Abb. 14.1: Dreiecke, in denen man Winkel messen muss, wenn man a) die Mondentfernung direkt trigonometrisch bestimmen, b) die Sonnenentfernung mit der Mondentfernung vergleichen, c) die Sonnenparallaxe von der Erde aus direkt messen, d) die Parallaxe eines Fixsterns auf der Basis des Erdbahnradius messen will. Trigonometrische Parallaxe 490 14 Astronomie im Physikunterricht Will man auf diese Weise die Sonnenparallaxe messen, muss man ihre Position am Sternenhimmel von verschiedenen Stellen der Erde aus messen. Dabei muss man Winkel in einem Dreieck messen, dessen Seitenlängen sich wie 24000:1 verhalten. Nach dem Versuch, ein solches Dreieck zu zeichnen, kann man sich die Schwierigkeit, die Parallaxe der Sonne zu messen, vorstellen. Tatsächlich ist es bis heute unmöglich, die Entfernung der Sonne auf diese Weise direkt zu bestimmen! Drei prinzipielle Auswege bieten sich an: Aristarchs Idee bestand darin, die Entfernung der Sonne nicht als Vielfaches des Erdradius, sondern als Vielfaches des Abstandes zwischen Erde und Mond zu bestimmen. Dabei muss man Winkel in einem Dreieck mit einem Seitenverhältnis von „nur“ 400:1 messen. Die zweite Möglichkeit, größere und damit leichter zu messende Winkel zu erhalten, besteht darin, im Sonnensystem eine Entfernung zu messen, die kleiner als die zu Sonne ist, und diese auf die Entfernung zur Sonne hochrechnen. Der dritte Ausweg eröffnet sich durch die Heranziehung physikalischer Gesetzmäßigkeiten, die es ermöglichen, aus den Zahlenwerten anderer physikalischer Größen den Abstand zwischen Erde und Sonne zu berechnen. Die wichtigsten sind die Messung von Lichtlaufzeiteffekten und die Auswertung des Doppler-Effektes. Im Folgenden sollen einige Methoden etwas genauer dargestellt und die mit ihnen verbundenen Probleme angedeutet werden. 14.4 Messung der Sonnenentfernung nach Aristarch Aristarchs Idee Die am einfachsten zu verstehende Methode zur Messung der Entfernung zwischen Erde und Sonne beruht auf der genialen Idee von Aristarch, der die Sonnenentfernung dadurch bestimmte, dass er bei Halbmond den Winkelabstand zwischen Sonne und Mond beobachtete. Bei Halbmond liegt in dem Dreieck Erde - Mond - Sonne ein rechter Winkel beim Mond. Wenn man also den Winkel zwischen Mond und Sonne bei Halbmond misst, kennt man in dem Dreieck alle Winkel und damit das Verhältnis der Entfernungen zu Sonne und Mond, und die Entfernung Erde–Sonne kann zeichnerisch oder rechnerisch als Vielfaches der Mondentfernung ermittelt werden. 491 14.5 Messungen mit einem Sextanten Leider ist über Aristarchs Messungen nichts überliefert. Aus seinem Zahlenwert für dieses Vielfache (18-20) kann man aber schließen, dass er den Winkel zu 87o annahm. Dieser Wert ist jedoch viel zu klein: Er beträgt tatsächlich fast genau 90o. Trotzdem wurde Aristarchs Angabe fast 2000 Jahre ungeprüft übernommen. Aristarchs Ergebnis In dieser großen Diskrepanz deuten sich gravierende Probleme bei der Messung an: • Der genaue Zeitpunkt des Halbmondes ist mit den Augen nur ungenau zu bestimmen - selbst mit einem Fernrohr. • Der Winkel zwischen Mond und Sonne muss offensichtlich sehr genau gemessen werden. 14.5 Messungen mit einem Sextanten Sextanten sind Messgeräte, mit denen Winkelabstände zwischen Objekten am Himmel sehr genau gemessen werden können. Sie wurden früher in der Seefahrt für die astronomische Navigation benutzt. Heute kann man sie antiquarisch oder als Lehrmittelgeräte erwerben. Da der Aufbau des Sextanten die gleichzeitige Beobachtung von Mond und Sonne ermöglicht, liegt die Idee nahe zu versuchen, den Winkel zwischen Mond und Sonne mit einem Sextanten zu messen. Im Folgenden werden beispielhaft die Ergebnisse einer Messung am 29. April 1993 dargestellt (Vornholz et al. 1996). An diesem Tag trat das 1. Viertel laut astronomischem Jahrbuch um 13.41 MEZ ein. Leider waren wetterbedingt nur Messungen zwischen 13.30 Uhr und 14.40 Uhr möglich. Abb. 14.2: Grafische Darstellung der Messergebnisse Der Sextant Halbmond am 29.4.1993 492 14 Astronomie im Physikunterricht Verwirrenderweise war bereits der erste, um 13.31 Uhr gemessene, Winkel größer als 90o: 90o36.6'! Wir maßen jedoch weiter, um ein Gefühl für die Messgenauigkeit zu bekommen und später evtl. auf 90o extrapolieren zu können. Dabei konnten wir schon während der Messungen bemerken, dass sich der Mond innerhalb von Minuten von der Sonne entfernt – und zwar ziemlich gleichmäßig. Die grafische Darstellung der Messergebnisse bestätigte den linearen Anstieg. Die Ausgleichsgerade ergab als Zeitpunkt für das 1. Viertel 12.27 Uhr MEZ! 14.5.1 Diskussion der Messergebnisse Unterschiedliche Halbmondzeitpunkte an verschiedenen Orten Die entscheidende Idee zur Klärung des scheinbaren Widerspruchs – die Winkelsumme im Dreieck Erde - Mond - Sonne scheint größer als 90o sein! – geht von den folgenden Fragen aus: • Was ist der Unterschied zwischen Halbmond und 1. Viertel? • Für welchen Punkt der Erde wird eigentlich in einem Jahrbuch der Zeitpunkt des 1. Viertels angegeben? Halbmond und 1. Viertel Wenn auf der Tagseite der Erde gerade das 1. Viertel eintritt (die Winkeldistanz zwischen Sonne und Mond beträgt dann 90o.), ist Halbmond bereits vorbei. Die Winkeldistanz zwischen Sonne und Mond ist dann auf der Nachtseite noch deutlich kleiner als 90o. Die Erde ist etwa viermal so groß wie der Mond. Sie erscheint deshalb, vom Mond aus betrachtet, unter einem Winkel von etwa 2o. Um diesen Winkel können sich also die von verschiedenen Punkten der Erde aus gemessenen Winkeldistanzen zwischen Mond und Sonne maximal unterscheiden. Der Mond braucht etwa vier Stunden, um auf seiner Bahn um die Erde um 2o weiterzuwandern. Die Zeitpunkte für das 1. Viertel können sich deshalb für verschiedene Orte um bis zu vier Stunden unterscheiden! Abb. 14.3: Zum Einfluss der Mondparallaxe auf den Halbmondzeitpunkt an verschiedenen Orten der Erde 493 14.5 Messungen mit einem Sextanten Die Folgerung ist naheliegend: Die im astronomischen Kalendern angegebenen Zeiten beziehen sich auf den Erdmittelpunkt. 14.5.2 Vergleich mit Computerberechnungen Zur Überprüfung der Messergebnisse ist also ein Computerprogramm nötig, das für jeden beliebigen Ort auf der Erde und für jeden Zeitpunkt die genauen topozentrischen, d.h. auf den Ort des Beobachters bezogenen, Koordinaten von Sonne und Mond berechnen und damit deren Winkeldistanz und die Mondphase bestimmen kann (siehe z. B. Vornholz et al. 1996). Abb. 14.4: Vergleich der Messergebnisse mit berechneten Werten Nach den Computerberechnungen trat am Beobachtungsort der Halbmond bereits um 12.04 Uhr MEZ ein. Die Winkeldistanz zwischen Sonne und Mond betrug dabei 89o51'42''. Nach der linearen Extrapolation unserer Messwerte hätten wir um diese Uhrzeit eine Winkeldistanz von 89o50'45'' gemessen. Mit diesem Wert für die Winkeldistanz zwischen Sonne und Mond bei Halbmond erhalten wir den gesuchten Abstand zwischen Erde und Sonne: Die Sonne ist 372-mal so weit entfernt wie der Mond. Damit sind wir am Ziel und haben einen sehr guten Wert für die Astronomische Einheit erhalten! Wir konnten ihn jedoch nur erhalten, weil wir den Zeitpunkt für den Halbmond berechnet haben. 14.5.3 Methodische und didaktische Empfehlungen Die Schwierigkeiten machen deutlich, dass nach dieser Methode durch eigene Messungen in der Schule kein akzeptabler Wert für die Astronomische Einheit zu gewinnen sein wird. Trotzdem kann aber Computerergebnisse 494 14 Astronomie im Physikunterricht bei dem Versuch, die Messung von Aristarch nachzuvollziehen, viel gelernt werden! Die Messungen mit dem Sextanten können ab der fünften Klasse durchgeführt werden. Dafür ist es zunächst erforderlich, günstige Termine zu erkennen: Sonne und Halbmond müssen gleichzeitig am Himmel zu sehen sein, möglichst in ähnlicher Höhe über dem Horizont (1. Viertel am frühen Nachmittag oder Letztes Viertel am frühen Vormittag). Bei diesen Messungen sind bereits die qualitativen Ergebnisse sehr interessant: Qualitative Ergebnisse • Bei Halbmond beträgt der Winkelabstand zwischen Sonne und Mond ungefähr 90o. Die Sonne muss also viel weiter entfernt sein als der Mond – und der ist doch schon unheimlich weit weg! • Die Phasengestalt des Mondes hat etwas mit der Winkeldistanz zwischen Mond und Sonne zu tun: Der Mond entfernt sich erstaunlich schnell von der Sonne - bereits nach einigen Minuten kann man es messen! • Zu dem Zeitpunkt, der in einem astronomischen Jahrbuch für das 1. Viertel angegeben ist, ist die gemessene Winkeldistanz bereits deutlich größer als 90o. Anhand obiger Zeichnung wird klar, dass dieser Effekt mit der Größe der Erde zu tun hat: der erste eigene Nachweis der endlichen Mondentfernung! Von der 10. Klasse an können auch quantitative Schlüsse aus den Messungen gezogen werden: Quantitative Ergebnisse • Aus der zeitlichen Veränderung des gemessenen Winkels kann die Zeit abgeschätzt werden, die zwischen zwei Neumonden vergeht (synodischer Monat). • Aus der gemessenen Winkeldistanz zwischen Sonne und Mond zum im Kalender angegebenen Zeitpunkt für das 1. Viertel kann das Verhältnis aus Mondentfernung und Erdradius grob abgeschätzt werden. Phasenbestimmung durch Ausmessen der Phasengestalt? • Da die Winkeldistanz zwischen Sonne und Mond offenbar sehr genau gemessen werden kann, könnte man auf die Idee kommen, in Abwandlung des Gedankenganges zu versuchen, den Phasenwinkel zum Zeitpunkt des 1. Viertels zu bestimmen (ca. 89.86o). Ein Blick durchs Fernrohr bei Halbmond zeigt jedoch, dass es auch mit einem großen Fernrohr unmöglich sein dürfte, die erforderliche Genauigkeit zu erzielen. Auch gründliche Versuche, mit Hilfe von Mondfotos den Phasenwinkel zu bestimmen, führen zu keinen befriedigenden Ergebnissen (Schmidt et al. 2004). 14.6 Die Entfernung des Mondes 495 14.6 Die Entfernung des Mondes Aristarchs Methode liefert die Entfernung der Sonne als Vielfaches der Mondentfernung. Die Griechen kannten sie seit Hipparch mit befriedigender Genauigkeit. Die am leichtesten zu verstehende Messmethode besteht allerdings in der direkten Messung der trigonometrischen Parallaxe des Mondes: Der Mond übertrifft in der Kunst des Mitlaufens alle irdischen Dinge. Jeder noch so ferne Horizont ist noch nahe, verglichen mit ihm, noch ganz vorn vor dem riesigen Abgrund …, der ihn von uns trennt. (Richtiger: Dass sein Abstand so riesig ist, erkennen wir daran, dass er so perfekt mitläuft wie nichts Irdisches.) (Wagenschein 1988, S. 275) Wagenschein macht hier darauf aufmerksam, dass alle Entfernungen am Himmel so groß sind, dass alle alltäglichen Methoden zur Abstandsmessung oder –abschätzung versagen. Das unbeobachtbare Zurückbleiben aller himmlischen Objekte, sogar des Mondes, hinter der eigenen Bewegung, die fehlende Parallaxe also, lässt sich nur im Falle des Mondes doch noch sichtbar machen, indem man die eigene Bewegung auf der Erde durch gleichzeitige Beobachtung des Himmels von verschiedenen Orten der Erde aus ersetzt. Anhand zweier Zeichnungen erläuterte Wagenschein, dass für einen Beobachter in Kapstadt nicht nur der ganze Himmel auf dem Kopf steht (weil der Beobachter selbst „auf dem Kopf steht“), sondern dass für ihn der Mond dichter an nördliche Nachbarsterne herangerückt ist als für einen Beobachter in Berlin: Der Mond ist bei der fiktiven Reise nach Süden nach Norden zurückgeblieben. Als Wagenschein diesen Effekt 1962 beschrieb, gab es noch keine einfache Möglichkeit, das Gedankenspiel in die Tat umzusetzen. Heute dagegen ist es relativ leicht, selbst Bilder aufzunehmen, die die Parallaxe des Mondes, seine endliche Entfernung also, dem aufmerksamen, aber unvoreingenommenen Betrachter sichtbar machen. 14.6.1 Kooperatives Projekt zur Messung der Mondparallaxe Dazu muss der Mond von weit voneinander entfernten Orten aus gleichzeitig so fotografiert werden, dass seine unterschiedliche Position relativ zum (als unendlich fern angenommenen) Sternen- oder Planetenhintergrund erkennbar wird. Um die Position eindeutig Wagenscheins Veranschaulichung der Mondentfernung 496 14 Astronomie im Physikunterricht erkennen zu können, müssen auf den Fotos mindestens zwei Bezugsobjekte sichtbar sein. Besonders geeignet sind deshalb Tage, an denen der Mond an zwei nahe beieinander stehenden Planeten vorüberwandert. Auch Mondfinsternisse bieten, wenn auch recht selten, gute Gelegenheiten für Sternfeldaufnahmen mit Mond. 14.6.2 Beispiel: Der Mond zwischen Saturn und Jupiter Mondparallaxe am 9.12.2000 Am 9. Dezember 2000 wanderte der Mond an den hellen Planeten Jupiter und Saturn vorbei. An diesem Tag fotografierten Schüler und Amateurastronomen in Deutschland, Bulgarien, Spanien und Namibia (Skandinavien und Portugal lagen leider unter einer dichten Wolkendecke!) den Mond, und es entstanden zum Vergleich geeignete Aufnahmen mit großer nord-südlicher Basis (Deutschland/Namibia) und großer ost-westlicher Basis (Bulgarien/Teneriffa). Abb. 14.5: Der Mond zwischen Jupiter (J) und Saturn (S), am 9.12.2000 um 21.00 Uhr UT von Koblenz (links) und Namibia (rechts) aus fotografiert Die Abbildungen zeigen beispielhaft den Mond, wie er sich den Fotografen in Koblenz und Namibia um 21 Uhr UT darstellte. Auf beiden Bildern sind Jupiter und Saturn als helle Punkte deutlich zu erkennen. Auf den ersten Blick fällt auf, dass sich der hellere Jupiter einmal links, einmal rechts von Saturn befindet: Der Fotograf in Namibia stand auf dem Kopf – oder war es der in Deutschland? Eins der Bilder muss also um 180o gedreht werden, damit sich Norden im Bild ungefähr oben befindet. 497 14.6 Die Entfernung des Mondes Deutlich ist die unterschiedliche Konstellation Jupiter-Mond-Saturn zu erkennen: Der Mond hat auf die Ortsveränderung nach Namibia mit einem nördlichen Zurückbleiben reagiert! Noch deutlicher wird diese parallaktische Verschiebung des Mondes, wenn man die beiden Bilder o skaliert, dass der Abstand Jupiter-Saturn gleich groß ist, und die beiden Bilde so übereinander legt, dass die beiden Planeten zur Deckung kommen: Die Verschiebung ist etwa doppelt so groß wie der Monddurchmesser! Diese Positionsveränderung entspricht gerade dem parallaktischen Winkel in der nebenstehenden Abbildung: Anpeilung des Mondes … …die sich daraus ergebende Mondentfernung Abb. 14.6: Kombination obiger Abbildungen (links): Die Bilder wurden so gedreht und skaliert, dass die Bilder von Jupiter und Saturn jeweils zur Deckung kommen und Norden oben ist. Rechts: Kombination von Bildern aus Bulgarien und Teneriffa 14.6.3 Auswertung Den Abstand zwischen Jupiter und Saturn kann man z. B. mit einem Sextanten messen: Er betrug 8,79o. Mit diesem Wert kann man den Maßstab der Bilder bestimmen und die parallaktische Verschiebung des Mondes messen. Der parallaktische Winkel ergibt sich zu 1,2o. Bestimmt man darüber hinaus aus den geografischen Koordinaten der beiden Beobachtungsorte ihren linearen Abstand als Vielfaches des Erdradius, dann ergibt sich aus dem parallaktischen Winkel schließlich, dass der geozentrische Abstand des Mondes 57,86 Erdradien beträgt – ein Ergebnis, das nur um 0,2% oder 809 km vom wahren Wert abweicht (Backhaus 2001). Für die Teilnehmer eines solchen Projektes ist es ein großes Erlebnis, Teil eines weltumspannenden Projektes zu sein und beim Fotografieren das Gefühl haben zu können, dass im selben Moment Gleichgesinnte an den verschiedensten Orten der Erde an demselben Ziel arbeiten. Selbst gemessene Mondentfernung: 57,86 RE 14 Astronomie im Physikunterricht 498 14.7 Abstandsverhältnisse im Sonnensystem Die Bewegung der Planeten über den Sternenhimmel ist das entscheidende Phänomen, das die Menschen auf die Idee brachte, dass die Erde nicht der Mittelpunkt der Welt ist sondern zusammen mit den anderen Planeten die Sonne umläuft. Diese heliozentrische Sichtweise macht es, anders als das antike geozentrische Weltmodell, möglich, durch Beobachtung der Planeten herauszufinden, wie sich alle Abstände im Sonnensystem zueinander verhalten, z.B. um welchen Faktor Jupiter weiter von der Sonne entfernt ist als die Erde. Um diesem Gedanken folgen zu können, müssen Lernende allerdings mit den beobachtbaren Erscheinungen vertraut sein. 14.7.1 Bestimmung der Bahnradien Wie für physikalische Betrachtungen typisch, müssen bei der Ableitung der Bahnradien Vereinfachungen gemacht werden. So sind die folgenden Überlegungen nur richtig unter folgenden Bedingungen: • Alle Planeten bewegen sich in der Ebene der Ekliptik. • Die Bahnkurven sind Kreise. • Die Winkelgeschwindigkeit jedes Planeten ist konstant. Bahnradius innerer Planeten Unter diesen Voraussetzungen ist für die inneren Planeten die Bestimmung des Bahnradius einfach: Man misst dazu lediglich mehrfach den Winkelabstand zwischen Planet und Sonne (kurz vor Sonnenuntergang ist das grob bereits durch Peilen über ein großes Geodreieck möglich!) und bestimmt auf diese Weise den größten auftretenden Wert ηmax . In dieser Stellung muss das Dreieck Erde – Planet – Sonne beim Planeten rechtwinklig sein. Es gilt dann also cosηmax = rPl ⇒ rPl = cosηmax AE. rE Auf diese Weise ergab sich beispielsweise bei der Verfolgung von Venus als Vorbereitung des Venustransits 2004 für Venus am 1.1.2003 ein maximaler Winkelabstand von der Sonne von 47° (durch Peilung über Nägel) bzw. 46°53' (mit Sextant). Ihr Abstand von der Sonne war zu dem Zeitpunkt also etwa 0,73-mal so groß wie der der Erde von der Sonne. (http://www.didaktik.physik.uniessen.de/~backhaus/VenusProject/orbitresults.htm) 499 14.7 Abstandsverhältnisse im Sonnensystem Einen äußeren Planeten muss man, um seinen Bahnradius zu bestimmen, während seiner Rückläufigkeit verfolgen. Das ist einfach, da er in dieser Zeit der Sonne fast gegenübersteht und deshalb fast die ganze Nacht durch zu sehen ist. Gelingt es, den Planeten am Tage seiner Opposition zu beobachten und seine Position am Sternenhimmel zu bestimmen, und wiederholt man das wenigstens einmal während der Rückläufigkeit des Planeten, dann kann man den Bahnradius nach der folgenden Beziehung berechnen (Backhaus 1997 a): rPl = Bahnradius äußerer Planeten sin(ε + η ) rE sin( β + η ) Dabei sind ε und β die Zentralwinkel, die von der Verbindung Sonne – Planet zwischen den beiden Zeitpunkten der beiden Beobachtungen überstrichen worden sind. Diese Winkel kann man mit Hilfe der siderischen Umlaufzeiten bestimmen. δ ist der Winkel, um den der Planet in der Zwischenzeit seine Position relativ zum Sternenhintergrund verändert hat. 14.7.2 Bestimmung des Radius der Marsbahn Voraussetzung für Beobachtungen der Marsbewegung ist die Fähigkeit der Schüler, bestimmte Sternbilder unabhängig von ihrer Stellung am Himmel wiederzuerkennen. Gibt man den Schülern von Zeit zu Zeit Tipps für geeignete Beobachtungszeitpunkte und stellt ihnen eine geeignete Sternkarte zur Verfügung, dann können sie Mars abends selbständig verfolgen, wenn sie nicht zu weit von zu Hause einen geeigneten Beobachtungsort gefunden haben – mit nicht zu hohem Horizont und nicht zu viel „Lichtverschmutzung“. Sie können dann die beobachteten Marspositionen in die Karte eintragen, nachdem sie sich Entfernungs- und Winkelbeziehungen zwischen Mars und den Nachbarsternen eingeprägt haben: Mars auf einer Geraden mit zwei Sternen oder mit ihnen ein gleichseitiges, gleichschenkliges oder rechtwinkliges Dreieck bildend. Es ist erstaunlich, wie oft man solche Konstellationen finden kann. Mars im Löwen ... … am 31.3.97 … am 1.5.97 (Fotos von Sandra Stein) 500 14 Astronomie im Physikunterricht Abb. 14.7: Beispiel: Ein Teil der Marsschleife 2005/06 im Sternbild Stier, beobachtet mit Studierenden mit bloßen Augen und eingetragen in eine Sternkarte Die Abbildung zeigt die Marsschleife, die zusammen mit Studierenden im Wintersemester 2005/06 aufgezeichnet wurde. Das Bild gibt allerdings nichts von der Faszination wieder, die die Studierenden bei den Beobachtungen empfunden haben! Radius der Marsbahn: 1,46 AE Wertet man die in die Karte eingezeichneten Positionen aus, nachdem man die Position am Tage der Opposition, dem 7. November 2005, durch Interpolation gewonnen hat, dann ergibt sich nach der obigen Gleichung der Radius der Marsbahn zu etwa 1,46 Erdbahnradien, also zu 1,46 AE – in Übereinstimmung mit dem wahren Wert am 7. November 2005. Aber wie groß ist die Astronomische Einheit? 14.8 Internet-Projekt: Auswertung des Venustransits am 8. Juni 2004 Um einen der sehr seltenen Vorübergänge von Venus vor der Sonnenscheibe zur Bestimmung der Sonnenentfernung – und damit des fehlenden Maßstabs! – nutzen zu können, wurde in einem weltweiten Projekt, an dem Schüler, Lehrer und Amateurastronomen, aber auch Planetarien und professionelle Sternwarten von Sri Lanka bis Peru und von Schweden bis Südafrika beteiligt waren, versucht, an ver- 501 14.8 Internet-Projekt: Auswertung des Venustransits am 8. Juni 2004 schiedenen Orten zu exakt gleichen Zeitpunkten aufgenommene Transitfotos zu gewinnen. Wenn man solche Fotos mit gleicher Größe und Orientierung übereinander legt, machen sie die parallaktische Verschiebung von Venus direkt sichtbar und erlauben eine mathematisch relativ einfache und nachvollziehbare Auswertung. Grundidee und Auswertung entsprechen weitgehend dem bei der Messung der Mondentfernung angewendeten Verfahren. Die eigentliche Messgröße bei diesem Verfahren ist der (Winkel-) Abstand zweier Venusscheibchen, die von verschiedenen Orten aus zeitgleich aufgenommen wurden. Ziel des Projektes war es jedoch, nicht nur die parallaktische Verschiebung zu messen, sondern auch alle Größen selbst zu bestimmen, die zur Ableitung der Sonnenentfernung erforderlich sind, insbesondere also den Erdradius, den linearen Abstand der beiden Beobachtungsorte (und dafür die eigenen geografischen Koordinaten), den Bahnradius der Venus und den Winkelradius der Sonne. Ziele des Transitprojekts Das Projekt ist an anderer bereits beschrieben worden Stelle (Backhaus 2005). Die endgültigen Ergebnisse werden zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Buches gerade zusammengestellt und im Internet veröffentlicht (http://www.didaktik.physik.uni-essen.de/~backhaus/ VenusProject). Deshalb soll hier nur die Bestimmung der Sonnenentfernung durch direkten Vergleich zweier Transitfotos kurz beschrieben werden. 14.8.1 Die parallaktische Verschiebung von Venus und die Entfernung der Sonne Um die Orientierung der aufgenommenen Fotos einfach bestimmen zu können, wurde verabredet, die Fotos je zweimal im Abstand von 90 oder 120 Sekunden mit feststehender Kamera zu belichten. Die gegenseitige Verschiebung der beiden Abbildungen der Sonne zeigt dann die exakte Ost-West-Richtung. Skaliert man die Bilder auf dieselbe Größe, dreht sie so, dass die Ost-West-Richtung parallel zu einer Bildkante verläuft, und verschiebt die Bilder so gegeneinander, dass die zuerst aufgenommenen Sonnenbilder exakt übereinander liegen, dann wird der Parallaxeneffekt an Venus direkt sichtbar (im Bild unten links, Solche Bildmanipulationen sind heute mit jedem Bildbearbeitungsprogramm möglich, wenn die Bilder erst in digitaler Form vorliegen.). Essen, 8.00 UT Namibia, 8.00 UT 14 Astronomie im Physikunterricht 502 Abb. 14.8: Kombination zweier Bilder aus Essen und Namibia nach geeigneter Skalierung, Drehung und Verschiebung Selbst gemessene Sonnenentfernung Der lineare Abstand der beiden Beobachtungsorte ergab sich aus den geografischen Koordinaten zu Δ=1.19RE, der Projektionswinkel zu näherungsweise 90o. Mit den selbst gemessenen Werten für den Radius der Venusbahn (rV=0,73 AE) und den Erdradius (RE =6365 km) ergibt sich daraus der Abstand zur Sonne zu dS = 144000000 km. Die in Essen gemessenen Venuspositionen Um eine noch größere Genauigkeit zu erzielen, wurden während des Transits ganze Bildserien aufgenommen, die es ermöglichen, an die gemessenen Positionen eine Gerade anzupassen und den statistischen Fehler dadurch zu minimieren. 14.8.2 Schlussfolgerungen Der Nachvollzug der historischen Beobachtungen und der Versuch, eigene Messdaten zu gewinnen, erwiesen sich als schwieriger als erwartet: Die Ansprüche an die Genauigkeit beim Fotografieren hatten wir unterschätzt, mancher Versuch, die eigene Position oder, in Kooperation mit weit entfernten Partnern, den Erdradius mit Hilfe von Messungen mit einem Schattenstab zu bestimmen, scheiterte zunächst an ungenügenden Absprachen oder an zu ungenauen Messungen. Es war aber gerade das Ziel des Projektes, solche Probleme kennen zu lernen und mit ihnen fertig zu werden. Tatsächliche Messungen sind nun einmal viel komplexer als die in Lehrbüchern dargestellten Prinzipien. In der Auseinandersetzung mit dieser Komplexität erfährt und lernt man, was es heißt, Wissenschaft zu betreiben. Nicht zu ersetzen sind die Erfahrungen, die alle Beteiligten bei der internationalen Kommunikation und Kooperation sammeln konnten, insbesondere aber das emotionale Erlebnis, maßgeblich an einem weltumspannenden Projekt beteiligt zu sein. 503 14.9 Astronomisches Schlechtwetter-Praktikum 14.9 Astronomisches SchlechtwetterPraktikum Nicht immer ist das Wetter gut, wenn im Unterricht ein astronomisches Phänomen behandelt oder astronomisch-physikalischen Fragestellungen nachgegangen werden soll. Nicht immer lassen sich nächtliche Beobachtungen organisieren oder der Rahmen für ein langfristiges Projekt schaffen. Nicht immer stehen die erforderlichen Beobachtungs- und Messgeräte in der Schule zur Verfügung. Für solche Fälle wurde ein „Astronomisches SchlechtwetterPraktikum“ geschaffen. Ihm liegt die Idee zugrunde, selbst dann, wenn direkte eigene Erfahrungen und Messungen unmöglich sind, möglichst nahe an den Erfahrungen Anderer (Schüler, Studierender, aber natürlich auch professioneller Astronomen) zu bleiben und Bilder und Daten, deren Aufnahme nachvollziehbar ist, mit unterschiedlicher Genauigkeit auszuwerten. Ziel des Praktikums Zur Zeit enthält das Praktikum die folgenden Aufgaben: • Die Mondentfernung • Der Radius der Marsbahn • Die Messung der Entfernung zur Sonne • Die Methode von Aristarch • Die Methode von Ole Römer • Der Venustransit 2004 • Parallaxenmessung an Kleinplaneten • Doppler-Effekt am Sonnenrand • Doppler-Variation eines Sternspektrums • Eigenbewegung und Parallaxe von Barnards Pfeilstern: • Die Entfernung der Hyaden Die Art der Aufgabenstellung soll an zwei Beispielen kurz erläutert werden. Die vollständigen Aufgaben können über das Internet bezogen werden: www.didaktik.physik.uni-essen.de/~backhaus/astrprak/astrprak.htm 14.9.1 Beispiel: Die Rotation der Sonne und die Astronomische Einheit Die Linien in hoch aufgelösten Spektren des Sonnenrandes zeigen eine kleine gegenseitige Doppler-Verschiebung (Janßen 1999). Sie wird dadurch hervorgerufen, dass sich der Ostrand aufgrund der Die Praktikumsaufgaben 504 14 Astronomie im Physikunterricht Rotation der Sonne auf das Telekop zubewegt, der Westrand sich dagegen von ihm entfernt. Bestimmt man aus dieser Verschiebung die Geschwindigkeit des Randes relativ zum Teleskop, dann kann man aus der bekannten Rotationsdauer die Größe der Sonne (in Kilometern) ableiten. Vergleich mit ihrer scheinbaren (Winkel-) Größe liefert dann die Entfernung der Sonne. Bereits die Ableitung aufgrund dieser leicht zu verstehenden prinzipiellen Idee liefert ein recht befriedigendes Ergebnis. Es kann allerdings durch Berücksichtigung von Nebeneffekten weiter verbessert werden. Abb. 14.9: Spektrum vom Ostrand (oben) und Westrand der Sonne (aus Janßen 1999) 14.9.2 Beispiel: Die Entfernung von Barnards Pfeilstern Die Fixsterne schienen noch fast 300 Jahre nach der Entwicklung des heliozentrischen Systems unendlich weit entfernt zu sein, weil eine parallaktische Reaktion der Sterne auf den Jahresumlauf der Erde um die Sonne unmessbar war. Heute dagegen ist die so genannte Fixsternparallaxe bereits in der Reichweite der Teleskope gut ausgestatteter Amateure und Schulsternwarten gelangt. Passgenau übereinandergelegte Fotos desselben Himmelsausschnittes können deshalb den Nachweis liefern, dass Fixsterne nicht an der Himmelskuppel „fixiert“ sind. Die im Wesentlichen geradlinige und gleichförmige Bewegung erscheint dabei im Rhythmus unserer Jahreszeiten mehr 14.9 Astronomisches Schlechtwetter-Praktikum 505 oder weniger moduliert – der Nachweis, dass sie nicht unendlich weit entfernt sind. Abb. 14.10: Barnards Pfeilstern am 17.10.93 (Süden), 12.5.94, 22.9.94, 1.5.95 und 10.10.95 (aus Heiser et al. 1996) Die scheinbare Sternbewegung erweist sich als Überlagerung aus Eigenbewegung und parallaktischer Bewegung. Die Praktikumsaufgabe besteht darin, in obigem Bild die beiden Effekte zu trennen und herauszufinden, wie schnell sich Barnards Pfeilstern senkrecht zur Blickrichtung bewegt und wie weit er von uns entfernt ist. Literatur Backhaus, U. (1990). Bestimmung der Radien von Planetenbahnen mit Fernglas und Sternkarte. Praxis der Naturwissenschaften/Physik 39/5, 10 Backhaus, U. (1997 a). Radius und Neigung der Marsbahn. Astronomie und Raumfahrt 34 (4), 31 Backhaus, U. (1998). Von der Beobachtung astronomischer Phänomene zu eigenen Messungen. Vorträge auf der Frühjahrstagung der DPG in Regensburg Backhaus, U. (2001). Simultaneously Photographing of the Moon. In: Vorträge auf der Frühjahrstagung der DPG in Bremen Backhaus, U. (2004). Der Venustransit 2004 – Eine einmalige Chance zur Vernetzung von Wissen, Verfahren und Menschen. Der mathematische und naturwissenschaftliche Unterricht 57/4, 217 Backhaus, U. (2005). Forschen und forschendes Lernen beim Venustransit 2004. Computer im Unterricht 57, 34 Heiser, E., Schröder, R. (1996). Eigenbewegung und Parallaxe von Barnards Pfeilstern. Sterne und Weltraum 35/5, 388 Janßen, K. (1999). Spektroskopie der Sonne, Praktikumsversuche für den Astrophysik-Unterricht, Universitätssternwarte Göttingen, Mai 1999 Lermer, R. (1989). Grundkurs Astronomie. München: Bayerischer Schulbuchverlag 506 14 Astronomie im Physikunterricht Schmidt, A., Backhaus, U. (2003). Kann die Sonnenentfernung durch Phasenmessungen am Mond bestimmt werden? Vorträge auf der Frühjahrstagung der DPG in Augsburg Vornholz, D., Backhaus, U. (1996). Wer hat recht – Aristarch oder der Sextant? Astronomie und Raumfahrt 31, 20 Wagenschein, M. (1988). Naturphänomene sehen und verstehen. Stuttgart: Klett Wagenschein, M. (1992). Verstehen lehren. Weinheim: Beltz