Michael Faust Peter Jauch Petra Notz Befreit und entwurzelt: Führungskräfte auf dem Weg zum „internen Unternehmer“ Rainer Hampp Verlag München und Mering 2000 5 Inhaltsübersicht Vorwort ................................................................................................................... 9 1. Einleitung: Fragestellung und Ergebnisse im Überblick .................................. 13 2. Anlage der Untersuchung.................................................................................. 36 3. Gerichtete Vielfalt: Organisationswandel und Managementstrukturen............ 43 4. Wachsende Unsicherheit: zentrales Kennzeichen der Arbeits- und Berufssituation von Führungskräften................................................................ 82 5. Anforderungswandel ....................................................................................... 116 6. „Arbeiten als Hobby“? Zentrale Aspekte der Arbeits- und Berufssituation ................................................................................................ 209 7. Jenseits der Arbeit: Sachzwang Familie?........................................................ 317 8. Interessenorientierungen ................................................................................. 372 9. Schlußbemerkung: Zur Einordnung unserer Untersuchungsergebnisse......... 449 Verzeichnis der Schaubilder.................................................................................. 486 Verzeichnis der Tabellen....................................................................................... 459 Literatur ............................................................................................................... 464 6 Inhaltsverzeichnis Vorwort ...................................................................................................................................... 9 1. Einleitung: Fragestellung und Ergebnisse im Überblick.............................................. 13 1.1 Fragestellung ................................................................................................................ 13 1.2 Gang der Untersuchung und zentrale Ergebnisse......................................................... 18 2. Anlage der Untersuchung ............................................................................................. 36 3. 3.1 Gerichtete Vielfalt: Organisationswandel und Managementstrukturen ....................... 43 Reden und Handeln: Leitbilder des Organisationswandels und praktischer Organisationswandel .................................................................................................... 43 Die Fallstudien-Unternehmen ...................................................................................... 47 Organisatorischer Wandel als Einflußfaktor veränderter Anforderungen im Spiegel der Gesamtbefragung....................................................................................... 76 3.2 3.3 4. 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.2.1 4.2.2.2 4.2.2.3 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.4 5. 5.1 5.2 5.3 5.3.1 5.3.2 Wachsende Unsicherheit: zentrales Kennzeichen der Arbeits- und Berufssituation von Führungskräften ........................................................................... 82 Vorbemerkung.............................................................................................................. 82 „Opfer“ und neue „Heroen“ - zwei Seiten einer Medaille ........................................... 83 Verlierer des Organisationswandels im Management .................................................. 84 Verlierer des Organisationswandels - eine Abschätzung ............................................. 86 Fallstudienergebnisse ................................................................................................... 86 Hierarchieabbau und Entwicklung des Arbeitsmarktes für Führungspositionen (sekundäre Quellen)...................................................................................................... 87 Gewinner-Verlierer Konstellationen im Reorganisationsprozeß - Indikatoren der schriftlichen Befragung .......................................................................................... 90 Managementrevolution und Unsicherheit - das Ende des „Organization Man“?......... 98 Das Einbindungsmuster des „organization man“ im Rückblick .................................. 98 Krise und Unsicherheit im Erleben der Führungskräfte............................................... 99 Organisationswandel und Verbreitung der Unsicherheit (Indikatoren der schriftlichen Befragung)............................................................................................. 106 Zwischenfazit - Die Erosion des „organization man“ ................................................ 112 Anforderungswandel .................................................................................................. 116 Institutionalisierte Rollen und Berufsorientierungen ................................................. 116 Das „Räderwerk“ Unternehmen: professionell-bürokratische Führungsrollen im mittleren Management und das Selbstverständnis ihrer Träger ............................ 117 Reorganisation und Rollenwandel.............................................................................. 121 Der Intrapreneur in der Linienposition....................................................................... 121 Der neue Dienstleister: prekär oder selbst unternehmerisch ...................................... 132 7 5.3.3 Anforderungswandel: Beitragsorientierung reicht nicht mehr - fast ein Resümee......................................................................................................................142 5.4 Anforderungen und Anforderungsentwicklung auf der Grundlage der schriftlichen Befragung ..............................................................................................144 5.4.1 Anforderungen an Führungskräfte - ein Überblick ....................................................145 5.4.2 Anforderungswandel und Organisationswandel.........................................................152 5.4.2.1 Der Zusammenhang von Anforderungswandel und Organisationswandel ................152 5.4.2.2 Anforderungsveränderungen im Überblick ................................................................155 5.4.2.3 Konstellationen der Veränderung von Verantwortung und Entscheidungsspielräumen .........................................................................................156 5.4.2.4 Partielle Angleichung der Anforderungsprofile zwischen den Führungsebenen bei fortbestehenden Machtunterschieden ...................................................................160 5.4.2.5 Anforderungsveränderungen und Machtverteilung nach Funktionen ........................165 5.4.3 Personalführung: Bedeutungszuwachs, Akzentverschiebungen und Erosion traditioneller Autoritätsgrundlagen.............................................................................171 5.4.3.1 Akzentverschiebungen: Delegation(szwänge) und keine Entspannung des „Man-in-the-middle“-Konflikts..................................................................................172 5.4.3.2 Veränderungen der Autoritätsgrundlagen und Austauschbeziehungen......................175 5.4.3.2.1 Kontinuität und Wandel der Fachautorität .................................................................175 5.4.3.2.2 Erosion traditioneller Austauschbeziehungen in reorganisierten Unternehmen ........190 5.4.3.3 Führung und Organisationsbindung - ein Resümee....................................................206 6. 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.2.1 6.2.2.2 6.2.2.3 6.2.3 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.4 6.4.1 6.4.2 „Arbeiten als Hobby“? Zentrale Aspekte der Arbeits- und Berufssituation...............209 Einleitung....................................................................................................................209 „Arbeit ist (weit mehr als) das halbe Leben“ - Arbeitszeit und Verfügbarkeitsansprüche - Kontinuitätslinien und Veränderungen ...........................214 Arbeitszeit von Führungskräften - mehr als ein Zeitmaß: Indikator für Status, Leistung und Loyalität und „Einsatz“ für Aufstiegsambitionen.................................215 Arbeitszeiten von Führungskräften: Entwicklung und Einflußfaktoren.....................220 Arbeitszeiten, Arbeitszeitentwicklung und Verfügbarkeit .........................................220 Arbeitszeitentwicklung und Organisationswandel .....................................................223 Bewertungen der Arbeitszeit ......................................................................................227 Das Arbeitszeitproblem der Führungskräfte: akzentuiert und doch relativiert ein Zwischenfazit........................................................................................................236 Herausforderung oder Überforderung?.......................................................................241 Belastung und Streß - ein Thema mit Variationen .....................................................241 Ursachen der Belastungsentwicklung.........................................................................244 Herausforderung und Belastung - zwei Seiten einer Medaille ...................................247 Belastungswahrnehmungen im Spiegel der schriftlichen Befragung .........................252 Karriere und Reorganisation: „Freie Bahn dem Tüchtigen“ oder „Es sei denn, es stirbt einer“ .............................................................................................................261 Einleitung....................................................................................................................261 Reorganisation und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten ......................................266 8 6.4.2.1 Neuverteilung von Karrierechancen im Reorganisationsprozeß - individuelle Chancenabwägung und Neuorientierung ................................................................... 269 6.4.2.2 Umrisse und Realisierungsprobleme neuer Karrieremuster....................................... 282 6.4.2.2.1 Die Karriere des mobilen Generalisten: Programm, Umsetzungsdefizite und -probleme.................................................................................................................... 282 6.4.2.2.2 Entkopplung von „Geld und Geltung“ - Neubewertung von Leistung und Status..... 285 6.4.3 Bewertung der beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten im Spiegel der Gesamtbefragung........................................................................................................ 294 6.4.4 Die Krise der traditionellen Karrieremuster - ein Resümee ....................................... 311 7. 7.1 7.2 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.4 7.5 7.6 8. 8.1 8.2 8.3 8.3.1 8.3.2 8.3.2.1 8.3.2.2 9. Jenseits der Arbeit: Sachzwang Familie? ................................................................... 317 Traditionelle Partnerschaften versus neue Familienformen? Familienkonstellationen von Führungskräften ........................................................... 319 Familiale Orientierungsmuster von Führungskräften: „Ich lebe mit meiner Frau und auch halb mit der Firma zusammen“................................................................... 324 „Und daß da noch ein bißchen Zeit für einen selber und die Familie bleibt“ Zeitliche Verfügbarkeit und außerberufliche Sphäre ................................................. 327 Das Verhältnis von Arbeit und Privatbereich............................................................. 327 Eigene Interessen - Der Freizeitbereich ..................................................................... 334 Zeitliche Verfügbarkeit für Partnerschaft und Familie .............................................. 339 Umgang der Führungskräfte mit privaten Ansprüchen im Unternehmen .................. 349 Veränderungen auf Seiten der Partnerinnen und deren Konsequenzen oder: „da brauchen sie eine Frau, die da mitmacht!“ ................................................................. 354 Resümee ..................................................................................................................... 369 Interessenorientierungen............................................................................................. 372 Die Besonderheit der Datenerhebung und ihre Konsequenzen.................................. 373 Manager und Verbände: eine exotische Verbindung?................................................ 374 Interessenorientierungen von Führungskräften im Strukturwandel ........................... 406 Klassische Themen kollektiven Interessenhandelns: Entgelt und Arbeitszeit ........... 409 Reorganisation und Interesse - Neue Lage, neue Antworten? ................................... 417 Neue Offenheit gegenüber kollektivem Interessenhandeln - Stimmen aus den Fallunternehmen ......................................................................................................... 421 Orientierungswandel: Befunde der schriftlichen Befragung...................................... 428 Schlußbemerkung: Zur Einordnung unserer Untersuchungsergebnisse..................... 449 Verzeichnis der Schaubilder ....................................................................................................... 486 Verzeichnis der Tabellen ........................................................................................................... 459 Literatur .................................................................................................................................. 464 13 1. Einleitung: Fragestellung und Ergebnisse im Überblick 1.1 Fragestellung Als wir 1992 die Unternehmen wieder verließen, die wir im Rahmen der Dezentralisierungsstudie (vgl. Faust u.a. 1995) unter die Lupe genommen hatten, war klar, daß der Wandel der Unternehmens- und Arbeitsorganisation noch in vollem Gange ist. In der Dezentralisierungsstudie hatten wir zwischen strategischer und operativer Dezentralisierung unterschieden, unser empirisches Augenmerk aber vor allem auf die Prozesse und Wirkungen operativer Dezentralisierung im Produktionsbereich gerichtet. Dennoch waren Prozesse der operativen Dezentralisierung zum Teil von vornherein in übergeordnete Reorganisationsprozesse eingebettet: Programme zur Reduzierung von Führungsebenen, Integration von Funktionsbereichen zu neuen Unternehmenseinheiten mit ganzheitlicher Geschäftsverantwortung, Reduktion von Stäben und zentralen Dienstleistungsbereichen etc.. Zum Teil entwickelte die operative Dezentralisierung eine Dynamik, die Veränderungen auf anderen Ebenen der Organisationen auslösten oder solche Initiativen beförderten. Diese Dynamik entfaltete sich über die Herausbildung neuer Koalitionen im Management, zum Teil auch unter Einschluß der Betriebsräte. Die Promotoren des Wandels konnten sich bei ihren Bemühungen zur „Revitalisierung“ der Unternehmen auf veränderte Leitbilder in den Managementdiskursen stützen, die Handlungssicherheit und Legitimation gegenüber den nicht unbeträchtlichen Widerständen von Verlierern und Konkurrenten im Management verschafften. Aber erst die tiefgreifende Wirtschaftskrise nach dem Vereinigungsboom, die in einigen Branchen wie der Automobilproduktion besonders scharfe Formen annahm, brachte den Rückenwind und die Triebkräfte für eine Radikalisierung des Organisationswandels, den wir in den späten 80er und frühen 90er Jahren in Pionierunternehmen in Ansätzen schon beobachten konnten und versahen ihn zusätzlich mit neuen Momenten, die heute unter dem nicht ganz treffgenauen Kürzel „marktgesteuerte Dezentralisierung“ firmieren (vgl. Arbeitskreis Organisation 1996; Sauer/Döhl 1997; Faust 1997). Zurückgehende Umsätze und Erträge alleine machen aber noch keine Krise aus; zu einer Krise verdichteten sich diese Anzeichen erst dadurch, daß sie auf eine grundlegende Wettbewerbsschwäche des Standorts und auf Mängel der vorherrschenden Methoden und Modelle von Organisation und Management zurückgeführt wurden. Wohl kaum ein Wirtschaftssachbuch der jüngeren Zeit hat eine solche Bedeutung für die Neuinterpretation der Managementpraxis gehabt wie die MIT-Studie in den frühen 90er Jahren (vgl. Braczyk/Schienstock 1996), wenn auch Lean Production und im Gefolge Lean Management nach relativ kurzer Zeit wieder von den Hitlisten verschwanden (vgl. Kieser 1996) und das Modell Japan nach dem Wiedererstarken der amerikanischen Konkurrenten durch „amerikanische“ Vorbilder und Managementkonzepte ersetzt wurde. Auch wenn nicht immer so klar ist, was die jeweils neuesten Managementkonzepte an positiver Orientierung bieten - was genau ist zu 14 tun - und inwieweit sie die Praxis anleiten, so ist doch unverkennbar, daß sich in den Jahren 1993 folgende in den Führungsetagen vieler Unternehmen gestützt auf die veränderten Managementdiskurse die Erkenntnis durchsetzte, daß etwas geschehen muß und daß eine, wenn auch nur grob umrissene, neue Wegrichtung einzuschlagen ist (vgl. auch Ortmann 1995). Da wir mit unserer neuen Studie zum Teil in die selben Unternehmen kamen, die wir schon in der Dezentralisierungsstudie aufgesucht hatten, war für uns die Dramatik der Veränderung, die sich auch in einem anderen „Ton“ und „Klima“ ausdrückte, ganz sinnfällig. Bestimmte Organisations- und Führungsstrukturen, die uns noch einige Zeit zuvor als sakrosankt geschildert wurden, weil sie durch mächtig erscheinende Koalitionen aus Bremsern und Gegnern des schon angedachten Wandels geschützt schienen, wurden nun „quasi über Nacht“ wie es ein Manager ausdrückte - delegitimiert und abgeschafft. Schon in der Dezentralisierungsstudie interessierten wir uns für die Wirkungen des Organisationswandels auf Strukturen, Rollen und Koalitionen im Management. Ein wichtiges Ergebnis der Studie war, daß die Wirkungen im Management und damit auch die Bewertungen der Veränderungen unterschiedlich ausfielen. Es zeigte sich, daß der Rollenwandel des mittleren Managements mit der im Zuge des „Lean Management“ aufkommenden Opfer-Rhetorik alleine jedenfalls nicht adäquat erfaßt werden kann (vgl. Faust u.a. 1994). Als wir in einigen Pionierunternehmen die sich herausbildenden neuen Führungsrollen im mittleren, zum Teil auch im unteren Management, deren Träger nun beileibe nicht als Opfer zu kennzeichnen waren und die sich auch selbst eher als Gewinner des Organisationswandels sahen, mit dem Begriff des Intrapreneurs zu fassen suchten, erschien uns dies als ein mutiger Interpretationsschritt. Wir versuchten damit erst einmal nur die Unterschiede zu markieren, die die Akteure selbst im unabgeschlossenen Prozeß der Neudefinition von Führungsrollen in Abgrenzung von den im Rückblick stilisierten und mit negativen Konnotationen versehenen bisherigen Rollen - machten (vgl. auch Deutschmann u.a. 1995). Sie taten dies auch damals nicht im luftleeren Raum, sondern bezogen sich auf Leitbilder, die in der praxisnahen betriebswirtschaftlichen Literatur und im Management- und Beraterdiskurs gehandelt wurden. Allerdings hatten wir damals noch keine Vorstellung davon, welchen Stellenwert das Leitbild des „internen Unternehmertums“ in den Folgejahren in den Reorganisationsprozessen erhalten würde und in welchem Ausmaß es zum Bezugspunkt für den Rollenwandel im Management werden sollte (vgl. u.a. Bitzer 1991; Regenhard 1995). Je gewichtiger Organisationskonzepte werden, „die das vorherrschende Managementbild der zentralen Planung durch eine auf Bereichsautonomie, Eigenverantwortung und Marktdruck setzende Konzeption ablösen wollen“ (Frese 1996, 270; vgl. auch Moldaschl 1997, 30), desto mehr Gewicht bekommt die Frage, wie der „passende“ Manager dazu beschaffen sein muß und nicht nur, wie viele man zukünftig noch brauchen wird. Uns drängten sich nach Abschluß der Dezentralisierungsstudie auch aufgrund der vielfältigen Indizien über den Fortgang der Entwicklung aus anderen Quellen eine Reihe von Forschungsfragen auf, die das Zentrum der vorliegenden Arbeit bilden. 15 Der Schwerpunkt der Untersuchung verschiebt sich gegenüber der Dezentralisierungsstudie auf die subjektive Wahrnehmung und Interpretation der Arbeits- und Berufssituation und ihrer Veränderungen durch die Führungskräfte. Die Kernfragen lauten: • Wie nehmen Führungskräfte der unteren und mittleren Ebenen den Wandel der Anforderungen und zentraler Dimensionen ihres Beschäftigungsverhältnisses wahr? • Wie bewerten sie ihre Arbeits- und Berufssituation und deren Veränderungen? Oder anders formuliert: Wie integrieren sie sinnhaft die veränderten Bedingungen und Anforderungen vor dem Hintergrund biographisch (unterschiedlich) geprägter Erwartungen (Berufsorientierungen) oder scheitern gegebenenfalls daran? • (Wie) gelingt es ihnen, die (veränderten) beruflichen Anforderungen vor dem Hintergrund unterschiedlicher, womöglich sich wandelnder Berufsorientierungen in das Konzept alltäglicher Lebensführung zu integrieren (vgl. Voß 1996)? • Wie definieren sie in diesem Kontext ihre Interessen (gegebenenfalls auch neu) und welche Strategien des Interessenhandelns verfolgen sie dabei? Ziehen sie auch andere kulturelle Muster der Interessenvertretung in Betracht, die durch veränderte Angebote der Interessenartikulation durch kollektive Vertretungsorgane oder Verbände angeboten werden oder sich neu entwickeln? Anforderungen an die Anlage der Untersuchung Um diesen Fragen nachgehen zu können und dabei dem spezifischen Charakter des Organisationswandels gerecht zu werden, waren zwei Gesichtspunkte hinsichtlich der Anlage der Untersuchung zu berücksichtigen. (1) Zunächst mußten wir sicherstellen, die Situation von Führungskräften, die dem skizzierten Typ von Organisationswandel ausgesetzt sind, zu erfassen. Dies war über die Auswahl der Befragten bzw. der Fallauswahl der einzubeziehenden Unternehmen zu gewährleisten. Für die schriftliche Befragung nutzten wir grobe Indikatoren für die Ausprägung des organisatorischen Wandels, um die Unterschiede, die dem organisatorischen Kontext zuzurechnen sind, zu erfassen. Die subjektiven Wahrnehmungen und Deutungen der Situation zu erhalten, war nur über in die Tiefe gehende Interviews vom Typ des „problemzentrierten Interviews“ (Witzel 1982) möglich. In diesen wird über die Generierung narrativer Sequenzen den Befragten die Möglichkeit gegeben, ihre eigenen Relevanzen zum Tragen zu bringen, ohne daß wir auf eine Fokussierung auf unsere Forschungsfragen und leitenden Annahmen und auf bestimmte Mindestansprüche an Vergleichbarkeit verzichten müssen. Die nach der Erstauswertung der qualitativen Interviews konzipierte schriftliche Befragung sollte die Möglichkeit eröffnen, systematischer zu prüfen, wie sich die Arbeits- und Berufssituation unter unterschiedlichen Kontextbedingungen 16 verändert, aber auch durch welche biographischen Einflußfaktoren die Bewertung der Situation und die Interessenorientierungen beeinflußt werden. Dies setzte eine breiter angelegte und differenzierte schriftliche Befragung voraus (vgl. Kapitel 2). (2) Zum zweiten legten unsere Erfahrungen aus der Dezentralisierungsstudie nahe, den Kreis der einzubeziehenden Führungskräfte weit zu fassen. Der Typ von Organisationswandel, den wir vor Augen hatten, schien dadurch gekennzeichnet, daß die Anforderungen und Rollen von Führungskräften des gesamten Spektrums eines weit gefaßten „mittleren“ Managements verändert werden, und daß es dabei durch die Dezentralisierungsprozesse und die Neuorganisation der Führungsstrukturen zu einer Verschiebung oder Verflüssigung von Grenzen zwischen bisher für trennscharf gehaltenen „sozialen Kreisen“ innerhalb des Managements kommt. Ferner war wegen der Funktionsintegration und Prozeßorganisation mit erheblichen Veränderungen von bislang stabilen Funktionsprofilen und Machtverschiebungen zwischen Funktionen zu rechnen. Aus diesen Gründen bezogen wir zum einen neben dem unteren, unmittelbar operative Beschäftigte führenden Management das weit gefaßte mittlere Management ein, das die ganze Bandbreite von Führungskräften unterhalb der strategischen Ebenen (Vorstand/Geschäftsführung; Geschäftsbereichsleitung) umfaßt (vgl. näher Kapitel 2).1 Zum anderen berücksichtigen wir bei der Auswahl das ganze Funktionsspektrum des Managements in Linie und Stab. Diese Untersuchungsanlage und Auswahlentscheidungen eröffneten uns die der „Sache“ und den Fragestellungen angemessenen Differenzierungsmöglichkeiten, um die Widersprüchlichkeit und Ambivalenz der Prozesse zu erfassen. Diese Möglichkeiten traten uns aber dann in der Auswertung des Forschungsmaterials und namentlich in der Darstellung der Ergebnisse als unabweisbar erscheinende Differenzierungsnotwendigkeiten wieder entgegen, die nicht immer nur Freude machten. Das Volumen des vorliegenden Buches ist auch den vielen differenzierten Einblicken geschuldet, die der „Sache“ angemessen sind. Status der Aussagen Zwei Vorbemerkungen über den Status der Aussagen, die wir uns zu treffen in der Lage sehen, sind eingangs erforderlich. 1 Um die dennoch vorhandenen Differenzierungen innerhalb dieser Gruppe zu erfassen, unterscheiden wir in der schriftlichen Befragung zusätzlich zwischen „oberem“ und „mittlerem“ Management. Wenn in der Darstellung im folgenden diese Begriffe Verwendung finden, beziehen sie sich auf diese weite Definition des „mittleren“ Managements. Das obere Management umfaßt auch Führungskräfte, die in der Unternehmensterminologie zum „oberen Führungskreis“ gehören, aber nicht zur strategischen Spitze. Aber alle diese Abgrenzungen sind insofern im Fluß, als die Dezentralisierung und Funktionsintegration eine Reihe von Positionen des oberen, manchmal auch des mittleren Managements „strategischer“ macht. 17 Zum einen wollen wir unsere Aussagen auf den Wirklichkeitsausschnitt begrenzen, den wir in den Blick bekommen haben. Über die genaue Beschreibung unserer Untersuchungseinheiten ermöglichen wir eine Überprüfung, wofür unsere Befunde stehen. An geeigneter Stelle (vgl. Kapitel 2 und 5) führen wir jeweils ein, wie sich das Vorgefundene in größere Zusammenhänge einordnet. Wenn wir im folgenden für die Darstellung unvermeidlich verkürzende Redeweisen verwenden und ohne nähere Präzisierung von „Organisationswandel“ oder „Führungskräften“ sprechen, dann sind diese Aussagebegrenzungen mitzudenken. Zum anderen ermöglicht unsere Untersuchung nicht mehr als eine zeitlich etwas gestreckte Momentaufnahme. Die dadurch bedingte Aussagebeschränkung versuchen wir durch möglichst genaue Angaben der Randbedingungen, durch die fallweise Einbeziehung historischer und internationaler Vergleichsmöglichkeiten und durch theoretische Einordnung und Interpretation in geeigneter und verantwortbarer Weise zu überwinden. Ob uns das gelungen ist, kann letztlich nur die Würdigung unserer Ergebnisse und Interpretationen im Kreis der Fachkollegen und der weiteren interessierten Öffentlichkeit erweisen. Dennoch sind auch wir nur Anbieter des „vergänglichen Gutes der Interpretation“ (Beck). Organisationen und die darin Handelnden beobachten und interpretieren fortlaufend die Bedingungen und Folgen ihres Handelns (nicht erst seit die Rede von der „lernenden Organisation“ aufgekommen ist) und verändern dadurch womöglich im Fortgang der Ereignisse ihre Orientierungen. Sie ziehen andere Handlungsoptionen in Betracht, wobei sie auf wiederentdeckte Stärken ihrer früheren Praxisformen und auf neue Deutungsangebote aus ihrem institutionellen Kontext zurückgreifen. Ob unsere Deutungsangebote, die wir den Akteuren selbst in erheblichem Umfang zurückgespiegelt haben2, darin eingehen, können wir nicht wirklich wissen, hoffen es dennoch. So kann es sein, daß unsere Deutungsangebote selbst dazu beitragen, sich „vergänglich“ zu machen. Hinsichtlich mancher Befunde erscheint uns dies wünschenswert. Die leitenden Annahmen und Begriffe unserer Untersuchung, die auf Angebote vor allem aus Industriesoziologie, Berufssoziologie und sozialwissenschaftlicher Managementforschung Bezug nehmen, haben wir an anderer Stelle schon dargestellt (vgl. Faust/Jauch 1993). Explizit wollen wir dies nur dort noch einmal aufgreifen, wo uns Präzisierungen oder Korrekturen notwendig erscheinen. Wir beginnen mit einer an den Forschungsfragen orientierten Darlegung des Gangs unserer Untersuchung und verbinden dies mit der Darstellung zentraler Ergebnisse 2 Die Rückmeldung von Zwischen- und Endergebnissen ist nicht nur unumgängliche Gegenleistung für Gewährung des Zugangs und die erheblichen Zeitaufwendungen, die mit unserer Untersuchung für die Unternehmen und Befragten verbunden waren, sondern auch ein eigener Forschungsschritt zur Verbesserung der Erhebungsinstrumente und zur Absicherung der Interpretationen. In den Untersuchungsunternehmen wurden zum Teil mehrfach und vor verschiedenen Kreisen von Akteuren sowohl Zwischen- wie Endergebnisse zur Diskussion gestellt, darüber hinaus auch in Foren interessierter Verbände und anderer Unternehmen.