24.08.1931, Noether an Hasse, Postkarte Inhalt: Antwort auf H.s Anfrage betr. Konstruktion zyklischer zerfallender verschränkter Produkte. Levitzkis Konstruktion. DMV-Tagung in Elster. Tod von Herbrand. Rantum(Sylt), 24. 8. 31 Lieber Herr Hasse! Vielen Dank für Ihren Brief! Natürlich kann ich Ihre Frage auch nicht beantworten – ich glaube man muß so etwas liegen lassen bis man von anderer Seite selbst darauf stößt – aber da Sie neue Ideen dazu haben wollen, sind Ihnen vielleicht Bemerkungen von Levitzki nützlich. Levitzki konstruiert, ausgehend von den Matrizeneinheiten cik , direkt “vollständig zerfallende verschränkte Produkte” mit zyklischer Gruppe. Und da man vermutlich, wenn die Sache sich überhaupt direkt angreifen läßt, die Spuren-Normalform mit den Faktorensystemen in Verbindung bringen muß, kann diese Normalform bequem sein. Es ist die folgende: Sei gesetzt: d = c12 + c23 + ... + cn1 ; ei = cii ; dann wird die Basis des Matrizenrings gegeben durch: ei dλ (λ = 0, . . . , n − 1). Aus den Relationen für Matrizeneinheiten folgen die weiteren: ei d = dei+1 ; dn = 1; setzt man also:1) Z = e1 P+. . .+en P ; G = {d, d2 , . . . , dn−1 , 1}, so handelt es sich um das verschränkte zerfallende Produkt: Z× × G, wo jetzt die zyklische Gruppe G die Vertauschungen der Komponenten von Z erzeugt (solche Produkte sind ja in Ihrer amerikanischen Arbeit, bei teilweisem Zerfallen, auch vorgekommen). Man kann entsprechend jede Gruppe G realisieren: Seien die Matrizeneinheiten mit cS,T bezeichnet, wo PS, T unabhängig G durchlaufen; sei wieder cS,S = eS gesetzt. Setzt man dT = S∈G cS,ST , so ergeben die dT eine Realisation (mit Faktorensystem Eins), und der Matrizenring wird wieder gleich Z× × G; also mit eS dT als Basis. – Ob Sie das zu neuen Ansätzen führt, weiß ich natürlich nicht.2) Levitzki hat allgemeiner solche “normalen Produkte” betrachtet, wo die beiden Faktoren hyperkomplexe Systeme A und B; und nur Vertauschungsregeln statthaben: ab = ba 0 , wo a 0 mit a in A. Das kann für die Frage der Erweiterung von Gruppen wichtig werden.3) 2 Eine andere Bemerkung ist die, ob man nicht direkt nach der Minkowskischen Methode zeigen kann, daß bei Schiefkörpern die Diskriminante nach dem Zentrum immer ungleich Eins sein muß. Es wird doch hier alles so viel einfacher, daß mir die Gültigkeit auch bei algebraischem Zentrum – durch Normbildung – nicht ausgeschlossen scheint. Wenigstens bei rationalem Zentrum sollte man das doch einmal versuchen. Das Heranziehen der unendlich fernen Stellen neben den endlichen scheint doch an sich plausibel! 4) In bezug auf diophantische Gleichungen werde ich Ihnen und anderen Interessenten in Elster eine Arbeit von Korselt unterbreiten: er hat mir auch in einem Brief seine Methode auseinandergesetzt, und Blumenthal wünscht “wohlwollende Begutachtung”; aber meine Weisheit reicht doch nicht aus. Vielleicht ist er auch selber da; es handelt sich um drei binäre Formen.5) Mir geht der Tod von Herbrand nicht aus dem Sinn. Haben Sie gehört, daß er Ende Juli bei einer Besteigung in den französischen Alpen verunglückt ist? Sein Vater hat mir heute Genaueres geschrieben.6) Herzliche Grüße, Ihre Emmy Noether Anmerkungen zum Dokument vom 24.8.1931 1 Wie bei Noether üblich bedeutet P den Grundkörper. wissen nicht, welche Frage Hasse gestellt hatte. Da aber die Antwort Noethers ein Verfahren zur Konstruktion zyklischer zerfallender Produkte nennt, so ist anzunehmen, dass sich Hasse nunmehr mit einem Beweis des Lokal-Global-Prinzips für Algebren auseinandersetzt. Diese Annahme wird gestützt durch einen Brief, den Hasse kurz zuvor, nämlich am 27. Juli 1931, an Richard Brauer geschrieben hatte. Darin heißt es: “Ich möchte Ihnen gerne schreiben, wie die Sachlage mit der einzigen noch offenen Frage nach der Zyklizität aller normalen einfachen Algebren steht. Ich glaube nämlich, daß diese Frage jetzt angriffsreif ist, und möchte Ihnen die mir vorschwebende Angriffslinie vorlegen. . . ” Weiter schreibt Hasse, es sei leicht, zu gegebener normalen einfachen Algebra A einen zyklischen Körper zu konstruieren, der an allen Primstellen p ein Zerfällungskörper von Ap wird. Dadurch wird das Problem zurückgeführt auf das Lokal-Global-Prinzip für Algebren über Zahlkörpern. Hasse skizziert einen Weg, wie man dies vielleicht unter Zuhilfenahme seines früher bewiesenen Lokal-Global-Prinzips für quadratische Formen beweisen könnte. Ist ai eine Basis der betrachteten Algebra A, so definiert die Spurenmatrix sp(ai ak ) eine quadratische Form. Wenn A an jeder Stelle p des Grundkörpers zerfällt, so gibt es für jedes p eine Basistransformation, welche die vorgegebene Basis in ein System von Matrizeneinheiten transformiert, und dies bewirkt eine gewisse Transformation der quadratischen Form. Nach dem Lokal-Global-Prinzip für quadratische Formen gibt es dann auch eine entsprechende Transformation der quadratischen Form über dem gegebenen Grundkörper. Hasse fragt nun, ob und wie man an der speziellen Struktur dieser transformierten Spurform erkennen kann, dass die gegebene Algebra zerfällt. M. a. W. , man hat dann daraus eine Basis von Matrizeneinheiten über dem gegebenen Grundkörper zu konstruieren. Hasse weiß jedoch noch nicht, wie diese Konstruktion zustande gebracht werden könne und schreibt an Brauer: “Ich möchte diese Sache zur Überprüfung nach diesem Gesichtspunkt in Ihre Hände legen.” Da es auch im vorliegenden Noether-Brief um Konstruktion von Basen und Spurformen geht, so gehen wir wohl nicht fehl, wenn wir annehmen, dass Hasse einen entsprechenden Brief an Noether geschrieben hatte und wir nunmehr ihre Antwort darauf vor uns haben. – Was Brauer betrifft, so antwortete er am 3. 8. 1931. Zu Hasses Frage könne er zur Zeit nichts sagen 2 Wir . 24.08.1931, NOETHER AN HASSE, POSTKARTE 3 und müsse sich erst einarbeiten. Im Vertrauen auf Hasses eigene Schaffenskraft fügte er jedoch hinzu: “Ich hoffe, wenigstens so weit zu sein, dass ich alles verstehen kann, wenn Sie selbst die Lücke ausgefüllt haben werden .” 3 Levitzki hatte 1929 bei Noether promoviert; seine Dissertation wurde in der Mathematischen Zeitschrift publiziert [Lev:1931]. Die Arbeit über normale Produkte, auf die sich Noether hier bezieht, erschien in den Annals of Mathematics [Lev:1932]. 4 Die “Minkowskische Methode” bedeutet, wenn wir Noether richtig interpretieren, die Anwendung des Minkowskischen Satzes über Gitterpunkte in konvexen Körpern auf die Abschätzung der Diskriminante eines algebraischen Zahlkörpers. Dabei ist der Grundkörper der rationale Zahlkörper. Im vorliegenden Falle handelt es sich um Schiefkörper. Selbst wenn es gelänge, die “Minkowskische Methode” auf Schiefkörper auszudehnen, wäre damit nichts gewonnen, denn es handelt sich hier ja nicht (wie bei Minkowski) um die absolute Diskriminante des Schiefkörpers (also über Q), sondern um die Relativdiskriminante in Bezug auf sein Zentrum. Es müsste also noch ein Vergleich der absoluten Diskriminante des Schiefkörpers mit der Diskriminante des Zentrums hinzukommen. Offensichtlich sieht Noether diese Schwierigkeit, wenn sie schreibt, dass man das “wenigstens bei rationalem Zentrum doch einmal versuchen” sollte. Vgl.dazu die Anmerkungen in den folgenden Briefen, den “Siegelschen Beweis” betreffend. Immerhin ist zu berichten, dass es zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Briefes bereits Methoden aus der analytischen Zahlentheorie der Schiefkörper gab, aus denen das genannte Resultat über die Diskriminante hätte abgelesen werden können. Wir meinen die Dissertation [Hey:1929] von Käte Hey (1927) bei Artin in Hamburg. Dort wurde die Zetafunktion eines Schiefkörpers über einem Zahlkörper definiert. Der Vergleich dieser Zetafunktion mit der Zetafunktion des Zentrums, insbesondere ihrer Pole und Nullstellen, ergibt in der Tat, dass der Schiefkörper, wenn er nicht trivial ist, mindestens eine (sogar mindestens zwei) Verzweigungsstellen besitzen muss – dabei werden die unendlichen Stellen mit in die Betrachtung einbezogen. Allerdings wurde dies in der Dissertation von Käte Hey nicht explizit ausgesprochen. Außerdem gab es in der Dissertation Fehler, die jedoch von Zorn in den Hamburger Abhandlungen [Zor:1933] berichtigt werden konnten. Erst durch die genannte Note von Zorn, wurde es klar, dass die Ergebnisse von Hey-Zorn das Lokal-Global-Prinzip für Algebren implizieren. Es ist merkwürdig, dass das nicht schon vorher bemerkt worden war. Die Dissertation von Hey war bei den interessierten Mathematikern durchaus bekannt, obwohl sie niemals in einer mathematischen Zeitschrift publiziert worden war. Sie wurde als selbständige Publikation gedruckt, wie es damals für eine Dissertation vorgeschrieben war, und die gedruckten Exemplare wurden versandt. Zur Dissertation Hey vgl. den Artikel von Lorenz [Lor:2005]. 5 Von A. Korselt erschien 1936 in den Mathematischen Annalen (Bd. 112) eine Arbeit [Kor:1936] Korselts, in welcher er für eine numerisch gegebene elliptische Kurve ein Erzeugendensystem der rationalen Punkte bestimmt. Es ist möglich, dass es sich dabei um eine Neufassung des hier vorliegenden Manuskripts handelt, doch haben wir das nicht entscheiden können. – Korselt war Lehrer an einem Realgymnasium und hatte im Jahre 1904 bei O. Hölder in Leipzig promoviert. Im Hasse-Nachlass gibt es 14 Briefe von Korselt an Hasse aus den Jahren 1928-1931. 6 Jacques Herbrand hatte als Rockefeller-Stipendiat in den Jahren 1930/31 in Deutschland studiert, sowohl bei Emmy Noether in Göttingen, als auch bei Artin in Hamburg und Hasse in Marburg, sowie bei John von Neumann in Berlin. Ursprünglich hatte er sich mit mathematischer Logik beschäftigt, dann aber auch mit algebraischer Zahlentheorie und Klassenkörpertheorie, die er vornehmlich aus dem Klassenkörperbericht von Hasse gelernt hatte. (Siehe den Brief ∗ Noethers vom 8. 2. 1931.) Er hat wesentliche Beiträge zur Entwicklung der lokalen und globalen Klassenkörpertheorie geleistet. Alle Äußerungen über Herbrand von Emmy Noether, Artin und Hasse zeigen, dass er wegen seiner Leistungen, aber auch wegen seines freundlichen und aufgeschlossenen Wesens sehr geschätzt wurde. Sein plötzlicher BergsteigerTod hat große Bestürzung ausgelöst, wie wir es hier auch aus dem Brief von Emmy Noether entnehmen können. – Übrigens war Hasse bereits unmittelbar nach Herbrands Tod darüber von unterrichtet worden. Es gibt einen Brief von André Weil an Hasse vom 4. 8. 1931, in dem es heißt: “Sehr geehrter Herr Professor! Ich muss Ihnen leider eine sehr betrübende Nachricht 4 mitteilen, die des Todes Jacques Herbrands, der vor wenigen Tagen bei einer Bergbesteigung im Dauphiné tödlich verunglückt ist. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, welchen Verlust dieser Tod für die Wissenschaft und besonders für die Zahlentheorie bedeutet. . . ”