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Hessischer Rundfunk
hr2-kultur
Redaktion: Dr. Regina Oehler
Wissenswert
Tauwetter in Alaska –
die Folgen des Klimawandels am Nordpol
Von Pia Zimmermann
Freitag, 19.11.2010, 08.30 Uhr, hr2-kultur
Sprecherin: Pia Zimmermann
Übersetzungen: Petra Fehrmann, Inken Henkel, Arne Kapitza, Jochen Nix, Utz Thimm
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COPYRIGHT:
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O-Ton: 1
Eis singt
Sprecherin: Das ist die Musik der Arktis. Das Eis singt und die Pracht der eisigen Welt im
Norden unseres Planeten wird hörbar:
O-Ton: 2
Hubberten (deutsch)
Man sieht wie die Eisschollen sich übereinanderschieben, das Wasser darüber
schwappt und die tollsten Farben entstehen, schwarz, blau, grün… und das
alles begleitet von dem ständigen Krachen und Kreischen und dem Lärm, den
diese Schollen erzeugen, wenn sie sich in einem Strom bewegen (Atmo)
Sprecherin: Prof. Hans Wolfgang Hubberten vom Alfred Wegener Institut für Polar- und
Meeresforschung ist fasziniert von der Arktis, die er erforscht und mit dieser
Faszination ist er nicht alleine. Martin Sommerkorn, im WWF international
Leiter des Arktis Programms genießt die Welt des Eises so:
O-Ton: 3
Sommerkorn (deutsch)
Wenn man mit den Kajak unterwegs ist und plötzlich taucht neben einem ein
Narwal auf und schaut einen an, während man auf einer Eisscholle etwas
weiter weg einen Eisbären sieht, das ist faszinierend, dahin will man immer
wieder zurück.
Sprecherin: Es ist November. Es ist wieder kalt in Alaska. Das Eis wächst und der Schnee
fällt. Der Winter versucht sich zurückzuholen, was der warme Sommer 2010
gestohlen hat. Gletscher haben Eis verloren und das Meer war fast eisfrei, nicht
nur in der Beringstraße, sondern auch im Norden, in der Chukchi- und der
Beaufort-See. Die Eisfläche hat 2010 in der Arktis ihre geringste Ausdehnung
seit Beginn der Messungen. Guy Adema, Gletscher Spezialist der Denali
Nationalpark Verwaltung untersucht die Gletscher seit Jahren und liefert
konkrete Zahlen:
Seite 3
O-Ton: 4
Adema (englisch) „Things are changing … fairly dramatic.“
Die Dinge ändern sich –was wir hier beobachten, das ist der Rückzug seit dem
Ende der letzten Eiszeit. Und dieser Rückzug hat sich in den vergangenen 10
bis 20 Jahren massiv beschleunigt. Man sieht es vor allem an den Gletschern
der Küste. Dort verlieren die Gletscher zwei Meter pro Jahr, sie werden immer
dünner, es ist dramatisch.
Sprecherin: Dramatisch ist dieser Rückgang des Eises vor allem für die Tiere im arktischen
Meer. Eisbären wie Walrösser finden keine Eisschollen mehr. Die Eisschollen
aber tragen sie, wenn sie draußen im Meer auf der Jagd nach Nahrung sind.
Eisschollen sind ihre Ruheinseln. Ohne diese Eisschollen bleibt ihnen nur die
Küste, Tausende von Walrössern sammeln sich zum Beispiel an der Küste, am
Point Hope, im Nordwesten Alaskas.
Atmo:
Walrösser
O-Ton: 5
Vladilen (russisch)
Das Eis vor der Küste geht immer weiter zurück, und es sind Tausende von
Tieren, die an der Küste zusammenkommen, und sie haben sichtlich Stress.
Das geht so weit, dass sie sich gegenseitig umbringen. Wir versuchen, das zu
verhindern, aber das ist nicht einfach.
Sprecherin: Vladilen Kavriy ist aus Rykaipriy, einem kleinen Ort in Russland nach Alaska
gekommen. Hier trifft er sich mit Vertretern anderer Eskimostämme. Man kennt
sich, man lebt sehr ähnlich und es ist ja nur ein Katzensprung von Russland hier
mal eben auf die andere Seite der Beringstraße nach Alaska, dem 49igsten
Bundesstaat der USA. Man tauscht Erfahrungen mit der neuen Situation aus:
O-Ton: 6
Gordon (englisch) „Those of us … points of history.“
Wir jagen Walrösser, Jahr ein Jahr aus und wir sehen, dass es den Walrössern
schlecht geht. Das hat auch für uns Konsequenzen. Unser Lebensstil ist
abhängig von den Walrössern und wir können uns nicht wie die Politiker
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zurücklehnen und zusehen wie die Walrösser langsam zugrunde gehen. Das
bedroht auch uns, unsere Kultur.
Sprecherin: Gordon Wawaje ist in Alaska Jäger und er gehört zu einem Eskimostamm an der
Nordwestküste. Er hofft, dass sie die Situation in den Griff bekommen. Denn die
Entwicklung ist lebensgefährlich, für Walrösser, Eisbären und die Menschen im
Norden, erklärt Margaret Williams vom WWF Alaska und erzählt:
O-Ton: 7
Margaret (englisch) „And in 2006 … to protect people.“
2006 brachte ein Eisbär ein kleines Mädchen um. Also haben wir
Eisbärpatrouillen eingerichtet. In Russland wie in Alaska. Diese Patrouillen
sind erfolgreich. Sie schützen die Menschen vor den Eisbären, indem sie früh
genug Alarm schlagen. Und das schützt auch die Eisbären davor
abgeschossen zu werden, wenn sie dem Dorf zu nah kommen. Mit den
Menschen werden auch die Eisbären geschützt.
Sprecherin: Und der Schutz der Eisbären, wie der Walrösser schützt auch die Arktis selbst,
sagt Margaret Williams, die Leiterin des WWF Alaska Büros.
O-Ton: 8
Margaret (englisch) „We have lost something … so goes the Arctic.“
Wir verlieren die Symbole der Arktis. Genau wissen wir nicht, was in diesem
Lebensraum passiert, wenn diese Schlüsselarten verschwinden. Wir wissen
aber, dass es massive Auswirkungen auf die Robben und dann auch auf die
Fische haben wird. Also: die Arktis wird sich grundlegend verändern und eines
ist klar: Verschwindet der Eisbär – verschwindet auch die Arktis.
Sprecherin: Dieses kalte Meer ist außergewöhnlich artenreich. Dieser Artenreichtum wird
durch das Schmelzen des Eises bedroht. Es werden neue Schiffahrtswege frei
und die Schiffe, die durch die kürzere Nordwestpassage, die Beringstraße,
fahren, bringen Müll und Abwasser mit. Außerdem wird die Industrie verstärkt
nach Öl und Gas bohren. Das wird das Gewässer schwer belasten. Vladilen
Kavriy schüttelt den Kopf
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O-Ton: 9
Vladilen (russisch)
Mit der Öffnung der Nordwestpassage wird auch die Ölindustrie in der Arktis
mehr Öl fördern. Die Ressourcen werden gehoben und das wird das Meer
verändern. Unfälle wie im Golf von Mexiko sind hier nicht beherrschbar,
sondern zerstören unsere Lebensgrundlage. Das ist nicht akzeptabel, wir
fordern etwas mehr Respekt vor der Natur.
Sprecherin: Respekt vor ihrer Schönheit und ihrer Macht, die man in Alaska spüren kann,
wenn man in der Wildnis mit sich und der Natur alleine ist. Alaska ist fast
fünfmal so groß wie Deutschland und hat nur knapp 700.000 Einwohner. Wer
hier zuschaut wie Elche in der Dämmerung durch einen seichten See laufen
oder ein Seeadler durch die Luft schwebt, dem kann die Stille der Natur zu
einem Augenblick der Ewigkeit geraten.
Atmo:
Wind
Sprecherin: Die Luft ist kühl, strahlender Sonnenschein, und nur um den Mount Mc Kinley
tanzen einige Wolken wie ein Heiligenschein. „Denali“, der Große, wird der
höchste Berg Nordamerikas genannt. Er thront mit seinen 6194 Meter über
Allem: den Bergen mit ihren Gletschern, den breiten Tälern mit der baumlosen
Tundra und dem borealen Wald in der arktischen Region. Am Fuße des Mount
Mc Kinley hat Pam Sousanes, die Klimaexpertin der Denali Nationalpark
Verwaltung ihren Arbeitsplatz:
O-Ton: 10
Pam (englisch) „I think, I have … untouched areas.“
Es ist einer der besten Arbeitsplätze der Welt, einfach phänomenal in solchen
Gebieten wie hier in Denali, in der Arktis in dieser unberührten Natur, zu
arbeiten.
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Sprecherin: Die Ökologin des Denali Nationalparks ist zuständig für die Klimadaten, die im
Park gesammelt werden: In Messstationen, die im Park verteilt sind, werden an
365 Tagen im Jahr, in jeder Stunde und in jeder Minute, Daten erfasst und
gespeichert: Windgeschwindigkeit und Windrichtung, Temperatur und
Luftfeuchtigkeit, Niederschlag und Sonneneinstrahlung. Die Daten sind
eindeutig, sagt Pam:
O-Ton: 11
Pam (englisch) „Climate change is reality … adding to the big picture.“
Der Klimawandel ist Realität: Gerade hier in Alaska kann man die Dinge
sehen, die sich verändern, wenn die Temperatur ansteigt. Die Veränderungen
im Klima, bei den Gletschern, der Vegetation. Vor allem im Winter und im
Frühling wird es wärmer. Dafür gibt es auch natürliche Gründe, aber eine
Menge dieser Veränderungen ist menschengemacht, ist verursacht durch den
massiven Anstieg des Treibhausgases CO2.
Atmo:
Auto fährt
Sprecherin: Pam fährt das letzte Mal in diesem Jahr in die Berge. In den kommenden acht
Monaten wird sie nicht mehr zu den Messstationen kommen. Im eisigen Winter
Alaskas ist die Straße in die Berge vereist und unter Schneemassen vergraben.
Noch wirkt in Alaska auf den Laien alles so wie immer. Grizzlys sind in der
offenen Landschaft unterwegs, Karibus und Wölfe streifen durch die Tundra.
Eines allerdings fällt auf: Ungeheuer viel Geröll bewegt sich vom Gipfel der
Berge langsam in die Täler. Auch unter der pudrigen Schicht Schnee kann man
das steinerne Meer, das sich vom Gipfel ins Tal bewegt, erkennen. Pam
Sousanes, die Klimaexpertin erläutert wie es zu dieser katastrophalen Erosion
kommt.
O-Ton: 12
Pam (englisch) „It’s a dynamic landscape … open up.“
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Das ist eine dynamische Landschaft, Erosion gehört zum ganz natürlichen
Prozess. Die großen Flüsse, man sieht hier die breiten Flussbette, die Flüsse
bringen eine Menge Geröll von oben mit nach unten. Aber das Problem hier
ist, dass der Permafrost, der eisige Grund in den Bergen, taut, und deswegen
kommt es zu dieser katastrophalen Erosion.
Sprecherin: Noch wirkt Denali wie ein unberührtes Paradies, aber die Klimaerwärmung
fordert auch hier mitten in Alaska ihren Zoll: Berge erodieren, Gletscher
schmelzen und Wälder brennen, jedes Jahr im Sommer. Jedes Jahr verliert
Alaska Tausende von Quadratkilometern Wald. Alaskas Landschaft verändert
ihr Gesicht. Alaska sitzt im Schwitzkasten des Klimawandels.
Atmo:
Feuer knistern Flammen lodernd
Sprecherin: Anfang Juni des Jahres 2010 roch es in Fairbanks, der zweitgrößten Stadt
Alaskas nach Rauch. Im Sommer diesen Jahres brannte es rund um die Stadt
und wenn Larry Hinzman, der Direktor des Internationalen ArktisForschungszentrums, am Fenster seines Büros steht und auf die weite
Landschaft schaut, sieht er die Folgen des Klimawandels:
O-Ton: 13
Hinzman (englisch) „Oh yes, we’re having … it was before the fire.“
Oh ja, wir haben in diesem Jahr ungeheuer heftige Feuer gehabt. Wir haben in
den ersten drei Tagen im Juni mehr Wald verloren als im gesamten letzten
Jahr. Wir haben in den vergangenen sechs Jahren 20% des Waldes in Zentral
Alaska verloren. Die Folgen sind verheerend für unseren Staat, das Klima wird
wärmer, das Ökosystem, die Landschaft ändert sich rasend schnell und nach
den Bränden ist nichts mehr wie es mal war.
Sprecherin: Der für die Arktis so typische Wald mit seinen Schwarz- und Schimmelfichten,
den amerikanischen Lerchen und dem Lebensbaum kommt nicht mehr zurück.
Alaska verändert sein Gesicht, und das hat Folgen für die Menschen. Was in
Alaska geschieht, hat Auswirkungen weltweit, betont Theresa Hallingworth. Sie
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ist Ökologin an der Universität Fairbanks und sie weiß sehr genau wie
zerstörerisch die Feuer im Wald um den nördlichen Polarkreis sind. Diese
Feuer brennen nicht nur die Bäume ab, sondern fressen sich auch durch die
meterdicke Schicht Moos am Boden. Dabei werden Milliarden Tonnen des
Treibhausgases CO2 freigesetzt.
O-Ton: 14
Theresa (englisch) „You know, the boreal forest … pretty big deal.“
Man muss sich klar machen, der boreale Wald speichert 40% des weltweit
gebundenen Treibhausgases. Das ist eine ungeheuer große Menge, wenn das
in die Atmosphäre geht, dann hat das weltweit Auswirkungen, auch auf
Menschen in Deutschland oder in Honolulu.
Sprecherin: Dieses CO2 heizt das Klima noch weiter auf, die Gletscher schmelzen noch
schneller und der Meeresspiegel steigt noch dramatischer und zwar weltweit.
Der Permafrostboden taut und in Alaska bricht der Boden ein. Die
Wissenschaftlerin Nancy Fresco.
O-Ton: 15
Nancy (englisch) „My home is built … frozen ground.“
Mein Haus ist auf Permafrost gebaut und wenn der taut, dann wird es nicht
nur nass, sondern auch sumpfig und das Haus versinkt im Schlamm. Das
Problem bekommen dann auch Straßen und die Ölpipeline hier in Alaska: das
trifft jeden, denn alles steht hier auf Permafrostboden.
Sprecherin: Die Ölpipeline geht vom Norden Alaskas über knapp 1300 Kilometer in den
Süden und transportiert das in der Beaufortsea im Norden Alaskas geförderte
Öl in den Süden nach Valdez. Die Betreiber dieser Ölpipline müssen sich auf die
Klimerwärmung und den tauenden Permafrostboden vorbereiten. Nancy
Frescos Institut SNAP berät Investoren, Kommunen und die Regierung. Für alle
wird es teuer, sagt sie:
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O-Ton: 16
Nancy (englisch) „When engineers are … like a pipeline.“
Egal was geplant wird, das Risiko muss mit auf die Rechnung und es kann
eine teure Angelegenheit werden, wenn man gegen das Absinken des Bodens
ankämpfen muss, zum Beispiel beim Bau einer Pipeline.
Sprecherin: Über eines sind sich Wissenschaftler und Umweltschützer, Bürger und Politiker
in Alaska mittlerweile längst einig, sagt Margaret Williams vom WWF Alaska.
O-Ton: 17
Margaret (englisch) „The Arctic is … very important story.“
Die Arktis ist in einem simplen Sinn die Klimaanlage dieser Welt, was hier
geschieht hat Auswirkungen für uns alle. Wir werden das in unserem Leben
überall spüren, in unserem New York City. unserem Hamburg, unserem Paris.
Die Eisbären erzählen uns eine wirklich wichtige Geschichte.
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