März 2 0 02 N r. 16 7 Hilfswerk für die Sahelzone Altsein im Sahel: Überleben mit Nichts In dieser Ausgabe ✦ Überlebenskampf der Alten ✦ Fünf Container auf Reise geschickt ✦ «Bouillonaktion» 2001 www.morija.org Editorial: Inhalt Afrika: Bitteres Los für Betagte E s ist Abend, an Mittellose wird Suppe verteilt. Eine kleine, runzlige Frau versucht, sich zwischen Randständigen und Drogensüchtigen einen Weg zu bahnen. Es brauchte lange, bis sie sich durchringen konnte. Mit Siebzig zugeben zu müssen, dass man keine Wahl hat, ist nicht einfach! Ohne Essen kein Leben! Sie schämt sich ein wenig, doch da ist niemand mehr, der ihr helfen könnte, und die Invalidenrente genügt nicht. Hinter ihr, weitere Greise: in der eisigen Nacht, bei einem Teller Suppe und einem Stück Kuchen, teilen sie etwas Wärme. Alte Menschen kennen auch in Afrika ein bitteres Los. Wo doch noch vor nicht allzu langer Zeit die Alten als unerschöpfliche Quellen der Weisheit galten. «Alte» – in Afrika ein durchaus positiver Begriff – wurden früher von ihrer Familie umsorgt. Altsein war ein Statussymbol und die Lebenserfahrung der Alten machte sie zu ehrwür- digen, geschätzten Lebensberatern. Heute werden die Familienbande immer lockerer. Das Elend treibt die Jungen in die Städte, mit der Hoffnung auf besseres Leben, Arbeit und Geld. Die Alten werden mit dem Etikett «zusätzlich zu stopfender Mund» versehen. Viele betagte Menschen sind völlig sich selbst überlassen, eine wahre Tragödie, wenn man bedenkt, dass ihre einzige Altersversicherung die Familie ist. Einige haben HILFSWERK FÜR DIE SAHELZONE En Reutet 1868 Collombey-le-Grand Tel. 024/472.80.70 Fax 024/472.80.93 E-Mail : [email protected] PC 19-10365-8 seit Jahren keine Nachrichten von ihren in die Stadt abgewanderten Kindern, und müssen sich allein durchschlagen. Die einst geehrten Alten werden zu verachteten Bettlern degradiert. Um ihnen ihre verlorene Würde zurückzugeben, unterstützen sie unsere Zentren in Kaya (Burkina Faso) und in Koumra (Tschad) durch regelmässige Verteilung von Lebensmitteln und Kleidern. Altwerden in Burkina Faso (Seite 3) 35 Tonnen Lebensmittel und Material für den Sahel (Seite 5) Das Team von Morija «Suppentag» 2001: Begeisterter Einsatz der Freiwilligen (Seite 6) Ziel : Unterstützung der Ärmsten in Afrika, vor allem im Sahelgürtel, ohne Unterschied von Rasse oder Religion. Sitz : Collombey-le-Grand (VS) Revisoren : Treuhandbüro R. Künzlé SA – Monthey Redaktion : L’Avènement Romanel-sur-Lausanne Graphik : Zion Design Druck : Jordi AG Papier : chlorfrei und umweltfreundlich Damit sie leben... Der Preis des Jahresabonnements (CHF 25.–) stellt ein Minimum dar. Jede zusätzliche Spende ist willkommen, aber bitte, fühlen Sie sich frei! Monatszeitschrift der Vereinigung Morija. Zum Voraus besten Dank für Ihre Grosszügigkeit. 1979 gegründet, ohne Gewinnabsicht, gemäss Artikel 60ff des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs. Abonnement: CHF 25.– Altwerden in Burkina Faso . . . W ie andere Entwicklungsländer hat auch Burkina Faso wachsende Probleme mit der älteren Generation. Früher übernahm das solide Familiennetz die Rolle der Altersversicherung. Heute beschleunigen steigende Lebenskosten und Nahrungsmangel den Individualismus; zum Überleben gezwungen ziehen die Tauglichen in die Stadt. So findet man in den Städten auch Alte, die von morgens bis abends Sand oder Kies in die Gosse wischen, oder eine bittende Hand hinhalten. Im Laufe der monatlichen Verteilungsaktion im November 2001, erhielten 200 betagte Menschen Lebensmittelhilfe. Völlig mittellos, entbehren sie jeglicher anderweitigen Unterstützung. Ohne Kraft, das Feld selber zu bestellen, sind sie für ihre täglichen Bedürfnisse abhängig von Getreidehilfe. Glücklicherweise war die heurige Erntesaison besser als im Jahr 2000. Alter holt Hirse im HZW von Kaya Maman Baongo, 82-jährig Maman Baongo, so mager, und trotzdem immer noch am Leben Baongo Sawadogo wurde 1919 geboren und lebt in Kaya, im Nordosten von Burkina. Vor über dreissig Jahre liess sich ihr Mann von ihr scheiden, da fiel ihr die Sorge für ihre vier Buben zu. Drei verreisten auf Arbeitssuche an die Elfenbeinküste; von ihnen hat Maman Baongo schon seit Jahren nichts mehr gehört und weiss nicht, ob sie leben oder tot sind. Sie wohnt bei dem zurückgebliebenen Sohn, dessen vierzehn- und fünfzehnjährigen Töchter in die Stadt gegangen sind, um Arbeit zu finden. Während der Regenperiode bestellt Maman Baongo ihr «Hausfeld», das heisst, unmittelbar an ihren Hof angrenzendes Land. Eine Hüftbehinderung erschwert ihr das Gehen. Nach den Ernten spinnt sie Baumwolle, die sie dann auf dem Markt verkaufen lässt. Mit dem Erlös kauft sie sich Tabak und Cola, von den Alten hier oftmals geschätzte Artikel. Maman Baongo ist eine privilegierte Alte, da ihr Sohn sich um sie kümmert. Viele haben dieses Glück nicht – das sind die Menschen, die Morija unterstützt. Guétaouendé Sawadogo, HZW Kaya (Burkina Faso) Der Individualismus grassiert 3 .. . und im Tschad Heute gibt es zu Essen! Durch jahrelangen Hunger gezeichnet Es ist 7 Uhr morgens, eine alte Frau nähert sich dem Waisenhaus. In einer Hand trägt sie einen «léda» (Plastiksack), in der anderen einen Gehstab. Ihr Gang ist langsam und mühsam. Sie hat eben die Stadt durchquert. Beim Eingangstor angekommen setzt sie sich und bittet um einen Schluck Wasser. Ich trete zu ihr hin, wir grüssen uns, ein freundschaftliches Lächeln, da kommt schon die Nächste. Allmählich sind es neunzig «Alte», die hier zusammenfinden und auf die wöchentliche Verteilung warten. Viele von ihnen sind völlig allein, ohne Familie, die ihnen während den schwierigen Monaten vor der Erntezeit helfen könnte. Gewisse Grossmütter vertrauen mir an, dass sie seit fünf Tagen nichts gegessen haben. Doch heute ist Esstag! Man sieht, wie Freude und Dankbarkeit ihre durch jahrelanges Leiden gezeichneten Gesichter erhellt. Der Mittwoch ist für diese Alten ein spezieller Tag. Denn die Verteilungsaktion, so gering sie auch sein mag, rettet ihr Leben. Nathalie Gayrard MKS Koumra (Tschad) Arm und dennoch . . . Ein kleine, runzlige, gebückte, uralte Frau erscheint ab und zu im Hof. Sie hat keine Familie mehr, sie wohnt in einer kleinen Hütte, gebaut mit an einem Holzgerüst befestigten Strohmatten. Glücklicherweise gibt es neben diesem Bretterverschlag hilfsbereite Nachbarn, die sich um die Alte kümmern und ihr ab und zu auch übrige Klösse oder Brühe bringen. Ihre Hütte verlässt sie schon seit Langem nicht mehr; ihr Augenlicht begann abzunehmen und löschte schliesslich ganz aus. Beim Gehen leitet sie ihr Stock... alle zwei Wochen steht sie früh morgens auf und durchquert, ihr kleines Bündel auf der Schulter, die ganze Stadt. Im Waisenhaus angekommen grüsst sie uns und wartet dann, bis sie bei der Hirseverteilung an der Reihe ist. Als Araberin ist sie hocherfreut über ein wenig Milch, die zur Grundnahrung der Nomaden gehört. Manchmal klagt sie über hartnäckige Kopfoder Rheumaschmerzen. Hin und wieder ruft sie uns mit verschmitzter Miene, nimmt uns bei der Hand und führt uns etwas abseits. Mit einem Riesenlächeln übergibt sie uns dann unauffällig ein kleines Geschenk, ein Ei oder eine Zitrone. Dann zieht sie wieder ihre Strasse, ihr kleines Bündel Kostbarkeiten auf dem Kopf: Hirse, Milch, Seife, genügend für die nächsten Tage. Beim Weggehen sieht man ihr die Dankbarkeit an, nicht nur für das Essen, sondern auch für die über Monate gewachsene Anteilnahme und Freundschaft. Unsere kleine Alte ist arm, aber würdig; ihr Reichtum besteht nicht im Haben, sondern im soviel kostbareren... Sein! Mit strenger Miene sagte sie mir eines Tages: «Schau mal, mein Rock, er ist ganz alt und verlöchert. Kannst Du mir nicht Deinen geben? Der würde mir gut stehen, ich würde einen Gurt anziehen, damit er mir passt!». Agathe Burrus MKG Abéché (Tschad) Sie übergibt uns ein kleines Geschenk, ein Ei oder eine Zitrone Sie zieht ihres Wegs, auf dem Kopf ihr kleines Bündel 35 Tonnen Lebensmittel und Material für den Sahel E nde November vergangenen Jahres reisten fünf je 33 m3 grosse Container nach Afrika. Zwei waren bestimmt für den Tschad, zwei für Burkina Faso und einer für Kamerun. Im Ganzen wurden 35 Tonnen Milchpulver von der Schweizerischen Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit gespendet. Ausserdem wurden Medikamente, Kleidung sowie vor Ort unauffindbare Güter versandt. Ein zusätzlicher Container war für das Entbindungsheim bestimmt, das am 10. Februar 2002 im Gesundheitszentrum von Guider in Kamerun eingeweiht worden war: Betten, Gebärstühle und medizinisches Zubehör, der Europa Collombey Hafen von Genua Afrika Tschad Burkina Faso Ouagadougou Nobéré Abéché Kaya Togo Bettenverlad für das Entbindungsheim IGZ in Guider Grossteil von Schweizer Spitälern im Zuge einer Umstrukturierung abgetreten. In Afrika ist die durchschnittliche Sterblichkeitsrate der gebärenden Frauen 100 bis 200 Mal höher als in westlichen Ländern. Beweis genug für die Dringlichkeit des Neubaus eines Wöchnerinnenhauses und der Lieferung von Ersatzmilch für mutterlose Säuglinge. Nach einem echten Hindernislauf erreichten die Container nach etwa drei Monaten ihren Bestimmungsort: In Collombey verfrachtet, gelangten sie per Lastwagen bis zum Hafen von Genua, von dort per Schiff bis zum Hafen von Lomé (Togo) für Burkina und bis zum Hafen von Douala für Kamerun und Tschad. Nach zahlreichen Zollschikanen konnten die Container die Häfen verlassen und setzten ihre Reise per Zug oder Camion auf teils chaotischen Wegstrecken fort. N'Djaména Farendé Lomé Douala Guider Sahr Koumra Kamerun Ein langer Weg über das Meer, mit der Bahn und auf Strassen (etwa 6000 km), bevor die Waren am Bestimmungsort ankommen 5 «Suppentag» 2001: Begeisterter E A m Samstag, dem 24. November, fand unser traditioneller «Suppentag» statt. 65 Freiwillige sammelten Geld für Morija mit dem Slogan «2 Franken für eine Suppe, 30 Lebenstage für ein Sahelkind». An den dreizehn Ständen im Welschland wurden insgesamt CHF 15 342.– gesammelt; diese Summe macht es möglich, während einem Jahr an 640 Kinder eine tägliche Ration Hirse (200g) abzugeben. Sabrina Gressly verteilt Suppe vor der Coop in Aigle Stimmen von den Genfer Ständen Balexert und Eaux-Vives Anthony Linden Meyer, Confignon: Ich habe einen ausgezeichneten Morgen verbracht und freue mich schon auf’s nächste Jahr! Roselyne Bolay, Laconnex: Dieses Jahr liessen sich die Leute eher ansprechen, sie hatten auch mehr Fragen. Es macht mir immer neu Spass, Karten und Suppe zu verkaufen! Anne Hostettler, Sézenove: Gar nicht so einfach für einen Anfänger! Armand Gander, Confignon (9 Jahre): Fantastischer Tag! Ursula Balmer, Lully: Einmalige Erfahrung! 6 Gaby Windler am Stand im Coopzentrum in Prilly Junges Freiwilligentrio: Melanie Stettler, Angélique Chesaux, Sabrina Gressly Echo vom Migrosstand in Yverdon Der Tag verlief reibungslos, wohl auch dank dem gestaffelten Einsatz unserer Gruppen. Ich glaube, es hat allen gefallen, auch wenn es nicht immer leicht war. Die Leute machen oft mancherlei Ausflüchte, um nicht spenden zu müssen: sie gäben schon anderswo, sie seien knapp bei Kasse usw. Glücklicherweise gibt es auch die freudigen Geber, dank denen wir CHF 700.– sammeln konnten. Ein sehr ermutigendes Resultat, wenn man bedenkt, dass wir den Tag zubrachten mit der «Belästigung» von Supermarktkunden (ich scherze natürlich, wir blieben stets sehr höflich!). Besonders erfreut waren wir über zwei Buben, die aus Langeweile an unserem Stand verharrten und sogar mithalfen, Karten zu verkaufen. Marilyn Tschanz, Epautheyres Einsatz der Freiwilligen Guter Kontakt mit Passanten in Martigny Pierre Cavin am Stand von Martigny Unsere Freiwilligengruppen: Machen Sie mit! Viele haben sich bereits mit Herz und Hand für Morija eingesetzt... warum nicht Sie? Ist Ihnen Nächstenliebe wichtig, möchten Sie etwas tun für die Hungrigen, Durstigen und Leidenden dieser Welt? Wenn ja, dann zögern Sie nicht mehr! Treten Sie unseren Freiwilligengruppen bei! Kontaktieren Sie uns, gemeinsam bestimmen wir die Tätigkeit, die Ihren Fähigkeiten am besten entspricht: – Organisation eines Musik– Lotto oder Theaterabends – Verkauf von Patisserie – Sportlicher Anlass – Andere, Ihren Talenten – Frühstück oder Mittagessen entsprechende Aktivität Rufen Sie uns an auf Nummer 024 472 80 20 – Public Relations (weitere Kontaktstellen siehe Impressum S.2) Garagebetrieb stellt Morija-Kässeli auf Im Mai 2001 hatten wir in unserem Schaufenster ein Morijaplakat aufgehängt und beim Empfang zugunsten dieses Hilfswerks ein Spendekistchen aufgestellt. Und welch erfreuliche Überraschung: zwischen Mai und November sammelten wir ohne weiteren Reklamedruck auf unsere Kundschaft etwa 220 CHF! Für hiesige Verhältnisse vielleicht ein unbedeutender Betrag, in Ein Stand mit dampfendem Suppenkessel, ausgelegten Batikkarten und diversen von Handwerkern aus Burkina und Tschad gefertigten Gegenständen: Damit wollten wir an diesem Samstag, dem 24. November, im Migrossupermarkt von Martigny die eiligen Kunden anlocken. Aber es genügt nicht, einfach dazustehen und abzuwarten, bis sich eine wohlmeinende Seele nähert und interessierte Fragen stellt. So wiederholte ich praktisch den ganzen Tag diesen einen Satz: «Heisse Suppe – spenden Sie mit 2 Franken für die Kinder im Sahel!» Aber ist dieser Suppenverkauf eigentlich noch zeitgemäss? Am Samstagmorgen wird hierzulande spät aufgestanden, kaum aus dem Bett, hat wohl keiner Lust auf Suppe. Ab 11 Uhr wird es langsam Zeit für den Aperitif, dann für das Mittagessen mit feinem Nachtisch; da will man sich mit einer salzigen Suppe doch nicht den Appetit verderben! Gegen 15 Uhr verspüren wir Lust auf einen kleinen Imbiss, aber lieber etwas Süsses, bitte! Zwischen 16 Uhr und 17 Uhr sind wir pressiert, vor Ladenschluss gilt es noch letzte Einkäufe zu tätigen. Während einige Passanten unsere Bouillonaktion mitleidvoll belächeln, machen wiederum andere eine konkrete Geste, jedoch ohne den inzwischen kalt gewordenen Suppenbecher von meiner Hand zu nehmen. Wer keine Eile hat, bleibt stehen, sieht sich um und stellt ein paar Fragen. Unser Ziel ist nicht bloss Geld zu sammeln, sondern Vorübergehende auch zu sensibilisieren für die über zwanzigjährige Tätigkeit von Morija im Sahel. Es war ein unterhaltsamer, wenn auch ermüdender Tag. Allen, die im Einsatz waren, den Freiwilligen, den Behörden, welche die nötigen Bewilligungen erteilten, und vor allem der liebenswerten Bevölkerung von Martigny sei hier ausdrücklich gedankt. Pierre Cavin Drittweltländern dagegen eine Summe von grosser Tragweite. Nach gemachter Erfahrung möchten wir Firmen, Büros, Verkaufsläden ermutigen, in ihren Räumlichkeiten gleicherweise eine Morija-Sparbüchse aufzustellen. Besteht das Meer nicht aus einer Vielzahl Wassertropfen? Linda und Stéfanie Vogel Villeneuve Stéfanie Vogel vor der Garage in Villeneuve Die alte Eingeborene und die Missionarin E ine betagte Missionarin pflegte eine enge Freundschaft mit einer alten Eingeborenen. Eines Tages sagte die Missionarin zu ihrer Freundin: «Sag mir Dein Geheimnis: wie kommt es, dass Du in Deinem Alter noch so schöne Zähne hast?» Tatsächlich besass die hochbetagte Afrikanerin ein makelloses Gebiss. Sie brach in helles Lachen aus und antwortete der Missionarin: «Was nützt es, den Mund voll Zähne zu haben, wenn Du nichts zu kauen hast? Meine Liebe, Dein mangelhaftes Gebiss und etwas zu Essen wäre mir tausendmal lieber als mein perfektes Gebiss und ein knurrender Magen!»