Röttger, Friedhelm (2011/05) (PDF 191KB, Datei ist nicht barrierefrei)

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SCHLHAGLICHT
Meinungen I Thesen I Aspekte
Englisch als Gerichtssprache?
Globalisierungseuphorie oder Stärkung des Gerichtsstandortes Deutschland
Friedhelm Röttger, Jahrgang 1963,
verheiratet, 2 Kinder
Gelernter Bankkaufmann, Assessor bei der Deutschen Bank, seit
1994 Richter, seit 2003 Richter am
Oberlandesgericht, Mitglied des 5.
Zivilsenats mit Sonderzuständigkeit für das Bankrecht; Koordinator
der Mediationsabteilung des Oberlandesgerichts und Schriftleiter der
Schleswig-Holsteinischen Anzeigen
Am 7.5.2010 hat der Bundesrat – auf Initiative der Länder Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Hessen und
Niedersachsen – den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen (KfiHG, BR-Drucksache 42/10) beschlossen und mit entsprechender Empfehlung der Bundesregierung zur Beschlussfassung dem Deutschen Bundestag übersandt. Durch die Errichtung der Kammern
für internationale Handelssachen (KfiH) soll den Parteien bei Handelssachen mit internationalem Bezug
ermöglicht werden, das Verfahren vor speziellen Kammern der Landgerichte und den für Rechtsmitteln
zuständigen Senaten der Oberlandesgerichte in englischer Sprache zu führen (vgl. § 184 Abs. 2 GVG
Entwurfsfassung). Der Bundesrat erhofft sich, dass durch die Einrichtung der KfiHG bedeutende wirtschaftsrechtliche Verfahren angezogen werden, die bisher entweder vor Schiedsgerichten oder im englischsprachigen Ausland verhandelt wurden und dadurch der Gerichtsstandort Deutschland attraktiver gemacht bzw. gestärkt wird.
Noch steht in § 184 Abs. 1 Satz 1 GVG: „Die Gerichtssprache ist deutsch“. Von zwei kleinen Ausnahmen abgesehen (§ 184 Abs. 2 GVG für
das Recht der Sorben; § 185 Abs. 2 GVG Verzicht auf Dolmetscher, wenn die beteiligten Personen sämtlich der fremden Sprache mächtig sind)
bleibt es bei dem Grundsatz, dass Verfahren vor deutschen Gerichten nur in deutscher Sprache verhandelt werden.
Wer allerdings mit Handels- und Gesellschaftsrecht großer Konzerne oder zum Beispiel auch mit Unternehmenskaufverträgen zu tun hat,
weiß, dass das Englisch auf dem Vormarsch ist und vor allem internationale Wirtschaftsstreitigkeiten gerne in englischsprachige Länder verlagert oder vor privaten Schiedsgerichten (freie Vereinbarkeit der Verfahrenssprache gem. § 1045 Abs. 1 ZPO) ausgetragen werden. Der Gesetzesentwurf zur Einführung der KfiHG geht deshalb davon aus, dass durch die Einführung von Englisch als Gerichtssprache der Gerichtsstandort
Deutschland in hohem Maß an Attraktivität gewinnen wird und es im Hinblick auf den Justizhaushalt zwar zu überschaubaren Mehrkosten
(insbesondere für Fortbildung des richterlichen und nichtrichterlichen Personals) kommen wird, die jedoch durch das erwartete vermehrte Gebührenaufkommen (bei den vor den KfiH verhandelten Sachen soll es sich vornehmlich um solche mit erheblichen gebührenwirksamen Streitwerten handeln) „mehr als ausgeglichen werden“ (vgl. die Begründung des Gesetzesentwurfs BT-Drucksache 17/2163 vom 16.06.2010 unter
Ziff. III 1). Einen Vorgeschmack auf die geplante Neuregelung können Unternehmen bereits heute in Nordrhein-Westfalen erleben. Das OLG Köln
sowie die zu dessen Bezirk gehörenden Landgerichte Aachen, Bonn und Köln haben schon jetzt in ihren Geschäftsverteilungsplänen spezielle
Kammern und Senate eingerichtet, vor denen (aufgrund einer freiwilligen Gerichtsstandsvereinbarung) in der mündlichen Verhandlung Englisch
gesprochen werden kann.
Nichts gegen Englisch und die Absicht, Deutschland als Gerichtsstandort zu stärken. Auch das Argument, lukrative internationale Wirtschaftsprozesse künftig in Englisch vor deutschen Gerichten auszutragen, mag in Zeiten knapper Kassen zulässig sein. Allerdings sollte man
den Heimvorteil der deutschen Sprache im Zuge einer Globalisierungseuphorie nicht leichtfertig aufgeben. Es könnte sich bei dem Gesetzesentwurf nämlich auch um bloße Klientelpolitik zu Gunsten international ausgerichteter Konzerne und angelsächsischer Großkanzleien handeln.
Nach der Eurostat-Studie „Die Europäer und ihre Sprache“, die von November bis Dezember 2005 in der europäischen Union durchgeführt und
im Februar 2006 veröffentlicht wurde (vgl. Internet http://ec.europa.eu/education/languages/pdf) ist Englisch zwar die in Europa am meisten
gesprochene Fremdsprache (38 % aller EU-Bürger gaben an, über ausreichende Englischsprachkenntnisse zu verfügen, um eine Unterhaltung
zu führen), gleichzeitig ergab die Umfrage jedoch, dass die Bundesbürger in Deutschland nur zu 67 % eine Fremdsprache sprechen, d.h. immerhin 33 % verfügen über gar keine Fremdsprachenkenntnisse. Die Einschätzung der Länderinitiatoren, „in Deutschland gäbe es genügend
Richterinnen und Richter, die die englische Sprache – einschließlich des entsprechenden Fachvokabulars – hervorragend beherrschten und die
im Ausland sogar einen LL.M (Master of Laws) erworben hätten“, ist bislang nicht verifiziert. Entscheidend dürfte sein, ob die Richter auch tatsächlich in der Lage sind, in englischer Sprache verfasste Schriftsätze und Dokumente zu verstehen, eine mündliche Verhandlung in englischer
Sprache sicher zu führen und Beschlüsse und Urteile in englischer Sprache abzufassen. Gleiches gilt für die Fremdsprachenkompetenz des
nichtrichterlichen Personals z.B. im Rahmen der Protokollführung oder im Schreibdienst. Das amerikanische und das angelsächsische Recht
unterscheiden sich inhaltlich ganz erheblich vom deutschen Recht, mit der Folge, dass manche Rechtsbegriffe aus dem deutschen Recht
diesem Rechtssystem völlig fremd sind und es hierfür in der englischen Sprache an einem passenden Äquivalent fehlt. Die deutsche Muttersprache erlaubt hingegen demjenigen, der sie beherrscht, einen komplexen sprachlichen Ausdruck sowie eine relativ exakte Begrifflichkeit.
Die Sprache als Präzisionsinstrument darf der Richterschaft in Deutschland nicht genommen werden. Nur in der Muttersprache kommen die
Feinheiten des Satzbaus und der Wortwahl voll zur Geltung. Keinesfalls dürfen die Verhandlungsführung und die Qualität der Rechtsprechung
sowie die Klarheit richterlicher Entscheidungen unter Defiziten der Fremdsprachenkompetenz des richterlichen und nichtrichterlichen Personals sowie der Begrifflichkeit bei der Übersetzung leiden. Ob wirklich 2/3 aller Deutschen – wie die Eurostat-Umfrage ergeben hat – Englisch
so gut sprechen und verstehen, dass sie auch Gerichtsverhandlungen sicher folgen können, darf bezweifelt werden. Mit dem in Deutschland
weit verbreiteten „Denglisch“ lässt sich bestimmt weder ein juristisches Fachgespräch noch eine Gerichtsverhandlung mit den Feinheiten des
materiellen – und prozessualen Rechts ohne Inhalts- und Bedeutungsverlust führen. Außerdem ist die Durchführung eines Gerichtsverfahrens in
englischer Sprache wohl nur schwerlich mit dem Öffentlichkeitsgrundsatz (§ 169 GVG) vereinbar, wenn deutschsprachige Bürger beim Besuch
einer Gerichtsverhandlung in englischer Sprache nicht mehr folgen können. Immerhin würde man mit der neuen Regelung ca. 1/3 der deutschen
Bürger, die nach eigenen Angaben über keine Fremdsprachenkenntnisse verfügen, von der Teilnahme an solchen Gerichtsverhandlungen
ausschließen. Wenn auf der einen Seite „Profis“ sitzen (z.B. internationale Großkanzleien und sog. Global-Player, bei denen Englisch längst
Betriebssprache ist), könnte dies auch Fairness und Chancengleichheit vor Gericht beeinträchtigen. Denn wer mag schon zugeben, dass er
einen englischsprachigen Vertrag oder aber eine englischsprachige Gerichtsverhandlung nicht in vollem Umfang verstanden hat ? So haben
z.B. viele -sich der englischen Sprache mächtig fühlende – Stadtkämmerer ihre Fremdsprachenkenntnisse heillos überschätzt, indem sie sich
auf höchst komplizierte, englischsprachige Vertragskonstrukte und Finanzprodukte windiger Geschäftsmacher eingelassen haben und dadurch
ihren Kommunen großen Schaden zugefügt. Das Recht lebt von der Sprache, sie ist das Medium mit dem Recht gesprochen dem Bürger
vermittelt wird. Fremdsprachige Gerichtsverhandlungen und Entscheidungen deutscher Gerichte erhöhen das Risiko von Missverständnissen
und Fehlinterpretationen. Es hat auch nichts mit Provinzialität oder Rückständigkeit zu tun, sich dafür einzusetzen, dass die deutsche Sprache
auch künftig alleinige Gerichtssprache bleibt. Jedes Unternehmen hat das Recht, bei der Vertragsgestaltung und für den Fall einer gerichtlichen
Auseinandersetzung (38 Abs. 1 ZPO) das Recht oder den Gerichtsort frei zu wählen. Das deutsche Zivilrecht genießt – auch im internationalen
Vergleich – hohes Ansehen und die Rechtsprechung unserer Gerichte verfügt über eine breite Akzeptanz. Sprachbarrieren können – wie der
Alltag an den europäischen Gerichten zeigt – durch den Einsatz von Übersetzern durchaus überwunden werden. Die Aufweichung des Grundsatzes, Gerichtsverhandlungen vor deutschen Gerichten in der Muttersprache zu führen, birgt das Risiko deutlicher Qualitätseinbußen und
Fehlinterpretationen. Dies würde im Ergebnis keine Stärkung sondern eine Schwächung des Gerichtsstandorts Deutschland bedeuten.
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SchlHA 5/2011
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