Industrie 4.0 Industrie 4.0 Vom intelligenten Produkt zur intelligenten Produktion Industrie 4.0 ist die vierte Stufe der industriellen Revolution. Mit dem Einsatz von Cyber-Physischen Systemen haben Unternehmen die Möglichkeit neue Technologien und Dienstleistungen zu erzeugen. Industrie 4.0 unterteilt sich in die Ansätze der Intelligenten Produkte und darüber hinaus der Intelligenten Produktion. Intelligente Produkte bieten eine gegenseitige Vernetzung mit Hilfe des Internets. Grundlage der Intelligenten Produktion ist die Vernetzung und Selbststeuerung der Prozesse mit dem Ziel der Produktivitätssteigerung. Anforderungen an Aufbau- und Ablauforganisationen werden definiert. 1. Industrie 4.0 Industrie 4.0 ist ein neues Schlagwort, welches in Anlehnung an die Versionierung von Softwareprodukten eine revolutionär neue und technologisch fortgeschrittene Industrie ankündigt. Unter 4.0 versteht man dabei nichts weniger, als die vierte industrielle Revolution, zu der neue Technologien und Prozesse wesentlich beitragen. 2. Industrielle Revolutionen In der ersten industriellen Revolution war die Einführung mechanischer Produktionsanlagen der technologische Treiber. Sie führte im 19. Jahrhundert in vielen Teilen der Erde zur Wandlung der Gesellschaft von der Agrar- zur Industriegesellschaft. Der Soziologe Georges Friedmann sprach erstmals von der zweiten industriellen Revolution, welche durch die Einführung von Elektrizität und der Massenproduktion (Taylorismus und Fordismus) geprägt war [1]. Friedmann datierte den Beginn der zweiten Revolution auf den Anfang des 20. Jahrhunderts, der auch für den Wandel des Lebensstiels in industriellen Staaten zur Konsum- bzw. Wohlstandsgesellschaft geführt hat. Die elektronische Revolution in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird als dritte industrielle Revolution angesehen. Mit Mikroprozessoren ausgestattete Industrieroboter verdrängen mehr und mehr den Menschen aus der industriellen Produktion, Menschen übernehmen dafür entwicklungstechnische und planerische Aufgaben, es entstehen weltweit verteilt produzierende Konzerne und es entsteht eine durch die Globalisierung geprägte Weltgesellschaft. Als Technologietreiber für die vierte industrielle Revolution gilt das Internet des 21. Jahrhunderts, welches bisher fast unbemerkt Einzug gehalten hat. Mit der Protokoll Version 6 (IPv6) ist die Zahl der zur Verfügung stehenden Web-Adressen von 4,3 Milliarden auf 360 Sextillionen angestiegen. Jetzt können nicht nur Computer und Handys, sondern im Prinzip alle Produkte, Maschinen und Anlage im „Internet der Dinge“ mit einer eigenen InternetAdresse ausgestattet werden. Das Internet wird zunehmend mit der physisch anfassbaren Welt verschmolzen und es entstehen Cyber-Physische Systeme (CPS) mit integrierten Speicher- und Kommunikationsfähigkeiten, welche mit ihrer Umwelt kommunizieren können. Grundsätzlich benötigen Cyber-Physische Systeme auch leistungsfähige ITInfrastrukturen, welche eine Vernetzung einer sehr großen Anzahl autonom agierender Systeme erlauben. Hier könnten Cloud Computing-Lösungen von zentraler Bedeutung sein. Industrie 4.0 ermöglicht es produzierenden Unternehmen also einerseits, neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, andererseits können durch den Einsatz von Cyber-Physischen auch die Produktionsprozesse selbst optimiert werden. In den nächsten beiden Kapiteln werden beispielhafte Entwicklungen beschrieben. 3. Intelligente Produkte Im Bereich der Consumer-Elektronik sind viele der Ansätze von Industrie 4.0 in Bezug auf intelligente Produkte bereits in der Umsetzung. Durch die Konvergenz der Unterhaltungs-, Kommunikations- und Internettechnologien sind heute fast alle neu auf den Markt kommenden Geräte direkt mit dem Internet verbunden und können Digitale Medien austauschen, anzeigen und speichern. So kann ein mit dem Smartphone aufgezeichnetes Urlaubsvideo direkt von dem Smartphone auf dem heimischen Flachbildfernseher über DLNA und WLAN kabellos wiedergegeben werden. Der Flachbildfernseher wird dabei automatisch im lokalen Netzwerk gefunden und kann direkt vom Smartphone aus als Ausgabegerät ausgewählt werden. Über entsprechende Cloud-Dienste kann das Video gleichzeitig an Freunde weitergeleitet werden, die sich wiederum über das an das Internet angeschlossene Endgerät das Urlaubsvideo ansehen können. Auch die Energieversorgung steht vor einem großen Wandel durch dezentrale Energieerzeugung und intelligente Energieversorgungsnetzte, welche ebenfalls durch intelligente CPS-Lösungen realisiert werden. Dezentrale Energieerzeugungsanlagen wie Blockheizkraftwerke (BHKW) werden über das Internet zu virtuellen Kraftwerken zusammengeschaltet, um eine bedarfsgerechte und sichere Energieversorgung zu ermöglichen. So entdecken auch klassische IKT Unternehmen das Thema Energieversorgung als neues Geschäftsfeld. So arbeitet die Deutsche Telekom mit dem BHKW Hersteller Motoren AT und dem Spezialisten für Energie-Kommunikation GreenCom netzwerks zusammen, um BHKWs mit Energieversorgern zu vermarkten und als virtuelles Kraftwerk zu steuern [2]. Im Gesundheitswesen erwartet man intelligente CPS-Lösungen, um die Betreuung und Versorgung von Patienten zu verbessern. Sie beruhen auf der Vernetzung von Patienten und Ärzten über Informations- und Kommunikationstechnologien. Als Grundlage für die Bewertung werden Systeme den Gesundheitsstatus von besonders gefährdeten Patienten automatisch erfassen und zum Beispiel in Notfallsituationen automatisiert medizinische Hilfe leisten zu können. Anwendungsfelder sind zum Beispiel Telemedizin, Ferndiagnose, Nachsorge oder Betreuung in vertrauter Umgebung. Ein weiteres wichtiges Anwendungsfeld sind im Fahrzeug- und Automobilbau die Erforschung und Entwicklung autonomer Fahrzeuge. Als zukunftsweisendes Projekt sei hier das EU-Forschungsprojekt myCopter [3] erwähnt. Forscher am Tübinger Max-Planck-Institut (MPI) arbeiten in dem Projekt an dem Automobil der Zukunft. Sie postulieren dabei den dreidimensionalen Individualverkehr, so soll sich das Fahrzeug sowohl über Land als auch durch die Luft bewegen können, weniger Energie verbrauchen und es soll leicht bedienbar und bezahlbar sein. Die Vision ist es, einfach einzusteigen, das Ziel anzugeben und loszufliegen, ganz ohne Anmeldung bei der Luftraumüberwachung und Pilotenschein. Solche Fluggeräte müssen weitgehend autonom arbeiten und auch mit einander interagieren können, um zum Beispiel automatisch Kollisionen zu vermeiden. Möglich wird dies auch hier durch die intelligente Kombination von Sensorik, Software- und Hardware und Internettechnologien. 4. Die intelligente Produktion Industrie 4.0 ist ein komplexer Ansatz, der die gesamte Wertschöpfungskette verändern wird. Prozesse werden vernetzt und selbststeuernd, die Fabriksteuerung geht weg von einem zentralen Ansatz hin zur dezentralen Steuerung. Es wird zu Veränderungen bei der Kommunikation, in der SupplyChain und Produktion kommen. Zielsetzung ist hierbei immer die Erhöhung der Produktivität. Im Rahmen der Supply-Chain ist die schnelle direkte Kommunikation zwischen den Partnern entscheidend. Zielsetzung, insbesondere bei schwankenden Märkten und hoher Variantenanzahl, ist die Produktion von kleinen Losgrößen in Echtzeit. Die Produktion startet erst, wenn die Aufgabe eines Auftrages durch den Kunden erfolgt. Fehlende Komponenten können direkt erkannt und beim Lieferanten bestellt werden. Der Auftragsgeber ist jederzeit über den Produktionsbeziehungsweise Versandfortschritt informiert. Die Erhöhung der Anlieferfrequenz beim Kunden und Reduzierung der Supply-Chain-Bestände ist nur mit einer sehr hohen Transparenz der Kundenverbräuche möglich, um den Kunden in der richtigen Menge zur richtigen Zeit beliefern zu können. In ersten Projekten wird dies durch eine unternehmensübergreifende RFID-Lösung zwischen Partnern in einer Kunden-Lieferanten-Beziehung bereits realisiert. [4] Mit dem Durchreichen des Verbrauchssignals vom Kunden bis zum Lieferanten entlang der Lieferkette wird eine standardisierte Informationssteuerung sowie die Automatisierung von Abläufen ermöglicht. In der Produktion wird Industrie 4.0 nicht nur bei automatisierten Produktionsanlagen die Welt verändern. Bei Handmontage-Arbeitsplätzen sowie bei Qualitäts- und Funktionstests in der Produktion können neue Systeme, wie personalisierte industrielle Assistenzsysteme, zur Unterstützung der Arbeitsprozesse eingesetzt werden. Eindeutige, aussagekräftige Bilder geben dem Mitarbeiter Hinweise, was zu tun ist und weisen ihn auf mögliche Fehler hin. Dies kann soweit führen, dass mittels Augmented Reality auf ein reales Kamerabild zusätzliche digitale Informationen zur jeweiligen Tätigkeit geliefert werden. [5] Damit werden komplexe Arbeitsprozesse leichter handhabbar, was ein großes Potenzial für ältere Arbeitnehmer in der Industrie erschließt. Im Bereich der Instandhaltung können Maschinen und Anlagen zukünftig den eigenen Zustand (Ölstand, Kühlflüssigkeit) erkennen und selbständig mitteilen. Diese Informationen werden, falls ein Eingreifen notwendig ist, über das Internet direkt an einen Spezialisten weitergeleitet. Der Experte kann detaillierte Informationen abrufen und einen Servicetechniker vor Ort senden. Mit einer Serviceportal-Lösung, wie von der Firma Interactive Solution, wird der Servicetechniker vor Ort prozessorientiert durch die Instandhaltungsmaßnahmen geführt und hat das komplette Service-Expertenwissen inklusive der prozessschrittbezogenen Dokumentation auf seinem Mobilen Endgerät verfügbar. Beim Thema Energieeffizienz existieren schon heute Lösungen, wie die Energy Intelligence Solutions der IS Predict, die mit intelligenten Verbrauchsanalysen und selbstlernenden Mustererkennung, unter Einbeziehung der vernetzten Produktionsprozesse und deren Störfaktoren, verlässliche Prognosen und Handlungsanweisungen erstellen. Es werden die Energiebedarfe, und somit auch die Energiekosten, signifikant gesenkt. Weitere Ansätze im Bereich Energieeffizienz sind die Nutzung der Überschüsse an Wärme aus der Produktion, um beispielsweise den Wärmebedarf in privaten Haushalten in der unmittelbaren Nähe zu decken. Dies kann soweit führen, dass Produktionsschritte mit hohem Energieverbrauch dann durchgeführt werden, wenn der Energiebedarf in den privaten Haushalten notwendig ist. Die vierte Revolution ist noch nicht abgeschlossen, so rechnet man im Jahr 2020 mit ersten Prototypen von Maschinen mit einem eigenen Bewusstsein [6]. 5. Ausblick und Herausforderungen an die Unternehmensorganisation Erfahrungen in anderen Bereichen zeigen, dass ein komplexer Ansatz über mehrere Organisationseinheiten nur dann funktioniert, wenn die betroffenen Unternehmen eine entsprechend aufeinander abgestimmte Reife erlangt haben. Im Rahmen von IT-Outsourcing Projekten hat man beispielsweise die Operation Services (Serverbetrieb einschließlich Betriebssystemebene) nach Indien verlagert, um Kostenvorteile im IT-Betrieb zu realisieren. Dies funktionierte nur dann, wenn Aufbau- und Ablauforganisation aufeinander abgestimmt waren. Das heißt, dass entsprechend einer gemeinsamen Governance in den Unternehmen die miteinander kommunizierenden Rollen, IT-Produktions- und ITManagementprozesse sowie deren Benchmarking aufeinander abgestimmt waren. Ein ähnlicher hoher Reifegrad der zusammenarbeitenden Organisationen muss vorliegen. Eine vorwiegend technologische Innovation wie Industrie 4.0 führt nur dann zu einer Erhöhung von Produktivität und Kosteneinsparungen, wenn Aufbau- und Ablauforganisation der agierenden Unternehmen so auf die technologische Innovation abgestimmt sind, dass beispielsweise die sich daraus ergebenden Geschwindigkeits- oder Kostenvorteile durch Ressourcen Sharing greifen. Über Verfahren zur Messung von Reifegraden müssen Vorgehensweisen entwickelt werden, die es erlauben eine „Industrie 4.0 Readyness“ in Unternehmen zu ermitteln und vergleichbar zu machen. Im Bereich Business Process Management oder auch IT-Management hat man sehr gute Erfahrungen damit gemacht, indem man sich an dem „Capability Maturity Modell“ (CMMI) [7] eine Familie von Referenzmodellen für unterschiedliche Anwendungsgebiete – derzeit für die Produktentwicklung, den Produkteinkauf und die Serviceerbringung oder auch an „Software Process Improvement Capability Determination“ (SPICE) [8] orientiert hat. Beide Standards stellen mit den definierten Maturity Level eine Metrik zur Verfügung mit deren Hilfe Reifegrade von Unternehmen gemessen werden können. Abbildung 1 zeigt die Reifegrade des CMMI, angewendet zur Messung der Industrie 4.0 Readyness. Je höher der Reifegrad des Unternehmens, desto höher wird die Produktivitäts- und Qualitätssteigerung sein, die mit der Einführung von Industrie 4.0 erzielt werden kann. Gleichzeitig geht das Risiko mit der Einführung mit steigendem Reifegrad zurück. Im Rahmen des IT Service Managements liegen bereits äußerst positive Erfahrungen mit Assessments, die auf dem CMMI basieren, vor. Diese sind auch bereits in Beratungswerkzeugen wie dem „Scheer Process Tailor“ methodisch implementiert. Die vorliegende Methodologie ist nun auf Fragestellungen von Industrie 4.0 zu übertragen. Auf Basis der definierten Reifegrade gilt es ein Assessment zu entwickeln, dessen strukturierte Durchführung dazu führt, dass über entsprechende Kriterienkataloge eine Einordnung eines betreff enden Unternehmens in einen Reifegrad ermöglicht. Gleichzeitig werden Maßnahmen definiert, denen sich das betreffende Unternehmen stellen muss, um die nächsten Stufen zu erreichen. LITERATUR [1] Friedmann, G.: La crise du progrés. Esquisse d‘histoire des idées 18951935. Gallimard. Paris.1936. [2] Handelsblatt. (13.04.2012): Telekom steigt ins Stromgeschäft ein. http://www.handelsblatt.com/. Abgerufen am 22.07.2012. [3] Nieuwenhuizen F.M. ,. J.-C.: myCopter – Enabling Technologies for Personal Aerial Transportation Systems. 3rd International HELI World Conference 2011.2011. [4] Andreas Müller: ident Sonderausgabe – RFID in der Automobilindustrie 2011. Seite 12/13. [5] Martin Ciupek: VDI Nachrichten. 20.04.2012. Seite 21. [6] Stieler, W. (30.08.2012): Futurologe rechnet ab 2020 mit Maschinen mit Bewusstsein. http://www.heise.de/. Abgerufen am 21.07.2012. [7] o.V.: Capability Maturity Model Integration. http://de.wikipedia.org/. Abgerufen am 22.07.2012. [8] o.V.: SICE (Norm). http://de.wikipedia.org/. Abgerufen am 22.07.2012. Thomas Feld, Michael Hoffmann, Ralf Schmidt Author Thomas Feld Dipl.-Inform. Thomas Feld ist CTO der Scheer GmbH und Mitglied des Arbeitskreises Industrie 4.0 der Forschungsunion zur begleitenden Umsetzung und Weiterentwicklung der Hightech-Strategie 2020 für Deutschland. Kontakt [email protected] www.scheer-group.com Author Michael Hoffmann Dipl.-Hdl. Michael Hoffmann verantwortet als Associate Partner und CIO der Scheer GmbH die Bereiche Research und Solution Management. Kontakt [email protected] www.scheer-group.com Author Ralf Schmidt Dipl.-Kfm. Ralf Schmidt verantwortet als Associate Partner die Branchen Maschinen- / Anlagenbau, Automotive und Elektroindustrie in der Scheer GmbH. Kontakt [email protected] www.scheer-group.com