12 Weder Huren, noch Unterworfene – der feministische Beitrag zur Staatsraison Das Bild erstaunte die an große spektrenübergreifende Demonstrationen gewohnte französische Gesellschaft, aus deutscher Sicht schien es ein mittleres Wunder: Am 8.März 2003 zogen mehr als 30 000 Menschen durch die Straßen von Paris, viele von ihnen Frauen, viele davon Frauen aus den Banlieues. Auf dem Fronttransparent, in schwarz und rosa gehalten, prangte der Slogan Ni putes, ni soumises - Weder Huren, noch Unterworfene. Verschleierte Frauen gerieten nicht ins Bild, sie waren im Vorfeld von der Demonstration ausgeschlossen worden. Wenig später entstand aus der Initiative, die zu dieser großen Demonstration geführt hatte, eine feste Organisation mit dem gleichen Namen wie der Slogan auf dem Fronttransparent. Ni putes ni soumises (NPNS) erlangte schnell große Bekanntheit und wurde von Vertreter/innen ganz verschiedener politischer Strömungen hofiert. Mit der als authentisch wahrgenommenen Stimme der Frauen aus den Banlieues ließ sich gut Politik machen. Schnell wurde allerdings auch deutlich, dass die Stimme nicht ganz so authentisch und die dazu gehörige Bewegung nicht ganz so vielfältig war, wie es auf den ersten Blick schien. Immerhin aber haben es die Mitglieder von NPNS geschafft, die Frage der Lebenssituation von Frauen in den französischen Banlieues breit zu thematisieren. Wer etwas über die Geschlechterverhältnisse in der Banlieue erfahren möchte, kommt an ihnen nicht vorbei. Auch wir werden in unserem Beitrag, der eben diese Verhältnisse beleuchten soll, die Geschichte von und die Debatten rund um NPNS nachzeichnen, verrät sie doch einiges über die Lebenssituation der Frauen und über ihre Rolle in der französischen Politik. Aufschlussreich ist aber auch, was hierbei nicht zur Sprache kommt. Schließlich ist es eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, von den Frauen aus der Banlieue zu reden, weil eine solche Rede die Vielfalt der sozialen Verhältnisse zwangsläufig verneint. Dass genau dies in den Debatten rund um NPNS immer wieder geschieht, stellt einen Teil des Problems dar. Indem die Geschlechterfrage v.a. auf migrantische Frauen fokussiert wird, tragen feministische Forderungen dazu bei, unter Ausblendung ökonomischer Verhältnisse geschlechtspezifische und rassistische Spaltungen zu vertiefen. Wie in anderen Ländern zählte Feminismus auch in Frankreich lange Zeit als Randthema, wurde angefeindet geriet für viele zu einem mit negativen Vorurteilen besetzten Wort. Seit den 80er Jahren ließ er sich trotz des Fortbestehens vielfältiger sexistischer Diskriminierungen beim besten Willen nicht als wichtige kulturelle Bewegung erkennen, sondern fristete ein Schattendasein. Weit verbreitet war der Glaube, dass die Frauen in allen Belangen die gleichen Rechte wie die Männer besäßen und keinerlei Hindernisse mehr ihren Zugang zu Machtpositionen blockierten. Einstmals im Gefolge der Frauenbewegung der 70er Jahre entstandene Frauenzeitschriften verkündeten aus der internationalen Hauptstadt der Damenmode die neuesten Verhaltenstipps für die erfolgreiche und verführerische Frau. Auf ihren Hochglanzseiten fand der Kampf für die Emanzipation nicht mehr in Frankreich, sondern in einem weit entfernten Irgendwo statt. Der weibliche Körper war zum schönsten Bestandteil einer sich immer aggressiver im öffentlichen Raum verbreitenden Werbung geworden. Als unzeitgemäß galten die 12 Feministinnen mit ergrauten Haaren, die sich an das von ihnen erkämpfte Recht auf Abtreibung wie an ein geliebtes Erbstück klammerten, das niemanden mehr interessiert. Dass die feministische Frage mit Beginn der 2000er Jahre mit den Frauen aus den Banlieues aus einer eher unerwarteten Ecke erneut aufs Tapet gebracht wurde, kam für viele überraschend. Im Januar 2002 tagten an der Pariser Sorbonne die „Landesweiten Generalstände der Frauen aus den Banlieues“ (Les Etats Généraux des Femmes des Quartiers). Auch wenn der Tagungsort bereits darauf hindeutete, dass es sich hierbei nicht direkt um eine Basisinitiative handelte, das im Abschlussplenum verabschiedete Manifest traf den Nerv einer seit langem schwelenden Debatte: Seit Jahren führte die französische Gesellschaft den Kopftuchstreit, vordergründig als Auseinandersetzung um den Laizismus, also die Trennung von Kirche und Staat insbesondere an den öffentlichen Schulen. 1 Beigemengt aber wurden dieser Debatte Statements von Sozialarbeiter/innen, auch soziologische Analysen der die Lage der Banlieues, in denen auf die Gefahr eines zunehmenden islamischen Fundamentalismus in den Communities (Int馮risme) aufmerksam gemacht wurde. Leidtragende seien vor allem junge M臈chen und Frauen, die immer weniger im �fentlichen Raum pr舖ent seien, sich immer h舫figer verschleiern m�sten, z.B. um dem immer aggressiver zur Schau gestellten Machismus der sich auf traditionelle m舅nliche Rollen berufenden arabischen Jugendlichen etwas entgegen zu stellen. In dieses Horn blies das Manifest mit dem Titel „Weder Huren, noch Unterworfene“, verabschiedet als Abschlussdokument der Generalstände. „Wo Männer leiden, sind Frauen die Leidtragenden. Wirtschaftliche Marginalisierung und Diskriminierung haben Ghettos entstehen lassen, deren Bürger keine Gleichheit mit anderen verspüren und die Bürgerinnen noch viel weniger. Wir sind Frauen aus diesen Vorstädten und werden nicht länger angesichts der Ungerechtigkeiten schweigen, die wir erleben. Wir wollen nicht immer im Namen einer „Tradition“, einer „Religion“ oder einfach der Gewalt zum Leiden verdammt sein. [...] Wir wenden uns gegen allgegenwärtigen Sexismus, verbale und physische Gewalt, die moderne, kollektive Form von Vergewaltigung im Rahmen von tournantes2, Zwangsheirat, die Macht der Br�r als H�er der Familienehre und die abgeriegelten Viertel. All das prangern wir an, um nicht l舅ger der Logik des Ghettos zu unterliegen, die uns alle zu ewiger Gewalt verdammt, wenn wir nicht revoltieren. Zu einer Zeit, in der jeder nach einer Antwort auf die Gewalt sucht, die unsere Gesellschaft untergr 臙t, meinen wir, ein erster Schritt w舐e unsere Befreiung und die Respektierung unserer grundlegendsten Rechte. Staatliche Beh�den, Medien und politische Parteien reden �er die Banlieues und sehen dabei ausschlie゚lich deren m舅nliche Bewohner. [...].3 Schon ein Jahr später war NPNS zu einer Art Bewegung geworden, mit offiziell fast 60 Gruppen in ganz Frankreich und auch in Belgien, Schweden und der Schweiz. Als ihre 1 Als Laizität wird auch die Verpflichtung des Staates bezeichnet, sich neutral gegenüber religiösen Fragen zu verhalten: Der Staat soll die Gleichbehandlung der verschiedenen Religionen gewährleisten und die Glaubensfreiheit absichern, also auch das Recht zu glauben oder nicht zu glauben. Der französischen Staat subventioniert Privatschulen, v.a. katholische (es darf nicht vergessen werden, dass die Befürworter/innen der Laizität in den 80er Jahren insbesondere hiergegen protestierten) und unterstützt ohne große Bedenken die Gründung islamischer allgemeinbildender Schulen. Keine Unterstützung erhalten hingegen laizistische Privatschulen wie z.B. die des Diwan-Netzwerkes, das einen bilingualen französisch-bretonischen Unterricht anbietet. 2 Auf die als Tournantes bezeichneten Gruppenvergewaltigungen wird weiter unten in diesem Artikel eingegangen. 3 Das Manifest der Frauen aus den Vorstädten, dokumentiert in Fadela Amara: Weder Huren noch Unterworfene, Berlin 2005, S. 115-118. 12 Vorläuferin können Arbeitsgruppen angesehen werden, welche seit Beginn der 2000er Jahre in vielen Banlieues Gewalt gegen Frauen zum Thema machten. Dies geschah unter der Ägide von Fadela Amara, zu dieser Zeit Präsidentin der Französischen Föderation der Häuser der Kumpels (Féderation nationale des Maison des Potes), einer Satellitenstruktur von SOS Racisme, der organisationellen Antwort der Sozialistischen Partei Frankreichs (PS) auf den Marche des Beurs in den 80er Jahren. Damals war es den regierenden Sozialdemokrat/innen gelungen, die Wut der migrantischen Jugend für gleiche Rechte und gegen Rassismus zu kanalisieren, indem sie sich an die Spitze der Bewegung stellten und sie mit viel Geld, Infrastruktur und großen Popkonzerten in einen staatstragenden und belanglosen Antirassimus umfunktionierten. Gleichzeitig erwies sich der Verein für die PS als wahre Fundgrube zur Gewinnung von Parteifunktionär/innen. Um die Jahrtausendwende hatte SOS Racisme aber jegliche Glaubwürdigkeit verloren und war aus der medialen Landschaft faktisch verschwunden. Die in den 80er Jahren definierte Strategie, ein Recht auf Differenz zu fordern, hatte sich angesichts eines prosperierenden Rassimus als vollkommen ungeeignet erwiesen, eine soziale Verankerung in den Banlieues war kaum noch vorhanden. Mit dem Gespür, dass feministische Themen sich als hilfreich für kommende Wahlerfolge erweisen könnten, beschloss Julien Dray, eines der Gründungsmitglieder von SOS Racisme (und nebenbei auch inoffizieller Stichwortgeber für die Jugendorganisationen der PS), auf diesem Feld aktiv zu werden 4. In Fadela Amara fand er eine Verb�dete erster Wahl. Als Gr �derin und erste Pr 舖identin von NPNS war sie schon lange vor ihrem Ber�mtwerden klassische Polit-Funktion 舐in bei SOS Racisme, durchaus mit Karriereambitionen. Ihre Verstrickungen mit der Macht sind dann sp舩estens im Jahr 2007 nach der Wahl des Ordnungs- und Sicherheitsfanatikers Nicolas Sarkozy zum franz�schen Staatspr舖identen karikaturesk verdeutlicht worden: Als Staatssekret舐in der Ministerin f� Wohnungsbau und Stadtplanung, der ErzKatholikin Christine Boutin, wurde Fadela Amara zust舅dig f� die franz�ische BanlieuePolitik. Zu den Anfangszeiten von NPNS jedoch baute sich Fadela Amara selbst als die Repräsentantin der Frauen aus den Banlieues auf. Aufgewachsen in Clermont-Ferrand als eines von elf Kindern einer kabylischen Einwandererfamilie, spricht sie die Sprache der Banlieue. Dies wurde von allen berichtenden Medien immer wieder brav betont und ihr somit das Recht eingeräumt, auch gleich im Namen aller Banlieue-Bewohner/innen zu sprechen. In einem ebenfalls unter dem Titel „Weder Huren, noch Unterworfene 5ì erschienenen Buch beschreibt Fadela Amara scheinbar authentisch die Lebenssituation der Frauen in den Vierteln. Kritische Geister macht jedoch misstrauisch, dass in diesem Buch alle Klischees bedient werden, die von den Banlieues existieren. Es entsteht der Eindruck, dass Fadela Amara ihre Biographie auf eine Art zusammenfasst, dass sie in den Augen �chter franz�ischer Staatsb�ger/innenì akzeptabel erscheint. Ein Sammelsurium von Anekdoten, das um so 舐gerlicher ist, als es auf wirklich ernste Probleme verweist. Vieles deutet darauf hin, dass es sich sich bei NPNS um ein noch aggressiveres Befriedungs- und Assimilationsprojekt als SOS Racisme handelt. Die sympathisch erscheinende Organisation katapultierte sich schnell ins Zentrum der Debatte rund um die Unregierbarkeit und Unsicherheit der Banlieues, und konnte schon bald getrost als ein weiteres Lehrstück für die mal mehr und mal weniger geschickte Vereinnahmung sozialer Bewegungen durch staatliche Politik angesehen werden. Bis dato einer breiteren 4 Stéphanie Marteau/ Pascale Tounier: Black, Blanc, Beur…, Paris 2006. 5 Fadela Amara mit Silvia Zappi: Weder Huren noch Unterworfene. Mit einem Vorwort von Seyran Ateş, Berlin 2005. 12 Öffentlichkeit unbekannt, wirkte Fadela Amara wie die gute Fee eines ohnehin stattfindenden durchaus realen Organisierungsprozesses von Frauen aus den Banlieues, dem es aufgrund seines Professionalismus und der Bewegungserfahrung seiner Protagonistinnen gelang, einen breiten Widerhall in der französischen Gesellschaft zu finden. Ein trauriges Ereignis wurde zum Anlass, dass sich NPNS als festere Bewegungsstruktur konstituierte: Der Tod der 17-jährigen Sohane Benziane aus Vitry-sur-Seine, einer Stadt in der Pariser Banlieue. Sie wurde am 4.Oktober 2002 leblos mit schwersten Verbrennungen in einem Mülltonnenabstellraum entdeckt und verstarb kurze Zeit später im Krankenhaus. Ihren Mörder, den damals 19-jährigen Djamel Derrar, beschrieben die Medien, die das Ereignis insbesondere in der Rubrik Vermischtes breit auswalzten, als einen kleinen Caïd (also Bandenchef) des Viertels. Die Umstände des Mordes passten ins Bild, das in der französischen Gesellschaft von den Geschlechterverhältnissen in der Banlieue gezeichnet wird: Ein arabischstämmiger Kleinkrimineller, dem eine extrem gewalttätige Bestrafungsaktion (er wollte gemeinsam mit Freunden ein Exempel statuieren, hatte Sohane mit Benzin übergossen und sich dann mit dem Anzünden des Streichholzes selbst ebenfalls schwerste Verbrennungen zugefügt) gegen seine Ex-Freundin außer Kontrolle geriet. Der Mord an Sohane wurde zum Symbol für die dramatische Situation junger Frauen aus den Banlieues, für ihre alltägliche Konfrontation mit besonders extremen Formen des Seximus und Machismus. Die Frauenkollektive aus dem Umfeld der Maison des Potes erklärten Vitry-sur-Seine zum Ausgangspunkt des Marsches der Banlieue-Frauen gegen Ghettos und für Gleichheit (Marche des Femmes des Quartiers contre les ghettos et pour l'égalité). Im Februar 2003 durchquerten sie ganz Frankreich. Während der Veranstaltungen, die in verschiedenen Städten organisiert wurden, berichteten zahlreiche Frauen häufig zum ersten Mal in ihrem Leben von sexuellen Gewalterfahrungen hinter den verschlossenen häuslichen Türen. Auf der Basis ihrer Berichte baute NPNS seine Legitimität auf, insbesondere gegenüber jenen, die bereits von Anfang an die organisatorische Nähe zu den Sozialist/innen kritisiert haben. Den Höhepunkt bildete die bereits erwähnte Abschlussdemonstration in Paris am 8.März. Bei aller schon in diesen Tagen überdeutlich zu Tage tretenden politischen Instrumentalisierung – in den ersten Reihen fanden sich viele Spitzenpolitiker/innen vor allem der Sozialistischen Partei, aber auch von linksradikalen Parteien wie Lutte ouvrière (Arbeiterkampf) oder der Ligue communiste revolutionnaire (Revolutionäre kommunistische Liga) und es wurden unaufhörlich die staatsrepublikanischen Werte beschworen – das Thema Gewalt gegen Frauen bewegte und traf auf ein reales Lebensgefühl. Nicht nur der Tod von Sohane erschütterte, auch die Veröffentlichung eines Buches erregte die Gemüter: Samira Bellil, als Tochter algerischer Einwanderer in der Pariser Banlieue Saint-Denis aufgewachsen, beschrieb in Dans l'enfer des tournantes (Titel der deutschen Übersetzung: Durch die Hölle der Gewalt), wie sie als 13-jähriger Teenager mehrfach Opfer von gemeinschaftlichen Vergewaltigungen, den so genannten Tournantes wurde. Ihr Vater gab ihr die Schuld an den Vergewaltigungen, schlug sie und setzte sie vor die Tür, unterstützt von ihrer Mutter. Eine Freundin, die erst Verständnis zeigte, schwenkte später aus Angst vor Vergeltung um und weigerte sich, im Prozess gegen den Hauptangeklagten als Zeugin auszusagen. Samiras Geschichte bildete den Ausgangspunkt für zahlreiche Medienberichte über die Tournantes in den Banlieues, ein Phänomen, das einhellig als sich stetig verschärfend vorgestellt wurde. Der Soziologe Laurent Muchielli hat in seinen Forschungen über kollektive Vergewaltigungen überzeugend nachgewiesen, dass die Tournantes, so schrecklich sie sein mögen, weder 12 eine neue, noch eine zunehmende, noch eine auf die Banlieues beschränkte Erscheinung seien.6 Ihre Mediatisierung trage aber zu einer wachsenden Angst und Ablehnung gegen�er maghrebinischen Jugendlichen bei und unterst �ze die verharmlosende Neudefinition �onomischer und sozialer Probleme zu Fragen von Kultur oder gar Ethnie. Muchiellis Buch allein konnte es aber nicht gelingen, den medialen Hype um die Tournantes abzuschw臘hen. Vermochte die Demonstration am 8.März durchaus viele Menschen gerade auch aus den Banlieues zu mobilisieren, gelang es der formell als Verein gegründeten NPNS-Bewegung nicht, sich wirklich lokal zu verankern. Ihr Name, der in den Pariser Salons Wohlgefallen fand, wurde von vielen Männern und Frauen in den Banlieues als besonders aggressiv und entwürdigend empfunden. Allzu offensichtlich waren nicht nur die Schatten der Sozialistischen Partei und der Wille des Staates, sich einer „authentischen Stimme“ von Frauen aus den Banlieues zu bemächtigen, allzu offensichtlich war vor allem der Wille des Führungspersonals, dies mit sich geschehen zu lassen. Immerhin gründeten sich aber dennoch über 60 lokale Niederlassungen. NPNS benötigte und bekam sehr viel Geld: Um die Hochglanzbroschüre „Anleitung zum Respekt“ zu produzieren, die in vielen Schulen verteilt wurde, um Veranstaltungen vor Ort in den Banlieues, vor allem aber auch große frankreichweite und internationale Konferenzen zu organisieren, um Anlauf- und Beratungsstellen einzurichten oder auch um Wohnungen für Frauen anzumieten, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind. Schnell entstand ein bitterer Beigeschmack, denn offensichtlich ging die finanzielle Unterstützung des französischen Staates und finanzkräftiger Sponsor/innen wie z.B. der Accor-Gruppe zu Lasten anderer, bereits lange bestehender Strukturen. Lokale Vereine, die seit vielen Jahren zu so schwierigen Themen wie Zwangheiraten und Genitalverstümmelung arbeiteten, sahen sich zudem nicht nur ihrer finanziellen Ressourcen, sondern auch ihrer Stimme beraubt. Der relativ professionell wirkenden Sozial- und Öffentlichkeitsarbeit von NPNS stehen aber bis heute nur wenige konkrete Projekte gegenüber. Im Jahr 2008 verfügte der Verein lediglich über zwei Zufluchtsstätten für misshandelte Frauen im Großraum Paris. Die Zahl der Frauen, die sich in diesem Jahr an den Verein wendeten, schien mit 1700 sehr gering im Verhältnis zu den realen Problemen. Im Zuge der Monopolisierung und Verengung feministischer Kämpfe ging NPNS immer mehr strategisch-inhaltliche Bündnisse mit der Regierungsrechten ein. Dies fiel leicht, schon aufgrund der ideologischen Nähe des NPNS-Vordenkers Julien Dray (und auch des SOS-Racisme-Vorsitzenden Malek Boutih) mit Nicolas Sarkozy, dem starken Mann der Regierung in Sachen Sicherheitspolitik. Standen in den Anfangszeiten noch die ökonomischen und sozialen Probleme der Banlieue-Frauen im Mittelpunkt, richtete sich der Fokus bald zunehmend auf Männergewalt und – in Zeiten des „Krieges der Zivilisationen“ durchaus politisch opportun - den so genannten Obskurantismus. 7 Immer weniger war die Rede von den prek舐en Lebenssituationen der Frauen, obwohl sie doch im Gr�dungsmanifest von eine wichtige Rolle gespielt hatten. Gefordert wurden hier z.B. Ma゚nahmen gegen prek舐e Besch臟tigungsverh舁tnisse und Diskriminierungen am Arbeitsplatz und in der Berufsausbildung, mehr und bessere Betreuungsm �lichkeiten f � 6 Laurent Muchielli: Le scandale des tournantes, Paris 2005. 7 Als Obskurantismus zählt in der französischen Verwendung des Begriffs zunächst jegliche Wissenschafts- und Aufklärungsfeindlichkeit, häufig aus fundemental-religiösen Motiven. Obwohl anzuerkennen ist, dass insbesondere zu den Anfangszeiten von NPNS Fadela Amara und andere Repräsentant/innen der Bewegung bisweilen immerhin auch Strömungen wie den Kreationismus erwähnten, bezieht sich der in den politischen Aufrufen verwandte Obskurantismusbegriff doch eindeutig auf fundamentalistische islamistische Strömungen und deren archaische Moralvorstellungen. Vgl. Amaras Ausführungen zum „Kellerislam“ in Amara 2005, S.57-60. 12 Kinder, Anlaufstellen f� Opfer h舫slicher Gewalt, juristische Beratungsm�lichkeiten, Aufkl舐ung �er Staatsb�gerrechte, aber auch verst 舐kter Unterricht in Gesellschaftskunde und die Forderung von Initiativen, die Verbindungen zwischen dem Stadtzentrum und der Banlieue schaffen. 8 Bis heute aber ist die einzige explizit als frauenpolitisch bezeichnete Ma゚nahme, die Fadela Amara in bisherigen Amtszeit als Quasi-Vorstadtsministerin ergriffen hat, die Einrichtung von Kinderkrippen geblieben, in denen ausdr�klich Frauen aus den Banlieues einen Arbeitsplatz finden sollen. Eine erfreuliche Vision von der Emanzipation der Frau, als ob diese Erf �lung sich �er schlecht bezahlte, ultraflexible Teilzeitjobs herstellen lie゚e, in denen Frauen zudem auf die ewig traditionelle Mutterrolle festgelegt werden. Als ob es heute wie zu Zeiten von Vollbsch臟tigung keinerlei �onomischen Probleme gebe, keine finanziellen Schwierigkeiten, die Familie zu verlassen, zu studieren, eine gut bezahlte Arbeit zu finden usw., ist die einzige NPNS-Vorstellung von der Emanzipation der Frau jene ihrer beruflichen Integration. Im Gegensatz dazu werden die M舅ner im aktuellen �onomischsozialen Kontext verortet; lebenslange Arbeitslosigkeit gilt f � sie als vorbestimmt. Besonders plastisch zeigt sich dies, wenn Fadela Amara ihr feministisches Image pflegt, indem sie bei w臧rend ihrer Banlieue-Besuche M舅ner als Herumlungerer und Baseballkappen-Tr臠er beschimpft. Wurde die Regierung Sarkozy wenig überraschend ihren ehrgeizigen frauenpolitischen Zielen im allgemeinen nicht gerecht 9, gelang es Fadela Amara gemeinsam mit ihren alten Mitstreiter/innen von NPNS, zumindest die Frauen aus den Banlieues zu einem bevorzugten Ziel der staatlichen Politik zu machen. Dass dies wenig mit Feminismus zu tun hat, geben Stadtpolitikexpert/innen offen zu, wenn sie die entsprechenden Ma゚ nahmen als pures Marketing10 bezeichnen. Ganz der NPNS-Philosophie entsprechend, Frauen als den St�pfeiler des sozialen Lebens in den Banlieues zu betrachten, zielen die staatlichen Politiken darauf, die Rolle der Frauen in der informellen Wirtschaft von Hausarbeit bis zur soziale Netzwerkarbeit besser auszunutzen, ganz im Interesse der �fentlichen Sicherheit. Gro゚e �fentliche Unterst�ung erhalten auch Initiativen, in denen sich Frauen mit anderen sogenannten fragilen Randgruppen, wie etwa 舁teren oder k�perlich behinderten Menschen zusammentun, z.B. f � die Organisation von Demonstrationen und anderen Events, die auf ihre Situation aufmerksam machen So sollen Kiezspaziergänge gefördert werden, woran sich ausschliesslich „fragilen Randgruppen“ wie etwa älteren oder körperlich behinderten Menschen sowie Frauen beteiligen sollen, damit spezifische Unsicherheitsprobleme besser in Anspruch genommen werden..11 Wie weitgehend die Verengung des politischen Fokus von NPNS ist, zeigte sich in dem gemeinsam mit anderen Vereinen lancierten umstrittenen Aufruf zu einer „Erneuerung des feministischen Kampfes“ aus Anlass des 8.März 2005: „Denn wir bestehen wieder auf der Freiheit der Frauen, über ihren eigenen Körper zu verfügen, eine Freiheit, mühsam errungen wurde. Weil die universalistischen Ideen die Lebensbedingungen der Frauen radikal verändert haben; weil sie uns gelehrt haben, dass die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht nicht das Schicksal vorbestimmen sollte. Weil die daraus entspringenden Prinzipien von Laizität und Mixität Garanten für die Gleichheit der Geschlechter sind. Weil 8 Vgl. Manifest „Weder Huren, noch Unterworfene“ in Amara 2005, S. 116-118. 9 Nicolas Sarkozy 2007, dass seine Regierung in den nächsten zwei Jahren die männlichen und weiblichen Löhne, bei welchen ein Unterschied von 25% gilt, ausgleichen würde. Dafür hat sie immer noch nichts gemacht 10 Claude Jacquier, Forscher bei der CNRS und Leiter des europäischen URBACT-Programm, in einer Rede am 6. Juni 2008. Abrufbar unter http://www.irdsu.net. 11 Vgl. zu diesem Aspekt den Beitrag von E. Piriot in diesem Band. 12 es für die Emanzipation der Frauen keinen dringenderen Kampf gibt als den gegen alle Formen des Fundamentalismus und Obskurantismus. Angesichts der neuen Gefahren, die sich über unsere Leben und unsere Rechte ausbreiten, können wir nicht mehr schweigen, ohne uns mitschuldig zu machen.“ Beklagt wurde, dass der universelle Charakter der Menschenrechte vereinnahmt und sinnentleert werde, dass er instrumentalisiert werde, um Partikularinteressen und archaische Praktiken zu befördern. Die Meinungs- und Handlungsfreiheit diene der Legitimation von Gewalt gegen Frauen, wie z.B. Polygamie, Beschneidungen, Zwangsheiraten und Ehrendelikten. „Durch den Druck der Fundamentalismen wird die Mixität, die in emanzipatorischen Kämpfen errungen wurde, bis weit in die öffentliche Sphäre in Frage gestellt. Es ist an der Zeit, sich jenen anzuschließen, die für die Rechte der Frauen, die Gleichheit der Geschlechter und gegen jegliche Form von Diskriminierung und Gewalt kämpfen.“ 12 Der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen war und ist von absoluter Notwendigkeit. Die Ausschließlichkeit jedoch, mit der NPNS ihn in den Mittelpunkt stellt und den sozialen Kämpfen überordnet – in welchen auch die Frauen intensiv beteiligt sind – trägt zu einer weiteren Spaltung der französischen Gesellschaft und zu einem Anwachsen des Rassismus bei. In dieser reduzierten Perspektive wird die Gewalt der großen Brüder und phallokratischen Ehegatten zur selben Gewalt wie jene der jungen Kleinkriminellen und Aufständischen. NPNS leistete hiermit einen eigenständigen Beitrag zur Hysterie der Sicherheitsgesetze Sarkozys. Vereinfachend lässt sich der NPNS-Diskurs als Hohelied der republikanischen Werte zusammenfassen. Der französischen Regierung gefiel er übrigens dermaßen, dass sie aus Anlass des Nationalfeiertages 2003 an den Fassaden der Nationalversammlung mehrere Riesenporträts der „Mariannen der Banlieues“ anbringen ließ. Die Bilder zeigten 14 Frauen, die am Marsch der Banlieue-Frauen gegen Ghettos und für Gleichheit teilgenommen hatten, verziert mit republikanischen Insignien. Die Fotos von Männern und Frauen aus den Pariser Vorstädten Clichy-sous-Bois und Montfermeil, die wenig später wild in Paris plakatiert wurden, waren übrigens weniger gut gelitten und fielen der Stadtreinigung zum Opfer.13 Folgt man den Ideen von NPNS, hilft einzig die unablässige Ermahnung zu den republikanischen Tugenden Freiheit, Gleichheit, Mixität (der originelle Ersatz für Brüderlichkeit) und Laizismus, um den Sexismus und auch den Obskurantismus zu bekämpfen. Eine solche Argumentationslinie ist keineswegs neu. Sie wurde in der zweiten Hälfte der 80er Jahre geprägt, damals jedoch nicht als antisexistisches, sondern als antirassistisches Projekt. Die wohlmeinende Integrationsformel richtete sich allerdings weniger an die Rassist/innen als vielmehr an die Migrant/innen, die sich integrieren sollen und ermöglichte die Ausgrenzung jener, die dies nicht tun. Dass der damalige „Antirassismusdiskurs“ einherging mit den Debatten um eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, welche die postkoloniale Einwanderung nach Frankreich zu begrenzen suchte, ist wohl kaum als Zufall zu betrachten. Die frauenpolitisch modernisierte Variante dieser alten linksrepublikanischen Assimilationsstrategie vertritt Sihem Habchi, seit 2007 Präsidentin von NPNS, z.B. im Rahmen von Versuchen, ein europaweites Frauennetzwerk aufzubauen, welches eines 12 Pour un nouveau combat feministe, http://www.c-e-r-f.org/feminismenouveaucombat.htm. 13 http://www.dailymotion.com/video/x156bh_kourtrajme-jr-projet-28-millimetres_creation 12 Tages mit einem Manifest der europäischen Frauen ans Licht der Öffentlichkeit treten soll 14 . Als besonderes Bonbon und spezifisch franz�ische Erfahrung in dieser Debatte wird hierbei der �liche Apell an demokratische Werte und republikanische Prinzipien noch an Klassenfragen gekoppelt: Мan hat uns ein Europa versprochen [...] welches neben nach dem ヨkonomischen auch das Soziale voranbringt und einen Raum von Freiheit und Fortschritt garantiert. Auch die Linke hat uns dies versprochen. Diese Linke, Trägerin so vieler Ideale, so vieler demokratischer und humanistischer Wurzeln, ist heute in Teilen gefangen im Sumpf von Linksislamisten und Revolutionären, die eher geneigt sind, die Politik der großen Brüder15 zu verteidigen, als solche Werte wie Laizit舩 und Gleichheit. Vergessen sind die Frauen, vergessen sind Olympe de Gouge und Simone de Beauvoir [...]. Um diese Sackgasse zu verlassen, m�sen wir uns wieder mehr auf demokratische Werte besinnen und diese zu einer Realit 舩 f� jeden und jede werden lassen, vor allem auch f� die einfachen Volksschichten.ì Die NPNS-Politik bewirkt nicht nur die weitere Verfestigung rassistischer Spaltungen innerhalb der französischen Gesellschaft, sondern auch eine Hierarchisierung von Frauen untereinander. Indem den unterdrückten Frauen Schutz vor ihren (arabischen) männlichen Aggressoren offeriert wird, welche selber wiederum als Gefangene einer natürlichen Ordnung angesehen werden, die sie widerständige Frauen verachten und vergewaltigen lässt, wird einem simplifizierenden unilinearen feministischen Evolutionsmodell das Wort geredet. Anstatt Geschlechterhierarchien aufzulösen, entsteht eine zusätzliche Hierarchie zwischen jenen Frauen, die wissend sind, und jenen, die die Wissenden aufzuklären und aus ihrer unerkannten Not zu befreien haben. Als befreit gilt, wer sich assimiliert. Für die arabischen Männer bleibt nicht einmal dieser Weg, sie werden unisono auf die undankbarste aller Rollen festgeschrieben: Als perfekte Akteure eines originär sexistischen Szenarios gelten sie in der Welt von NPNS als Gefangene einer unkontrollierbaren Maskulinität, in der sich zwei Sexismusausprägungen kreuzen: Zum modernen Sexismus, aufgrund dessen sie sich gegen Bewegungsfreiheit, sexuelle Freizügigkeit und gegen das Recht auf Verhütung und Abtreibung aussprechen (und der ganz offensichtlich auch so manchem franko-französischen Mann vorgeworfen werden muss, aber natürlich in diesem Zusammenhang nicht wird) gesellt sich ihr „traditioneller“ patriarchaler Sexismus, erkennbar in der Durchsetzung von Praxen wie Polygamie oder Zwangsverheiratungen. Leicht zu durchschauen und dennoch immer wieder ärgerlich ist die Taktik, sexistische Diskriminierungen und Gewalthandlungen den migrantischen und nur selten den frankofranzösischen Männern vorzuwerfen. So geschehen zum Beispiel, als NPNS dazu aufrief, das Jahr 2009 zum Jahr zu erklären, in welchem der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen zur nationalen Angelegenheit erklärt wird. Ein Aufruf, der schwerlich zu kritisieren ist, 14 NPNS schließt an die französischen außenpolitischen Bestrebungen an, die Maghreb-Länder im Rahmen einer euromediterranen Zusammenarbeit mehr an die EU anzubinden und vollzieht sie auf frauenpolitischer Ebene im Rahmen des Projektes „Civilisation des Femmes en Méditerranée“ nach. (http://www.niputesnisoumises.com/blog/2008/07/01/civilisation-de-femmes-en-mediterranee). Der zitierte Text von Sihem Habchi ist in der mehrsprachigen Broschüre „mediterraneo“ veröffentlicht, erschienen 2008 im italienischen Verlag Edition Quaderni del filo di perle, welche von NPNS verteilt wird. 15 Immer wieder kritisiert Sihem Habchi die sogenannte „Politik der großen Brüder“, womit gemeint ist, dass sich staatliche Sozialarbeit in den Banlieues eine Zeit lang (Ende der 80er/ Beginn der 90er Jahre) auf männliche Jugendliche stützte, die z.B. im Rahmen von öffentlichen Beschäftigungsverhältnissen für Ordnungsdienstaufgaben angestellt wurden. So berechtigt die Kritik an einer solchen sozialarbeiterischen Befriedungspolitik, die sich auf patriarchale Machtverhältnisse stützt, wäre, so wenig lassen sich allerdings Hinweise darauf finden, dass sie in größerem Maß stattgefunden hat bzw. heute praktiziert wird. Dies hindert NPNS aber nicht im geringsten daran, immer wieder die „Politik der großen Brüder“ als großes Problem darzustellen. 12 beweisen doch diverse Untersuchungen, dass es in der Tat einen Anstieg von Gewalttaten gegen Frauen gibt. Obwohl aber ebenso deutlich zu erkennen ist, dass weder ethnische noch soziale Kriterien eine Rolle spielen im Zusammenhang mit sexistischer Gewalt, bezieht sich NPNS in der Einleitung des offenen Briefes auf zwei Ereignisse, die zu diesem Zeitpunkt eine wichtige Rolle in der aktuellen Debatte spielen: Erzählt wird von zwei jungen Frauen, von denen sich die eine gegen eine Zwangsheirat wehrte und von ihrer Familie eingesperrt und gequält wurde, während die andere ihr Neugeborenes aus dem Fenster warf aus Angst vor ihrer Familie, die sonst von ihrer nicht mehr vorhandenen Jungfräulichkeit erfahren würde. Kein Wort hingegen wird verloren über den gleichfalls aktuellen Fall des Abgeordneten der französischen Nationalversammlung, der seine Freundin umbrachte, bevor er Selbstmord beging (und zu dessen Fall sich NPNS immerhin einige Tage zuvor positioniert hatte, indem in einer Presseerklärung die Schweigeminute zu Ehren des Abgeordneten scharf kritisiert wurde). Für die Entwicklung von NPNS zur Repräsentantin eines erneuerten französischen (Staats)Feminismus spielte einmal mehr die Kopftuchfrage eine wichtige Rolle. Im Dezember 2003 erschien in der französischen Zeitschrift Elle eine Petition, gerichtet an den Staatspräsidenten Jaques Chirac, mit dem Titel „Frauenrechte und islamisches Kopftuch“. Unterzeichnet von zahlreichen mehr oder weniger linken Intellektuellen, Künstler/innen und vielen Repräsentant/innen von NPNS, verband der Text den althergebrachten bürgerlichen Feminismus der Gleichstellungsbeauftragten mit einem neuen Feminismus von unten, nämlich dem der Frauen aus den Banlieues. Er war die Folge einer in vielen Medien breit ausgewalzten Debatte um den Ausschluss zweier Schülerinnen aus einem Gymnasium in Aubervilliers (Banlieue von Paris), die sich dem Druck verweigerten, ihr Kopftuch abzunehmen. (Was die Medien übrigens weitgehend verschwiegen, war dass der Druck v.a. von zwei Lehrerinnen ausgeübt wurde, die Funktionär/innen der linksradikalen Parteien LCR bzw. LO sind). Im Namen zweier großer Prinzipien der französischen politischen Kultur, der Laizität und der Gleichstellung der Geschlechter, wurde die Forderung nach einem Gesetz erhoben, das verschleierte Muslimas vom Schulbesuch ausschließt.16 Dabei wurde eine direkte argumentative Verkn�fung zwischen dem Kampf gegen den Sexismus des Schleiers und jenem gegen die sexistische Gewalt in den Banlieue-Vierteln gezogen. Die feministische Soziologin Nacira Gu駭if-Souilamas hat inzwischen viele Artikel ver�fentlicht 17, in denen sie auf die Kollateralsch臈en der Kopftuch- und Sexismusdebatten hinweist. Um die 100 M臈chen wurden aufgrund eines Gesetzes, das sie vor sexistischer Diskriminierung sch �zen soll, vom Schulbesuch ausgeschlossen und in den obskurantistischen Kreis ihrer Familien zur�kverwiesen. Vor allem aber haben diese Debatten mit emanzipatorischen Anspruch dazu beigetragen, zahlreiche Heranwachsende schwer zu traumatisieren, die sich mit einem extrem abgewerteten Bild ihrer selbst konfrontiert sahen. Tief sind heute die Gr臙 en, die sich aufgrund dieser Debatten aufgetan haben nicht nur innerhalb der Familien, 16 Auch wenn die Debatte über religiöse Praktiken in einer Republik, die sich explizit den Laizismus auf die Fahnen geschrieben hat, durchaus legitim erscheinen mag, nimmt sie doch immer wieder eine fatale Wendung. Sie dreht sich ausschließlich um die sichtbaren Zeichen religiöser Zugehörigkeit und stellt diese Frage nicht für alle Religionen, sondern stigmatisiert lediglich das Tragen des islamischen Kopftuchs. Der Islam wird als archaisch dargestellt, als ob er sich seit seiner Entstehung nicht entwickelt hätte. Dass es schlussendlich um etwas ganz anderes als die laizistische Republik geht, bleibt kaum verborgen. Überraschend kann allenfalls die Unverhohlenheit der Ungleichbehandlung der Religionen, wie sie z.B. ein Nicolas Sarkozy als oberstes Staatsoberhaupt in einer Rede vor Vertretern der katholischen Kirche zum Ausdruck brachte: Die Laizität dürfe nicht die Macht erlangen, Frankreich von seinen christlichen Wurzeln zu trennen heißt es da zum Beispiel, oder die Republik habe eine Interesse an einer moralische Reflexion, die von religiösen Überzeugungen (convictions) geprägt sei ( Discours de Latran, 20.12.2007, http://www.elysee.fr/documents/index.php?mode=cview&cat_id=7&press_id=819) 17 Vgl. z.B. Nacira Guénif-Souilamas / Eric Macé: Les féministes et le garcon arabe, Paris, Edition de l'aube, 2004. 12 sondern auch zwischen vielen linken Gruppen und Organisationen, die im breiten Feld des Antirassismus arbeiten. Aus feministischer Perspektive ist zudem zu kritisieren, dass der republikanische pseudoFeminismus von NPNS keineswegs dazu geeignet ist, Geschlechtergrenzen abzubauen, sondern im Gegenteil die Zuordnung zu einer unabänderlichen und ewig begehrenswerten Femininität beinhaltet. Die Aktivistinnen von NPNS wollen es den Frauen der Banlieue ermöglichen, sich wie alle Frauen schön machen und sich zeigen zu dürfen, unverschleiert und feminin. Klingt dies wie eine Satire aus Zeiten, die die feministische Bewegung längst überwunden glaubte, belehrt der Blick in den Aktivitätsreport von NPNS aus dem Jahr 2007 eines besseren: Als großer Erfolg wird eine Empowerment-Aktion für beratungssuchende Frauen bezeichnet. Damit sie sich einmal etwas Gutes tun, nicht aufgefressen werden zwischen der alltäglichen prekären Lohnarbeit und den innerfamiliären Konflikten, hatte sich ein französischer Star-Friseur in einem NPNSBeratungslokal eingefunden. Zusätzlich zur seit langem begehrten Society-Frisur bekam jede Frau zum Abschied eine Rose sowie ein Kosmektiktäschchen mit Make-up und Parfüm-Produkten geschenkt. Trotz aller medialen und politischen Überpräsenz und Dominanz von NPNS auf dem Gebiet des Kampfes um die Rechte der Frauen, von Zeit zu Zeit gelang es auch Gegenstimmen hörbar zu werden. Sogar innerhalb der NPNS-Frauen kam es zu Streitigkeiten, die so weit führten, dass im Herbst 2007 beinahe die Hälfte der etwas über 50 lokalen NPNS-Gruppen aus der Bewegung austrat. Die Angehörigen von Sohane Benziane waren schon vorher auf Distanz gegangen, da sie sich, so wichtig sie den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen auch finden, von einer politischen Organisation instrumentalisiert sahen. Mit einer ähnlichen Begründung hatte auch Samira Bellil das gleiche getan. Die NPNS-Frauen hingegen begründeten ihren Austritt auf Pressekonferenzen und auf einer eigens angelegten Webseite mit dem schönen Namen NPNS en colère (NPNS in Wut) zunächst vor allem organisationsintern – es ging um mangelnde finanzielle Transparenz und fehlende demokratische Legitimation des Führungspersonals. Doch auch die „fehlende politische Unabhängigkeit“ der Bewegung sorgte für Verstimmung. Hatten die Frauen von NPNS noch wenig Berührungsängste zur Sozialistischen Partei und vermochten sie auch den Übertritt ihrer ehemaligen Präsidentin Fadela Amara ins konservative Lager Sarkozys irgendwie zu schlucken, brachte ihre immer weitergehende Unterstützung seiner repressiven Sicherheitspolitik – sei es ihre Entscheidung für die Festlegung von Abschiebequoten, die Einführung von DNA-Tests zur Überprüfung der Elternschaft von MigrantInnen, die in Frankreich mit ihren Kindern leben wollen oder ihre Wahlkampagne rund um das Thema nationale Identität und Inmmigration - das Fass dann doch zum Überlaufen. Fadela Amara ist natürlich politisch erfahren genug um zu erkennen, dass ihre Berufung in die Regierung (analog zu jener von Rachida Dati und Rama Yade) einen hohen symbolischen Wert hatte. Sie illustrierte Nicolas Sarkozys Entschlossenheit, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen voranzubringen und den Zugang von Migrant/innen zu politischen Ämtern zu unterstützen und ist der lebendige Beweis dafür, dass rassistische und sexistische Diskriminierungen lediglich eine Ausnahmeerscheinung seien. Die Feststellung aber, die Yazid Sabeg, französischer Kommissar für Diversität und Gleichberechtigung und des Links-Seins ganz bestimmt unverdächtig, in seinem Report zu Beginn des Jahres 2009 getroffen hat, ist eine ganz andere: „Frankreich bewegt sich in Richtung Apartheid“. Obgleich Fadela Amara gegenüber ihrer Vorgesetzten Christine 12 Boutin als Muslima und Pseudofeministin einer Fundamentalkatholikin und Antifeministin 18 untersteht, akzeptierte sie vermutlich aus purem Karrierismus und wurde somit zur doppelten Verr舩erin: Zur Verr舩erin gegen�er der Sache von NPNS und zur Verr 舩erin gegen�er der (staatlich-sozialdemokratischen) Antirassimusbewegung, in der ihre politischen Wurzeln liegen. Allerdings wurde ihr Verrat gegen �er der PS medial sehr viel intensiver breitgetreten und kritisiert. Inhaltlich interessanter als der verhaltene interne Protest bei den NPNS-Frauen gestaltet sich der Blick auf die Verlautbarungen und Aktionen jener, die sich explizit in Opposition zu NPNS gegründet haben. Houria Bouteldja, Begründerin des feministischen Kollektivs Les blédardes, beschreibt NPNS als Teil des ideologischen Apparates eines neokolonialen Staates, der die Frage der Frauen instrumentalisiert: „Erinnern wir uns an die Bilder, welche die Kamerateams nach ihren Expeditionen zur „Besichtigung der verlorenen Territorien der Republik“ brachten, nach dem Tod von Sohane und den ersten „Geschichten“ um kollektive Vergewaltigungen: Junge Männer (maghrebinischer oder schwarzafrikanischer Herkunft) lassen eine gewaltförmige Heterosexualität aufblitzen, eine agressive und bestialische Natur, gegen welche die Frauen, halb Heldinnen, halb Märtyrerinnen, sich als Amazonen der Banlieues stemmen: Weder Huren, noch Unterworfene. Ihr Credo: der Kampf gegen den Sexismus der Banlieues und den „grünen Faschismus“. Diese Kämpfe, darin sind wir uns einig, sind mehr als legitim (sofern man genau den Einfluss des so genannten Faschismus betrachtet, und sofern man genau sagt, welche Gruppen man auf der Basis welcher Kriterien dergestalt qualifiziert). Was aber stört, ist der Essenzialismus ihrer Reden. Die Schlüsse, die sich aus ihnen ziehen lassen, erinnern an die ideologischen Konstruktionen vom Beginn des 20.Jahrhunderts, als man den Eingeborenen als Tier, als Sklaven seiner Leidenschaften beschrieb. Schon damals Vergewaltiger, Dieb und alsbald – mit dem algerischen Unabhängigkeitskrieg – Verschleierer der Frauen.“19 Houria Bouteldja gehörte 2005 zu den Mitbegründer/innen der Bewegung der Eingeborenen der Republik (Mouvement des Indigènes de la République), einer Initiative, die die Kontinuitäten von der Zeit des französischen Kolonialrassismus bin zum heutigen Umgang mit der migrantischen Bevölkerung beleuchtet. Es geht ihnen um die Kluft zwischen den republikanischen Werten, die von der politischen Klasse unablässig beschworen werden und der tagtäglichen Realität, in der eben diese eigenen Werte verdreht werden und sich als wenig wirksam erweisen. In diesem Zusammenhang entstand zwei Jahre später das Kollektiv der Féministes Indigènes, die wohl am stärksten wahrgenommene Gegenstimme zu NPNS – unter anderem weil sie sich, ähnlich wie auch die Indigènes de la République und typisch für junge Pariser Intellektuelle strategisch für eine breite mediale Öffentlichkeitsarbeit entschieden haben. Ihr Gründungsaufruf war eine deutliche Abrechnung mit dem Staatsfeminismus à la Sarkozy und Amada: „Meine Damen und Herren, das Kollektiv der indigenen Feministinnen ist erfreut, Ihnen das Ende der Schmierenkomödie zu verkünden. Es bittet Sie, Ihre Tränen zu trocknen und ihre wohlmeinenden Gefühle gut zu verpacken. [...] Der neokoloniale und paternalistische Sprech ist eine GEWALT, die wir nicht länger dulden. [...]Wir verweigern die Enteignung und Instrumentalisierung unserer Kämpfe.[...] Wir sind nicht die Narren einer 18 Christine Boutin ist nicht nur Beraterin des Päpstlichen Familienrates im Vatikan, sondern als Abtreibungsgegenerin auch Mitbegründerin der Organisation „Alliance pour les droits de la vie“ und Autorin von „L’embryon citoyen“ (der Staatsbürger-Embryo). Mit homophoben Argumentationen wurde sie gleichfalls Sprecherin der rechten Abgeordneten gegen die Annahme des PACS, das französische Gesetz für gleichgeschlechtliche Ehen. 19 Houria Bouteldja: De la cérémonie du dévoilement à Alger (1958) à Ni Putes Ni Soumises : l’instrumentalisation coloniale et néo-coloniale de la cause des femmes. Vgl. www.indigenes-republique.org. 12 Instrumentalisierung, die aus uns die idealen Opfer macht. Unser Vorgehen ist feministisch und spezifisch indigen [...].“ Ähnlich wie die Bewegung der Indigenen haben auch die indigenen Feministinnen für großes Aufsehen und lebhafte Polemiken gesorgt, erhitzten nicht nur in der Frage des Neokolonialismus die Gemüter. Ihre Strategie, gegen den dominierenden Diskurs der Stigmatisierung des „Kommunitarismus“ eine indigene Identität aufzubauen, birgt die Gefahr, in eben dieser Identitätspolitik steckenzubleiben und ließ aus diesem Grund so manche linke Aktivist/innen auf Distanz gehen. Gravierender noch ist die Zusammenarbeit auch mit umstrittenen islamischen Organisationen sowie die nicht immer scharfe Abgrenzung zu antisemitisch argumentierenden palästinensischen Solidaritätsorganisationen. Gleichwohl ist es den indigenen Feministinnen gelungen, die Kritik an NPNS zu generalisieren, obgleich unklar bleibt, wie sie ihre eigenen Ansprüche in die Tat umsetzen wollen. Ob es ihnen gelingt, ihren eigenen Ansprüchen zu genügen und nicht anstelle von NPNS als einzig wahre Stimme der Frauen der Banlieues aufzutreten, bleibt abzuwarten. Bislang zeigen ihre Manifeste eine starke Nähe zur universitären postkolonialistischen Theorie. Andere Formen des Protestes gegen die Vereinnahmung der Frauen aus den Banlieues lassen sich naturgemäß nur schwer identifizieren und bewerten. Die Diskurshoheit von NPNS lässt den Eindruck entstehen, dass es keine andere Bewegung gibt und macht aus den Frauen mit Migrationshintergrund wortlose Objekte der männlichen Unterdrückung. Dabei wird die umfangreiche Arbeit zahlreicher Frauen komplett unsichtbar gemacht: Die Kämpfe von Frauen für ein Recht auf Wohnraum, die zusammen mit der Organisation Droit au Logement seit 1995 geführt werden, die Kämpfe für einen legalen Aufenthaltsstatus (so hat z.B. das besonders aktive 9. Kollektiv der Sans-Papiers viele Frauen zu seinen Sprecherinnen gewählt), Kämpfe gegen Bildungsreformen, die auf Privatisierung, Konfessionalisierung und Verschlankung von Bildungsprogrammen zielen, Kämpfe gegen Polizeigewalt und Abschiebungen oder auch Streiks von prekär Beschäftigten. In allen diesen Kämpfen sind Frauen sehr wohl sehr präsent, doch gibt es häufig eine gewisse Sprachlosigkeit, wenig Verständnis bzw. wenig Kontakt zu feministischen Gruppen im engeren Sinne, die häufig eher in größeren Städten und an Universitäten aktiv sind. Es gibt so manchen Hinweis darauf, dass die Frauenfrage in den Banlieues tatsächlich bewegt: Unangenehm und die NPNS-Frauen durchaus bestätigend finden sich auf Websides wie youtube oder dailymotion Videoschnipsel, in denen goldkettchenbehängte Rapper Fadela Amada sexistisch beschimpfen und dabei von großem Publikum bejubelt werden. Dass die Vor-Ort-Termine der heutigen Staatssekretärin mit schöner Regelmäßigkeit nicht störungsfrei ablaufen, ist sicherlich nicht allein auf ihre frühere Präsidentschaft von NPNS zurückzuführen. Welche Bedeutung aber lässt sich der Tatsache beimessen, dass sich im Userforum der linken Rapperin Keny Arkana bis heute seitenweise Diskussionen über Sinn und Unsinn von NPNS nachlesen lassen? Ein Hoffnungsschimmer ist dies allemal.