Das Strukturierte Interview für Anorektische und Bulimische Ess

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Originalarbeit · Original Article
Verhaltenstherapie
Verhaltenstherapie 2001;11:314–325
Das Strukturierte Interview für Anorektische und
Bulimische Ess-Störungen nach DSM-IV und ICD-10
zur Expertenbeurteilung (SIAB-EX) und dazugehöriger
Fragebogen zur Selbsteinschätzung (SIAB-S)
M. Fichtera, b N. Quadfliega
a Psychiatrische
Universitätsklinik München
Klinik Roseneck, Prien
b Medizinisch-Psychosomatische
Schlüsselwörter
Ess-Störungen · Anorexia nervosa · Bulimia nervosa ·
Binge Eating Disorder · Strukturiertes klinisches Interview
Key Words
Eating disorders · Anorexia nervosa · Bulimia nervosa ·
Binge eating · Structured clinical interview
Zusammenfassung
Hintergrund: Das Strukturierte Inventar für Anorektische und
Bulimische Ess-Störungen nach DSM-IV und ICD-10 – bestehend aus dem Interview zur Expertenbeurteilung (SIAB-EX) und
dem dazugehörigen Fragebogen zur Selbsteinschätzung (SIABS) – erfasst Ess-Störungs-Symptome und andere, häufig damit
einhergehende Symptome wie Ängste, Depression, Zwangssymptome, Substanzabusus und Beeinträchtigung der Sexualität und der sozialen Integration. Der Fragebogen ist parallel zu
dem Experteninterview formuliert – allerdings mit allgemeinverständlichen Items. Getrennte Faktorenanalysen ergaben
ähnliche Faktorenstrukturen für Fragebogen und Interview,
sowie für die beiden erfassten Messpunkte «jetzt» (letzte 3 Monate vor Interview) und «früher» (Pubertät bis zum Zeitpunkt 3
Monate vor dem Interview). Beide Verfahren erlauben sowohl
die Diagnose von Ess-Störungen nach DSM-IV und ICD-10, als
auch die Berechnung von Summenwerten, welche den generellen Schweregrad einer Ess-Störung charakterisieren. Methode: Die Testgütekriterien wurden an einer Stichprobe von 377
stationär wegen Ess-Störungen behandelten Patienten überprüft. Normative Daten zum SIAB-EX wurden für 202 jungen
Frauen ohne Ess-Störungen aus der Normalbevölkerung erhoben. Ergebnisse: Die Testgütekriterien ergaben zufriedenstellende bis sehr gute Ergebnisse. Die Interrater-Reliabilität (κ) für das
Interview SIAB-EX betrug 0,81 (jetzt) bzw. 0,85 (früher). Sensitivität, Spezifität und «positive predictive value» waren sehr gut
für SIAB-EX (PPV = 0,91 für lifetime) und SIAB-S (PPV = 0,98 lifetime). Es werden Mittelwerte für SIAB-EX und SIAB-S für die
klinische Stichprobe berichtet. Des Weiteren sind zum SIAB-EX
neben den Daten zu essgestörten Patienten und Patientinnen
auch normative Daten von 202 jungen, nicht essgestörten Frauen aus der Normalbevölkerung angegeben. Schlussfolgerung:
Das Experteninterview SIAB-EX ist geeignet, den «Gold-Standard» für die Erfassung von Ess-Störungen im deutschen
Sprachraum darzustellen. Das Interview existiert auch in englischer, italienischer und spanischer Sprache.
Summary
The Structured Interview (SIAB-EX) and Questionnaire
(SIAB-S) for Anorexic and Bulimic Eating Disorders for DSM-IV
and ICD-10
Background: The Structured Inventory for Anorexic and Bulimic
Syndromes according to DSM-IV and ICD-10 consists of the
Structured Expert Interview for Anorexic and Bulimic Syndromes (SIAB-EX) and the corresponding self report questionnaire (SIAB-S). These instruments assess symptoms of eating
disorders and other symptoms often found in eating-disordered
individuals (e.g. anxieties, symptoms of OCD, depression, substance abuse and impairment of sexuality and social integration). Thus, parallel forms for self-report and expert rating are
available. Separate factor analyses resulted in very similar factor structures for self-report and interview as well as for both
time points assessed: «current» (last 3 months before the interview) and «past» (time from puberty up to 3 months before the
interview). Both assessments can be used for diagnosing eating
disorders according to DSM-IV and ICD-10 and a total score can
be computed. Method: Test criteria were assessed using a sample of 377 inpatients treated for an eating disorder. For the expert interview, SIAB-EX data were collected in a community
sample of 202 young women without eating disorders. Results:
Test criteria were satisfying or better. Interrater reliability (κ) for
the expert interview SIAB-EX was 0,81 (current) and 0,85 (past).
Sensitivity, specificity, and positive predictive value were very
good for the SIAB-EX (ppv = 0.91 lifetime) and the SIAB-S (ppv
= 0.98 lifetime). Means for SIAB-EX and SIAB-S for the inpatient
sample are reported. For the expert interview SIAB-EX norms
for 202 young non-eating disordered women are given. Conclusion: The expert interview SIAB-EX can be seen as a ‘gold standard’ for the assessment of eating disorders. The SIAB-EX is
available in German, English, Italian and Spanish.
© 2001 S. Karger GmbH, Freiburg
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Prof. Dr. Manfred Fichter
Forschungsbereich Epidemiologie und Evaluation
Psychiatrische Universitätsklinik
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Einleitung
Über die vergangenen Dekaden haben Ess-Störungen in Industrienationen zugenommen. Sie finden sich besonders häufig, aber nicht ausschließlich, bei Mädchen und jungen Frauen
im Alter zwischen 15 und 35 Jahren. Bei der bestehenden Verbreitung von Ess-Störungen ist es wichtig, über Selbst- und
Fremdeinschätzungsskalen zu verfügen, die Einsatz finden
können beim Screening von Ess-Störungen in größeren Stichproben und die geeignet sind zur Diagnostik von Ess-Störungen und für die «Outcome-Forschung».
In der diagnostischen Klassifikation von Ess-Störungen haben
in den letzten Jahrzehnten deutliche Präzisierungen und Differenzierungen stattgefunden. Anorexia nervosa und Bulimia
nervosa sind seit mehr als 20 Jahren im Diagnostischen und
Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM-IV) der
American Psychiatric Association (APA) [deutsch Saß et al.,
1996] und seit etwa 10 Jahren auch in der Internationalen
Klassifikation von Krankheiten (ICD-10) [Dilling et al., 1991]
dokumentiert. Zur «Binge-Eating-Störung» sind im Anhang
des DSM-IV vorläufige Kriterien formuliert. Diese Diagnosesysteme basieren auf der operationalisierten Diagnostik,
wobei für jede psychische Störung Ein- und Ausschlusskriterien sowie häufig auch Festlegungen zur Zeitdauer und/oder
Häufigkeit von Symptomen angegeben werden.
Eine valide und reliable Erfassung von Ess-Störungs-Symptomen ist Voraussetzung für die Anwendung der oben erwähnten Diagnosesysteme. Dies ist für die Erforschung der medizinischen, psychologischen und biologischen Aspekte von EssStörungen unentbehrlich. Dabei reicht das Spektrum der zu
berücksichtigenden Symptome von Ess-Störungs-spezifischen
wie Gewichtsphobie, Nahrungsvermeidung oder Essattacken
bis zu eher unspezifischen Bereichen der Psychopathologie
wie Depression, Angst oder Einschränkungen im Selbstwertgefühl oder in der sozialen Kompetenz und Partnerschaft.
Um die Symptome von Ess-Störungen angemessen zu erfassen, sind standardisierte Instrumente erforderlich. Zu diesem
Zweck wurden mehrere Selbstauskunfts-Verfahren entwickelt. Unter anderem sind dies das Eating Disorder Inventory
[Garner et al., 1983, Garner, 1991], das Three Factor Eating
Questionnaire [Stunkard und Messick, 1985; deutsch Fragebogen zum Essverhalten, Pudel und Westenhöfer, 1989], und
der Eating Attitudes Test [Garner und Garfinkel, 1979]. Von
Cooper und Fairburn [1987] stammt das Experten-Interview
Eating Disorder Examination (EDE) zur Erfassung der EssStörungs-Pathologie, welches im englischsprachigen Raum
häufig benutzt wird. Fairburn und Beglin [1994] fanden Diskrepanzen zwischen Selbstauskünften Betroffener und der
Einschätzung durch klinische Experten bei Angaben zu den
Essattacken, wobei die Selbstauskünfte höhere Raten ergaben. Andererseits wurden keine Unterschiede bei weniger
komplexen Verhaltensweisen wie Erbrechen oder Laxantienabusus festgestellt. Black und Wilson [1996] bestätigten diese
Befunde bei Frauen, die einen Substanzabusus aufwiesen und
Strukturiertes Interview und Fragebogen für
Anorektische und Bulimische Ess-Störungen
berichteten von einer Überschätzung der Probleme bezüglich
Figur und Gewicht durch Selbstauskünfte. Greeno et al.
[1995] verglichen die Binge Eating Scale (Selbstauskunft) mit
der EDE und betonten die begrenzte Präzision von Selbstauskünften. Generell werden in der aktuellen psychiatrischen
Forschung standardisierte oder halbstrukturierte Experteninterviews als der «Gold-Standard» angesehen, ohne den Wert
eines Selbstauskunftsfragebogens als Screening-Instrument in
Frage zu stellen.
Parallel zur Entwicklung der englischsprachigen EDE (derzeit aktuelle Version ist die 12. Auflage [Fairburn und Cooper,
1993]) haben wir mit etwas anderer Zielsetzung das «Strukturierte Interview für Anorektische und Bulimische Ess-Störungen nach DSM-IV und ICD-10 zur Expertenbeurteilung
(SIAB-EX) mit dem dazugehörigen Fragebogen zur Selbsteinschätzung (SIAB-S)» entwickelt. Das Instrumentarium
wurde 1999 im Hogrefe-Verlag veröffentlicht und ist von dort
zu beziehen. Die EDE liegt nicht in einer offiziellen Übersetzung in deutscher Sprache vor. Das SIAB-EX unterscheidet
sich von der EDE in mehreren bedeutsamen Punkten und
geht weit über das von der EDE erfasste Spektrum hinaus. So
erfasst das SIAB-EX nicht nur die Leitsymptome der Ess-Störungen, sondern sämtliche relevanten Störungsbereiche essgestörter Patienten. Das SIAB-EX wird derzeit in einer großen internationalen Multi-Center-Studie über die Genetik von
Ess-Störungen zur definitiven Festlegung des Phänotyps der
Ess-Störung verwendet [Halmi et al., 2000; 2001; Kaye et al.,
2000; Klump et al., 2000].
Die vorliegende Arbeit soll sowohl das Experten-Interview
SIAB-EX als auch das Selbstauskunftsverfahren SIAB-S in
deutscher Sprache vorstellen, die empirisch gefundenen Faktorenstrukturen aufzeigen und über wichtige statistische
Merkmale der beiden Verfahren berichten.
Materialien und Methodik
Beschreibung des SIAB-EX und SIAB-S
Die 3. Revision des Strukturierten Interviews für anorektische und bulimische Ess-Störungen (SIAB-EX) sowie die Selbstauskunft SIAB-S umfassen jeweils 87 Fragen. Ein Teil der Fragen besteht aus mehreren Teilfragen. Die Item-Nummern bezeichnen in beiden Versionen die selben
Inhalte. Die meisten Fragen werden auf einer Schweregradskala von 0 bis
4 kodiert, wobei die Skala generell folgendermaßen definiert ist:
0 = Symptom/Problem nicht vorhanden,
1 = Symptom/Problem leicht oder selten vorhanden,
2 = Symptom/Problem deutlich oder öfter vorhanden,
3 = Symptom/Problem stark oder häufig vorhanden,
4 = Symptom/Problem sehr stark oder sehr häufig vorhanden.
Des Weiteren liegen Fragen vor, welche zur Diagnostik nach ICD-10 oder
DSM-IV benötigt werden. Die Fragen erfassen zwei Zeiträume. Zum
einen wird die Symptomausprägung in den letzten 3 Monaten (Jetzt-Zustand) kodiert, zum anderen die Zeit vor den letzten 3 Monaten (früher).
Jede Frage des SIAB-EX besteht aus einer Hauptprobe, welche immer
gefragt werden muss, sowie Zusatzfragen, welche bei Unklarheiten zum
Einsatz kommen. Für Jugendliche liegen angepasste Formulierungen vor,
die von Frau Prof. Beate Herpertz-Dahlmann entworfen und getestet
Verhaltenstherapie 2001;11:314–325
315
Tab. 1. SIAB-EX für Patienten (Experten-Rating)
Gesamt
(n = 377)

n
M (SD)
Anorexia nervosa
(n = 60)

n
M (SD)
Bulimia nervosa
(n = 97)

n
M (SD)
SIAB-EX früher
I
Körperschema und Schlankheitsideal
II Allgemeine Psychopathologie
III Sexualität und Soziale Integration
IV Bulimische Symptome
V Gegensteuernde Maßnahmen, Fasten, Substanzmissbrauch
VI Atypische Essanfälle
Gesamtwert
370
370
368
369
367
84
370
1,9 (0,8)
1,5 (0,7)
2,3 (0,8)
2,4 (1,2)
1,0 (0,6)
1,1 (1,1)
1,7 (0,5)
60
60
60
60
60
14
60
2,6 (0,4)
1,5 (0,7)
2,7 (0,6)
1,9 (1,4)
1,0 (0,5)
0,4 (0,7)
1,9 (0,4)
95
95
95
95
95
25
95
2,1 (0,6)**
1,8 (0,8)
2,5 (0,7)
3,4 (0,5)**
1,2 (0,6)
1,6 (1,0)**
2,0 (0,5)
SIAB-EX jetzt
I
Körperschema und Schlankheitsideal
II Allgemeine Psychopathologie und Soziale Integration
III Sexualität
IV Bulimische Symptome
V Gegensteuernde Maßnahmen, Fasten, Substanzmissbrauch
VI Atypische Essanfälle
Gesamtwert
370
370
368
369
369
86
370
1,2 (0,6)
1,1 (0,7)
2,1 (1,3)
1,9 (1,2)
0,4 (0,3)
0,8 (1,0)
1,2 (0,5)
60
60
60
60
60
14
60
1,9 (0,4)
1,3 (0,6)
3,0 (1,0)
1,8 (1,3)
0,5 (0,3)
0,3 (0,5)
1,4 (0,4)
95
95
94
94
94
25
95
1,3 (0,5)**
1,3 (0,7)
2,0 (1,3)**
3,2 (0,5)**
0,5 (0,4)
1,2 (1,0)**
1,4 (0,4)
M = Mittelwert; SD = Standardabweichung.
** t-Test A. nervosa versus B. nervosa: p < 0,01.
wurden. Die Fragen des SIAB-S sind einfacher formuliert und der Verwendung in einem Fragebogen angepasst. Aus dem Maximum des JetztZustands und des Früher-Zustand kann ein Lifetime-Wert («worst ever»)
errechnet werden. Als besonders hervorzuhebendes Merkmal des Experten-Interviews SIAB-EX ist auf das Vorliegen eines sehr ausführlichen
Manuals hinzuweisen, mit detaillierten Anweisungen und Beispielen zur
Kodierung der Items.
Das SIAB-EX und der SIAB-S können bei allen Personen durchgeführt
werden, bei denen der Verdacht auf eine Ess-Störung vorliegt. Sie können
aber auch zur Diagnostik von Ess-Störungen im Rahmen epidemiologischer Studien verwendet werden, insbesondere bei der vorgeschalteten
Verwendung des SIAB-S zur Identifikation von Risikoprobanden, bei
denen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine Ess-Störung besteht. Der
SIAB-S ist geeignet, als Grundlage für die Vorbereitung eines Erstinterviews zu dienen, z.B. indem er vor dem ersten persönlichen Kontakt per
Post dem prospektiven Klienten zugestellt wird und von diesem zurückgeschickt oder zum Erstgespräch mitgebracht wird. In ähnlicher Weise
kann der SIAB-S auch zur Baseline-Bestimmung, sowie – daran anschließend – zur Verlaufsevaluation in klinischen Studien oder während einer
Therapie (etwa zur Qualitätssicherung und Verlaufsdokumentation) angewendet werden. Mit Hilfe des SIAB-S ist auch eine vereinfachte Diagnostik nach DSM-IV und ICD-10 möglich, da der Fragebogen die gleichen Problembereiche erfasst wie das Interview.
SIAB-EX und SIAB-S ermöglichen eine Auswertung von zwei verschiedenen Ergebnis-Typen. Zum einen können Summenwerte für empirisch
fundierte Subskalen berechnet werden (siehe unten), zum anderen können Ess-Störungs-Diagnosen nach DSM-IV und ICD-10 erstellt werden.
Bei der Erstellung von Diagnosen wird für das SIAB-EX grundsätzlich
bei den von 0 bis 4 kodierten Items ein Wert von 2 bis 4 als das Kriterium
erfüllend angesehen, bei der SIAB-S Werte von 1 bis 4, sofern ein Kriterium nicht nur durch die Kodierung von 2 bis 4 erfüllt sein kann, wie
z.B. bei der Häufigkeit der Essanfälle. Für die Auswertung der Summenwerte und für die Erstellung von Diagnosen sind Computeralgorithmen
erhältlich.
316
Verhaltenstherapie 2001;11:314–325
Design und Zusammensetzung der Stichprobe
Die klinische Stichprobe umfasste 377 Patienten (11 Männer, 366 Frauen),
die konsekutiv in der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck in
Prien am Chiemsee wegen einer Ess-Störung behandelt wurden. Sämtliche Daten wurden kurz nach der Aufnahme erhoben. Das mittlere Alter
betrug 29,1 + 9,3 Jahre (Mittelwert + Standardabweichung). Der Body
Mass Index (BMI) betrug bei Aufnahme im Mittel 25,7 + 11,7. 60 Patienten wiesen bei Aufnahme eine Anorexia nervosa und 97 eine Bulimia nervosa nach DSM-IV auf. 80 Patienten der klinischen Stichprobe (77 Frauen
und 3 Männer) wurden mit dem SIAB-EX und der EDE interviewt. Die
Interviews von 31 Frauen wurden auf Video aufgenommen und zur Bestimmung der Interrater-Reliabilität herangezogen.
Die Zufalls-Stichprobe von jungen Frauen aus der Normalbevölkerung
umfasste 244 Frauen. Die Grundgesamtheit stellten alle Frauen im Alter
zwischen 18 und 30 Jahren dar, die im Münchner Stadtteil Laim beim Einwohnermeldeamt zu einem bestimmten Stichtag gemeldet waren. Der
Stadtteil Laim wurde gewählt, da er bezüglich der Verteilung der Kennwerte Geschlecht, sozioökonomischer Status und Ausländeranteil repräsentativ für das gesamte Stadtgebiet München ist. Alle Ausländerinnen
wurden vor der Erstellung der Liste durch das Einwohnermeldeamt herausgenommen, um Sprachprobleme bei der Durchführung des Interviews
zu vermeiden. Von den 244 befragten Frauen wiesen 42 eine Anorexia
nervosa, Bulimia nervosa, Binge Eating Disorder oder eine nicht näher
bezeichnete Ess-Störung nach DSM-IV irgendwann in ihrem Leben (lifetime) auf, so dass sich eine Stichprobe von 202 Frauen ohne Ess-Störung
ergab. Diese waren bei der Befragung im Mittel 25,3 + 4,0 Jahre alt und
wiesen einen BMI von 22,0 + 3,6 auf. Der niedrigste BMI (lifetime) war
19,8 + 2,5, der höchste 23,4 + 4,6. 4 Frauen (1,9%) hatten bei Befragung
einen BMI unter 17,5 (lifetime waren dies 24 (11,5%)), 7 Frauen (3,4%)
einen BMI über 30 (lifetime 11 (5,3%)).
Statistische Auswertung
Um Auskunft über die Subskalenstruktur zu erhalten, wurden mit den
Daten der klinischen Stichprobe (n = 377) Hauptkomponenten-Analysen
Fichter/Quadflieg
Tab. 2. SIAB-S für Patienten (Selbst-Rating)
SIAB-S früher
I
Bulimische Symptome
II Allgemeine Psychopathologie
III Schlankheitsideal
IV Sexualität und soziale Integration
V Körperschema
VI Gegensteuernde Maßnahmen, Substanzmissbrauch, Fasten
und Autoaggression
VII Atypische Essanfälle
Gesamtwert
SIAB-S jetzt
I
Allgemeine Psychopathologie und soziale Integration
II Bulimische Symptome
III Körperschema und Schlankheitsideal
IV Sexualität und Körpergewicht
V Gegensteuernde Maßnahmen, Fasten und
Substanzmissbrauch
VI Atypische Essanfälle
Gesamtwert
Gesamt
(n = 377)

n
M (SD)
Anorexia nervosa
(n = 60)

n
M (SD)
Bulimia nervosa
(n = 97)

n
M (SD)
369
370
369
368
370
367
2,1 (1,2)
1,8 (0,9)
2,3 (0,9)
1,7 (1,0)
1,3 (0,8)
0,6 (0,6)
60
60
60
60
60
60
1,7 (1,2)
1,7 (0,9)
2,3 (0,9)
1,7 (0,9)
1,8 (0,6)
0,5 (0,5)
95
95
95
95
95
95
2,9 (1,0)**
2,1 (0,9)
2,6 (0,8)
2,0 (0,9)
1,5 (0,8)**
0,8 (0,8)**
84
370
1,6 (1,1)
1,6 (0,7)
14
60
0,8 (0,8)
1,6 (0,6)
25
95
2,4 (0,9)**
2,0 (0,6)**
370
369
370
370
1,5 (0,7)
2,0 (1,2)
1,7 (0,8)
1,5 (1,0)
60
60
60
60
1,7 (0,7)
1,7 (1,3)
2,0 (0,8)
2,7 (0,7)
95
94
95
95
1,7 (0,7)
3,0 (0,8)**
2,0 (0,8)
1,4 (0,9)**
369
86
370
0,4 (0,3)
1,4 (1,1)
1,4 (0,5)
60
14
60
0,4 (0,3)
0,8 (1,0)
1,6 (0,5)
94
25
95
0,5 (0,4)
2,0 (1,0)**
1,7 (0,5)
M = Mittelwert; SD = Standardabweichung.
** t-Test A. nervosa versus B. nervosa: p < 0,01.
mit Varimax-Rotation gerechnet und zwar getrennt für SIAB-EX und
SIAB-S und jeweils getrennt für den Zustand jetzt und früher. Ansonsten
werden die üblichen deskriptiven Verfahren verwendet. Die Ergebnisse
zu den Testgütekriterien wurden anhand der Daten der klinischen Stichprobe gewonnen.
Ergebnisse
Ergebnisse der Faktorenanalysen
Für das Experteninterview SIAB-EX ergaben Hauptkomponentenanalysen mit Varimax-Rotation sowohl für den Jetzt-Zustand als auch für den Früher-Zeitraum 6 Faktoren (Tab. 1).
Einzelheiten zur Konstruktion finden sich in Fichter et al.
[1991; 1998]. Die jeweiligen 6-Faktoren-Lösungen erklärten
nach Rotation 42,8% (früher) bzw. 40,5% (jetzt) der Varianz.
Die analogen Items des SIAB-S wurden ebenfalls mittels
Hauptkomponentenanalysen mit Varimax-Rotation überprüft. Da die Items zu den atypischen Essanfällen erst vor
kurzem dem SIAB angefügt worden waren, wurden diese
wegen der geringen Fallzahl nicht in die Auswertung einbezogen. Für die Früher-Symptomausprägung erschien nach der
Rotation eine 6-Faktoren-Lösung am besten interpretierbar
zu sein (Tab. 2 oben). 48% der Varianz wurden durch die 6
Faktoren erklärt. Ein 7. Faktor mit den Items zu den atypische Essanfällen wurde hinzugefügt. Für die Jetzt-Ausprägung
war eine 5-Faktoren-Lösung (40,7% Varianz-Erklärung) am
Strukturiertes Interview und Fragebogen für
Anorektische und Bulimische Ess-Störungen
geeignetsten (Tab. 2 unten), wobei ein 6. Faktor (atypische Essanfälle) zusätzlich definiert wurde. Einzelheiten zur Konstruktion finden sich in Fichter und Quadflieg [1999; 2000].
Es ist auch möglich, für die Erstellung von Subskalen des
SIAB-S die Faktorenstruktur des Experteninterviews SIABEX heranzuziehen. Damit ist die Möglichkeit gegeben, die
Übereinstimmung zwischen der Experten- und der Selbsteinschätzungsform des SIAB zu überprüfen. Näheres dazu ist in
Fichter und Quadflieg [1999; 2000] beschrieben. Generell zeigen sich bei den paarweisen Vergleichen mittlere Zusammenhänge zwischen den Experten- und den Selbsteinschätzungen
(Korrelationen zwischen 0,3 und 0,6).
Objektivität
Sowohl zum SIAB-EX als auch zum SIAB-S gibt es genaue
Anweisungen zur Erstellung der Diagnosen sowie zur Berechnung der Summenwerte. Das Manual für das SIAB-EX gibt
ausführliche Hinweise zu den Fragen mit deskriptiven Definitionen der Skalierung sowie Hinweise zur Befragungstechnik.
Demnach kann davon ausgegangen werden, dass die Durchführung, Auswertung und Interpretation unabhängig von der
jeweils tätigen Person ist.
Reliabilität
Interraterreliabilität: Ein großer Vorteil des SIAB-EX liegt
darin, dass – im Gegensatz zu allen anderen Experteninter-
Verhaltenstherapie 2001;11:314–325
317
Tab. 3. Korrelationen der SIAB-Subskalen (Jetzt-Zustand) mit den Subskalen des Experten-Interviews Eating Disorder Examination (EDE)
SIAB-EX (n = 80)

Körperschema
Allgemeine
Sexualität
Bulimische
Gegensteuernde
Atypische
Gesamtwert
und
PsychopathoSymptome
Maßnahmen,
Essanfälle
Schlankheitslogie und soziale
Fasten und
ideal
Integration
Substanzmissbrauch
EDE
Restraint
Eating Concern
Weight Concern
Shape Concern
EDE gesamt
0,73**
0,48**
0,37**
0,52**
0,67**
0,38**
0,54**
0,44**
0,56**
0,61**
0,21
0,21
0,24*
0,38**
0,32**
0,28*
0,61**
0,23*
0,27*
0,45**
0,69**
0,47**
0,35**
0,42**
0,62**
–0,05
0,31**
0,20
0,15
0,19
0,61**
0,72**
0,48**
0,62**
0,77**
SIAB-S (n = 81)

Allgemeine
Bulimische
Körperschema Sexualität und Gegensteuernde
Atypische
Gesamtwert
Psychopathologie Symptome
und SchlankKörpergewicht Maßnahmen,
Essanfälle
und soziale
heitsideal
Fasten und
Integration
Substanzmissbrauch
EDE
Restraint
Eating Concern
Weight Concern
Shape Concern
EDE gesamt
0,43**
0,55**
0,31**
0,41**
0,55**
0,25*
0,60**
0,19
0,18
0,41**
0,53**
0,44**
0,38**
0,41**
0,57**
0,40**
0,18
0,13
0,24*
0,31**
0,51**
0,50**
0,30**
0,34**
0,54**
–0,13
0,34**
0,03
0,07
0,10
0,52**
0,68**
0,35**
0,44**
0,65**
* p < 0,05; ** p < 0,01.
views zu Ess-Störungen – ein ausführliches Handbuch vorhanden ist. Dies sichert bei einer angemessenen Schulung von
Interviewern eine hohe Interraterreliabilität. Diese wurde bei
31 auf Video aufgenommenen Interviews geprüft. Insgesamt
lagen 116 vollständige Intervieweinschätzungen von 7 Beobachtern und Interviewern vor. Sie wurden jeweils paarweise
zwischen den Beurteilern verglichen. Der mittlere Wert von
Gesamt-κ (d. h. ein κ-Wert wurde für alle Fragen zusammen
berechnet) betrug 0,64 für den Jetzt-Zeitpunkt und 0,63 für
früher, wenn die Skalierung von 0 bis 4 zugrundegelegt wurde.
Nach Rekodierung der Skalierung in 0 (Einschätzung 0 oder 1
= nicht klinisch bedeutsam) oder 1 (Einschätzung 2, 3 oder 4 =
klinisch bedeutsam) ergaben sich κ-Werte von 0,81 (jetzt) und
0,85 (früher).
Skaleninterkorrelationen: Bis auf die Skala «Atypische Essanfälle» (r = 0,07 für jetzt und r = 0,19 für früher) korrelierten
die Subskalen des SIAB-EX mit Koeffizienten zwischen 0,54
und 0,82 (jetzt) bzw. 0,62 und 0,78 (früher) hoch mit dem Gesamtwert. «Atypische Essanfälle» korrelierten auch mit anderen Subskalen sehr gering. Niedrige Korrelationen mit den anderen Skalen des SIAB-EX zeigte ebenfalls die Skala «Bulimische Symptome». Generell belegen die Interkorrelationen
eine sinnvolle Skalenunterteilung der SIAB-EX-Items. Die
Interkorrelationen der Subskalen des SIAB-S sind verhältnismäßig hoch, insbesondere zwischen den Skalen, die Essanfälle
erfassen («Bulimische Symptome» bzw. «Atypische Essanfäl-
318
Verhaltenstherapie 2001;11:314–325
le»; 0,75 (jetzt), bzw. 0,72 (früher)). Die Korrelationen der
Einzelskalen mit dem Gesamtwert bewegen sich zwischen
0,41 und 0,87 und befinden sich damit überwiegend im höheren Bereich.
Interne Konsistenz: Für den SIAB-EX fanden sich Cronbachs
α-Koeffizienten zwischen 0,52 («Gegensteuernde Maßnahmen usw.» jetzt) und 0,93 («Bulimische Symptome» jetzt und
früher, Gesamtwert früher), wobei die Koeffizienten für die
Jetzt- und die Früher-Einschätzung in der Höhe vergleichbar
waren. Besonders konsistent zeigten sich die Subskala «Bulimische Symptome» und der Gesamtwert (0,92). Niedrigere
Koeffizienten (0,64 früher und 0,52 jetzt) waren bei der eher
heterogenen Subskala «Gegensteuernden Maßnahmen, Fasten und Substanzmissbrauch» festzustellen.
Die Koeffizienten für den SIAB-S lagen für die Früher-Einschätzung zwischen 0,69 und 0,94 und fallen damit sehr gut
aus, vor allem erweisen sich die Subskalen «Körperschema»,
«Allgemeine Psychopathologie», sowie der Gesamtwert als
besonders konsistent. Für die Jetzt-Einschätzung zeigten sich
Koeffizienten zwischen 0,74 und 0,92 mit einem besonders
niedrigen α (0,34) für die Subskala «Gegensteuerende Maßnahmen, Substanzmissbrauch, Fasten und Autoaggression».
Einzelheiten zur Skaleninterkorrelation und internen Konsistenz finden sich bei Fichter und Quadflieg [1999; 2001).
Sensitivität und Spezifität des SIAB-S: 279 Patienten wiesen lifetime (Früher- und Jetzt-Zustand kombiniert) eine definierte
Fichter/Quadflieg
Ess-Störung nach DSM-IV (Anorexia nervosa oder Bulimia
nervosa) gemäß dem Experteninterview SIAB-EX auf. Aufgrund der SIAB-S-Diagnosen wurden 194 korrekt zugeordnet, während dies für 78 von 98 Personen ohne definierte EssStörung zutraf. Damit ergibt sich für das SIAB-S eine Sensitivität für definierte Ess-Störungen nach DSM-IV (Anorexia
nervosa oder Bulimia nervosa) von 0,70 und eine Spezifität
von 0,80. Der positive Vorhersagewert («positive predictive
value», PPV) beträgt 0,91. Die Sensitivität des SIAB-S für
Jetzt-Diagnosen war 0,52, Spezifität 0,86 und der PPV betrug
für diesen Erfassungszeitpunkt 0,72. Die Früher-Werte waren
0,56 (Sensitivität), 0,82 (Spezifität) und 0,90 (PPV). Einzelheiten zur Verbesserung der prädiktiven Parameter finden sich in
Fichter und Quadflieg [1999].
Weitere Analysen ergaben einen SIAB-S-Gesamtwert von 1,3
als den Grenzwert, welcher am besten Personen mit einer definierten Ess-Störung nach DSM-IV nach dem Algorithmus
des SIAB-EX von solchen mit einer nicht näher bezeichneten
Ess-Störung trennte (für die Früher-Ausprägung; Sensitivität
0,79, Spezifität 0,66 und PPV 0,86). Auch für die Diagnosen
zum Jetzt-Zeitpunkt ergab sich als bester Trennwert ein
SIAB-S-Gesamtwert von 1,3 (Sensitivität 0,73, Spezifität 0,63
und PPV 0,58).
Validität
Konvergente Validität: Ein anderes häufig gebrauchtes strukturiertes Interview zur Erfassung von Ess-Störungen ist die Eating Disorder Examination (EDE) [Fairburn und Cooper,
1993; für diese Studie von uns übersetzt]. Die EDE umfasst 34
Items, aus denen – neben einigen Items, die ausschließlich diagnostischen Zwecken dienen – 4 aufgrund theoretischer Erwägungen zusammengestellte Subskalen gebildet werden können: «Gezügeltes Essen» («Restraint»), «Probleme mit dem
Essen» («Eating Concern»), «Probleme mit der Figur»
(«Shape Concern») und «Probleme mit dem Gewicht»
(«Weight Concern»). Da die EDE nur den Jetzt-Zeitpunkt
(meist die letzten 4 Wochen vor dem Interview, in Ausnahmefällen die letzten 3 Monate vor dem Interview) erfasst, wurden die Ergebnisse der EDE mit den Ergebnissen zum JetztZeitpunkt des SIAB-EX und des SIAB-S verglichen (Tab. 3).
Hohe Korrelationen ergaben sich zwischen der SIAB-EX
Skala «Körperschema und Schlankheitsideal» und EDE«Restraint», -«Shape Concern», sowie EDE-Gesamtwert; zwischen SIAB-EX-«Allgemeine Psychopathologie und Soziale
Integration» und EDE-«Eating Concern», -«Shape Concern»
und -Gesamtwert; zwischen SIAB-EX-«Bulimische Symptome» und EDE-«Eating Concern»; zwischen SIAB-EX«Gegensteuernde Maßnahmen usw.» und EDE-«Restraint»
und -Gesamtwert; sowie zwischen SIAB-EX-Gesamtwert und
allen Skalen des EDE, wobei die Korrelation mit EDE«Weight Concern» etwas geringer ausfällt.
Wie beim SIAB-EX ergaben sich hohe Korrelationen des
SIAB-S-Gesamtwerts mit allen Skalen der EDE. Ebenso korrelierte der EDE-Gesamtwert mit nahezu allen Skalen des
Strukturiertes Interview und Fragebogen für
Anorektische und Bulimische Ess-Störungen
SIAB-S mit Ausnahme der Skala SIAB-S-«Atypische Essanfälle», welche nur mit EDE-«Eating Concern» bedeutsam
korrelierte. Vergleiche dazu auch Fichter und Quadflieg [1999;
2001].
SIAB-EX und SIAB-S wurde mit den Selbsteinschätzungsverfahren Eating Disorder Inventory (EDI-2) [Garner et al.,
1983; Garner, 1991], dem Three Factor Eating Questionnaire
(TFEQ) [Stunkard und Messick, 1985; deutsch: Pudel und
Westenhöfer, 1989], der Hopkins Symptom Checklist (SCL90-R) [Derogatis et al., 1976], dem Beck Depressions-Inventar
(BDI) [Beck et al., 1961] und der PERI-Demoralisationsskala
(PERI-D) [Dohrenwend et al., 1980] verglichen. Die berichteten Zahlen beziehen sich sinnvollerweise auf den Jetzt-Zeitpunkt des SIAB (Tab. 4). Es wurde erwartet, dass die SIABEX-Skala «Körperschema und Schlankheitsideal» höhere
Korrelationen mit den konzeptuell ähnlichen Skalen EDI«Drang dünn zu sein» («drive for thinness»), EDI-«Körperliche Unzufriedenheit» und TFEQ-«Kognitive Kontrolle» aufweisen. In der Tat korrelierte SIAB-EX-«Körperschema und
Schlankheitsideal» mit EDI-«Drang dünn zu sein» und
TFEQ-«Kognitive Kontrolle» am höchsten, die gleiche SIABEX-Skala korrelierte mit EDI-«Körperliche Unzufriedenheit»
geringfügig negativ. SIAB-EX-«Allgemeine Psychopathologie» zeigte hohe Korrelationen mit den Summenwerten des
BDI und der PERI-D, mit dem EDI-Gesamtwert, EDI-«Ineffektivität» und EDI-«Soziale Unsicherheit», geringere mit
Ess-Störungsspezifischen Skalen und der SCL-90. Für die
Skala «Bulimische Symptome» (SIAB-EX) fanden sich sehr
hohe Korrelationen mit EDI-«Bulimie», TFEQ-«Enthemmung» und TFEQ-«Hunger». Die SIAB-EX-Skala «Gegensteuernde Maßnahmen, Fasten und Substanzmissbrauch» korrelierte mit EDI-«Drang dünn zu sein», EDI-«Interozeptive
Wahrnehmung», TFEQ-«Kognitive Kontrolle» und dem BDI.
«Atypische Essanfälle» (SIAB-EX) korrelierten mäßig mit
EDI-«Bulimie», EDI-«Körperliche Unzufriedenheit» und –
negativ – mit TFEQ-«Kognitive Kontrolle». Stärkere Zusammenhänge waren mit TFEQ-«Enthemmung» und TFEQ«Hunger» zu erkennen.
Die Skala SIAB-S-«Allgemeine Psychopathologie und soziale
Integration» wies Korrelationen zwischen 0,26 («Perfektionismus») und 0,71 («Ineffektivität») mit den Skalen des EDI
auf, welche sich auf eher persönlichkeitsnahe Eigenschaften
beziehen, hohe Korrelationen mit BDI und PERI-D, sowie
mittlere Korrelationen mit den SCL-90-Skalen. Hohe Korrelationen fanden sich zwischen SIAB-S-«Bulimie» und EDI«Bulimie», TFEQ-«Enthemmung» und TFEQ-«Hunger»,
sowie zwischen SIAB-S-«Körperschema und Schlankheitsideal» und EDI-«Drang dünn zu sein», dem EDI-Gesamtwert
und TFEQ-«Kognitive Kontrolle». Im Allgemeinen waren die
Koeffizienten bei SIAB-S-«Sexualität und Körpergewicht»
niedrig, wobei die Korrelationen mit EDI-«Asketizismus»,
EDI-«Ineffektivität», BDI und TFEQ-«Kognitive Kontrolle»
über 0,30 lagen. SIAB-S-«Atypische Essanfälle» zeigte Zusammenhänge mit TFEQ-«Enthemmung», TFEQ-«Hunger»
Verhaltenstherapie 2001;11:314–325
319
320
Verhaltenstherapie 2001;11:314–325
Fichter/Quadflieg
0,66 **
0,38 **
0,31 **
Beck-Depression-Index (BDI)
PERI Demoralization-Score (PERI)
* p < 0,05; ** p < 0,01.
0,07
0,02
0,07
0,19 **
0,16 **
0,03
–0,01
–0,03
0,07
0,02
0,30 **
0,26 **
0,27 **
0,31 **
0,33 **
0,27 **
0,15 **
0,18 **
0,21 **
0,20 **
0,68 **
0,15 *
–0,03
–0,02
0,13 *
0,10
0,10
0,29 **
0,34 **
0,29 **
0,19 **
0,05
0,03
0,33 **
0,14 *
0,24 **
0,28 **
0,31 **
0,27 **
0,18 **
0,30 **
0,52 **
0,30 **
0,24 **
0,20 **
0,57 **
0,23 **
0,42 **
0,45 **
0,25 **
0,42 **
0,40 **
0,57 **
Eating Disorder Inventory (EDI)
Gesamtwert
0,28 **
Drang dünn zu sein
0,38 **
Bulimie
0,00
Unzufriedenheit mit dem Körper –0,10
Ineffektivität
0,33 **
Perfektionismus
0,16 **
Zwischenmenschliches Mißtrauen 0,15 **
Interozeptive Wahrnehmung
0,33 **
Angst vor dem Erwachsensein
0,24 **
Asketizismus
0,38 **
Impulsregulation
0,17 **
Soziale Unsicherheit
0,28 **
Three Factor Eating Questionnaire
(TFEQ)
Kognitive Kontrolle
0,62 **
Enthemmung
–0,19 **
Hunger
–0,14 **
Symptom Checkliste SCL 90-R (SCL)
General Symptomatic Index
0,15 **
Somatisierung
0,12 *
Zwanghaftigkeit
0,12 *
Unsicherheit im Sozialkontakt
0,13 *
Depressivität
0,14 **
Ängstlichkeit
0,13 *
Aggressivität / Feindseligkeit
0,09
Phobische Angst
0,13 *
Paranoides Denken
0,10
Psychotizismus
0,14 **
0,24 **
0,21 **
0,11 *
0,14 *
0,09
0,09
0,13 *
0,09
0,05
0,02
0,07
0,11 *
0,07
0,51 **
0,41 **
0,37 **
0,33 **
0,65 **
0,04
0,22 **
0,12 *
0,22 **
0,28 **
0,03
0,22 **
0,25 **
0,23 **
0,25 **
0,37 **
0,08
0,04
0,04
0,11 *
0,06
0,08
0,04
0,06
0,06
0,07
0,41 **
–0,07
–0,13 *
0,27 **
0,36 **
0,07
0,02
0,23 **
0,10
0,15 **
0,31 **
0,16 **
0,26 **
0,26 **
0,26 **
0,00
0,01
0,09
0,07
0,10
0,01
0,06
0,13 *
0,09
0,12 *
0,05
0,09
–0,27 **
0,30 **
0,33 **
0,12 *
–0,01
0,19 **
0,26 **
0,01
0,00
0,00
0,07
–0,01
–0,03
0,07
0,02
0,79**
0,75**
0,35**
0,29**
0,33**
0,40**
0,41**
0,30**
0,20**
0,19**
0,23**
0,21**
0,19**
0,20**
0,17**
0,67**
0,43**
0,32**
0,26**
0,71**
0,26**
0,50**
0,58**
0,34**
0,59**
0,53**
0,67**
0,28**
0,22**
0,13*
0,12*
0,13*
0,16**
0,18**
0,08
0,04
0,01
0,07
0,08
0,09
0,59**
0,52**
0,47**
0,44**
0,76**
0,12*
0,25**
0,12*
0,18**
0,38**
0,07
0,29**
0,32**
0,24**
0,29**
0,35**
0,13*
0,10
0,10
0,15**
0,14*
0,11*
0,09
0,09
0,09
0,09
0,60**
0,12*
0,09
0,51**
0,70**
0,29**
0,23**
0,33**
0,23**
0,15**
0,42**
0,20**
0,47**
0,28**
0,25**
0,29**
0,35**
0,18**
0,12*
0,16**
0,22**
0,16**
0,13*
0,14*
0,11*
0,15**
0,16**
0,34**
–0,16**
–0,09
0,22**
0,16**
–0,04
–0,12*
0,32**
0,14*
0,19**
0,29**
0,30**
0,31**
0,21**
0,26**
0,32**
0,40**
0,09
0,07
0,06
0,14*
0,14*
0,08
0,03
–0,02
0,05
0,04
0,25**
0,11*
0,08
0,34**
0,35**
0,29**
0,01
0,33**
0,11*
0,14**
0,34**
0,16**
0,31**
0,31**
0,25**
0,17
–0,13
–0,15
–0,06
–0,15
–0,18
–0,02
–0,08
–0,22*
–0,24*
–0,17
–0,14
–0,16
0,68**
0,62**
0,37**
0,26*
0,67**
0,26*
0,02
0,26*
0,16
0,19
–0,02
0,23
0,37**
0,15
SIAB-EX
SIAB-S

KörperAllgemeine Sexualität Bulimische GegenAtypische Allgemeine Bulimische KörperSexualität
GegenAtypische
schema und PsychoSymptome steuernde
Essanfälle PsychoSymptome schema
und
steuernde
Essanfälle
Schlank
pathologie
Maßpathologie
und
KörperMaßheitsideal
und soziale
nahmen,
und soziale
Schlankgewicht
nahmen,
Integration
Fasten und
Integration
heitsideal
Fasten und
SubstanzSubstanzmissbrauch
missbrauch
Tab. 4. Korrelation der SIAB-Subskalen (Jetzt-Zustand) mit standardisierten Skalen zur Ess-Störungs-spezifischen und allgemeinen Psychopathologie (n = 377; n variiert über die Skalen)
und EDI-«Bulimie». Die Korrelationen zwischen SIAB-S«Gegensteuernde Maßnahmen, Fasten und Substanzmissbrauch» und den EDI-Skalen «Drang dünn zu sein», «Ineffektivität», «Interozeptive Wahrnehmung», «Asketizismus»,
«Impulsregulation» und Gesamtwert sind im mittleren Bereich angesiedelt.
Diskriminante Validität: Alle Skalen der SCL-90 zeigten mit
den Skalen des SIAB-EX und des SIAB-S geringe Korrelationen. Eine Ausnahme stellte die Korrelation mit SIAB-EX«Allgemeiner Psychopathologie» dar. BDI und PERI-D dagegen zeigten bedeutsame Zusammenhänge mit allen SIABEX-Skalen außer «Atypischen Essanfällen». Höhere Korrelationen fanden sich zwischen Depression bzw. Demoralisation
und der allgemeinen Psychopathologie. EDI-«Bulimie» korreliert nicht mit SIAB-EX-«Körperschema und Schlankheitsideal», hingegen hoch mit SIAB-EX-«Bulimische Symptome». Die Mehrzahl der persönlichkeitsbezogenen EDI-Skalen zeigten die höchsten Korrelationen mit der «Allgemeinen
Psychopathologie» (SIAB-EX). TFEQ-«Enthemmung» und
TFEQ-«Hunger» korrelierten nur mit SIAB-EX-Skalen, die
sich auf Essanfälle beziehen.
SIAB-S-«Allgemeine Psychopathologie und soziale Integration» sowie SIAB-S-«Bulimie» wiesen niedrige Korrelationen
mit den Ess-Störungs-spezifischen Skalen des TFEQ und den
Ess-Störungs-bezogenen Skalen des EDI auf. SIAB-S-«Körperschema und Schlankheitsideal» und TFEQ-«Enthemmung» sowie TFEQ-«Hunger» korrelierten gering, etwas höhere Korrelationen fanden sich zwischen dieser SIAB-S-Skala
und den Skalen des EDI und dem BDI. SIAB-S-«Sexualität
und Körpergewicht», SIAB-S-«Atypische Essanfälle», sowie
SIAB-S-«Gegensteuernde Maßnahmen, Fasten und Substanzmissbrauch» wiesen keine bedeutsamen Korrelationen mit
den anderen Skalen auf, mit Ausnahme von mittleren Korrelationen der Skala «Gegensteuerenden Maßnahmen usw.» mit
BDI und PERI-D.
Vergleich der Skalenprofile von Anorexia nervosa und
Bulimia nervosa bei stationären Patienten
In den Tabellen 1 und 2 sind die Mittelwerte der Skalen des
SIAB-EX, bzw. des SIAB-S bei stationär behandelten Patienten mit Ess-Störungen dargestellt. Die Mittelwerte der Selbstauskunft beruhen auf der Faktorenstruktur des SIAB-S. Zur
statistischen Absicherung der Mittelwertsdifferenzen zwischen Anorexia nervosa und Bulimia nervosa wurden t-Tests
gerechnet. Da jeweils Gruppen von mehreren t-Tests berechnet wurden, wurde als Schwelle ein Signifikanzniveau von 1%
zur Kontrolle multipler Testeffekte zugrundegelegt.
Für beide Messzeitpunkte ist der Gesamtwert des SIAB-EX
bei Anorexia nervosa und Bulimia nervosa vergleichbar hoch,
Patienten mit Anorexia nervosa weisen im Vergleich zu Patienten mit Bulimia nervosa höhere Werte in der Skala «Körperschema und Schlankheitsideal» für beide Zeitpunkte und
für den Zeitpunkt der Aufnahme in die Klinik auch höhere
Werte bezüglich der Störung der Sexualität auf. Patienten mit
Strukturiertes Interview und Fragebogen für
Anorektische und Bulimische Ess-Störungen
Bulimia nervosa dagegen haben – wenig überraschend – höhere Werte in den Skalen «Bulimische Symptome» und «Atypische Essanfälle» (Tab. 1).
Auffällige Unterschiede zwischen Anorexia nervosa und Bulimia nervosa finden sich bei den SIAB-S-Skalen «Bulimische
Symptome» und «Atypische Essanfälle» für beide Zeitpunkte,
wobei erwartungsgemäß Bulimia-nervosa-Patienten höhere
Werte aufweisen. Körperschemastörung und Schlankheitsideal sind zwischen den beiden Gruppen in der Selbstauskunft
im allgemeinen nicht unterschiedlich, allerdings weisen Patienten mit Anorexia nervosa bei Aufnahme eine signifikant
stärker ausgeprägte Körperschemastörung auf. Bei Aufnahme
geben die magersüchtigen Patienten mehr klinisch relevante
Beeinträchtigung von Sexualität und Körpergewicht an. Patienten mit Bulimia nervosa berichten für die Lebenszeit bis
zur Aufnahme (früher) mehr Pathologie bei gegensteuernden
Maßnahmen, Substanzmissbrauch, Fasten und Autoaggression, bei ihnen ist für den selben Zeitraum auch der Gesamtwert des SIAB-S höher als bei den Magersüchtigen.
Vergleichswerte (SIAB-EX) für junge Frauen aus der
Normalbevölkerung
Tabelle 5 gibt für das Experten-Interview SIAB-EX einen
Überblick über die Summenwerte von 202 jungen Frauen aus
der Normalbevölkerung, die keine Ess-Störung aufwiesen.
Die detaillierten Angaben zu den Einzelitems für die stationäre Patientenstichprobe sind in Fichter und Quadflieg [1999]
abgedruckt.
Sämtliche Summenwerte des SIAB-EX der Frauen aus der
Normalbevölkerung liegen hoch signifikant unter denen der
stationären Stichprobe (t-Test, alle p < 0,000). Die Skalen, die
eine Beeinträchtigung der Sexualität erfassen, weisen die
höchsten Werte von allen Skalen des SIAB-EX in der Vergleichsgruppe auf, während gegensteuernde Maßnahmen offensichtlich am seltensten vorhanden sind.
In einer weiteren Analyse sind wir der Frage nachgegangen,
welcher Summenwert des SIAB-EX die Patienten der Klinik
Roseneck von den Frauen aus der Bevölkerung trennt. Da in
den meisten klinischen und epidemiologischen Studien das
Interesse sich darauf konzentrieren dürfte, Personen, die
irgendwann im Leben eine Ess-Störung hatten; zu identifizieren, wurden die Lifetime-Gesamtwerte (Maximum aus jetzt
und früher) des SIAB-EX verwendet. In der Stichprobe aus
der Normalbevölkerung wurden die Frauen ausgeschlossen,
die in ihrem Leben eine Anorexia nervosa, Bulimia nervosa,
Binge Eating Disorder, oder eine nicht näher bezeichnete EssStörung der ersten drei Beispiele des DSM-IV aufwiesen. Um
die Stichprobe aus der Klinik Roseneck für diese Analyse vergleichbar zu machen, wurden in dieser Stichprobe nur die Patienten berücksichtigt, die eine der genannten Lifetime-Diagnosen aufwiesen. Dies waren 300 Patienten. Ein LifetimeGesamtwert («worst ever») von 1,0 trennt die Patienten sehr
gut von den Frauen ohne Ess-Störung. Legt man einen Cutoff-Wert von größer als 1,0 fest, so ergibt sich eine Sensitivität
Verhaltenstherapie 2001;11:314–325
321
Tab. 5a. SIAB-EX (früher) für Frauen ohne Ess-Störungen aus der Normalbevölkerung und Patienten mit Anorexia und Bulimia nervosa
Item No.
16
7
61
(1)
12
59
42
60
14
3
10
13
19
55
15
17
66
65
64
67
4
6
62
58
68
5
56
69
70
57
78
76
79
82
75
77
81
83
84
80
53
63
21a
23
24
21b
26
28
35
34
22
38
37
41
72
73
36
11
71
39
43
44
31
32
29
33
30
I Körperschema und Schlankheitsideal
Körperschemastörungen
Angst vor Gewichtszunahme
Gedankliche Zentriertheit auf Schlankheit der Figur
Untergewicht (modifiziert) / Abweichung vom normalen Körpergewicht
Qualitative Nahrungseinschränkung
Zwangsartige Handlungen bezüglich Essen
Exzessive körperliche Bewegung
Gedankliche Zentriertheit bezüglich Essen
Ausspucken von Nahrungsmitteln
Innere Leistungsorientierung
Abhängigkeit des Selbstwertgefühls von Figur und Gewicht
Kaloriengrenzen
Amenorrhoe (modifiziert)
Verstopfung
Wiederkäuen
Verleugnung der Bedrohlichkeit des Untergewichts
II Allgemeine Psychopathologie
Vermindertes Vertrauen in eigene Fähigkeiten
Depressive Gedanken
Depressive Stimmung
Verminderung des Selbstwertgefühls
Ängste
Schlafstörungen
Gefühl eigener Insuffizienz und Hilflosigkeit
Zwangsgedanken und Zwangsgrübeln
Suizidgedanken
Phobien
Kontroll- oder Wiederholungszwang
Suizidhandlungen
Autoaggressive Verhaltensweisen
Sauberkeitszwänge
III Sexualität und Soziale Integration
Sexuelles Verhalten
Sexuelle Ängste
Mangel an aktiver Freizeitgestaltung
Kontaktvermeidung
Nachlassen sexueller Bedürfnisse
Stabilität der Partnerbeziehung
Qualität sozialer Kontakte
Krankheitsverleugnung
Globale Symptomeinschätzung
Vermindertes Ausmaß sozialer Kontakte
Tatsächliche Beeinträchtigung
Verminderte Wahrnehmung innerer Reize
IV Bulimische Symptome
Essanfälle (objektiv)
Häufigkeit von Essanfällen (3 Monate)
Häufigkeit von Essanfällen (6 Monate)1
Essanfälle (subjektiv)
Kontrollverlust
Gefühl des Leidens und der Besorgnis im Zusammenhang mit den Essanfällen
Erbrechen
Zwang oder Gier zu essen
Zeitlicher Verlauf der Essanfälle
V Gegensteuernde Maßnahmen, Fasten, Substanzmissbrauch
Appetitzügler
Diuretika
Exzessives Fasten
Beruhigungsmittel
Drogen
Laxantienabusus
Quantitative Nahrungseinschränkung
Alkoholmissbrauch
Medikamente zur Steigerung der Schilddrüsenfunktion
Einläufe
Brechmittel
VI Atypische Essanfälle
Häufigkeit von atypischen Essanfällen (3 Monate)
Häufigkeit von atypischen Essanfällen (6 Monate)1
Atypische Essanfälle
Vermehrtes Essen bei Stress und Belastung
Angenehmes Völlegefühl nach Essanfällen
Gesamtwert
Keine Ess-Störung
(n = 202)

M (SD)
Anorexia nervosa
(n = 60)

M (SD)
Bulimia nervosa
(n = 97)


M (SD)
0,6 (0,3)
0,6 (0,8)
1,0 (0,9)
1,0 (1,0)
0,6 (0,7)
0,6 (0,9)
0,0 (0,2)
1,3 (1,1)
0,6 (0,9)
0,0 (0,1)
1,1 (1,1)
1,4 (1,0)
0,3 (0,8)
0,3 (0,7)
0,5 (0,9)
0,0 (0,0)
0,1 (0,4)
0,5 (0,5)
0,7 (1,0)
0,7 (1,1)
0,8 (1,0)
0,9 (1,0)
0,7 (1,1)
0,7 (1,1)
0,7 (1,0)
0,2 (0,6)
0,5 (0,9)
0,6 (0,8)
0,2 (0,5)
0,1 (0,5)
0,1 (0,5)
0,1 (0,3)
0,7 (0,6)
0,2 (0,7)
0,5 (1,1)
1,5 (1,4)
0,7 (1,3)
1,0 (1,4)
0,9 (1,2)
0,4 (1,0)
0,3 (0,7)
0,5 (0,7)
1,2 (1,2)
0,5 (0,9)
0,5 (0,8)
0,3 (0,4)
0,3 (0,7)
0,2 (0,6)
0,2 (0,5)
0,3 (0,6)
0,2 (0,5)
0,1 (0,5)
0,0 (0,2)
0,9 (1,0)
0,3 (0,8)
0,2 (0,2)
0,0 (0,1)
0,0 (0,2)
0,4 (0,9)
0,0 (0,2)
0,2 (0,5)
0,0 (0,1)
0,9 (1,1)
0,9 (0,4)
0,0 (0,0)
0,0 (0,0)
0,0 (0,1)
0,4 (0,6)
0,4 (0,8)
0,3 (0,7)
0,5 (0,9)
0,6 (0,9)
0,1 (0,3)
0.5 (0.3)
2,6 (0,4)
3,4 (0,8)
3,6 (0,6)
3,3 (0,8)
3,9 (0,4)
3,1 (1,2)
2,2 (1,0)
2,5 (1,4)
3,6 (0,7)
0,9 (1,3)
2,3 (1,3)
3,3 (0,9)
1,8 (1,9)
2,1 (0,6)
2,1 (1,6)
0,2 (0,7)
3,4 (1,2)
1,5 (0,7)
2,1 (1,1)
2,1 (1,2)
2,1 (1,2)
2,5 (1,2)
1,4 (1,3)
2,0 (1,6)
2,3 (1,1)
0,5 (0,9)
2,0 (1,5)
1,1 (1,2)
0,6 (1,0)
0,6 (1,2)
0,8 (1,2)
0,8 (0,9)
2,7 (0,6)
2,6 (1,7)
2,8 (1,4)
2,9 (1,2)
2,4 (1,3)
3,7 (0,7)
2,3 (1,6)
1,6 (1,6)
3,3 (1,2)
3,8 (0,4)
2,4 (1,3)
2,8 (1,3)
2,5 (0,8)
1,9 (1,4)
2,1 (1,7)
1,8 (1,6)
1,8 (1,4)
2,4 (1,8)
1,9 (1,2)
2,0 (1,6)
2,0 (1,9)
2,1 (1,4)
1,4 (1,7)
1,0 (0,5)
0,4 (0,9)
0,3 (0,9)
1,5 (1,8)
0,3 (0,5)
0,3 (0,8)
1,7 (1,7)
3,6 (0,7)
1,1 (0,9)
0,1 (0,5)
0,1 (0,3)
0,0 (0,0)
0,4 (0,7)
0,5 (0,9)
0,5 (1,0)
0,6 (1,2)
0,7 (1,3)
0,0 (0,0)
1,9 (0,4)
2,1 (0,6)
2,4 (1,2)
3,0 (0,8)
3,0 (1,0)
1,7 (1,4)
2,9 (1,1)
1,2 (1,3)
2,0 (1,4)
3,5 (1,0)
0,8 (1,3)
1,8 (1,3)
3,1 (0,7)
2,2 (1,7)
1,5 (1,0)
2,0 (1,7)
0,3 (1,0)
2,1 (1,8)
1,8 (0,8)
2,6 (1,2)
2,5 (1,3)
2,4 (1,0)
2,9 (1,2)
1,5 (1,4)
2,4 (1,5)
2,6 (1,1)
0,6 (1,0)
2,5 (1,4)
1,4 (1,1)
0,6 (1,0)
1,0 (1,3)
1,1 (1,4)
0,8 (1,1)
2,5 (0,7)
1,8 (1,8)
2,3 (1,5)
2,8 (1,2)
2,2 (1,4)
2,5 (1,7)
2,0 (1,4)
2,2 (1,8)
2,8 (1,4)
3,7 (0,5)
2,2 (1,3)
2,8 (1,1)
2,5 (0,8)
3,4 (0,5)
3,6 (0,6)
3,7 (0,6)
3,5 (0,7)
3,7 (0,6)
3,0 (0,7)
2,9 (1,1)
3,5 (1,1)
3,2 (1,0)
3,0 (1,5)
1,2 (0,6)
0,9 (1,5)
0,4 (1,1)
1,9 (1,6)
0,5 (1,0)
0,4 (0,8)
1,7 (1,7)
3,4 (0,9)
1,4 (1,0)
0,1 (0,5)
0,2 (0,8)
0,0 (0,0)
1,6 (1,0)
1,7 (1,5)
1,6 (1,5)
2,7 (1,7)
2,1 (1,9)
0,1 (0,4)
2,0 (0,5)
M = Mittelwert; SD = Standardabweichung.
322
Verhaltenstherapie 2001;11:314–325
Fichter/Quadflieg
Tab. 5b. SIAB-EX (jetzt) für Frauen ohne Ess-Störungen aus der Normalbevölkerung und Patienten mit Anorexia und Bulimia nervosa
Item No.
16
7
61
12
59
(1)
13
60
19
3
10
14
42
55
63
83
15
17
67
66
64
65
82
79
4
68
62
80
6
5
53
72
58
81
57
56
69
78
77
76
75
23
24
21a
21b
26
28
35
34
84
22
38
41
36
73
70
37
11
71
39
43
44
29
31
32
33
30
I Körperschema und Schlankheitsideal
Körperschemastörungen
Angst vor Gewichtszunahme
Gedankliche Zentriertheit auf Schlankheit der Figur
Qualitative Nahrungseinschränkung
Zwangsartige Handlungen bezüglich Essen
Untergewicht (modifiziert) / Abweichung vom normalen Körpergewicht
Kaloriengrenzen
Gedankliche Zentriertheit bezüglich Essen
Amenorrhoe (modifiziert)
Innere Leistungsorientierung
Abhängigkeit des Selbstwertgefühls von Figur und Gewicht
Ausspucken von Nahrungsmitteln
Exzessive körperliche Bewegung
Verstopfung
Verminderte Wahrnehmung innerer Reize
Krankheitsverleugnung
Wiederkäuen
Verleugnung der Bedrohlichkeit des Untergewichts
II Allgemeine Psychopathologie und Soziale Integration
Verminderung des Selbstwertgefühls
Vermindertes Vertrauen in eigene Fähigkeiten
Depressive Stimmung
Depressive Gedanken
Kontaktvermeidung
Mangel an aktiver Freizeitgestaltung
Ängste
Suizidgedanken
Gefühl eigener Insuffizienz und Hilflosigkeit
Vermindertes Ausmaß sozialer Kontakte
Schlafstörungen
Phobien
Tatsächliche Beeinträchtigung
Beruhigungsmittel
Zwangsgedanken und Zwangsgrübeln
Qualität sozialer Kontakte
Sauberkeitszwänge
Kontroll- oder Wiederholungszwang
Suizidhandlungen
III Sexualität
Sexuelles Verhalten
Stabilität der Partnerbeziehung
Sexuelle Ängste
Nachlassen sexueller Bedürfnisse
IV Bulimische Symptome
Häufigkeit von Essanfällen (3 Monate)
Häufigkeit von Essanfällen (6 Monate)1
Essanfälle (objektiv)
Essanfälle (subjektiv)
Kontrollverlust
Gefühl des Leidens und der Besorgnis im Zusammenhang mit den Essanfällen
Erbrechen
Zwang oder Gier zu essen
Globale Symptomeinschätzung
Zeitlicher Verlauf der Essanfälle
V Gegensteuernde Maßnahmen, Fasten, Substanzmissbrauch
Appetitzügler
Exzessives Fasten
Laxantienabusus
Drogen
Autoaggressive Verhaltensweisen
Diuretika
Quantitative Nahrungseinschränkung
Alkoholmissbrauch
Medikamente zur Steigerung der Schilddrüsenfunktion
Einläufe
Brechmittel
VI Atypische Essanfälle
Atypische Essanfälle
Häufigkeit von atypischen Essanfällen (3 Monate)
Häufigkeit von atypischen Essanfällen (6 Monate)1
Vermehrtes Essen bei Stress und Belastung
Angenehmes Völlegefühl nach Essanfällen
Gesamtwert
Keine Ess-Störung
(n = 202)

M (SD)
Anorexia nervosa
(n = 60)

M (SD)
Bulimia nervosa
(n = 97)


M (SD)
0,3 (0,2)
0,2 (0,5)
0,9 (0,9)
0,5 (0,7)
0,3 (0,6)
0,0 (0,2)
0,2 (0,4)
0,0 (0,2)
0,3 (0,7)
0,1 (0,2)
0,9 (1,0)
1,1 (0,9)
0,0 (0,0)
0,6 (0,8)
0,2 (0,6)
0,3 (0,6)
0,2 (0,6)
0,0 (0,0)
0,1 (0,4)
0,3 (0,4)
0,3 (0,7)
0,3 (0,7)
0,3 (0,7)
0,3 (0,7)
0,3 (0,8)
0,9 (1,1)
0,6 (0,8)
0,1 (0,3)
0,4 (0,8)
0,9 (1,0)
0,4 (0,8)
0,5 (0,8)
0,2 (0,7)
0,0 (0,1)
0,1 (0,4)
0,2 (0,6)
0,0 (0,2)
0,1 (0,4)
0,0 (0,1)
0,6 (0,8)
0,3 (1,0)
1,2 (1,6)
0,2 (0,8)
0,6 (1,1)
0,2 (0,3)
0,2 (0,4)
0,1 (0,4)
0,2 (0,5)
0,2 (0,5)
0,1 (0,4)
0,1 (0,2)
0,0 (0,1)
0,7 (0,8)
0,3 (0,5)
0,2 (0,7)
0,1 (0,1)
0,0 (0,0)
0,1 (0,4)
0,0 (0,1)
0,1 (0,3)
0,0 (0,2)
0,0 (0,0)
0,4 (0,7)
0,9 (0,4)
0,0 (0,0)
0,0 (0,1)
0,0 (0,0)
0,2 (0,4)
0,3 (0,7)
0,2 (0,5)
0,2 (0,4)
0,5 (0,8)
0,1 (0,3)
0,3 (0,2)
1,9 (0,4)
2,8 (1,1)
3,1 (0,8)
2,7 (1,2)
2,5 (1,3)
1,9 (1,1)
3,2 (0,8)
0,9 (1,5)
3,0 (1,2)
1,9 (0,6)
1,6 (1,4)
2,9 (1,0)
0,6 (1,1)
0,9 (1,3)
1,1 (1,6)
2,4 (0,8)
1,1 (1,0)
0,1 (0,3)
1,2 (1,8)
1,3 (0,6)
2,1 (1,3)
1,8 (1,1)
1,5 (1,2)
1,7 (1,2)
1,8 (1,5)
2,2 (1,4)
1,1 (1,0)
0,5 (1,1)
2,0 (1,2)
1,6 (1,4)
1,9 (1,5)
1,0 (1,1)
2,5 (1,3)
0,2 (0,5)
0,4 (0,7)
0,6 (1,1)
0,7 (0,8)
0,5 (0,8)
0,1 (0,4)
3,0 (1,0)
3,3 (1,3)
2,7 (1,6)
2,6 (1,4)
3,5 (1,0)
1,8 (1,3)
1,5 (1,6)
1,5 (1,6)
1,5 (1,7)
1,7 (1,8)
1,7 (1,2)
1,7 (1,7)
1,4 (1,8)
1,7 (1,4)
3,7 (0,5)
–
0,5 (0,3)
0,0 (0,3)
0,5 (1,3)
0,7 (1,3)
0,0 (0,1)
0,2 (0,6)
0,0 (0,1)
3,1 (1,2)
0,7 (0,7)
0,0 (0,1)
0,0 (0,0)
0,0 (0,0)
0,3 (0,5)
0,3 (1,1)
0,3 (0,8)
0,3 (0,8)
0,4 (1,2)
0,0 (0,0)
1,4 (0,4)
1,3 (0,5)
1,9 (1,2)
2,2 (1,1)
2,4 (1,2)
1,5 (1,5)
0,7 (1,0)
0,4 (0,7)
0,7 (1,4)
2,7 (1,5)
0,7 (0,8)
1,5 (1,2)
2,8 (0,8)
0,3 (1,0)
0,6 (1,0)
1,1 (1,6)
2,3 (0,9)
0,4 (0,7)
0,2 (0,9)
0,5 (1,4)
1,3 (0,7)
2,3 (1,5)
2,1 (1,4)
1,9 (1,2)
1,8 (1,5)
1,5 (1,4)
2,1 (1,5)
1,3 (1,2)
0,7 (1,3)
2,1 (1,4)
1,5 (1,3)
1,6 (1,6)
1,1 (1,0)
2,5 (1,3)
0,1 (0,9)
0,5 (0,9)
0,9 (1,4)
0,5 (0,9)
0,4 (0,7)
0,0 (0,1)
2,0 (1,3)
2,2 (1,9)
2,1 (1,7)
1,7 (1,6)
2,1 (1,7)
3,2 (0,5)
3,4 (0,8)
3,4 (0,8)
3,4 (0,8)
3,5 (0,7)
3,0 (0,7)
3,0 (1,1)
3,1 (1,3)
2,8 (1,2)
3,6 (0,5)
–
0,5 (0,4)
0,2 (0,9)
0,4 (1,0)
0,7 (1,3)
0,1 (0,4)
0,4 (1,1)
0,1 (0,6)
1,7 (1,7)
0,7 (0,7)
0,0 (0,1)
0,2 (0,8)
0,0 (0,0)
1,2 (1,0)
1,5 (1,9)
1,2 (1,4)
1,2 (1,4)
2,1 (1,9)
0,0 (0,0)
1,4 (0,4)
M = Mittelwert; SD = Standardabweichung; – = keine ausreichende Information.
1 Item wird zusätzlich berichtet (ist in keiner Subskala beinhaltet).
Strukturiertes Interview und Fragebogen für
Anorektische und Bulimische Ess-Störungen
Verhaltenstherapie 2001;11:314–325
323
des Lifetime-SIAB-EX-Gesamtwertes von 0,98, eine Spezifität von 0,97, sowie ein PPV von 0,98. Ein Cut-off-Wert von
größer oder gleich 0,80 des Lifetime-SIAB-EX-Gesamtwertes
ergibt eine Sensitivität von 1,00, eine Spezifität von 0,84 sowie
einen PPV von 0,90. Eine sichere Identifikation von Personen
mit einer Lifetime-Ess-Störung resultiert in einer verhältnismäßig geringen Rate falsch positiv Identifizierter von 16,3%.
Diskussion
Während die Formulierung von diagnostischen Kriterien eine
erhebliche Verbesserung und Vereinheitlichung psychiatrischer und klinisch-psychologischer Diagnose-Stellung darstellen, zeigt die Diskussion um die unterschiedlichen Ergebnisse
der beiden US-amerikanischen epidemiologischen Studien
«Epidemiological Catchment Area Study» (ECA) und «National Comorbidity Survey» (NCS) deutlich, dass die genaue
Formulierung von Fragen im Rahmen eines klinisch-diagnostischen Interviews einen erheblichen Einfluss auf die Ergebnisse haben kann [Regier et al., 1998]. Für den SIAB-EX existieren für jede Frage in einem Manual klare Anweisungen zur
Einordnung der Symptome in die Schweregradskala. Es ist
das einzige auf Ess-Störungen spezialisierte Experten-Interview in deutscher Sprache, für das empirisch gewonnene
Normdaten und Testgütekriterien existieren. Das SIAB-EX
und das SIAB-S zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein weites
Spektrum von Ess-Störungs-typischer Psychopathologie abdecken, wobei sowohl derzeit vorhandene als auch jemals im
Laufe des Lebens aufgetretene Symptome erfasst werden.
Neben quantitativen Werten wird eine solide Datenbasis für
die diagnostische Beurteilung nach ICD-10 und DSM-IV bereitgestellt. Dazu ist ein Auswertungsalgorithmus zur exakten
diagnostischen Einschätzung der Anorexia nervosa (restrictive type, binge eating/purging type), Bulimia nervosa und Subtypen, Binge Eating Disorder und nicht näher bezeichnete
Ess-Störung erhältlich, welcher auch als SPSS-Syntax-Datei
vorliegt.
Die Verfügbarkeit einer Experten- und Selbsteinschätzungsversion in Bezug auf das gleiche Item hat mehrere Vorteile.
Da Selbstrating-Bögen leichter eingesetzt werden können,
eignen sie sich gut als Screening-Instrument in zwei- oder
mehrstufigen Verfahren, um Personen mit einem hohen Risiko für ein ausführlicheres Interview auszuwählen. Das Instrument kann für die detaillierte Einschätzung essgestörter Patienten in Längsschnittstudien über einen längeren Zeitraum
verwendet werden und ebenso als Basis für die Einschätzung
der Effekte psychologischer oder pharmakologischer Behandlungen auf den Verlauf der Ess-Störungen.
Zwar sind varimax-rotierte Faktoren unabhängig voneinander, doch trifft dies für die daraus gewonnenen Summenwerte
in der Regel nicht zu. Die Skaleninterkorrelationen bewegten
sich zwischen 0,03 und 0,55 für den SIAB-EX und zwischen
0,00 und 0,75 für den SIAB-S und zeigten damit sowohl Un-
324
Verhaltenstherapie 2001;11:314–325
abhängigkeit als auch enge Verbundenheit. Die hohen Korrelationen fanden sich bei den Skalen, die inhaltlich von der
Ess-Störungs-Symptomatik her eng verknüpft sind.
Die interne Konsistenz bewegte sich mit Cronbachs α-Koeffizienten meist über 0,70 für beide Erfassungsmodalitäten im
akzeptablen bis sehr guten Bereich [vgl. Shore und Porter,
1990]. Koeffizienten unter 0,70 weisen nur die Skalen auf, die
gegensteuernde Maßnahmen mit weiteren Symptomen erfassen. Dies dürfte auf die in der Skala bereits angelegte Heterogenität der erfassten Symptome zurückzuführen sein.
Die getrennten Faktorenanalysen mit den Daten des SIABEX und den Daten des SIAB-S ergaben bemerkenswert ähnliche Faktorenstrukturen. Auffällig war die Trennung von
Schlankheitsideal und Körperschemastörung bei der Selbsteinschätzung für früher, die sich nur dort fand. Die zweite auffällige Abweichung ist die Assoziation von niedrigem Körpergewicht mit Sexualität bei der Selbsteinschätzung für den
Jetzt-Zeitpunkt. Bei den anderen Einschätzungen ist das niedrige Körpergewicht mit der Körperschemastörung (SIAB-S
früher) bzw. Körperschema und Schlankheitsideal (SIAB-EX
jetzt und früher) assoziiert. Eine ausführliche Diskussion der
Ähnlichkeiten der Erfassung durch SIAB-EX und SIAB-S
führen Fichter und Quadflieg [2000].
Die Konstruktvalidität des SIAB-EX und des SIAB-S wurde
im Vergleich mit der international häufig verwendeten EDE
überprüft. Das Ergebnis belegt eine sehr gute inhaltliche Validität beider Formen des SIAB. Ein wichtiger Unterschied ist
die divergierende Definition von Essanfällen. Offensichtlich
sind die Konzepte der EDE (subjektive Essanfälle, subjektives und objektives Überessen-Overeating) und die Konzepte
des SIAB-EX (subjektive Essanfälle und atypische Essanfälle) nicht deckungsgleich. Eine ausführliche Diskussion dazu
findet sich bei Fichter und Quadflieg [2001]. Die englischsprachige EDE ist inhaltlich sehr viel enger gefasst als das SIAB.
Außerdem liegt keine offizielle deutsche Übersetzung des
EDE mit überprüften Gütekriterien vor. Während das EDE
ausschließlich Ess-Störungs-bezogene Symptome erfasst,
beinhaltet das SIAB-EX auch zahlreiche Fragen zu nicht EssStörungs-bezogener, aber relevanter Psychopathologie. Das
EDE ermöglicht die Stellung der Ess-Störungs-Diagnosen
Anorexia nervosa, Bulimia nervosa und Binge Eating Disorder. Die Diagnosen Anorexia nervosa und Bulimia nervosa
nach DSM-IV werden auch vom SIAB-EX erfasst, zusätzlich
dazu können die im DSM-IV beschriebenen Typen dieser EssStörungen festgelegt werden. Für die Diagnose Binge Eating
Disorder orientiert sich das SIAB-EX sehr eng an den im Anhang des DSM-IV beschriebenen vorläufigen Kriterien. Zusätzlich lassen sich durch das SIAB-EX sämtliche im ICD-10
(Forschungskriterien) aufgeführten Ess-Störungs-Diagnosen
mittels operationalisierter Kriterien erstellen. Während das
EDE – mit Ausnahme einiger diagnostischer Items, welche
die letzten 3 Monate einbeziehen – lediglich die letzten 4 Wochen vor dem Interview erfasst, berücksichtigt das SIAB-EX
den gegenwärtigen Zustand sowie die gesamte Lebenszeit der
Fichter/Quadflieg
interviewten Person. Dies macht den SIAB-EX für epidemiologische Studien, klinische Diagnostik und für Therapie- und
Verlaufsstudien geeignet. Vergleiche mit Selbsteinschätzungsverfahren belegen ebenfalls die gute Konstruktvalidität der
SIAB-Verfahren. Sie sind allerdings mit Vorsicht zu handhaben [vgl. Steinhausen und Seidel, 1993].
In vielen klinischen Studien müssen die Teilnehmer eine volle
Ess-Störungs-Diagnose nach DSM-IV oder ICD-10 aufweisen. Eine ökonomische Methode zur Identifikation potentieller Teilnehmer stellt der Fragebogen SIAB-S dar. Sensitivität,
Spezifität und PPV des SIAB-S zur Unterscheidung zwischen
Patienten mit einer Anorexia nervosa oder Bulimia nervosa
versus Patienten mit einer nicht näher bezeichneten Ess-Störung waren – insbesondere für die Stellung von Lifetime-Diagnosen – sehr gut. In anderen Forschungssettings, wie z.B. in
Studien zum Genotyp und Phänotyp von Ess-Störungen ist
die sichere Identifikation von klinisch relevanten Ess-Störungen unabdingbar. Die Eignung des SIAB-EX belegen die ausgesprochen hohen Werte für Sensitivität, Spezifität und positiven Vorhersagewert bei der Unterscheidung von stationären
Patienten von jungen Frauen aus der Normalbevölkerung.
Diese Kennwerte liegen durchweg über 90% bei der Verwen-
dung des SIAB-EX-Gesamtwertes (lifetime), der PPV z.B. bei
97,7%. Damit beweist das SIAB-EX seine Eignung als «GoldStandard» in der standardisierten Ess-Störungs-Diagnostik.
Es wurde und wird in der internationalen Multi-Center-Studie
der Price Foundation zur Genetik von Ess-Störungen [Kaye et
al., 2000] eingesetzt. Somit liegen auch Summenwerte des
SIAB-EX von essgestörten Personen aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum vor. Für die internationale Verwendung
liegen englische, spanische und italienische Versionen vor. Die
englische Fassung kann kostenlos von folgender Internetadresse heruntergeladen werden: http://www.epi.med.unimuenchen.de.
Der Vergleich von stationär behandelten Patienten mit Anorexia nervosa mit Patienten, die wegen einer Bulimia nervosa behandelt wurden, zeigte durchweg plausible Ergebnisse.
Das Vorliegen höherer bulimischer Symptomatik ist bereits
durch die Diagnose bedingt. Dagegen zeigten magersüchtige
Patienten mehr Körperschemastörungen und ein ausgeprägteres Schlankheitsideal, sowie mehr sexuelle Ängste. Hier stimmen empirischer Befund und klinische Erfahrung weitgehend
überein.
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