Kapitel 1 Einführung 1.1 Motivation Ein Grundthema der Algebra ist das Lösen von (polynomiellen) Gleichungen und Systemen von solchen Gleichungen, sowie die Untersuchung der Lösungsmengen solcher Gleichungen und Systeme von Gleichungen. 1. In den Vorlesungen zur linearen Algebra wurden lineare Gleichungssysteme (über Körpern) behandelt. Hier kann eine vollständige, einfache und schöne Theorie entwickelt werden, die Existenz und Eindeutigkeit bzw. Berechnung aller Lösungen beschreibt. Die Lösbarkeit von solchen Gleichungen ist seit langem bekannt. 2. Die nächste Schwierigkeit stellen quadratische Gleichungen da. Wie man quadratische Gleichungen in einer Unbestimmten löst, lernt man bereits in der Schule – Stichworte “quadratische Ergänzung” und “Mitternachtsformel” oder “a-b-c-Formel”. Solche Gleichungen wurden bereits seit Ende des 3. Jahrtausends vor Christus gelöst. Sobald man jedoch mehr als eine Unbestimmte hat, wird es problematisch. Es gibt Systeme in der Kryptographie, die darauf basieren, dass das Lösen von solchen Systemen quadratischer Gleichungen schwer ist. 3. Für Gleichungen und Gleichungssysteme höheren Grad war lange nicht viel bekannt. Das meiste bekannte waren “Tricks” sowie Lösungen von Spezialfällen. Wir wollen hier ein paar Beispiele erwähnen: • Ist f = an xn +an−1 xn−1 +· · ·+a1 x+a0 ein Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten und q = dc ∈ Q mit c, d ∈ Z eine Nullstelle mit c, d gekürzt, so ist c ein Teiler von a0 und d ein Teiler von an . Hier werden Teilbarkeitseigenschaften der ganzen Zahlen verwendet. √ • Die komplexen Lösungen von xn − a = 0 sind durch exp 2πik · na n mit k = 0, 1, . . . , n − 1 gegeben. • Die Nullstellen von f = an xkn + an−1 xk(n−1) + · · · + a1 xk + a0 erhält man, in dem man die Nullstellen von fˆ = an xn + an−1 xn−1 + · · · + a1 x + a0 findet und davon alle k-ten Wurzeln bestimmt. (Biquadratische Gleichungen werden z.B. in der Schule behandelt.) 1 2 KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 4. Erst gegen 1515 gab es einen Fortschritt bei der Lösung kubischer Gleichungen in einer Unbestimmten. Der Italiener S. del Ferro fand eine allgemeine Lösung für den wichtigen Spezialfall x3 + ax = b mit a, b > 0. Dies wurde dann von G. Cardano in seinem Lehrbuch “Ars Magna” verallgemeinert; das Lehrbuch wurde 1545 publiziert. 5. Eine allgemeine Lösung für Gleichungen von Grad 4 in einer Unbestimmten wurde von L. Ferrari gefunden, einem Schüler von Cardano. 6. P. Ruffini hat die Lösbarkeit der “allgemeinen Gleichung” von Grad n ≥ 5 untersucht. Dies wurde später von N. H. Abel in 1820 präzisiert: die allgemeine Gleichung ist nicht durch iterierte Wurzelausdrücke (Radikale) auflösbar. Es gibt also für n ≥ 5 keine allgemeinen Lösungsformeln. 7. Später, gegen 1830 bis 1832, hat E. Galois allgemein gezeigt, welche Gleichungen durch iterierte Wurzelausdrücke auflösbar sind. Er hat einer Gleichung eine Gruppe, die sogenannte Galoisgruppe, zugeordnet, und gezeigt, dass die Gleichung genau dann durch Radikale auflösbar ist, wenn die Gruppe gewisse Eigenschaften hat. Diese Theorie wird heutzutage als Galois-Theorie bezeichnet. In dieser Vorlesung wird eine sehr abstrakt wirkende Theorie entwickelt, mit der die obigen Phänomene beschrieben werden können. Wir werden die Galoistheorie leider nicht behandeln können – das würde den zeitlichen Rahmen vollends sprengen –, jedoch werden wir viele der benötigten Grundlagen behandeln. Gruppen, die als relativ abstrakte Objekte vermutlich zuerst bei Galois aufgetaucht sind, werden auch in anderen Gebieten der Mathematik behandelt. In der Geometrie beschäftigt man sich etwa mit Symmetriegruppen, und in der Topologie und Analysis benötigt man neben der Fundamentalgruppe auch Homologie- und Kohomologiegruppen, um Aussagen über Mannigfaltigkeiten zu treffen. Bei der Untersuchung der Teilbarkeitseigenschaften, hauptsächlich im Rahmen der Zahlentheorie, wurden schliesslich Ringe formalisiert und Teilbarkeitseigenschaften in allgemeinen und auch spezielleren Klassen von Ringen untersucht. Viele dieser Untersuchungen entstammen der Bestrebung, die Arithmetik der ganzen Zahlen und verallgemeinerter ganzen Zahlen besser zu verstehen sowie (diophantische) Gleichungen zu untersuchen. Eine sehr bekannte solche Gleichung ist xn + y n = z n mit n ≥ 3. P. de Fermat hat 1637 vermutet, dass es keine Lösungen x, y, z ∈ Z mit xyz 6= 0 gibt. Erst viele Jahre später, nämlich 1993/1994, wurde dieser Satz von A. Wiles und R. Taylor bewiesen. In den hunderten Jahren zwischen Aufstellen der Vermutung und dem endgültigen Beweis gab es viele Versuche, diesen Satz zu beweisen, und diese Versuche haben einiges dazu beigetragen, die Theorie weiterzuentwickeln. 3 1.2. EIN ÜBERBLICK Ein Beweisansatz geht wie folgt. Zuerst reicht es aus, sich auf n = p prim und ungerade zu beschränken. Wenn ζp eine p-te primitive Einheitswurzel, oder bezeichnet, dann gilt konkret exp 2πi n z n − xn = n−1 Y i=0 (z − ζni x). Wenn es eine Lösung x, y, z ∈ Zn gibt mit xyz 6= 0, so erhält man zwei verschiedene Faktorisierungen y · y···y = | {z } n mal n−1 Y i=0 (z − ζni x) in einem Zahlring, der sich mit unserer später zu entwickelnden Notation als Z[ζp ] beschreiben lässt. Hat man in Z[ζp ] eine eindeutige Zerlegung in Primfaktoren, so kann man die obigen zwei Zerlegungen zu einem Widerspruch führen. Möglicherweise war dies der Beweisansatz, der Fermat selber vorschwebte, als er behauptete, er hätte einen Beweis (der leider nicht auf den Seitenrand passte, deswegen hat er ihn weggelassen). Nun hat sich jedoch gezeigt, dass man in Z[ζp ] nicht unbedingt eine eindeutige Primfaktorzerlegung hat, etwa für p = 37, p = 59 und p = 67. Jedoch hat sich gezeigt, dass man in solchen Zahlringen eine eindeutige Primfaktorzerlegung erhalten kann, wenn man gewisse “ideale Zahlen” hinzufügt. Die Idee dazu geht auf E. Kummer zurück. Aus diesen wurden schliesslich Ideale, die in keiner Algebra-Vorlesung unerwähnt bleiben, auch in dieser nicht. Wir werden später in gewissen Ringen (Hauptidealbereichen) einen Vorgeschmack auf diese Theorie erhalten. Weiterhin haben einige Objekte und Resultate aus der Algebra auch konkrete Anwendungen. So werden in der sogenannten Public-Key-Kryptographie Objekte wie Restklassenringe oder elliptische Kurven verwendet; ohne diese wären Anwendungen wie Online-Shopping und Online-Banking nicht möglich. Abstrakte Resultate wie der kleine Satz von Fermat und der chinesische Restsatz sind hier unerlässlich, ebenso wie Objekte wie Restklassenringe und endliche Körper, die wir am Ende der Vorlesung behandeln werden. Ein weiteres Anwendungsgebiet ist die Codierungstheorie, in der die Anreicherung von Informationen untersucht wird, damit diese Informationen Übertragungsfehler möglichst überstehen können. Dies ist bei alltäglichen Gegenständen wie CDs, DVDs und Mobiltelefonen unerlässlich. 1.2 Ein Überblick Wir werden in der Vorlesung zuerst Ringe untersuchen. Wir werden zuerst Ringe und Unterringe einführen und uns mit Homomorphismen zwischen Ringen beschäftigen, bevor wir Polynomringe in einem sehr allgemeinen Rahmen einführen. Dann beschäftigen wir uns mit der Teilbarkeitslehre, zuerst in einer sehr allgemeinen Klasse von Ringen, dann in spezielleren Ringen, unter 4 KAPITEL 1. EINFÜHRUNG anderem auch Ringe, in denen man eine Division mit Rest hat, wie Z und Polynome in einer Unbestimmten über einem Körper. Wir behandeln hier auch den chinesischen Restsatz und liefern mit dem Hilbertschen Basissatz einen kleinen Einblick in die algebraische Geometrie. Schliesslich behandeln wir Moduln und speziell Moduln über Hauptidealbereichen, deren Struktur wir im endlich erzeugten Falle genauer untersuchen. Danach werden wir auf Gruppen eingehen. Neben wichtigen Grundlagen wie Homomorphismen und dem Homomorphiesatz für Gruppen werden wir zyklische und dann endlich erzeugte abelsche Gruppen klassifizieren, sowie mit der Hilfe der sylowschen Sätze gewisse endliche Gruppen genauer betrachten. Schliesslich werden wir uns mit Körpern und Körpererweiterungen beschäftigen. Wir werden sehen, wie man Nullstellen von Polynomen erzwingen kann, und werden sogenannte Zerfällungskörper untersuchen. Diese bilden einen zentralen Punkt in der Galoistheorie. Schliesslich werden wir algebraische Abschlüsse streifen – der bekannteste algebraisch abgeschlossene Körper ist C – und schliesslich endliche Körper genauer untersuchen. Kapitel 2 Ringe 2.1 Ringe und Unterringe Definition 2.1.1. Ein Ring (engl.: ring) R ist eine nicht-leere Menge R mit zwei Verknüpfungen + : R × R → R und · : R × R → R, so dass (R, +) eine abelsche Gruppe ist und für alle r, s, t ∈ R gilt r · (s · t) = (r · s) · t und r · (s + t) = (r · s) + (r · t), (s + t) · r = (s · r) + (t · r). Wir schreiben auch (R, +, ·) um klarzumachen, welche Verknüpfungen gemeint sind. Das neutrale Element bzgl. + wird als Null (engl.: zero) bezeichnet. Ein Element 1 ∈ R heisst Eins (engl.: one), falls für alle r ∈ R gilt 1 · r = r = r · 1. Der Ring heisst kommutativ (engl.: commutative), falls r · s = s · r für alle r, s ∈ R gilt. Hat R eine Eins, so sagt man auch, dass R ein Ring mit Eins (engl.: unitary ring) ist. Die meisten Ringe in dieser Vorlesung haben eine Eins und sind kommutativ; wir werden jedoch auch öfters allgemeinere Resultate und Definitionen angeben. Beispiele 2.1.2. 1. Die ganzen Zahlen Z sind ein kommutativer Ring mit Eins mit der normalen Addition und Multiplikation. 2. Die rationalen Zahlen Q, die reellen Zahlen R und die komplexen Zahlen C sind ebenfalls kommutative Ringe mit Eins. 3. Ist K ein Körper und n eine natürliche Zahl, so ist die Menge der n × n-Matrizen mit der Matrizenaddition und -multiplikation ein Ring mit Eins. Der Ring ist genau dann kommutativ, wenn n ∈ {0, 1} ist. (Es gibt genau eine 0 × 0-Matrix.) 5 6 KAPITEL 2. RINGE 4. Ist allgemeiner K ein Körper und V ein K-Vektorraum, so ist EndK (V ) := {ϕ : V → V | ϕ ist eine K-lineare Abbildung } ein Ring mit den Verknüpfungen ϕ + ψ : V → V, v 7→ ϕ(v) + ψ(v) und Die Null ist ϕ · ψ : V → V, v 7→ ϕ(ψ(v)). 0 : V → V, v 7→ 0V , 1 : V → V, v 7→ v, wobei 0V der Nullvektor in V ist, und die Eins ist also die identische Abbildung. 5. Sei U ein topologischer Raum. Dann ist C(U, R) := {f : U → R | f stetig } ein kommutativer Ring mit Eins. 6. Sind (R, +, ·) und (S, ⊕, ⊙) Ringe, so ist T := R × S mit den Verknüpfungen +̂ : ((r, s), (r′ , s′ )) 7→ (r + r′ , s ⊕ s′ ) und ˆ· : ((r, s), (r′ , s′ )) 7→ (r · r′ , s ⊙ s′ ) ebenfalls ein Ring. Er hat genau dann eine Eins, wenn sowohl R sowie S eine Eins haben. Bemerkungen 2.1.3. 1. Es gilt 0 · r = 0 = r · 0 für alle r ∈ R: es ist nämlich 0 · r = (0 + 0) · r = (0 · r) + (0 · r); Addieren von −(0 · r) auf beiden Seiten liefert 0 = 0 · r. Analog zeigt man r · 0 = 0. 2. Jeder Ring hat genau eine Null und höchstens eine Eins. Die Existenz einer 0 folgt daraus, dass (R, +) eine abelsche Gruppe ist; die Eindeutigkeit folgt dann aus 01 = 01 · 02 = 02 , falls 01 und 02 beides neutrale Elemente von (R, +) sind. Analog zeigt man, dass zwei Einselemente gleich sein müssen. Eine einfache Möglichkeit, an interessante Ringe zu gelangen, sind Unterringe von bekannten Ringen. Zuerst die Definition: Definition 2.1.4. Sei R ein Ring. Ein Unterring (engl.: subring) von R ist eine nicht-leere Teilmenge S ⊆ R, so dass für alle r, s ∈ S gilt r − s ∈ S und r · s ∈ S. 2.1. RINGE UND UNTERRINGE 7 Mit dem Untergruppenkriterium zeigt man, dass ein Unterring wieder ein Ring ist. Beispiele 2.1.5. 1. Z ist ein Unterring von Q, Q ist ein Unterring von R und R ist ein Unterring von C. 2. Dagegen ist N = {0, 1, 2, . . . } kein Unterring von Z (oder Q oder R oder C), da (N, +) keine abelsche Gruppe ist (sondern nur eine abelsche Halbgruppe mit neutralem Element). 3. Ist R ein Ring, so ist {0} ein Unterring von R. Dieser Unterring heisst Nullring (engl.: null ring). 4. Sei V ein unendlichdimensionaler K-Vektorraum. Dann ist EndfKin (V ) := {ϕ ∈ EndK (V ) | dim ϕ(V ) < ∞} ein Unterring von EndK (V ), der im Gegensatz zu EndK (V ) keine Eins hat. 5. Seien R und S Ringe mit Eins, die beide keine Nullringe sind. Dann sind R × {0} und {0} × S Unterringe von R × S, die ebenfalls Einsen haben: (1R , 0) und (0, 1S ). Diese sind jedoch verschieden von der Eins in R × S. Hat man einen Unterring eines Ringes gegeben sowie weitere Elemente, kann man den kleinsten Unterring anschauen, der den gegebenen Unterring sowie die Elemente enthält. Dieser Unterring soll der Schnitt über alle Unterringe sein, die den gegebenen Unterring sowie die Elemente enthalten. Das folgende Lemma zeigt, dass es sich beim Schnitt wieder um einen Unterring handelt: Lemma 2.1.6. Sei R ein Ring und M eine nicht-leere Teilmenge von Unterringen von R. Dann ist \ M = {x ∈ R | ∀S ∈ M : x ∈ S} ebenfalls ein Unterring von R. T Beweis. Seien r, s ∈ M. Ist S ∈ M, so gilt also r, s ∈ S, womit auch r − s ∈ S und T rs ∈ S gilt. Weiterhin gilt T 0 ∈ S. Da S beliebig war, folgt, dass r − s, rs, 0 ∈ M liegen. Damit ist M nicht-leer und ein Unterring von R. Nun können wir folgendes definieren: Definition 2.1.7. Sei R′ ein Ring, R ein Unterring von R′ und S ⊆ R′ . Sei M := {S ′ ⊆ R′ | S ′ Unterring von R′ mit R, S ⊆ S ′ }. Dann heisst R[S] := T M der durch Adjunktion von S zu R erlangte Unterring von R′ (engl.: subring of R′ obtained by adjoining S to R) oder der Unterring von R′ , der durch R und S erzeugt wird (engl.: subring of R′ generated by R and S). Man sagt auch kurz: ‘R adjungiert S’ (engl.: R adjoined S). 8 KAPITEL 2. RINGE Der Ring R[S] ist der kleinste Unterring von R′ , der sowohl R wie auch S umfasst. Ist S = {x1 , . . . , xn } eine endliche Menge, so schreibt man anstelle R[S] auch R[x1 , . . . , xn ]. Beispiele 2.1.8. √ √ 1. Betrachte R und das Element 2 ∈ R. Der √ Ring Q[ 2] ist der kleinste Unterring von R, der sowohl Q wie auch 2 enthält. Man kann explizit zeigen: √ √ Q[ 2] = {a + b 2 | a, b ∈ Q}. √ 2 Dies liegt daran, dass 2 ∈ Q ist. √ √ √ 2 2. Analog zeigt man, dass Z[ 3 5] = {a + b 3 5 + c 3 5 | a, b, c ∈ Z} ist. 3. Der Unterring Z[ 12 ] von Q ist durch { 2an | a ∈ Z, n ∈ N} gegeben. Er lässt sich nicht als endliches Produkt von Kopien von Z beschreiben. √ 4. Sei S := { z | z ∈ Z}. Dann ist Q[S] ein grosser Unterring von C; als Q-Vektorraum aufgefasst ist er unendlichdimensional. Gleichzeitig ist er sehr klein: man kann zeigen, dass Q[S] als Menge abzählbar ist. Eine weitere Fundgrube für Beispiele sind Polynomringe. Bevor wir jedoch diese einführen, wollen wir zuerst Ringhomomorphismen betrachten. 2.2 Homomorphismen von Ringen Wir wollen kurz auf Homomorphismen zwischen Ringen eingehen. Diese sind wie Vektorraumhomomorphismen strukturerhaltende Abbildungen zwischen Ringen. Definition 2.2.1. Seien (R, +, ·) und (S, ⊕, ⊙) zwei Ringe. Eine Abbildung ϕ : R → S heisst Ringhomomorphismus (engl.: ring homomorphism), falls für alle r, r′ ∈ R gilt ϕ(r + r′ ) = ϕ(r) ⊕ ϕ(r′ ) und ϕ(r · r′ ) = ϕ(r) ⊙ ϕ(r′ ). Sind R und S Ringe mit Eins, so heisst ϕ ein Homomorphismus von Ringen mit Eins (engl.: homomorphism of unitary rings), falls ϕ ein Ringhomomorphismus ist und weiterhin ϕ(1R ) = 1S gilt. Beispiele 2.2.2. 1. Ist R ein Ring und S ein Unterring von R, so ist ϕ : S → R, x 7→ x ein Ringhomomorphismus. Hat R eine Eins und gilt 1R ∈ S, so ist ϕ ein Homomorphismus von Ringen mit Eins. 2.2. HOMOMORPHISMEN VON RINGEN 9 2. Ist R ein Ring mit Eins, so gibt es genau einen Homomorphismus von Ringen mit Eins Z → R. Dieser bildet z ∈ Z auf 1R + · · · + 1R falls z > 0, | {z } z mal 0R falls z = 0, −(1R + · · · + 1R ) falls z < 0 {z } | −z mal ab. Bemerkungen 2.2.3. Sei ϕ : R → S ein Ringhomomorphismus. 1. Es gilt ϕ(0R ) = 0S . 2. Ist R′ ein Unterring von R, so ist ϕ(R′ ) = {ϕ(r′ ) | r′ ∈ R′ } ein Unterring von S. Falls R′ eine Eins hat, so auch ϕ(R′ ); diese ist dann ϕ(1R′ ). 3. Ist S ′ ein Unterring von S, so ist ϕ−1 (S ′ ) = {r ∈ R | ϕ(r) ∈ S ′ } ein Unterring von R. Dieser muss keine Eins haben, selbst wenn S ′ eine Eins hat. 4. Insbesondere ist das Bild im ϕ := {ϕ(r) | r ∈ R} ein Unterring von S sowie der Kern ker ϕ := {r ∈ R | ϕ(r) = 0S } ein Unterring von R. 5. Der Kern ist genau dann trivial, wenn ϕ injektiv ist: für x, y ∈ R gilt ϕ(x) = ϕ(y) genau dann, wenn x − y ∈ ker ϕ ist. 6. Der Kern hat die Schluckeigenschaft (engl.: absorption property): ist r ∈ R und k ∈ ker ϕ, so gilt rk ∈ ker ϕ sowie kr ∈ ker ϕ. Diese Schluckeigenschaft von Unterringen ergibt einen Zugang zu Idealen: Definition 2.2.4. Sei R ein Ring. Ein Ideal (engl.: ideal) I von R ist ein Unterring, der die Schluckeigenschaft hat, d.h. für r ∈ R und s ∈ I gilt r · s, s · r ∈ I. Beispiele 2.2.5. 1. Jeder Kern eines Ringhomomorphismus ist ein Ideal. 2. Ist n ∈ Z eine ganze Zahl, so ist nZ = {nz | z ∈ Z}, also die Menge der Vielfachen von n, ein Ideal in Z. Wir werden später sehen, dass jedes Ideal in Z von dieser Form ist. Kerne von Homomorphismen sind also Ideale. Interessanterweise kann man zeigen, dass umgekehrt jedes Ideal auch als Kern eines Ringhomomorphismus auftritt. Dazu benötigen wir Quotientenringe. Wir wollen einen Zugang über Kongruenzrelationen wählen. Kurz gesagt: eine Kongruenzrelation ist eine Äquivalenzrelation, die verträglich mit den Verknüpfungen ist. 10 KAPITEL 2. RINGE Definition 2.2.6. Sei (R, +, ·) ein Ring. Eine Kongruenzrelation (engl.: congruence relation) ∼ auf R ist eine Äquivalenzrelation, die r + r ′ ∼ s + s′ und r · r′ ∼ s · s′ für alle r, r′ , s, s′ ∈ R mit r ∼ s und r′ ∼ s′ erfüllt. Beispiel 2.2.7. Sei R = Z und für a, b ∈ Z gelte a ∼ b :⇔ a und b sind beide gerade oder beide ungerade. Dann ist ∼ eine Kongruenzrelation auf Z. Diese hat genau zwei Äquivalenzklassen: die geraden und die ungeraden Zahlen. Beispiel 2.2.8. Ist R ein Ring und I ein Ideal von R, so ist ∼I , definiert durch r ∼I s :⇔ r − s ∈ I, eine Kongruenzrelation auf R: Gilt r ∼I s und r′ ∼I s′ , also r−s, r′ −s′ ∈ I, so hat man (r+r′ )−(s−s′ ) ∈ I und somit r + r′ ∼I s + s′ . Weiterhin ist rr′ − ss′ = r(r′ − s′ ) + (r − s)s′ ∈ I wegen der Schluckeigenschaft, und somit gilt rr′ ∼I ss′ . Die Kongruenzrelation aus Beispiel 2.2.7 ist ∼2Z ; hier ist 2Z ein Ideal in Z, wie wir in Beispiel 2.2.5 gesehen haben. Bemerkung 2.2.9. Eine Äquivalenzrelation ∼ auf einem Ring R ist genau dann eine Kongruenzrelation, wenn die induzierten Verknüpfungen +∼ : R/∼ × R/∼ → R/∼ , und ·∼ : R/∼ × R/∼ → R/∼ , ([r]∼ , [s]∼ ) 7→ [r + s]∼ ([r]∼ , [s]∼ ) 7→ [r · s]∼ wohldefiniert sind; hier ist R/∼ die Menge der Äquivalenzklassen von ∼ und [r]∼ = {r′ ∈ R | r ∼ r′ } bezeichnet die Äquivalenzklasse von r ∈ R. Man rechnet einfach nach: Lemma 2.2.10. Ist (R, +, ·) ein Ring und ∼ eine Kongruenzrelation auf R, so ist (R/∼ , +∼ , ·∼ ) ebenfalls ein Ring. Ist R kommutativ, so auch R/∼ . Hat R eine Eins 1R , so auch R/∼ , und dessen Eins ist [1]∼ . Ist ∼ = ∼I für ein Ideal I von R, so gilt [r]∼ = r + I = {r + i | i ∈ I} für alle r ∈ R. Definition 2.2.11. Der Ring R/∼ heisst Faktorring (engl.: factor ring) oder auch Quotientenring (engl.: quotient ring) von R. Ist ∼ = ∼I für ein Ideal I, so schreiben wir auch R/I anstelle R/∼I . Zu R/ ∼ bzw. R/I sagt man ‘R modulo ∼’ (engl.: R modulo ∼) bzw. ‘R modulo I’ (engl.: R modulo I). 11 2.2. HOMOMORPHISMEN VON RINGEN Beweis. Wir müssen die Ringaxiome nachrechnen. Seien r, r′ , r′′ ∈ R; dann gilt etwa ([r]∼ + [r′ ]∼ ) + [r′′ ]∼ = [r + r′ ]∼ + [r′′ ]∼ = [(r + r′ ) + r′′ ]∼ . Da die Addition in R assoziativ ist, ist dies gleich [r + (r′ + r′′ )]∼ = [r]∼ + [r′ + r′′ ]∼ = [r]∼ + ([r′ ]∼ + [r′′ ]∼ ). Analog rechnet man die restlichen Axiome nach; das additiv Inverse von [r]∼ ist [−r]∼ , das additiv neutrale Element von R ist [0]∼ , etc. Ist 1 eine Eins in R, so zeigt man ebenso, dass [1]∼ ein Einselement in R/∼ ist. Sei nun ∼ = ∼I . Dann ist [r]∼ = {r′ ∈ R | r′ − r ∈ I} = {r + r′ | r′ ∈ I} = r + I. Beispiel 2.2.12. Betrachten wir wieder ∼ = ∼I mit I = 2Z auf R = Z, wie in Beispiel 2.2.7. Wir haben gesehen, dass R/I = {[0]∼ , [1]∼ } = {[gerade], [ungerade]} gilt, wobei [0]∼ = [gerade] die Menge der geraden und [1]∼ = [ungerade] die Menge der ungeraden Zahlen ist. Man erhält folgende Verknüpfungstafeln für R/I: + [gerade] [ungerade] [gerade] [gerade] [ungerade] [ungerade] [ungerade] [gerade] · [gerade] [ungerade] [gerade] [gerade] [gerade] [ungerade] [gerade] [ungerade] Man sieht, dass 0R = [gerade] und 1R = [ungerade] ist. In diesem Ring gilt 1R + 1R = 0R , und es handelt sich offenbar um einen Körper mit zwei Elementen. Weiterhin liefert jede Kongruenzrelation einen Ringhomomorphismus: Lemma 2.2.13. Ist R ein Ring und ∼ eine Kongruenzrelation auf R, so ist π : R → R/∼ , x 7→ [x]∼ ein Ringhomomorphismus mit ker π = [0]∼ . Ist ∼ = ∼I für ein Ideal I von R, so ist ker π = I. Hat R eine Eins, so ist π ein Homomorphismus von Ringen mit Eins. Dieser Ringhomomorphismus wird auch als Restklassenabbildung (engl.: residue class map) bezeichnet. Beweis. Seien r, r′ ∈ R. Dann gilt π(r + r′ ) = [r + r′ ]∼ = [r]∼ + [r′ ]∼ = π(r) + π(r′ ) und analog π(rr′ ) = π(r)π(r′ ); damit ist π ein Ringhomomorphismus. Hat R eine Eins, so gilt π(1) = [1]∼ . Weiterhin ist ker π = {r ∈ R | π(r) = 0} = {r ∈ R | [r]∼ = [0]∼ } = [0]∼ . Ist ∼ = ∼I , so gilt nach dem vorherigen Lemma [0]∼ = 0 + I = I. Beispiel 2.2.14. Sei K der Körper mit zwei Elementen aus Beispiel 2.2.12. Dann ist die Abbildung Z → K, die einer ganzen Zahl 0R zuordnet, falls sie gerade ist, und 1R , falls sie ungerade ist, ein Homomorphismus von Ringen mit Eins. Der Kern ist gerade 2Z, die Menge der geraden Zahlen. 12 KAPITEL 2. RINGE Diese Aussage zeigt auch, wie man aus einer Kongruenzrelation ∼ ein Ideal erhalten kann, nämlich durch I := [0]∼ . Betrachtet man jetzt die Definitionen, so sieht man, dass ∼I = ∼ ist. Kongruenzrelationen entsprechen also gerade den Idealen! Wir können nun die wichtigste Aussage dieses Abschnittes zeigen, den sogenannten Homomorphiesatz, manchmal auch erster Isomorphiesatz (engl.: first isomorphism theorem) genannt. Satz 2.2.15 (Homomorphiesatz (engl.: First Isomorphism Theorem)). Seien R und S Ringe und sei ϕ : R → S ein Ringhomomorphismus. Ist I ein Ideal von R mit I ⊆ ker ϕ, so gibt es genau einen Ringhomomorphismus ϕ̂ : R/I → S so, dass das folgende Diagramm kommutiert: RC ϕ CC CC C π CC ! R/I /S |= | | | ∃!ϕ̂ Hier ist π : R → R/I die Restklassenabbildung. Dass das Diagramm kommutiert bedeutet, dass für alle r ∈ R gilt ϕ(r) = ϕ̂(π(r)), also das ϕ = ϕ̂ ◦ π ist. Der Homomorphismus ϕ̂ hat folgende Eigenschaften: 1. ϕ̂ ist genau dann injektiv, wenn ker ϕ = I ist; 2. ϕ̂ ist genau dann surjektiv, wenn ϕ surjektiv ist. Genauer: im ϕ = im ϕ̂. Ist also ϕ : R → S surjektiv, so ist ϕ̂ : R/ ker ϕ → S bijektiv, also ein Ringisomorphismus (engl.: ring isomorphism). Die Ringe R/I mit I := ker ϕ und S sind also isomorph (engl.: isomorphic); wir schreiben dann auch R/I ∼ = S. Beweis. Wir lassen im Folgenden den Index ∼I bei den Äquivalenzklassen der Übersichtlichkeit halber weg. Definiere ϕ̂ durch ϕ̂([r]) = ϕ(r). Um zu zeigen, dass dies eine wohldefinierte Abbildung R/I → S ergibt, sei r′ mit [r] = [r′ ], d.h. r′ − r ∈ I. Dann ist ϕ(r) = ϕ(r) + 0 = ϕ(r) + ϕ(r′ − r) = ϕ(r + r′ − r) = ϕ(r′ ). Damit ist ϕ̂ wohldefiniert. Sind [r], [r′ ] ∈ R/I, so ist ϕ̂([r] + [r′ ]) = ϕ̂([r + r′ ]) = ϕ(r + r′ ) = ϕ(r) + ϕ(r′ ) = ϕ̂([r]) + ϕ̂([r′ ]). Analog zeigt man ϕ̂([r] · [r′ ]) = ϕ̂([r]) · ϕ̂([r′ ]). Damit ist ϕ̂ ein Ringhomomorphismus. Sei nun ψ̂ ein weiterer Ringhomomorphismus ψ̂ : R/I → S mit ϕ = ψ̂ ◦ π. Ist [r] ∈ R/∼ , so gilt ψ̂([r]) = ψ̂(π(r)) = ϕ(r) = ϕ̂(π(r)) = ϕ̂([r]). Damit gilt ϕ̂ = ψ̂ und die Eindeutigkeit ist gezeigt. Kommen wir nun zu (1). Sei I = ker ϕ und [r] ∈ ker ϕ̂, d.h. 0 = ϕ̂([r]) = ϕ(r); dann gilt r ∈ ker ϕ = I, also [r] = [0]. Für die Rückrichtung sei nun ϕ̂ injektiv und r ∈ I. Dann gilt ϕ(r) = ϕ̂(π(r)) = ϕ̂([0]) = ϕ(0) = 0; es gilt also r ∈ ker ϕ. Da nach Voraussetzung ker ϕ ⊆ I gilt folgt I = ker ϕ. 13 2.2. HOMOMORPHISMEN VON RINGEN Wir wollen nun (2) zeigen. Es ist im ϕ = {ϕ(r) | r ∈ R} = {ϕ̂(π(r)) | r ∈ R} = {ϕ̂([r]) | [r] ∈ R/I} = im ϕ̂. Daraus folgt auch der erste Teil der Behauptung. Wir werden später Ideale noch genauer untersuchen. Zum Abschluss dieses Abschnittes wollen wir das oben begonnene Beispiel mit Idealen in Z fortsetzen. Beispiel 2.2.16. Sei n eine ganze Zahl. Dann ist nZ ein Ideal in Z und Z/nZ ein Ring. Wir schreiben [z]n für die Restklasse [z]∼nZ = z + nZ. Ist n > 0, so hat Z/nZ genau n Elemente, nämlich die Restklassen [0]n , [1]n , . . . , [n − 1]n . Man kann sich den Restklassenring (engl.: residue class ring) Z/nZ vorstellen als die Zahlen 0 bis n − 1 (oder alternativ 1 bis n) angeordnet auf einem Kreis. 11 + 12Z 12 + 12Z 1 + 12Z 0 + 12Z 10 + 12Z 2 + 12Z 9 + 12Z 3 + 12Z 8 + 12Z 4 + 12Z 7 + 12Z 5 + 12Z 6 + 12Z Diese Darstellung der Restklassenringe als Kreise ist vermutlich der Ursprung des Begriffes Ring. Ist n = 12, und verwendet man die Repräsentanten 1 bis 12, so ist das Rechnen im Restklassenring Z/12Z gerade das Rechnen mit Uhrzeiten: 9 Uhr plus 5 Stunden macht 2 Uhr, da [9]12 + [5]12 = [2]12 ist. Die Verknüpfungstafeln der Addition sind sehr regelmässig: + [0]n [1]n [2]n [3]n .. . [0]n [0]n [1]n [2]n [3]n .. . [1]n [1]n [2]n [3]n [4]n .. . [2]n [2]n [3]n [4]n [5]n .. . [3]n [3]n [4]n [5]n [6]n .. . ··· ··· ··· ··· ··· .. . [n − 2]n [n − 2]n [n − 1]n [0]n [1]n .. . [n − 1]n [n − 1]n [0]n [1]n [2]n .. . [n − 2]n [n − 1]n [n − 2]n [n − 1]n [n − 1]n [0]n [0]n [1]n [1]n [2]n ··· ··· [n − 4]n [n − 3]n [n − 3]n [n − 2]n Die Verknüpfungstafeln der Multiplikation hingegen weisen nur wenige Regelmässigkeiten auf. Hier etwa Beispiele für n = 7 und n = 12: · [0]7 [1]7 [2]7 [3]7 [4]7 [5]7 [6]7 [0]7 [0]7 [0]7 [0]7 [0]7 [0]7 [0]7 [0]7 [1]7 [0]7 [1]7 [2]7 [3]7 [4]7 [5]7 [6]7 [2]7 [0]7 [2]7 [4]7 [6]7 [1]7 [3]7 [5]7 [3]7 [0]7 [3]7 [6]7 [2]7 [5]7 [1]7 [4]7 [4]7 [0]7 [4]7 [1]7 [5]7 [2]7 [6]7 [3]7 [5]7 [0]7 [5]7 [3]7 [1]7 [6]7 [4]7 [2]7 [6]7 [0]7 [6]7 [5]7 [4]7 [3]7 [2]7 [1]7