Die Wand der Münder1 von Pierre Madl, Universität Salzburg

Werbung
Die Wand der Münder1
von Pierre Madl, Universität Salzburg
[email protected]
Korallenriffe entwickeln sich am besten unter
oligotrophen Bedingungen, d.h. niedrigster gelöster
Nährstoffgehalt. Das bedeutet allerdings nicht, dass
Nährstoffe für riffbildende Korallen generell
schlecht sind. Vielmehr soll es zeigen, wie schon
mehrere Versuche von Bongiorne et al. (2003) auch
bestätigt haben, dass Korallen schneller wachsen
oder zumindest nicht unmittelbar durch ein
Nährstoff-Limit kompromittiert werden.2 Geringe
Mengen gelöster Nährstoffstoffe sind demnach
nicht mit einer niedrigen Nährstoff-Verfügbarkeit
gleich zu setzen. Es ist sehr wahrscheinlich dass
die Nährstoff-Umsatz-Quoten bei gleichzeitig
straffem Nährstoff-Durchlauf hoch sind und damit
genau jene ideale und stabile Situation eines
gesunden Korallenriffs wiederspiegelt.
Der straffe Nährstoff-Fluss: Das Geheimnis des
üppigen Korallenriff-Wachstum ist somit nicht der
generell niedrige Nährstoff-Gehalt per se, sondern
der niedrige Nährstoff-Gehalt in der Wassersäule
und dem dazugehörigen benthischen System (inkl.
dem hohen Nährstoff-Gehalt der korallinen
Endosymbionten). Diese Zustände können nur
durch eine Straffung der durchlaufenen NährstoffZyklen herbeigeführt werden indem
die
Endosymbionten als primären Nutzniesser gelten.
Ein nicht unwesentlicher Teil der Nährstoffe
welche den Rifforganismen zur Verfügung stehen
werden durch die Nahrungs-Kreisläufe von
sedimentären und Hohlraum-Organismen generiert.
Anfänglich vom benthischen Lebensraum in die
Wassersäule abgegeben nehmen sessile sowie
mobile Rifforganismen diesen Eintrag auf um es in
das Riffsystem zu reintegrieren. Derlei rezyklierte
Nährstoff-Produkte
landen
letztendlich
als
Metaboliten am gesamten Riffkörper. Wenn man
nun dieses System in seine groben Untereinheiten
sozusagen “zerlegt“, so trifft man zuerst auf die
Fouling-(Aufwuchs)-Gemeinschaft.
Diese kann
man sich regelrecht als einen primären “MünderTeppich“ denken. Die Matte an sessilen RiffInvertebraten, inklusive aller Korallen (sowohl mit
wie auch ohne Endosymbionten), ist ständig mit der
Filtrierung auf organische Partikel beschäftigt –
egal ob biotisch (d.h Bakterien, Phyto- oder ZooPlankton) oder abiotisch (partikuläre organische
Masse, POM).
Dieser sekundäre “fressende
Teppich“ ist am besten auf der Nährstoff-beladenen
und
strömungszugewandten
Riffoberfläche
entwickelt. Fabricius et al. (1995) konnten zeigen
dass durch den Scherungsgradienten und der
Grenzschicht-Bildung
zwischen
Riff
und
Wasserkörper die Nährstoff-Exposition durch eine
höhere darüber liegendende Wassersäule sogar
noch verbessert wird.3 Mit ein wesentlicher Grund
warum gerade wellenbrechende Strukturen derart
rasant eine artenreiche Riffgemeinschaft ausbilden.
Die drei Säulen: Angezogen durch und in der
primären sowie sekundären Struktur Schutz
suchende Organismen
erkennt
man drei
Tiergemeinschaften welche allesamt die NährstoffFlüsse in der Riffgemeinschaft anheizen: (i) da ist
zum einen die Riffwand selbst, (ii) die mobilen
Pendler und (iii) die stationären Bewohner (siehe
schematische Abbildung).
Die “vielmündige“
Riffwand besteht zumeist aus zooplanktivoren
Fischen welche durch ein paar mobile filtrierende
Krustentiere (z.B. Porcellanidae, Holothuroidea,
Ophiuroidea etc.) ergänzt werden. Diese ineinander
verflochtenen Systeme interagieren nach aussen mit
der Riff-Oberfläche in der Art dass ein
“schimmernder“ Vorhang von spalten- und
nischenbewohnender zooplanktivoren Fischen sich
darüber stülpt (siehe Insert in Abbildung).
Aufgrund der verschiedenen Zugehörigkeit sowie
Verhaltensmuster der Bewohner dieser lebenden
Wand kann man klar zwischen tagesaktiven und
nachtaktiven Organismen unterscheiden.
Alle
Akteure dieser gefrässigen Wand übergiessen das
Riff mit ihren stickstoff- und mineralhaltigen
Metaboliten die aber sofort wieder in die
bestehenden Kreisläufe reintegriert werden. Die
tagesaktiven Riffwandbewohner z.B. agieren bis in
die Dämmerung hinein, geben aber ihre
Umsetzungsprodukte noch Stunden danach weiter
ab.
Ein grosser Anteil dieser umgesetzten
Nährstoffe wird wahrscheinlich gerade in diese
Grenzschicht abgesondert wo sie für Korallen und
deren Endosymbionten zur Verfügung stehen und
sofort resorbiert werden.
Wenn man diese
Beziehung verallgemeinert so lässt sich damit der
nachhaltige Erfolg von Stylophora, Pocillopora,
und Tisch- Acroporiden als die führenden PrimärKolonialsten in einem sich regenerierenden
Korallenriff erklären. Diese Korallen werden durch
zahlreiche Vertreter der Pomacentridae z.B.,
Dascyllus aruanus, D.reticulates, D.trimaculatus,
Pomacentrus molluccensis, Chromis viridis,
C.atripectoralis), Chaetodontidae (Chaetodontrifascialis,
C.trifasciatus),
Acanthuridae
(Paracanthurus
hepatus),
und
Serranidae
(Pseudanthias spp.) als Rückzugsstrukturen
genutzt. Diese Zooplanktivore Arten bilden dichte
Aggregationen auf derlei Korallen und verbringen
in den Korallenzweigen geschützt ihre Nachtruhe.
Chaetodontidae ernähren sich von Mucus und den
Polypen dieser Korallen ohne dass diese Kolonien
nennenswerte Schäden davontragen, wohingegen
andere perciforme Fischarten sich auf deren
Korallenlarven
sowie
Ei-Spermien-Bündel
spezialisiert haben.
Beide Ernährungsweisen
fördern die Nährstoffregeneration
Aufbereitung.
und
deren
Mobile Fauna: Obwohl einige Krustentiere und
Echinoiden auch zur Gruppe der Pendler im Riff
gehören so sind es überwiegend Fische die mobil
im Riffkörper agieren. Darunter befinden sich
grössere
Arten
aus
folgenden
Familien:
Haemulidae, Lutjanidae, Holocentridae und
Mullidae. Diese Migranten wühlen sich tagsüber
durch das Riff, wobei sie manchmal in riesigen
Aggregationen auftreten können. Bei Anbruch der
Nacht zersplittern sich diese Gruppen um in
Seegras-Wiesen und flachen Sandbecken nach
benthischen Wirbellosen und Fischen ihre
Beutebasis zu ergänzen.4
Anhand der atlantischen Vertreter der Haemulidae
Haemulon flavolineatum konnten Rohwer et al.
(2001) unter anderem zeigen dass Pendler eine
bedeutende Quelle des Nährstoffeintrages für
Korallen darstellen - hier Acropora palmata,
welche zugleich auch als Ruhestätte für diese Art
dient.5 Grosse Scaridae, die zwischen Riff und
Seegras-Wiese oder Magroven-Habitaten pendeln
agieren in ähnlicher aber zeitlich umgekehrter
Weise. Mobile Riffbewohner verlassen nie die
unmittelbare Riffumgebung, sind aber in der Lage
gleichzeitig die räumlichen Interaktions- und
Nährstoff-Zyklen massgeblich mitzugestalten,
indem sie eine Gruppe von Organismen beweiden
und andere mit ihrem Metaboliten düngen. Sowohl
Pflanzenfresser, wirbellose Filtrierer und Piscivore
tragen zu diesem Prozess bei. Das Ergebnis fällt
aber unterschiedlich aus und unterliegt naturgemäss
der Gesamtdynamik des Nahrungsnetzes.
So
können z.B. grosse piscivore Arten den
Nährstoffeintrag erleichtern indem sie ihrem TagesRuheplatz z.B. ein Korallenstock durch ihre
Metaboliten regelrecht anreichern. Umgekehrt sind
Raubtiere in der Lage indirekt negativ auf die
Korallen einzuwirken indem sie herbivore
Bewohner erbeuten und somit eine atrophische
Kaskade von makrophytischen Algen begünstigen.
Die unterschätzte Mibrobiologie: Stickstofffixierende Cyanobakterien bilden ein weiteres
Taxon welches in der Nährstoff-Dynamik zu
berücksichtigen ist. Allerdings wiesen Williams
und Carpenter diesem eine überraschenderweise
kleinere Rolle zu.6 Demgegenüber stellte Lesser et
al (2002) allerdings fest dass Cyanobakterien in
enger Assoziation mit karibischen coralliomorphen
Diese
Organismen wie Ricordia stehen.7
Beobachtung wurde durch die Entdeckung von
symbiotischen Cyanobakterien in Hartkorallen
bestätigt.8
In weiterer Folge könnte es sich
herausstellen dass Cyanobakterien in einer anderen
Form als bisher angenommen sehr wohl wichtige
Agenten im Stickstoff-Haushalt von riffbildenden
Korallen sind.
Denn riffbildende Korallen
beherbergen in wesentlichen Teilen eine reiches
mikrobiologisches Spektrum.
Es ist daher
unabdingbar dass man das prokaryotische Feld und
deren Vertreter erkennt wenn man die
Funktionalität und das Wohlbefinden
Riffgemeinschaft verstehen will.
einer
Der bistabile Zustand: So hat sich gezeigt dass
derlei komplexe Systeme bereits durch kleinste
Stimuli zwischen alternativen Nährstoff-Flüssen
hin- und her kippen. Bei intensiv ausgebeuteten
Estuarien kann dieser Kippeffekt bereits durch eine
saisonale Änderung ausgelöst werden.
Bei
Korallenriffen entsprechen diese Flip-FlopZustände alternierenden Lebensnetzwerken: d.h.
Ausbildung eines Korallendoms oder Etablierung
eines Seegras-Teppichs auf Carbonatgestein (i.e.
Korallenskelette).
Die Frage stellt sich also: Wer oder was treibt das
System in diese Kipplage? Die Nährstoff-Menge
kann manchmal eine Rolle spielen, viel
wahrscheinlicher allerdings ist in welcher Weise
diese Nährstoffe durch das Riffsystem gelenkt
werden. Wenn die Endosymbionten der Korallen
am Ende dieser Kette stehen, dann dominieren
zooxanthellare-Korallen
das
Artenspektrum.
Folglich gehen in einem intakten bzw. gesunden
Korallenriff-System die Nährstoffe schnell und
rationell von einem Organismus zum anderen über.
Wenn allerdings die Beziehungen zu diesen
Endosymbionten unterbrochen sind geht das
Riffsystem in einen transienten Zustand über in der
„fleischige“ Algen sehr bald die Oberhand
gewinnen; d.h. entfernt man Schlüssel-Arten oder
Funktionsgruppen aus diesem System so kommt es
durch diese Unterbrechung zu einer Anreicherung
eines Nährstoffzyklus die sich im Korallenfels und
Sedimenten akkumulieren und in letzter
Konsequenz in die darüber liegende Wassersäule
ausbluten.9 Normalerweise sind die konzentrierten
Nährstoffe eines Korallenriffes in den unzähligen
Arten eingefangen, welche abgesehen von den
Korallen von rund 30 anderen Phyla aus 100tausenden von Arten zusammengesetzt ist. Zerstört
man eine genügende Anzahl dieser nährstoffspeichernden Elemente des Netzwerkes im Riff so
fliesst eine nicht unerhebliche Menge an
Nährstoffen aus um eine opportunistische
Algengemeinschaften zu versorgen und zum
Aufblühen zu bringen.
Ganzheitlichkeit: Aldo Leopold bezog sich auf
diese systemkritischen Beziehungen indem er sie
als kleine "cogs und wheels" (Zahnrahäderchen)
bezeichnete die man besser nicht verlieren sollte.10
Diese etwas mechanistisch anmutende Assoziation
hat dennoch etwas für sich, denn es umspannt jene
Elemente die das Ganze in sich vereinen und ohne
dem das Gesamtsystem nicht als solches existieren
würde. Man sollte daher nicht nur den herbivoren
Organismen
eine
dominierende
Funktion
zuerkennen. Letztlich sind die meisten Rifftiere die
fakultativen detrivoren Organismen. Natürlich darf
man die Rolle der Korallivoren, Mucus-Fresser,
Säuberer, Sandumlagerer, die Myriade von
Mikroorganismen usw. nicht unterschätzen. Wenn
sich also ein Riff von einer Korallendominanz zu
einer Algendominanz verschiebt so mag es am
letzten noch funktionierenden Kettenglied einer
Organismengruppe gelegen sein welches das
System gerade noch vor dem Kippen abhielt. Wir
sind also vor der Aufgabe gestellt die Riffdynamik
als ein ganzheitliches System zu betrachten in
welchem das Ganze weit mehr als lediglich die
Summer seiner Teile ist.
Schematisches Tiefenprofil eines äusseren Riffhangs – die sogenannte “Wand der Münder“
(modifiziert nach Glynn, 1988).11
Anmerkungen und Referenzen:
1
Der Artikel ist ein Auszug aus dem Buch des engl. Precht W.F. (ed.) Coral Reef Restoration Handbook. CRC Press /
Taylor and Francis - USA; eine ausführlichere Darstellung findet sich im ersten Teil der Korallen-Heptologie:
http://www.sbg.ac.at/ipk/avstudio/pierofun/reefs/reefs.htm;
2
Bongiorne, L., S. Shafir, D. Angel, and B. Rinkevich. 2003. Survival, growth and gonad development of two hermatypic
corals subjected to in situ fish-farm nutrient enrichment. Mar. Ecol. Prog. Ser. 253:137-144;
3
Fabricius, K.E., A. Genin, and Y. Benayahu. 1995. Flow-dependent herbivory and growth in zooxanthellae-free soft
corals. Limnol. Oceanogr. 40:1290-1301;
4
Kaufman L. 2006. If You Build It, Will They Come? Toward a Concrete Basis for Coral Reef Gardening; in Precht
W.F. (ed.) Coral Reef Restoration Handbook. CRC Press / Taylor and Francis - USA;
5
Rohwer, F., M. Breithart, J. Jara, F. Azam, and N. Knowlton. 2001. Diversity of bacteria associated with the
Caribbean coral Montastrea franksi. Coral Reefs 20:85-91;
6
Williams, S.L. and R.C. Carpenter. 1997. Grazing effects on nitrogen fixation in coral reef algal turfs. Mar. Biol. 130:223-231.
7
Lesser, M.P., C.H. Mazel, M.Y. Gorbunov, and P.G. Falkowski. 2004. Discovery of symbiotic nitrogen-fixing
cyanobacteria in corals. Science 305:997-1000;
8
Rohwer, F., V. Seguritan, F. Azam, and N. Knowlton. 2002. Diversity and distribution of coral-associated
bacteria. Mar. Ecol. Prog. Ser. 243:1-10;
9
Kaufman L. 2006. If You Build It, Will They Come? Toward a Concrete Basis for Coral Reef Gardening; in Precht
W.F. (ed.) Coral Reef Restoration Handbook. CRC Press / Taylor and Francis - USA;
10
Aldo Leopold, Biologe der 1930's und 40er Jahre proklamierte eine "Land Ethik", in welcher er die Rolle des Homo
sapiens nicht als Eroberer sondern als “nacktes“ Mitglied in einem natürlichen System wissen wollte. In seiner Land
Ethik definiert er die Erhaltung von natürlichen Ressourcen als einen Zustand der Harmonie zwischen Mensch Natur.
A.Leopold, zusammen mit den ostasiatischen Philosophien legte den Grundstein für Lovelock’s GAIA-Theorie und
den später aufkommenden Strömung der “Deep Ecology“;
11
Glynn, P. W.; 1988; The Wall of Mouths: Predation on coral reefs: some key processes, concepts and research
directions; Proceedings of the 6th International Coral Reef Symposium; Townsville - AUS;
Herunterladen