Protokoll - Friedrich-Ebert-Stiftung

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STANDPUNKTE 2008 – STRATEGIEN GEGEN DEN MODERNEN RECHTSEXTREMISMUS
Baustein 3:
Aktueller Antisemitismus und seine ideologischen Schnittmengen
mit Rechtsextremismus, Islamismus und Globalisierungskritik
Protokoll:
Dienstag, 20. Mai 2008, Friedrich-Ebert-Stiftung
Referenten:
Dr. Juliane Wetzel, Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA)
Annemarie Benzing, Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin (MBR)
Koray Yılmaz-Günay, amira – Antisemitismus im Kontext von Migration und Rassismus
Moderation:
Michael Rump-Räuber, LISUM Berlin-Brandenburg
1. Elemente und Erscheinungsformen des Antisemitismus, Dr. Juliane Wetzel (ZfA)
Was ist Antisemitismus?
Antisemitismus ist ein Sammelbegriff, mit dem verschiedene Äußerungen und Haltungen bezeichnet werden, die sich gegen Juden und das Judentum richten und auf stereotypen Annahmen und Vorurteilen basieren. Antisemitismus ist kein neues Phänomen. Feindbilder gegenüber
Juden besitzen Tradition und traten im Lauf der Geschichte in unterschiedlichsten Ausprägungen auf. Der heutige Antisemitismus bedient sich immer noch und wieder alter Stereotype, wie
zum Beispiel religiös bedingter Vorurteilskomplexe.
Der Begriff Antisemitismus steht ausschließlich als Synonym für Judenfeindschaft und hat nichts,
wie oft missverstanden, mit der Sprachfamilie der „Semiten“ zu tun. Als Schöpfer des Begriffs
gilt der judenfeindliche deutsche Schriftsteller Wilhelm Marr, der den Begriff in den 1870er Jahren prägte.
In den Bereich der antisemitischen Vorurteile gehören negative Stereotype, die soziale Distanz zu
Juden und eine emotional ablehnende Haltung gegenüber Juden. Nach antisemitischer Lesart
sind alle Juden von Natur aus schlecht und ihre schlechten Eigenschaften nicht korrigierbar. Antisemitische Einstellungen richten sich gegen Juden als Kollektiv und bedienen sich eines breiten
Spektrums ausgrenzender und stigmatisierender Stereotype mit unterschiedlichem Hintergrund
(wirtschaftlich, kulturell, gesellschaftlich, sozial, naturwissenschaftlich, religiös oder rassistisch).
Dem Kollektiv werden angebliche, spezifische Eigenschaften, Absichten und Handlungen zugeschrieben, die dem Vorwand dienen, Juden in ihrer Gesamtheit abzulehnen. Somit ist als Antisemitismus jede Herabsetzung von Juden anhand künstlich konstruierter physischer oder moraliSTANDPUNKTE 2008 ist eine Veranstaltungsreihe der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kooperation mit dem Landesinstitut
für Schule und Medien Berlin-Brandenburg und der Berliner Senatsverwaltung für Bildung Wissenschaft und Forschung, gefördert durch die Mittel der DKLB-Stiftung.
STANDPUNKTE 2008 - STRATEGIEN GEGEN DEN MODERNEN RECHTSEXTREMISMUS, PROTOKOLL 3. BAUSTEIN 20.05.2008
scher Bewertungskriterien zu bezeichnen. Dabei werden angeblich spezifische Eigenschaften
einem Kollektiv zugeschrieben.
Im Antisemitismus werden Juden als „Fremde“ in der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen.
Sie bringen vermeintlich nur Unglück in ihre „Gastgebergesellschaften“ oder gar in die ganze
Welt (Weltverschwörungsphantasien). Deshalb fühlen sich Antisemiten dazu berufen, mutmaßliche verschwörungstheoretische Machenschaften, hinter denen sich nach ihrer Meinung „der
Jude“ verbirgt, aufzudecken und damit den unterstellten konspirativen, schlechten Charakter
der Juden zu demaskieren (vgl. antisemitisches Machwerk „Die Protokolle der Weisen von Zion“). Auf diese Weise nimmt der Antisemitismus Züge eines Welterklärungsmodells an, das den
Antisemitismus von anderen Formen des Rassismus unterscheidet.
Erscheinungsformen des Antisemitismus
Antisemitismus zeichnet sich durch verschiedene Erscheinungsformen aus. Ein Grundphänomen
bildet der religiös bedingte Antijudaismus, die christliche Judenfeindschaft, welcher seinen Ursprung im Christentum hat und eine Ablehnung und Diffamierung der jüdischen Religion beinhaltet. Immer wieder werden von Antisemiten alttestamentarische Motive verwendet, die, so die
Behauptung, der jüdischen Gemeinschaft immanent sind. Insbesondere Themen wie die Ritualmordlegende, der mittelalterliche Vorwurf der Brunnenvergiftung oder Christusmord tauchen
beständig auf. Wenn es um den Nahostkonflikt und Israel geht, wird häufig das im Volksmund
falsch übersetzte Bibelzitat Zitat „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ angeführt. Den Juden“ wird
im Zusammenhang damit vorgeworfen unter diese Maxime Rache und Vergeltung zu üben.
Abgesehen davon, dass das Zitat falsch übersetzt ist es steht im 2. Buch Moses 21:24 bzw. im
3. Buch Moses 24:20 und lautet richtig übersetzt „Auge für Auge, Zahn für Zahn“ – hat es
nichts mit Vergeltung und Rache zu tun, sondern thematisiert die Klärung von Unrecht auf andere Art.
Im Gegensatz zu der religiös begründeten Judenfeindschaft basiert der Rassenantisemitismus,
der seinen Ursprung im 19. Jahrhundert hat, auf der Ausgrenzung der Juden aufgrund ihrer
Nation oder „Rasse“. Der Rassenantisemitismus wurde im Nationalsozialismus zur Staatsdoktrin
und mündete in die Vertreibung und Vernichtung der europäischen Juden, der Shoah.
Seit 1945 gibt es als weitere Erscheinungsform den sekundären Antisemitismus, der mit dem
Völkermord der Nationalsozialisten an den europäischen Juden und der Erinnerung daran verbunden ist. Diese Form speist sich aus Gefühlen der Scham und Schuldabwehr. Der sekundäre
Antisemitismus zeichnet sich durch den Vorwurf an die Juden aus, aus der Vergangenheit Vor-
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teile zu ziehen. Es wird den Juden unterstellt, sie würden sich am Holocaust bereichern. Nicht
trotz, sondern wegen Auschwitz werden Juden gehasst. Aus Opfern werden Täter gemacht,
indem die Schuld auf die Juden projiziert wird. Die Verfechter des sekundären Antisemitismus
fordern einen Schlussstrich unter die Vergangenheit. Sie drücken ihren Unwillen darüber aus,
immer wieder von den deutschen Verbrechen an den Juden zu hören und diese Verbrechen
auch heute noch vorgehalten zu bekommen. Somit bedient der sekundäre Antisemitismus das
Bedürfnis nach Entschuldung der deutschen Vergangenheit. Er ist außerdem eine Israelkritik, die
mit NS-Vergleichen arbeitet. Die extremste Form des sekundären Antisemitismus ist die Holocaust-Leugnung („Auschwitzlüge“).
Desweiteren ist der Antizionismus anzuführen, der sich gegen die jüdische Nationalbewegung
(den Zionismus) und den Staat Israel richtet. Er äußert sich in einer Ablehnung der Politik des
Staates Israel, wobei nicht jede antizionistische Äußerung zugleich antisemitisch ist. Kritik an der
israelischen Politik und dem Zionismus wird dann antisemitisch, wenn sie sich traditioneller antisemitischer Stereotype bedient und diese mit aktuellen politischen Ereignissen in Verbindung
bringt. Vorurteile gegenüber Juden werden zum Beispiel dann verwendet, wenn der Holocaust
und das Vorgehen der israelischen Regierung in den palästinensischen Gebieten gleichgesetzt
werden oder vom Staat Israel aufgrund seiner Holocaust-Erfahrung ein besonders moralisches
Handeln erwartete wird. Folglich muss sich Israel oft an höheren Maßstäben als andere Staaten
messen lassen.
Schließlich ist der moderne kulturell, sozial und ökonomisch begründete Antisemitismus zu nennen. Hier wird ein vermeintlich besonderer Status der Juden in der Gesellschaft als Motiv hervorgehoben. Stereotype wie Medienmacht, Reichtum, Wucher, Schacher, Macht über die Finanzmärkte und Zinspolitik treten regelmäßig auf.
Arbeitsdefinition von Antisemitismus
2005 hat das European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC) eine „Working
Definition of Antisemitism“ heraus gegeben. Diese Definition entstand aus der Zusammenarbeit
der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte ( EUMC) mit der Menschenrechtsabteilung
der Organisation für Sicherheit und Zusammenhalt in Europa (OSZE) und verschiedenen jüdischen Organisationen. Der Originaltext ist auf englisch und eine inoffizielle Übersetzung wurde
erstmals von dem Journalisten Ulrich Sahm veröffentlicht. Die Arbeitsdefinition dient vor allem
der Schaffung einer Grundlage für das Verständnis von Antisemitismus und stellt ein zentrales
Dokument dar, welches international immer mehr Verwendung findet. Eine zentrale Aussage
der „Working Definition of Antisemitism“ lautet: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahr-
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nehmung von Juden, die als Hass gegen Juden ausgedrückt werden kann. Rhetorische oder
physische Formen von Antisemitismus sind gegen Juden oder Nicht-Juden, Individuen und/oder
ihr Eigentum, gegen Institutionen jüdischer Communities oder religiöse Einrichtungen gerichtet
(…).“
Antisemitismus und Rassismus
Inwiefern unterscheidet sich Antisemitismus von Rassismus? Rassismus unterteilt Menschen nach
äußerlichen Merkmalen in verschiedene Gruppen, die als vermeintliche Rassen unterschiedlicher
Wertigkeit betrachtet werden. Er richtet sich meist gegen Angehörige einer anderen fremden
Kultur. Wie zum Beispiel an die UNESCO-Erklärung von 1995 deutlich macht, ist es ein bestätigter und weltweit kommunizierter Fakt, dass Rassen nicht existieren. Rassismus ist jedoch nach
wie vor ein weit verbreitetes Phänomen.
Der Antisemitismus wurde früher auf die Mitglieder der eigenen europäischen Gesellschaft projiziert und ist heute ein Antisemitismus ohne Juden, der sich unabhängig von einer Präsenz der
Juden vor Ort gegen eine imaginäre Gruppe richtet. Juden sind im Gegensatz zu anderen Minderheiten in Westeuropa kaum sozial ausgegrenzt und haben Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen und zum Arbeitsmarkt. Antisemitische Vorurteile, die von einer Generation auf
die andere weitergegeben werden, entstehen nicht aus Angst vor Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, sondern basieren auf neu begründetem Neid. Sie schreiben den Juden Macht und Einfluss zu und unterstellen ihnen verschlagene Intelligenz, die sie angeblich zum Nachteil der
Mehrheitsgesellschaft nutzen. Keiner anderen diskriminierten Gruppe, die rassistischen Projektionen ausgesetzt ist, wird Macht und Einfluss zugeschrieben. Daraus folgt, dass Antisemitismus
als eigenständiges Phänomen zu untersuchen und einzuordnen ist. Judenfeindschaft nur als Teil
von Rassismus und Diskriminierung gegen Minderheiten wahrzunehmen, verkennt Ursachen
und Wirkungen des Ressentiments.
Antisemitische Stereotype zeigen einen hohen Grad an Flexibilität, wobei die Inhalte immer dieselben sind. Dem alten Antisemitismus in neuen Gewändern wird häufig nicht dieselbe Aufmerksamkeit geschenkt wie den alten Formen des antijüdischen Ressentiments. Antisemitismus
wird oft erst als solcher wahrgenommen, wenn er sich rassistischer Stereotype der nationalsozialistischen Ideologie bedient oder gar erst, wenn er einen genozoiden Charakter aufweist. Subtilere Formen des antijüdischen Ressentiments werden häufig nicht als Bestandteil des Antisemitismus akzeptiert. So zeigt sich heutzutage immer öfter das Dilemma, dass antirassistische Gruppierungen, Vereine und Organisationen, die jahrzehntelang den Antisemitismus im rechtsextremen Lager bekämpft haben, selbst nicht frei von antisemitischen Vorurteilen bzw. von (Gegen-
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)Argumentationen, die sich auf antisemitischen Vorurteile gründen, sind. Ist das der Fall, dann
werden Juden nicht mehr von Rassisten, sondern von Antirassisten angegriffen.
Die rassistische Variante des Antisemitismus ist heute in der öffentlichen Meinung Europas eher
marginalisiert, weil sie durch die Erinnerung an die Shoah diskreditiert ist. Deshalb bedienen sich
heute auch die Rechtsextremen zunehmend neuer Konnotationen der alten Stereotype. Dass die
Wahrnehmung antisemitischer Tendenzen in vielen europäischen Ländern solange auf sich warten ließ, ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass antisemitische Tendenzen heute auch in
gesellschaftlichen und politischen Gruppen virulent sind, die frei von derartigen Vorurteilen
schienen. Juden werden heute nicht mehr wegen ihrer „Rasse“ oder Religion diskriminiert, sondern weil sie antisemitischen Verschwörungstheorien gemäß als Bedrohung per se wahrgenommen werden.
Wilhelm Heitmeyer hat sich in seiner 10-Jahres-Umfrage „Deutsche Zustände“ (Folge 3) zu
gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aus dem Jahre 2004 erstmals mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit sich antisemitische Stereotype hinter einer vermeintlichen Kritik der israelischen Politik verbergen. Ausgehend von bestimmten Kriterien wurden in Deutschland verschiedene Facetten einer antisemitischen Einstellung sowie einer kritischen Einstellung gegenüber der
Palästinenserpolitik Israels erhoben. Die Zustimmungsquoten der deutschen Bevölkerung sind
dabei teilweise sehr hoch. Ein großer Teil der Befragten rechtfertigt ihre Abneigung gegenüber
Juden mit der israelischen Politik („israelbezogener Antisemitismus“). Die Hälfte der Deutschen
vergleicht die Politik Israels mit der des Dritten Reichs („NS-vergleichende Israelkritik“). Des Weiteren haben 65 Prozent der Befragten eine Abwehrhaltung gegenüber der Beschäftigung mit
den Verbrechen der Deutschen an den Juden im Dritten Reich entwickelt („sekundärer Antisemitismus“). Die Fragen zu Aussagen zur israelkritischen Einstellung erhielten am meisten Zustimmung: 80 Prozent der Deutschen hegen eine kritische Haltung gegenüber der Palästinenserpolitik Israels. Dieser Trend ist häufiger im politisch linken Lager anzutreffen als bei den Befragten
aus dem politischer rechten Spektrum. Zusammenfassend lässt sich eine Projizierung der Probleme im Nahen Osten auf die jüdischen Bürger hier in Deutschland erkennen.
Weitere repräsentative Ergebnisse zum Thema Antisemitismus liefert die seit 2002 von der AntiDefamation League (ADL) jährlich in verschiedenen Ländern durchgeführte Umfrage zu Einstellungen gegenüber Juden und dem Staat Israel. Interessant ist hier, dass im Jahre 2005 20 Prozent der Deutschen der Behauptung „Juden haben zu viel Macht in der Geschäftswelt“ zugestimmt haben, womit Deutschland sich im Vergleich zu den anderen teilnehmenden Länder eher
am unteren Ende der Skala befindet. Ein Drittel und noch mehr der Befragten in Italien, Belgien,
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Spanien, Polen und vor allem Ungarn sind auch dieser Ansicht. Mit der Aussage „Juden sind
verantwortlich für den Tod von Christus“ spricht die ADL-Umfrage den Punkt der Schuldumkehr
an. Insbesondere Polen befürwortet diese Aussage mit 39 Prozent. In Deutschland sind immerhin 18 Prozent dieser Meinung.
Rechtsextremismus
Laut Verfassungsschutzbericht wurden im Jahr 2007 insgesamt 1.541 politisch rechts motivierte
Straftaten mit extremistischem und antisemitischem Hintergrund registriert. Damit ging die Zahl
gegenüber dem Vorjahr (1.636) um 5,8 Prozent zurück. Jedoch stieg hier die Anzahl der politisch rechts motivierten Gewalttaten mit antisemitischem Hintergrund von 43 (2006) auf 59.
Insgesamt wiesen 6 Prozent aller politisch rechts motivierten Gewaltdelikte sowohl einen extremistischen als auch einen antisemitischen Hintergrund auf. Problematisch bei dieser Statistik ist,
dass nur Angriffe mit einem rechtsextremen antisemitischen Hintergrund erfasst werden. Es gibt
in Deutschland keine Statistiken über antisemitische Übergriffe, die keinen rechtsextremen Hintergrund haben.
In Hinblick auf zu erwartende Exekutiv- und Indizierungsmaßnahmen artikulieren nur wenige
Rechtsextremisten ihre antisemitische Einstellung offen. Dennoch wird in aggressiven Liedertexten rechtsextremer Musikbands eine antisemitische Grundhaltung deutlich. Weitere Beispiele
von Antisemitismus in der rechtsextremen Szene sind Friedhofsschändungen (z. B. Beschmierung
von Grabsteinen mit Hakenkreuzen, SS-Runen oder Parolen wie „Juden raus“) und Anschläge
auf jüdische Einrichtungen (z. B. Anschlag auf jüdischen Chabad-Kindergarten 2007 in Berlin).
Islamisierter Antisemitismus
Antisemitismus ist auch im Islam vorzufinden, wobei vor allem der Nahostkonflikt ein Mobilisierungselement für antisemitische Stereotype innerhalb der muslimischen Welt darstellt. Ein Exempel für die Schürung antisemitischer Vorurteile ist der weit verbreitete Film „Zarahs Blaue
Augen“. Des Weiteren werden bei pro-palästinensischen Demonstrationen immer wieder antisemitische Stereotype gezeigt. Es gibt beispielsweise vom Al-Quds-Tag in Berlin, einer Demonstration von Anhängern eines radikalen politischen Islam, Bilder von einem vermeintlichen Rabbiner als Teilnehmer der pro-palästinensischen Kundgebung. Hier wird fälschlicherweise der Eindruck einer Verbrüderung zwischen einem Juden und einem Imam vermittelt, die gemeinsam
gegen Israel demonstrieren. Bei Fällen wie diesem ist es wichtig, den Kontext zu erkennen, denn
es hat sich hier um einen Rabbiner gehandelt, der einer antizionistischen Sekte angehört.
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Diskussion:
In der auf den Vortrag von Juliane Wetzel folgenden Teilnehmerdiskussion wurde dargelegt,
dass die Vielfalt Israels oft ausgeblendet und infolgedessen häufig ein einseitiges Bild eines ausschließlich aus orthodoxen Juden bestehenden Israels vermittelt wird. Daher ist es wichtig, wenn
Bilder wie die vom Al-Quds-Tag auftauchen, auch die Hintergründe zu kennen. Um zu verdeutlichen, welche Symbole und Kriterien des Antisemitismus es gibt, müssen Bilder wie diese entkodifiziert werden.
Diese Aufklärungsarbeit über Antisemitismus ist bedeutsam für die Arbeit an Schulen, um differenzieren zu können und die Auseinandersetzung mit diesem Thema zu fördern. Ein Problem ist,
dass noch zu wenig Informationen über den Staat Israel an den Berliner Schulen vermittelt werden. Das hängt damit zusammen, dass Materialen eingesetzt werden, in denen Israel sehr einseitig als eine Konfliktgesellschaft dargestellt wird. Es wird selten darüber gesprochen, dass Israel
die einzige Demokratie im Nahen Osten ist. Zudem wird der Nahostkonflikt in den Medien sehr
brutal dargestellt. Wo sehr wenig positive Bilder vermittelt werden, kann etwas wie eine positive
Identifikation kaum stattfinden.
2. Die Bedeutung des Antisemitismus in der rechtsextremen Ideologie, Annemarie Benzing (MBR)
Antisemitismus als Kernbestandteil rechtsextremer Ideologie
Antisemitismus ist im Rechtsextremismus von grundsätzlicher Bedeutung. Als im Nachgang der
zweiten Intifada im Jahr 2000 die Debatte um den aktuellen Antisemitismus entstand, wurde in
der Regel nicht über Rechtsextremismus gesprochen. Der Grund dafür liegt darin, dass Antisemitismus seit jeher ein Kernbestandteil des Rechtsextremismus ist. Das Neue im aktuellen Antisemitismus wurde zunächst vor allem in neuen Trägerschichten für Antisemitismus gesehen und in
der Annahme, dass es unter Umständen einen neuen strukturellen Antisemitismus gibt. Die wissenschaftliche Debatte hat sich inzwischen weitgehend darauf geeinigt, dass es keinen neuen
strukturellen Antisemitismus gibt, sondern dass das Neue die veränderten weltpolitischen Kontexte sind, in denen sich die politischen Gelegenheitsstrukturen für Antisemitismus verbessert
haben.
Antisemitismus ist im Rechtsextremismus eines von sechs ideologischen Kernelementen, die zusammen genommen ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild ausmachen. Diese sind Völki-
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scher Nationalismus und Kollektivismus, Rassismus, Antisemitismus, System der Ungleichheit,
Verharmlosung des Nationalsozialismus und Diktaturbefürwortung.
Im Zentrum des rechtsextremen Weltbilds steht eine idealisierte und konstruierte Volksgemeinschaft. Diese wird als homogen und unveränderlich gesehen. Die „biologisch-kulturelle Reinhaltung“ der Volksgemeinschaft ist Grundlage und oberster Zweck rechtsextremer Politik. Die national-antisemitische Konstruktion dieser Volksgemeinschaft funktioniert in zwei Schritten: Im
ersten Schritt wird die „Wir-Gruppe“ von anderen Völkern, Nationen und Staaten abgegrenzt.
Die Gemeinschaft stellt hier einen Wert an sich dar, der über dem Individuum steht und das eigentlich schützenswerte für Rechtsextreme ist. Im zweiten Schritt werden „Wir“, also die WirGruppe und alle anderen Völker, nochmals abgegrenzt von den Juden. Folgendes Zitat veranschaulicht den Antisemitismus, wie er derzeit von der NPD vertreten wird: „(…) vaterlandslosen
Gesellen, ohne eigene Verwurzelung, angetrieben von der Gewinnsucht des schnöden Mammons zerstören planmäßig unser Volk, nehmen uns unser Land (…)“, aus „Arbeit – Familie –
Vaterland“ NPD Bundesparteitag 2004, Rede des Parteivorsitzenden Udo Voigt. Die Darstellung
einer Dreier-Konstellation ist typisch für den Antisemitismus im Rechtsextremismus. Zunächst
werden das deutsche Volk und die anderen Völker voneinander abgegrenzt. Aber dann werden
alle Völker abgegrenzt von „den Juden“, die dieses Grundprinzip der nationalen Aufteilung der
Welt angeblich zerstören wollen. Das Prinzip der nationalen Ordnung wird abgesichert durch die
Konstruktion „der Juden“ als Gegenprinzip, sie verkörpern somit eine nationale Nicht-Identität.
Den Schlüssel zum Verständnis von Antisemitismus im rechtsextremen Weltbild bildet das Gegensatzpaar Volksgemeinschaft und Gesellschaft. Nach rechtsextremer Einstellung befindet sich
die deutsche Volksgemeinschaft in einem existentiellen Abwehrkampf gegen die zersetzenden
Erscheinungen der Moderne (der „Gesellschaft“), die personalisiert werden in „den Juden“.
Diesen Kräften wird Macht und Einfluss zugeschrieben. Infolgedessen beherrschen die Juden alle
Einflussfaktoren der modernen Gesellschaft. Sie kontrollieren die zentralen Machtmittel wie Finanzkapital und Presse, was wiederum den Grundstein für die Konstruktion von Verschwörungstheorien legt. Zentral bei dieser Konstruktion ist außerdem die Vorstellung, dass diese Prozesse nicht offensichtlich sind, da die Juden im Geheimen agieren würden.
Im Gegensatz dazu wird die „Gemeinschaft“ (die Volksgemeinschaft) als Opfer von den vermeintlichen Machenschaften gegen das Volk konstruiert. Damit wird Antisemitismus zu einer
berechtigten und rationalen Gegenwehr. Das ist der „wehrhafte Opfermythos“, welcher der
Gründungsmythos des Rechtsextremismus ist. Insofern bildet Antisemitismus einen Bestandteil
der Grundkonstruktion von Volksgemeinschaft. Das macht Rechtsextremismus zu einer moder-
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nen Ideologie mit anti-moderner Stoßrichtung, deren Ziel es ist, sozialen Wandel rückgängig zu
machen. Den höchsten Wert stellt für Rechtsextreme die ethnische Homogenität der eigenen
Volksgemeinschaft zur Sicherung kultureller, „rassischer“ und nationaler Identität dar, wobei
diese Volksgemeinschaft ein absolutes Idealbild ist. Dabei dient Antisemitismus als Theorie zur
Erklärung fast aller die imaginäre Volksgemeinschaft schädigenden Phänomene in der Gegenwart und Vergangenheit.
Sekundärer Antisemitismus nach 1945
Nach der Delegitimierung des Nationalsozialismus seit 1945 haben sich neue Formen des Antisemitismus gebildet. Hintergrund war, dass die NS-Vergangenheit zum Hindernis für eine bruchlose selbstverständliche Identifikation mit der deutschen Nation wurde. In diesem Zusammenhang kam der sekundäre Antisemitismus auf, welcher sich gezielt auf den Holocaust und die
Ermordung der europäischen Juden bezieht. Sekundärer Antisemitismus heißt vor allem Leugnung und Relativierung des Holocausts. Zu den Klassikern dieser Relativierung gehören die Betonung des eigenen Opferstatus, wie z. B. die Leiden der deutschen Zivilbevölkerung unter den
angeblichen Kriegsverbrechen der Alliierten, sowie der Vorwurf, Juden benutzten den Holocaust, um möglichst hohe Entschädigungen zu kassieren oder um Deutschland moralisch zu
erpressen. Letztendlich wird den Juden vorgeworfen, dass sie vom Holocaust profitieren würden. Das Prinzip der Täter-Opfer-Umkehr ist zentral, wobei national gesinnte Deutsche als Opfer
von „Umerziehung“, „Meinungsdiktatur“ und „Schuldkult“ dargestellt werden.
Angesichts der strafrechtlichen Sanktionierungen antisemitischer Volksverhetzungen und Holocaustleugnungen werden meist verdecktere Formen antisemitischer Artikulation gewählt. Deshalb gibt es Schlüsselworte in rechtsextremen Veröffentlichungen wie „Auserwählte“, „wurzelund heimatlos“ oder „nomadisiert“, die klassische Stereotype sind, mit denen kodiert ausgedrückt wird, dass es hier um Juden geht.
Seit Mitte der 1990er: Globalisierter Antisemitismus
Seit Mitte der 1990er Jahre hat in der rechtsextremen Szene eine neue Form des Umgangs mit
der NS-Vergangenheit zugenommen, und zwar eine Historisierung des Nationalsozialismus.
Zentral ist hier das Aufgreifen der Schlussstrichdebatte, indem das Ruhen der Vergangenheit
gefordert wird. Die Rechtsextremen sahen in anderen Bereichen wie etwa in der Bewältigung
der „problemreichen Gegenwart“, Hartz IV, Globalisierung und „Verausländerung“ neue Möglichkeiten, in modernisierter Form an die gesellschaftliche Mitte anschlussfähig zu werden.
Der Anti-„Globalismus“ als rechtsextreme Globalisierungsfeindschaft stellt eine aktualisierte
Form des „wehrhaften Opfermythos“ dar. Im Abwehrkampf gegen Migration und Globalisie-
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rung, die angeblich planvolle gesteuerte Prozesse zur Vernichtung der Kulturnation Deutschland
darstellen, muss der vermeintliche „Völkermord“ der Deutschen verhindert werden. Hinter allem
würden die Weltmacht USA und die Juden stehen. Die Juden werden dabei als die wahren
Machthaber gesehen, die jedoch im Hintergrund bleiben und das Finanzkapital stellen. Diese
„Juden-USA-Kapitalismus-Weltverschwörung“ macht die verkürzte Kapitalismuskritik der
Rechtsextremen deutlich. Insbesondere aktionsorientierte Rechtsextreme greifen verstärkt bei
der Propagierung ihres „nationalen Sozialismus“ auf altbewährte antisemitische Bilder zurück
(z.B. die Krake als Symbol für Juden).
Überdies das Zionist Occupied Government (Z.O.G.) zentral für die Antisemitismus-Ideologie.
Diese Ansicht beinhaltet den Glauben an eine jüdische Weltverschwörung, bei der u. a. alle demokratischen Regierungen, Banken und Medien insgeheim von Juden kontrolliert werden.
Neben dem politischen Antisemitismus seit Mitte der 1990er Jahre hat der Antizionismus an
Bedeutung gewonnen. Durch die Existenz Israels hat sich der Fokus der Antisemiten verlagert:
Juden werden nicht mehr nur als Strippenzieher hinter den Kulissen gesehen, sondern als
Hauptakteure auf der Weltbühne. Zu den Elementen des Antizionismus gehört die positive Bezugnahme auf den Befreiungskampf der Palästinenser, die eine rein instrumentelle Solidarität
darstellt. Die „Solidarität mit Palästina“ ist eine Selbststilisierung der rechtextremen Szene als
vergleichbare „Opfer jüdischer Politik“. Ziel ist die Relativierung des Holocaust über eine Fokussierung auf die „Verbrechen Israels“.
Der Antisemitismus der Extremen Rechte hat sich modernisiert. In seiner „globalisierten Form“,
d. h. in seiner Konzentration auf den Staat Israel, der als „kollektiver Jude“ nicht nur für den
eskalierten Nahostkonflikt verantwortlich gemacht wird und seinen vielfältigen Bezugnahmen
auf den Holocaust, erweist er sich über das rechtsextreme Lager hinaus als anschlussfähig. Das
Feindbild Israel bildet, gekoppelt mit antiamerikanischer Globalisierungsfeindschaft, eine willkommene Projektionsfläche für geschichtsverfälschende Rückblicke auf das NS-Regime und die
mehr als ein Jahrhundert alten Theorien einer „jüdischen Weltverschwörung“. Der Stellenwert
des Antisemitismus im Rechtsextremismus hat sich dadurch wieder erhöht und tritt auch in öffentlichen Verlautbarungen wieder stärker in den Vordergrund.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in der modernisierten Form des Antisemitismus klassische antisemitische Stereotype verwendet werden. Es ist eine Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit des Antisemitismus erkennbar. Rechtsextreme hoffen, mit diesem vermeintlich modernisierten Antisemitismus eine breitere Anschlussfähigkeit in der Gesellschaft zu erhalten.
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Diskussion:
Nach dem Vortrag von Annemarie Benzing erörterten die Teilnehmer, dass Antisemitismus ein
Phänomen ist, das sich nicht ausschließlich auf den Rechtsextremismus beschränkt. Im Gegenteil, auch in linken Lagern ist Antisemitismus vorzufinden. Judenfeindliche Einstellungen sind in
der Gesellschaft von ganz links außen bis ganz rechts außen vorzufinden und auch die Mitte der
Gesellschaft trägt durchaus latent antisemitistische Stereotype mit sich.
3. Antisemitismus als Bindeglied unterschiedlicher ideologischer Lager, Koray YılmazGünay, amira
Antisemitismus – Rechtsextremismus
Gegenwärtig verliert der Staat Israel als „kollektiver Jude“ immer mehr an Bedeutung. Ebenso
erscheint der Revisionismus in Bezug auf die Shoah und Holocaustleugnung rückwärtsgewandt.
Vielmehr erfolgt eine Hinwendung der Rechtsextremen zu sozialen Fragen. Die Themen „Globalismus“ und Amerikafeindschaft gekoppelt an einen verstärktem Rückgriff auf primär antisemitische Stereotype kommen immer häufiger vor. Antisemitismus bildet den kleinsten gemeinsamen
Nenner verschiedener Strömungen innerhalb des Rechtsextremismus. Den Kern dabei bildet eine
Volksgemeinschaft ohne Juden.
Antisemitismus – politischer/nationalistischer Islam
Judenfeindlichkeit spielt im Islam eine zentrale Rolle. So zeichnet sich z. B. die Bewegung des
Islamischen Widerstands, Hamas, durch einen antisemitisch unterlegten Antizionismus aus. Offen greifen sie auf antisemitische Klischees und Stereotype zurück. Ebenso bedient sich die Islamische Gemeinschaft Milli Gürus (IGMG) antisemitischer Vorurteile. Das System der Sklaverei
wird ihrer Ansicht nach von Juden gesteuert, wobei Muslime die Opfer der Juden sind. Nur eine
Einheit von Nation und Religion kann aus ihrer Perspektive diesem Zustand Abhilfe schaffen.
Die wesentlichen Inhalte des islamischen Antisemitismus sind „der Westen“ versus „den Islam“,
die (Welt-)Verschwörung der Juden sowie das Ziel die Vernichtung Israels und der Juden. Nicht
selten bildet der antisemitisch konnotierte Antizionismus einen gemeinsamen Nenner verschiedener Strömungen des politischen Islam bzw. Nationalismus, wobei der Grundgedanke die Gemeinschaft der Gläubigen ohne Juden ist.
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Antisemitismus – politische Linke
Der Kampf gegen Antisemitismus ist Teil des Selbstverständnis im Antifaschismus. In der Praxis
trägt dieses Minderheitenphänomen dennoch antisemitische Fragmente. Trotz einer grundsätzlich anti-antisemitischen Grundhaltung tauchen gelegentlich antisemitischer Antizionismus, Antiamerikanismus und verkürzte Kapitalismuskritik auf.
Antisemitismus – Funktionen
Antisemitismus beinhaltet unterschiedliche Funktionen. Dazu gehören Identitätsstiftung und
Integration über ein gemeinsames Feindbild, die Delegitimierung politischer Rivalen, Stigmatisierung der Juden als „Sündenbock“, sie sind Verursacher aller Widrigkeiten in der Welt sowie die
Vereinfachung komplexer politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen.
Querfronten der Antisemiten?
Zu Beginn des Jahrtausends gab es Avancen zur Bildung von Querfronten unter Antisemiten.
Vor allem die Rechtsextremen machten Angebote an die Vertreter des politischen Islams. Hintergründe sind der Beginn der zweiten Intifada und die Terror-Anschläge vom 11. September
2001. Allerdings gab es diesbezüglich Hindernisse. Es war keine deutliche Hierarchie zwischen
Antisemitismus und Rassismus im Rechtsextremismus vorhanden. Außerdem gab es eine Ablehnung des „Westens“ im politischen Islam. Des Weiteren waren Migranten eher Opfer als strategische Partner für die Rechtsextremen. Es stand also eine multi-ethnische Umma der homogenen Volksgemeinschaft gegenüber.
Diskussion
Nach dem Vortrag von Koray Yılmaz-Günay diskutierten die Teilnehmer über Antisemitismus in
verschiedenen ideologischen Lagern. Als Beispiel für linke Gruppierungen mit antisemitischen
Elementen in ihren Forderungen wurde die linke Zeitung „Junge Welt“ genannt, die antisemitische Züge in ihrer Kritik am Kapitalismus und Nahostkonflikt annimmt.
Im Anschluss an die Vorträge wurde in der Arbeitsgruppe „Antizionismus = Antisemitismus?
Auswirkungen des Nahostkonflikts“ diskutiert, inwiefern antizionistische Vorstellungen mit Antisemitismus gepaart sind und wie mit antisemitischen Vorurteilen im Schulalltag umgegangen
werden kann.
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Antizionismus hat sich sowohl in West- als auch in Osteuropa durchgesetzt und ist in allen gesellschaftlichen Schichten vorhanden. Opfer nach antizionistischer Vorstellung sind die Palästinenser. Schnittmengen bei unterschiedlichen ideologischen Gruppen gibt es z. B. bei den Punkten Globalisierungskritik und Antiamerikanismus, die häufig mit antisemitischen Konnotationen
unterlegt sind. Ferner gibt es einige Beispiele der Vernetzung linker Gruppierungen mit islamischen Gruppen gegen Israel.
Die antisemitischen Haltungen linker Gruppen zeigen sich beispielsweise in der Unterstützung
von Selbstmordattentätern, indem diese als legitime Widerstandskämpfer betitelt werden (z. B.
in „Junge Welt“) oder Kapitalismuskritik mit antisemitischen Elementen unterfüttert wird. Einige
Linke weisen auf dieses Problem hin und kritisieren diese antisemitischen Einstellungen in ihren
eigenen Lagern (vgl. u.a. Gregor Gysi: „Die Haltung der deutschen Linken zum Staat Israel“,
Standpunkte 2008, Rosa-Luxemburg-Stiftung).
Wie kann nun der praktische Umgang mit Antisemitismus im Schulalltag gestaltet werden? Lehrer werden ständig mit antisemitischen Äußerungen ihrer Schüler konfrontiert. Diskussionen in
der Schule über den Nahostkonflikt werden häufig mit klassischen antisemitischen Stereotypen
vermischt. Da der Nahostkonflikt ein komplexes Thema ist, kommt es schnell zu Verkürzungen
und zum Einzug antisemitischer Elemente bei Schülern. Deshalb ist es wichtig, im Unterricht die
Geschichte des Nahostkonflikts in allen Dimensionen zu erläutern.
Ein weiteres vielfach auftauchendes Problem ist die Nutzung von Schimpfwörtern wie „du Jude“
oder „Opfer“. Meistens werden diese Begriffe nicht in ihrer ursprünglichen Bedeutung verwendet, dessen sich viele Schüler ohnehin nicht bewusst sind. Daher ist es unerlässlich, die Hintergründe der Begriffe im Unterricht zu thematisieren.
Lehrer stehen immer wieder dem Problem gegenüber, dass bei den Jugendlichen kein Interesse
zu den genannten Themen vorhanden ist. Deshalb ist es wichtig, Schnittmengen zwischen den
persönlichen Erfahrungen der Schüler und denen der Juden zu finden und die Jugendlichen mit
diesem unmittelbaren Bezug emotional zu „packen“ (z.B. Erfahrung von Diskriminierung). Die
Jugendlichen sind dabei nicht nur als Individuen, sondern auch in deren familiären bzw. kulturellen Kontext zu betrachten.
Ferner ist die fortlaufende Diskussion über aktuelle Kriege bedeutend, da in den Medien oft ein
einseitiges Bild vermittelt wird. Vor allem arabische Jugendliche werden manchmal mit diesen
Bildern allein gelassen. Die Medienkompetenz ist ein wichtiger Aspekt, der in der Schule viel
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STANDPUNKTE 2008 - STRATEGIEN GEGEN DEN MODERNEN RECHTSEXTREMISMUS, PROTOKOLL 3. BAUSTEIN 20.05.2008
mehr diskutiert werden sollte. Medien können stark polarisieren und Bilder manipulieren. Diese
Form der Verzerrung von Wirklichkeit sollte den Schülern deutlich gemacht werden. Wann, wie
und warum werden Medienberichte manipuliert. Schüler sollten lernen das Gesehene zu hinterfragen.
Viele Einstellungen der Kinder kommen aus dem Elternhaus. Trotzdem bzw. gerade deswegen
ist es wichtig, die Eltern anzusprechen und mit einzubeziehen. Gar nicht reagieren wäre falsch.
Des Weiteren gibt es die Möglichkeit sich außerhalb der Schule in verschiedenen Projekten und
Initiativen zum Thema Antisemitismus oder Rechtsextremismus zu vernetzen.
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