- 1/46 - Elektrotechnik II – Teil 1 Prof. Dr.-Ing. Th. Reck Stand SS 2015 Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 2/46 - Inhaltsverzeichnis 1 2 3 4 5 6 7 Literatur Maßeinheiten 2.1 SI-Einheiten Kenngrößen und Mittelwerte periodischer Signale 3.1 Kenngrößen 3.2 Linearer Mittelwert (Arithmetischer Mittelwert) 3.3 Gleichrichtwert (Gleichrichtmittelwert) 3.4 Effektivwert (Quadratischer Mittelwert) 3.5 Scheitelfaktor 3.6 Formfaktor Wechselstromtechnik 4.1 Komplexe Rechnung 4.2 Zeigerdarstellung harmonischer Größen 4.3 Ortskurve 4.4 Bodediagramm 4.4.1 Übertragungsverhalten von Vierpolen 4.4.2 Komplexer Frequenzgang 4.4.3 Frequenzgänge von Vierpolen 4.4.4 Grundglieder Leistungsmessung 5.1 Theoretische Grundlagen der Leistungsmessung 5.1.1 Zusammenfassung wichtiger Kenngrößen 5.1.2 Sinusförmige Verläufe von Spannung und Strom 5.1.3 Sinusförmiger Spannung- und nichtsinusförmige Stromverlauf 5.2 Messgeräte 5.2.1 Time Division Multiplikator (TDM) Digitalmultimeter (DMM) 6.1 Auflösung 6.2 Fehlerangaben 6.3 Aufbau und Funktionsweise 6.4 Messschaltungen Oszilloskop 7.1 Analogoszilloskop 7.2 Aufbau und Funktion des Oszilloskops 7.3 Tastkopf Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck 3 4 4 6 6 10 10 11 12 12 13 13 16 18 23 24 25 28 29 32 32 32 32 33 35 35 37 37 37 38 39 40 40 40 45 - 3/46 - 1 Literatur Grundlagen der Elektrotechnik Hagmann, Gert AULA-Verlag Wiesbaden Aufgabensammlung zu den Grundlagen der Elektrotechnik Hagmann, Gert AULA-Verlag Wiesbaden Grundlagen der Elektrotechnik Moeller, Fricke, Frohne, Vaske B.G. Teubner Stuttgart Beispiele zu Grundlagen der Elektrotechnik Fricke, Moeller, Ptassek, Schuchardt, Vaske B.G. Teubner Stuttgart Elektrotechnik Paul, R. Band I: Elektrische Erscheinungen und Felder Band II: Netzwerke Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo Theoretische Elektrotechnik und Elektronik Küpfmüller, Kohn Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo Halbleiter-Schaltungstechnik Tietze, Schenk Springer Verlag Berlin Analoge Schaltungen Seifert Verlag Technik GmbH Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 4/46 - 2 Maßeinheiten Damit man messen kann, sind vorher Einheiten zu definieren. Zunächst haben sich die Einheiten an den Menschen (z.B. Fuß, Elle) bzw. an seiner Umgebung (Erdumfang, mittlerer Sonnentag) orientiert. Dabei gab es jedoch Schwierigkeiten mit der Anwendung dieser Einheiten. Schon Maxwell (18311879) hat empfohlen, auf Quantenmaße überzugehen, die überall und jederzeit durch Experimente nachvollziehbar sind. 2.1 SI-Einheiten 1960 wurde von der Generalkonferenz für Maß und Gewicht das “Systeme International d’Unites” empfohlen, das inzwischen weltweit eingeführt und in der Bundesrepublik Deutschland gesetzlich vorgeschrieben ist. Diese Basiseinheiten sind nach DIN 1301 oder ISO 1000: Gebiet Mechanik Elektrotechnik Thermodynamik Optik Chemie Elektrotechnik II Basisgröße Länge Masse Zeit Stromstärke Temperatur Lichtstärke Stoffmenge Formelzeichen l m t I T IL n BME Basiseinheiten Einheitenzeichen Meter m Kilogramm kg Sekunde s Ampere A Kelvin K Candela cd Mol mol Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 5/46 - 1 Meter ist die Länge der Strecke, die Licht im Vakuum während des Intervalls von (1/299 792 458) Sekunden durchläuft (1983). 1 Kilogramm ist die Masse des Internationalen Kilogrammprototyps (1889). 1 Sekunde ist das 9 192 631 770-fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustands von Atomen des Nuklids 133Cs entsprechenden Strahlung (1967). 1 Ampere ist die Stärke eines zeitlich unveränderlichen elektrischen Stromes, der durch zwei im Vakuum parallel im Abstand l m voneinander angeordnete, geradlinige, unendlich lange Leiter von vernachlässigbar kleinem, kreisförmigen Querschnitt fließend, zwischen diesen Leitern je 1m Leiterlänge elektrodynamisch die Kraft 0,2 10-6 N hervorrufen würde (1948). 1 Kelvin ist der 273,16te Teil der thermodynamischen Temperatur des Tripelpunktes des Wassers (1967). 1 Candela ist die Lichtstärke in einer bestimmten Richtung einer Strahlungsquelle, die monochromatische Strahlung der Frequenz 540 ⋅ 1012 Herz aussendet und deren Strahlstärke in dieser Richtung (1/683) Watt durch Steradiant beträgt. 1 Mol ist die Stoffmenge eines Systems bestimmter Zusammensetzung, das aus ebenso vielen Teilchen besteht, wie Atome in (12/1000) kg des Nuklids 12C enthalten sind. Bei Benutzung des Mol müssen die Teilchen spezifiziert werden. Es können Atome, Moleküle, Ionen, Elektronen usw. oder eine Gruppe solcher Teilchen genau angegebener Zusammensetzung sein (1971). Diese Einheiten bilden ein kohärentes System, d.h. aus diesen Grundeinheiten abgeleitete Einheiten lassen sich mit dem Zahlenfaktor 1 umrechnen, z.B. [v] = [s/t] = 1 m/s In der Elektrotechnik beschränkt man sich oft auf das aus m, kg, s, A bestehende Teilsystem (MKSA). Nachstehend sind einige abgeleitete SI-Einheiten angegeben, die einen besonderen Namen haben. Physikalische Größe 2.1.1.1 Frequenz Kraft Druck Energie, Arbeit, Wärmemenge Leistung el. Ladung el. Spannung el. Kapazität el. Widerstand el. Leitwert Mag. Fluss mag. Flussdichte, Induktion Induktivität Hertz Newton Pascal Joule Hz N Pa J Watt Coulomb Volt Farad Ohm Siemens Weber Tesla W C V F Ω S Wb T W ⋅ A-1 C ⋅ V-1 V ⋅ A-1 A ⋅ V-1 V⋅s Wb ⋅ m2 m2 ⋅ kg ⋅ s-3 A⋅s m2 ⋅ kg ⋅ s-3 ⋅ A-1 m-2 ⋅ kg-1 ⋅ s 4 ⋅ A2 m2 ⋅ kg ⋅ s-3 ⋅ A-2 m-2 ⋅ kg-1 ⋅ s3 ⋅ A2 m2 ⋅ kg ⋅ s-2 ⋅ A-1 kg ⋅ s-2 ⋅ A-1 Henry H Wb ⋅ A-1 m2 ⋅ kg ⋅ s-2 ⋅ A-2 Elektrotechnik II SI-Einheit Symbol für Einheit durch SIEinheiten ausgedrückt N ⋅ m-2 N⋅m J ⋅ s-1 BME durch SIBasiseinheit ausgedrückt s-1 m ⋅ kg ⋅ s-2 m-1 ⋅ kg ⋅ s-2 m2 ⋅ kg ⋅ s-2 Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 6/46 - 3 Kenngrößen und Mittelwerte periodischer Signale 3.1 Kenngrößen Für elektrische Vorgänge unterscheidet man die in der Abb.3.1.1 dargestellten Stromarten (gilt auch für Spannungen). i i I i i i t a) i i~ t b) I t c) t d) Abb.3.1.1: Stromarten a) Gleichstrom I b) Sinusförmiger Wechselstrom i mit Scheitelwert î c) Nicht sinusförmiger, periodischer Wechselstrom i d) Mischstrom i = I + i~ Beim Wechselstrom i nach der Abb.3.1.2 ändern sich Größe und Richtung periodisch mit der Zeit t, d.h. nach Ablauf der Periodendauer T wiederholt sich der Verlauf von i. i T t1 t1+T t i(t1) i(t1+T) T Abb.3.1.2: Zeitlicher Verlauf einer periodischen Wechselgröße i Mit der ganzen Zahl n gilt für eine periodische Wechselgröße: f(t) = f(t + nT) Der lineare Mittelwert einer reinen Wechselgröße ist während einer Periode Null. Wechselstrom lässt sich leicht transformieren, d.h. bei der Energieverteilung den jeweiligen Erfordernissen, z.B. hohe Spannung bei der Übertragung und kleine Spannung bei der Anwendung, anpassen. Da er in Mehrphasensystemen die Erregung von Drehfeldern und somit den einfachsten Motor- und Generatorausbau bei größten Leistungen ermöglicht, werden über 90% der elektrischen Energie als Wechselstrom erzeugt und verteilt. Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 7/46 - Erzeugung einer Wechselspannung In der Energietechnik werden Wechselspannungen in den Generatoren der Kraftwerke erzeugt. Außerdem werden Wechselrichter verwendet, die Gleichstrom in Wechselstrom umformen. Die Erzeugung von Wechselspannungen in den Generatoren wird grundsätzlich durch das Induktionsgesetz beschrieben. Durch Bewegung elektrischer Leiter im Magnetfeld, i.a. Rotation, wird mechanische Energie in elektrische umgeformt. Rotiert eine Leiterschleife oder eine Spule mit N Windungen (ergibt eine höhere Spannung) mit der Winkelgeschwindigkeit ω (=dα/dt) im magnetischen Feld B, so ändert sich der mit der Spule verkettete Fluss r r $ ⋅ sin ωt Φ ( t ) = B ⋅ A = B ⋅ A ⋅ sin α ( t ) = B ⋅ A ⋅ sin ωt = Φ zeitlich nach Betrag und Richtung. Entsprechend ist auch die in der rotierenden Spule induzierte Quellenspannung u0 = N ⋅ dΦ( t ) = ω ⋅ N ⋅ B ⋅ A ⋅ cos ωt = u$0 ⋅ cos ωt dt nicht konstant, sondern eine Wechselspannung. Für ihren Scheitelwert gilt: $ u$0 = ω ⋅ N ⋅ B ⋅ A = ω ⋅ N ⋅ Φ Bei Wechselstromgeneratoren wird die erzeugte Spannung unmittelbar entnommen. Auch bei Gleichstrommaschinen wird bei der Drehung des Ankers in der Spule zunächst eine Wechselspannung erzeugt; mit Hilfe des Kommutators (Stromwender) wird die Wechselspannung in eine "Gleichspannung" umgerichtet. Die Verläufe für den Fluss Φ(t) und die Spannung u0 sind in der Abb.3.1.3 dargestellt. Bei sinusförmigem Flussverlauf erhält man einen cosinusförmigen Spannungsverlauf. Der Fluss Φ(t) und die Spannung u0 zeigen zu verschiedenen Zeiten t ihre Scheitelwerte und Nulldurchgänge. Man sagt, diese beiden Größen haben eine unterschiedliche Phasenlage; sie sind gegeneinander phasenverschoben. Für die Wechselspannung gilt: u0 = u$0 ⋅ cos(ωt ) = u$0 ⋅ sin( ωt + π2 ) Allgemein wird eine sinusförmige Wechselgröße folgendermaßen angegeben: x = x$ ⋅ sin( ωt + ϕ ) Φ(t) u0 π/2 π 3π/2 2π ωt Abb.3.1.3: Erzeugung einer Wechselspannung Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 8/46 - Diese Funktion besitzt zum Zeitpunkt t = 0 den Wert x ( t = 0) = x$ ⋅ sin ϕ und geht um den Nullphasenwinkel ϕ früher als die Sinusfunktion sin(ωt) durch Null. Es ist dabei auf das Vorzeichen des Winkels zu achten. In der Abb.3.1.4 ist z.B. der Nullphasenwinkel der Spannung ϕu = 60° und der des Flusses ϕΦ = -30°. Der Phasenwinkel ist eine gerichtete Größe, die positive und negative Werte annehmen kann und daher mit einem Zählpfeil gekennzeichnet werden muss. Er wird positiv angegeben, wenn seine Pfeilspitze in die positive Winkel-Zählrichtung weist, d.h. man muss den Zählpfeil vom positiven Nulldurchgang aus zur Ordinatenachse richten. Φ(t) T u0 ωt ϕu ϕΦ ϕuΦ =ϕu -ϕΦ ϕΦu=ϕΦ -ϕu Abb.3.1.4: Nullphasenwinkel und Phasenverschiebung Die Phasenverschiebung zwischen zwei Sinusfunktionen f1(t) und f2(t) mit den Phasenwinkeln ϕ1 und ϕ2 wird ebenfalls mit einem Zählpfeil gekennzeichnet. Dabei muss stets angegeben werden, welche der beiden Größen als Bezugsgröße gelten soll. In der Abbildung gilt: Die Spannung u0 eilt gegenüber dem Fluss Φ(t) um den Phasenwinkel ϕuΦ = ϕu - ϕΦ = 60° - (-30°) = 90° = π/2 vor (Richtungspfeil ϕuΦ weist von u0 nach Φ(t)); u0 geht um π/2 früher durch Null als Φ(t). Eine Sinusschwingung wiederholt sich nach Ablauf des Winkels 2π = 360° = ωT. Mit der Kreisfrequenz (Winkelgeschwindigkeit) ω gilt für die Periodendauer: T = 2π / ω Der Kehrwert der Periodendauer heißt Frequenz f: f = 1 / T Einheit: [f] = 1 / s = Hz = Hertz Wichtige Frequenzen bzw. Frequenzbereiche sind z.B. 50/3 Hz = 16 2/3 Hz für Fernbahnen, 50Hz für elektrische Energieversorgungsnetze (60Hz in USA), ferner 0,3kHz bis 3,4kHz pro Sprachkanal in der Fernsprechtechnik, 16Hz bis 20kHz in der Elektroakustik, 100kHz bis 10GHz in der Nachrichtentechnik. Die Kreisfrequenz ω = 2π f = 2π / T unterscheidet sich nur durch den Faktor 2π von der Frequenz f und besitzt die Einheit [ω] = 1 / s (nicht Hz!). Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 9/46 - Beispiel: ˆ ⋅ sin(ωt − π ) . In einer Spule mit N = 30 ändert sich der Fluss nach der Funktion Φ(t ) = Φ 2 $ Es gilt: Φ = 0, 7Vs und f = 50 Hz. Es sind die Periodendauer T und die Zeitfunktion u0 der induzierten Quellenspannung zu bestimmen. T = 1 / f = 1 / 50 Hz = 0,02 s = 20 ms Mit der Kreisfrequenz ω = 2π f = 314 s −1 erhält man: u0 = N ⋅ dΦ (t ) ˆ ⋅ ω ⋅ cos(ωt − π ) = 6,6kV ⋅ sin(314 s −1 ⋅ t ) = N ⋅Φ 2 dt Beispiel: Eine Spule (z.B. Rahmenantenne) hat die Fläche A = 900cm2 und die Windungszahl N=50. Sie wird von einer elektromagnetischen Welle mit dem Scheitelwert der magnetischen Feldstärke H$ = 0,1µA / cm und der Frequenz f = 5 MHz senkrecht und homogen durchsetzt. Wie groß ist der Scheitelwert u$0 der in dieser Antenne induzierten Spannung? Mit der Permeabilität der Luft µ 0 = 1, 256 ⋅ 10 −8 H / cm ergibt sich der Scheitelwert der Induktion: B$ = µ 0 ⋅ H$ = 12, 56 ⋅ 10−12 T Die Feldgrößen von elektromagnetischen Wellen sind verglichen mit den entsprechenden Größen elektrischer Maschinen extrem klein! Der Scheitelwert des Flusses ergibt sich nach: $ = B$ ⋅ A = 1, 13 ⋅ 10 −12 Vs Φ Daher wird mit der Kreisfrequenz ω = 2 π ⋅ f = 31, 4 ⋅ 106 s −1 der Scheitelwert der induzierten Spannung: $ = 1, 77mV u$0 = N ⋅ ω ⋅ Φ Diese Spannung kann in Empfängern der Nachrichtentechnik nach entsprechender Verstärkung ausgenutzt werden. Bei UKW-Antennen tritt nur eine Spannung von wenigen µV auf. Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 10/46 - Da eine Wechselgröße ihren Zeitwert fortlaufend zwischen Null und positivem bzw. negativem Scheitelwert ändert, und die Angabe der Zeitfunktion i.a. kompliziert ist, möchte man die Zeitfunktion durch einen einzigen kennzeichnenden Wert beschreiben. Man könnte z.B. den Scheitelwert der Spannung benutzen, der die größte elektrische Feldstärke und somit elektrische Beanspruchung bestimmt. Der Scheitelwert des Stromes bestimmt ebenfalls die mechanische Beanspruchung, da die magnetischen Kräfte auf stromdurchflossene Leiter linear (Leiter im Magnetfeld) oder quadratisch (Kraft zwischen zwei Leitern) vom Strom abhängt. Bei nichtsinusförmigen Verläufen sagt der Scheitelwert nichts über den Verlauf der Funktion aus. Da der Verlauf aber allein maßgebend ist für die summarischen Wirkungen, z.B. der Energie (Erwärmung), werden Kenngrößen definiert, die die mittleren Wirkungen unabhängig von der Kurvenform wiedergeben. Man unterscheidet allg. für zeitabhängige periodische (auch nichtsinusförmige) Wechselgrößen folgende Kenngrößen (gelten entsprechend für Spannungen). 3.2 Linearer Mittelwert (Arithmetischer Mittelwert) T 1 i = ⋅ ∫ i ⋅ dt T 0 Bei einem reinen Wechselstrom, z.B. i = iˆ ⋅ sin(ωt ) , ergibt die Integration über eine Periode T den Wert Null, da die Flächen der positiven und negativen Halbschwingung gleich groß sind. Der lineare Mittelwert ist für Gleich- und Mischgrößen von Null verschieden. Beispiel: T 1 ˆ iˆ i = ⋅ ∫ i ⋅ sin(ωt ) ⋅ dt = T 0 T 3.3 t =T iˆ 1 ⋅ − ⋅ cos(ωt ) = − ⋅ [cos(ωT ) − cos(0)] = 0 T ⋅ω ω t =0 Gleichrichtwert (Gleichrichtmittelwert) T i = 1 ⋅ i ⋅ dt T ∫0 Einen einseitig gerichteten Ladungstransport erhält man, wenn der Wechselstrom z.B. mit Dioden (Ventilen) gleichgerichtet wird. Weisen z.B. bei einem sinusförmigen Strom beide Halbschwingungen dieselbe Stromrichtung auf (Zweiweg-Gleichrichtung), so wird der Mittelwert über den Betrag des Stromes |i| Gleichrichtwert genannt. Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 11/46 - Beispiel: Gleichrichter-Brückenschaltung In Gleichrichter-Schaltungen ist die Ladungsmenge Q vom Gleichrichtwert des Stromes abhängig. Aufgabe: Bestimmen Sie für einen sinusförmigen Wechselstrom das Verhältnis von Gleichricht- zu Scheitelwert. i 2 Ergebnis: = ≈ 0,637 iˆ π Beispiel: Ein Wechselstrom mit dem Scheitelwert î = 10A fließt durch die Gleichrichter-Brückenschaltung. Welche Ladungsmenge Q wird während der Zeit t = 2h befördert? Es gilt: i = 0,637 ⋅ iˆ = 6,37 A Q = i ⋅ t = 6,37 A ⋅ 2h = 12,74 Ah 3.4 Effektivwert (Quadratischer Mittelwert) T 1 I= ⋅ ∫ i 2 ⋅ dt T 0 Für die meisten Wirkungen des elektrischen Stroms ist die zu dem Verbraucher übertragene elektrische Energie W = U·I·t und daher die Leistung P = U·I = I·R·I maßgebend. Somit ist die Wärmewirkung dem Quadrat des Stroms proportional. Der Effektivwert eines Wechselstroms verursacht die gleiche Wärmewirkung in einem ohmschen Verbraucher wie ein Gleichstrom gleichen Betrags. Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 12/46 - Abb.3.4.1: Effektivwert Aufgabe: Berechnen Sie den Effektivwert eines sinusförmigen Stroms. Ergebnis: I= iˆ 2 ≈ 0,707 ⋅ iˆ Das Ergebnis gilt allg. für sinusförmige Wechselgrößen. 3.5 Scheitelfaktor FS = iˆ I Als Scheitelfaktor bezeichnet man das Verhältnis von Scheitelwert zu Effektivwert. Für sinusförmige Größen gilt: FS = 2 ≈ 1,414 3.6 Formfaktor FF = I i Als Formfaktor bezeichnet man das Verhältnis von Effektivwert zu Gleichrichtwert. Er wird u.a. zur Beurteilung der Kurvenform bei nichtsinusförmigen Wechselgrößen herangezogen. Für sinusförmige Größen gilt: Elektrotechnik II FF = π 2⋅ 2 BME ≈ 1,11 Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 13/46 - 4 4.1 Wechselstromtechnik Komplexe Rechnung In der komplexen Ebene werde ein Zeiger r als komplexe Zahl in Komponentenform eingetragen: r=a+jb Dies entspricht der Angabe von rechtwinkligen (kartesischen) Koordinaten a und b. Die positive reelle Achse wird nach rechts und die positive imaginäre Achse nach oben gezeichnet. In der Elektrotechnik wird die imaginäre Einheit mit dem Operator j = − 1 belegt. Die Komponentenform stellt die komplexe Summe von Realteil a = Re(r) und Imaginärteil b = Im(r) dar, wobei die Komponenten a und b jeweils positive und negative Zahlenwerte annehmen können. Komplexe Zahl Die Differenz r* = a – j b wird als konjugiert komplex bezeichnet. Die Unterstreichung des Formelzeichens wird zur Kennzeichnung einer komplexen Größe beibehalten. Neben den Komponenten a und b ist eine komplexe Zahl durch ihren Betrag r = |r| und ihren Winkel α bestimmt. Dies entspricht der Angabe von Polarkoordinaten. Für die polare Form r = a + j b = r cosα + j r sinα = r (cosα + j sinα) Betrag: r = r = a2 + b2 Winkel: α = arctan folgt: b a Mit der Euler-Gleichung e jα = cos α + j ⋅ sin α folgt die Exponentialform: r = r ⋅ e j⋅α = r∠α Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 14/46 * Der konjugiert komplexe Zeiger r = r ⋅ e j⋅α * = r∠α * hat auch den Betrag r, jedoch beim Phasenwinkel α* = - α das entgegen gesetzte Vorzeichen. Der Winkelfaktor ∠α für häufig vorkommende Winkel: α =0 e j ⋅0 = 1 α = +π 2 e α = −π 2 + j ⋅ π2 π e α = ±π e = j − j⋅ 2 =−j ± j ⋅π = −1 Der Vorsatz + j bedeutet eine Drehung um + π/2 = + 90°, der Vorsatz – j die Drehung um - π/2 = - 90° und das Minuszeichen eine Drehung um ± π = ± 180°. Für die Addition und Subtraktion von Zeigern benutzt man die Komponentenform und bei den übrigen Rechenoperationen vorzugsweise die Exponentialform. Es gilt für: r1 = a1 + j b1 und r2 = a2 + j b2 Addition: r1 + r2 = (a1 + j b1) + (a2 + j b2) = (a1 + a2) + j (b1 + b2) Subtraktion: r1 - r2 = (a1 + j b1) - (a2 + j b2) = (a1 - a2) + j (b1 - b2) Es gilt für: r 1 = r1 ⋅ e jα 1 = r1 ⋅ ∠α 1 Multiplikation: r 1 ⋅ r 2 = r1 ⋅ e jα 1 ⋅ r2 e jα 2 = r1 ⋅ r2 ⋅ e j (α 1+α 2) = r1 ⋅ r2 ⋅ ∠(α 1 + α 2 ) Division: r 1 r1 ⋅ e jα 1 r1 j (α 1−α 2) r1 = = ⋅e = ⋅ ∠(α 1 − α 2 ) r2 r2 r2 r2 e jα 2 und r 2 = r2 ⋅ e jα 2 = r2 ⋅ ∠α 2 Da das Produkt einer komplexen Zahl r3 = (c + j d) mit ihrem konjugiert komplexen Wert * r3* = (c – j d) stets eine reelle Zahl ergibt: r 3 ⋅ r 3 = (c + jd ) ⋅ (c − jd ) = (c 2 + d 2 ) , kann man den Nenner eines Bruches durch Erweitern mit dem konjugiert komplexen Wert zu einer reellen Zahl ergänzen. Anwendung bei der Division in Komponentenform: r= a + jb (a + jb ) ⋅ (c − jd ) (ac + bd ) + j (bc − ad ) = = = e+ j⋅ f c + jd (c + jd ) ⋅ (c − jd ) c2 + d 2 mit ac + bd c2 + d 2 bc − ad f = 2 c +d2 e= Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 15/46 - Es gilt für: r = r ⋅ e jα = r ⋅ ∠α n-te Potenz: r = r ⋅ e jα n-te Wurzel: n Beachte: n ( r = n r ⋅e ) n j αn = r n ⋅ e jnα = r n ⋅ ∠n ⋅ α = n r ⋅ ∠(αn ) Es gibt nur eine Potenz aber n verschiedene Wurzeln! Es gilt für: r = r ⋅ e jα = r ⋅ ∠α Differentiation: d r d r ⋅ e jα = = r ⋅ j ⋅ e jα = j ⋅ r = r ⋅ ∠(α + π2 ) dα dα Integration: ∫ r ⋅ dα = ∫ r ⋅ e ( ) jα ⋅ dα = r ⋅ 1j ⋅ e jα = 1j ⋅ r = − j ⋅ r = r ⋅ ∠(α − π2 ) Beachte: Differentiation entspricht einer Multiplikation des Zeigers mit j bzw. einer Drehung um + π/2 Integration entspricht einer Multiplikation des Zeigers mit - j bzw. einer Drehung um - π/2 Aufgabe: r1 = 6 + j 8 und r2 = 10 – j 15 Berechnen Sie: Reziprokwerte, Summe, Differenzen, Produkt, Quotienten, Quadratwurzel jeweils in Komponenten- und Exponentialform Ergebnisse: Elektrotechnik II 1/r1 = 0,0602 – j 0,0799 1/r2 = 0,0307 + j 0,0461 r1 + r2 = 16 – j 7 r1 – r2 = - 4 + j 23 r2 – r1 = 4 – j 23 r1 ⋅ r2 = 180 – j 10,4 r1/r2 = - 0,183 + j 0,522 r2/r1 = - 0,597 – j 1,700 √r1 = ± 3,17 ∠26,5° √r2 = ± 4,25 ∠-28,15° BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 16/46 - 4.2 Zeigerdarstellung harmonischer Größen Der Zeitverlauf einer harmonischen Größe kann durch die Gleichung (1) beschrieben werden. u (t ) = uˆ ⋅ cos(ω ⋅ t + ϕ u ) (1) Bei der Berechnung elektrischer Schaltungen führt diese trigonometrische Darstellung zu sehr aufwendigen Rechnungen. Eine einfache Methode der Berechnung elektrischer Schaltungen ergibt sich, wenn die harmonischen Größen durch komplexe Zahlen dargestellt werden. Voraussetzung dafür ist, dass die eingeprägten Spannungen und Ströme harmonische Größen einer Frequenz sind und dass das Netzwerk nur aus ohmschen Widerständen, idealen Spulen und idealen Kondensatoren besteht und sich im stationären Zustand befindet. 1 ⋅ e jϕ + e − jϕ 2 1 sin ϕ = ⋅ e jϕ − e − jϕ 2j ( cos ϕ = Bekanntlich gilt: ) ( (2) ) Damit lässt sich die Zeitabhängigkeit in der Gleichung (1) auch schreiben: u (t ) = uˆ ⋅ 2 [e j (ωt +ϕ u ) ] = U2 ⋅ [e − j (ωt +ϕ u ) +e j (ωt +ϕ u ) − j (ωt +ϕ u ) +e ] (3) Der Ausdruck U ⋅ e j (ωt +ϕ u ) enthält einen zeitabhängigen und einen zeitunabhängigen Teil. Für den zeitunabhängigen Teil soll ein Zeiger eingeführt werden: U = U ⋅ e jϕ u (4) * Der Ausdruck U = U ⋅ e − jϕ u stellt den konjugiert komplexen Zeiger von U dar. Damit lässt sich die harmonische Spannung der Gleichung (3) wie folgt darstellen: u (t ) = Die Größe 1 2 ( ⋅ U ⋅e jωt * − j ωt +U ⋅e ) = 12 ⋅ ( 2 ⋅U ⋅ e j ωt * + 2 ⋅U ⋅ e − jωt ) (5) 2 ⋅ U lässt sich durch einen ruhenden Zeiger in der komplexen Ebene darstellen: Ruhender Zeiger Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 17/46 - Der Ausdruck 2 ⋅ U ⋅ e jωt stellt einen in der komplexen Ebene mit der Winkelgeschwindigkeit ω rotierenden Zeiger dar. Die Beziehung (5) lässt sich in der komplexen Ebene für den Zeitpunkt t = 0 wie folgt skizzieren: Rotierende Zeiger Für t ≠ 0 stellen die Summanden in Gleichung (5) gegensinnig rotierende Zeiger dar, deren Summe immer ein reeller Wert – die physikalische Größe u(t) – ist. Allgemein lässt sich die Summe zweier konjugiert komplexer Zahlen schreiben: * A + A = 2 ⋅ Re( A) mit (6) Re(A): Realteil von A Mit der Zusammenfassung von (6) kann Gleichung (5) geschrieben werden: ( u (t ) = Re 2 ⋅ U ⋅ e jωt ) (7) Die Gleichung (7) stellt den Zusammenhang zwischen der physikalischen Größe u(t) und ihrer Abbildung in der komplexen Ebene 2 ⋅ U ⋅ e jωt dar. ( ) Bei vielen Problemen der Elektrotechnik (stationärer Zustand bei harmonischen Erregergrößen, lineare Elemente) interessiert der zeitliche Augenblickswert nicht in erster Linie. Es genügt meist, Aussagen über den Effektivwert der Größen und über die Winkelbeziehungen zwischen ihnen zu machen. Diese Aussagen sind allein in den Zeigern enthalten. Zeigerdiagramme können nur Vorgänge einer bestimmten Frequenz wiedergeben, bei denen die Phasenbeziehungen zueinander erhalten bleiben. Sie stellen eine Momentaufnahme dar. Da bei sinusförmigen Größen das Verhältnis vom Scheitelwert zum Effektivwert durch den konstanten Scheitelfaktor bestimmt wird, und man in der Praxis i. Allg. mit Effektivwerten arbeitet, wird die Länge des Zeigers häufig nach dem Effektivwert festgelegt. Sinusförmige Wechselgrößen werden addiert oder subtrahiert, indem man ihre Zeiger nach Betrag und Phase geometrisch addiert oder subtrahiert. Bei Phasengleichheit ist die geometrische Summe gleich der algebraischen. Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 18/46 - 4.3 Ortskurve Bei kontinuierlicher Änderung einzelner Wirk- bzw. Blindwiderstände oder der Frequenz beschreiben die Spitzen der Zeiger der Impedanz Z und des komplexen Stroms I (bei fester Spannung U) oder der komplexen Spannung U (bei festem Strom I) sog. Ortskurven. Widerstands- und Spannungsortskurven bei Reihenschaltung a) Konstanter Blindwiderstand X mit veränderbarem Wirkwiderstand a⋅R mit a = 0 ... ∞ Impedanz: Z = a⋅R + j X Ortskurve Z = f(a) verläuft parallel zur positiven reellen Achse b) Konstanter Wirkwiderstand R und konstante Induktivität L mit veränderbarer Kreisfrequenz ω Impedanz: Z = R + j ωL mit ω = 0 .. ∞ Ortskurve Z = f(ω) verläuft parallel zur positiven imaginären Achse Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 19/46 - c) R = konstant; C = konstant; ω = variabel Impedanz: Z = R + 1/j ωC mit ω = 0 .. ∞ Ortskurve Z = f(ω) verläuft parallel zur negativen imaginären Achse Aufgrund des „komplexen Ohmschen Gesetzes“ U = Z ⋅ I unterscheidet sich die SpannungsOrtskurve U = f(a) bzw. U = f(ω) nur um einen konstanten komplexen Faktor I von der zugehörigen Impedanz-Ortskurve Z = f(a) bzw. Z = f(ω). Strom-Ortskurven bei Reihenschaltung a) X = konstant; ω = konstant; a⋅R = variabel „Komplexes Ohmsches Gesetz“: I = U / (a⋅R + j X) Der Strom I verläuft für a = 0 ... ∞ auf einem Halbkreis durch den Koordinaten-Nullpunkt. Die Strom-Ortskurve I = f(a) stellt eine Inversion der Impedanz-Ortskurve Z = f(a) bzw. der Spannungs-Ortskurve U = f(a) dar. Für Ortskurven gilt allgemein: Inversion einer Geraden parallel zu einer Halbachse ergibt einen Halbkreis durch den Nullpunkt mit dem Mittelpunkt auf einer Achse. Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 20/46 - b) R = konstant; C = konstant; ω = variabel U I= Es gilt: R + jω1C Aufgabe: Eine Reihenschaltung von R = 20 Ω und L = 0,5 H liegt an einer sinusförmigen Spannung mit U = 220 V. Es sollen die Ortskurven Z = f(ω) und I = f(ω) dargestellt werden. Lösungen: Z = f(ω) I = f(ω) Gerade parallel zur positiven imaginären Achse Halbkreis im 4.Quadranten Aufgabe: R = 1 kΩ C = 1 µF Zeichnen Sie die Ortskurve Ua/Ue. Stellen Sie das Verhältnis Ua/Ue im Bereich ω = 0 ... 10.000 1/s dar. Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 21/46 - Ortskurven bei Parallelschaltung a) Änderung der Belastung Y = a⋅G + j B I = U ⋅ Y = U⋅(a⋅G + j B) Ortskurve I = f(a) ist eine Gerade parallel zur positiven reellen Achse. b) Änderung der Kreisfrequenz i) Parallelschaltung von G und C Y = G + j ωC I = Y ⋅ U = G ⋅ U + j ωC ⋅ U Ortskurve I = f(ω) ist eine Gerade parallel zur positiven imaginären Achse. Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 22/46 - ii) Parallelschaltung von G und L Y = G + 1/jωL I = U ⋅ Y = U ⋅ G + U/jωL Ortskurve I = f(ω) ist eine Gerade parallel zur positiven imaginären Achse. Aufgabe: Parallelschaltung von G = 0,1 S und L = 0,5 mH mit U = 20 V. Bestimmen Sie I = f(ω). Lösung: Ortskurve parallel zur negativen imaginären Achse Aufgabe: Parallelschaltung von G = 0,1 S und L = 0,5 mH mit I = 2 A. Bestimmen Sie U = f(ω). Lösung: Elektrotechnik II Ortskurve Halbkreis im 1.Quadranten BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 23/46 - 4.4 • • • • Bodediagramm Frequenzgangdarstellung mit Ortskurve bei Netzwerken u. U. aufwendig und ungenau (nichtlineare Frequenzteilung) Ortskurven stellen aber als Frequenzgang Betrag und Phase in einem Diagramm dar Darstellung der Frequenzkennlinien getrennt für Betrag und Phase führt zum Bodediagramm Ersetzen der häufigen Multiplikation durch einfache Addition nach Transformation Beispiel: Hochpass-Filter Ua R jωCR jωτ = = = 1 U e R + jωC 1 + jωCR 1 + jωτ ω ⋅τ Betrag: Ua = Ue Phase: ϕ = arctan (1 + (ω ⋅ τ ) ) 2 mit τ = R⋅C : Zeitkonstante in s mit ω⋅τ : Normierte Kreisfrequenz 1 ω ⋅τ ω⋅τ = 0 : Ua/Ue = 0 ω⋅τ → ∞ : Ua/Ue → 1 ωgr⋅τ = 1 : Ua/Ue = 1/√2 ≈ 0,707 ωgr⋅τ : Normierte Grenz-Kreisfrequenz ω⋅τ = 0 : ϕ = 90° ω⋅τ → ∞ : ϕ → 0° ωgr⋅τ = 1 : ϕ = 45° ωgr⋅τ : Normierte Grenz-Kreisfrequenz Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 24/46 - 4.4.1 Übertragungsverhalten von Vierpolen Messung 1: U 12 P1 = Rv Messung 2: P2 = U 22 Rv Das Verhältnis der Leistungen beschreibt das Übertragungsverhalten (Verstärkung, Dämpfung) des Vierpols: P2 U 22 = P1 U 12 Man arbeitet meistens mit den Logarithmen der Quotienten und macht den Ansatz: P p = lg 2 P1 U 22 = lg 2 U1 U = 2 ⋅ lg 2 Bel U1 Übliche Einheit: 1 dB (dezi Bel) = 0,1 Bel Daraus folgt: P U p = 10 ⋅ lg 2 dB = 20 ⋅ lg 2 dB P1 U1 Leistungsverhältnis Spannungsverhältnis 20 dB 100 10 10 dB 10 ≈ 3,16 (dimensionslos) 3 dB 2 √2 ≈ 1,41 0 dB 1 1 Beispiel: Vierpolkette p = 20⋅lg(Ua3/Ue1) dB = 20⋅lg(V1⋅V2⋅V3) dB = 20⋅lg(V1) dB + 20⋅lg(V2) dB + 20⋅lg(V3) dB = (P1 + P2 + P3) dB Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 25/46 - 4.4.2 Komplexer Frequenzgang V= • Ua Ue Betragsfrequenzgang (Amplitudenfrequenzgang): V= Ua Ue U V = 20 ⋅ lg a Ue • dB Phasenwinkelfrequenzgang (Phasenfrequenzgang): U a Im U ϕ = arctan e Re U a U e Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 26/46 - Beispiel: Hochpass-Filter Betragsfrequenzgang: V = 20 ⋅ lg ω ⋅τ (1 + (ω ⋅ τ ) ) 2 dB ω⋅τ → 0 : V → - ∞ dB ω⋅τ → ∞ : V → 0 dB ωgr⋅τ = 1 : V = - 3 dB ω⋅τ << 1: V = 20⋅lg(ω⋅τ) dB → Steigung = 20 dB/Dekade ω⋅τ >> 1: V = 0 dB Darstellung der Asymptoten Phasenfrequenzgang: 1 ω ⋅τ ϕ = arctan ω⋅τ << 1 : ϕ = 90° ω⋅τ >> 1 : ϕ = 0° ωgr⋅τ = 1 : ϕ = 45° Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 27/46 - Beispiel: Tiefpass-Filter 1 U 1 1 jω C V= a = = = 1 Ue 1 + jωRC 1 + jωτ R+ jω C Betragsfrequenzgang: V = 20 ⋅ lg 1 (1 + (ω ⋅ τ ) ) 2 dB ωgr⋅τ = 1 → ωgr = 1/τ → fgr = 1/(2π⋅τ) fgr : Grenzfrequenz f << fgr: V = 0 dB f >> fgr: V = 20⋅lg(1/2πf⋅τ) dB = - 20⋅lg(2πf⋅τ) dB → Steigung = - 20 dB/Dek. f = fgr: V = - 3 dB Darstellung der Asymptoten Phasenfrequenzgang: ϕ = ϕ Z − ϕ N = 0° − arctan(ω ⋅ τ ) = − arctan (2πf ⋅ τ ) f << fgr : ϕ = 0° f >> fgr : ϕ = - 90° f = fgr : ϕ = - 45° Es werden anstelle von Grenzfrequenz (fgr) auch die Begriffe Knickfrequenz (fK) oder Eckfrequenz (fE) benutzt. Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 28/46 - 4.4.3 Frequenzgänge von Vierpolen V =k⋅ ( jωτ D1 ) ⋅ ( jωτ D 2 ) ⋅ ... ⋅ (1 + jωτ Z 1 ) ⋅ (1 + jωτ Z 2 ) ⋅ ... ( jωτ I 1 ) ⋅ ( jωτ I 2 ) ⋅ ... ⋅ (1 + jωτ N 1 ) ⋅ (1 + jωτ N 2 ) ⋅ ... Beträge: K =k VDi = ωτ Di VZi = 1 + (ωτ Zi ) 2 VIi = ωτ Ii V Ni = 1 + (ωτ Ni ) 2 Phasen: ϕ k = 0° ϕ Di = 90° ϕ Zi = arctan(ωτ Zi ) ϕ Ii = 90° ϕ Ni = arctan(ωτ Ni ) mit i = 1, 2, 3, ... V =K⋅ VD1 ⋅ e jϕD1 ⋅ ... ⋅ VZ 1 ⋅ e jϕZ 1 ⋅ ... V ⋅ ... ⋅ VZ 1 ⋅ ... j [(ϕD1+...+ϕZ 1+...)−(ϕI 1+...+ϕN 1...)] = K ⋅ D1 ⋅e jϕI 1 jϕN 1 VI 1 ⋅ ... ⋅ V N 1 ⋅ ... VI 1 ⋅ e ⋅ ... ⋅ V N 1 ⋅ e ⋅ ... Daraus folgt für den Betragsfrequenzgang: V = 20⋅lg (K) + (20⋅lg VD1 + ... + 20⋅lg VZ1 + ...) – (20⋅lg VI1 + ... + 20⋅lg VN1 + ...) Daraus folgt für den Phasenfrequenzgang: ϕ = (ϕD1 + ... + ϕZ1 + ...) – (ϕI1 + ... + ϕN1 + ...) Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 29/46 - 4.4.4 Grundglieder V=k V = j ωτ V = 1 / j ωτ V = 1 + j ωτ V = 1 / (1 + j ωτ) Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 30/46 - Die Vierpol-Frequenzgänge lassen sich aus den folgenden fünf Grundgliedern entwickeln. Aus der Multiplikation wird durch die logarithmische Darstellung (Bodediagramm) eine Addition. V = V⋅∠ϕ = V1⋅∠ϕ1 ⋅ V2⋅∠ϕ2 = (V1 ⋅ V2)⋅∠(ϕ1+ϕ2) Es gilt: Die komplexe Multiplikation erfordert eine Multiplikation der Beträge und eine Addition der Phasenwinkel. Die Multiplikation wird auf eine niedrigere Rechenoperation (Addition) zurückgeführt, indem man die Größen logarithmiert (allg. transformiert). Die Beträge werden nach V = 20⋅lg(V) dB (für Spannungs-/Stromverhältnisse!) logarithmiert; die Phasenwinkel werden addiert, so dass ein linearer Maßstab beizubehalten ist. Um große Frequenzbereiche betrachten zu können, empfiehlt es sich, auch die Frequenz logarithmisch darzustellen, z.B. auf Logarithmenpapier. Die Zehnerpotenzen (Dekaden) haben dann einen konstanten Abstand. Beispiel: R1 = 9 kΩ R2 = 1 kΩ C = 17,684 nF V= Ua R2 = R1 ⋅ jω1C Ue R1 + V =k⋅ k= 1 jωC = + R2 ( R2 ⋅ R1 + R1 ⋅ 1 j ωC ( 1 jωC ) + R2 ⋅ R1 + 1 j ωC ) = R2 ⋅ (1 + jωCR1 ) R2 = ⋅ R1 + R2 + jωCR1 R2 R1 + R2 1 + jωCR1 R ⋅R 1 + jω C ⋅ 1 2 R1 + R2 1 + jωτ 1 1 + jωτ 2 R2 = 0,1 = −20dB R1 + R2 τ 1 = CR1 = 159,156 ⋅ 10 −6 s τ 2 = ωC ⋅ R1 ⋅ R2 = 15,9156 ⋅ 10 −6 s R1 + R2 ωτ 1 = 1 → f E1 = ωτ 2 = 1 → f E 2 = Elektrotechnik II 1 2πτ 1 = 10 3 Hz 1 2πτ 21 = 10 4 Hz BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 31/46 - Aufgabe: R1 = 9 MΩ C1 = 1 pF ... 3 pF R2 = 1 MΩ C2 = 18 pF a) b) c) d) Berechnen Sie allg. den komplexen Frequenzgang V. Zeichnen Sie den Betrags- und Phasenfrequenzgang für C1 = 1 pF und C1 = 3 pF. Für welchen Wert von C1 sind Betrags- und Phasenfrequenzgang frequenzunabhängig? Warum sollte man bei Messungen mit dem Oszilloskop einen Tastkopf verwenden? Lösung: Elektrotechnik II V= Ua R2 = ⋅ U e R1 + R2 1 + jωC1 R1 R ⋅R 1 + jω (C1 + C 2 ) 1 2 R1 + R2 BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 32/46 - 5 Leistungsmessung Bezüglich der Definition der Leistungskenngrößen wird auf die DIN 40110 verwiesen. Schwerpunktmäßig werden die Benennungen bei sinusförmiger Spannung und nichtsinusförmigem Strom behandelt. 5.1 5.1.1 Theoretische Grundlagen der Leistungsmessung Zusammenfassung wichtiger Kenngrößen Augenblicksleistung: p(t) = u(t) ⋅ i(t) Wirkleistung: P= 1 ⋅ T t +T ∫ p(t ) ⋅ dt t Scheinleistung: S=U⋅I Blindleistung: Q = S 2 − P2 Leistungsfaktor: λ= 5.1.2 P S Sinusförmige Verläufe von Spannung und Strom Es gelte: u (t ) = uˆ ⋅ sin(ω ⋅ t ) Wirkleistung: P= Mit P= und T T 1 uˆ ⋅ iˆ ⋅ ∫ u (t ) ⋅ i (t ) ⋅ dt = ⋅ ∫ sin(ω ⋅ t ) ⋅ sin(ω ⋅ t + ϕ ) ⋅ dt T 0 T 0 sin(α)⋅sin(β) = 0,5⋅[cos(α-β) - cos(α+β)] S=U⋅I Blindleistung: Q = S 2 − P2 = Leistungsfaktor: Elektrotechnik II λ= ergibt sich: T uˆ ⋅ iˆ uˆ ⋅ iˆ ⋅ ∫ cos(ϕ ) − cos(2 ⋅ ω ⋅ t + ϕ ) ⋅ dt = ⋅ cos(ϕ ) = U ⋅ I ⋅ cos(ϕ ) 2 ⋅T 0 2 Scheinleistung: Mit i (t ) = iˆ ⋅ sin(ω ⋅ t + ϕ ) (U ⋅ I )2 − (U ⋅ I )2 ⋅ cos 2 (ϕ ) = U ⋅ I ⋅ sin(ϕ ) sin 2 ( x) + cos 2 ( x) = 1 P = cos(ϕ ) S BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 33/46 - 5.1.3 Sinusförmiger Spannung- und nichtsinusförmige Stromverlauf Es wird vorausgesetzt, dass der Strom periodisch (gleiche Periodendauer wie die Spannung) ist und daher nach einer Fourier-Reihenentwicklung durch eine Summe von Sinusschwingungen dargestellt werden kann. Dieser Fall ist für die Praxis wesentlich, da häufig von näherungsweise sinusförmiger Netzspannung ausgegangen werden kann. Die Ströme sind üblicherweise nichtsinusförmig und periodisch. u (t ) = uˆ ⋅ sin(ω ⋅ t ) Es gelte: ∞ i (t ) = I 0 + ∑ iˆn ⋅ sin(n ⋅ ω ⋅ t + ϕ n ) und n =1 Um die Leistungen ausrechnen zu können, muss zunächst die Orthogonalitätsbeziehung behandelt werden. Es gilt für m, n ∈ N: = 0 für m ≠ n sin( m ⋅ ⋅ t ) ⋅ sin( n ⋅ ⋅ t + ) ⋅ dt ω ω ϕ n ∫0 ≠ 0 für m = n T Unter Beachtung der Orthogonalitätsbeziehung ergibt sich nach der Definitionsgleichung für die Wirkleistung: T [ ] 1 P = ⋅ ∫ u ⋅ sin(ω ⋅ t ) ⋅ I 0 + iˆ1 ⋅ sin(1 ⋅ ω ⋅ t + ϕ1 ) + iˆ2 ⋅ sin(2 ⋅ ω ⋅ t + ϕ 2 ) + ... ⋅ dt = U ⋅ I 1 ⋅ cos(ϕ1 ) T 0 Die Scheinleistung ergibt sich zu: ∞ S = U ⋅ I = U ⋅ I 02 + ∑ I n2 n =1 Die Blindleistung Q = S 2 − P 2 ist eine reine Rechengröße. Sie wird üblicherweise von digitalen Leistungsmessgeräten errechnet. Analog arbeitende Leistungsmesser zeigen aufgrund ihrer Bauart nur die Grundschwingungsblindleistung Q1 an: Q1 = U ⋅ I1 ⋅ sin(ϕ1) Zwischen Blindleistung und Grundschwingungsblindleistung besteht folgender Zusammenhang: ( ) Q = S 2 − P 2 = U 2 ⋅ I 02 + I 12 + I 22 + I 32 + ... − U 2 ⋅ I 12 ⋅ cos 2 (ϕ1 ) ( ) ( ) Q = U 2 ⋅ I 12 1 − cos 2 (ϕ1 ) + U 2 ⋅ I 02 + I 22 + I 32 + ... = Q12 + D 2 D wird als Verzerrungs(blind)leistung bezeichnet und durch die Oberschwingungen (und evtl. dem Gleichanteil) des Stromes erzeugt. Sie ist nicht von den Phasenlagen der Stromoberschwingungen abhängig. Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 34/46 - Für den Leistungsfaktor ergibt sich: λ= P U ⋅ I 1 ⋅ cos(ϕ1 ) I 1 = = ⋅ cos(ϕ1 ) S U ⋅I I Aufgabe: Der Widerstand R der Schaltung beträgt 20Ω und die sinusförmige Spannung u(t) hat einen Effektivwert von 100V. a) Bestimmen Sie den Strom i(t) durch den Widerstand R sowie sämtliche Leistungen bei geschlossenem Schalter S. b) Bestimmen Sie den Strom I durch den Widerstand R sowie die Leistungen (P, S, Q, D) des Transformators bei geöffnetem Schalter S (ideale Dioden). Aufgabe: Eine Glühlampe (Nennleistung P=100W) wird über einen Dimmer betrieben. Die Netzspannung UN(t) (U=230V) kann als sinusförmig vorausgesetzt werden. Der Dimmer ist als verlustfreier Schalter zu betrachten, mit dem die Spannung UG(t) an der Glühlampe über den Anschnittwinkel ϑ gesteuert werden kann. a) Berechnen Sie den Effektivwert Iϑ des Stromes i(t) als Funktion des Anschnittwinkels ϑ b) Für den Fall ϑ = 90° (=π/2) ist der Effektivwert I90 des Stromes zu berechnen c) Ermitteln Sie Schein-, Wirk- und Blindleistung der Quelle (Netz) für ϑ = 90° Aufgabe: Zeigen Sie, dass bei sinusförmiger Spannung und bei nichtsinusförmigem Strom (ohne Gleichanteil) die Blindleistung mit folgender Gleichung ausgedrückt werden kann: Q= Elektrotechnik II (U ⋅ I1 ⋅ sin(ϕ1 ) )2 + U 2 ⋅ (I12 + I 22 + I 32 + ...) = (U ⋅ I1 ⋅ sin(ϕ1 ) )2 + D 2 BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 35/46 - 5.2 5.2.1 Messgeräte Time Division Multiplikator (TDM) TDM ist ein elektronisches Leistungsmessverfahren. Blockschaltbild TDM Rv = Verbraucherwiderstand Komp. = Komparator Inv. = Inverter Ri = Strommesswiderstand Gs = Sägezahngenerator TP = Mittelwertbildner Die Funktionsweise lässt sich anhand des folgenden Bildes veranschaulichen. Es werden eine Gleichspannung U, ein Gleichstrom I und ein ohmscher Verbraucher Rv angenommen. Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 36/46 - Die Sägezahnspannung Us mit der Periodendauer T wird mit der zum Strom I proportionalen Spannung Ui verglichen. Daraus ergeben sich die Zeiten T1 bzw. T2 = (T – T1). Der Mittelwert der Spannung UM ist dann der Wirkleistung proportional. Es gilt: Ui T1 − T2 = T U S max Der Mittelwertbildner ergibt: UM t1 t2 1 1 = ⋅ ∫ U V ⋅ dt + ∫ − U V ⋅ dt = ⋅ [U V ⋅ T1 − U V ⋅ T2 ] T t 0 t1 T UM = Ui Ri T1 − T2 ⋅UV = ⋅UV = ⋅ PV = K ⋅ PV T U S max U S max Bei Wechselgrößen u(t) und i(t) muss die Frequenz f = 1/T wesentlich größer sein als die höchsten Frequenzanteile der Eingangssignale, die richtig erfasst werden sollen, damit die Änderung der Änderung der Eingangssignale während einer Periode T vernachlässigbar klein bleibt. Zur Messung der Leistung bei der Netzfrequenz fN = 50 Hz wird beispielsweise mit f = 1/T = 5kHz ... 10kHz gearbeitet. Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 37/46 - 6 6.1 Digitalmultimeter (DMM) Auflösung Digitalmultimeter (DMM) werden heute für Spannungs-, Strom- und Widerstandsmessungen mit Auflösungen bis zu 8 ½ Stellen angeboten. Hierbei werden folgende Begriffe verwendet: Auflösung = Messbereich /Anzeigeumfang Hätte beispielsweise ein DMM einen Spannungsbereich von ±10V und 2000 unterscheidbare Stufen (Anzeigeumfang = 2000), so wäre die Auflösung (d.h. die Bedeutung der letzten Stelle) 20V / 2000 = 10mV. Jede Stelle, die nicht von 0 bis 9 variieren kann, wird üblicherweise als "halbe" Stelle bezeichnet. Beispiele für DMMs Anzeigeumfang 1 999 6 000 240 000 190 000 000 6.2 Stellenzahl 3½ 3½ 5½ 8½ Fehlerangaben Verschiedene Angaben sind gebräuchlich: Fehlergrenze = ± (Y% vom Endwert + N·Digits) Fehlergrenze = ± (X% vom Messwert + N·Digits) Fehlergrenze = ± (X% vom Messwert + Y% vom Endwert + N·Digits) Beispiel: Ein DMM hat eine Fehlergrenze im Spannungsmessbereich von ± (0,1% vom Messwert + 6·Digits). Der Anzeigeumfang ist 5000. Es wird die Spannung 4V im 5V-Bereich und im 50VBereich gemessen. Bestimmen Sie die jeweiligen Messfehler. Lösung: Die Auflösung beträgt im 5V-Bereich 5V/5000 = 1mV (= 1·Digit = Bedeutung der kleinsten Stelle) und im 50V-Bereich 50V/5000 = 10mV. Damit ergeben sich die Fehlergrenzen zu FG = ±(0,1 ⋅ 4V / 100 + 6 ⋅ 1 mV) = ±10 mV FG = ±(0,1 ⋅ 4V / 100 + 6 ⋅ 10 mV) = ±64 mV Man erkennt, dass die Angabe der Digits ihre Entsprechung bei der Klassenangabe bei analog anzeigenden Messgeräten hat. Auch bei DMMs muss der Bereich möglichst gut ausgenutzt werden, damit die Messunsicherheit möglichst klein bleibt. Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 38/46 - 6.3 Aufbau und Funktionsweise Blockschaltbild Verstärker/Teiler Meistens haben die DMMs im Spannungsmessbereich einen konstanten Eingangswiderstand von 10MΩ. Die Abbildung zeigt den Eingangsspannungsteiler eines DMMs. Der Eingangsstrom in den Verstärker kann vernachlässigt werden. Effektivwertformer Die Bildung des Effektivwertes erfolgt entsprechend der Definitionsgleichung für den Effektivwert T U= Elektrotechnik II 1 ⋅ ∫ u 2 (t ) ⋅ dt T 0 BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 39/46 - Beispiel: Gegeben sei die nachfolgende Schaltung zur Bestimmung des Effektivwertes. Leiten Sie den Zusammenhang zwischen Ua und ue(t) her. 6.4 Messschaltungen DMMs enthalten zur Widerstandsmessung eine Konstantstromquelle. Es wird bei bekanntem Strom der Spannungsabfall über dem Prüfobjekt ermittelt und daraus der Widerstandswert ermittelt. Zweidrahtmessung RL seien die unvermeidlichen Zuleitungswiderstände. Der Konstantstrom IG fließt sowohl durch das Prüfobjekt Rx als auch durch die Zuleitungswiderstände RL. Die Messspannung UM wird um den Spannungsabfall an den Zuleitungswiderständen zu groß gemessen. Es gilt UM = IG (Rx + 2 RL) Der Widerstand wird um 2 RL zu groß gemessen. Sind relativ kleine Widerstände (mΩ-Bereich) zu messen, so ist die Vierdrahtmethode vorzuziehen. Nicht alle DMMs verfügen über diese Möglichkeit. Vierdrahtmessung Der Konstantstrom IG fließt weiterhin durch Rx und 2 RL. Es ist UM = URx, da die „äußeren“ Spannungsanschlussleitungen stromlos sind und daher an ihnen keine Spannungen abfallen können. Es gilt UM = IG Rx Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 40/46 - 7 Oszilloskop 7.1 Analogoszilloskop Das Oszilloskop ist ein universelles „Spannungsmessgerät“ zur Analyse dynamischer Signale. Alle Oszilloskope sind in Aufbau und Bedienung vergleichbar. Einsatzmöglichkeiten des Oszilloskops: • • • • 7.2 Gleichspannungsmessung Wechselspannungsmessung, Zeit-, Phasenmessung, Darstellung von Einzelsignalen X-Y Darstellungen (Lissajous) Aufbau und Funktion des Oszilloskops Das Oszilloskop ist ein „Spannungsmessgerät“. Mit seiner Hilfe können Gleichspannungen und zeitabhängige Spannungssignale graphisch dargestellt und ausgewertet werden. Im Einzelnen bietet das Oszilloskop folgende Möglichkeiten: • • • • • bildliche Darstellung von Signalformen Spannungsmessung Zeitmessung Frequenzmessung Phasenmessung Die Darstellung und Auswertung der zu messenden Signale erfolgt auf einem Bildschirm von 10x8 Skalenteilen. Üblich ist die Darstellung des zeitlichen Spannungsverlaufes u(t), d. h. die Spannung u(t) wird vertikal (y - Achse) und die Zeit t horizontal (x - Achse) dargestellt. Das Standardoszilloskop kann zwei Signale u1(t) und u2(t) gleichzeitig abbilden. Dies erlaubt den direkten Vergleich zweier Signale bezüglich ihrer Signalform, Amplitude und Phasenlage. Selten kommt die Möglichkeit zum Einsatz, zwei Signale voneinander abhängig darzustellen. In diesem Fall, dem sog. XY-Betrieb ist u1 = f(u2). Die zu messende Signalform wird bildlich dargestellt. Störungsursachen, wie z.B. Überlagerungen von Störfrequenzen oder anderen Unregelmäßigkeiten des Signals, sind auf dem Bildschirm für das Auge des Betrachters unmittelbar erkennbar. Der Bildschirm des Analogoszilloskops besteht aus einer Mattscheibe, deren beschichtete Rückseite durch einen Elektronenstrahl zum Leuchten angeregt wird. Der Elektronenstrahl wird in der Braunschen Röhre erzeugt und durch zwei Paare von Ablenkplatten in X- und YRichtung ausgelenkt. Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 41/46 - 16 17 S A Y X W 10 Eingang 34 23 Eingang 4 Verstärker 2 27 30 Verstärker 1 24 Vereinfachtes Prinzipschema des Analogoszilloskops An eine Kathode, dem sog. Wehnelt-Zylinder (W), wird eine Gleichspannung von ca. 2000 V angelegt. Die Anode (A) und die Beschichtung des Leuchtschirmes (S) liegen auf Erdpotential. Es kommt zur Elektronenemission vom Wehnelt-Zylinder über die gelochte Anode zum Schirm. Beim Auftreffen des Elektronenstrahles auf die Beschichtung des Schirmes setzt sich die kinetische Energie der Elektronen in Licht und Wärme um, auf dem Schirm erscheint ein Lichtfleck. Die Intensität des Strahls und damit des Leuchtflecks ist von der Spannung am Wehnelt-Zylinder abhängig. Sie kann vom Bediener variiert werden [16]. Zur besseren Fokussierung des Strahles und damit zur Erzeugung eines möglichst scharfen Leuchtfleckes dient die elektrostatische Linse. Auch deren Spannung kann vom Bediener variiert werden, um eine scharfe Abbildung zu erhalten [17]. Vertikale Ablenkung (Y-Achse) des Elektronenstrahls Das zu messende Signal wird an eine Eingangsbuchse [23 oder 34] angeschlossen und über den zugehörigen Verstärker [24 oder 30] an die Y-Ablenkplatten angelegt. Im Bereich der Platten entsteht dadurch ein elektrostatisches Feld, das den Strahl vertikal auslenkt. Ohne weitere Maßnahmen würde eine darzustellende Wechselspannung als Punkt sichtbar, der sich auf und ab bewegt. Bei einer Frequenz über 30 Hz würde man eine senkrechte Linie sehen. Um den zeitlichen Verlauf der Spannung sehen zu können, muss der Elektronenstrahl zusätzlich (zeitabhängig) in x-Richtung bewegt werden. Dazu wird eine geeignete im Gerät erzeugte Sägezahnspannung [10] an die X-Ablenkplatten gelegt, die den Elektronenstrahl periodisch vom linken zum rechten Bildrand führt. Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 42/46 - Horizontale Ablenkung (X-Achse) des Elektronenstrahls Sägezahngenerator Üblicherweise soll eine Spannung als Funktion der Zeit dargestellt werden, d.h. der Leuchtfleck wird gleichförmig in x- Richtung abgelenkt. Diese Anforderung wird erfüllt, indem eine sägezahnförmige Spannung an die X-Ablenkplatten angelegt wird. Bei der Spannung -ÛS zu Beginn der Rampe befindet sich der Leuchtfleck am linken Rand des Bildschirms. Mit steigender Spannung bewegt er sich zum rechten Bildschirmrand, den er erreicht, wenn die Spannung des Sägezahnes gleich +ÛS ist. Mit dem folgenden sehr schnellen Spannungsabfall erreicht der Leuchtfleck wieder den Ausgangsort. Damit der zurückschnellende Lichtfleck die Darstellung nicht stört, wird der Elektronenstrahl während der Rücklaufzeit deaktiviert. Der Sägezahn allein liefert aber noch keine befriedigende Abbildung: Wenn die Frequenz der Sägezahnspannung nicht auf die Frequenz des Eingangssignals abgestimmt ist, wird bei jedem Durchlauf der Rampe ein anderer Abschnitt der Funktion dargestellt. Darstellung einer periodischen Funktion bei Betrieb des Sägezahngenerators ohne Triggerung Es ist also zu fordern, dass die Sägezahn-Funktion stets in demselben Punkt der darzustellenden Funktion beginnt. Nur dann werden die gleichen Abschnitte aufeinander abgebildet und es entsteht ein stehendes Bild des Eingangssignals. Um dies zu erreichen, wird der Sägezahngenerator durch den sog. Trigger gestartet. Triggerung Der Trigger hat die Aufgabe, den Durchlauf des Sägezahngenerators in dem Augenblick zu starten, in dem das Messsignal einen definierten Wert hat. Die erforderlichen Kriterien werden vom Benutzer eingestellt: 1. ein bestimmter Wert der Spannung des Messsignals (Triggerlevel) 2. die steigende oder fallenden Flanke des Messsignals Erfüllt die Spannung am Eingang des Oszilloskops beide Kriterien, dann startet der Trigger den Sägezahngenerator. Dies geschieht für den Bediener unsichtbar mittels eines Rechteckimpulses. Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 43/46 - UE Messsignal: Das darzustellende Signal wird über die Eingangsbuchse [23 oder 34] angeschlossen. Der gewünschte Triggerlevel UTr und die gewünschte Flanke (hier: steigende Flanke) werden eingestellt. Der hinterlegte Bereich der Kurve soll dargestellt werden. UTr UT Triggerausgang: Der Trigger erkennt die Werte des Eingangssignals, die die eingestellten Kriterien (hier: Triggerlevel Utr und Flanke steigend) erfüllen und gibt jeweils einen Rechteckimpuls an den Sägezahngenerator weiter. Sägezahngenerator: Der Sägezahn wird durch den Rechteckimpuls des Triggers ausgelöst. Er startet am Fußpunkt der Rampe, d. h. die Darstellung beginnt am linken Bildschirmrand. US Sägezahnspannung: hohe Ablenkgeschwindigkeit (steile Rampe) US Sägezahnspannung: geringe Ablenkgeschwindigkeit (flache Rampe) Darstellung eines Signals bei verschiedenen Ablenkgeschwindigkeiten. Liegt kein Signal am Oszilloskop an oder findet der Trigger nicht die gesuchten Parameter zum Start des Sägezahngenerators, dann bleibt der Bildschirm dunkel. (Beispiel: Es wird eine Gleichspannung von 1 V angelegt. Der eingestellte Triggerlevel ist 1,5 V. Da das Eingangssignal niemals den Triggerlevel erreicht, wird der Sägezahngenerator nicht gestartet.) Um dennoch eine Darstellung zu erhalten, gibt es eine Automatikfunktion des Triggers: In der Betriebsart „Auto“ wird der Triggerlevel automatisch eingestellt und der Sägezahngenerator gestartet, wenn der Trigger kein verwertbares Signal erkennt. Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 44/46 - Ankopplung des Messsignals Spannungen bestehen oft aus Gleich- und Wechselkomponenten. Das Oszilloskop bietet die Möglichkeit, einen evtl. störenden Gleichanteil aus der Darstellung herauszufiltern. Die Ankopplungsarten (Signal, Signal ohne Gleichanteil, kein Signal) kann durch Einstellung eines Schalters gewählt werden. Kopplungsschalter AC Messsignal DC Eingangsbuchse GND DC GND AC Ein Messsignal wird an den Eingang des Oszilloskops angelegt. Je nach Stellung des Ankopplungsschalters auf Position GND, DC, AC erhält man die entsprechende Abbildung auf dem Schirm. Die Betriebsart GND legt den Eingang des Oszilloskop auf Masse. Das Eingangssignal ist vom Gerät abgekoppelt. Auf diese Weise kann die Position der Nulllinie festgestellt werden. In der Betriebsart DC wird das Signal direkt an den Y-Verstärker angelegt. Es werden Gleichund Wechselspannungsanteile der Eingangsspannung auf dem Bildschirm dargestellt. In der Betriebsart AC wird das Signal mit einem Hochpass gefiltert. Es werden nur die Wechselspannungsanteile der Eingangsspannung sichtbar. Gleichspannungsanteile werden unterdrückt. Dies kann notwendig sein, wenn einer hohen Gleichspannung ein geringer Wechselanteil überlagert ist. Soll nur der Wechselanteil untersucht werden, würde bereits eine geringe Verstärkung dazu führen, dass das Signal nicht mehr auf den Bildschirm passt. Durch die Betriebsart AC wird der (uninteressante) Gleichspannungsanteil unterdrückt und es bleiben die Wechselanteile übrig. Diese oszillieren jetzt um die Nulllinie und können entsprechend verstärkt werden. Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 45/46 - 7.3 Tastkopf Beim Anschluss von Messsignalen an Oszilloskope werden meist passive Tastköpfe benutzt. Die Eingangskapazität des Oszilloskops hat eine, für hohe Signalfrequenzen nicht zu vernachlässigende, Eingangskapazität, die die Eingangsimpedanz verringert. Tastköpfe, mit denen auch der Eingangsspannungsbereich erweitert wird, werden als frequenzkompensierter Spannungsteiler realisiert, um eine frequenzunabhängige Spannungsteilung zu gewährleisten. Oszilloskop mit Tastkopf (10:1 Teiler) Für das Übertragungsverhältnis der komplexen Eingangsspannung U1 und der am Oszilloskop anliegenden Spannung U2 ergibt sich folgender Ausdruck 1 + jω R S C S U1 RP = 1+ ⋅ 1 + jωRP C comp U2 RS Hierbei soll in CS sowohl die Eingangskapazität des Oszilloskops als auch die Kapazität der Zuleitung enthalten sein. Für den Fall der Gleichheit der beiden Zeitkonstanten RS·CS = RP·Ccomp ist der Spannungsteiler frequenzunabhängig und es gilt U1 R = 1+ P U2 RS Nachstehendes Bild zeigt einen 10:1 Tastkopf, bei dem die Einstellung des Kondensators Ccomp durch Drehung erfolgen kann. Tastkopf Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck - 46/46 - Die Einstellung (Abgleich) erfolgt mit Hilfe eines im Oszilloskop eingebauten Rechteckgenerators. Der Tastkopf wird verstellt, bis ein optimales Übertragungsverhalten für das Rechtecksignal erreicht wird. Da das periodische Rechtecksignal aus sehr vielen Sinusschwingungen besteht, ist bei einem „guten“ Rechteckübertragungsverhalten von Frequenzunabhängigkeit der Spannungsteilung auszugehen. Elektrotechnik II BME Prof. Dr.-Ing. Th. Reck