Jahrbuch 2006/2007 | Fischer, Gunter | Regulation der Bew eglichkeit des Proteinrückgrates durch Biokatalysatoren Regulation der Beweglichkeit des Proteinrückgrates durch Biokatalysatoren Control of main chain dynamics of proteins by folding helper enzymes Fischer, Gunter Max-Planck-Forschungsstelle für Enzymologie der Proteinfaltung, Halle/Saale Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Faltungshelferenzyme sind Biokatalysatoren, deren physiologische Funktion darin besteht, neu gebildete Proteine zu strukturieren und vorhandene zu restrukturieren. Die mit diesen Prozessen verbundene Proteindynamik ist eine bisher ungenügend aufgeklärte Ebene physiologischer Prozesse. Die Arbeitsgruppe um Gunter Fischer hat neue Resultate zur Regulation der Konformationsdynamik erhalten, die aus Untersuchungen an Proteindisufidisomerasen und Peptidbindungs-cis/trans-Isomerasen resultieren. Summary The catalytic action of folding helper enzymes is critical in the de novo structure formation of polypeptide chains and structural rearrangements of already existing proteins. Improved know ledge of the mode of externally controlled protein dynamics is urgently required concerning physiological processes in the cell. Gunter Fischer and his team provide new results relevant to the control of main chain dynamics of proteins in a series of experiments using protein disulfide isomerases and peptide bond cis/trans isomerases. Die dreidimensionale Struktur eines Proteins ist keine in der zeitlichen Perspektive unveränderliche Größe, sondern unterliegt einer Dynamik, deren Zeitskala den Bereich von ganz schnellen bis hin zu sehr langsamen Bew egungen umfasst. Der Informationsfluss aus der Dynamik eines isolierten Proteins hinein in ein System miteinander reagierender Proteine oder anderer Makromoleküle in der Zelle stellt ein noch w eitgehend ungelöstes Problem der Biologie dar. Zentral für das Verständnis dieser komplexen Vorgänge auf molekularer Ebene ist die Frage, w ie die aktive Proteinkonformation innerhalb des Zeitbereiches gebildet w erden kann, den der jew eilige physiologische Prozess zu seinem Ablauf benötigt. Zur Aufklärung dieser Zusammenhänge, an denen Moleküle mit zehntausenden von chemischen Bindungen beteiligt sein können, benötigt man neue analytische Methoden. Diese sollen im Idealfall Informationen über konformative Prozesse an einzelnen chemischen Bindungen liefern. © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/3 Jahrbuch 2006/2007 | Fischer, Gunter | Regulation der Bew eglichkeit des Proteinrückgrates durch Biokatalysatoren Eine neue analytische Methode in der Proteinfaltung Die Max-Planck-Forscher in Halle untersuchen in ihren Laboratorien neue Wege, um diese chemisch subtilen, biologisch aber w ichtigen Veränderungen in Polypeptidstrukturen zu erkennen. Es gelang ihnen, eine neue kalorimetrische – auf der W ärmetönung von Faltungsreaktionen beruhende – Methode zu entw ickeln, die zeitabhängig Strukturänderungen in Polypeptidketten detektiert, die Prolinreste enthalten. Dieses Signal ist rauscharm (Abb. 1) und lässt sich auf die konformationelle Änderung an einer einzelnen Peptidbindung im Protein zurückführen. In Abbildung 1 w ird das Enzym Ribonuklease A als Beispiel gezeigt, dessen Faltungsprozess durch die Isomerisierung am Prolin 93 bestimmt w ird. Mit dieser Methode entdeckt man die Dynamik von langsamen Strukturänderungen auch dann, w enn die üblichen spektroskopischen Methoden versagen. An der RNase A w urde so erstmals nachgew iesen, dass die cis/trans-Isomerisierung einer Prolylbindung durch eine stark exotherme Komponente charakterisiert ist. Dies w eist darauf hin, dass die konformationelle Änderung an einer einzigen kovalenten Bindung im Polypeptid-Rückgrat zu neuen, bindenden Kontakten im Rest des Moleküls führen kann (Jörg Fanghänel, Dirk W ildemann, Stephan Waw ra, Christian Lücke). The rm ogra m m e , a ufge ze ichne t wä hre nd de r R ück fa ltung von de na turie rte r R Na se A be i 10°C m it ve rschie de ne n Endk onze ntra tione n, die von unte n na ch obe n die W e rte 290 (-··- ), 145 (--), 87 (-·-), 43,5 µM (···) be sitze n. Die durchge zoge ne Linie ste llt die Ba sislinie da r, die ohne R Na se A im Ansa tz e rha lte n wird. Die e inze lne n Kurve n ze ige n Ablä ufe im Ze itve rla uf de r R ück fa ltung die se s P rote ins, die m it a nde re n Me thode n nicht ode r nur schle cht be oba chtba r sind. © Ma x -P la nck -Forschungsste lle für Enzym ologie de r P rote infa ltung Ein lichtreguliertes immunsuppressives Medikament Die W issenschaftler in Halle haben außerdem ein Verfahren w eiterentw ickelt, mit dem photochemisch kontrolliert w ird, w ie T-Lymphozyten sich nach Stimulation durch ein immunogenes Signal vermehren. In diesen Zellen ist Calcineurin eine zentrale Schaltstelle für die Ausprägung der zellulären Immunantw ort: Seine W irkung kann durch das immunsuppressive Naturprodukt Cyclosporin A in Verbindung mit einem w eiteren zelleigenen Molekül, dem Cyclophilin 18, ausgeschaltet w erden. Cyclosporin A w ird als Medikament in der Transplantationsmedizin angew andt, um das Überleben des Fremdorgans im Organismus zu sichern. Die W issenschaftler in Halle haben nun neue Cyclosporinderivate hergestellt, die ein durch Licht schaltbares © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/3 Jahrbuch 2006/2007 | Fischer, Gunter | Regulation der Bew eglichkeit des Proteinrückgrates durch Biokatalysatoren Strukturelement in einem für die Calcineurin-Hemmung sensitiven Molekülteil besitzen. Die Verstärkung der photoschaltbaren W irkung gelang durch die Konstruktion eines zw eiten Reaktionszentrums im Cyclosporinmolekül. W ährend die einfache Anheftung des photoschaltbaren Molekülteils an Cyclosporin A zu keinem überzeugenden Photoeffekt auf die Inhibierung von Calcineurin führt, gelingt eine Verstärkung des Photoeffektes durch eine neue Strategie, die darauf beruht, dass ein w eiteres Protein in den inhibitorischen Komplex integriert w ird. Zu diesem Zw ecke w urde die chemische Bifunktionalität des Photoschalters ausgenutzt, um das Cyclosporin zusätzlich mit einem Biotinylrest zu versehen. Dieses Strukturelement kann mit hoher Affinität Streptavidin binden, sodass bei der Inhibition von Calcineurin letztlich ein hochmolekulares Proteinassoziat aus fünf Proteinen und dem photoschaltbaren Cyclosporinderivat entsteht. Auf diese Weise gelingt es nach Bestrahlung mit sichtbarem Licht, in einem Experiment, w elches die biologische Aktivität des Transkriptionsfaktors NFAT sichtbar macht, einen beträchtlichen, die Immunantw ort der T-Lymphozyten bestimmenden Photoeffekt auf die Aktivität von Calcineurin zu messen. Letztlich kann man mit diesem experimentellen Ansatz einen großen Molekülkomplex mit einer Molmasse von fast 200 kiloDalton in seiner biologischen Aktivität durch die konformationelle Änderung an einer einzigen chemischen Bindung kontrollieren. Es w ird überprüft, inw iew eit hier eine generelle Strategie vorliegt, die zur effektiven Photoschaltung biologischer Aktivitäten mithilfe von cis/trans-Isomerisierungen beitragen kann (Frank Erdmann, Yixin Zhang). © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/3