Supervision Zwangsstörungen - Psychotherapeut in Karlsruhe

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Persönliche PDF-Datei für
Oliver Kugele
www.thieme.de
Mit den besten Grüßen vom Georg Thieme Verlag
Fallbericht Zwangsstörung
DOI: 10.1055/s-0041-100384
PiD 2015; 16(01): 106–109
Nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt.
Keine kommerzielle Nutzung, keine Einstellung
in Repositorien.
Verlag und Copyright:
© 2015 by
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14
70469 Stuttgart
ISSN [1438-7026
Nachdruck nur
mit Genehmigung
des Verlags
Psychotherapie im Dialog 1• 2015
Ein Fall – verschiedene Perspektiven
Fallbericht Zwangsstörung
Angaben zur spontan
­berichteten und erfragten
­Symptomatik
Lebensgeschichtliche­
­Entwicklung und
­Krankheitsanamnese
ter sein zu müssen als andere Menschen. Er
habe sich beispielsweise einmal am Arm
verletzt, „höllische Schmerzen“ gehabt, es
aber gegenüber der Patientin nicht gezeigt.
Rumination Die Patientin berichtet zu
Familienanamnese
Beginn der Therapie, sie könne schwer ab-
Die Mutter der Patientin sei im Alter von
Tod der Mutter Nach dem Tod der Mut-
schalten, sei mit unterschiedlichen Alltags-
46 Jahren unerwartet an einem Hirnschlag
ter habe die Patientin auch begonnen, ihre
dingen gedanklich beschäftigt, habe deshalb
im Urlaub verstorben. Sie habe unter Blut-
Gefühle zu unterdrücken. Sie habe mit
auch Schlafprobleme und steigere sich hin-
hochdruck gelitten und sei häufiger zur
niemandem darüber gesprochen und sich
ein. In Entspannungsphasen, z. B. im Urlaub,
Medikamenteneinstellung im Krankenhaus
nichts anmerken lassen. Zu diesem Zeit-
werde es nur noch schlimmer. Sie mache
gewesen. Der Großvater mütterlicherseits
punkt sei sie 17 Jahre alt gewesen.
sich selbst Druck, da sie immer denke, es
sei an Lungenkrebs verstorben.
Schule und Beruf Sie habe die Grund-
komme etwas auf sie zu, was sie falsch gemacht habe.
Angst vor sozialer Ablehnung Sie fürch-
Biografische Anamnese
und Regionalschule besucht und danach
Familie Die Mutter habe als Näherin gear-
eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht. Sie
beitet. Ihr Vater sei 60 Jahre alt und Polizist.
arbeite seit 11 Jahren in einer Kindertages-
te, andere Personen könnten schlecht über
Sie habe ein sehr gutes Verhältnis zu ihrer
stätte, sei zunächst stellvertretende Leiterin
sie denken. Es sei kaum zu ertragen, wenn
Mutter gehabt, ebenso zu ihrem Vater und
gewesen und vor einem Jahr zur Leiterin
jemand etwas gegen sie habe – auch die, die
ihrer Schwester (+ 7 Jahre), mit der sie fast
ernannt worden. Die Beschwerdesympto-
sie nicht leiden können, sollten sie mögen.
jeden Tag telefoniere.
matik habe sich seit der leitenden Tätigkeit
Zwangssymptome Sie könne schwer
Mutter Die Mutter sei sehr harmoniebe-
damit umgehen, etwas falsch zu machen,
dürftig, ruhig und bedacht darauf gewesen,
Partnerschaft Die Patientin sei seit
kontrolliere viele Dinge wiederholt, z. B. das
dass alles für alle in Ordnung sei. Sie habe
8 Jahren verheiratet, die Beziehung bestün-
Abschalten von Elektrogeräten, das Schlie-
lieber zurückgesteckt und die Schuld auf
de bereits seit 11,5 Jahren und verlaufe
ßen von Türen und Fenstern oder ob sie die
sich genommen, bevor die Kinder z. B. vom
glücklich. Ihr Ehemann sei ihr Halt. Davor
Schlüssel bei sich habe.
Vater geschimpft worden seien. „Das sagen
habe sie eine 3-jährige Beziehung geführt,
wir nicht dem Papa“ habe das Motto gelau-
in deren Verlauf sich die Partner auseinan-
Sie könne zwar Konflikte austragen, aber
tet, wenn die Patientin als Kind etwas ange-
dergelebt hätten.
verarbeite diese noch lange, nachdem diese
stellt habe.
zunehmend verstärkt.
Kinderwunsch Ihr Ehemann und sie
bereits geklärt seien.
Vater Der Vater sei dominant und auch
versuchten seit ca. 2 Jahren ihren Kinder-
Unerfüllter Kinderwunsch Weiterhin
viel unterwegs gewesen. Er habe hohe An-
wunsch zu erfüllen. Es sei eine geringfügi-
hege sie einen Kinderwunsch, den sie und
sprüche an die schulischen Leistungen der
ge hormonelle Störung festgestellt worden,
ihr Partner seit 2 Jahren zu erfüllen ver-
Kinder gehabt. Er unterdrücke Gefühle,
woraufhin sie sich einer 6-monatigen Hor-
suchten.
habe vielleicht das Gefühl, als Polizist här-
montherapie unterzogen habe. Der Ehe-
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Die Patientin stellt sich u. a. aufgrund von ausgeprägten ­Grübeleien,
damit verbundenen Schlafstörungen und Zwangs­symptomen vor.
Seit ­ihrem Aufstieg in eine Leitungsposition sind die Beschwerden
deutlich verstärkt, sodass sie nun Hilfe sucht.
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„Es ist kaum zu ertragen, wenn jemand etwas gegen
mich hat …“
Psychotherapie im Dialog 1• 2015
mann habe sich noch nicht untersuchen
lassen.
Soziale Kontakte Kontakte zu Gleichaltrigen seien immer da gewesen und zurzeit
auch gegeben. Sie habe 3 gute Freundinnen,
mit denen sie sich regelmäßig treffe und etwas unternehme.
▶▶ Sie berichtet adäquat zur Krankheits-
(T 63), Selbstunsicherheit (T 64) und
und Lebensgeschichte, wirkt jedoch bei
Zwanghaftigkeit (T 76). Unterdurch-
den Schilderungen fassadär und zurück-
schnittlich ausgeprägt sind die Skalen
haltend.
▶▶ allseits voll orientiert, keine formalen
Schizotypisch mit einem T-Wert von 36
und Antisozial mit einem T-Wert von 37.
Denkstörungen
▶▶ Inhaltlich berichtet Patientin von Zwangs­
gedanken und Zwangshandlungen.
Somatischer Befund
▶▶ bei Bericht über den Tod der Mutter labil, kein Aufrechterhalten der Fassade
regelmäßig mache.
möglich, beginnt zu weinen
▶▶ Medikation Femibion aufgrund des Kinderwunsches
▶▶ seltener Alkoholkonsum (ein Glas Sekt
▶▶ leicht angespannt
bei Frauenabend oder ein Glas Wein bei
Aktuelle soziale Situation Sie sei in lei-
▶▶ Antrieb ungestört
Essen mit Ehemann)
tender Funktion in einer Kindertagesstätte
▶▶ kein Anhalt für Störungen des Ich-Erle-
tätig, in welcher sie seit 11 Jahren arbeite.
bens oder akute Selbst- und Fremdge-
Sie lebe mit ihrem Ehemann im gleichen
fährdung.
Mehrfamilienhaus, in dem auch der Vater
mit seiner neuen Lebensgefährtin lebe.
▶▶ kein Nikotin- oder Drogenkonsum, ca.
eine Tasse Kaffee pro Tag
▶▶ Schlafstörungen v. a. hinsichtlich des
Einschlafens durch vermehrte Grübel-
Testpsychologischer Befund
▶▶ Zu Beginn der Therapie erreicht die Pa­
neigung
▶▶ Appetitverlust
Krankheitsanamnese
tientin beim Padua Zwangsinventar
▶▶ keine schwerwiegenden Krankheiten
Die Patientin gibt an, im Jugend- und Er-
einen Summenscore von 61 und über
oder gesundheitlichen Probleme be-
wachsenenalter schon immer sehr ordent-
den Gesamttest einen Mittelwert von
kannt
lich gewesen zu sein. Auch das angepasste
1,49. Es zeigte sich, dass das Hauptpro-
Verhalten, bei dem die Patientin versuche,
blem der Patientin im Kontrollieren liegt
es allen Recht zu machen und nicht negativ
(Mittelwert von 3,43), gefolgt von Rumi-
aufzufallen, zeige sie schon lange. Allerdings
nation (2,18) und Ordentlichkeit (1,83).
seien die Zwangsgedanken und Zwangs-
▶▶ In der Symptomcheckliste bei psychi-
handlungen, die Schlafstörung, die Anspan-
schen Störungen (SCL) liegen die Werte
nung und das Hineinsteigern in negative
der Skalen Somatisierung (T-Wert 67),
Gedanken erst seit dem Aufstieg in die Lei-
Zwanghaftigkeit (T-Wert 68) und Angst
tungsposition und der damit einhergehen-
(T-Wert 64) über dem Normbereich.
den größeren Verantwortung so stark ausge-
▶▶ Der Global Severity Index, der die
prägt, dass ein Leidensdruck entstanden sei.
grundsätzliche Belastung misst, liegt
ebenfalls mit einem T-Wert von 62 über
Psychischer Befund
dem Normbereich.
▶▶ Positive Symptom Distress Index (PSDI,
Intensität der Antworten, T-Wert von
60) und Positive Symptom Total (PST,
Psychopathologischer Befund bei
Behandlungsbeginn
▶▶ Die Patientin erscheint sehr gepflegt
und modisch gekleidet.
▶▶ Die Patientin ist freundlich zugewandt
im Erstkontakt.
Anzahl der Symptome mit Belastung, TWert von 59) liegen noch an der oberen
Grenze des Normbereichs.
Dipl.-Psych.
Christina Huber
Psychologische Psychotherapeutin; Studium der
Diplom-Psychologie an der
Universität Mannheim und
am Department of Psychology an der University of
Arizona in Tucson; Wissenschaftliche Mitarbeiterin
am Projekt „Metaanalyse der Effekte stationärer
psychosomatischer Rehabilitation“, Privatinstitut für
Evaluation und Qualitätssicherung im Gesundheitsund Sozialwesen mbH, Karlsruhe; Psychologischer
Fachdienst im CJD Christliches Jugenddorf Schloss
Kaltenstein, Vaihingen an der Enz; Weiterbildung zur
Psychologischen Psychotherapeutin mit Schwerpunkt
Verhaltenstherapie, WIPP e.V., Landau; seit 2008 Mitarbeiterin des Städtischen Krankenhauses Pirmasens,
Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, und seit
2014 Mitarbeiterin der Praxisgemeinschaft Psychotherapie Dr. Dinger-Broda & Dr. Broda, Dahn.
▶▶ Im Persönlichkeits-Stil- und StörungsInventar (PSSI) zeigt die Patientin erhöhte Werte auf der Skala Selbstlosigkeit
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Hobbys Hobbys seien Yoga, Fitnessstudio
oder Laufen, was sie momentan aber nicht
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▶▶ Stimmung ausgeglichen
Psychotherapie im Dialog 1• 2015
Ein Fall – verschiedene Perspektiven
Kommentare zum Fallbericht
Verhaltenstherapeutische Herangehensweise
Zur Therapie Worauf muss ich bei meiner Beziehungsgestaltung
bieten? Behandlungsideen: Arbeit an den „wirklichen Lebensproblemen“ (Trauerarbeit?, Umgang mit Gefühlen, Selbstwert, emotionale
scheint in der Lage zu sein, auch längere und schwierige Belas-
und soziale Kompetenzen etc.) durch schematherapeutische Modus-
tungssituationen durchzustehen und eigene Leistungsziele zu errei-
arbeit, kognitive Therapie, Achtsamkeitsübungen, Training emotio-
chen, hat also Ausdauer und Selbstdisziplin, ferner auch ein gutes
naler und sozialer Kompetenzen etc.; Einbezug von Bezugspersonen
Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen. Diese Kompetenzen
in die Therapie und ggfs. direkte Bearbeitung der Zwangsstörung.
finde ich im Hinblick auf denkbare übergeordnete Veränderungsziele und einen erfolgreichen Psychotherapieprozess sehr hilfreich.
Hypothesen zu Genese und Aufrechterhaltung In der Beziehung zum Vater und orientiert am Modellverhalten ihrer Mutter
scheint sie gelernt zu haben, dass es im Leben wichtig ist, Gefühle
(v. a. Traurigkeit und Wut) zu unterdrücken (distanzierter Beschützer), Fehler zu vermeiden, sich nicht angreifbar zu machen, sich
an Erwartungen anderer anzupassen und die Kontrolle über zwischenmenschliche Beziehungen zu halten, um selbstwertbedrohli-
Dipl.-Psych. Oliver Kugele
geb. 1973, Psychologischer Psychotherapeut, seit
2006 Leitender Psychologe in der ParkKlinik Bad
­Berg­zabern – Fachklinik für Psycho­somatik und
Verhaltensmedizin, Weiterbildungen in verhaltenstherapeutisch orientierter Supervision, DBT und
Schematherapie, Lehrtätigkeit mit Schwerpunkt VT
in Gruppen, Supervisor an 3 staatlich anerkannten
Ausbildungsinstituten für VT, systemischer Coach,
Privatpraxis in Karlsruhe.
chen und bindungsgefährdenden Konflikten aus dem Weg zu gehen.
Die maladaptive Schemadomäne „Mangel an sicherer Bindung / Abgetrenntheit und Ablehnung“ scheint im Vordergrund zu stehen.
Systemische Perspektive
Offene Fragen Welche Rolle spielte das in der Luft liegende
Erste Ideen Die beste Methode gegen eine Zwangssymptomatik
„Schuldthema“ in der Familie? Erlebte sie das überfürsorgliche Ver-
ist es, damit aufzuhören. Zwänge sind Rituale, mit dem Zweck, eine
halten ihrer Mutter auch als einengend? Wäre eine Loslösung aus
angenommene Gefahr oder Bedrohung abzuwenden oder zu neutra-
der Familie bzw. der Beziehung zur Mutter erlaubt gewesen? Was
lisieren. Den Betroffenen ist bewusst, dass Zwänge (Gedanken sowie
wäre der Preis für eine erfolgreiche Abgrenzung und die Entwick-
Handlungen) nicht konstruktiv, übertrieben und unsinnig sind, je-
lung einer selbstwirksamen Auseinandersetzung mit der Welt und
doch dominiert die Angst vor negativen Konsequenzen bei Unter-
einer selbstbestimmten Gestaltung ihres eigenen Lebens gewesen
lassung des Rituals. Die Funktion von Zwängen liegt in dem Schutz
(Schuldzuweisungen, Invalidierung?) – und was würde Verände-
vor negativen Befindlichkeiten, die im vorliegenden Fall quasi von
rung heute kosten? Inwieweit wirkt die räumliche Präsenz des Va-
Kindesbeinen an gepflegt wurden.
ters aufrechterhaltend? Welche Rolle spielen dessen neue Partnerin
sowie der Ehemann?
Weiterführende Fragen Unser Leben ist von Ritualen geprägt,
sie schaffen Übergänge und ermöglichen Veränderungen. Wozu
Die Zwangssymptomatik Die wohl unsicher-anankastisch
dient das Ritual des Zwanges, was bewirkt es, was verhindert es?
strukturierte Patientin scheint nach dem Tod der Mutter, bei un-
Angenommen, die Zwangssymptomatik wäre plötzlich weg: Wer
erfülltem Kinderwunsch und nach Übernahme der neuen berufli-
würde es zuerst merken? Welche Aufgaben und Rollen müssten
chen Leitungsverantwortung, begonnen zu haben, die Defizite auf
neu verteilt werden? Was würde die Patientin anders machen als
der realen Lebensbühne und ihr Kontrollbedürfnis zunehmend
bisher? Welche Themen würden womöglich aktuell, die bislang gut
durch das Agieren auf der „Nebenbühne der Zwangssymptomatik“
und sicher verwahrt sind? Durch eine Therapie wird mitunter der
zu kompensieren (Kontrollverhalten / -gedanken, alleinige Verant-
eigene Lebensplan hinterfragt. Ist es zu diesem Zeitpunkt wirklich
wortungsübernahme im Umgang mit dem Kinderwunsch etc.). Es
sinnvoll, sich mit dem eigenen Lebensmodell auseinanderzusetzten?
kommt zu einer aktiven Vermeidung und damit zu einer negativen
Verstärkung ihrer Ängste, wodurch sich der Circulus vitiosus ihrer
Der Kinderwunsch Wessen Wunsch ist es, ein Kind in die Welt
Problematik schließt.
zu setzen? Wer nimmt, wer gibt Verantwortung (ab)? Wie viele Hormonbehandlungen muss die Frau machen, bevor der Mann sich zu ei-
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Ressourcen Die Hobbys der Patientin schließen zentrierende, körperbezogene und gesundheitsorientierte Aspekte ein. Sie
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achten? Wieviel Halt und Sicherheit bei welcher Klarheit kann ich ihr
Psychotherapie im Dialog 1• 2015
ner Untersuchung bereiterklärt? Welche Aufgabe hat das ungeborene
Selbstverständnis als Frau? Ein anderer Fokus wäre die Iden-
Kind bereits? Welche Änderung im Hinblick auf die Paarbeziehung
tifikation mit der Mutter und damit ihr Selbstverständnis als Frau.
erwartet der Mann nach der Geburt des Kindes, welche die Frau?
Dabei spielt ihre Beziehung zum Vater eine Rolle, die ihr Verhältnis
ihr, als Frau zurückzustecken, Schuld auf sich nehmen, eigene Initiative und Gefühle zu unterdrücken. Nach dem Tod der Mutter musste
Auch wurde sie schon früh zu einer Geheimnisträgerin gegenüber
sich die Patientin dem Anspruch des Vaters „als Polizist härter sein
dem Vater. Die Rollen und Aufgabenverteilungen der Ursprungsfa-
zu müssen als andere Menschen“ ganz fügen, anstatt sich dagegen
milie sowie das von der Mutter vorgelebe Harmoniestreben werden,
aufzulehnen. Hat sie unbewusst von der Mutter die innere Unterwer-
gemäß einer alten Tradition, aufrechterhalten und fortgeführt. Auf-
fung unter den dominanten Mann übernommen? Die wirkliche Krise
fällig ist zudem, dass eine Trennung vom Vater, der im selben Haus
für die Patientin könnte somit darin liegen: Der berufliche Aufstieg
wohnt, noch nicht in letzter Konsequenz stattgefunden hat.
zur „Leiterin“ bringt eine Unwucht in die Beziehung zum Ehemann.
Gleichzeitig akzentuiert sich die Frage nach einem Kind – nach 9 (!)
Assoziationen Einiges spricht für die Notwendigkeit von Verän-
Jahren Ehe – durch die medizinische Maßnahme bei klarer Schuld-
derung – eine Nichtveränderung bewährter Strukturen vermittelt
zuschreibung („geringfügige hormonelle Störung“). Unausgesprochen
jedoch Stabilität. Was hindert die Patientin daran, Veränderung
scheint klar, dass bei einem Kind die Patientin zurückstehen muss.
zuzulassen, was trägt zur Nichtveränderung bei? Macht kommt
von Ohnmacht. Wie Ohnmächtig erlebt sich die Patientin in ihrer
Psychodynamische Hypthese Also ein aktueller Schuld-Kon-
derzeitigen Situation? Wie viel Macht schreibt sie ihrem Mann auf
flikt mit dem Ehemann (Kinderlosigkeit) und ein aktueller Ambi-
Grund der eigenen Ohnmacht zu?
valenzkonflikt (Kind = Abhängigkeit oder beruflicher Erfolg = Unabhängigkeit)? Hat die Patientin nicht eine „Sauwut“ – die sie, in der
Dipl.-Psych. Katharina M. Gladisch
geb. 1971, Psychologische Psychotherapeutin (VT),
Systemische Therapeutin, Supervisorin und Paartherapeutin, Notfallpsychologin, Traumatherapie, 2003–
2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Johannes
Gutenberg Universität Mainz, Abteilung Medizinische
Psychologie und Medizinische Soziologie, seit 2005
Psychotherapeutin in der Parkklinik Bad Bergzabern,
Fachklink für Psychosomatik und Verhaltensmedizin.
Identifikation mit der Mutter, unterdrückt? Wie die Verstärkung der
Symptome zeigt, gelingt das nicht. Psychodynamisch könnte es um
einen unbewussten Aggressions- und Ambivalenzkonflikt mit dem
Ehemann gehen. Um die Hypothese zu prüfen fehlen jedoch Daten:
zum Ehemann, zur Beziehung der beiden, zur Arbeitssituation der
Pa­tientin, ihren Vorstellungen über ein Kind etc.
Therapievorschlag? Erst noch etwas mehr verstehen, dann entscheiden. Schon jetzt spricht viel für eine psychodynamische Psychotherapie, in der es um das Selbstverständnis der Patientin von
Psychodynamischer Ansatz
sich als Frau in der Bearbeitung der Identifikation mit der Mutter
und um die Bearbeitung ihres Selbstverhältnisses zu der väterlich
geprägten Männerwelt geht – ein anstrengender Weg.
Warum die Krise? Bis dahin offenbar in der Lage, die Symptome
(Zwänge, Selbstwertproblematik, Schlafprobleme, Beziehungsideen)
auszuhalten, entwickelt die Patientin mit dem Aufstieg in die leitende Stellung einen wachsenden Leidendruck. Was ist passiert, dass
sie nicht mehr in der Lage ist, ihr Leben trotz der schon lange bestehenden Vulnerabilität und Beschwerden zu bewältigen?
Überlastung? Eine plausible Erklärung wäre: Überforderung
durch den beruflichen Aufstieg – ihre Ressourcen reichen nicht aus
für den beruflichen Alltag. Aber warum hat sie das bisher und sogar
als stellvertretende Leiterin geschafft? Auch mit Blick auf die Biografie ist die Überlastungshypothese nicht überzeugend.
Univ.-Prof. Dr. med. Wolfgang Senf
Arzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie,
Psychoanalyse, 1990–2013 Universitätsprofessor für
dieses Fachgebiet an der Medizinischen Fakultät der
Universität Duisburg-Essen und damit verbunden Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin
und Psychotherapie am LVR-Klinikum Essen; zusammen
mit Dr. M. Broda Herausgeber der Lehrbücher „Praxis
der Psychotherapie“ und zusammen mit Dr. M. Broda
und Dr. B. Wilms „Techniken der Psychotherapie“.
Beitrag online zu finden unter
http://dx.doi.org/10.1055/s-0041-100384
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Denkrichtungen Die Patientin hat im Sinne eines Familienmusters gelernt, Gefühle zu unterdrücken und sich zurückzunehmen.
Heruntergeladen von: IP-Proxy Thieme IP Account, Thieme Verlagsgruppe. Urheberrechtlich geschützt.
zu Männern geprägt hat. Die Identifikation mit der Mutter gebietet
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