Lehrstuhl Heiss Übungen im OR AT (HS 14) Fall 5 «Hochzeitsfreuden» Besprechung vom 17. Februar 2015 Miriam Tinner 18.02.2015 Seite 1 Inhaltsverzeichnis Sachverhalt Falllösung I. Vertrag «Brautstrauss» II. Vertrag «Nuit d’Or» III. Vertrag «Nachbargrundstück» Häufige Fehler Tipps für die Fallbearbeitung/Prüfung 18.02.2015 Seite 2 Sachverhalt 6.12.2014: Hochzeit von Linda und Philipp 6.12.2014: Vertrag zwischen Linda und Annette über Blumenstrauss für CHF 300 Angeblicher Champagner «Nuit d’Or» an den Festlichkeiten stellt sich als Schaumwein heraus – Vertrag zwischen Linda und François Diskussion zwischen den beiden Brautväter, welche am 5.12.2014 ein Grundstück mit dem Kaufpreis von CHF 3 Mio. öffentlich beurkunden lassen, obwohl sie sich über einen Preis von CHF 4.5 Mio. vorgängig geeinigt haben; Vertrag beidseitig noch nicht erfüllt 18.02.2015 Seite 3 Falllösung Fallfrage: Prüfen Sie die Gültigkeit der Verträge und nennen Sie jeweils die Rechtsfolgen. Bearbeitungshinweis: Vertretbare andere Ansichten sind ebenfalls auszuführen. 18.02.2015 Seite 4 Brautstrauss I. Vertrag «Brautstrauss» 1. Zustandekommen des Vertrags SV: «Ein Vertrag ist zustande gekommen.» Hinweis: Prüfung, «ob» Vertrag zustande gekommen ist, erübrigt sich! 2. Gültigkeit des Vertrags Der Vertrag könnte an Form-, Inhalts- oder Willensmängel leiden. I.c. Übervorteilung (Art. 21 OR) oder Inhaltsmangel (Art. 20 OR) 18.02.2015 Seite 5 Brautstrauss Übervorteilung Voraussetzungen (1) Offenbares Missverhältnis (2) Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit: subjektive Ausnahmesituation Notlage: Zwangslage oder starke Bedrängnis BGer: objektive Vertretbarkeit (3) Ausbeutung: bewusstes Ausnutzen der Ausnahmesituation 18.02.2015 Seite 6 Brautstrauss 3. Rechtsfolgen Anfechtungsrecht Anfechtungserklärung: einseitige, ausdrückliche oder konkludente Gestaltungserklärung Anfechtungsfrist/Verwirkungsfrist (Art. 21 Abs. 1 und 2 OR) Wirkungen der Anfechtung Unverbindlichkeit des Vertrags: Ungültigkeitstheorie, Anfechtungstheorie Teilunverbindlichkeit: Nach h.L und Teil der Praxis analog nach Art. 20 Abs. 2 OR Reduktion der übermässigen Leistung auf das marktübliche Mass; Vertrag wird aufrechterhalten Hypothetischer Parteiwille? 18.02.2015 Seite 7 Brautstrauss Ansprüche h.L. und BGer: Art. 641 Abs. 2 ZGB, Art. 62 OR Teil der Lehre: vertragliches Rückabwicklungsverhältnis Schadenersatz: Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme wird verletzt cic 18.02.2015 Seite 8 Brautstrauss Inhaltsmangel Art. 20 OR Übervorteilung allein begründet keine Vertragsnichtigkeit Krasse Leistungsinäquivalenz: gemäss BGer muss der Gesamtcharakter des Vertrages sittenwidrig erscheinen 18.02.2015 Seite 9 Brautstrauss Fazit: Der Vertrag zwischen L und A ist wegen Übervorteilung gemäss den Theorien zur Unverbindlichkeit ungültig. Zwischen L und A gibt es Rückforderungsansprüche. Variante: Unter Anwendung der Teilunverbindlichkeit wird der Vertrag aufrechterhalten. Der Vertrag ist gültig. 18.02.2015 Seite 10 Nuit d’Or II. Vertrag «Nuit d’Or» 1. Zustandekommen des Vertrags SV: «[…] formgültig zustande gekommen.» Hinweis: Prüfung, «ob» Vertrag zustande gekommen ist, erübrigt sich! 2. Gültigkeit des Vertrags Der Vertrag könnte an Inhalts- oder Willensmängel leiden. I.c. absichtliche Täuschung (Art. 28 OR), Grundlagenirrtum (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR) 18.02.2015 Seite 11 Nuit d’Or a) Absichtliche Täuschung: Art. 28 OR Voraussetzungen (1) Täuschungshandlung Aktiv/passiv Tatsachen: objektiv feststellbare Zustände und Ereignisse der Gegenwart oder Vergangenheit (2) Täuschungsabsicht wissen oder mind. in Kauf nehmen Kausalität (3) Keine Rechtfertigung (4) Motivirrtum (5) doppelte Kausalität!; nat. und adäquater KZH 18.02.2015 Seite 12 Nuit d’Or b) Grundlagenirrtum: Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR Voraussetzungen (1) Motivirrtum (2) Wesentlichkeit Subjektive Wesentlichkeit: Vorgestellter SV ist für Irrenden eine conditio sine qua non für den Vertragsabschluss Objektive Wesentlichkeit: Der Irrende durfte nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr (objektive Betrachtung) den vorgestellten SV als notwendige Vertragsgrundlage betrachten; redlicher Dritter in den Schuhen des Irrenden (3) Erkennbarkeit der Bedeutung des irrtümlich vorgestellten SV (str.) 18.02.2015 Seite 13 Nuit d’Or 3. Rechtsfolgen Anfechtungsrecht Anfechtungserklärung Anfechtungsfrist/Verwirkungsfrist (Art. 31 Abs. 1 und 2 OR); ab Entdeckung (sichere Kenntnis); Fristenberechnung nach Art. 132 OR Schadenersatz Art. 31 Abs. 3 OR: SchE bleibt vorbehalten Fazit: Der Vertrag zwischen L und F ist aufgrund fingierter Genehmigung durch Fristablauf gültig. 18.02.2015 Seite 14 Nuit d’Or *Hinweis: Es handelt sich bei der Grafik um ein Beispiel einer Verjährungsfrist. Die Berechnung der Verwirkungsfrist erfolgt jedoch analog. Exkurs* Grafik: Vorlesungsunterlagen Prof. Heiss I.c. 6.12.2014 7.12.2014 6.12.2015 7.12.2015 12.12.2015 18.02.2015 sichere Kenntnis an der Hochzeit Frist beginnt zu laufen eigentliches Fristende, ist aber Sonntag Fristende 24:00 (Ablauf des Tages) L will anfechten Seite 15 Nachbargrundstück III. Vertrag «Nachbargrundstück» Unterscheiden: Vertrag zum Preis von CHF 3 Mio. und Vertrag zum Preis von CHF 4.5 Mio.! 1. Zustandekommen des Vertrags zu CHF 3 Mio. (1) Rechts- und Handlungsfähigkeit (2) Vorliegen eines Rechtsbindungswillen Simulation: «Bedienen sich die Parteien bei Vertragsabschluss bewusst einer unrichtigen Bezeichnung oder Ausdrucksweise, die vom tatsächlichen Parteiwillen abweicht, um die wahre Beschaffenheit des Vertrages zu verbergen, liegt eine Simulation gemäss Art. 18 Abs. 1 OR vor» Rechtsfolge: fehlender Rechtsbindungswille, Unwirksamkeit 18.02.2015 Seite 16 Nachbargrundstück Fazit: Der Vertrag zwischen G und E zum Preis von CHF 3 Mio. ist nicht zustande gekommen. Alternativ: Der Vertrag ist unwirksam. 18.02.2015 Seite 17 Nachbargrundstück 1. Zustandekommen des Vertrags zu CHF 4.5 Mio (1) Rechts- und Handlungsfähigkeit (2) Vorliegen eines Rechtsbindungswillen ( Dissimulation) (3) Gegenseitiger Austausch von Willenserklärungen 2. Gültigkeit des Vertrages Formmangel; Art. 216 OR 3. Rechtsfolgen Art. 11 Abs. 2 OR, Ungültigkeit BGer: absolute Nichtigkeit, aber: Relativierung durch Rechtsmissbrauchsverbot 18.02.2015 Seite 18 Nachbargrundstück Rechtsmissbrauch: Vertrag in der Hauptsache freiwillig und irrtumsfrei erfüllt oder arglistige Herbeiführung Formmangel Fazit: Der Vertrag zwischen G und E zum Preis von CHF 4.5 Mio. ist formungültig und somit nichtig. 18.02.2015 Seite 19 Häufige Fehler Ungenaue Definitionen Fehlende Auseinandersetzung mit SV Zu knappe Subsumtionen (erklären, nicht behaupten!) Unnötige Ausführungen ein gemäss SV gültiger Vertrag ist nicht auf seine Gültigkeit zu prüfen! Keine Beantwortung der Fallfrage im Fazit Ausführungen in Fussnoten Formelle Vorgaben nicht eingehalten 18.02.2015 Seite 20 Tipps für die Fallbearbeitung/Prüfung Definitionen auswendig lernen Sauber definieren und sauber subsumieren (Subsumtion muss stets zu Definition passen); keine Vermischung Hinweise im SV verarbeiten und in Falllösung einbauen Zwischenfazit und Fazit setzen Gestellte Frage beantworten 18.02.2015 Seite 21