Übersicht Lehrabschnitt 5 1. Liberale Konflikttheorie 2. Neorealistische Konflikttheorie 3. Sicherheit 4. Krieg LA 5/Übersicht Ausgangspunkt beider Konflikttheorien ist die Einsicht von Kenneth Boulding, dass Konflikt als Wettbewerbs-situation definiert ist, in der sich beide Seiten über die Unvereinbarkeit potentieller zukünftiger Positionen im klaren sind und in dem jede Seite eine Position einnehmen will, die mit den Wünschen der anderen unvereinbar ist. LA 5/2 Der normative Bezugspunkt der liberalen Theorie ist Frieden. Czempiel definiert Frieden als Prozessmuster des internationalen Systems, in dem die Gerechtigkeit als Gleichheit der Entfaltungschancen des einzelnen zunimmt und die Gewalt als Einschränkung seiner Freiheit sich mindert. LA 5/3 Diese Konflikttheorie ist a) prozessual angelegt und kann über die Messung von Gewalt bzw. sozialer Gerechtigkeit die Friedensleistung von Reform und Revolution differenzieren, b) in der Lage, die Friedensleistung einzelner politischer Systeme zu messen, c) über die inhaltliche Definition und die Einsicht in den Prozess in der Lage, den Konfliktbegriff zu operationalisieren. LA 5/4 Jede soziale Beziehung stellt ein Konfliktsystem dar. Für die zwischengesellschaftlichen und zwischen staatlichen Beziehungen können sechs Prozessmuster unterschieden werden. LA 5/5 Prozessmuster Feindschaft Macht Koexistenz Kooperation Harmonisation Integration Austrag Modus direkte Gewalt indirekte Gewalt Kompromiss Anpassung Anpassung Recht Mittel Krieg Blockade militärische Bedrohung ökonomische Bedrohung Boykott Druck Ausbeutung Verhandlungen Unterstützung Unterstützung Wahlen Abstimmungen Militär wirtschaftliche und militärische Stärke Diplomatie Beschlüsse Beschlüsse Verfassung Instrument LA 5/6 Da beide Parteien stets widerstreitende Positionen handlungsleitend einnehmen (=Voraussetzung: Jede soziale Beziehung ist ein Konfliktsystem), setzt die Bearbeitung der Konflikte an den Mitteln und Instrumenten des Konfliktaustrags an. LA 5/7 Die neorealistische Konflikttheorie erweitert den liberalen Wettbewerbs-Begriff 1) Bewusstheit der Positionsdifferenz, 2) handlungsleitender Wille des Akteurs um ein drittes Kriterium der Definition, 3) kritische Wirkung auf den Akteurszusammenhang. Somit kann Wettbewerb (1+2) von Konflikt (1+2+3) unterschieden werden. LA 5/8 Konflikte in den internationalen Beziehungen sind soziale Konstellationen, innerhalb derer den beteiligten Akteuren ihre Positionsdifferenz bewusst und handlungsleitend wird und sie in der Lage sind, die sie umschließende Ordnung potentiell oder wirklich zu gefährden. LA 5/9 Diese Definition ermöglicht Differenzierungen 1. Welche Ordnung ist gefährdet? (internationaler, regionaler, lokaler Konflikt) 2. Welche Beziehungszusammenhänge sind gefährdet? (politischer, militärischer, ökonomischer, kultureller Konflikt) LA 5/10 Konflikt-Typologie nach der neorealistischen Konflikttheorie politisch international regional lokal militärisch ökonomisch kulturell Über die Veränderung der Mittel des Konfliktaustrags hinaus (gewaltsame, nichtgewaltsame Mittel) Kann die Konfliktlösung an der Gestaltung der internationalen Ordnung ansetzen, indem die Beziehungen zwischen den Akteuren neu geordnet werden. 1. Akteur A setzt sich durch und gestaltet die jeweilige Ordnung neu 2. Zwischen den Akteuren wird ein symmetrischer oder asymmetrischer Kompromiß gefunden. LA 5/11 Die Neuordnung der Beziehungen kann erfolgen durch a) Regression (eine Verringerung des Organisationsgrades der Beziehungen) b) Integration (eine Erhöhung des Organisationsgrades der Beziehungen) c) Revolution (grundlegende Neugestaltung des Beziehungszusammenhangs) d) Isolation / Dissoziation (unfreiwilliges oder freiwilliges Ausscheiden aus dem Beziehungszusammenhang) LA 5/12 Konfliktlösung setzt nicht nur an der Wahl der Mittel des Konfliktaustrags an, sondern auch an der Gestaltung der Beziehungen zueinander. a) LA 5/13 Neorealistische Wettbewerbs- und Konflikt-Typologie Modus der Gegenmachtbildung Wettbewerb antagonistisch kooperativ integrativ transatlantische Beziehungen im europäische Ost-West-Konflikt Integration Konflikt Kalter Krieg Entspannung LA 5/14 Sicherheit ist die physische Unversehrtheit eines Landes und seiner sozio-politischen Identität. Richard Löwenthal hat dies als „Freiheit der gesellschaftlichen Eigenentwicklung“ formuliert. LA 5/15 Zur Erlangung von Sicherheit streben Staaten interne und externe Machtbildung an. Interne Machtbildung: Aufbau autonomer politischer, militärischer, ökonomischer, kultureller Fähigkeiten. Externe Machtbildung: Allianzbildung durch balancing bzw. bandwagoning. LA 5/16 Analyseebenen von Sicherheit 1. Nationale Sicherheit: Fähigkeit von Staaten, ihre Souveränität zu wahren, und Bedrohungen der vitalen Werte abzuwehren. 2. Regionale Sicherheit: sicherheitspolitische Arrangements einzelner Regionen, die durch eine besonders hohe, nach außen abnehmende Interaktionsdichte definiert werden. 3. Internationale Sicherheit: Sicherung des Überlebens unter der Bedingung gegenseitig möglicher nuklearer Vernichtung. 4. Globale Sicherheit: Vereinbarung gemeinsamer Normen und Regeln in allen Politikbereichen des erweiterten Sicherheitsverständnisses. LA 5/17 Erweiterungen des Sicherheitsbegriffs in den 90er Jahren 1. Auflösung der Konzentration des Sicherheitsbegriffs auf das Militärische, Einbeziehung demographischer, ökonomischer, ökologischer, kultureller, sozialer Sicherheit. 2. Auflösung der Konzentration des Sicherheitsbegriffs auf Staaten, Einbeziehung regionaler Sicherheitsarrangements einerseits, ethno-nationaler und anderer sozialer Konflikte andererseits. 3. Auflösung der Konzentration des Sicherheitsbegriffs auf die anarchische Grundstruktur, Einbeziehung der Analyseebene "globale Gesellschaft". LA 5/18 Warum sich die sicherheitspolitischen Bedingungen nach 1990 geändert haben sollen? 1. Die Anarchie wurde zwar nicht aufgehoben, aber gedämpft. 2. Institutionen können Kooperation zwischen Staaten hervorbringen. (hier: besonders regionale Sicherheitsbündnisse). 3. Demokratisierung bringt Frieden. 4. Ein System kollektiver Sicherheit bildet sich aus. 5. Das Wissen um die "eine Welt" ermöglicht verändertes gemeinsames soziales Handeln. 6. Globale Sicherheit als Bezugspunkt des Handelns. LA 5/19 Sicherheitsgemeinschaft (nach K.W. Deutsch) Wenn Bevölkerung und Eliten die Erwartung haben, dass zwischen unterschiedlichen Staaten und Gesellschaften ein dauerhaft gewaltfreier Umgang im Wettbewerb miteinander bestehe. Erkennbar ist die, wenn keine organisierten Vorbereitungen für oder zur Abwehr von Gewaltanwendung getroffen werden. Pluralistische Sicherheitsgemeinschaft: Kooperation ohne gemeinsame Institutionen Integrative Sicherheitsgemeinschaft: Ausbildung gemeinsamer Institutionen LA 5/20 Systeme kollektiver Sicherheit basieren auf drei Prinzipien: 1. Der status quo darf nicht gewaltsam verändert werden, sondern nur im Konsens. 2. Die Normen der Gemeinschaft SkS werden festgelegt und müssen von allen beachtet werden; ein Bruch dieser Normen wird geahndet und ihre Befolgung erzwungen. 3. Staaten müssen Vertrauen zueinander ausbilden, um die Sicherung ihrer Eigenheit nicht selbst zu organisieren, sondern dem Kollektiv zu überlassen. LA 5/21 Auch nach dem Ende des Ost-WestKonflikts blieb die anarchische Grundstruktur der internationalen Beziehungen bestehen. 1. Die Staaten versuchen weiterhin in veränderter Umwelt ihre Sicherheit zu gewährleisten. 2. Nationale Sicherheitspolitik steht deshalb in Spannung zu regionalen, internationalen und globalen Sicherheitsarrangements. 3. Für die Gewährleistung der Sicherheit ist die relative Position zu anderen Staaten wichtiger als internationale Institutionen. 4. Internationale Institutionen können weder das Problem der Täuschung noch das der relativen Gewinne kooperationsstabilisierend lösen. LA 5/22 Neue Sicherheitsgefährdungen: 1) Zerfall von Staaten (Gewaltmonopol). 2) Entwicklung von Gewaltmärkten (Bürgerkriegsökonomien) – Ökonomisierung und Privatisierung von Gewalt. 3) Proliferation von Massenvernichtungsmitteln. 4) Terrorismus. LA 5/23 LA 5/24 LA 5/25 Internationale Kriege werden definiert: 1. An den Kämpfen sind zwei oder mehrere Staaten beteiligt, deren Aktionen zentral gelenkt werden; 2. Zwischen den Streitparteien findet ein hohes Maß an Gewaltanwendung statt; 3. Die Gewaltanwendung findet mit hoher Kontinuierlichkeit statt; 4. Der Krieg wird mit dem Ziel geführt, das Verhalten des anderen Staates zu ändern (im Extrem: seine Existenz zu beenden). LA 5/26 Intranationale Kriege werden zwischen zwei oder mehreren gesellschaftlichen Gruppen in einem Staat oder zwischen dem Staat und einer oder mehreren gesellschaftlichen Gruppen geführt um 1. die Kontrolle des politischen Systems 2. die Transformation des politischen Systems 3. Sezession eines Teilgebietes 4. wirtschaftliche Vorteile (Spezialfall: Bürgerkriegsökonomie) LA 5/27