St. Breuer: Nationalismus und Faschismus 2005-4-097 - H-Soz-Kult

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St. Breuer: Nationalismus und Faschismus
Breuer, Stefan: Nationalismus und Faschismus.
Frankreich, Italien und Deutschland im Vergleich. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005. ISBN: 3-534-17994-3; 202 S.
Rezensiert von: Stefan Keller, Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Universität Zürich
Stefan Breuer, Soziologieprofessor in Hamburg und bekannt durch seine informativen und griffigen Darstellungen zur
Geschichte anti-demokratischer und antimodernistischer Milieus in Deutschland
zwischen 1871 und 19451 , hat ein (Lehr-)
Buch zum Faschismus-Begriff vorgelegt.
Es stellt sich sogleich die Frage: Was kann
diese Publikation der endlosen Debatte um
den „Wesenskern“ des Faschismus Neues
hinzufügen? Der Faschismus-Begriff erlebt
seit Mitte der 1990er-Jahre ausgehend von
England und USA eine Renaissance, welche
auf die Faktoren Ideologie und Utopie fokussiert: Das Phänomen Faschismus sei nur zu
verstehen, wenn man – anders als früher, wo
der Faschismus hauptsächlich als Abwehrreaktion auf den Sozialismus verstanden wurde
– von der Zentralität einer eigenständigen
Ideologie ausgehe; diese sei im größeren Feld
nationalistischer Ideenwelten einzuordnen.
Die faschistische Ideologie zeige im Motiv der
Palingenese, also dem Mythos einer reinigenden Neugeburt der Nation, sogar utopischen
Charakter.2 Stefan Breuer wendet sich gegen
diese Konzeption. Eine „faschistische Ideologie“ als solche gebe es nicht, so seine These,
lediglich ein „Aggregat“ von z.T. miteinander
konkurrierenden Sinnmustern, zu denen
auch das Nationalistische gehöre (S. 10). Das
„volle Verständnis“ des Faschismus werde
durch „Reduktion auf eine Art offshoot des
Nationalismus“ verstellt (S. 11). In zwei
großen Kapiteln, einem einführenden theoretischen und einem empirisch-konkreten über
das jeweilige Verhältnis von Nationalismus
und Faschismus in Frankreich, Italien und
Deutschland sucht Breuer die These von
der „faschistischen Ideologie“ und deren
nationalistischen Kerngehalt zu widerlegen.
Breuer schildert zuerst in einem definitorischen und typologisierenden Parforce-Ritt
entlang des Idealtypen-Konzepts von Max
2005-4-097
Weber die Spielarten von Nationalismus und
Faschismus bzw. den Funktionswandel des
Nationalismus seit seiner Entstehung und
seine mögliche Vor(be)reiterrolle für faschistische Bewegungen. Schlussendlich steuert
Breuer auf seine Definition des Faschismus zu
und präsentiert ein (äußerst schlankes) „faschistisches Minimum“: Der Faschismus sei
kein intellektuelles oder soziales Phänomen,
sondern ein politisches Phänomen – somit sei
er als Erscheinung des modernen Parteiwesens zu begreifen; für Breuer ist allein die
„spezifische Verbindung von Gewalt, Charisma und Patronage in einer Partei“ als Faschismus zu bezeichnen (S. 59).
Breuer untermauert seine Thesen anhand
der Schilderung nationalistischer und faschistischer oder faschistoider Strömungen in
Frankreich, Italien und Deutschland, wobei er
sich bei Frankreich in der Hauptsache auf die
verschiedenen konkurrierenden Ausprägungen des Nationalismus beschränkt; bei Italien und Deutschland verfährt Breuer ausgehend von den „Endprodukten“ Faschismus
(PNF) bzw. Nationalsozialismus als Partei
(NSDAP) rekonstruierend und versucht, deren ideologische Strukturen anhand von Syndikalismus, Futurismus und Nationalismus
(Italien), völkischem und „neuem“, an den
„alten“ wilhelminisch-imperialen anknüpfenden Nationalismus sowie Rassenaristokratismus (Deutschland) zu zerlegen. Er konzentriert sich dabei v.a. auf die Publikationen,
Aussagen und Aktionen bekannter Geistesgrössen oder Politaktivisten - in Frankreich
etwa Maurice Barrès und Charles Maurras,
in Italien Gabriele d’Annunzio und Filippo
Tommaso Marinetti, in Deutschland Alfred
Rosenberg und Gottfried Feder. Breuer weist
nach, dass die starken nationalistischen Strömungen in Frankreich eher zum Misserfolg
parallel bestehender faschistischer Gruppierungen beigetragen haben (S. 93ff.), während
in Italien genau umgekehrt der Faschismus
1 Breuer,
Stefan, Anatomie der konservativen Revolution, Darmstadt 1995; Ders., Ästhetischer Fundamentalismus. Stefan George und der deutsche Antimodernismus, Darmstadt 1995.
2 Vgl. Griffin, Roger, The nature of fascism, London 1991;
Ders., International fascism. Theories, causes and the
new consensus, London 1998; Sternhell, Zeev, The birth
of fascist ideology. From cultural rebellion to political
revolution, Princeton 1994.
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zur Auflösung des Nationalismus und dessen Überführung in imperiales Gedankengut
geführt habe (S. 144) – ähnlich Deutschland,
wo die imperialistischen Zielsetzungen nur
schon auf Grund der rassischen Neuordnung
der Welt nationalistischen Konzeptionen gesprengt habe (S. 192ff.).
Breuer zieht das Fazit, dass der Faschismus nicht allein auf Ideologeme – weder auf
nationalistische oder rassistische etc. – zurückzuführen sei; kennzeichnend sei der Wille und die Fähigkeit zur Machteroberung in
der (politischen) Praxis, nicht die Durchsetzung von intellektualistischen, elitären Ideen
über die soziale Welt: „Vom Verständnis [. . . ]
der Ebenendifferenz zwischen Doktrin und
Praxis hängt die Erkenntnis des Faschismus
ab“ (S. 198). Bei den Produzenten der nationalistischen Ideologien habe es sich v.a. um
elitär-marginale Zirkel ohne politische Durchschlagskraft gehandelt (S. 129f.).
Nach der Lektüre fehlt ob der zahlreichen begrifflichen Klärungen, feinmechanischen Definitionsbemühungen und detaillierten Typologisierungsschemata etwas die Orientierung. So dankenswert es ist, eine derart
fundierte Schilderung der bestehenden Forschungsdiskussionen in geraffter Form vorgestellt zu bekommen, so schwierig wird es
mit zunehmender Lesedauer, den roten Faden nicht zu verlieren. Man gewinnt den Eindruck, dass die Untersuchung der behandelten historischen Phänomene dem Systematisierungswillen und der Positionierung des
Autors im Feld der Faschismus-Diskussion
untergeordnet wird. Es bleibt auch noch anzumerken, dass der vergleichende Aufbau
des Buches sehr statisch daherkommt, woran
aber die Mehrzahl vergleichend arbeitender
Forschungen krankt: Die behandelten Phänomen werden linear nacheinander abgehandelt
und nicht oder nur sehr punktuell aufgrund
nach systematischen Gesichtspunkten ineinander verschränkt. So bleibt jedes Vergleichsbeispiel für sich stehen.
Inhaltlich gesehen bietet die Publikation lediglich eine Verlagerung der Problemkonstellation: Die von Breuer eingangs beklagte Tatsache, die Forschung habe sich zu lange auf
die soziale Funktion des Faschismus abgestützt, was bei der Heterogenität der beteiligten sozialen Gruppen zu „uneindeutigen“
Ergebnisse führte (Einleitung, S. 7), wird bei
ihm durch die politische Funktion abgelöst
– mit dem Hinweis darauf, dass unter dem
Schirm der Patronage-Partei äußert heterogene ideologische Versatzstücke zusammengeführt wurden; es ist zu befürchten, dass auch
dieser Ansatz wiederum zu „uneindeutigen“
Ergebnissen führen könnte. Denn die Ideologie bleibt auch bei Breuers Definition ein zentraler Bezugspunkt, nicht zuletzt infolge seines bevorzugt ideen- und geistesgeschichtlichen Zugangs.
Was das „faschistische Minimum“ anbelangt, so wäre zu prüfen, ob diese Definition
auch noch auf andere Phänomene außerhalb
von Deutschland und Italien zutrifft; Wenn
sich das „faschistische Minimum“ am Ende
nicht auf ein generelles Phänomen der Zwischenkriegszeit, sondern doch nur auf die beiden Fälle beziehen lässt, so hätte man hier
lediglich das Gegenstück zu denjenigen Definitionen, die den Nationalsozialismus ausschließen, und wäre kein Stück weitergekommen. So stünde Definition gegen Definition.
Abschließend bleibt noch die Frage zu erörtern, worin denn eigentlich Sinn und Nutzen
der Diskussion um den besten FaschismusBegriff bestehen könnte. Er ermöglicht vergleichendes Arbeiten, und das ist an sich
schon ein Verdienst. Von daher ist jeder
länderübergreifende Vergleich zu begrüßen.
Doch der Faschismus-Begriff war schon immer politisch hoch aufgeladen – handelt es
sich also bei der Abwehr der Rückführung
des Faschismus auf eine kohärente Ideologie
mit gar utopistischen Zügen um den Versuch,
das Phänomen in die Geschichte zu verbannen, um so neofaschistischen Gruppierungen
den (Nähr-)Boden unter den Füssen wegzuziehen? Dieses Vorhaben wäre auf jeden Fall
zu begrüßen.
HistLit 2005-4-097 / Stefan Keller über Breuer,
Stefan: Nationalismus und Faschismus. Frankreich, Italien und Deutschland im Vergleich.
Darmstadt 2005, in: H-Soz-Kult 15.11.2005.
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