Mathematik für Ingenieure I, WS 2008/2009 Dienstag 11.11 $Id: mengen.tex,v 1.5 2008/11/13 14:20:08 hk Exp hk $ I. Grundlagen §3 Mengen und Abbildungen 3.4 Vollständige Induktion und endliche Mengen Dass es wirklich notwendig ist auch den Induktionsanfang zu überprüfen ist keinesfalls ein isoliertes Problem. Betrachten Sie beispielsweise den Fall, dass die Aussage A(n) für absolut jedes n ∈ N falsch ist. Wie wir in §1 vermerkt haben, ist eine Implikation A ⇒ B immer wahr wenn ihre Voraussetzung A falsch ist, ist also A(n) wie angenommen für jedes n ∈ N falsch, so ist die Implikation A(n) ⇒ A(n + 1) für jedes n ∈ N wahr. Der Induktionsschluß funktioniert also immer wenn die Aussage A(n) für jedes n ∈ N falsch ist. Häufig ist es nützlich das Induktionsprinzip ein klein wenig zu modifizieren, und wir wollen nun die gängigsten Varianten des Induktionsprinzips besprechen, und uns auch jeweils klarmachen das es sich tatsächlich um korrekte Beweismethoden handelt. Die erste dieser Varianten sind Induktionsbeweise, die ihren Induktionsanfang nicht bei 1 sondern bei einem anderem Startwert n0 haben. Dieses Induktionsprinzip folgt dem im folgenden beschriebenen Schema. Gegeben ist wieder eine Aussage A(n) für n ∈ N und zusätzlich eine natürliche Zahl n0 ∈ N. Dann zeigt man der Reihe nach: Induktionsanfang: Die Aussage A(n0 ) ist wahr. Induktionsschluß: Ist n ∈ N eine natürliche Zahl mit n ≥ n0 und ist A(n) wahr, so ist auch die Aussage A(n + 1) wahr. Haben wir diese beiden Aussagen bewiesen, so besagt das modifizierte Induktionsprinzip das die Aussage A(n) für jedes n ∈ N mit n ≥ n0 wahr ist. Bevor wir uns klar machen das auch diese Variante des Induktionsprinzips in Ordnung ist wollen wir noch ein Beispiel vorführen. Wir wollen zeigen, dass für jedes n ∈ N mit n ≥ 4 stets 2n > 3n gilt. Die Aussage A(n) ist hier also 2n > 3n“ und wir haben n0 = 4. Nun überprüfen ” wir Induktionsanfang und Induktionsschluß. Induktionsanfang: Wegen 24 = 16 > 12 = 3 · 4 gilt die Aussage für n = 4 = n0 , d.h. wir haben A(n0 ). Induktionsschluß: Sei n ∈ N mit n ≥ 4 gegeben und nehme an, dass A(n) wahr ist, das also 2n > 3n gilt. Mit 3n ≥ 3 folgt dann auch 2n+1 = 2 · 2n > 2 · 3n = 3n + 3n ≥ 3n + 3 = 3(n + 1), 6-1 Mathematik für Ingenieure I, WS 2008/2009 Dienstag 11.11 und dies bedeutet das die Behauptung auch für n + 1 gilt, beziehungsweise das A(n + 1) wahr ist. Unser verallgemeinertes Induktionsprinzip liefert damit 2n > 3n tatsächlich für alle n ≥ 4 wahr ist. Dass auch dieses verallgemeinerte Induktionsprinzip eine korrekte Beweismethode ist, können wir einsehen indem wir es auf das gewöhnliche Verfahren der vollständigen Induktion zurückführen. Nehme also an, dass wir ein n0 ∈ N und eine Aussage A(n) haben, die die Bedingungen des verallgemeinerten Induktionsprinzips erfüllen. Es soll also A(n0 ) wahr sein und für jedes n ≥ n0 für das A(n) wahr ist, sei auch A(n + 1) wahr. Wir müssen beweisen das dann A(n) für jedes n ≥ n0 wahr ist. Dabei können wir ohne jede Einschränkung annehmen, dass n0 > 1 ist denn für n0 = 1 haben wir ja genau unser originales Induktionsprinzip. Nun führen wir die folgende Hilfsaussage B(n) = A(n) ∨ (n < n0 ) ein, und wollen uns klarmachen das für diese Induktionsanfang und Induktionsschluß des ursprünglichen Induktionsverfahrens zutreffen. Induktionsanfang: Wegen n0 > 1 ist B(1) wahr. Induktionsschluß: Nun sei n ∈ N und es gelte bereits B(n). Wir müssen einige verschiedene Fälle unterscheiden: Fall 1: Es sei n < n0 − 1. Dann ist auch n + 1 < n0 und somit ist B(n) wahr. Fall 2: Es sei n = n0 − 1. Dann ist n + 1 = n0 und da A(n0 ) wahr ist, ist auch B(n + 1) = B(n0 ) = A(n0 ) ∨ (n0 < n0 ) wahr. Fall 3: Im verbleibenden Fall ist n ≥ n0 . Da B(n) = A(n) ∨ (n < n0 ) wahr ist, aber n ≥ n0 gilt, muss A(n) wahr sein. Jetzt können wir den angenommenen Induktionsschluß für die Aussage A(n) verwenden, und hier auf die Gültigkeit von A(n+1) schließen. Damit ist auch B(n+1) = A(n+1)∨(n+1 < n0 ) wahr. Damit haben wir B(n+1) in allen drei Fällen bewiesen, und der Induktionsschluß für die Hilfsaussage B(n) ist vollständig. Damit ist die Aussage B(n) per vollständiger Induktion für jedes n ∈ N bewiesen. Ist nun schließlich n ∈ N mit n ≥ n0 gegeben, so ist B(n) = A(n) ∨ (n < n0 ) wahr, d.h. A(n) selbst muss wahr sein. Damit haben wir unser erstes modifiziertes Induktionsverfahren als korrekt nachgewiesen. Wie gesehen ist der Unterschied zur Standardinduktion hier nicht besonders groß. Es gibt nun eine weitere Variante des Induktionsverfahrens, die sogenannte Abschnittsinduktion, die sich auf den ersten Blick deutlich vom Standardverfahren zu unterscheiden scheint. Dieses dient erneut dazu eine gegebene Aussage A(n) für jedes n ∈ N zu beweisen. Diesmal wird ein Induktionsschluß in der folgenden Form durchgeführt: 6-2 Mathematik für Ingenieure I, WS 2008/2009 Dienstag 11.11 Induktionsschluß: Ist n ∈ N eine natürliche Zahl und sind die Aussagen A(k) für alle 1 ≤ k < n bereits wahr, so ist auch die Aussage A(n) wahr. In anderen Worten müssen wir die Implikation A(1) ∧ . . . ∧ A(n − 1) ⇒ A(n)“ für jede ” natürliche Zahl n ∈ N nachweisen. Hier scheint der Induktionsanfang zu fehlen, aber dies ist eine Täuschung, er ist nur etwas besser versteckt. Der spezielle Fall n = 1 im obigen Induktionsschluß verlangt ja, dass aus der Gültigkeit von A(k) für alle 1 ≤ k < 1 auch die Gültigkeit von A(1) folgt, und da es überhaupt keine solchen k gibt wird in Wahrheit verlangt, dass A(1) zutrifft. Der Induktionsanfang fällt in dieser Formulierung also mit dem speziellen Fall n = 1 im Induktionsschluß zusammen. Haben wir dann den Induktionschluß in seiner obigen Form durchgeführt, so besagt das Prinzip der Abschnittsinduktion, das A(n) für jede natürliche Zahl n ∈ N wahr ist. Bevor wir begründen warum auch die Abschnittsinduktion in Wahrheit doch nur ein spezieller Fall unserer originalen vollständigen Induktion ist, wollen wir sie wieder an einem Beispiel vorführen. Wir wollen zeigen, dass jede natürliche Zahl ein Produkt von Primzahlen ist. Beachte dabei das wir das leere Produkt, in dem es also überhaupt keine Faktoren gibt, per Konvention als 1 interpretieren. Daher müssen wir für n = 1 in unserer Aussage keine Ausnahme machen. Die Aussage A(n) ist hier natürlich einfach n ist ein Produkt von Primzahlen“. Für diese Aussage müssen wir nun einsehen, dass ” der Induktionsschluß in seiner Abschnittsform wahr ist. Sei also eine natürliche Zahl n ∈ N gegeben, und nehme an das A(k) für jede kleinere natürliche Zahl k bereits wahr ist. Wir unterscheiden einige verschiedene Fälle: Fall 1: Zunächst nehme an, dass n selbst eine Primzahl ist. Dann ist n ein Produkt von Primzahlen mit nur einem Faktor und A(n) ist wahr. Fall 2: Nun sei n = 1. Dann hatten wir bereits bemerkt das wir n = 1 als das Produkt von Null Primzahlen interpretieren, also ist A(n) = A(1) auch in diesem Fall wahr. Fall 3: Im verbleibenden Fall ist n 6= 1 keine Primzahl und dies bedeutet das sich n als ein Produkt zweier kleinerer Zahlen schreiben läßt. Es gibt also natürliche Zahlen k, l ∈ N mit k, l < n und n = k · l. Da k, l beide kleiner als n sind, besagt unsere Annahme in der Abschnittsinduktion das A(k), A(l) wahr sind, d.h. k und l sind beide bereits Produkte von Primzahlen. Damit ist aber auch n = k · l ein Produkt von Primzahlen. Damit haben wir den Induktionsschluß in seiner Abschnittsvariante durchgeführt, und das Prinzip der Abschnittsinduktion ergibt, dass A(n) für jede natürliche Zahl n ∈ N wahr ist, dass also jedes n ∈ N ein Produkt von Primzahlen ist. Wie für die Induktion ab einem Startwert wollen wir nun auch begründen warum die Abschnittsinduktion eine korrekte Beweistechnik ist. Hierzu gehen wir völlig analog zu unserer obigen Schlußweise vor. Wir geben uns also eine Aussage A(n) für natürliche Zahlen n ∈ N vor, und nehmen an das für diese der Induktionsschluß der Abschnittsinduktion zutrifft. Wir werden nun eine Hilfsaussage B(n) einführen und von dieser 6-3 Mathematik für Ingenieure I, WS 2008/2009 Dienstag 11.11 dann zeigen das für sie sowohl Induktionsanfang als auch Induktionsschluß des gewöhlichen Induktionsverfahrens wahr sind. Wie Sie vielleicht erwarten definieren wir diese Hilfsaussage einfach als B(n) := [A(1) ∧ A(2) ∧ . . . ∧ A(n)], d.h. B(n) ist wahr wenn A(k) für jedes 1 ≤ k ≤ n wahr ist. Für diese Aussage B(n) gehen wir nun Induktionsanfang und Induktionsschluß durch: Induktionsanfang: Wir hatten bereits bemerkt, dass der Induktionsschluß beim Abschnittsinduktionsverfahren mit n = 1 die Aussage A(1) beinhaltet. Damit ist auch B(1) = A(1) wahr. Induktionsschluß: Nun sei n ∈ N und es gelte bereits die Aussage B(n), d.h. alle Aussagen A(1), . . . , A(n) sind wahr. Wenden wir nun den Induktionsschluß des Abschnittinduktionsverfahrens mit n + 1 statt n an, so folgt damit das auch die Aussage A(n + 1) wahr ist. Folglich sind alle Aussagen A(1), . . . , A(n), A(n + 1) wahr und dies ist gerade die Gültigkeit von B(n + 1). Damit gelten für unsere Hilfsaussage B(n) sowohl Induktionsanfang als auch Induktionsschluß des gewöhnlichen Induktionsverfahrens, d.h. per vollständiger Induktion ist B(n) für jedes n ∈ N wahr. Damit ist aber auch A(n) für jedes n ∈ N wahr. Dieses Argument beweist die Korrektheit der Abschnittsinduktion. Als eine letzte Induktionsvariante wollen wir noch kurz die sogenannte Strukturinduktion ansprechen, die einem gelegentlich in der Informatik begegnet. Diese unterscheidet sich dadurch von den bisherigen Induktionsmethoden, dass sie nicht mehr von Aussagen über natürliche Zahlen handelt. Weiter ist Strukturinduktion“ eher ein Oberbegriff als ein konkret ” fixiertes Prinzip, so das die Dinge am klarsten sind wenn wir ein Beispiel behandeln. Wir wollen Terme betrachten die durch Addition und Multiplikation aus vorgegebenen Variablen a, b, c, . . . aufgebaut sind. Gemeint sind also Ausdrücke wie (a + b) · c + ad. Formal werden diese Ausdrücke definiert indem man ihren Aufbau von unter her beschreibt, was etwa durch die folgenden Regeln getan werden kann: 1. Für jede Variable x ist x ein Term. 2. Sind t, s zwei Terme, so ist auch t + s ein Term. 3. Sind t, s zwei Terme, so ist auch (t) · (s) ein Term. 4. Sind x, y zwei Variablen, so ist x · y ein Term. 5. Sind t ein Term und x eine Variable, so sind auch (t) · x und x · (t) Terme. Unser Beispielterm ergibt sich dann wie folgt: Zunächst sind a, b Variablen, also nach (1) auch Terme, und somit ist nach (2) auch a + b ein Term. Da c eine Variable ist, ist nach (5) auch (a + b) · c ein Term. Weiter sind a, d Variable, also a · d nach (4) ein Term. Insgesamt ist schließlich (a + b) · c + a · d nach (2) ein Term. Die Regeln 6-4 Mathematik für Ingenieure I, WS 2008/2009 Dienstag 11.11 (4,5) dienen hier nur dazu damit wir einzelne Variablen als Faktoren von Produkten nicht klammern müssen, sonst wäre zum Beispiel a · d kein Term, sondern nur (a) · (d). Die Regeln sind noch nicht ganz perfekt, da Produkte aus Variablen immer vollständig geklammert sein müssen, a · b · c ist hier kein Term, sondern nur a · (b · c) und auch (a · b) · c. Unter Strukturinduktion versteht man nun die Methode Aussagen über Terme durch Induktion über den Aufbau der Terme gemäß der gegebenen Regeln zu beweisen. Nehmen wir etwa an wir wollen die Behauptung Jeder Term kann durch Anwendung ” der üblichen Rechenregeln in eine Summe von Produkten von Variablen überführt werden“ wirklich beweisen. Wir wollen dies hier nicht zu Ende beweisen, da es doch etwas von unserem eigentlichen Thema wegführt, sondern nur einen Eindruck einses solchen Beweises geben. Man geht der Reihe nach die Regeln durch und überzeugt sich jedesmal, dass aus der Gültigkeit der Behauptung für die Teilterme t, s auch die Gültigkeit der Behauptung für den Gesamtterm folgt. Nehmen wir etwa Regel (2). Wir betrachten also einen Term der Form t + s mit Termen t, s für die unsere Behauptung bereits wahr ist. Durch Anwendung von Rechenregeln können wir dann t und s einzeln in Summen von Produkten von Variablen überführen. Führen wir dies nacheinander für t und s durch, so haben wir auch t + s in eine Summe von Produkten von Variablen umgeschrieben. Die Argumentation für Regel (3) ist schon komplizierter, wir müssen hier das Produkt (t) · (s) ausmultiplizieren. Dies kann man etwa durch eine weitere geschachtelte Induktion machen, aber wie bereits bemerkt wollen wir dies nicht zu Ende ausführen. Wichtig ist hier nur das Induktionsartige“ dieser Methode zu sehen, statt von n ” auf n + 1 zu schließen wird von einzelnen Teilausdrücken auf die zusammengesetzten Terme geschlossen. Dies sind auf den ersten Blick komplizierter als eine gewöhnlicher Induktionsbeweis aus, kann aber letztlich doch als ein solcher aufgefasst werden. Wir können die Strukturinduktion etwa als eine Abschnittsinduktion über die Länge des Termes interpretieren, dies ist also kein wirklich anderes Beweisverfahren. Damit wollen wir die Diskussion der abstrakten Induktionsprinzipien abschließen, und uns kurz einem verwandten Thema zuwenden. Dies ist die induktive Konstruktion von auf N definierten Abbildungen, die oft auch als Rekursion bezeichnet wird, aber letzterer Begriff wird auch noch in etwas erweiterter Bedeutung verwendet. Hier schließen wir nicht von n auf n + 1 um eine Behauptung zu beweisen, sondern wir verwenden einen bereits bekannten Funktionswert f (n) um den nächsten Wert f (n + 1) zu definieren. Eines der einfachsten Beispiele ist die sogenannte Fakultät natürlicher Zahlen geschrieben als n! := 1 · 2 · . . . · n für n ∈ N. Verwenden wir die bereits oben erwähnte Konvention das leere Produkt als 1 zu interpretieren, so können wir auch noch 0! := 1 setzen. Die induktive Definition der Fakultätsfunktion läuft wie im folgenden beschrieben. Wir starten mit dem Funktionswert 1! := 1, oder wenn man will auch mit 0! := 1. Dies entspricht dem Induktionsanfang. Als nächstes nimmt man ein n ∈ N und geht davon aus, dass der Funktionswert n! bereits definiert ist. Dann definiere den Wert der Fakultät für n + 1 6-5 Mathematik für Ingenieure I, WS 2008/2009 Dienstag 11.11 durch (n + 1)! := (n + 1) · n!. Wichtig ist das hier um (n + 1)! als (n + 1) · n! zu definieren der vorherige Wert n! benutzt wird. Betrachten wir noch ein zweites Beispiel und nehmen die Funktion die durch die induktive Definition f (1) = 3 und f (n + 1) = n + (−1)n n · f (n) für n ∈ N gegeben ist. Die Funktionwerte sind hier f (1) = 3, f (2) = 1+(−1)1 1·f (1) = 1−3 = −2, f (3) = 2+(−1)2 2f (2) = 2−4 = −2, f (4) = 3 + (−1)3 3f (3) = 3 − 3 · (−2) = 9, f (5) = 4 + (−1)4 4f (4) = 40, . . . Wie beim Induktionsverfahren gibt es auch für die induktive Definition einige kleine Varianten. Man kann etwa bei einem Funktionwert f (n0 ) anstelle von f (1) starten, oder auch f (n) unter Verwendung mehrerer, oder gar aller, der Werzte f (1), . . . , f (n − 1) definieren. Ein bekanntes Beispiel für letzteres sind die sogenannten Fibonacci-Zahlen, die induktiv wie folgt definiert werden: f (1) := 1, f (2) := 1, f (n) := f (n − 2) + f (n − 1) für n ≥ 3. Die ersten dieser Fibonacci-Zahlen sind dann f (1) = 1, f (2) = 1, f (3) = f (1) + f (2) = 1 + 1 = 2, f (4) = f (2) + f (3) = 1 + 2 = 3, f (5) = f (3) + f (4) = 2 + 3 = 5, f (6) = f (4) + f (5) = 3 + 5 = 8, . . . Wir kommen jetzt zum letzten Thema dieses Abschnitts und wollen noch einige kleine Anzahlformeln für endliche Mengen begründen. Eine endliche Menge ist dabei natürlich eine Menge mit nur endlich vielen Elementen M = {x1 , . . . , xn } und die Anzahl ihrer Elemente bezeichnen wir mit dem Symbol |M |. Zunächst wollen wir einige unmittelbar einleuchtende Abzählformeln für endliche Mengen M, N einfach auflisten: 1. Ist N ⊆ M eine Teilmenge, so gilt |M \N | = |M | − |N |. Dies sollte Ihnen kar sein, denn die Elemente von M \N sind ja gerade diejenigen Elemente von M , die nicht in N sind, d.h. die Elementezahl verringert sich um die Zahl der Elemente von N , also um |N |. M N 2. Sind M, N disjunkt, d.h. haben M und N keine gemeinsamen Elemente, beziehungsweise M ∩ N = ∅, so ist offenbar |M ∪ N | = |M | + |N |. 3. Im allgemeinen Fall ist dagegen |M ∪ N | = |M | + |N | − |M ∩ N |. Dies kann man auf zwei verschiedene Arten einsehen. 6-6 Mathematik für Ingenieure I, WS 2008/2009 M Dienstag 11.11 N Zähle wir die Elemente von M ∪ N also die Elemente die in M oder in N sind, so können wir zuerst die Elemente von M und dann die von N zählen und die beiden Werte addieren. Allderdings haben wir dann jedes Element das zugleich in M und in N , also in M ∩ N , liegt doppelt gezählt, und zur Korrektur dieses Fehlers müssen wir die Zahl dieser Elemente, also |M ∩ N | wieder abziehen. Dies ist die erste mögliche Begründung dieser Formel. Alternativ können wir auch mit (1) und (2) argumentieren, denn die Menge M ∪ N ist ja die Vereinigung M ∪ N = (M \(M ∩ N )) ∪ (N \(M ∩ N )) ∪ (M ∩ N ) dreier zueinander jeweils disjunkter Mengen, und mit (1) und (2) rechnen wir |M ∪ N | = |M \(M ∩ N )| + |N \(M ∩ N )| + |M ∩ N | = |M | − |M ∩ N | + |N | − |M ∩ N | + |M ∩ N | = |M | + |N | − |M ∩ N |. 4. Es gilt |M × N | = |M | · |N |. Dies ist klar, denn |M × N | ist die Anzahl aller Paare (x, y) mit erster Komponente x in M und zweiter Komponente y in N . Für x gibt es also |M | Möglichkeiten, für y gibt es |N | Möglichkeiten und insgesamt haben wir |M | · |N | mögliche Paare. Wir wollen nun einige etwas kompliziertere Anzahlformeln herleiten. Wir beginnen damit die Anzahl der Anordnungen von n ∈ N verschiedenen Objekten zu bestimmen. Wir werden dies auf zwei verschiedene Arten tun, zunächst gegen wir eine exakte Herleitung über eine induktive Beschreibung der gesuchten Zahl an. Anschließend machen wir uns dann heuristisch klar, das unser Ergebnis eigentlich von vorn herein klar war. Beginnen wir mit einer exakten Herleitung. Zunächst müssen wir uns darüber im klaren sein was mit der Anzahl der Anordnungen von n Objekten überhaupt gemeint ist. Wir wollen dies einmal für n = 3 durchgehen. Sagen wir haben drei (verschiedene) Objekte a, b, c. Die Zahl der Anordnungen meint dann in wievielen verschiedenen Reihenfolgen wir diese drei Dinger hinschreiben können. Für drei Objekte schaft man die noch ganz gut per Hand und erhält abc, bac, cba, acb, bca, cab, also 6 verschiedene Möglichkeiten. In einer anderen Reihenfolge hinschreiben meint das in der neuen Liste jeder Eintrag der alten List an genau einer Stelle wiederkehrt. Alternativ können wir jede solche Reihenfolge beschreiben indem wir für jeden der drei Einträge einen Pfeil zu seiner neuen Position aufmalen. Beispielsweise entspricht die Reihenfolge bca dem Bild 6-7 Mathematik für Ingenieure I, WS 2008/2009 a b Dienstag 11.11 c Dieses können wir etwas entzerren indem wir die drei Punkte duplizieren und die Pfeile vom linken Original zum rechten Duplikat zeichnen. Unser Beispiel wird dann zu a b c Die Bedingung das jedes der Objekte a, b, c in der anderen Reihenfolge genau einmal auftritt, besagt für dieses Bild, das jeder Punkt auf der rechten Seite von genau einem Pfeil getroffen wird. Auf der anderen Seite hatten wir aber festgehalten, dass die Pfeilbilder mit der obigen Eigenschaft genau den bijektiven Abbildungen f : {a, b, c} → {a, b, c} entsprechen. Weil es auf die Benennungen der Punkte hierzu nicht ankommt, ist die Anzahl der Umordnungen unserer drei Objekte also gerade gleich der Anzahl bijektiver Abbildungen einer dreielementigen Menge auf eine andere dreielementige Menge. Diese Beobachtung ist natürlich nicht auf n = 3 beschränkt sondern ist für jede natürliche Zahl n ∈ N wahr. Also ist die von uns gesuchte Zahl A(n) der Anordnungen von n verschiedenen Objekten auch gleich der Anzahl bijektiver Abbildungen f : M → N einer n-elementigen Menge M auf eine andere n-elementige Menge N . Mit dieser Beobachtung ist es nun leicht eine induktive Formel für die gesuchten Zahlen A(n) aufzustellen. Sei n ∈ N gegeben. Wir betrachten dann die Menge M := {f : {1, . . . , n + 1} → {1, . . . , n + 1}|f ist bijektiv}. Wie wir gerade eingesehen haben, ist die Anzahl der Elemente von M , also die Anzahl bijektiver Abbildungen f : {1, . . . , n + 1} → {1, . . . , n + 1} gleich der Anzahl A(n + 1) der Anordnungen von n + 1 Objekten. Die Menge M können wir nun durch das Bild f (n+1) des letzten Elements in n+1 verschiedene, disjunkte, Gruppen einteilen, indem wir für jedes 1 ≤ k ≤ n + 1 die Menge Mk := {f ∈ M |f (n + 1) = k} betrachten. Dann ist M die disjunkte Vereinigung M = M1 ∪ . . . ∪ Mn+1 und unsere obige Formel (2) liefert A(n + 1) = |M | = |M1 | + . . . + |Mn+1 |. 6-8 Mathematik für Ingenieure I, WS 2008/2009 Dienstag 11.11 Was sind nun die Elementezahlen |M1 |, . . . , |Mn+1 |? Sei 1 ≤ k ≤ n + 1. Die Elemente von Mk+1 sind diejenigen bijektiven Abbildungen f : {1, . . . , n + 1} → {1, . . . , n + 1} bei denen der Wert f (n + 1) = k festgelegt ist. Diese entsprechen dann bijektiven Abbildungen g : {1, . . . , n} → {1, . . . , n + 1}\{k} = {1, . . . , k − 1, k + 1, . . . , n + 1}. Insbesondere ist die Anzahl der Elemente von Mk gleich der Anzahl der bijektiven Abbildungen der n-elementigen Menge {1, . . . , n} auf die n-elementige Menge {1, . . . , n + 1}\{k}, und wie bereits oben festgehalten ist diese Anzahl gleich A(n). Somit haben wir |M1 | = |M2 | = . . . = |Mn+1 | = A(n), und damit A(n + 1) = |M1 | + . . . + |Mn+1 | = A(n) + . . . + A(n) = (n + 1) · A(n). | {z } n + 1 mal Dies ist aber genau dieselbe Rekursionsgleichung die auch von der Fakultätsfunktion erfüllt wird. Da zudem die Anzahl der Anordnungen eines einzigen Objekts gleich 1 = 1! ist, ist damit A(n) = n! für jedes n ∈ N per vollständiger Induktion. 6-9