Ein Forschungshighlight in Martinsried In einem einmaligen Verbundprojekt sind Wissenschaftler dreier Max-Planck-Institute der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen auf der Spur Zwei Nervenzellen, die mit einem blauen Farbstoff für den Zellkern und einem grünen Farbstoff für das Zytosol angefärbt wurden: Links eine gesunde Zelle, die ein korrekt gefaltetes, rotes Kontrollprotein enthält. Der Bereich der Zellen, in dem das rote Protein und der grüne Farbstoff gleichzeitig auftreten, erscheint gelb. Rechts eine Zelle, die ein ebenfalls rot markiertes Krankheitsprotein enthält. Es ist nicht löslich und gleichmäßig verteilt, sondern O b Alzheimer, Parkinson, Chorea Huntington oder Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) – all diesen neurodegenerativen Krankheiten ist eines gemeinsam: Relativ früh erkannt, können sie heute zwar häufig in ihrem Verlauf verzögert, aber noch nicht geheilt werden. Weltweit leiden an solchen, oft auch altersbedingten Krankheiten über 35 Millionen Menschen; nach einer Berechnung der Weltgesundheitsorganisation wird sich diese Zahl in den nächsten 20 Jahren fast verdoppeln. Bei den meist langsam fortschreitenden Erkrankungen des Nervensystems sterben Nervenzellen ab (Neurodegeneration), die sich – im Gegensatz zu anderen Zellen des Körpers – nicht mehr regenerieren. Zudem zeichnen sich diese Krankheiten durch toxische Eiweißablagerungen in bestimmten Gehirnregionen und Nervenzellen aus. Eiweiße oder Proteine sind aus spezifischen Aminosäuren aufgebaute Makromoleküle oder Ketten, die sich in allen Zellen des Körpers befinden und dort zahlreiche, zum Überleben des menschlichen Organismus notwendige Aufgaben verrichten. Die meisten der für neurodegenerative 20140703_SZVE3K542_017-99.indd 21 Krankheiten so typischen toxischen Ablagerungen im Gehirn bestehen aus verklumpten Eiweißen. „Ich glaube, dass es in den nächsten zehn Jahren Medikamente geben wird, die diese spezifischen Verklumpungen eindämmen oder sogar verhindern“, sagt Professor Franz-Ulrich Hartl, Direktor der Abteilung Zelluläre Biochemie am Max-Planck-Institut (MPI) für Biochemie in Martinsried. Doch momentan weiß niemand genau, in welcher Verbindung diese Ablagerungen mit der Schädigung und dem Absterben von Nervenzellen stehen. Konzentration an einem Forschungsstandort Damit sich das ändert, erforschen er und drei weitere Direktoren der Max-Planck-Institute für Biochemie und Neurobiologie in Martinsried im Rahmen eines auf sechs Jahre angelegten Forschungsprojekts jetzt diese bei neurodegenerativen Erkrankungen beobachteten Phänomene. „Wenn wir die grundlegenden Mechanismen verstehen, können wir den Prozess aufhalten, und ein wichtiger Grund- es aggregiert – weil falsch gefaltet – und ist an einer Stelle in der Zelle konzentriert. Diese Zelle ist sehr krank, und die Zellfortsätze, mit denen sie mit anderen Nervenzellen kommunizieren kann, haben sich zurückgebildet oder sind abgestorben.“ Foto: MPI für Biochemie/Feng/ Hipp/ Hartl stein für die Entwicklung neuer Therapien wäre gelegt“, erklärt Hartl, Sprecher des Projektes. Für diesen Forschungsauftrag erhielten die Wissenschaftler im Dezember 2012 die höchste Forschungsförderung der Europäischen Union: den mit 13,9 Millionen Euro dotierten Synergy Grant des Europäischen Forschungsrates (ERC). Mittlerweile sind die damit finanzierten kooperierenden Forschungsgruppen aufgebaut. Das Neue an diesem interdisziplinären Projekt ist laut Hartl, dass Techniken kombiniert werden, die bisher nur einzeln oder überhaupt noch nicht eingesetzt wurden. „Es ist ungewöhnlich bei solch einem großen Forschungsprojekt, dass alle Gruppen vor Ort sind. Dies ermöglicht kurze Wege und auch die daran beteiligten Postdoktoranden oder Doktoranden können sich somit jederzeit sehr gut untereinander austauschen“, freut sich der Professor für Biochemie. Er hat vor mehr als 20 Jahren herausgefunden, wie aus neu gebildeten Eiweißfäden ein dreidimensionales, aktives Eiweißmolekül entsteht. Dieser Prozess wird Proteinfaltung genannt. Damit er geordnet ablaufen kann, bedarf es der Hilfe sogenannter Anstandsdamen oder molekula- rer Chaperone, wie besagte „Damen“ auf Englisch heißen. „Bereits beim ersten Schritt des Faltungsprozesses, wenn die Proteinketten noch unreif sind, stabilisieren die Chaperone die noch ungefaltete Eiweißkette und beschützen sie so vor Verklumpungen“, erklärt Hartl. Die Verklumpungen entstehen nämlich durch den Kontakt mit anderen Molekülen und sind für die Zelle toxisch. Im darauf folgenden Schritt schließen die Anstandsdamen den Eiweißkomplex für mehrere Sekunden in eine Art Käfig ein. „Wenn sie ihn wieder freilassen, hat er seine gefaltete Struktur erreicht“, sagt der mehrfach für seine Erforschung der Chaperone ausgezeichnete Wissenschaftler. „Wir möchten nun herausfinden, wann und auf welche Weise jene falsch gefalteten und somit verklumpten Eiweiße ihre toxische Wirkung in bestimmten Gehirnregionen und Nervenzellen entfalten.“ Eine These sei, dass sie die gesunden Eiweiße um sich herum mit in die Verklumpungen hineinziehen. Um herauszufinden, wie das abläuft, werden die schädlichen Proteinablagerungen genau untersucht. Möglich ist das dank der Erfindung von Professor Wolfgang Baumeis- ter, Direktor der Abteilung Molekulare Strukturbiologie am MPI für Biochemie, der Kryo-Elektronentomographie. Diese Technik half unter anderem bereits, den Aufbau der an der Proteinfaltung beteiligten Eiweiße aufzuklären und ermöglicht es, durch blitzartiges Schockgefrieren von gesamten Zellen oder einzelnen Bestandteilen die fragile Zellarchitektur zu erhalten. Die dreidimensionalen Strukturen der Zellen lassen sich so in sehr hoher Auflösung erkunden. Die Entstehung der Proteinablagerungen und die Frage, nach ihren Auswirkungen, erforschen die Wissenschaftler an Zell- und Mausmodellen menschlicher Krankheiten. Diese werden in der Abteilung Moleküle, Signale, Entwicklung am MPI für Neurobiologie von Professor Rüdiger Klein erzeugt. Mittels Massenspektrometrie – eine Methode der Proteomik, die versucht, sämtliche Proteine eines Organismus zu identifizieren und zu entschlüsseln, – werden in der Abteilung für Proteomics und Signal Transduktion von Professor Matthias Mann am MPI für Biochemie die entsprechenden toxischen Eiweiße in den Zell- und Mausmodellen identifiziert. Franziska Günther 03.07.2014 09:03:33