Das Eigene in der Fremde - Ruhr

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Das Eigene in der Fremde
Grenzüberschreitende Beziehungen
in der deutsch-französischen Kontaktzone des Saar-Mosel- Raumes
(1850-1914)
INAUGURALDISSERTATI0N
zur
Erlangung des Grades einer Doktorin der Philosophie
in der
FAKULTÄT FÜR GESCHICHTSWISSENSCHAFT
der
RUHR UNIVERSITÄT BOCHUM
vorgelegt
von
Katrin Martin
April 2008
Referent:
Prof. Dr. Klaus Tenfelde
Korreferent:
Prof. Dr. Regina Schulte
Tag der mündlichen Prüfung:
29.4.2008
Veröffentlicht mit Genehmigung der Fakultät für Geschichtswissenschaft
der Ruhr Universität Bochum
Inhaltsverzeichnis
Danksagung
8
1.
Einleitung
9
1.1.
Motivation und Zielsetzung
9
1.2.
Erläuterung des Gegenstandes
11
1.2.1. Der Saar-Mosel- Raum
11
1.2.2. Untersuchungsgegenstand: Grenzüberschreitende Beziehungen
15
1.2.3. Der Untersuchungszeitraum
17
1.3.
Forschungsfrage
19
1.4.
Methode
21
1.5.
Quellen
25
1.6.
Aufbau
29
1.7.
Forschungsrückblick
30
2.
Menschen und Grenzen
38
2.1.
Mensch und Territorium
38
2.2.
Ökonomische, sprachlich-kulturelle Grenzen und die Staatsgrenze 39
2.3.
Die Grenze zwischen Lothringen und der Saarregion vor 1871
42
2.3.1. Festlegung des endgültigen Grenzverlaufs von 1815-1829.
Die Verträge und deren praktische Umsetzung
42
2.3.2. Die sichtbare Grenze
45
2.3.3. Der Grenzübertritt. Die Vorschriften und die Realität
47
2.4.
2.5.
Die Verwaltung und die politische Grenze.
Behördliche Zusammenarbeit im Grenzraum
53
Die Grenze zwischen Lothringen und der Saarregion nach 1871
55
3.
Familie an der Grenze
58
3.1.
Die Familienformen und die Grenze
58
3.2.
Familiäre Verflechtungen im Grenzraum
60
3.2.1. Rechtliche Grundlage binationaler Eheschlieβungen
61
3.2.2. Überblick über die Intensität und den Anteil
grenzüberschreitender familiärer Verflechtungen
63
3.2.3. Die Grenzentfernung und der Anteil binationaler Ehen
66
3.2.4. Einfluss der Religionszugehörigkeit und der religiösen Praxis
auf das Heiratsverhalten
68
3.2.5. Binationale Ehen: Land- und Industrieregion im Vergleich
74
3.2.6. Einfluss des Beitritts Luxemburgs in den Deutschen Zollverein
auf das Heiratsverhalten
79
3.2.7. Einfluss des Deutsch-Französischen Krieges auf den Anteil
binationaler Ehen
84
3.2.8. Die binationalen Paare vor und nach dem Deutsch-Französischen
Krieg
90
3.3.
Zusammenfassung
94
4.
Arbeit im Grenzraum
96
4.1.
Die verschiedenen Arbeitsbereiche und die Staatsgrenze
96
4.1.1. Ackerbau
96
4.1.2. Legaler und illegaler Handel
98
4.1.3. Dienstleistung
102
4.1.4. Arbeiter und Arbeiterbauern
104
4.2.
Grenzen der Arbeiterbewegungen im saarländisch-lothringischen
Steinkohlenrevier
4.2.1. Arbeiterorganisationen vor 1889
107
107
4.2.2. Die Rechtsschutzvereine in Lothringen und an der Saar.
Anfänge der grenzüberschreitenden Organisation der Bergarbeiter 109
4.2.3. Das Ende der Rechtsschutzbewegung und Beginn der
Konfrontation zwischen sozialdemokratisch und christlich
orientierten Arbeitern
117
4.2.4. Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung.
Gescheiterte Organisation, aber erfolgreiche Einflussnahme im
lothringischen Steinkohlenrevier
119
4.2.5. Die christlichen Arbeiterorganisationen.
Ausdruck eines grenzüberschreitenden katholischen Milieus
122
4.2.6. Scheitern der grenzüberschreitenden gewerkschaftlichen
Organisation der Arbeiter
130
4.2.7. Die Arbeiterorganisationen und die nationale Grenze
131
4.3.
Solidarität, Sprachgrenzen und soziale Konflikte
135
4.4.
Zusammenfassung
137
5.
Freizeit im Grenzraum
140
5.1.
Vereinswesen vor 1871.
Grenzüberschreitende Begegnungen der bürgerlichen Schichten
140
Vereinswesen nach 1871
143
5.2.
5.2.1. Bürgerliche und katholische Vereinsverflechtungen.
Eine Zäsur zwischen Vor- und Nachkriegszeit
143
5.2.2. Die Kriegervereine ein Element der Integration im Kohlenrevier
147
5.3.
5.4
5.5.
Zwei nationale Konflikte – doppeltes Konfliktpotential.
Der Einfluss der Nähe Luxemburgs auf das Freizeitverhalten
151
Einfluss der Eliten auf die grenzüberschreitenden Verflechtungen
am Beispiel des Musikvereins Cäcilia Sierck
154
Auswirkung der politischen Ereignisse auf das Freizeitverhalten
156
5.5.1. Freizeit ohne Grenzen? Freizeit an der Grenze vor 1871
156
5.5.2. Zäsur oder alte Gewohnheiten? Das erste Jahrzehnt nach dem
Krieg
162
5.5.3. Der Weg der Normalisierung. 1880 bis 1904
165
5.5.4. Miteinander oder Konfrontation?
Die letzten zehn Jahre vor Beginn des Ersten Weltkrieges
166
5.6.
168
Zusammenfassung
6.
Kirche
171
6.1.
Transnationalität der Volksfrömmigkeit und religiösen Praxis
im Grenzraum
172
6.1.1. Die Trierer Wallfahrten von 1844 und 1891
173
6.1.2. Lokale Wallfahrten und Schutzpatrone
175
6.1.3. Grenzüberschreitende Pfarrbezirke
176
6.1.4. Grenzüberschreitende Verbindungen der Geistlichen vor 1871
179
6.1.5. Laizismus gegen Katholizismus. Konflikte in Lothringen und die
deutschen Nachbarn
181
6.2.
Die Katholiken im Grenzraum nach 1871.
Zwischen Nationalisierung und Transnationalität
184
6.2.1. Kulturkampf. Ein Konfessionskonflikt als nationaler und
sozialer Konflikt
184
6.2.2. Konfessionelle Konflikte in Lothringen. Von einem nationalen
Konflikt zu einem Konflikt zwischen Laizisten und Katholiken
193
6.2.3. Organisationsbestrebungen der Katholiken im Grenzraum.
Gemeinsam für die Wahrung der katholischen Interessen
und gemeinsam gegen die Sozialdemokratie (1890-1914)
198
6.2.4. Nationalisierung des Katholizismus.
Eine bedingte Konstante in Lothringen nach 1871
201
6.3.
205
Zusammenfassung
7.
Fazit und Ausblick
208
7.1.
Das Eigene in der Fremde.
Ausmaβ und Mechanismen der grenzüberschreitenden
Identifikation
208
7.2.
Die Nation. Ein imaginäres Identitätskonstrukt im Grenzraum
213
7.3.
Die inszenierte Grenze.
Der saarländisch-lothringische Grenzraum heute
217
8.
Quellen und Literaturverzeichnis
221
8.1.
Ungedruckte Quellen
221
8.2.
Periodische Publizistik
226
8.3.
Gedruckte Quellen und Literatur
229
9.
Abbildungsverzeichnis
260
10.
Abkürzungsverzeichnis
263
Danksagung
Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Klaus Tenfelde, dessen
Anmerkungen den Entstehungsprozess dieser Arbeit konstruktiv begleitet haben
und manchmal den entscheidenden Wink lieferten, die Zielsetzung der
Untersuchung in die richtige Richtung zu lenken. Ebenso bin ich Thomas Mergel
zu
Dank
verpflichtet,
dessen
kritische
Bemerkungen
an
den
ersten
Manuskriptfassungen den Anlass dazu gaben, die Forschungsergebnisse zu
überdenken und das Manuskript gründlich zu überarbeiten. Die Finanzierungen der
langen Archivaufenthalte in Frankreich waren nur durch die Stipendien des
Deutschen Historischen Institutes in Paris und des Deutschen Akademischen
Austauschdienstes möglich. Besonders dem Leiter des Historischen Institutes,
Werner Paravicini, sei an dieser Stelle für die mehrfache Verlängerung des
Stipendiums und die Möglichkeit, meine Thesen im Forschungskolloquium in Paris
vorzutragen, gedankt. Antje Ohms, Alice Schröder und Christoph Sacken sowie die
zahlreichen Freunde und Bekannten in Straßburg, Forbach und Sarreguemines
haben durch ihre Anregungen, Korrekturarbeiten und Beherbergungen einen
wichtigen Beitrag zur Entstehung dieser Arbeit geleistet. Für das „auf-andereGedanken-bringen“ danke ich Chris und Yannick Mathieu, die die Fertigstellung
des Manuskriptes intensiv begleitet haben.
Widmen möchte ich diese Arbeit meinen Eltern, die meine Forschungsarbeiten
lange Jahre unterstützt haben.
8
1.
Einleitung
1.1.
Motivation und Zielsetzung
„In Vielfalt geeint“. Dieser offizielle Leitspruch der Europäischen Union fasst in
wenigen Worten die Komplexität des Projektes „Vereintes Europa“ zusammen: Die
souveränen Mitgliedsstaaten geben zur Verwirklichung gemeinsamer Ziele
Zuständigkeiten an die Institutionen der Europäischen Union ab.1 Der Leitgedanke
„In Vielfalt geeint“ berührt jedoch nicht nur diese Makroebene, sondern auch die
Mikroebene des europäischen Einigungsprozesses: Die vorherrschende Frage ist
dabei, wie der EU-Bürger „in Vielfalt geeint“ lebt, beziehungsweise, inwieweit der
leitende Gedanke der EU auf dieser Ebene bisher realisiert werden konnte. Die
Grenzräume
sind
im
Hinblick
auf
diese
Fragen
ein
geeignetes
Untersuchungsobjekt, da für die Menschen an der Grenze das Leben „in Vielfalt
geeint“ eine alltägliche Erfahrung ist oder zumindest sein sollte. Zahlreiche
Forschungsarbeiten versuchen daher, die Fortschritte, aber auch die Rückschritte
der
gegenwärtigen
Integrationsprozesse
in
verschiedenen
Grenzregionen
aufzuzeigen.2 Ein großer Teil der Untersuchungen betrachtet diese Problematik
1
Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften (Hrsg.): Vertrag über
eine Verfassung für Europa, Luxemburg 2005, 19 (Teil I, Titel I „Definition und Ziele der
Union“, Artikel I-8 „Die Symbole der Union“).
2
Siehe unter anderem zur Grenzregion Saar-Lor-Lux: Gaunard, Marie-France: Le
Développement des Eurorégions en Europe occidentale et médiane, in: Frontières (?) en
Europe occidentale et médiane de l'Antiquité à 'an 2000. Actes du collque de L'association
Interuniversitaire de l'Est tenu à l'Université de Metz 9-10 décembre 1999, (Textes réunis et
présententés par) Jeanne-Marie Demarolle, Metz 2001, 477-488; Brücher, Wolfgang;
Dörrenbächer, H. Peter: Grenzüberschreitende Beziehungen zwischen dem Saarland und
Lothringen - Ausdruck einer Mischkultur?, in: Grenzkultur - Mischkultur?, (Hrsg.) Roland
Marti, Saarbrücken 2000, 17-34; Leinen, Jo (Hrsg.): Saar-Lor-Lux eine Euroregion mit
Zukunft?, St. Ingbert 2001; Feite, Jean-Claude: Du Texas lorrain à l´Eldorado
luxembourgeois: entreprises multinationale et institutions européennes dans la reconversion
du bassin transfrontalier lorrain, Longwy 2000. Groß, Bernd: SaarLorLux von A bis Z :
Handbuch für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Großregion, Baden-Baden
2006. Siehe allgemein zum europäischen Integrationsprozess: Weidenfeld, Werner; Wessels,
Wolfgang (Hrsg.): Europa von A bis Z: Taschenbuch der europäischen Integration, BadenBaden 2007. Werner Weidenfeld und Wolfgang Wessels geben ebenfalls das Jahrbuch zur
Europäischen Integration heraus.
9
auch aus historischer Perspektive, um eine Erklärung für Integrationstendenzen
oder ein Ausbleiben derselben liefern zu können: So wurden beispielsweise von
einigen Wissenschaftlern die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges als mögliche
Ursache für fehlende Integration betrachtet,3 wohingegen andere Untersuchungen
die Bedeutung der gemeinsam erlebten Vergangenheit als integratives Element im
Grenzraum
herausheben.4
Ebenso
bedienen
sich
die
politischen
Entscheidungsträger historischer Zusammenhänge, zumeist um die Homogenität
einer Grenzregion durch vermeintlich historisch gewachsene Verknüpfungen zu
begründen.5 Verweise auf historische Forschungsarbeiten, die diese Thesen
verifizieren, fehlen jedoch, da Untersuchungen, die sich umfassend mit
vergangenen
Integrations-
und
Segregationsprozessen
in
Grenzräumen
beschäftigen, bisher noch nicht existieren. Absicht dieser Arbeit ist es daher, der
aktuellen Debatte über die europäische Integration durch eine Analyse vergangener
Integrations- und Segregationsmechanismen die fehlende historische Grundlage zu
liefern.6
Die Zielsetzung dieser Untersuchung wird von einer essentiellen Überlegung
bestimmt, die Georg Simmel treffend formuliert hat: „Die Grenze ist nicht eine
3
4
Ramm, Michel: Saarländer im grenznahen Lothringen. Invasion oder Integration?, in:
Geographische Rundschau, 51 (1999) 110-115; Ahrberg, Simone: Französisch-deutsche
Grenzregion: Grenzwahrnehmung von Jugendlichen, in: Nationale Grenzen in Europa, (Hrsg.)
Christian Banse, Holk Stobbe, Frankfurt a. M. 2004, 97-115.
Quasten, Heinz; Soyez, Dietrich: Zur Pflege des industriekulturellen Erbes im Saar-Lor-LuxRaum. Problematik und Perspektiven, in: Probleme von Grenzregionen: Das Beispiel SAARLOR-LUX-Raum. Beiträge zum Forschungsschwerpunkt der Philosophischen Fakultät der
Universität des Saarlandes, (Hrsg.) Wolfgang Brücher, Peter Robert Franke, Saarbrücken
1987, 123-144; Kilp, Andreas: Regionale Identität in einem grenzüberschreitenden Raum. Die
Wahrnehmung des Saar-Lor-Lux-Raumes durch lothringische Industriearbeiter in
saarländischen Betrieben, Saarbrücken 1998.
5
So lautet ein Teil der Grundsatzerklärung des 1. Gipfels der Großregion Saar-Lor-Lux in Bad
Mondorf am 20. September 1995: „Über ein Jahrtausend - bis in das einstige Zwischenreich
Lotharingia - reichen die gemeinsamen kulturellen Wurzeln zurück. Während der
Hochindustrialisierung formte sich der betreffende Raum zu einem zusammenhängenden
Wirtschaftsgebiet. An diese Tradition knüpft seit einigen Jahrzehnten die Zusammenarbeit in
der
„Saar-Lor-Lux“-Region
im
Zeichen
der
Europa-Idee
an.“
(http://www.grossregion.net/de/files/1er_sommet-de.doc).
6
Kritisch setzt sich
Jean-Paul Lehners mit der historischen Legitimation aktueller
Raumkonstruktionen auseinander. Lehners, Jean-Paul: Zur historischen Legitimation einer
Raumkonstruktion: Die europäische Großregion Saar-Lor-Lux, in: Westfälische Forschungen,
46 (1996) 259-274.
10
räumliche Tatsache mit soziologischen Wirkungen, sondern eine soziologische
Tatsache, die sich räumlich formt.“7 Diese Forschungsarbeit ist auf diese
„soziologischen Tatsachen“ ausgerichtet, das heißt auf die Mechanismen, welche
für die Segregations- und Integrationsprozesse verantwortlich sind.8 Eine
Staatsgrenze wird somit als ein erdachtes trennendes Konzept verstanden, als eine
Idee, die erst als konkrete Trennungslinie realisiert werden muss. Umgekehrt kann
eine „Grenze“ also auch dort manifest werden, wo keine Staatsgrenze existiert. Das
Bestreben dieser Untersuchung ist es, den Vorgang der Manifestation
beziehungsweise Nichtmanifestation von Grenzen als Trennungslinien offen zu
legen und die Gründe für derartige Entwicklungen zu benennen. Diese
Forschungsarbeit wird von der Idee geleitet, dass hinter dem Vorgang der
Grenzziehung oder des Grenzenabbauens Menschen stehen, durch deren Verhalten
eine Staatsgrenze erst gelebte oder überholte Realität wird. Sicherlich ist es der
Staat, der formell seine Begrenzung definiert, jedoch sind es die Menschen, durch
die diese Definition alltäglich gelebt wird und die sie so erst zur „Tat-Sache“
machen. In der vorliegenden Arbeit rücken somit die Menschen, ihr Leben und ihr
Alltag in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses.
1.2.
Erläuterung des Gegenstandes
1.2.1.
Der Saar-Mosel- Raum
Als Untersuchungsraum wurde der Saar-Mosel-Raum ausgewählt.9 Zum einen
lenkt die Zielsetzung dieser Arbeit den Blick auf den jetzigen saarländischlothringischen Grenzraum. Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 hatte eine
7
Simmel, Georg: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, Berlin
1983, 467 (6. Aufl.) (1. Aufl. 1908).
8
Im Gegensatz zum Geodeterminismus, der annimmt, dass die Raumstrukturen des
menschlichen Lebens durch die Naturkräfte des Erdraumes bestimmt sind, stellt dieser Ansatz
somit die gestaltende Kraft der Menschen auf Räume in den Vordergrund.
9
Siehe: Abbildung 1.
11
Verschiebung der deutsch-französischen Grenze nach Süden zur Folge: Ein Teil
Lothringens, fast deckungsgleich mit dem heutigen Departement Moselle, bildete
von 1871 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zusammen mit dem Elsass das
Reichsland Elsass-Lothringen und war als Solches Teil des Deutschen Reiches.
Grenzbildende Prozesse können so vor und nach dem Wegfall der Staatsgrenze
untersucht werden. Zum anderen rückt mit den aktuellen Diskussionen um ein
’Europa der Regionen’ die saarländisch-lothringische Grenzzone in den
Mittelpunkt des Interesses. Als Bestandteil der Region Saar-Lor-Lux wird diese als
Modellregion grenzüberschreitender Zusammenarbeit und Integration betrachtet,
sodass diese Arbeit Vergleichsmöglichkeiten zu aktuellen Ergebnissen eröffnet.10
Es existiert keine
einheitliche
Definition von ‚Grenzzonen’ oder
‚Grenzräumen’. Innerhalb der Europäischen Union werden die Grenzzonen in den
einzelnen Steuerabkommen für Grenzgänger definiert. So legt das bilaterale
Doppelbesteuerungsabkommen
zwischen
Frankreich
und
Deutschland
eine
Grenzzone von 30 km beiderseits der Grenze fest.11 Da im Mittelpunkt dieser
Arbeit die Grenzraumbewohner stehen, ist die Festlegung eines starren
Untersuchungsgebietes nicht sinnvoll.12 Der hier berücksichtigte geographische
Raum wird deswegen vom Aktionsradius der Grenzraumbewohner abhängig
gemacht, also flexibel gehalten. Mit dem Großraum um die Städte Saarbrücken (D)
und Forbach (F) und dem Gebiet um Sierck (F) und Perl (D) werden lediglich zwei
Ausgangspunkte der Untersuchung festgelegt. Die Flexibilität des untersuchten
Gebietes bedingt, dass auch der luxemburgische Raum in die Analyse mit
einbezogen
wird.
Einige
Entwicklungstendenzen
innerhalb
der
10
Siehe unter anderem: Groß, Bernd; Schmitt-Egner, Peter: Europas kooperierende Regionen.
Rahmenbedingungen und Praxis transnationaler Zusammenarbeit deutscher Grenzregionen in
Europa, Baden-Baden 1994, 109ff; Raich, Silvia: Grenzüberschreitende und interregionale
Zusammenarbeit, Baden-Baden 1995, 135ff. Hudemann, Rainer: Saar-Lor-Lux : Vernetzung
in einer europäischen Kernzone, in: Magazin Forschung/ Universität des Saarlandes, 1 (2003)
10-17. Schneider, Karl: Saar-Lor-Lux-Kooperation, in: Statistik-Journal. Statistische
Quartalshefte Saarland, 1 (2006) 35-38.
11
Nach dem bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen vom: 21.7.1959. Bundesgesetzblatt
1961 II, 397.
Der Begriff „Grenzraumbewohner“ bezieht sich auf Grenzraumbewohner beider
Geschlechter.
12
12
grenzüberschreitenden Beziehungen sind durch die Nähe zur luxemburgischen
Grenze erklärbar.
Luxemburg
Perl
Sierck
Thionville
Saarbrücken
Forbach
Metz
Sarreguemines
Abbildung 1: Der saarländisch-lothringische Grenzraum
Neben der differenten Wirtschafts- und Einwohnerstruktur und der direkten
Nachbarschaft zu Luxemburg, unterscheidet sich das Gebiet Sierck/Perl vom
Großraum Saarbrücken/Forbach durch die späte Festlegung seines endgültigen
Grenzverlaufes
im
Jahr
1829.13
Eine
Gegenüberstellung
der
Untersuchungsergebnisse beider Raumeinheiten ermöglicht es, die Zielsetzung der
13
Zweisprachiger Abdruck der definitiven Übereinkunft zwischen Preuβen und Frankreich vom
23.10.1829. Gesetzsammlung für die Königlich-Preuβischen Staaten, 1830, Nr. 6, 26-45.
13
Arbeit, grenzbildende und integrative Mechanismen offen zu legen effizient zu
erfüllen.
Das Gebiet um Sierck und Perl befindet sich im Dreiländereck Frankreich,
Deutschland und Luxemburg. Vor der Annexion Lothringens war der Stadtbezirk
(Canton) Sierck Teil des Arrondissements Thionville, beziehungsweise des
Département de la Moselle. Seit 1871 gehörte Sierck zum Kreis Thionville und war
Teil des Bezirkes Lothringen.14 Die Grenzen des Stadtbezirkes Sierck waren vor
und nach der Annexion identisch. Perl gehörte zum Regierungsbezirk Trier und
war Teil der preußischen Rheinprovinz.
Östlich vom Siercker Raum, in Nachbarschaft zur bayerischen Pfalz, liegt
der Großraum Saarbrücken/Forbach. Wie der Perler Raum war das Gebiet um
Saarbrücken Teil des Regierungsbezirkes Trier, beziehungsweise der preußischen
Rheinprovinz. Forbach gehörte vor 1871 zum Arrondissement Sarreguemines im
Departement Moselle. Nach der Annexion 1871 wurde das ehemalige
Arrondissement Sarreguemines in die Kreise Forbach und Sarreguemines aufgeteilt
und dem Bezirk Lothringen untergeordnet. Die Grenzen des Stadtbezirkes Forbach
blieben hingegen vor und nach 1871 unverändert.
Der Raum um Perl/Sierck war von der Landwirtschaft, dem Weinanbau und
der Keramikindustrie geprägt und grenzte an das große eisenindustrielle Zentrum
westlich von Thionville. Dörfer und kleine Städte bestimmten somit das
Landschaftsbild dieses Gebietes. In der Gegend um Forbach/Saarbrücken
dominierten der Bergbau und die Eisenverarbeitung die Wirtschaftsstruktur. Der
Bergbau hatte auf preußischem Gebiet des Grenzraumes bereits eine längere
Tradition, als auf lothringischem Gebiet 1856 der Schacht Saint Charles in PetiteRosselle regulär in Betrieb genommen wurde. Die Inbetriebnahme der Zeche Saint
Charles und die fast zeitgleiche Gründung der Stiringer Hüttenwerke - beide im
Besitz der Familie de Wendel - führten zu einem raschen Anstieg der Bevölkerung
14
Der deutsche Name ist Diedenhofen. In der vorliegenden Arbeit werden durchgehend die
landesüblichen Ortsnamen verwendet. Lediglich bei Quellenzitaten werden die dort
verwendeten Ortsbezeichnungen übernommen und in den Anmerkungen auf deren
landesüblichen Bezeichnung hingewiesen.
14
auf lothringischer Seite. Die industrielle Entwicklung und der damit verbundene
Bevölkerungsanstieg sprengten die dörflichen und kleinstädtischen Strukturen und
ließen
den
Groβraum
um
Saarbrücken/Forbach
zu
einem
industriellen
Ballungszentrum zusammenwachsen. Das Gebiet um Sierck wie auch jenes um
Forbach gehörte zum deutschsprachigen Teil Lothringens.
1.2.2.
Untersuchungsgegenstand: Grenzüberschreitende Beziehungen
Grundsätzlich
sind
alle
über
Staatsgrenzen
verlaufenden
Verknüpfungen
grenzüberschreitende Beziehungen.15 Diese Verflechtungen lassen sich auf zwei
Ebenen nachweisen: Auf struktureller Ebene, beispielsweise in der Form
wirtschaftsstruktureller
grenzüberschreitender
Verflechtungen
Beziehungen
der
und
auf
der
ortsansässigen
Ebene
individueller
Bevölkerung.
Die
strukturellen Verflechtungen sind in gewissem Maße Voraussetzung für die zweite
Ebene der grenzüberschreitenden Beziehungen, zumindest stehen diese in einem
Zusammenhang – ohne eine grenzüberschreitende Infrastruktur gäbe es vermutlich
weniger grenzüberschreitende Kontakte der Bewohner. Im Hinblick auf diese
Wechselwirkung sind die Strukturzusammenhänge zu beachten. Mit der
Zielsetzung der Untersuchung rücken jedoch die Menschen in den Mittelpunkt des
Forschungsinteresses, sodass die individuellen Kontakte über die Grenze im
Zentrum der Analyse stehen.
15
Siehe u. a.: Becker-Marx, Kurt; Brücher, Wolfgang: Räumliche Verflechtungen über die
Grenzen der Bundesrepublik, in: Verhandlungen des deutschen Geographentages, 43 (1981)
321-322; Brücher, Wolfgang; Quasten, Heinz: Grenzüberschreitende Verflechtungen in
Europa. Einführung, in: Verhandlungen des deutschen Geographentages, 45 (1985) 312;
Brücher, Wolfgang; Dörrenbächer, H. Peter: Grenzüberschreitende Beziehungen zwischen
dem Saarland und Lothringen - Ausdruck einer Mischkultur?, in: Grenzkultur - Mischkultur?,
(Hrsg.) Roland Marti, Saarbrücken 2000, 17-34; Brücher, Wolfgang: Einführung in die
Fachsitzung. "Räumliche Verflechtungen über die Grenzen der Bundesrepublik", in:
Verhandlungen des deutschen Geographentages, 43 (1981) 321-322; Gehring, Jean Marie:
Développement industriel en espace transfrontalier: L´example de Saar-Lor-Lux, in: Mosella,
17 (1987) 43-56; Gräf, Peter: Funktionale Verflechtungen im deutsch-österreichischen
Grenzraum - Grundlagen und mögliche Auswirkungen -, in: Verhandlungen des deutschen
Geographentages, 43 (1981) 330-334.
15
Die individuellen grenzüberschreitenden Verflechtungen lassen sich in
passive und aktive Beziehungen unterteilen. Passive grenzüberschreitende
Beziehungen sind alle Verknüpfungen, die ohne aktive Grenzüberschreitung
existent sind. Dies können im Nachbarland lebende Verwandte, Bekannte und
Freunde, aber auch der Nachrichtenaustausch, beispielsweise über das Medium
Zeitung, sein. Die aktiven Beziehungen beschreiben die real vollzogenen
Grenzübertritte.16
In
dieser
Arbeit
werden
beide
Formen
individueller
grenzüberschreitender Verflechtungen berücksichtigt.
Luxemburg
Preuβen
Saarbrücken
Bayern
Metz
Lothringen
Grenze Deutsche Staaten / Frankreich 1815
Grenze Deutsches Reich / Frankreich 1871
Abbildung 2: Die Staatsgrenze 1815 und 1871
16
Zu dieser Einteilung siehe: Gramm, Michael: Das belgisch-niederländisch-deutsche
Dreiländereck. Wechselseitige grenzüberschreitende Beziehungen und regionalgeographische
Kenntnisse bei Schulkindern, München 1978; Maier, Jörg; Kolb, Hans; Lein, Jürgen; u. a.:
Raumstrukturen, aktionsräumliche Verhaltensmuster und Bewertungen an einer partiell
offenen Grenze - Das nordostbayerische Beispiel -, in: Verhandlungen des deutschen
Geographentages, 43 (1981) 334-338.
16
Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die, nach dem 2. Pariser Frieden und im Oktober
1829 endgültig festgelegte Grenze zwischen Preußen, Bayern und Frankreich,
welche mit der heutigen Staatsgrenze zwischen Frankreich und Deutschland
identisch ist. Dem preuβischen Königreich wurde durch die staatliche Neuordnung
mit Saarbrücken, Saarlouis und Ottweiler der Hauptteil des heutigen Saarlandes
zugewiesen. 1834 erweiterte Preuβen durch den Ankauf des sachsen-coburgischen
Fürstentums Lichtenberg nochmals sein Herrschaftsgebiet. Der östliche Teil des
Saarlandes wurde dem Königreich Bayern zugesprochen; das Groβherzogtum
Oldenburg und das Herzogtum Sachsen-Coburg teilten sich ein kleines Gebiet im
Nordosten des Saarlandes.17 Trotz der Verschiebung der Staatsgrenze im Jahr 1871,
wird im Folgenden durchgängig von „grenzüberschreitenden Beziehungen“ und
von „der Grenze“ oder „nationaler Grenze“ gesprochen.
1.2.3.
Der Untersuchungszeitraum
Die revolutionären Ereignisse in Deutschland und Frankreich in den Jahren
1848/49, das zweite Kaiserreich in Frankreich und der Beginn des Ersten
Weltkrieges
sind
die
weltpolitischen
Ereignisse,
welche
den
Untersuchungszeitraum bestimmen. Da der ausgewählte Untersuchungszeitraum
die Schlussphase des Entstehungsprozesses der (europäischen) Nationalstaaten
repräsentiert, bietet sich die zeitliche Begrenzung auch mit Blick auf die
Zielsetzung dieser Arbeit an.
Neben den bisher genannten Rahmendaten prägten noch andere politische
Ereignisse den Untersuchungszeitraum. In den 1850er Jahren waren der Krimkrieg
und
der
sardinisch-französische
Krieg
gegen
Österreich
für
die
Grenzraumbewohner bedeutende Ereignisse - die Siege von Sewastropol und
Solferino wurden in Lothringen ausgelassen gefeiert. Eine wirkliche Zäsur im
17
Herrmann, Hans-Walter: Saarland – Grenzland, in: Grenzenlos. Lebenswelten in der deutschfranzösischen Region an Saar und Mosel seit 1840, (Hrsg.) Historisches Museum Saar,
Saarbrücken 1998, 47ff.
17
Leben der Menschen an der Grenze stellte jedoch erst der Deutsch-Französische
Krieg 1870/71 dar, während dem der Grenzraum selbst zum Kriegsschauplatz
wurde. Schlachten wie die um die Spicherer Höhen blieben den Bewohnern noch
lange in Erinnerung. Frankreich verlor den Krieg gegen die deutschen Staaten und
musste das Departement Moselle und das Elsass an das Deutsche Reich abtreten.
Die ersten Jahre der Annexion waren geprägt vom offenen Protest der
lothringischen Bevölkerung gegen die Angliederung an das Deutsche Reich. Erst
ab 1890 war eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen den Einheimischen und
den neuen Machthabern festzustellen. In den letzten zehn Jahren vor dem Ausbruch
des Ersten Weltkrieges äuβerte sich, gefördert durch das Reichsvereinsgesetz,
wieder ein „neuer“ pro-französischer Patriotismus in Elsass-Lothringen.18 Die
Analyse strebt eine Gegenüberstellung von Vor- und Nachkriegszeit an, ohne
jedoch die anderen genannten Ereignisse unberücksichtigt zu lassen. Mit der
Gegenüberstellung der Phase vor und nach 1870 wird herausgearbeitet, welche
Wirkung der Krieg und der Wegfall der Staatsgrenze auf die grenzüberschreitenden
Beziehungen hatten.
In einigen Kapiteln wird auch der Zeitraum vor 1850 mit einbezogen, um
mögliche Mechanismen der Integration und Segregation deutlicher herausarbeiten
zu können. Im Kapitel Familie wird so beispielsweise der Effekt der
Industrialisierung auf die grenzüberschreitenden Beziehungen und der Einfluss des
Beitritts Luxemburgs in den Deutschen Zollverein 1842 auf die Dichte der
grenzüberschreitenden Familienverflechtungen in den 1850er Jahren nachgewiesen.
18
Zur Phaseneinteilung siehe: Roth, François: La Lorraine annexée. Étude sur la Présidence de
Lorraine dans l'Empire allemand (1870-1918), Nancy 1976.
18
1.3.
Forschungsfrage
Die Nationalismusforschung hat herausgearbeitet, dass das Andere in der Form
einer feindlichen Nation ein konstitutives Element des Nationsbildungsprozesses
ist.19 Auch die Kulturanthropologie kommt zu ähnlichen Ergebnissen, indem sie die
Formierung der Nationen als einen territorialen Abgrenzungsprozess betrachtet, bei
dem der Abgrenzung „zum Anderen“ eine entscheidende Rolle zukommt.20 Jeder
Mensch steckt zur Befriedigung seiner Basisbedürfnisse nach Sicherheit und
Identität
einen
bestimmten
Raum,
ein
bestimmtes
Territorium,
ab.
Grenzziehungsprozesse sind so gesehen etwas grundsätzlich „Natürliches“.21 Jede
Erweiterung des Identifikationsraumes hat dabei auch eine Erweiterung des
„Fremd-Territoriums“ zur Folge, so kann das Verhältnis zwischen Dörfern, wie
auch Nationen unter diesem Freund-Feind beziehungsweise Eigene-FremdeSchema betrachtet werden.22
Wenn eine Wechselwirkung zwischen der Formung des Eigenen und dem
Bild vom Anderen im Nationsbildungsprozess besteht, inwiefern äußert sich dieser
Differenzierungsprozess in Grenzregionen wie dem Saar-Mosel- Raum? Oder hat
die nationale Definition des Eigenen und Fremden neben einem regionalen
19
20
Linda Colley und Michael Jeismann betonen, dass die Abgrenzung gegenüber einer
feindlichen Nation ein konstitutiver Bestandteil des Nationsbildungsprozesses war. Diese
These wird in der Untersuchung Robert Neisens modifiziert und differenziert, in dem er
nachweist, dass die Wechselwirkung zwischen nationaler Identität und externer Alterität auch
in umgekehrter Richtung erfolgen kann, indem die nationale Identität das Bild des Anderen
formt. Colley, Linda: Britons: forging the Nation. 1707-1837, New Haven, Connecticut,
U.S.A 1992. Jeismann, Michael: Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen
Feindbegriff und Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792-1918, Stuttgart 1992.
Neisen, Robert: Feindbild, Vorbild, Wunschbild. Eine Untersuchung zum Verhältnis von
britischer Identität und französischer Alterität 1814-1860, Würzburg 2004. Zur
Wechselwirkung zwischen Alteritäten und Identitäten siehe auch die Aufsatzsammlung:
Einfalt, Michael; Jurt, Joseph; Pelzer, Erich; Mollenhauer, Daniel (Hrsg.): Konstrukte
nationaler Identität: Deutschland, Frankreich, Großbritannien (19. und 20. Jahrhundert),
Würzburg 2002.
Greverus, Ina-Maria: Grenzen und Kontakte. Zur Territorialität des Menschen, in: Kontakte
und Grenzen. Probleme der Volks-, Kultur- und Sozialforschung. FS für Gerhard Heilfurth
zum 60. Geburtstag, Göttingen 1964, 22.
21
Ardrey, Robert: The Territorial Imperative. A Personal Inquiry intro the Animal Origins of
Property and Nations, New York 1966.
22
Greverus, Grenzen, 22.
19
territorialen Abgrenzungsprozess - einer transnationalen Definition des Eigenen
und Fremden - keine Bedeutung?
Die Ergebnisse sozialanthropologischer, sozialwissenschaftlicher wie auch
historischer Forschung zeigen, dass eine Beziehung zwischen dem menschlichen
Handlungsraum und dem Identifikationsraum besteht.23 So hat Fernand Braudel
nachgewiesen, dass der Identifikationsraum von der Interaktion der Bewohner im
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich bestimmt wird.24 In Anlehnung
an die Überlegungen Braudels wird in dieser Arbeit das Eigene und Fremde durch
die Handlungsräume der Grenzraumbewohner definiert. Die grenzüberschreitenden
Beziehungen geben an, in welchem Umfang die Grenzraumbewohner ihren
Identifikationsraum über die Staatsgrenze hinaus ausdehnten.
Mit dem Blick auf eine Grenzregion wird die Frage nach dem Einfluss der
nationalen Grenze auf den Identifikationsraum in einem regional begrenzten Gebiet
untersucht. Vorteil ist, dass diese Frage anhand einer Analyse der Handlungsräume
beziehungsweise Aktionsräume der Grenzraumbewohner beantwortet werden kann
und so die schwer zu beantwortende Frage nach einer Wahrnehmung des Eigenen
und Fremden umgeht. Nachteil ist, dass es in einigen Fällen unmöglich ist zu
unterscheiden, ob ein bestimmtes Phänomen die Grenze zwischen dem Eigenen
und Fremden auf dörflicher oder nationaler Ebene beschreibt. Hatten die
regelmäβigen
Schlägereien
zwischen
Habkirchener
Jugendlichen
und
lothringischen Sarregueminern beim Annafest in Habkirchen einen „nationalen“
Hintergrund, oder waren diese lediglich „normale“ Dorfschlägerein, wie sie auch
23
24
Die Sozialanthropologie hat sich mit dem Heimatphänomen beschäftigt. „Heimat“ wird hier
als Satisfaktionsraum bezeichnet, der sich aus dem Schutzraum, Aktionsraum und
Identifikationsraum eines Menschen zusammensetzt. Greverus, Ina-Maria: Der territoriale
Mensch. Ein literaturanthropologischer Versuch zum Heimatphänomen, Frankfurt a. M. 1972.
Die Sozialwissenschaften beschäftigen sich mit der Untersuchung von transnationalen
sozialen Räumen. Die Überlegungen dieser Forschungsrichtung, die auf die Ergebnisse der
Netzwerkforschung aufbaut, können auf die Untersuchung von grenzüberschreitenden
Identifikationsräumen übertragen werden. Pries, Ludger: The approach of transnational social
spaces. Responding to new configuration of the social and the spatial, in: New Transnational
Social Spaces. International migration and transnational companies in the early twenty-first
century, (Hrsg.) ders., London, New York, 3-33.
Braudel, Fernand: Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts, Bd. 3: Die Weltwirtschaft,
München 1985, 308-313; Braudel, Fernand: Frankreich Bd.1: Raum und Geschichte, Stuttgart
1989, 63-95.
20
unter lothringischen und preuβischen Jugendlichen stattfanden?25 Die Anzahl der
Fälle unklarer Zuordnung sind jedoch gering, sodass die Vorteile einer
Handlungsraumanalyse überwiegen.
Die Untersuchung wird aufzeigen, dass im Grenzraum ein imaginäres, durch
die nationale Grenze definiertes Identitätskonstrukt neben einem gelebten
transnationalen Identifikationsraum existierte. These ist, dass eine externe Alterität
ein konstitutives Element in der Formierung eines transnationalen Eigenen
darstellt, sich der Prozess der Formung eines transnationalen und nationalen
Eigenen demnach ähnelt.
1.4.
Methode
Netzwerke als „eine durch Beziehungen […] bestimmten Typs verbundene Menge
von sozialen Einheiten wie Personen, Positionen, Organisationen“26, sind soziale
Strukturbildungen, die sich nationalstaatlichen Einteilungen entziehen.27 Die
Netzwerkanalyse ist daher das ideale Instrumentarium zur Untersuchung
grenzüberschreitender Identifikationsräume.
Quantität
und
Qualität
der,
die
sozialen
Einheiten
verbindenden
Beziehungen bestimmen die Dichte eines Netzwerkes.28 Aufbauend auf diese
Definition der Netzwerkforschung wird die Intensität des grenzüberschreitenden
Identifikationsraumes
anhand
einer
Analyse
qualitativ
unterschiedlicher
grenzüberschreitender Beziehungen bestimmt. Entscheidend für die Validität der
25
Zum Annafest: Saarbrücker Zeitung 30.7.1901; Schlägerei unter lothringischen Jugendlichen:
Forbacher Zeitung, 7.4.1881.
26
Pappi, Franz Urban: Die Netzwerkanalyse aus soziologischer Sicht, in: Techniken der
empirischen Sozialforschung (Bd. 1: Methoden der Netzwerkanalyse), (Hrsg.) Franz Urban
Pappi, München 1987, 13; Esser, Hartmut: Soziologie. Spezielle Grundlagen (Bd. 4:
Opportunitäten und Restriktionen), Frankfurt a. M. 2000, 173.
27
Bommes, Michael: Migration, Raum und Netzwerke. Über den Bedarf einer
gesellschaftstheoretischen
Einbettung
der
transnationalen
Migrationsforschung,
Migrationsforschung und interkulturelle Studien, in: Zehn Jahre IMIS, (Hrsg.) Jochen Oltmer,
Osnabrück 2002, 92, 91-105.
28
Esser, Soziologie, 174f.
21
Ergebnisse ist die qualitative Vielfalt der untersuchten Beziehungsgeflechte. Ein
alleiniges Messen der Quantität der Verknüpfungen ist zur Bestimmung der
Intensität der Verflechtungen zweier sozialer Gebilde nicht ausreichend.
Schließlich würde man auch nicht behaupten, dass der tägliche Kontakt mit den
Arbeitskollegen eine intensivere Verbindung darstellt als der sporadische Kontakt
zu den Eltern, die man vielleicht nur zweimal im Jahr zu Weihnachten und zum
Geburtstag sieht.
Der Soziologe Mark S. Granovetter klassifiziert die grenzüberschreitenden
Beziehungen als starke oder schwache Beziehungen, die sich hinsichtlich
Zeitaufwand, emotionaler Intensität, Intimität und dem Ausmaß gegenseitiger
Dienste
voneinander
Arbeitskontakte
und
unterscheiden.29
Nach
Konsumbeziehungen
dieser
schwache
Definition
sind
Beziehungen.
reine
Starke
Beziehungen sind demgegenüber Verflechtungen im Bereich Familie und Freizeit
sowie
Verbindungen
auf
kirchlicher
Ebene.
Durch
Arbeits-
und
Einkaufsbeziehungen entstandene, räumliche grenzüberschreitende Verflechtungen
stellen keine affektive Verbindung dar. Eine emotionale Bindung zu einem Raum
entsteht lediglich durch starke Beziehungen.30
Starke und Schwache Beziehungen beschreiben ausschließlich positive
Verbindungen. Um jedoch die Forschungsfrage adäquat zu beantworten, werden
auch negative grenzüberschreitende Kontakte als Zeichen der Segregation
untersucht, wie beispielsweise Konflikte zwischen den Grenzraumbewohnern.
Die Analyse der grenzüberschreitenden Beziehungen in den einzelnen
Lebensbereichen,
basierend
auf
der
Aktionsraumtheorie,
garantiert
eine
systematische Analyse der Alltagsbeziehungen.31 Nach dieser Theorie der
Sozialgeographie steckt jedes Individuum im geographischen Raum einen
29
30
31
Granovetter, Mark S.: The Strength of Weak Ties, in: American Journal of Sociology, 78
(1972/73) 1360-1380.
Fichtner, Uwe: Aktionsraum und Regionalbewusstsein, untersucht im Grenzgebiet zwischen
Deutschland, Frankreich und der Schweiz, in: Verhandlungen des deutschen
Geographentages, 46 (1987) 201-206.
Die Begriffe „Lebensraum“ und „Aktionsraum“ werden in der Literatur deckungsgleich
angewandt. Da der Terminus „Lebensraum“ durch dessen Verwendung zur Zeit des
Nationalsozialismus inhaltlich vorbelastet ist, wird hier der Begriff „Aktionsraum“ bevorzugt.
22
Aktionsraum ab, einen gegenwärtigen Handlungsraum zur Erfüllung seiner
Daseinsgrundfunktionen. Fünf Lebensbereiche definieren den Aktionsradius eines
Menschen: Der Konsumbereich, der Bereich der Freizeitgestaltung, der
Bildungssektor sowie die Lebensbereiche Arbeit und Wohnen.32 Da die Religiosität
im 19. und 20. Jahrhundert ein wichtiger Bestandteil des täglichen Lebens war,
wird das Schema für diese Untersuchung um den Lebensbereich Kirche ergänzt.33
Kirche
Bildung
Versorgung
Wohnen
Verkehr
Arbeit
Erholung
Kommunikation
Abbildung 3: Aktionsraumtheorie34
Die Untersuchung beschäftigt sich zunächst mit der Frage, in welchen
Bereichen des täglichen Lebens und in welchem Ausmaβ Menschen Kontakte über
32
33
34
Partzsch, Dieter: Artikel: Daseinsgrundfunktionen, in: Handwörterbuch der Raumforschung
und Raumordnung (2.Aufl.), (Hrsg.) Akademie der Raumforschung und Raumplanung, 1
(1970) 424-430.
Siehe: Abbildung 3.
Schema in Anlehnung an: Partzsch, Daseinsgrundfunktionen.
23
die Grenze unterhielten. Welche Freizeitaktivitäten wurden auf der anderen Seite
der Grenze wahrgenommen? Ging man in die grenznahe Kneipe oder wurde die
Kirmes des Nachbarortes besucht? Bestanden Kontakte der Vereine über die
Grenze hinweg? Nur durch eine Beschreibung der Art und des Volumens der
Beziehungsgeflechte über die Grenze ist es möglich, die Bedeutung der (Staats)Grenze für den Alltag der Menschen adäquat zu erfassen. Für die Bestimmung der
Art und des Volumens der Netzwerke, ist eine parallele Arbeit mit einem
qualitativen und quantitativen Zugriff unabdingbar.
Anhand von Arbeitshypothesen wird die Bedeutung möglicher Elemente
grenzüberschreitender Integration und Segregation untersucht. Zu diesen Faktoren
zählen die gesetzlichen Regelungen des Grenzübertritts und der binationalen
Heiraten oder der Umgang mit den verschiedenen Währungen. Ebenso ist zu
untersuchen, welche Wirkung auβenpolitische Auseinandersetzungen, wie der
sardinisch-französische Krieg gegen Österreich, der Krimkrieg und der DeutschFranzösische Krieg, auf die grenzüberschreitenden Verflechtungen hatten. Neben
der
Wirkung
Verflechtungen,
dieser
trennenden
werden
wirtschaftsstrukturelle
Aspekte
mögliche
auf
integrative
Ähnlichkeiten
sowie
die
grenzüberschreitenden
Elemente
untersucht,
wie
Sprache,
Schicht-
und
Milieuzugehörigkeit.35 Die Untersuchung konzentriert sich auf die beiden groβen
historischen Milieus, das katholische und das sozialdemokratische Milieu, da diese
auch transnationale Ausprägungen annahmen.36 Milieus werden hier nach Lepsius
35
36
Der Milieubegriff wird ausgehend vom Aufsatz Rainer M. Lepsius seit langem in der
Geschichtswissenschaft diskutiert. Siehe: Lepsius, Rainer M.: Parteiensysteme und
Sozialstrukturen. Zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in:
Demokratie in Deutschland. Soziologisch-historische Konstellationsanalysen. Ausgewählte
Aufsätze, (Hrsg.) ders., Göttingen 1993, 25-50. (Ersterscheinung des Aufsatzes 1966). War
Lepsius von vier Sozialmilieus ausgegangen (ostelbisch- konservativ, katholisch, liberalbürgerlich und sozialistisch), untersucht die neuere Milieuforschung auf Ergebnisse der
Lebenswelt- und Lebensstilforschung aufbauend regionale Gesellschaftsbildungen als Mikrobzw. Mesomilieus. Siehe z.B.: Blaschke, Olaf; Kuhlemann, Frank-Michael: Religion in
Geschichte und Gesellschaft. Sozialhistorische Perspektiven für die vergleichende
Erforschung religiöser Mentalitäten und Milieus, in: Religion im Kaiserreich. Milieus –
Mentalitäten – Krisen, (Hrsg.) Olaf Blaschke, Frank-Michael Kuhlemann, Gütersloh 1996, 756.
Trotz aller Diversität herrscht in der historischen Forschung Einigkeit darüber, dass das
sozialistische und katholische Milieu hervorzuheben sind. Tenfelde, Klaus: Historische
24
verstanden als soziokulturelle Gebilde, die durch das Zusammenwirken mehrerer
strukturbildender Elemente, wie beispielsweise Religion, Wirtschaftsstruktur und
Klasse zusammengefügt werden. Die Inklusivität der Milieus wurde durch einen
gemeinschaftsbildenden Code bestimmt, der in besonderem Maβe durch ein
milieuspezifisches Vereinswesen vermittelt wurde - dessen grenzüberschreitende
Vernetzungen bilden einen Schwerpunkt der Untersuchung.37 Ebenso wird
hinterfragt, ob- und inwieweit transnationale Konfliktlinien ein konstitutives
Element eines transnationalen Eigenen darstellten. Im Zentrum des Interesses
stehen
die
Konfliktlinien
grenzüberschreitenden
deutschsprachigen
zwischen
Kohlenrevier,
Arbeitern
zwischen
Bevölkerungsgruppen,
und
Unternehmern
französischsprachigen
Katholiken
und
im
und
Protestanten
(Kulturkampf), sowie zwischen Laizisten und Katholiken.38
1.5.
Quellen
Quellengrundlage der Untersuchung sind Heiratsregister, Tageszeitungen und
Aktenbeständen
Quellenspektrum
der
Verwaltungs-
ermöglicht
eine
und
Kirchenbehörden.
quantitative
wie
Dieses
auch
breite
qualitative
Herangehensweise an die Forschungsfrage.
Basis für die Bewertung der Ausmaße des grenzüberschreitenden
Identifikationsraumes
ist
die
Analyse
des
Heiratsverhaltens
der
Grenzraumbewohner. Die Auswertung von Genealogen erstellter Heiratsregister
Milieus – Erblichkeit und Konkurrenz, in: Nation und Gesellschaft in Deutschland.
Historische Essays, (Hrsg.) Manfred Hettling, Paul Nolte, München 1996, 247-268. Mergel,
Thomas: Milieu und Region. Überlegungen zur Ver- Ortung kollektiver Identitäten, in:
Sachsen in Deutschland. Politik, Kultur und Gesellschaft 1830-1918, (Hrsg.) James Retallack,
Dresden 2000, 265-279. Eine Zusammenfassung der Debatte um die Milieutherorie liefert:
Mergel, Thomas: Grenzgänger. Das katholische Bürgertum im Rheinland zwischen
bürgerlichem und katholischem Milieu 1870-1914, in: Religion im Kaiserreich. Milieus –
Mentalitäten – Krisen, (Hrsg.) Olaf Blaschke, Frank-Michael Kuhlemann, Gütersloh 1996,
166-192.
37
38
Tenfelde, Klaus: Milieus, politische Sozialisation und Generationenkonflikte im 20.
Jahrhundert, Bonn 1998 (Gesprächskreis Geschichte, H. 19, Friedrich-Ebert Stiftung), 18.
Die Begriffe „Protestant“ und „protestantisch“ schlieβen in der folgenden Arbeit alle
reformierten Glaubensrichtungen ein.
25
18 grenznaher Orte, geben den Grad der grenzüberschreitenden familiären
Verflechtung an.39 Neben der Berücksichtigung der strukturellen Unterschiede und
konfessionellen Zusammensetzung, wurde bei der Auswahl der Orte darauf
geachtet, dass deren Distanz zur Grenze variiert. Jeder Ort wird in einer Exceldatei
erfasst, die jede binationale Eheschlieβung (deutsch-französisch, deutschluxemburgisch, luxemburgisch-französisch) mit Informationen über Nationalität,
Geburtsort, Geburtsjahr der Eheleute, Beruf des Mannes und Jahr der
Eheschlieβung dokumentiert.
Einen Eindruck vom Spektrum der grenzüberschreitenden Verflechtungen
geben die Tageszeitungen. Zeitungsannoncen und Artikel zeugen von einem
grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt, Vereinskontakten und Freizeitaktivitäten,
aber auch von Konflikten zwischen den Grenzraumbewohnern. Die Diversität der
politischen Ausrichtung der Tageszeitungen garantiert eine Sicht auf die
Verflechtungen im Grenzraum aus unterschiedlichen Perspektiven. So werden
Zeitungen mit reichstreuer Ausrichtung berücksichtigt, wie die Saarbrücker Zeitung
und Forbacher Zeitung. Aber auch katholische Tageszeitungen mit reichskritischer
Tendenz finden Beachtung, wie Saar-Zeitung, Forbacher Bürgerzeitung und St.
39
Groβ, Matthias; Rettgen, Alfons: Die Einwohner der Pfarrei Borg vor 1900, Büschdorf 1998;
Klein, Adolphe: Les Familles de Creutzwald (Tome II) 1815-1895, Filstroff 1995; Groβ,
Matthias; Rettgen, Alfons: Die Einwohner der Pfarrei St. Philippus und Jakobus Eft vor 1900
(mit Hellendorf, Struppshof, Retschmühle), Büschdorf, Nohn 1998; Wagner, Jean-Marie;
Mansion, Emile: Les Habitants de Grindorff et de ses annexes: Bizing-Halstroff 1792-1894,
Filstroff 1995; Heimatkundlichen Verein Warndt e.V.: Die Einwohner von Großrosseln von
1696-1896 und die Einwohner von Kleinrosseln von 1696-1796, Ludweiler 1986; Wagner,
Jean-Marie: Les habitans de Kirsch-lès-Sierck 1694-1894, Filstroff 1995; Schwarz, Josef: Die
Einwohner von Lauterbach 1707-1907, Saarbrücken 1981; Treiner, Otto: Die Einwohner von
Ludweiler-Warndt von 1604-1880 mit Stammlisten (Bd. 1), Völklingen 1989; Treiner, Otto;
Weiter, Werner: Die Einwohner von Ludweiler-Warndt (Bd. 2) Ergänzungen,
Gelegenheitsfunde mit Berichtigungen zu Bd. 1, Heiraten von 1880-1920, Völklingen 1992;
Maas, Gérard: Les Habitants de Merten. Marriages 1693-1919, Filstroff 1990; Cercle
Généalogique du Pays de la Nied: Les Habitants de Montenach et de ses annexes Sulzen &
Kaltweiler avant 1905, Filstroff 2005; Maas, Gérard; Tridemy, Emile: Les Habitants de
Oberdorff, Odenhoven, Tromborn, 1689-1892, Filstroff 1993; Engelbreit, Raymond:
Schoeneck et ses habitants de 1716 à 1900, Stiring-Wendel 1886; Engelbreit, Raymond: Les
Ouvriers des Forges de Stiring-Wendel de 1848 à 1900, Schoeneck 1990; Groβ, Matthias;
Rettgen, Alfons: Die Einwohner der Pfarrei Tettingen vor 1900, Büschdorf, Nohn 1998.
Becker, Karl: Familien- und Hauschronik Faha, Merzig 1975.
26
Johanner-Saarbrücker
Volkszeitung.
Der
Aspekt
der
pro-französischen
Berichterstattung wird abgedeckt durch die Zeitung „Courrier de la Moselle“.
Systematisch werden alle Artikel und Annoncen jeden vierten Jahrgangs von
1850 bis 1914, die die grenzüberschreitenden Beziehungen thematisieren, in einer
Datenbank auf Basis der oben beschriebenen methodischen Überlegungen als
grenzüberschreitender Kontakt im Lebensbereich Versorgung, Freizeit, Arbeit,
usw. erfasst.40 Dieses Vorgehen ermöglicht sowohl eine quantitative als auch
qualitative Auswertung der Tageszeitungen. Die Bewertung der Ergebnisse
berücksichtigt, dass der Umfang der lokalen Berichterstattung im Laufe der Zeit
zunahm und aus diesem Grund die Anzahl der Meldungen über die
grenzüberschreitenden Kontakte anstieg. Deutlich spiegelt sich vor allem ein
Rückgang
der
Verbindungen
wie
auch
die
Wiederaufnahme
von
grenzüberschreitenden Kontakten in den Annoncen und Artikeln der Zeitungen
wider. Grundsätzlich lassen sich anhand der Zeitungsanalyse nur Aussagen über
Entwicklungstendenzen der grenzüberschreitenden Verflechtungen treffen.
Die Tageszeitungen bilden vor allem die Quellenbasis des Kapitels
« Freizeit ». Neben dem Ausmaβ der grenzüberschreitenden Freizeitaktivitäten,
geben die Artikel und Annoncen der Zeitungen auch Aufschluss über die Dichte
der grenzüberschreitenden Vereinsnetzwerke. In einer Datenbank werden die in
den Zeitungen überlieferten Informationen über die grenzüberschreitenden
Vereinskontakte
gesammelt
und
durch
die
Auswertung
der
Vereinsgenehmigungsverfahren ergänzt, die Informationen über Schicht- und
Milieuzugehörigkeit der Vereinsmitglieder enthalten. Dieses Vorgehen ermöglicht
den Nachweis schicht- und milieugeprägter Vereinsnetzwerke im Grenzraum. Die
Genehmigungsverfahren liefern auch Informationen über die Nationalität der
Mitglieder. Für die Bewertung der Vereinsnetzwerke sind diese Informationen von
Bedeutung, da zahlreiche lothringische Vereine, die Kontakte zu Nachbarvereinen
von der Saar unterhielten, nur „altdeutsche“ Mitglieder hatten, sodass die
40
Berücksichtigt wurde jeder zweite Monat.
27
Verbindungen zwischen diesen lothringischen Vereinen und Vereinen aus der
Saarregion zwar grenzüberschreitend, aber nicht transnational waren.41
Für das Kapitel „Arbeit“ werden zusätzlich zu den oben aufgeführten
Zeitungen ausgewählte Jahrgänge anderer Zeitungen ausgewertet. Dazu gehören
„Der Arbeiter. Organ des Verbandes der katholischen Arbeiter Vereine (Sitz
Berlin)“, die
katholischen
„Westdeutschen Arbeiter-Zeitung. Organ des Verbandes des
Arbeitervereins
Westdeutschland“
sowie
die
„Saargemünder
Zeitung“. In das Kapitel „Kirche“ flieβt die Analyse der „Gazette de Metz et de
Lorraine“, der „Gazette de Lorraine“ und der Zeitung „Le Vœu National. Écho du
Pays Messin“ mit ein.
Neben
den
Zeitungen
werden
Verwaltungsebenen berücksichtigt. Auf
Bestände
des
Statthalters
des
die
Aktenbestände
verschiedener
lothringischer Seite sind dies die
Reichslandes
Elsass-Lothringen,
die
des
Departements Moselle beziehungsweise die der Bezirksregierung Lothringens,
sowie die Akten der Stadtbezirke Sierck und Forbach. Für die „Saarseite“ sind die
Aktenbestände des Oberpräsidiums der Rheinprovinz, des Regierungsbezirkes
Trier und des Landkreises Saarbrücken von zentraler Bedeutung. Wichtige
Informationsquelle sind die Akten der Zollbehörde, der Polizeibehörden,
insbesondere der Grenzpolizei sowie die Akten über die Überwachung der Vereine
und der Arbeiterbewegungen. Die Korrespondenz zwischen Minister und
Regionalverwaltung bezüglich der Grenzsicherung gibt Aufschluss über die
Durchlässigkeit der Grenze vor 1871. Die Protokolle des Conseil Général du
Département de la Moselle und die des Conseil d’arrondissement de Sarreguemines
boten nur spärliche Informationen zur Grenzsituation des Departements
beziehungsweise des Arrondissements.
41
Die Bezeichnungen „neudeutsch“ und „altdeutsch“ sind zeitgenössische Ausdrücke, die den
Unterschied zwischen den elsass-lothringischen Landesangehörigen und den übrigen
Reichsangehörigen beschreiben. An einigen Stellen dieser Arbeit werden diese Ausdrücke als
Synonyme für Deutsche und Lothringer verwendet.
In Bezug auf die Ergebnisse der Vereinsanalyse differenzieren die Begriffe „transnational“ und
„grenzüberschreitend“ die rein „altdeutschen“ grenzüberschreitenden Vereinstreffen und die
Vereinstreffen zwischen Lothringern und Deutschen, sonst werden beide Begriffe in der
vorliegenden Arbeit als Synonyme verwendet.
28
Zum Thema „Verflechtungen auf kirchlicher Ebene“ werden die
Aktenbestände des Bistums Metz und Trier ausgewertet. Neben den
grenzüberschreitenden Verbindungen der Geistlichen, stand die Kulturkampfzeit
und die grenzüberschreitende Wallfahrtsbewegung im Zentrum des Interesses.
Schwerpunkte der Untersuchung sind die Wallfahrten zum „Heiligen-Rock“ nach
Trier und die zahlreichen Wallfahrten, welche sich an die Marienerscheinungen der
1870er Jahre anschlossen.
1.6.
Aufbau
Der Aufbau dieser Arbeit folgt der Einteilung in verschiedene Lebensbereiche.
Zunächst wird jedoch im einführenden Kapitel „Menschen und Grenzen“ mit Blick
auf die menschliche Territorialität der grenzüberschreitende Handlungsraum der
1850er Jahre als Ausgangspunkt für die folgende Untersuchung skizziert. Bevor die
Festlegung der Staatsgrenze, die sichtbaren Grenzzeichen und die Vorschriften für
den Grenzübertritt vor 1871 thematisiert werden, wird der Verlauf der
ökonomischen und sprachlich-kulturellen Grenze in Bezug zum Verlauf der
Staatsgrenze beschrieben. Der Abschnitt „Die Grenze vor 1871“ schließt mit einem
Kapitel über die behördliche Zusammenarbeit, das sich besonders mit der
grenzüberschreitenden Verbrechensbekämpfung beschäftigt. Zuletzt befasst sich
das Kapitel „Menschen und Grenzen“ mit der Grenzsituation nach 1871. Thema
sind hier die Grenzbefestigung nach dem Deutsch-Französischen Krieg, das
Staatsangehörigkeitsverhältnis der Lothringer und der Status des Reichslandes
innerhalb des Deutschen Reiches.
Die folgenden vier Kapitel beinhalten die Ergebnisse der Analyse der
grenzüberschreitenden Beziehungen in den Lebensbereichen Familie, Arbeit,
Freizeit und Kirche. Da die Analyse des binationalen Heiratsverhaltens, als
Gradmesser der Integration im Grenzraum, die Ausmaβe des transnationalen
Identifikationsraumes beschreibt, wird der Lebensbereich Familie als erstes
29
behandelt.42 Die Lebensbereiche lassen sich nicht strikt voneinander trennen, sodass
bestimmte Themenbereiche in mehreren Kapiteln angesprochenen werden. So
beschäftigen sich die Kapitel Arbeit, Freizeit und Kirche mit dem katholischen
Vereinswesen aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Aufteilung der Kapitel nach
Lebensbereichen ist trotz der Überschneidungen sinnvoll, da so der Einfluss der
hypothetisch angenommenen Integrations- und Segregationsmechanismen auf die
grenzüberschreitenden Beziehungen in den einzelnen Lebensbereichen untersucht
werden kann. Die Überschneidungen des Lebensbereiches „Bildung“ mit den
Bereichen „Kirche“ und „Familie“ sowie die groβe Schnittmenge des Bereiches
„Versorgung“ mit den Lebensbereichen Arbeit und Freizeit, machen ein
gesondertes Kapitel für diese beiden Bereiche überflüssig.
1.7.
Forschungsrückblick
Historische Arbeiten, die sich mit der Thematik grenzüberschreitender Identitäten,
Identifikation oder kollektiver Identitäten beschäftigen, reflektieren über die
methodischen Schwierigkeiten, die mit der Beantwortung ihrer Forschungsfragen
verbunden sind, ohne jedoch grundlegend neue Untersuchungsinstrumentarien zu
entwickeln.43
42
43
So
beanstandet
Lutz
Niethammer
mit
Blick
auf
den
Besonders die Migrationsforschung hat sich mit Integrationsprozessen auseinandergesetzt.
Hartmut Esser hat in seinem Standardwerk verschiedene Integrationsstufen entwickelt. In
Essers Modell schlieβen die soziale Assimilation und die identifikative Assimilation den
Assimilationsprozess ab. Wichtiger Indikator für den Grad der sozialen Assimilation ist die
binationale Heirat. Esser, Hartmut: Aspekte der Wanderungssoziologie. Assimilation und
Integration
von
Wanderern,
ethnischen
Gruppen
und Minderheiten.
Eine
handlungstheoretische Analyse, Darmstadt, Neuwied 1980, 221 (2. völlig neubearb. und
erweiterte Aufl.).
Überlegungen zu den Schwierigkeiten der Untersuchung kollektiver Identitäten u. a. bei:
Rauh-Kühne, Cornelia: „Schmerzende Wunde" oder Zone des Kulturaustauschs?
Grenzkonstruktionen und Grenzkontakte im "Reichsland Elsass-Lothringen“, in: Raum und
Geschichte. Regionale Traditionen und föderative Ordnungen vom Mittelalter bis in die
Gegenwart, (Hrsg.) Thomas Kühne, Cornelia Rauh-Kühne, Stuttgart 2001, 159-171. Auch
Günter Riederer thematisiert in seiner Dissertation die methodischen Schwierigkeiten zur
Untersuchung von Identitäten. Eine Erläuterung darüber, auf welchen methodischen
Grundlagen er eine Bewertung der nachgewiesenen kollektiven Zugehörigkeiten
vorgenommen hat fehlt der Arbeit jedoch. Riederer, Günter: Feiern im Reichsland. Politische
30
Untersuchungsgegenstand
„kollektive
Identität“,
dass
deren
Analyse
die
methodische Grundlage fehle. Die Beschäftigung mit dem Thema „kollektive
Identität“ sei, so Niethammer, „eher etwas für Detektive als für Theoretiker“ und
führe zu keinem Ergebnis, das wissenschaftlichen Ansprüchen genüge.44
Historische Forschungsarbeiten tendieren bisher dazu, ein facettenreiches
Bild vom Leben im Grenzraum zu entwickeln und liefern nur bedingt Erkenntnisse
über
grenzüberschreitende
Untersuchungen
ohne
Forschungsgegenstand
Identifikationsräume
methodische
und
gleicher
Grundlagen
und
Integrationsprozesse.
kommen
Ausgangsfrage
zu
bei
gleichem
widersprüchlichen
Ergebnissen. So präsentieren Michael Sander und François Roth in ihren
Ausführungen über die „regionale Osmose“ im saarländisch-lothringischen
Grenzraum völlig unterschiedliche Resultate.45 Betont François Roth die Intensität
der regionalen Osmose, so hebt Sander, Bezug nehmend auf die Arbeit Roths, den
geringen Grad der regionalen Osmose hervor.46 Da den Untersuchungen eine
Definition darüber fehlt, was als „regionale Osmose“ verstanden wird, bleiben die
unterschiedlichen Ebenen beider Analysen unberücksichtigt. François Roth
beschreibt die Kontakte und Beziehungen auf individueller Ebene, während
Michael Sander sich auf die strukturellen Unterschiede konzentriert.
44
Symbolik, öffentliche Festkultur und die Erfindung kollektiver Zugehörigkeiten in ElsaβLothringen (1871-1918), Trier 2004, 40ff. Przemyslaw Hauser spricht das Problem der
historischen Forschung direkt an und meint, dass die Frage nach kollektiven Identitäten im
Grenzraum aufgrund fehlender Untersuchungsinstrumentarien bisher nicht eindeutig
beantwortet werden kann. Hauser, Przemyslaw: Zur Frage der nationalen Identität der
oberschlesischen Bevölkerung in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, in: Grenzen und
Grenzräume in der deutschen und polnischen Geschichte. Scheidelinie oder
Begegnungsraum?, (Hrsg.) Georg Stöber, Robert Maier, Hannover 2000, 205-215.
Niethammer, Kollektive Identität. Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur,
Hamburg 2001, 177.
45
Sander, Michael: Die gesellschaftliche und politische Struktur im Steinkohlenrevier an der
Saar und die Rolle der Landesgrenze im Deutschen Kaiserreich, in: La Lorraine et la Sarre
depuis 1871. Perspectives transfrontalières, (sous la direction de) Rainer Hudemann; Alfred
Wahl, Metz 2001, 47-65. Roth, François: Espace sarrois et Lorraine: relations et convergences
(1815-1925), in: Probleme von Grenzregionen: Das Beispiel SAAR-LOR-LUX-Raum.
Beiträge zum Forschungsschwerpunkt der Philosophischen Fakultät der Universität des
Saarlandes, (Hrsg.) Wolfgang Brücher, Peter Robert Franke, Saarbrücken 1987, 67-84.
46
Roth, Espace, 83 und Sander, Struktur, 48.
31
Mit Blick auf die fehlenden Untersuchungsinstrumentarien entwickelt diese
Forschungsarbeit
ein
Konzept,
das
auf
methodische
Überlegungen
der
Sozialwissenschaften, der Sozialgeographie und historischer Forschung aufbaut.47
Eine Verknüpfung der Überlegungen Fernand Braudels, der Handlungsräume mit
Identifikationsräumen gleichgesetzt, mit Methoden der Netzwerkforschung und der
Aktionsraumtheorie,
ermöglicht
eine
umfassende
systematische
Analyse
grenzüberschreitender Beziehungen, wie sie bisher noch nicht möglich war.
Lediglich Andrea Komlosy geht in einem Teilabschnitt ihrer Habilitationsschrift
methodisch ähnlich vor. Am Beispiel des Wald- und Weinviertels im
südböhmischen und südmährischen Grenzraum, weist sie überzeugend die
Handlungshorizonte
der
Bewohner
auf
verschiedenen
soziokulturellen
Kommunikationsebenen nach48. Komlosy setzt, aufbauend auf das Modell der
vielfältigen Staffelungen von Räumen von Fernand Braudel,49 in einem nächsten
Argumentationsschritt
den
so
aufgezeigten
Handlungsraum
mit
einem
Identifikationsraum gleich. Eine Berücksichtigung der qualitativen Unterschiede
der Beziehungstypen, wie in dieser Arbeit erfolgt, gibt es jedoch nicht. So werden
beispielsweise familiäre Netzwerke nicht untersucht.
Neben dem innovativen methodischen Zugriff liefert diese Forschungsarbeit
neue Erkenntnisse über den Alltag und die Ausmaβe der individuellen
grenzüberschreitenden Kontakte im saarländisch-lothringischen Grenzraum vor
dem Ersten Weltkrieg.50 Liegen für den Zeitraum nach dem Zweiten Weltkrieg
zahlreiche
Ergebnisse
vor,
sind
diese
für
den
hier
berücksichtigten
47
So fordert Hans-Jürgen Karp die Einbeziehung methodischer Konzepte anderer Disziplinen in
die historische Grenzraumforschung: Karp, Hans-Jürgen: Grenzen - ein wissenschaftlicher
Gegenstand, in: Grenzen in Ostmitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert. Aktuelle
Forschungsprobleme, (Hrsg.) Hans Lemberg, Marburg 2000, 9-17.
48
Komlosy, Andrea: Grenze und ungleiche regionale Entwicklung. Binnenmarkt und Migration
in der Habsburgermonarchie, Wien 2003, 210-222.
49
Braudel, Sozialgeschichte, 308-313; Braudel, Frankreich, 63-95.
50
Die neuere Arbeit Günter Riederers über die kollektiven Zugehörigkeiten während der
Reichslandzeit konzentriert sich auf die Nationalisierung der regionalen Zugehörigkeit und
lässt den transnationalen Aspekt der regionalen Identifikation unberücksichtigt. Riederer,
Feiern.
32
Untersuchungszeitraum
spärlich.51
Lediglich
die
strukturellen
grenzüberschreitenden Verflechtungen – insbesondere die wirtschaftsstrukturellen
Verflechtungen vor 1914 sind bereits gut erforscht. Der Grund für dieses
Forschungsinteresse ist vermutlich, dass der Saar-Lor-Lux-Raum mit Blick auf die
Montanunion als „Keimzelle“ der Europäischen Union betrachtet wird.52
Individuelle grenzüberschreitende Beziehungen wurden bisher lediglich
umfassend am Gegenstand dauerhafter oder temporärer Migrationsbewegungen
untersucht.53 Nur verstreut finden sich Informationen über andere Formen
individueller grenzüberschreitender Verflechtungen in den Forschungsarbeiten über
die Geschichte Lothringens oder der Saarregion. So werden in den zahlreichen von
François Roth verfassten Artikeln über Lothringen, und in seinem Standardwerk
über die Zeit der Annexion Lothringens auch die grenzüberschreitenden
51
Besonders die Forschungsarbeiten Rainer Hudemanns sind hier hervorzuheben. Eine
Zusammenfassung der Forschungsergebnisse: Hudemann, Rainer; Jellonnek, Burkhard: SaarGeschichte: neue Methoden, Fragestellungen, Ergebnisse, in: Grenz-Fall, (Hrsg.) Rainer
Hudemann, St. Ingbert 1997, 11-29; Die neuesten Forschungsergebnisse fassen die folgenden
zwei Aufsatzsammlungen zusammen: Miard-Delacroix, Hélène; Hudemann, Rainer (Hrsg.):
Wandel und Integration deutsch-französischer Annäherungen der fünfziger Jahre. Mutations
et intégration, , München 2005. Hudemann, Rainer; Heinen, Armin: Das Saarland zwischen
Frankreich Deutschland und Europa 1945-1957; ein Quellen und Arbeitsbuch, Saarbrücken
2007.
52
Hellwig, Fritz: Wirtschaftsentwicklung und Grenzen im Raum Saarland- LothringenLuxemburg, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte, 111 (1975) 159-171; Thomes, Paul:
Wirtschaftliche Verflechtungen einer Grenzregion. Die Industrielandschaft Saar- Lor- Lux im
19. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Westdeutsche Landesgeschichte, 14 (1988) 181-198;
Nievelstein, Markus: Der Zug nach der Minette. Deutsche Unternehmen in Lothringen 18711918, Bochum 1993; Banken, Ralf: Die Industrialisierung der Saarregion 1815-1914. Band 1.:
Die Frühindustrialisierung 1815-1850, Stuttgart 2000; Banken, Ralf: Die Industrialisierung
der Saarregion 1815-1914. Band 2.: Die Take-Off-Phase und Hochindustrialisierung 18501914, Stuttgart 2003. Hudemann, Rainer; Wittenbrock, Rolf (Hrsg.): Stadtentwicklung im
deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraum (19. und 20. Jahrhundert). Développement
urbain dans la région frontalière France-Allemagne-Luxembourg (XIXe et XXe siècles),
Saarbrücken 1991.
Leiner, Stefan: Migration und Urbanisierung. Binnenwanderungsbewegungen, räumlicher und
sozialer Wandel in den Industriestädten des Saar- Lor- Lux- Raumes 1856-1910. MalstattBurbach, Diedenhofen und Esch- an- der- Alzette im Vergleich, Saarbrücken 1993; Galloro,
Piero- D.: La frontière à l'épreuve de la mobilité ouvrière en Lorraine (1880-1914), in:
Frontières (?) en Europe occidentale et médiane de l'Antiquité à 'an 2000. Actes du collque de
L'association Interuniversitaire de l'Est tenu à l'Université de Metz 9-10 décembre 1999,
(Textes réunis et présententés par) Jeanne-Marie Demarolle, Metz 2001, 409-430. Buchheit,
Chip: Immigration et movements de la main-d’œuvre dans le bassin houiller au XIXe siècle,
in: Mineurs immigrés. Histoire - Témoignages. XIXe, XXe siècles, (Hrsg.) Institut d´histoire
sociale minière, Montreuil 2000, 35-49.
53
33
Beziehungen der Bevölkerung erwähnt.54 Darüber hinaus existieren nur noch einige
Aufsätze, die sich mit den grenzüberschreitenden Verflechtungen der Bevölkerung
beschäftigen.55 Eine Untersuchung, die einen Überblick über die Ausmaβe einzelner
Formen individueller grenzüberschreitender Verflechtungen gibt, existiert bisher
noch nicht.
Diese Arbeit liefert einen Beitrag zur historischen Grenzraumforschung und folgt
mit ihrer Fragestellung den neueren Ausrichtungen der historischen Forschung, die
sich immer intensiver mit Räumen als erfahrungsvermittelte, temporäre,
geschichtlich wandelbare Konstruktion von Raumeinheiten nach Maßgabe von
54
Roth, Lorraine; Roth, François: Les Lorrains entre la France et l´Allemagne, Nancy 1981;
Roth, François: Das Reichsland Elsass-Lothringen. Formation, histoire et perception, in: Le
Problème de l´Alsace-Lorraine vu par les périodiques (1871-1914). Die Elsass- Lothringische
Frage im Spiegel der Zeitschriften (1871-1914), (Hrsg.) Michel Grunewald, Bern, Berlin,
Frankfurt a. M. u. a. 1998, 13-36; Roth, François: Cent ans d´activités industrielles en Moselle
(1888-1988), in: Les archives du Monde du travail. Outil de gestion et patrimoine culturel.
Actes de la journée d´information organisée à Saint-Avold le 16 mars 1988, (Hrsg.) Archives
départementales, Metz 1989, 17-50; Roth, François: La Lorraine dans la vie nationale (17891870), in: Histoire de la Lorraine, (Hrsg.) Michel Parisse, Toulouse 1987, 357-379 (4.
Auflage); Roth, François: La Lorraine Divisée (1871-1914), in: Histoire de la Lorraine,
(Hrsg.) Michel Parisse, Toulouse 1987, 389-404 (4.Auflage).
55
Roth, François: Soziale Konflikte als Nationalitätenproblem 1871-1935, in: Grenzenlos.
Lebenswelten in der deutsch-französischen Region an Saar und Mosel seit 1840, (Hrsg.)
Historisches Museum Saar, Saarbrücken 1998, 256-274; Gehlen, Rita: "Wäre kein Kampf, so
wäre keine Wehr"? Saarländische und lothringische Katholiken im protestantischen
Kaiserreich, in: Grenzenlos. Lebenswelten in der deutsch-französischen Region an Saar und
Mosel seit 1840, (Hrsg.) Historisches Museum Saar, Saarbrücken 1998, 232-255. Maas,
Annette: Kriegerdenkmäler und Erinnerungsfeiern in Elsass und in Lothringen (1870-1918):
Von nationaler Konfrontation zu regionaler Versöhnung in einer Grenzregion, in: Historische
Denkmäler. Vergangenheit im Dienste der Gegenwart?, Bergisch-Gladbach 1994, 54-68;
Kugler,
Lieselotte:
Saarländer,
Deutsche und
Franzosen,
oder: Politische
Geschichtsdarstellung als Identifikationsanker in einer Grenzregion, in: Grenz-Fall, (Hrsg.)
Rainer Hudemann, St. Ingbert 1997, 121-132. Ebenso beschäftigen sich einige kurzgehaltene
Artikel einer Internetpublikation der Universität des Saarlandes mit dieser Thematik:
Hudemann, Rainer (Hrsg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung. Spuren der Vernetzung
des Saar- Lor- Lux- Raumes im 19. und 20. Jahrhundert - Lieux de la mémoire
transfrontalière. Traces et réseaux dans l'espace Saar Lor-Lux aux XIXe et XXe siècles,
Saarbrücken 2004 (2. Auflage) (http://www.uni-saarland.de/%7Em.hahn/lnng/). Muller,
Gilberte: Les relations entre la Lorraine et l´Allemagne. Relations entre populations voisines
(1851-1866), in: Aspects des relations franco-allemandes à l'époque du Second Empire 18511866 - Deutsch-französische Beziehungen im Zeitalter des Second Empire 1851-1866. Actes
du Colloque d'Otzenhausen, 5-8 Octobre 1981, (sous la direction de) Raymond Poidevin,
Heinz-Otto Sieburg, Metz 1982, 161-174.
34
Erfahrung, Wahrnehmung und Vision beschäftigt.56 Eine Thematik, mit der sich
bereits die beiden ersten Generationen der Annales-Schule befassten. So arbeitet
Lucien Febvre in seinem „Rhein-Buch“ die verschiedenen Deutungsmuster und
Besitzansprüche heraus, welche die Geschichte des Rheines als Grenze
bestimmten.57 In seinem Aufsatz über den Bedeutungswandel des Begriffes
„frontière“ zeigt Febvre, dass der Begriff „frontière“ im Sinne einer zu
verteidigenden Staatsgrenze erst allmählich gegenüber dem Begriff „limite“ an
Bedeutung gewann, der ohne militärische Konnotation die Grenze eines
Herrschaftsgebietes beschreibt.58 Fernand Braudel beschäftigte sich in seinen
Forschungsarbeiten mit der Abgrenzung von Raumeinheiten. Er entwickelte dabei
ein System der Raumstaffelung, das den Raum von der Einheit „Dorf“ über
„Kleinstadt“ und „Pays“ bis hin zu „Provinz“, „nationalem Wirtschaftsraum“ und
„Weltwirtschaft“ unterteilt..59 Dennoch, war die historische Grenzraumforschung
bis
1998,
abgesehen
von
einigen
Pionierstudien,
die
sich
mit
Grenzbildungsprozessen und den Funktionen von Grenzen beschäftigen,60 ein
wenig beachtetes Untersuchungsgebiet.61
56
57
So die Erläuterung des Mottos des Deutschen Historikertages 2004 in Kiel. Fouquet, Gerhard;
Reitemeier, Arnd: Vorwort, in: Kommunikation und Raum. 45. Deutscher Historikertag in
Kiel vom 14. bis 17. September 2004, (Hrsg.) Arnd Reitemeier, Gerhard Fouquet,
Neumünster 2005, X.
Febvre, Lucien: Der Rhein und seine Geschichte, (hrsg. und übersetzt von) Peter Schöttler,
Frankfurt a. M., New York 1994.
58
Febvre, Lucien: „Frontière“ – Wort und Bedeutung, in: Das Gewissen des Historiker, (Hrsg.)
ders., Berlin 1988, 27-38.
59
Braudel, Sozialgeschichte, 308-313; Braudel, Frankreich, 63-95.
Hervorzuheben ist hier die bahnbrechende Arbeit von Peter Sahlins. Überzeugend zeigt dieser
in seiner Studie über den französisch-spanischen Grenzraum, wie die lokalen Gesellschaften
die Hilfe der staatlichen Herrschaftsträger in Anspruch nahmen, um ihre lokalen Interessen
durchzusetzen. Lokale Konflikte wurden von den Beteiligten mit einer nationalen
Komponente beladen, damit die staatlichen Autoritäten vor Ort diese Auseinandersetzungen
in einer für sie positiven Weise entschieden. Sahlins, Peter: Boundaries. The Making of
France and Spain in the Pyrenees, Berkeley, Los Angeles, Oxford 1989. Ebenfalls eine
längere Forschungstradition hat die Beschäftigung mit den Funktionen von Grenzen. So
fragen die Pionierstudien von Frederick Jackson Turner und Dietrich Gerhard nach der
Wirkung von Grenzen auf die Entwicklung von Gesellschaften. These ist hier, dass durch
offene Grenzen offene Gesellschaften entstehen und geschlossene Grenzen für geschlossene
Gesellschaften verantwortlich sind. Turner, Frederick Jackson: The Significance of the
frontier in American History, in: The frontier in American History, (Hrsg.) ders., New York
1920, 1-38; Gerhard, Dietrich: Neusiedlungen und institutionelles Erbe. Zum Problem von
60
35
Neuere Forschungsarbeiten thematisieren die Wichtigkeit von räumlichen
Grenzen für das Zusammenleben der Menschen, beispielsweise wird deren
Bedeutung für die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit untersucht.62 Ebenso werden
Funktionsmodelle
von
Grenzen
reflektiert,
welche
die
verschiedenen
Charakteristika von Grenzen beschreiben.63
Besonders für die Forschungsrichtung, die sich mit der Realisierung von
(Staats-)
Grenzen
beschäftigt
sind
die
Ergebnisse
dieser
Arbeit
ein
Erkenntnisgewinn. Hatte Lucien Febvres diese Thematik anhand der Rheingrenze
untersucht, analysieren andere Arbeiten Kartenwerke, Lehrbücher, Zeitungen und
Selbstzeugnisse, um so die Divergenz zwischen einer politischen Grenzlinie und
deren
Wahrnehmung
beziehungsweise
deren
Darstellung
herauszustellen.
Thematisiert wird hier beispielsweise die sogenannte Grenze in den Köpfen.64
61
62
63
64
Turners "Frontier", in: Alte und Neue Welt in vergleichender Geschichtsbetrachtung, (Hrsg.)
ders., Göttingen 1962, 108-140 [zuerst u. d. T.: "The Frontier in Comparative View", in:
Comparative Studies in Society and History, 1 (1959) 205-229].
Zum Forschungsstand bis 1990: Medick, Hans: Zur politischen Sozialgeschichte der Grenzen
in der Neuzeit Europas, in: SOWI. Sozialwissenschaftliche Informationen, 20/3 (1991)
(Themenheft: Grenze), 157-163; Medick, Hans: Grenzziehung und die Herstellung des
politisch-sozialen Raumes. Zur Begriffsgeschichte und politischen Sozialgeschichte der
Grenzen in der Frühen Neuzeit, in: Grenzland: Beiträge zur Geschichte der deutsch-deutschen
Grenze, (Hrsg.) Bernd Weisbrod, Berlin 1998, 195-211.
Karp, Grenzen; Krüger, Peter: Der Wandel der Funktion von Grenzen im internationalen
System Ostmitteleuropas im 20. Jahrhundert, in: Grenzen in Ostmitteleuropa im 19. und 20.
Jahrhundert. Aktuelle Forschungsprobleme, (Hrsg.) Hans Lemberg, Marburg 2000, 39-56.
Delhaes, Karl von: Wirtschaftliche Großräume oder nationalstaatliche Parzellierung? Die
ökonomischen Funktionen von Grenzen in Ostmitteleuropa in den Jahrzehnten um die Mitte
des 20. Jahrhunderts, in: Grenzen in Ostmitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert. Aktuelle
Forschungsprobleme, (Hrsg.) Hans Lemberg, Marburg 2000, 67-75; Haslinger, Peter:
Funktionsprinzip Staatsgrenze: Aspekte seiner Anwendbarkeit im Bereich der
Osteuropaforschung, in: Grenzen in Ostmitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert. Aktuelle
Forschungsprobleme, (Hrsg.) Hans Lemberg, Marburg 2000, 57-66. Auf die Bedeutung der
Grenzen als Scharnier, also auf deren vermittelnde Funktion, konzentrieren sich: Ulbrich,
Claudia: Die Bedeutung der Grenzen für die Rezeption der französischen Revolution an der
Saar, in: Aufklärung, Politisierung und Revolution, (Hrsg.) Winfried Schulze, Pfaffenweiler
1991, 147-174; Ulbrich, Claudia: Grenze als Chance? Bemerkungen zur Bedeutung der
Reichsgrenze im Saar- Lor- Lux- Raum am Vorabend der Französischen Revolution, in:
Grenzöffnung, Migration, Kriminalität, (Hrsg.) Arno Pilgram, Baden Baden 1993, 139-146.
Reichert, Folker: Grenzen in der Kartographie des Mittelalters, in: Migration und Grenze,
(Hrsg.) Andreas Gestrich, Marita Krauss, Stuttgart 1998, 15-39; Fenske, Hans: Eine westliche
Grenzfrage? Das Rheinland, Elsass und Lothringen in der deutschen öffentlichen Meinung, in:
Aspects des relations franco-allemandes à l'époque du Second Empire 1851-1866 - Deutschfranzösische Beziehungen im Zeitalter des Second Empire 1851-1866. Actes du Colloque
36
Diese Untersuchung liefert auch einen Beitrag zur Nationalismusforschung.
Die in den letzten Jahren intensiv diskutierte Frage nach der Wechselwirkung
zwischen nationalen Identitäten und Alteritäten, wird in dieser Arbeit dort gestellt,
wo der Differenzierungsprozess besonders deutlich sichtbar werden müsste – an
der nationalen Grenze.65
65
d'Otzenhausen, 5-8 Octobre 1981, (sous la direction de) Raymond Poidevin, Heinz-Otto
Sieburg, Metz 1982, 137-160; Turetti, Laurence: La frontière dans les manuels de la IIIe
République, in: Frontières (?) en Europe occidentale et médiane de l'Antiquité à 'an 2000.
Actes du collque de L'association Interuniversitaire de l'Est tenu à l'Université de Metz 9-10
décembre 1999, (Textes réunis et présententés par) Jeanne-Marie Demarolle, Metz 2001, 297305; Lüsebrink, Hans-Jürgen: Grenzziehung in den Köpfen. Nationalismus in Druckschriften
des saarländisch-lothringischen Raumes (1815-1919), in: Grenzenlos. Lebenswelten in der
deutsch-französischen Region an Saar und Mosel seit 1840, (Hrsg.) Historisches Museum
Saar, Saarbrücken 1998, 300-321; Markiewicz, Wladyslaw: Sozialpsychologische Aspekte
der Grenze, in: Grenzen und Grenzräume in der deutschen und polnischen Geschichte.
Scheidelinie oder Begegnungsraum? (Hrsg.) Georg Stöber, Robert Maier, Hannover 2000,
121-126.
Siehe insbesondere die bereits erwähnte Forschungsdebatte zwischen Linda Colley, Michael
Jeismann und Robert Neisen. Die Nationalismusforschung hat in den letzten Jahren unzählige
Arbeiten hervorgebracht. Siehe eine Zusammenfassung der bisherigen Forschungsergebnisse
in: Langewiesche, Dieter: Nation, Nationalismus, Nationalstaat: Forschungsstand und
Forschungsperspektiven, in: Neuere Politische Literatur (1995) 40, 190-236; Langewiesche,
Dieter: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000;
Wehler, Hans-Ulrich: Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen, München 2001.
37
2.
Menschen und Grenzen
2.1.
Mensch und Territorium
Der Handlungsraum eines Menschen verändert sich permanent, und auch die
Grenzen des Aktionsraumes der Bewohner dieses Untersuchungsgebietes waren
einem ständigen Wandlungsprozess unterworfen. Grenzformalitäten konnten
möglicherweise den grenzüberschreitenden Handlungsraum beeinflussen, ebenso
der Ausbau einer grenzüberschreitenden Infrastruktur oder das familiäre und
berufliche
Umfeld.
Denkbar
ist
auch,
dass
politische
Ereignisse
oder
Veränderungen im Strukturgefälle, wie beispielsweise im Preisgefälle, auf den
Aktionsraum der Grenzraumbewohner einwirkten.
Der Blick auf die 1850er Jahre im Saar-Mosel- Raum ergibt folgendes Bild
grenzüberschreitender Verflechtungen. Auf dem Land und in der sich
entwickelnden Industriezone war der Anteil der binationalen Eheschlieβungen mit
15,3 beziehungsweise 16,3 Prozent ähnlich hoch.66 Etwa jede siebte Ehe wurde
demnach zwischen Franzosen und Preuβen, beziehungsweise Luxemburgern und
Preuβen geschlossen. Mit der Aufnahme des regulären Kohlenabbaus in Lothringen
im Jahr 1856, und der damit verbundenen Anwerbung von Bergarbeitern aus der
Saarregion, nahm auch der grenzüberschreitende Arbeitsmarkt an Bedeutung zu.
Bisher bestand ein Arbeitskräfteaustausch vor allem im Bereich der Landwirtschaft
und im Dienstleistungssektor, da sich der Rekrutierungsbezirk der preuβischen
Bergwerksdirektion auf die Saarregion beschränkte.67 Grenznahe Ausflugslokale,
Volksfeste und Vereinstreffen wurden von beiden Nationalitäten besucht. Jedoch
waren die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung der unteren Erwerbsgruppen
eingeschränkt. Freizeit konnten sich in den 1850er Jahren vor allem die
Besserverdienenden leisten.68 Grenzüberschreitende Verflechtungen entstanden
66
Siehe Kapitel: 3.2.5. „Binationale Ehen: Land- und Industrieregion im Vergleich“.
67
Siehe Kapitel: 4.1.4. „Arbeiter und Arbeiterbauern“.
68
Siehe Kapitel: 5.5.1. „Freizeit ohne Grenzen? Freizeit an der Grenze vor 1871“.
38
auch auf religiöser Ebene, beispielsweise während des Kirchganges oder der
Wallfahrten. Einen bleibenden Eindruck hinterließ bei den Grenzraumbewohnern
die Ausstellung des Heiligen Rockes in Trier 1844.69
2.2.
Ökonomische,
sprachlich-kulturelle
Grenzen
und
die
Staatsgrenze
Die Frage nach dem Einfluss der nationalen Grenze auf die Ausprägung des
Identifikationsraumes, schlieβt die Frage nach der Bedeutung anderer Grenzformen
mit ein. Politische Grenzen kamen meist ohne die Berücksichtigung bestehender
ökonomischer Verflechtungen, ähnlicher kultureller Praktiken oder sprachlicher,
konfessioneller
Gemeinsamkeiten zustande. Auch
im Saar-Mosel-
Raum
erstreckten sich oft die Einzugsgebiete der Märkte, der Städte und der Ortschaften
des Grenzraumes über die Staatsgrenze hinweg. Ebenso dehnte sich das
Kohlenrevier vom südlichen Teil der preuβischen Rheinprovinz in das Gebiet der
bayerischen Pfalz und auf das lothringische Territorium aus.70
Nicht nur die Verflechtung der Wirtschaftsräume oder die Anziehungskraft
der Märkte überschritten die politische Grenze, auch die Sprachgrenze stimmte im
Saar-Mosel- Raum nicht mit der nationalen Grenze überein. Etwa die Hälfte des
Departements Moselle gehörte zum germanophonen Teil Lothringens.71 Die
Bemühungen der Regierung, Französisch als alleinige Nationalsprache zu
69
Siehe Kapitel: 6.1. „Transnationalität der Volksfrömmigkeit und religiösen Praxis im
Grenzraum“.
70
Eingehend hat sich Ralf Banken in seiner
auseinandergesetzt: Banken, Industrialisierung.
71
Haubrichs, Wolfgang: Über die allmähliche Verfertigung von Sprachgrenzen. Das Beispiel
der Kontaktzonen von Germania und Romania, in: Grenzen und Grenzregionen - Frontières et
régions frontalières - Borders and Boder Regions, (Hrsg.) Wolfgang Haubrichs, Reinhard
Schneider, Saarbrücken 1994, 99-130; Haubrichs, Wolfgang: Germanophone Dialekte in
Lothringen, in: Probleme von Grenzregionen: Das Beispiel Saar-Lor-Lux-Raum, Saarbrücken
1987, (Hrsg.) Wolfgang Brücher, Peter Robert Franke, 99-121. Siehe Abbildung 4.
39
Dissertation
mit
dieser
Thematik
etablieren, schlugen fehl.72 Unterrichtssprache der, von den Kindern der unteren
Erwerbsgruppen besuchten Dorfschulen war Deutsch. Frankophone Grundschulen
existierten
im
deutschsprachigen
Teil
Lothringens
lediglich
in
Boulay,
Bouzonville, Saint-Avold, Forbach, Sarreguemines, in Hombourg-Haut und
Stiring-Wendel. Eine schulische Aneignung der französischen Sprache erfolgte
daher weitestgehend nicht.73 Jedoch lebte auch im germanophonen Teil Lothringens
eine beachtliche Anzahl frankophoner Einwohner. Vor allem die bürgerlichen
Schichten, die Beamten, Kaufleute und Zechenbeamten der gröβeren Ortschaften
sprachen Französisch.74 In „la lorraine allemande“ war Französisch daher
weitestgehend die Sprache der Wohlhabenden.75
Luxemburg
Perl
Sierck
Thionville
Saarbrücken
Forbach
Metz
Sarreguemines
heutige Staatsgrenze
Sprachgrenze
Abbildung 4: Deutsch-französische Sprachgrenze Anfang des 20. Jhd.76
72
73
Zur französischen Sprachpolitik: Schmitt, Christian: Artikel: Sprache und Gesetzgebung,
Frankreich, in: Lexikon der Romanistischen Linguistik (LRL), 5 (1990) 354-379, bes. 355f.
Über die Bemühungen der lothringischen Geistlichen Deutsch als Unterrichtssprache
beizubehalten: Courrier de la Moselle, 24.6.1869.
Roth, Lorraine, 45f.
74
Roth, Lorraine, 46. Chip Buchheit beschreibt in ihrem Aufsatz über die Immigration in das
lothringische Kohlebecken die linguistische Grenze zwischen den frankophonen Angestellten
der Zechen und den Bergarbeitern. Buchheit, Immigration, 38.
75
Die Bezeichung „Deutschlothringen“ beziehungsweise „Lorraine allemande“ war vor und
nach 1871 sowohl auf französischer Seite als auch auf deutscher Seite gebräuchlich.
76
Karte nach: Haubrichs, Dialekte, Karte 9.
40
Die Grenzen kultureller Praktiken, Sitten und Gebräuche sind weitaus
schwieriger zu bestimmen als der Verlauf der Sprachgrenze, da unter diese Begriffe
traditionelle Dorfkinderstreiche, aber auch die regionalspezifische Verehrung eines
Heiligen gefasst werden können.77 Fest steht jedoch, dass Verhaltensnormen und
kulturelle Praktiken stark konfessionell geprägt waren, sodass die Frage nach dem
Verlauf der Brauchtumsgrenze an die Frage einer konfessionellen Grenze geknüpft
werden kann.78
Auf lothringischer Seite lebten vor der Annexion nahezu ausschlieβlich
Katholiken und infolge der Zuwanderung katholischer Arbeitskräfte in das
Saarrevier verschob sich auch hier das konfessionelle Verhältnis zu einer
deutlichen,
von
den
unteren
Erwerbsgruppen
dominierten,
katholischen
Bevölkerungsmehrheit, die etwa Zweidrittel der Gesamtbevölkerung ausmachte.79
Die katholischen Bevölkerungsteile im Saar-Mosel- Raum einte eine auf
gemeinsamen Deutungsmustern basierende, ähnliche Lebensweise. Patronatsfeste,
Wallfahrten oder Fronleichnamsprozessionen, vorausgesetzt sie wurden von den
Autoritäten gestattet, waren für die Menschen beiderseits der Grenze Bestandteil
des Brauchtums. Zu den wichtigen Ereignissen im Festkalender zählte auch die
Kirmes, die sogenannte Kirb, die in zahlreichen Ortschaften des Grenzraumes in
den Monaten August, September und Oktober veranstaltet wurde und beliebtes
Ausflugsziel der Grenzraumbewohner war. Diesen, von der katholischen
Konfession geprägten Bräuchen, standen die Deutungsmuster und kulturellen
Praktiken der protestantischen Bevölkerungsteile gegenüber. In der Saarregion
lebte eine nicht nur zahlenmäβig beachtenswerte, sondern auch einflussreiche
protestantische Minderheit, der auch die preuβischen Verwaltungs- und
77
78
79
Siehe beispielsweise die populärwissenschaftlichen Arbeit von Josef Ollinger. Ollinger, Josef:
Geschichten und Sagen von Saar und Mosel. Traditionen und Bräuche des moselfränkischen
Sprachraumes, Saarbrücken 2005.
Zur mentalitäts- und gesellschaftsbildenden Kraft der beiden Konfessionen: Altermatt, Urs:
Katholizismus und Moderne. Zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte der Schweizer Katholiken
im 19. und 20. Jahrhundert, Zürich 1991; Hölscher, Lucian: Geschichte der protestantischen
Frömmigkeit in Deutschland, München 2005.
Bettinger, Dieter Robert: Die Verschiebung der Konfessionsverhältnisse im Saarland, in: Die
Evangelische Kirche an der Saar - gestern und heute, (Hrsg.) Kirchenkreise Ottweiler,
Saarbrücken, Völklingen, Saarbrücken 1975, 215ff.
41
Zechenbeamten angehörten. Vereinfacht gesagt, stand in der Saarregion der
katholischen Unterschicht eine protestantische Oberschicht gegenüber.80 Als mit der
Gründung des Reichslandes Elsass-Lothringen die französischen Beamten durch
preuβische ersetzt wurden, verschob sich auch in Lothringen das Machtverhältnis
zugunsten einer protestantischen Minderheit.81
2.3.
Die Grenze zwischen Lothringen und der Saarregion vor 1871
2.3.1.
Festlegung des endgültigen Grenzverlaufs von 1815-1829.
Die Verträge und deren praktische Umsetzung
Die Festlegung des Grenzverlaufes war ein langwieriger und für die
Grenzraumbewohner schwer nachvollziehbarer Prozess. 1817 wurden die
Vermessungsingenieure beauftragt, den Verlauf der, mit dem Ersten und Zweiten
Pariser Frieden vom Mai 1814 und November 1815 definierten, Grenze zwischen
den deutschen Staaten und Frankreich genau zu verzeichnen.82 Dennoch wandten
sich noch 1818 einige Verantwortliche der Kommunen in direkter Grenznähe mit
der Frage an die höheren Behörden, wo genau sich die Staatsgrenze befand.83
Definitiv konnte den Beamten jedoch erst am 23. Oktober 1829 über den
Grenzverlauf Auskunft gegeben werden, als dieser zuzüglich der letzten
Grenzänderungen in einer, zwischen Preuβen und Frankreich abgeschlossenen,
80
81
Auf saarpreuβischer Seite hatte der Staat nahezu eine Monopolstellung im Bereich des
Bergbaus. Lediglich die Zeche Hostenbach befand sich in privatem Besitz. Mallmann, KlausMichael: Volksfrömmigkeit, Proletarisierung und preußischer Obrigkeitsstaat, in: Soziale
Frage und Kirche im Saarrevier. Beiträge zu Sozialpolitik und Katholizismus im späten 19.
und frühen 20. Jahrhundert, (Hrsg.) Peter Neumann, Saarbrücken 1984, 183-232.
Zu den protestantischen Einwanderern siehe Kapitel: 6.2.1. „Kulturkampf. Ein
Konfessionskonflikt als nationaler und sozialer Konflikt“.
82
ADM, 185 M 1: Anordnung der Behörden an die Vermessungsingenieure.
83
ADM,185 M 1: Anfragen der Bürgermeister aus dem Jahr 1818 an die Behörden des
Departements Moselle.
42
Konvention
endgültig
festgelegt
wurde.84
Obwohl
gleichzeitig
mit
der
Unterzeichnung des Traktates die Errichtung von Grenzmarkierungen angeordnet
wurde, vergingen bis zur Aufstellung der Grenzzeichen noch einige Jahre.85 Erst
1833 wurde von der Präfektur an die Bürgermeister ein Rundschreiben, den
Vorgang der Grenzmarkierung betreffend, gesandt,86 das vorschrieb, die
Grenzbegehung und Grenzmarkierung unter Nennung der Anwesenden, der
Örtlichkeiten und der Art sowie der exakten Stelle der Grenzsteinsetzung
genauestens protokollarisch festzuhalten.87
Die Einwohner der von der Grenzberichtigung betroffenen Orte, wurden von
den Behörden in recht nüchterner Weise über das neue Untertanenverhältnis
informiert. Der Landrat von Merzig unterrichtete den Regierungspräsidenten von
Trier darüber, dass er aufgrund „des Uebergabe Protokolls vom 3ten d. M. den
Bürgermeister von Hilbringen [angewiesen habe] in Bezug auf den an Frankreich
abgegebenen Meilen Scheuerwald, keine Verwaltungsakten mehr vorzunehmen
und […] den Bewohnern anzukündigen, daß sie aufhören Preußische Unterthanen
zu seyn und ihren Unterthanenpflichten gegen Preußen entbunden sind, dagegen
nunmehr zu Frankreich gehörten und wegen ihrer künftigen Verwaltung, die
weiteren Anordnungen des Herrn Unterpräfekten von Thionville zu gewärtigen
hätten.“88
Die neuen sichtbaren Grenzzeichen oder das neue Untertanenverhältnis
waren für das Leben der Bewohner in direkter Grenznähe weniger bedeutend als
die Regelung der Nutzungsrechte, wie Schul- oder Kirchennutzung der nunmehr
84
Zweisprachiger Abdruck der definitiven Übereinkunft zwischen Preuβen und Frankreich vom
23.10.1829. Gesetzsammlung für die Königlich-Preuβischen Staaten, 1830, Nr. 6, 26-45.
Vorgenommene Grenzberichtigungen: Preuβen gab an Frankreich das Dorf und das Gebiet
von Manderen ab sowie die Dörfer Scheuerwald, Remelsdorff, Heining, Schreckling, Villing
und einen Teil des Bannes Leidingen. Frankreich trat Preuβen eine kleine Parzelle in der Nähe
der Orte Heining und Launstroff und die Gersweiler Mühle ab. Preußen behielt darüber hinaus
den Besitz des Dorfes und das Gebiet von Diersdorf, welches zuvor zu Schwerdorff gehört
hatte, auβerdem den Warndtwald. Zuvor war bereits eine Grenzberichtigung in dem
Abkommen vom 11. Juni 1827 zwischen Frankreich und Preuβen festgelegt worden.
85
Gesetzsammlung für die Königlich-Preuβischen Staaten, 1830, Nr. 6, 26-45.
ADM, 186 M: Rundschreiben des Präfekten an die Bürgermeister, 1.1.1833.
86
87
ADM, 186 M: Alle Protokolle aus dem Jahr 1833.
88
LHAK, Best. 442, Nr. 6: Landrat von Merzig an die königl. Regierung in Trier, 12.3.1830.
43
durch eine Staatsgrenze getrennten Nachbargemeinden. 1833 befragten die
Behörden die Bürgermeister der Grenzorte, inwieweit sie Nutzungsrechte auf dem
anderen Staatsgebiet anzumelden hätten. Jeder Ort listete daraufhin minutiös auf,
ob und welches Recht er beim Nachbarn einforderte.89 Teilweise hatten die
Grenzorte keine gegenseitigen Ansprüche anzumelden. In den meisten Fällen
klärten die Vereinbarungen die Art der Weideflächenmitbenutzung. Einigen
konnten sich die betroffenen Dörfer in keinem der dokumentierten Fälle und
teilweise wurden diese Nachbarschaftsstreitigkeiten erst vor Gericht beigelegt.90
Problematisch war, dass den Parteien zwar die Möglichkeit eingeräumt wurde, „ihr
gutes altes Recht“ festschreiben zu lassen, dass jedoch die Voraussetzung das
gegenseitige
Einverständnis
der
betroffenen
Orte,
beziehungsweise
der
gegenseitige Nutzen für beide Orte war. Hatte also eine Gemeinde seit jeher die
Weideflächen des Nachbarortes mitbenutzt, ohne dafür eine Entschädigung zu
zahlen, fiel es schwer, sich hier auf eine entsprechende Gegenleistung zu einigen.
Neben der Nutzung der Weideflächen wurde innerhalb dieser Abkommen auch die
Mitbenutzung der Kirchen und Schulen geregelt. Problemlos konnten sich die
meisten Orte über die Nutzung der Kirchen- und Schulgebäude einigen, da sich die
Gemeinden gemeinsam an den Baukosten beteiligt hatten und daher keine
Gegenleistung eingefordert werden konnte.91 Neben der Nutzung der Weideflächen,
Kirchen und Schulen, regelten diese Abkommen auch die Menge der Holzausfuhr,
das Recht auf Sandabbau und den Holzschlag in den Wäldern.92
89
LHAK, Best. 442, Nr. 7.
90
LHAK, Best. 442, Nr. 7: Die Streitigkeiten über die Nutzungsrechte der Orte Differten und
Creutzwald wurden später vor einem Gericht in Trier verhandelt.
91
Ohne Schwierigkeiten hatten die Bewohner der Gemeinde Oberesch die Mitbenutzung der
Kirche, der Schule und des Friedhofes des lothringischen Ortes Schwerdorff, deren
Mitbesitzer sie waren, festschreiben lassen. Die Gemeinde Waldwisse hingegen forderte von
den Einwohnern des Ortes Biringen für die Mitbenutzung der Pfarrkirche, des Friedhofes und
des Schulhauses eine finanzielle Entschädigung, obwohl Biringen angab, Mitbesitzer dieser
Gebäude zu sein. Demgegenüber stimmten die Bewohner Leidingens einer Mitbenutzung der
Kirche und der Schule durch die Bewohner Schrecklings und Heinings zu, da diese sich auch
an den Kosten der Konstruktion beteiligt hatten. LHAK, Best. 442, Nr. 7: Protokolle über die
Nutzungsrechte aus dem Jahr 1833.
92
LHAK, Best. 442, Nr. 7: Protokolle über die Nutzungsrechte aus dem Jahr 1833.
44
2.3.2.
Die sichtbare Grenze
Was auf einer Landkarte leicht als Staatsgrenze zu erkennen ist, lässt sich im
Landschaftsbild nur schwer orten. Um die Saar oder Rossel als Grenzflüsse zu
identifizieren, muss zunächst bekannt sein, dass diese zwei Staaten trennen. Für die
Grenzraumbewohner waren diese durchgehend sichtbaren Zeichen im Vergleich zu
den künstlich errichteten Markierungen sicher die prägnanteren Grenzzeichen.93
Durch die zahlreichen Herrschaftswechsel vergangener Epochen befanden sich in
der Grenzzone nicht nur die Markierungen der Grenze von 1815. Noch bis in die
Gegenwart stehen beispielsweise im Warndtwald etwa 90 Steine, welche die
Grenzen zwischen den Besitzungen des Klosters Wadgassen und NassauSaarbrücken sowie zwischen Frankreich und Nassau-Saarbrücken markierten. Die
Grenzzeichen des Jahres 1815 stellten daher für die Grenzraumbewohner einige
von vielen Grenzmarkierungen dar.94 Nur bei auβenpolitischen Konflikten
gewannen die Grenzsteine für die Bewohner als Symbol für das andere
Herrschaftsgebiet an Bedeutung. Im Anschluss an eine Feier zum Sieg von
Solferino zogen einige Einwohner Siercks an die Grenze, zerbrachen dort einen
preuβischen Zollstock und setzten so den Siegeszug der französischen Truppen bis
zur preuβisch-französischen Grenze fort.95 Im Alltag waren die Grenzmarkierungen
oftmals eher störend. Behinderten Grenzsteine die Beackerung eines Feldes,
wurden diese kurzerhand von den Grenzraumbewohnern versetzt.96
Waren die Grenzzeichen für den Alltag der Menschen von geringer
Wichtigkeit, hatten diese für die deutschen und französischen Behörden als
Markierung des Herrschaftsgebietes eine groβe Bedeutung. Ganze Akten füllen die
93
94
95
96
Talkenberg-Bodenstein, Renate: Grenze – Impressionen und Dimensionen, in: Grenzenlos.
Lebenswelten in der deutsch-französischen Region an Saar und Mosel seit 1840, (Hrsg.)
Historisches Museum Saar, Saarbrücken 1998, 462ff. Renate Talkenberg-Bodenstein wertet in
ihrem Aufsatz verschiedene Landschaftsfotografien und Postkarten zu dieser Thematik aus.
Rösnick, Werner: Alte Grenzsteine im Warndt, o.O. ca. 1980. Siehe auch: Götz, Nikolaus:
Das Grenzsteinarchiv der Landesforstverwaltung, Saarbrücken 1990.
LHAK, Best. 403 Nr. 6575: Regierungspräsident an den Oberpräsidenten, 2.8.1859, Minister
der Auswärtigen Angelegenheiten an den Innenminister, 9.11.1859.
Einer der, in den Berichten über den Zustand der Grenzeichen genannten Gründe für das
„Verschwinden“ der Grenzsteine. ADM, 182 M; ADM, 183 M.
45
Protokolle über die Errichtung sowie Instandhaltung der Grenzsteine.97 Die
Erneuerung der Grenzmarkierungen beziehungsweise deren Ausbesserung erfolgte
unter Anwesenheit höherer Beamter, Sachverständiger sowie Bürgermeister und
unter strenger Einhaltung eines Protokolls, welches die Prozedur genau
vorschrieb.98
Weitaus deutlicher wahrnehmbar, und für den Alltag im Saar-Mosel- Raum
bedeutender als die Grenzsteine, waren die Grenzgebäude und Zollämter. Die
Grenze war zwar eine offene Grenze, die durch das Übersetzen von einem zum
anderen Saarufer, durch das Überschreiten einer Brücke, während eines
Spazierganges im Wald oder der Fahrt auf einer Straβe überquert werden konnte,
ohne dass zwangsläufig der Grenzübertritt wahrgenommen wurde. Wollten die
Grenzraumbewohner jedoch Waren ein- und ausführen, mussten sie wissen, an
welchen Zollstationen das betreffende Produkt importiert beziehungsweise
exportiert werden durfte, da die einzelnen Zollämter für unterschiedliche
Produktgruppen freigegeben waren.99
Die Grenzbeamten waren eher unauffällige Zeichen der Grenzsituation. In
den 1850er Jahren hatten die Grenzbeamten in der preuβischen Beamtenschaft eine
so niedrige Priorität, dass deren Uniformierung im Gegensatz zu der der
Postbeamten als nicht notwendig angesehen wurde.100 Darüber hinaus wurden
Grenzübergänge nur unregelmäβig kontrolliert.101 Lediglich bei Kriegsgefahr
ordneten die Regierungen eine verstärkte Grenzbewachung an.102 Zwar fielen die
97
ADM, 182 M; ADM, 183 M.
98
ADM, 183 M: Ausbesserung der Grenzsteine bei Spicheren, Petite-Rosselle, Forbach,
Ludweiler, Schoeneck, Saarbrücken 1848-1855.
99
ADM, 6 P 8: Direktor des Zolls in Metz, 6.10.1853. Auflistung der Zollämter des
Departements Moselle, die für den Import und Export von Korn, Mehl und Früchten geöffnet
waren. Die Listen wurden in regelmäβigen Abständen aktualisiert.
100
So wurde im Wochenbericht der Polizeidirektion Saarbrücken vom 19.6.1852 negativ
hervorgehoben, dass die mit dem Pass- und Fremden- und Meldewesen betrauten Polizisten,
obwohl sie ebenso häufig wie die Postbeamten mit dem Publikum in Kontakt kommen
würden, immer noch keine Uniform tragen würden. LHAK, Best. 403, Nr. 17986.
101
Beispielsweise in Cocheren und Sierck. ADM, 106 M 2: Unterpräfekt an Präfekt, 16.3.1858.
102
Die preuβische Regierung versetzte im Mai 1859 zunächst zwei, dann fünf berittene
Gendarmen an die preuβisch-französische Grenze. LHAK, Best. 403, Nr. 6575:
Regierungspräsident Trier an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz, 28.4.1859;
46
Grenzbeamten in auβenpolitisch ruhigen Zeiten kaum auf, dennoch war der
persönliche Kontakt der Grenzraumbewohner zu den Beamten wichtig, da die
Bewohner die Grenze auch ohne Ausweispapiere passsieren durften, wenn sie dem
Grenzbeamten bekannt waren.103
2.3.3.
Wer
Der Grenzübertritt. Die Vorschriften und die Realität
an
Staatsgrenzen
denkt,
denkt
gleichzeitg
an
Pässe,
Visa
und
Staatsangehörigkeitsausweise. Auch die Grenzraumbewohner mussten sich zu
ihrem Leidwesen phasenweise intensiv mit dem Thema „Grenzformalitäten“
beschäftigen. Folgender Leserbrief aus dem Jahr 1855 fand daher im Grenzraum
ein breites Echo: „Die Pässe und die Visa sind unserer Ansicht nach nur ein
demütigender Steuermechanismus der früher oder später abgeschafft werden wird,
wie die letzten materiellen Barrieren, welche die Völker trennen. Heute, gewiss,
werden die Menschen in allen Ländern von den Verwaltungsgesetzen nicht, wie es
die Lehre Rousseaus besagt, als von Geburt an grundsätzlich gut angesehen. Alle
Reisenden sind verdächtig und werden von vorneherein als gefährlich angesehen.
Wenn die Freiheit, nur aus dem Recht besteht zu kommen und zu gehen wann und
wie man will, wollen wir wenigstens, dass dies Recht vollständig verwirklicht ist
und man tatsächlich kommen und gehen kann wie es einem passt.“104 Hintergrund
des Leserbriefes waren die in den 1850er Jahren verschärften Grenzkontrollen und
Passvorschriften auf französischer Seite, die im Kontrast zu den im Ersten und
Zweiten Pariser Frieden, beziehungsweise den in einem Abkommen zwischen
Regierungspräsident Koblenz an den Oberpräsidenten, 21.5.1859. LHAK, Best. 403, Nr.
6575: Regierungspräsident an den königl. Oberpräsidenten, 20.5.1859. LHAK, Best. 403, Nr.
6575: Königl. Regierung Abteilung des Inneren an den Oberpräsidenten, 16.9.1859.
103
Siehe Kapitel: 2.3.3. „Der Grenzübertritt. Die Vorschriften und die Realität“.
104
Courrier de la Moselle, 8.11.1855 „Le passeport et le visa engendré du passeport ne sont
guère, à notre sens, que des fiscalités vexatoires qui seront supprimées tôt ou tard, comme les
dernières barrières matérielles qui séparent les peuples. Aujourd’hui encore, par tout pays, la
législation administrative ne traite certes pas l’homme comme, s’il naissait bon, suivant la
doctrine de Rousseau […]. Tous les voyageurs sont suspects, et considérés au préalable
comme des gens dangereux. Si la liberté n’est que le droit d’aller et de venir, nous voudrions
du moins que ce droit fût entier, et qu’on pût en effet aller et venir à son aise.“
47
Preuβen und Frankreich vom 11. Juni 1827 festgelegten, unbürokratischen
Einreise- und Ausreisebestimmungen standen.
Der Artikel 13 des Abkommens vom 11. Juni 1827 bestimmte, dass von den
Grenzraumbewohnern, die beabsichtigten, die Grenze zu überschreiten, „keine
Deklaration eingefordert werden dürfe, und dass ihnen keinerlei Widerstand
entgegengebracht werden solle, die gewährten Möglichkeiten, die Grenze zu
überschreiten zu nutzen.“105 Eine Anweisung der französischen Regierung vom
August 1816 legte fest, dass ein Grenzraumbewohner ohne Ausweispapiere die
Grenze überqueren durfte, unter der Bedingung, dass er dem Grenzbeamten
bekannt war.106 Im gegenteiligen Fall musste der Grenzraumbewohner eine
Legitimation vorlegen, aus der die Personalien ersichtlich waren.107 Neben den
preuβisch-französischen Abkommen und der französischen Verfügung aus dem
Jahr 1816, bestimmte das allgemeine preuβische Passedikt vom 22. Juni 1817 die
Formalitäten des Grenzübertrittes der Grenzraumbewohner. Im Gegensatz zu den
anderen In- und Ausländern, die für jeden Grenzübertritt in das preußische
Staatsgebiet und aus dem preuβischen Staatsgebiet heraus einen Eingangsbeziehungsweise
Ausgangspass
beantragen
mussten,
erhielten
die
Grenzraumbewohner bei den Landräten und den städtischen Polizeiverwaltungen
Ein- und Ausgangspässe für den betreffenden Grenzraum, die ein Jahr gültig
waren. Die Jahrespässe der Grenzraumbewohner waren, im Gegensatz zu denen der
anderen Antragssteller, für die Grenzraumbewohner kostenlos. Die Bestimmungen
räumten den Grenzbeamten bezüglich der Kontrolle der Grenzraumbewohner einen
bestimmten Ermessensspielraum ein, da Personen, die ohne Pass kontrolliert
wurden, aber „durch Nachweisung eines rechtmäβigen Gewerbes, Bekanntschaft
105
ADM, 185 M 1: Abdruck des bilateralen Abkommens. „Dans le cas de simple passage,
aucune déclaration ne pourra être exigée, et il ne sera fait aucune opposition pour user de la
faculté accordée pour passer. Il est bien entendu que la liberté de passage dont il est ici
question, ne s’étendra en aucune manière aux militaires armés ni aux équipages de guerre
d’aucune espèce.“
106
ADM, 106 M 2: Schriftwechsel zwischen dem Innenminister und dem Präfekten, 29.7.1858.
Betreff: Anwendung der Generalanweisung, die Pässe betreffend, vom 20.8.1816: „les
Communes limitrophes (…) sont dispensés de toute formalité pour passer et repasser d’un
territoire à l’autre.“
107
ADM, 106 M 2: Schriftwechsel zwischen dem Innenminister und dem Präfekten, 29.7.1858.
48
mit zuverlässigen Inländern, oder sonst als unverdächtig sich ausgewiesen“ hatten,
ohne Jahrespass die Grenze passieren durften.108
Passvorschriften hinderten den Grenzverkehr zu diesem Zeitpunkt nicht. Erst
als im September 1851 eine Anordnung der französischen Regierung vorschrieb,
dass ausländische Reiselegitimationen mit einem Visum der französischen
Botschaft versehen sein mussten, wurde der Grenzübertritt für die Bewohner des
Saar-Mosel- Raumes phasenweise komplizierter.109 Die Bestimmung wurde bis
1854 in der Regel auf die Arbeiter angewandt, die massenweise nach Paris
strömten.
Nur
der
Amtsantritt
eines
Polizeikommissars
konnte
den
Grenzraumbewohnern Unannehmlichkeiten bereiten,110 da einige Beamte zu Beginn
ihrer Dienstzeit die Vorschriften zu streng auslegten und so entgegen der gängigen
Praxis handelten.111
Mit der Landung französischer Truppen auf der Krim im September 1854,
wurden die Grenzkontrollen deutlich verschärft. Auch die Bewohner der
Rheinprovinz
waren
nun
von
den
strengen
Einhaltungsvorschriften
der
Visumspflicht betroffen und die Klagen über den erschwerten Grenzübertritt
häuften sich.112 Die Vorschriften wurden für die Grenzraumbewohner, die in
direkter Grenznähe wohnten, immer noch tolerant ausgelegt. Zu einer merklichen
Behinderung des kleinen Grenzverkehrs kam es nicht.
108
Allgemeines Pass-Edikt für die preuβische Monarchie vom 22. 06. 1817, in: Gesetzsammlung
für die Königlich-Preuβischen Staaten, 152-160, besonders: Erster Titel, § 4
(Sonderbestimmung Grenzraumbewohner, Eingangspaβ), Zweiter Titel, § 10
(Sonderbestimmung Grenzraumbewohner Ausgangspaβ), Vierter Titel § 16 (Visierung der
Pässe), § 23 (Zu den Stempel- und Ausstellungsgebühren), § 6 (Maβnahmen bei der
Nichtbeachtung des Passediktes).
109
LHAK, Best. 403, Nr. 6780: Königl. Regierungsabteilung des Inneren an den Minister des
Inneren, 12.4.1854.
110
LHAK, Best. 442, Nr. 10212: Auskunft zur Anforderung eines Visums eines preuβischen
Gesandten für französische Reisende, Königl. Polizeikommissar an das königl. Landratsamt,
27.9.1854.
111
LHAK, Best. 442, Nr. 10212: Landrat von Saarbrücken an die königl. Regierung in Trier,
15.5.1854. Bericht vom 10.5.1854; LHAK, Best. 442, Nr. 10212: Landrat von Saarbrücken an
die königl. Regierung in Trier, 14.6.1854.
LHAK, Best. 442, Nr. 10212: Staatsministerium für auswärtige Angelegenheiten an den
königl. Staatsminister und Minister des Inneren, 9.6.1855.
112
49
Deutlich erschwert wurde hingegen der kleine Grenzverkehr infolge der
verschärften Passvorschriften nach dem Attentat Orsinis am 14. Januar 1858 auf
Napoleon
III.
Die
Präfekten
beziehungsweise
Unterpräfekten
der
Grenzdepartements und Grenzarrondissements erhielten im Anschluss an das
Attentat die Anweisung, die Grenzkontrollen zu verstärken und strengstens darauf
zu achten, nur Ausländern den Grenzübertritt zu erlauben, deren Pässe mit dem
Visum eines französischen Konsuls oder Botschafters versehen waren.113 Nach der
neuen Vorschrift musste der Antrag persönlich eingereicht und laut einem Erlass
vom 1. März 1858 für jede Reise nach Frankreich neu gestellt werden.114 Hatte die
französische Regierung die Grenzraumbewohner zunächst von den Bestimmungen
ausgenommen, galt ab dem 10. März 1858 die Visumpflicht für alle Ausländer, die
nach Frankreich einreisen wollten.115 Die Folgen für die Grenzraumbewohner waren
dramatisch. Der Handel wurde behindert, die ausländische Kundschaft blieb
vermehrt aus, der Fremdenverkehr lieβ nach, und die zahlreichen Eltern, die ihre
Kinder in lothringischen Internaten untergebracht hatten, konnten diesen keinen
Besuch
abstatten.116
Von
dem
weitestgehend
barrierefreien
Alltag
der
Grenzraumbewohner war nicht mehr viel zu spüren. Die lokalen Behörden
versuchten bei den Ministerien eine Lockerung der Passvorschriften für die
113
114
115
116
ADM, 106 M 2: Unterpräfektur Sarreguemines an den Präfekten, 12.2.1858. Der Unterpräfekt
versichert der Regierung, dass die Maβnahmen, die Kontrolle der Visa betreffend, strengstens
ausgeführt werden.
LHAK, Best. 403, Nr. 6780: Minister des Inneren an die königl. Regierungen zu Köln,
Koblenz, Aachen und Düsseldorf, 27.4.1858. LHAK, Best. 403, Nr. 6780: Minister des
Inneren an den königl. Polizeipräsidenten, 15.4.1858. Zuvor war das Visum ein Jahr gültig.
ADM, 106 M 2: Innenminister an Präfekt, 4.10.1853.
Erlass vom 1. März 1858: Die Visumspflicht gelte nicht für die Grenzbewohner. Hier würde
immer noch der Artikel 25 der Generalanweisungen über das Passwesen vom August 1816
gelten, da die Grenzraumbewohner täglich pendeln würden und traditionell gute Kontakte
zwischen den Bewohnern bestehen würden. ADM, 106 M 2: Innenminister an den Präfekten,
1.3.1858. Aufhebung der Ausnahmeregelung. ADM, 106 M 2: Innenminister an den
Präfekten, 10.3.1858.
Berichte der Handelskammer und des Generalrates Moselle. ADM, 106 M 2: Handelskammer
von Metz an den Innenminister, 28.3.1858. ADM, 3 N 5: Conseil Général de la Moselle.
Sitzung vom 28. 8. 1858.
50
Grenzraumbewohner zu erbitten – zunächst ohne Erfolg.117 Nicht nur die
Grenzraumbewohner hatten Schwierigkeiten, sich mit den neuen, strengen
Passvorschriften zu arrangieren, auch die Grenzbeamten und die Behörden waren
mit den neuen strengen Grenzkontrollen und den sich teilweise widersprechenden
Vorgaben aus Paris merklich überfordert.118 Auf den Eisenbahnstrecken war nur
eine unzureichende Kontrolle der Reisenden möglich. Arbeiter, die ins Innere
Frankreichs reisen wollten, um dort Arbeit zu suchen, fuhren anstatt von
Saarbrücken nach Forbach, einfach von Saarbrücken nach Cocheren und Sierck, da
dort die Überwachung nicht so intensiv war.119
Die strengen Passvorschriften waren mit dem Alltag an der Grenze nicht
kompatibel. Bereits im Juli 1858 hatte die französische Regierung für die Bürger
von Saarlouis die Visumspflicht aufgehoben.120 Schlieβlich gab der Innenminister
am 5. November 1858 – acht Monate nach Verschärfung der Vorschriften- bekannt,
dass allen Grenzraumbewohnern gestattet sei, bis Metz ohne Visum nach
Frankreich einzureisen. Die Einreise war nur an den Besitz eines gültigen Passes
gebunden.121
Phasenweise
versuchte
die
französische
Regierung
die
117
ADM, 106 M 2: Schriftwechsel zwischen dem Innenminister und dem Präfekten, 23.10.1858.
ADM, 106 M 2: Handelskammer von Metz an den Innenminister, 28.3.1858. ADM, 3 N 5:
Conseil Général de la Moselle. Sitzung vom 28. 8. 1858. Absprache über mögliche
Einflussnahmen auf die französische Regierung zu den Passvorschriften: LHAK, Best. 403,
Nr. 6780: Minister des Inneren an die königl. Regierungen zu Köln, Koblenz, Aachen und
Düsseldorf, 27.4.1858.
118
Im Februar 1858 erkundigte sich der Forbacher Grenzkommissar beim Minister des Inneren
danach, ob die Personen aus der bayerischen Pfalz immer noch von der Visumspflicht befreit
seien. ADM, 106 M 2: Forbacher Grenzkommissar an den Innenminister, 27.2.1858. Obwohl
der Innenminister bereits im März 1858 in einer entsprechenden Anordnung an die Präfekten
die Ausnahmeregelung aufgehoben hatte, fragte auch der Präfekt des Departements Moselle
im Mai 1858 beim Innenminister nach, ob die Ausnahmeregelung noch gelte. ADM, 106 M 2:
Präfekt an den Minister des Inneren, 2.5.1858.
ADM, 106 M 2: Unterpräfekt an Präfekt, 16.3.1858. Im Forbacher Bahnhof war ebenfalls
keine ausreichende Kontrolle der Reisenden möglich, da die Passkontrolle in einem
Gepäckraum stattfand, der auch zur Stadt hin geöffnet war. Man konnte sich also leicht einer
Passkontrolle entziehen. ADM, 106 M 2: Unterpräfekt an den Präfekten, 16.3.1858.
ADM, 106 M 2: Schriftwechsel zwischen dem Innenminister und dem Präfekten, 29.7.1858.
119
120
121
ADM, 106 M 2: Schriftwechsel des Innenministers mit dem Präfekten, 5.11.1858.
51
Grenzbestimmungen wieder zu verschärfen, aber ohne nennenswerte Folgen für die
Grenzraumbewohner.122
Hatte
die
französische
Regierung
Versuche
unternommen,
den
Grenzübertritt zu erschweren, war die preuβische Regierung darauf bedacht, diesen
an möglichst wenige Bedingungen zu knüpfen. Vorschläge einiger Behörden, die
Passvorschriften in den Phasen intensivierter Grenzabsicherung auf französischer
Seite ebenfalls zu verschärfen, wurden von den Regierungsstellen abgelehnt.123
Ebenso legte das Gesetz über das Passwesen des Norddeutschen Bundes, welches
das Allgemeine Passedikt am 1. Januar 1868 ersetzte, unkomplizierte Ein- und
Ausreisebestimmungen fest.124 Laut Gesetz benötigten weder Bundesangehörige
noch Ausländer Reisepapiere. Ebenso sollte „von Ausländern weder beim Eintritt,
noch beim Austritt über die Grenze des Bundesgebietes, noch während ihres
Aufenthalts oder ihrer Reisen innerhalb desselben, ein Reisepapier gefordert
werden.“ Bundesangehörige und Ausländer waren jedoch dazu verpflichtet, sich
auf amtliche Aufforderung hin, bezüglich ihrer Person genügend ausweisen zu
können.125 Eine Ausnahmeregelung für die Grenzraumbewohner war aufgrund
dieser liberalen Ein- und Ausreisebestimmungen nicht mehr notwendig. Die im
einleitend zitierten Leserbrief geäuβerte Wunschvorstellung eines barrierelosen
Alltags war für die Grenzraumbewohner in der hier untersuchten Periode
122
123
124
125
LHAK, Best. 442, Nr. 10212: Königl. Polizeidirektor von Trier an die königl. Regierung in
Trier, 18.5.1861. Informationsaustausch über die verschärften Einreisebestimmungen nach
Frankreich.
Die preuβische Regierung lehnte den Vorschlag des Aachener Regierungspräsidenten ab, der
anregte als Repressalie auch von den französischen Reisenden ein Visum der preußischen
Gesandtschaft einzufordern. „Auf die Entscheidung der französischen Regierung würde eine
solche Maßregel ohne Einfluß bleiben, die Letztere würde nur zur Belästigung der Reisenden
dienen und jedenfalls eines Vortheils für den Preußischen Staat oder dessen Unterthanen
entbehren.“ Es sei ganz im Gegenteil für spätere Verhandlungen von Vorteil, wenn man der
französischen Regierung gegenüber anführen könnte, dass man auf eine Belästigung der
französischen Reisenden verzichtet habe. LHAK, Best. 442, Nr. 10212: Staatsministerium für
auswärtige Angelegenheiten an den königl. Staats- und Minister des Inneren, 9.6.1855.
Beratung über die Änderungen des Allgemeinen Passediktes: LHAK, Best. 442, Nr. 10212:
Minister des Inneren an sämtliche königl. Regierungen, 18.7.1861. Befragung der Landräte.
LHAK, Best. 442, Nr. 10212: Landrat von St. Wendel an die königl. Regierung in Trier,
3.9.1861. Landrat von Wittlich an die königl. Regierung in Trier, 16.9.1861. LHAK, Best.
442, Nr. 10212: Landrat von Saarbrücken an die königl. Regierung in Trier, 22.9.1861.
Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, Nr. 5, 33-35.
52
weitestgehend Realität. Trotz der zeitweise verschärften Einreisebedingungen nach
Frankreich behinderten die Grenz- und Passformalitäten die Entwicklung der
grenzüberschreitenden Beziehungen nicht.126
2.4.
Die Verwaltung und die politische Grenze.
Behördliche Zusammenarbeit im Grenzraum
Im
August
1851
schrieb
der
Landrat
von
Saarbrücken
an
den
Regierungspräsidenten von Trier, dass er vor einigen Tagen nach Sarreguemines
gereist sei, um den, in eine andere Stadt versetzten Unterpräfekten zu
verabschieden. Der Landrat traf den ehemaligen Unterpräfekten schon nicht mehr
an. Jedoch konnte er den neuen Amtsinhaber begrüβen, der sich im selben Gasthof
befand. Bei einer Unterredung sprach der Landrat den Wunsch aus, die bisherigen
freundschaftlichen Beziehungen fortzusetzen, woraufhin sich der neue Unterpräfekt
dazu bereit erklärt habe, den „diesseitigen Anträgen möglichst zu entsprechen.“127
Der Kontakt zwischen den Sarregueminer Unterpräfekten und den Landräten
war
so
intensiv,
dass
die
Unterpräfektur
von
Sarreguemines
eine
Kompetenzerweiterung beim Generalrat des Departements Moselle beantragte und
diese 1854 aufgrund des engen Kontaktes des Unterpräfekten zu ausländischen
Behörden und Industriellen auch erhielt.128 Jahrelang hatte sich der Unterpräfekt
126
127
128
Dieser Kontrast zwischen dem Anspruch der staatlichen Grenzkontrolle und deren Umsetzung
in der Praxis wurde auch in anderen Grenzräumen nachgewiesen: Sauer, Edith: Zwischen
dichter und grüner Grenze. Grenzkontrollen in der vormärzlichen Habsburgermonarchie, in:
Grenzöffnung, Migration, Kriminalität, (Hrsg.) Arno Pilgram, Baden-Baden 1993, 169-177;
Heindl, Waltraud; Sauer, Edith (Hrsg.): Grenze und Staat. Paßwesen, Staatsbürgerschaft,
Heimatrecht und Fremdengesetzgebung in der österreichischen Monarchie (1750-1867),
Wien, Köln, Weimar 2000; Sauer, Edith: Straße, Schmuggel, Lottospiel. Materielle Kultur
und Staat in Niederösterreich, Böhmen und Lombardo-Venetien im frühen 19. Jahrhundert,
Göttingen 1989; Stauber, Reinhard: Der Zentralstaat an seinen Grenzen. Administrative
Integration, Herrschaftswechsel und politische Kultur im südlichen Alpenraum. 1750-1820,
Göttingen 2001.
LHAK, Best. 442, Nr. 3422.
Courrier de la Moselle, 15.9.1859
53
von Sarreguemines für diese Kompetenzerweiterung eingesetzt.129 Erleichtert wurde
die Kommunikation der Unterpräfektur und der Landräte von Saarbrücken und
Zweibrücken zunächst durch eine telegraphische Verbindung, die jedoch im Laufe
der 1860er Jahre unterbrochen worden war.130 Die grenzüberschreitende
Zusammenarbeit der Behörden funktionierte jedoch auch auf herkömmlichem Weg
über
Korrespondenz
und
persönliche
Treffen.131
Besonders
in
der
Verbrechensbekämpfung arbeiteten die Behörden zusammen.
Viele Delinquenten hofften, durch die Flucht auf die andere Seite der
Grenze, einer Verfolgung durch das Gesetz zu entgehen oder verlegten ihren
„Wirkungskreis“ auf das andere Staatsgebiet, um länger unerkannt zu bleiben.132
Sich dieser Problematik bewusst, versuchten die Behörden des Grenzraumes,
gemeinsam gegen die Straftäter vorzugehen. So sprachen die preuβischen
Landratsämter und französischen Unterpräfekturen nicht nur allgemein über das
Thema
„Verbrechensbekämpfung“,
grenzüberschreitende
sondern
Hilfeleistungen,
gaben
beispielsweise
sich
auch
tauschten
konkrete
Behörden
Informationen über verdächtige Personen aus.133 Ebenso kooperierten die
129
So wurde bereits 1856 dem Conseil Général de la Moselle der Antrag zur Prüfung vorgelegt:
ADM, 3 N 5: Conseil Général de la Moselle. Session de 1850. Procés-Verbaux des
Délibérations 1854-1858. Antrag des Unterpräfekten von Thionville und Sarreguemines des
Jahres 1856. Erneute Anträge zur Anhebung der Klasse: ADM, 3 N 10: Collection des procèsverbaux imprimés des délibérations du Conseil général 1863, 28.8.1863: Unterpräfektur von
Sarreguemines – Anhebung der Klasse. ADM, 3 N 11: Collection des procès-verbaux
imprimés des délibérations du Conseil général 1864, August 1864.
130
So forderte der Conseil d’arrondissement von Sarreguemines 1866 die Wiedereinrichtung
einer telegraphischen Verbindung. ADM, 8 N 11: Extrait du Registre des délibérations du
Conseil d’arrondissement, Session de 1866. Trotz der Notwendigkeit eines
grenzüberschreitenden telegraphischen Kontaktes, war die Verbindung 1869 immer noch
unterbrochen.
ADM, 8 N 11: Extrait du Registre des délibérations du Conseil d’arrondissement, Session de
1869.
Dieses Problem wurde auch in der Tagespresse diskutiert. Courrier de la Moselle, 15.3.1855.
Courrier de la Moselle, 14.12.1869.
Besuch des Unterpräfekten von Thionville beim Landrat von Merzig, um mit diesem unter
anderem über die Bekämpfung des Schmugglerproblems zu sprechen: LHAK, Best. 442, Nr.
3422: Landrat von Merzig an den Regierungspräsidenten von Trier, 3.10.1851. Andere Fälle
behördlicher Zusammenarbeit: LAS, Best. Landratsamt Saarbrücken, Nr. 1: Brief des
Unterpräfekten an den Landrat von Saarbrücken, 23.6.1865; Brief des Unterpräfekten an den
Landrat von Saarbrücken, 19.2.1866. ADM, 2 OP 361: Brief des Bürgermeisters von Forbach
an den Unterpräfekten von Sarreguemines, in dem er Informationen über eine Person
131
132
133
54
Staatsanwaltschaften, wenn eine Flucht der Straftäter auf das andere Staatsgebiet
befürchtet wurde.134. Notwendig war die Zusammenarbeit der Polizeibehörden bei
der Verhaftung von Straftätern auf fremdem Hoheitsgebiet, da die Festnahme oder
Verfolgung eines Straftäters nur auf eigenem Territorium gestattet war. Die
Grenzsituation erforderte es, zur erfolgreichen Verbrechensbekämpfung in
manchen Fällen diese geltenden Bestimmungen zu missachten. Sich dieser
Tatsache bewusst, räumten die Regierungsbehörden der erfolgreichen Festnahme
eines Gesetzesbrechers eine höhere Priorität ein als der Verhinderung von
Verletzungen des Hoheitsgebietes. In keinem der überlieferten Fälle einer
unrechtmäβigen Festnahme wurden gegen die Beteiligten Disziplinarstrafen
verhängt.135
134
135
weiterleitet, welche er vom Landrat in Saarbrücken erhalten hatte, Januar 1852. Kooperation
der Polizeibehörden: Saarbrücker Zeitung, 26.10.1866. Siehe ebenso: LAS, Best. Landratsamt
Saarbrücken, Nr. 1: Polizeikommissar St. Johann an den Landrat von Saarbrücken, Anfang
1855; Polizeikommissar an den Landrat von Saarbrücken, 16.2.1855. Saarbrücker Zeitung,
25.6.1869, LAS, Best. Landratsamt Saarbrücken, Nr. 1: Bürgermeister von Forbach an den
Landrat von Saarbrücken, Anfang Januar 1855.
Saarzeitung 16.12.1851: Bekanntmachung des Oberstaatsanwaltes. Fahndungsaufruf nach
einem Franzosen, der in Lothringen einen Raub begangen hatte. Andere Fälle der
Kooperation: Saarzeitung, 7.1.1851, 30.10.1851.
Das Verfahren gegen einen Feldhüter, der einen Franzosen auf französischem Hoheitsgebiet
verfolgt und festgenommen hatte, wurde eingestellt. LHAK, Best. 442, Nr. 1175: Königl.
Regierung an den Oberprokurator in Saarbücken, 10.9.1857. Der Minister für Auswärtige
Angelegenheiten an die königl. Regierung, 10.9.1857. Ebenso ohne Strafverfolgung kamen
zwei Feldhüter aus Rehlingen davon, die den französischen Gendarmen bei der Festnahme
eines aus Frankreich geflüchteten Straftäters auf preuβischem Boden geholfen hatten. LHAK,
Best. 442, Nr. 1175: Landrat von Saarlouis an die königl. Regierung Trier, 22.8.1855;
Oberprokurator von Saarbrücken an die königl. Regierung in Trier, 1.9.1855.
Informationsaustausch über die Verhaftung eines französischen Deserteurs im preuβischen
Kleinblittersdorf durch einen französischen Offizier: LHAK, Best. 442, Nr. 1175: Landrat von
Saarbrücken an die königl. Regierung Trier, 3.5.1856.
55
2.5.
Die Grenze zwischen Lothringen und der Saarregion nach 1871
Im Februar 1871 wurde in Paris die Abtretung des Elsass und des Departements
Moselle an das Deutsche Reich beschlossen.136 Zusammengeschlossen im
Reichsland Elsass-Lothringen, wurden beide Gebiete am 9. Juni 1871 juristisch an
das Deutsche Reich angegliedert. Ein Zusatzparagraph des Friedensvertrages vom
Februar 1971 gewährte den Bewohnern Elsass-Lothringens das Optionsrecht, das
ihnen einräumte, die französische Staatsbürgerschaft behalten zu dürfen, wenn sie
bis zum 1. Oktober 1872 ihren Wohnsitz nach Frankreich verlegten. In Teilen
Lothringens, besonders in Metz setzte eine Auswanderungswelle ein, der sich auch
die ehemaligen französischen Beamten anschlossen.137
Innerhalb des Deutschen Reiches nahm das Reichsland eine Sonderstellung
ein. Es war kein eigenständiger Bundesstaat, sondern als „Reichsland“ direkt dem
Kaiser unterstellt. Die Annäherung an den Status eines Bundesstaates schritt zwar
durch die späteren Verfassungsreformen weiter voran, wurde jedoch nie vollständig
erreicht.138 Nicht nur das Gebilde Elsass-Lothringen nahm innerhalb des Deutschen
Reiches
eine
Sonderstellung
ein,
auch
die
Staats-
beziehungsweise
Landesangehörigkeit ihrer Einwohner unterschied sich von der der übrigen
Reichsangehörigen. Die Reichsangehörigkeit setzte die Staatsangehörigkeit in
einem Bundesstaat voraus. Da Elsass-Lothringen kein Staat war, existierte keine
elsass-lothringische Staatsangehörigkeit, sodass die Elsass-Lothringer unmittelbare
Reichsangehörige waren und die Elsass-Lothringische Landesangehörigkeit
besaßen.139
Obwohl die Partikularität Lothringens im Deutschen-Reich deutlich präsent
war und auch der Aufwand, mit dem die Grenzmarkierung zwischen Elsass-
136
Dieses Kapitel folgt weitestgehend dem Standardwerk von François Roth: Roth, Lorraine.
137
Roth, Lorraine, 415ff.
138
Eingehend mit der Sonderstellung Elsass-Lothringens beschäftigt sich: Preibusch, Sophie Ch.:
Verfassungsentwicklung im Reichsland Elsaβ-Lothringen 1871-1918. Integration durch
Verfassungsrecht?, Berlin 2006.
Fischbach, Oscar: Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaβ-Lothringen, Tübingen 1914,
20ff.
139
56
Lothringen und Preuβen vorgenommen wurde, mit dem Aufwand der
Grenzsteinsetzung zwischen Preuβen und Frankreich vergleichbar war, trennte die
Grenzraumbewohner zwischen 1871 und 1918 keine Staatsgrenze mehr.140 Die
Grenzübergänge verloren ihre vorherige Bedeutung und wurden zu Symbolen einer
anderen Epoche.141
140
141
Nachdem die Landräte befragt wurden, ob sie Vorschläge zur Grenzkorrektur zwischen
Lothringen und Preuβen hätten, begann die Grenzbesichtigung mit dem genau protokollierten
Vorgang der Aufstellung der Grenzsteine. Auch die Instandhaltung der Grenzmarkierung
wurde hier mit ebensoviel Sorgfalt bedacht wie zu Zeiten der Staatsgrenze. LHAK, Best. 442,
Nr. 3809: Landrat Saarburg an die königl. Regierung zu Trier, 14.1.1871. Landrat Saarlouis
an die königl. Regierung zu Trier, 1.2.1871. Zur Aufrichtung und Instandhaltung der: ADBR,
71 AL 8 (Elsass-Lothringen/Preuβen), ADBR, 71 AL 9 (Elsass-Lothringen/Bayern).
Wegen seiner Lage an der „alten“ Grenze zwischen Lothringen und Preuβen blieb das
Gasthaus zur „Historischen Goldenen Bremm“ auch zur Reichslandzeit ein beliebtes
Ausflugsziel. Talkenberg-Bodenstein, Grenze, 476.
57
3.
Familie an der Grenze
3.1.
Die Familienformen und die Grenze
Jede Familienform verfügt über einen unterschiedlich groβen Aktionsradius. Wie
häufig ein Grenzraumbewohner mit der Grenzsituation konfrontiert wurde und wie
wahrscheinlich ein grenzüberschreitender Kontakt war, hing demnach auch von
seinem familiären Umfeld beziehungsweise sozialen Kontext ab. Das bäuerliche
Familienleben war von einer Einheit zwischen Arbeitsplatz und Wohnstätte
geprägt. Produktion, Konsumption und Familienleben spielten sich auf dem Hof
ab.142
Grenzüberschreitend
war
der
Aktionsradius
zwischen
Wohn-
und
Arbeitsbereich der bäuerlichen Familie nur dann, wenn diese Ackerflächen auf der
anderen Seite der Grenze besaβen, oder Felderzeugnisse auf den Märkten des
Nachbarn zum Verkauf anboten. In den Handwerkerfamilien waren Arbeitsbereich
und Wohnstätte in ähnlicher Weise eng miteinander verbunden. Demgegenüber
bestimmte das Leben der bürgerlichen Familien und der Familien industrieller
Lohnarbeiter eine Trennung von Wohnstätte und Arbeitsplatz. Händler, Lehrer,
Berg- und Fabrikarbeiter mussten gleichermaβen zur Ausübung ihrer Arbeit ihren
Wohnbereich verlassen. In der Industrieregion Forbach/Saarbrücken kamen die
Menschen daher durchschnittlich häufiger mit den Nachbarn von der anderen Seite
der Grenze in Kontakt als im ländlichen Raum um Sierck und Perl.
Auch ohne Grenzübertritt entstanden im familiären Umfeld durch nicht
blutsverwandte
Personen,
die
in
den
Haushalten
lebten,
transnationale
Verflechtungen. In den Familienverband der bäuerlichen Familie war das Gesinde
eingebunden, Lehrlinge und Gesellen waren ebenso eng mit den Haushalten der
Handwerkermeister
Hausangestellte,
verbunden,
und
wenn
es
die
bürgerlichen
die
Wohnsituation
Familien
zulieβ,
beschäftigten
nahmen
die
Arbeiterhaushalte Kostgänger auf. Die Stellenanzeigen in den Zeitungen belegen,
142
Das folgende Kapitel bezieht sich auf: Siedler, Reinhard: Sozialgeschichte der Familie,
Frankfurt a. M. 1987.
58
dass im Saar-Mosel- Raum diese zugezogenen neuen Haushaltsmitglieder auch von
der anderen Seite der Grenze stammten. Vor und nach dem Deutsch-Französischen
Krieg wurden Mägde, Dienstmädchen, Lehrlinge und Gesellen grenzüberschreitend
per Zeitungsannonce gesucht.143 Transnationale Verbindungen entstanden ebenfalls
durch die Grenzpendler, die als Kostgänger innerhalb der Woche in der Nähe ihrer
Arbeitsstätten wohnten.
Eine weitere Form grenzüberschreitender familiärer Verflechtungen
entwickelte sich durch die wechselseitige mehrmonatige Aufnahme von Kindern in
den Familienverband. Dieser Kinderaustausch wurde von zahlreichen bürgerlichen
Familien des Grenzraumes als Möglichkeit in Anspruch genommen, die
Fremdsprachenkenntnisse ihres Nachwuchses zu perfektionieren. Die Suche nach
einer entsprechenden Familie erfolgte über Zeitungsannoncen.144
143
144
In den untersuchten sechs Monaten des Jahrganges 1863 des Courrier de la Moselle wurden
grenzüberschreitend sieben Lehrlinge gesucht. Siehe auch u. a.: Stellenanzeigen deutschfranzösische Kindermädchen: Courrier de la Moselle, 20.1.1859, 2.10.1869, 4.1.1870,
25.7.1872; Saarbrücker Zeitung: 15.4.1869; Stellenanzeigen Gesellen: Saarbrücker Zeitung
14.8.1869, 19.8.1869, 13.9.1869, 22.1.1870, 16.2.1870.
Courrier de la Moselle, 11.2.1869: Austausch von Heranwachsenden aus „gutem Hause“ in
Saarbrücken und Metz. Courrier de la Moselle, 7.5.1863: Kapitain des preußischen Zolls in
Saarbrücken möchte seinen Sohn (12) nach Frankreich in eine Familie geben, damit er
Französisch lernt. Zum Austausch würde die Familie einen gleichaltrigen Jungen oder ein
Mädchen aufnehmen. Saarbrücker Zeitung, 14.7.1871: 15-jähriger Lehrerssohn aus ArsLaquenxy soll während eines mehrmonatigen Aufenthalts Deutsch lernen. Die Lehrerfamilie
will im Gegenzug einen deutschen Jungen oder Mädchen aufnehmen. Saarzeitung, 10.7.1851:
Familie aus Amiens sucht achtbare Familie mit etwa 12-jährigem Sohn, um ihren 12-jährigen
Sohn tauschweise für ein bis zwei Jahre aufzunehmen. Saarbrücker Zeitung, 18.11.1871:
Familie in Courcelles-Chaussy will ihre zwei Jungen (11/15) in eine deutsche Familie geben.
Gegenleistung ist die Aufnahme von deren Kindern zur Erlernung der französischen Sprache.
Saarbrücker Zeitung, 13.7.1872: Ein französischer Junge wird gesucht, der in einer deutschen
Familie wohnen und Deutsch lernen will. Gegenleistung wäre die Aufnahme eines Mädchens,
das ebenfalls zwölf Jahre alt sein sollte.
59
3.2.
Familiäre Verflechtungen im Grenzraum
Am 10. Oktober 1872 fand im lothringischen Forbach die Hochzeit zwischen dem
Lehrer Dr. Atorf aus Brilon bei Krefeld und Fräulein Emilie Rimsgern aus Forbach
statt. Wie der Redakteur der Forbacher Zeitung meinte, hatte hier „Hymens Band
[…] zwei Herzen verschiedener Nationalitäten umschlungen.“ Jedoch hatte der
Journalist nicht nur Positives zu berichten, denn, “diesem feierlichen Acte [hatten]
eine größere Anzahl hiesiger Bewohner aus offen liegenden Gründen nicht
bei[ge]wohnt.“ Dennoch resümiert er: „Wiederum ein Schritt - wenn auch nur ein
kleiner - weiter in der Germanisierung des Reichslandes!“145 Der Artikel beschreibt
nicht nur die angespannte Stimmung nach der Annexion, sondern weist auch auf
die
Bedeutung
binationaler
Heiraten
als
Integrationsfaktor
hin.
Das
Heiratsverhalten gilt in den Sozialwissenschaften als der wichtigste Indikator für
den Integrationsgrad von Personengruppen.146 Nicht nur der Integrationsgrad kann
durch eine Analyse des Heiratsverhaltens bestimmt werden, sie gibt ebenso
Aufschluss über die Mechanismen der Integration beziehungsweise Segregation.
Das folgende Kapitel baut auf eine Analyse des Heiratsverhaltens der Bewohner 18
grenznaher Orte des Saar-Mosel- Raumes auf und deckt den Zeitraum 1810 bis
1890 ab.147 Regionaler Schwerpunkt der Untersuchung ist die von der
Landwirtschaft geprägte Gegend in der Nähe des Dreiländerecks Deutschland,
Frankreich, Luxemburg sowie die Industrieregion um die Orte Forbach und
Saarbrücken.
145
Saarbrücker Zeitung, 18.8.1872; Forbacher Zeitung, 13.10.1872.
146
Esser, Aspekte, 221.
147
Siehe: Abbildung 5.
60
Luxemburg
Tettingen
Faha
Borg
Perl
Kirsch-lès-Sierck
Eft
Montenach
Ludweiler
Groβrosseln
Grindorff
Lauterbach
Oberdorff
Merten/Bibling
Saarbrücken
Schoeneck
Creutzwald
Metz
Carling/
L’Hôpital
Stiring
Wendel
Forbach
Morsbach
Abbildung 5: Untersuchte Orte: Heiratsverhalten
3.2.1.
Rechtliche Grundlage binationaler Eheschlieβungen
Stehen in der Gegenwart Heiraten zwischen deutschen und französischen
Staatsbürgern keine rechtlichen Hindernisse im Weg, war eine Eheschlieβung
zwischen Preußen und Franzosen in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit gesetzlichen
Auflagen verbunden. Auf preuβischer Seite galt zunächst die „Verordnung wegen
der in den königlich Preuβischen Staaten erfolgten Trauungen von Ausländern mit
Innländerinnen“ vom 28. April 1841. Laut dieser Verordnung musste jeder
Ausländer, der eine Preuβin heiraten wollte, ein von den Heimatbehörden
beglaubigtes Attest besitzen, welches dem Heiratswilligen bescheinigte, dass ihm
nach den Gesetzen seines Landes erlaubt sei, eine Ehe zu schlieβen und einer
61
späteren Mitnahme der Ehefrau sowie der Kinder in seine Heimat nichts im Weg
stehe.148
Am 13. März 1854 wurde diese Verordnung mit dem „Gesetz betreffend die
Zulassung von Ausländern zur Eingehung einer Ehe in den königlich Preuβischen
Staaten“ dahingehend erweitert, dass die in dem Gesetz des Jahres 1841
beschriebenen Bestimmungen nun auch für die in Preuβen geschlossenen Ehen
zwischen Ausländern galten.149 Schwierigkeiten bereitete die Erbringung eines
Attestes der französischen Heimatbehörde. Franzosen bedurften grundsätzlich zur
Eheschlieβung keiner besonderen Zustimmung der Behörden, sodass die
französischen Ämter auch keine Atteste für Heiraten im Ausland ausstellten. Im
Grenzraum nahmen die preuβischen Geistlichen daher auch ohne die erforderlichen
Bescheinigungen Trauungen vor.150 Zumal sich notfalls die Heiratswilligen auch
ohne Attest von einem französischen Priester trauen lassen konnten. Die
Heiratspraxis nahm die folgenden gesetzlichen Veränderungen voraus. So verfügte
die preuβische Regierung am 2. April 1858, mit dem Verweis auf die
Schwierigkeiten, eine derartige Bescheinigung zu erhalten, dass französische
Untertanen von der Erbringung des Attestes der Heimatbehörde befreit seien. Der
heiratswillige Franzose sollte nun lediglich mit einem, von den französischen
Behörden ausgestellten, Pass bezeugen, dass er französischer Staatsbürger sei.151
Der Eheschlieβung zwischen preuβischen und französischen Grenzraumbewohnern
standen demnach zunächst in der Praxis, dann auch gesetzlich keine Hindernisse im
Weg.
148
Gesetzsammlung für die Königlich-Preuβischen Staaten, 1841, Nr. 10, 121.
149
Gesetzsammlung für die Königlich-Preuβischen Staaten, 1854, Nr. 13, 123.
150
LHAK, Best. 403, Nr. 8774: Minister der Geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten an den
Oberpräsidenten, 19.4.1844.
Sammlung der für die königlich preuβische Rhein-Provinz seit dem Jahre 1813 hinsichtlich
der Rechts- und Gerichtsverfassung ergangenen Gesetze, Verordnungen Ministerial-Rescripte,
Bd. 12 (1858-1864), 13-14. Verfügung vom 2.4.1858 betreffend die „Dispensation der
französischen Unterthanen von der Beibringung des Attestes ihrer Heimatbehörde behufs ihrer
Verehelichung in Preuβen“.
151
62
3.2.2.
Überblick über die Intensität und den Anteil grenzüberschreitender
familiärer Verflechtungen
Ein Leser, der am 14. Juli 1863 den Anzeigenteil der Saarbrücker Zeitung
aufschlug, konnte sich über Sprechzeiten eines Zahnarztes in Lothringen und über
die Angebote der Geschäfte im Grenzraum informieren, darüber hinaus wurde er
über die Verlobung einer Saarbrückerin mit einem Einwohner Straβburgs in
Kenntnis gesetzt. Was diese Anzeige einer angesehenen Saarbrücker Familie
andeutet, bestätigt die Untersuchung der Anteile binationaler Ehen von 1850 bis
1890 - binationale Eheschlieβungen waren im Saar-Mosel- Raum nichts
Auβergewöhnliches. Auf dem Land und in der Industrieregion schlossen zwölf bis
16 Prozent der Paare eine Ehe mit einem Partner von der anderen Seite der Grenze.
Zum Vergleich: 2003 hatten im Saarland insgesamt 40 deutsch-französische Paare
geheiratet, was 0,8 Prozent der Gesamtheiraten entspricht,152 2004 waren es 45, also
0,9 Prozent der Eheschlieβungen.153 Im Jahr 2005 wurde bei einer Anzahl von 56
Heiraten eine Quote von 1,1 Prozent deutsch-französischer Eheschlieβungen
erreicht.154 Obwohl ein direkter Vergleich zwischen den historischen und aktuellen
Werten nicht möglich ist, da in der Gegenwart zahlreiche Paare in nichtehelichen
Gemeinschaften zusammenleben und darüber hinaus die aktuellen Zahlen für das
gesamte Saarland gelten und in dieser Untersuchung lediglich grenznahe Orte
berücksichtigt wurden, unterstreicht die Gegenüberstellung die groβe Bedeutung
der familiären Verflechtungen für den hier untersuchten Zeitraum.
Neben der Höhe der binationalen Heiratsquote ist die schwankende
Intensität der familiären Verflechtungen zwischen 1810 und 1890 auffallend.155 Im
152
Statistische Berichte, Natürliche Bevölkerungsbewegung 2003 (A II 1 – j 2003), Statistisches
Landesamt Saarland, 2ff. Auskunft des Statistischen Amtes Saarland, A33 Bevölkerung,
Erwerbstätigkeit.
153
Statistische Berichte, Natürliche Bevölkerungsbewegung 2004 (A II 1 – j 2004), Statistisches
Landesamt Saarland, 2ff. Auskunft des Statistischen Amtes Saarland, A33 Bevölkerung,
Erwerbstätigkeit.
154
Statistische Berichte, Natürliche Bevölkerungsbewegung 2005 (A II 1 – j 2005), Statistisches
Landesamt Saarland, 2ff. Auskunft des Statistischen Amtes Saarland, A33 Bevölkerung,
Erwerbstätigkeit.
155
Siehe: Abbildung 6 und 7.
63
ländlichen
Raum
erfolgte
eine
beständige
Abnahme
der
Anzahl
grenzüberschreitender Eheschließungen in drei Phasen, in der Industrieregion ist
hingegen keine kontinuierliche Entwicklung festzustellen. Auf dem Land variiert
die Anzahl der grenzüberschreitenden Eheschließungen zwischen 1810 und 1840
nur marginal zwischen 103 und 117. In den 1850er und 1860er Jahren heiraten nur
noch etwa 70 Paare grenzüberschreitend. Schlieβlich sank die Anzahl der
Eheschlieβungen in den Folgejahrzehnten weiter auf 42 beziehungsweise 28. Die
Gegenüberstellung der 117 binationalen Eheschlieβungen der Jahrzehnte 1810 und
1820 mit den 28 grenzüberschreitenden Eheverbindungen in den 1880er Jahren
macht die Höhe der Abnahme der familiären Verflechtungen im ländlichen Raum
besonders offensichtlich.
117
120
117
103
107
100
73
80
Anzahl
70
60
42
40
28
20
0
1810
1820
1830
1840
1850
1860
1870
1880
Jahrzehnt
Abbildung 6: Anzahl der binationalen Eheschlieβungen im ländlichen Raum
116
120
100
80
Anzahl
81
94
70
70
77
88
69
60
40
20
0
1810 1820 1830 1840 1850 1860 1870 1880
Jahrzehnt
Abbildung 7: Anzahl der binationalen Eheschlieβungen in der Industrieregion
64
Von 1810 bis 1840 waren die familiären Verflechtungen auf dem Land intensiver
als in der späteren Industrieregion. In den 1850er und 1860er Jahren heirateten in
beiden Untersuchungsräumen ähnlich viele Paare grenzüberschreitend. Auffallend
ist die konträre Entwicklung der Familienverflechtungen in der Land- und
Industrieregion zwischen den 1860er und 1880er Jahren. Stieg in der
Industrieregion die Anzahl der grenzüberschreitenden Eheschließungen von 69 auf
88 und schließlich auf 116, sank die Anzahl der auf dem Land geschlossenen
binationalen Ehen im selben Zeitraum von 70 auf 42 und schlieβlich auf 28 in den
1880er Jahren. Die Bevölkerungsentwicklung ist nur für die Zunahme der
binationalen Eheschlieβungen im Industrierevier eine mögliche Erklärung – hier
stieg die Einwohnerzahl ab den 1870er Jahren deutlich an. In den Landgemeinden
ist ein Zusammenhang zwischen der Abnahme der Eheschließungen und der
Bevölkerungsentwicklung hingegen ausgeschlossen, da die Einwohnerzahlen nicht
rückläufig waren.156 Denkbar ist, dass die Kontaktmöglichkeiten in den einzelnen
Lebensbereichen abnahmen und deswegen weniger grenzüberschreitend geheiratet
wurde. Vielleicht dehnten die Bewohner einen oder mehrere der Lebensbereiche
Wohnen, Arbeit, Freizeit, Versorgung, Bildung und Kirche nicht mehr auf die
andere Seite der Grenze aus. Der Rückgang der grenzüberschreitenden Heiraten
stand eventuell auch mit nationalen Ressentiments im Zusammenhang. Die
folgenden Kapitel werden sich unter anderem mit diesen Mechanismen der
Integration beziehungsweise Segregation im Grenzraum beschäftigen.
156
Hein, Gerhard: Perl im Wandel der Zeit, Perl o.J., 51. Hier Einwohnerzahlen ab 1855.
Schwarz: Die Einwohner von Lauterbach 1707-1907, Saarbrücken 1981, L-LI. Hier die
Einwohnerzahl des Jahres 1849. Bei den restlichen, in der Untersuchung berücksichtigten
Gemeinden schwankte die Einwohnerzahl vor der Industrialisierung zwischen 400 und 700.
Neumanns Orts-Lexikon des Deutschen Reichs. Ein geographisch-statistisches
Nachschlagebuch für deutsche Landeskunde, Leipzig 1894. Engelbreit, Raymond: Schoeneck
et ses habitants de 1716 à 1900, Stiring-Wendel 1986, 317. Hier Einwohnerzahlen von 1860.
Einwohnerzahlen Lauterbachs und Großrosselns: Josef, Schwarz: Die Einwohner von
Lauterbach 1707-1907, Saarbrücken 1981, L-LI.
65
3.2.3.
Die Grenzentfernung und der Anteil binationaler Ehen
Ob auβenpolitische Ereignisse, die Konfessionszugehörigkeit der Einwohner oder
andere Faktoren das Heiratsverhalten beeinflusst haben, kann nur anhand relativer
Werte untersucht werden. Die folgenden Kapitel basieren daher auf einer
Auswertung der Anteile binationaler Heiraten eines Jahrzehntes im Verhältnis zur
Gesamtzahl der Eheschlieβungen desselben Zeitraumes.157
Es ist anzunehmen, dass in Orten, deren Entfernung zur Grenze so groβ war,
dass die Bewohner nur selten oder niemals ihren Aktionsraum auf die andere Seite
der Grenze ausdehnten, weniger Menschen grenzüberschreitend heirateten als in
grenznahen
Orten.
Bestand
jedoch
ein
Zusammenhang
zwischen
der
Grenzentfernung und dem Heiratsverhalten in den Gemeinden, deren Grenzabstand
variierte, die sich jedoch alle in Grenznähe befanden? Die Entfernung der
untersuchten Orte zur preuβisch-lothringischen beziehungsweise preuβischluxemburgischen
Grenze
betrug
zwischen
einigen
hundert
Metern
und
siebeneinhalb Kilometern beziehungsweise 15 Kilometern. In einem Zeitraum
zwischen einigen Minuten und dreieinhalb Stunden Fuβweg konnten die Bewohner
aller hier untersuchten Orte die Grenze erreichen, sodass sie ihren Aktionsraum
mehr oder weniger regelmäβig auf die andere Seite der Grenze ausdehnen
konnten.158
Wie nah sich ein Ort an der Grenze befand, beziehungsweise wie häufig die
Bevölkerung theoretisch der anderen Seite der Grenze einen Besuch abstattete,
stand in keinem Zusammenhang zur Höhe des Anteils grenzüberschreitender
Ehen.159 Die binationale Heiratsquote der sechs Orte, die direkt an der preuβischlothringischen Grenze liegen, variiert zwischen annähernd 30 Prozent in Schoeneck
und zehn Prozent in Creutzwald. Noch deutlicher unterscheidet sich die
157
Für die Berechnung der Quote binationaler Ehen wurden die Heiraten zwischen
Luxemburgern und Franzosen nicht berücksichtigt.
158
Stoffert gibt die durchschnittliche Gehgeschwindigkeit ohne Last und in der Ebene mit 4,5 bis
4,83 km/h an. Stoffert, Gerhard: Leistungen beim Gehen und Laufen, in: Zeitschrift für
Arbeitswissenschaft, 40 (1986) 228-229. Dieser Untersuchung wird eine durchschnittliche
Gehgeschwindigkeit von 4km/h zugrunde gelegt.
159
Siehe: Abbildungen 8 und 9.
66
Heiratsquote der zweieinhalb Kilometer von der preuβisch-lothringischen Grenze
entfernten Orte. Die Skala reicht hier von 24,4 Prozent binationaler Ehen in Kirschlès-Sierck bis zu 3,2 Prozent in Ludweiler. Montenachs binationale Heiratsquote
war mit 15,7 Prozent mehr als doppelt so hoch wie die Quote in Oberdorff, obwohl
beide Orte fünf Kilometer von der Grenze entfernt sind. Allerdings hat der, mit
siebeneinhalb Kilometern am weitesten von der französisch-deutschen Grenze
entfernte
Ort
Faha
auch
den
niedrigsten
Anteil
grenzüberschreitender
Eheverbindungen. Dennoch waren andere Faktoren als die Grenzentfernung für die
Ausprägung binationaler Ehen in den einzelnen Orten entscheidender.
1,6
Faha
7,7
Oberdorff
Montenach
Stiring-Wendel
Ludweiler
Lauterbach
Kirsch
15,7
20
3,2
14,2
24,4
5,8
Borg
Tettingen
8,3
16,75
Grindorff
Morsbach
13
18,3
Merten-Bibling
Grossrosseln
Creutzwald
Carling
Perl
Eft
Schoeneck
21
10
11,4
10,2
13
29,4
0
5
10
15
20
25
Grenzentfernung in Kilometer
30
Anteil binationaler Ehen
(1850-1890)
Entfernung zur Grenze
Abbildung 8: Entfernung der untersuchten Orte zur preuβisch-französischen Grenze und
der Anteil binationaler Ehen
67
16,8
Grindorff
1,6
Faha
15,7
Montenach
5,8
Borg
13
Eft
8,3
Tettingen
24,4
Kirsch
10,2
Perl
0
5
10
15
20
25
Grenzentfernung der Orte in Kilometer
30
Anteil binationaler Ehen
(1850-1890)
Enfernung zur Grenze:
Luxemburg
Abbildung 9: Entfernung der untersuchten Orte zur luxemburgischen Grenze und der
Anteil binationaler Ehen
3.2.4.
Einfluss der Religionszugehörigkeit und der religiösen Praxis auf
das Heiratsverhalten
Im Gegensatz zur Grenzentfernung beeinflussten die Religionszugehörigkeit und
die religiöse Praxis der Einwohner deutlich das Heiratsverhalten. Die Orte
Ludweiler, Creutzwald und Lauterbach unterscheiden sich durch Entwicklung
beziehungsweise Umfang der Anteile grenzüberschreitender Eheschlieβungen klar
von den anderen untersuchten Orten im Industrierevier.160 Im Gegensatz zu den
anderen Industriegemeinden, deren Heiratsquoten nur leicht sanken oder sogar
anstiegen, fiel in Lauterbach und Creutzwald die Quote binationaler Paare
zwischen 1830 und dem Zeitraum 1850-1890 um 12,1 Prozentpunkte
beziehungsweise 37,2 Prozentpunkte.161 Ludweiler unterschied sich durch seine sehr
niedrige binationale Heiratsquote von durchschnittlich 3 Prozent von den anderen
Orten im Industrierevier.162
160
Siehe: Abbildung 10-18.
161
Siehe: Abbildung 20.
162
Siehe: Abbildung 12.
68
60
40
22,1
Prozent
15,5
20
4,3
13,4
6,5
0
1830
1850
1860
1870
1880
Jahrzehnt
Abbildung 10: Binationale Ehen in Creutzwald
60
51,4
40
26,8
Prozent
20
6,9
9,5
13,6
0
1830
1850
1860
1870
1880
Jahrzehnt
Abbildung 11: Binationale Ehen in Lauterbach
60
40
Prozent
20
2,4
3,1
2,4
5
2,4
0
1830
1850
1860
Jahrzehnt
Abbildung 12: Binationale Ehen in Ludweiler
69
1870
1880
60
40
Prozent
20
10,5
10,3
9,4
11,7
14,3
0
1830
1850
1860
1870
1880
Jahrzehnt
Abbildung 13: Binationale Ehen in L'Hôpital/Carling
60
40
22,2
21,3
Prozent
20
22,8
17,9
10,9
0
1830
1850
1860
1870
1880
Jahrzehnt
Abbildung 14: Binationale Ehen in Groβrosseln
60
40
23,4
Prozent
20,9
16,7
16,3
13,5
20
0
1820
1850
1860
Jahrzehnt
Abbildung 15: Binationale Ehen in Merten-Bibling
70
1870
1880
60
40
23
Prozent
13,2
20
16,1
9,4
7,5
0
1830
1850
1860
1870
1880
Jahrzehnt
Abbildung 16: Binationale Ehen in Morsbach
60
40
33,3
34
31,3
29,6
22,5
Prozent
20
0
1830
1850
1860
1870
1880
Jahrzehnt
Abbildung 17: Binationale Ehen in Schoeneck
60
40
27,8
22,1
Prozent
20
20,1
8,6
0
1850
1860
1870
Jahrzehnt
Abbildung 18: Binationale Ehen in Stiring-Wendel
71
1880
Die Ausnahmestellung Ludweilers ist auf seine überwiegend protestantische
Einwohnerschaft zurückzuführen. In Ludweiler - einem von Hugenotten
gegründeten
Ort
Industriearbeiter,
-
lebten
lediglich
1890
etwa
trotz
zehn
der
Prozent
Zuwanderung
katholischer
katholische
Einwohner.
Seelsorgerisch wurden die Katholiken Ludweilers von der Pfarrei Großrosseln
betreut.163 Die konfessionelle Grenze zwischen den nahezu ausschließlich
katholischen Lothringern und den protestantischen Einwohnern Ludweilers war
eine Barriere, die den Ausbau der grenzüberschreitenden Familienverflechtungen
erheblich behinderte.164
Ein Zusammenhang zwischen der Ausprägung der binationalen Ehen und
der konfessionellen Zugehörigkeit der Grenzraumbewohner ist auch in Creutzwald
und Lauterbach feststellbar. Eindeutig ist der dortige Einbruch der binationalen
Quote zwischen den 1830er und den 1860er Jahren auf die Neuumschreibung der
Pfarrbezirke zurückzuführen.165 Obwohl Lauterbach seit 1803 eine Filiale der
Pfarrei Emmersweiler war, gingen die Katholiken Lauterbachs, da Emmersweiler
zwei Stunden Fuβweg von Lauterbach entfernt lag, weiterhin in die Kirche der
lothringischen Gemeinde Creutzwald. Erst mit der Errichtung einer Kirche in
Lauterbach im Jahr 1856 erfolgte eine endgültige Trennung des Pastoralbezirkes
Creutzwald/Lauterbach.166 Preußen und Franzosen gingen bis in die 1850er Jahre in
dieselbe Kirche und auch im Religionsunterricht kamen die Kinder beider
Nationalitäten zusammen. Nachdem diese Kontaktmöglichkeiten zwischen
preußischen und französischen Katholiken wegfielen, sank auch die zuvor sehr
163
Stegentritt, Ulf: Von der napoleonischen zur preuβischen Zeit und zum Ersten Weltkrieg, in:
400 Jahre Ludweiler, (Hrsg.) Heimatkundlicher Verein Warndt e.V., Völklingen 2004, 126.
Prozentzahl wurde errechnet auf Basis der Einwohnerzahlen in: Schwarz, Josef: Die
Einwohner von Lauterbach 1707-1907, Saarbrücken 1989, L-LI.
164
Wie stark der konfessionelle Gegensatz politische, kulturelle und lebensweltliche Bereiche
durchschnitt zeigen die Sammelbände: Blaschke, Olaf; Kuhlemann, Frank-Michael (Hrsg.):
Religion im Kaiserreich. Milieus - Mentalitäten - Krisen. Gütersloh 1996. Blaschke, Olaf
(Hrsg.): Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1917 : ein weites
konfessionelles Zeitalter, Göttingen 2002.
165
Siehe: Abbildung 10 und 11.
166
Lorenzi, Philipp de: Beiträge zur Geschichte sämtlicher Pfarreien der Diocese Trier, Bd. 1,
Trier 1887, 523.
72
hohe Quote binationaler Ehen. Der zeitweilige grenzüberschreitende Kirchgang der
Katholiken von Creutzwald und Lauterbach war kein Einzelfall. Im Saar-MoselRaum existierten weit über den Deutsch-Französischen Krieg hinaus zahlreiche
grenzüberschreitende Pfarrbezirke, die erheblich zur grenzüberschreitenden
Integration beitrugen.167
Anders als in Ludweiler, Creutzwald und Lauterbach, spiegelt sich in den
binationalen Familienverflechtungen Montenachs nicht die Bedeutung der
katholischen Konfession als integratives Element im Grenzraum, sondern die
Besonderheiten des Heiratsverhaltens der Montenacher jüdischen Gemeinde
wider.168
43
64
57
36
Prozent
1850
1860
Jahrzehnt
jüd.
christ.
Abbildung 19: Religionszugehörigkeit der binationalen Paare: Montenach
Einen bedeutenden Anteil binationaler Ehen in den 1850er und 1860er
Jahren machten die Verbindungen der Einwohner jüdischen Glaubens aus.169 Im
vorangegangenen
Kapitel
war
bereits
Montenachs
hoher
Grad
grenzüberschreitender Familienverflechtungen aufgefallen, ebenso unterscheidet
sich Montenach von den anderen Landgemeinden durch die Ausdehnung der
grenzüberschreitenden
Familienverflechtungen.
Offenbar
ergaben
die
weiträumigen Bekanntschafts- und Verwandtschaftsnetzwerke der jüdischen
167
Die grenzüberschreitenden Pfarrbezirke werden häufig in lokalhistorischen Abhandlungen
erwähnt, deren integrative Bedeutung wurde jedoch bisher noch nicht thematisiert. Siehe auch
Kapitel: 6. „Kirche“.
168
Cercle Généalogique du Pays de la Nied: La communauté israélite à Montenach, in: Les
Habitants de Montenach et de ses annexes Sulzen & Kaltweiller avant 1905, (Hrsg.) Cercle
Généalogique du Pays de la Nied, Filstroff 2005, 15.
169
Siehe: Abbildung 19.
73
Einwohner auch ausgedehnte grenzüberschreitende familiäre Netzwerke, die sich
weit ins preußische Inland erstreckten.170
3.2.5.
Binationale Ehen: Land- und Industrieregion im Vergleich
Die Anzahl grenzüberschreitender Ehen in der Industrieregion und auf dem Land
veränderte sich in entgegengesetzte Richtungen.171 Sank die Anzahl binationaler
Ehen auf dem Land von 1810 bis in die 1880er Jahre von 117 auf 28, stieg diese in
der Industrieregion von 70 auf 116 an. Ebenso gegenläufig war die Entwicklung
der Anteile binationaler Ehen auf dem Land und in der Industrieregion. Zwischen
1830 und 1890 sank auf dem Land die Quote grenzüberschreitender Heiraten, im
Gegensatz zur Industrieregion, wo sich der Anteil binationaler Paare in vier von
acht untersuchten Orten erhöhte.172 Der Anstieg der Bevölkerung im Industrierevier
konnte daher nicht der alleinige Grund für die Zunahme der binationalen
Eheschließungen gewesen sein. Wäre die Anzahl der binationalen Heiraten nur von
der Bevölkerungsentwicklung abhängig, würde die Heiratsquote unverändert
bleiben.
Ein Element, das die grenzüberschreitenden familiären Verflechtungen
positiv beeinflusste, waren die strukturellen Veränderungen während der
Industrialisierung. Neben dem Anstieg der Anteile grenzüberschreitender Ehen in
vier von acht Industriegemeinden in der Industrialisierungsphase, im Unterschied
zum Rückgang der Heiratsquote auf dem Land, zeigt die Gegenüberstellung der
Anteile binationaler Paare, dass die Quote im Industrierevier deutlich höher war als
170
Vgl.: Ulbrich, Claudia: Eheschließung und Netzwerkbildung am Beispiel der jüdischen
Gesellschaft im deutsch-französischen Grenzgebiet (18. Jahrhundert), in: Eheschließungen im
Europa des 18. und 19. Jahrhunderts. Muster und Strategien, (Hrsg.) Christophe Duhamelle,
Jürgen Schlumbohn, Göttingen 2003, 315-340, bes. 320. Claudia Ulbrichs Analyse des
Heiratsverhaltens in einer Elsässer Grafschaft ergab, dass nur ein sehr geringer Prozentsatz
der jüdischen Eheschließungen binational waren.
171
Siehe: Abbildung 6 und 7.
172
Siehe: Abbildung 20 und 21. In Schoeneck und Morsbach sank die Heiratsquote nur marginal
und der deutliche Rückgang des Anteils binationaler Paare in Creutzwald und Lauterbach
wurde bereits in Kapitel 3.2.4. auf die Trennung der Pastoralbezirke zurückgeführt.
74
auf dem Land. In allen Industriegemeinden - Ludweiler ausgenommen – betrug die
binationale Heiratsquote über zehn Prozent.173 Im ländlichen Raum betrug der
Anteil hingegen in drei Orten unter zehn Prozent. Lag der Anteil binationaler Ehen
in drei Industriegemeinden über 20 Prozent, überschritt die Quote auf dem Land
nur in einem Ort diese Marke.
Die Divergenz zwischen Industrieregion und ländlichem Raum ist das
Resultat des intensiveren Arbeitskräfteaustausches im Industrierevier um Forbach
und Saarbrücken. Die Handwerker und Bauern überschritten die Grenze seltener als
die industriellen Lohnarbeiter, welche in groβem Umfang Grenzpendler waren,
sodass die Wahrscheinlichkeit, einen Ehepartner auf der anderen Seite der Grenze
kennen zu lernen, in der Industrieregion gröβer war als auf dem Land.174 Die
deutliche Abnahme der Heiratsquote in den Orten Lauterbach und Creutzwald
wiederlegt diese Annahme nicht, da der Rückgang der grenzüberschreitenden
Familienverflechtungen auf die Veränderungen der religiösen Praxis der Bewohner
zurückzuführen ist.175 Die bessere Infrastruktur in der Industrieregion war ebenfalls
ein möglicher Grund für die Unterschiede zwischen ländlichem Raum und
Industrieregion. So wurde bereits 1852 die Eisenbahnlinie Saarbrücken-ForbachMetz mit großem Pomp eingeweiht.176
173
174
175
176
Der niedrige Anteil binationaler Ehen ist auf die konfessionelle Grenze zwischen den
protestantischen Einwohnern Ludweilers und katholischen Lothringern zurückzuführen. Siehe
Kapitel: 3.2.4. „Einfluss der Religionszugehörigkeit und der religiösen Praxis auf das
Heiratsverhalten“.
Siehe Kapitel: 4.1.4. „Arbeiter und Arbeiterbauern“.
Siehe Kapitel: 3.2.4. „Einfluss der Religionszugehörigkeit und der religiösen Praxis auf das
Heiratsverhalten“.
Sander, Michael: Die Saarbrücker Eisenbahn zwischen Paris und Berlin. Eisenbahn und
internationale Politik seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Ankunft Saarbrücken Hbf (…)
150 Jahre Eisenbahn an der Saar, (Hrsg.) Chef der Staatskanzlei, Saarbrücken 2002, 42f.
75
60
51,4
40
Prozent
33,3
29,4
22,1
20
16,7
13,2 13
21
20
18,3
14,2
10,9
10
8,6
2,4 3,2
Schoeneck
G-rosseln
S-Wendel
M-Bibling
Lauterb.
Morsb.
Creutzw.
Ludw.
0
1830
1850-1890
Abbildung 20: Binationale Ehen in der Industrieregion. 1830 und 1850-1890
60
Prozent
40
29,3
29,1
26,7
24,4
20
19,6
20
17,7
16,8
15,7
13
10
8,3
10,2
8,3
7,7
5,8
Kirsch
Grind.
Monten.
Eft
Perl
Tettin.
Oberd.
Borg
0
Abbildung 21: Binationale Ehen im ländlichen Raum. 1830 und 1850-1890
76
1830
1850-1890
Neben der höheren Quantität der grenzüberschreitenden Kontakte in der
Industrieregion, waren auch Unterschiede in der Art des Kennenlernens der
Ehepartner auf dem Land und im Industrierevier für die divergente Entwicklung
der Heiratsquoten verantwortlich. Eine Untersuchung der Entfernung zwischen
Geburts- und Wohnort der Ehepartner ergab, dass die Geburtsorte der binationalen
Paare im ländlichen Raum deutlich näher am Wohnort lagen als im
Industrierevier.177 Immer mehr Menschen zogen dauerhaft oder zeitweise, dem
wöchentlichen Arbeitsrhythmus angepasst, auf die andere Seite der Grenze in die
Nähe der Arbeitsstätten im Industrierevier. Die Ehepartner lernten sich oft in ihrem
gemeinsamen Wohnort kennen. In der, von der Landwirtschaft geprägten Gegend
entstanden
grenzüberschreitende
Bekanntschaften
über
bereits
vorhandene
Bekanntschafts- und Verwandtschaftsnetzwerke, oder während kurzzeitiger
Aufenthalte
beim
Nachbarn.
Die
intensivere
Ausprägung
des
grenzüberschreitenden Arbeitsmarktes und die besser entwickelte Infrastruktur im
Industrierevier begründen den insgesamt höheren Anteil binationaler Ehen in der
Industrieregion und deren Zunahme in der Phase der Industrialsierung, den
Rückgang der grenzüberschreitenden Familienverflechtungen auf dem Land
erklären die strukturellen Unterschiede jedoch nicht.
177
Siehe: Abbildung 22 und 23. Es wurden für die folgende Untersuchung die Heiratseinträge
von 1810 bis 1890 berücksichtigt. Die Streckenentfernungen (Fuβweg) wurden im Internet
mit dem Routenplaner Mappy errechnet. www.mappy.de.
77
67
Prozent
24
26
26
29
27
31
Montenach
Borg
Kirsch
Oberdorff
Eft
Grindorff
Perl
Tettingen
17
Abbildung 22: Herkunft der Ehepartner. Über vier Stunden Fuβweg zwischen Geburtsund Wohnort/Land
72
45
32
Prozent
49
37
StiringWendel
Morsbach
Creutzwald
Ludweiler
Schoeneck
MertenBibling
18
Grossrosseln
Lauterbach
18
47
Abbildung 23: Herkunft der Ehepartner. Über vier Stunden Fuβweg zwischen Geburtsund Wohnort / Industrie
78
3.2.6.
Einfluss des Beitritts Luxemburgs in den Deutschen Zollverein auf
das Heiratsverhalten
Unbeantwortet blieb bisher die Frage, warum Volumen und Anteil der binationalen
Ehen auf dem Land so deutlich abnahmen. Auffällig ist, dass die Periode des
Rückgangs grenzüberschreitender Eheverbindungen im Dreiländereck mit dem
Beitritt Luxemburgs in den Deutschen Zollverein zusammenfällt.178 In Perl nahm
die Quote zwischen den 1830er und 1850er Jahren um 4,3 Prozentpunkte ab, in
Borg um 7,4 Prozentpunkte, in Tettingen um 9,1 Prozentpunkte und in Eft um 16,8
Prozentpunkte. Im französischen Ort Kirsch-lès-Sierck sank der Anteil binationaler
Ehen um 5,2 Prozentpunkte. Hingegen änderte sich die binationale Heiratsquote in
den anderen Orten nicht wesentlich, in acht Gemeinden stieg diese sogar an.179
60
40
Prozent
20
10
7,5
2,6
8,8
4,2
0
1830
1850
1860
1870
1880
Jahrzehnt
Abbildung 24: Binationale Ehen in Borg180
178
179
180
Siehe: Abbildung 24-31.
Siehe: Abbildung 10-18 und 24-31. Die Quote grenzüberschreitender Heiraten sank lediglich
in Lauterbach, Creutzwald, Merten-Bibling (-3,2%) und Morsbach (-3,8%), wobei der
deutliche Rückgang der Heiratsquote in Lauterbach und Creutzwald bereits mit der
Neuumschreibung der Pfarrbezirke begründet wurde.
Ein Diagramm für den Ort Faha wurde nicht angelegt, da hier von 1830-1890 lediglich fünf
binationale Ehen geschlossen wurden.
79
60
40
29,1
Prozent
16,4
12,3
20
11,5
11,6
0
1830
1850
1860
1870
1880
Jahrzehnt
Abbildung 25: Binationale Ehen in Eft
60
40
Prozent
20
20,3
19
20
18,4
9,3
0
1830
1850
1860
1870
1880
Jahrzehnt
Abbildung 26: Binationale Ehen in Grindorff
60
34,4
40
29,3
24,1
Prozent
19,2
20
20
0
1830
1850
1860
Jahrzehnt
Abbildung 27: Binationale Ehen in Kirsch-lès- Sierck
80
1870
1880
60
40
17,7
Prozent
22,2
18,8
23,3
20
7,4
0
1830
1850
1860
1870
1880
Jahrzehnt
Abbildung 28: Binationale Ehen in Montenach
60
40
Prozent
19,6
15,3
20
11,7
10,2
3,5
0
1830
1850
1860
1870
1880
Jahrzehnt
Abbildung 29: Binationale Ehen in Perl
60
40
Prozent
20
8,3
8,3
7,4
6,1
9,1
0
1830
1850
1860
Jahrzehnt
Abbildung 30: Binationale Ehen in Oberdorff
81
1870
1880
60
40
26,7
Prozent
17,6
20
7
5,8
3,4
0
1820
1850
1860
1870
1880
Jahrzehnt
Abbildung 31: Binationale Ehen in Tettingen
Die Aufnahme Luxemburgs in den Deutschen Zollverein im Jahr 1842
erhöhte das Konfliktpotential im Dreiländereck deutlich.181 Preuβens militärische
Präsenz, verbunden mit den preußischen Germanisierungsbemühungen in
Luxemburg, verschlechterte die grenzüberschreitenden Beziehungen zwischen den
preußischen, luxemburgischen und französischen Grenzraumbewohnern merklich,
obwohl die grenzüberschreitenden Kontakte durch die Einbindung Luxemburgs in
den Deutschen Zollverein zunahmen.182 Die Kölnische Zeitung berichtete, dass die
preuβische Regierung den Luxemburgern nach dem Beitritt eine deutsche
Lebensweise habe aufzwingen wollen, die nicht die Ihre sei.183
Anhand der Entwicklung der binationalen Ehen in Tettingen, wird der
Zusammenhang zwischen dem Beitritt Luxemburgs in den deutschen Zollverein
und der Abnahme der binationalen Heiratsquote besonders deutlich. Der Anteil der
deutsch-luxemburgischen Eheschließungen ging zwischen 1830 und 1850 von 43
181
Die Ausführungen über Luxemburg basieren auf: Calmes, Christian; Bossaert, Danielle:
Geschichte des Groβherzogtums Luxemburg. Von 1815 bis heute, Luxemburg 1996, 69ff.
182
LHAK, Best.442, Nr. 6550: Landrat von Saarburg an den Reg. Präsidenten von Trier,
31.5.1867. Briefwechsel über die anhaltenden Provokationen der Luxemburger, trotz der
steigenden Anzahl der preußischen Kundschaft in Luxemburg. Siehe ebenso: Minister des
Inneren an den Regierungspräsidenten in Trier, 28.5.1867.
183
Calmes; Bossaert: Geschichte, 69f.
82
Prozent auf 6 Prozent zurück.184 In den anderen Orten in Grenznähe zu Luxemburg
sank sowohl der Anteil der deutsch-luxemburgischen als auch der Anteil der
deutsch-französischen Ehen.
Möglicherweise wirkten die Kriege mit französischer Beteilung (Krimkrieg,
Sardinisch-französischer Krieg gegen Österreich) potenzierend auf den Rückgang
des Anteils binationaler Ehen in den 1850er Jahren. Ausschlaggebend für die
Abnahme der grenzüberschreitenden Heiraten im Dreiländereck war jedoch der
Beitritt Luxemburgs in den Deutschen Zollverein.185 Die relativ konstanten oder
steigenden Heiratsquoten in den anderen Orten zeigen, dass die militärischen
Konflikte der 1850er Jahre an sich keinen entscheidenden Einfluss auf die
grenzüberschreitenden familiären Verflechtungen hatten.
38%
43%
57%
62%
deutsch-franz.
deutsch-lux.
Abbildung 32:
Nationalitätenverteilung der binationalen
Ehen Tettingen (1810-1829)
deutsch-franz.
deutsch-lux.
Abbildung 33:
Nationalitätenverteilung der binationalen
Ehen Tettingen (1830-1849)
6%
94%
deutsch-franz.
deutsch-lux.
Abbildung 34:
Nationalitätenverteilung der binationalen
Ehen Tettingen (1850-1869)
184
Siehe: Abbildung 31-34.
185
Siehe: Abbildung 10-18 und 24-31.
83
3.2.7.
Einfluss des Deutsch-Französischen Krieges auf den Anteil
binationaler Ehen
Der Deutsch-Französische Krieg bedeutete einen Einschnitt in der Geschichte des
saarländisch-lothringischen Grenzraumes. Frankreich musste das Departement
Moselle und das Elsass an das Deutsche Reich abtreten. Die Reaktion der
Forbacher Bürger auf die Hochzeit des preußischen Lehrers Dr. Atorf und des
lothringischen Fräuleins Emilie Rimsgern im Jahr 1872 in Forbach zeigt deutlich,
dass sich der Protest der Lothringer gegen die neuen Machthaber auch auf den
privaten Bereich ausdehnte. Jedoch wies die Gegenüberstellung der deutlichen
Abnahme binationaler Eheschließungen im ländlichen Raum und deren Zunahme
im Industrierevier nach dem Deutsch-Französischen Krieg, auf die unterschiedliche
Auswirkung des Krieges auf die familiären Verflechtungen der Industrieregion und
des ländlichen Raumes hin.186 Ein Vergleich der Anteile binationaler Paare auf dem
Land und in der Industrieregion bestätigt diese Annahme. Zum einen lag die Quote
binationaler Ehen in den Landgemeinden auch nach der Annexion unter der der
Industriegemeinden.187 Betrug der Anteil grenzüberschreitender Heiraten im
Industrierevier, mit Ausnahme Ludweilers, zwischen 1870 und 1890 immer über
zehn Prozent, in fünf Orten sogar um oder über 20 Prozent, heirateten in vier
Landgemeinden unter zehn Prozent der Paare grenzüberschreitend und lediglich in
einem Ort wurde ein Wert von annähernd 20 Prozent binationaler Ehen erreicht.
186
Siehe: Abbildung 6 und 7.
187
Siehe: Abbildung 35 und 36.
84
30
26,1
25
19,6
19,9
20,4
21,1
20
Prozent 15
13
11,6
14,5
10
Schoeneck
StiringWendel
Grossr.
MertenBibling
Morsbach
Creutzw.
Lauterb.
Ludw.
0
L'Hôpital
Carling
3,7
5
Abbildung 35: Binationale Ehen in der Industrieregion 1870-1890
30
25
19,6
20
15,4
13,9
Prozent 15
11,6
10
6,5
6,9
7,6
4,6
Kirsch
Montenach
Grind.
Eft
Oberd.
Perl
Borg
Tettingen
0
1,2
Faha
5
Abbildung 36: Binationale Ehen im ländlichen Raum 1870-1890
Deutlicher werden die unterschiedlichen Auswirkungen des deutsch-französischen
Krieges anhand einer Gegenüberstellung der Heiratsquote der Vor- und
Nachkriegszeit.188
Im
Gegensatz
zum
Industrierevier
sank
der
Anteil
grenzüberschreitender Eheschlieβungen in allen Landgemeinden während der
Annexion. In Kirsch-lès-Sierck ging der Anteil binationaler Paare in den 1870er
188
Siehe: Abbildung 10-18 und 24-31.
85
Jahren im Vergleich zum vorherigen Jahrzehnt um 15,2 Prozentpunkte zurück, in
Grindorff nahm die Quote um 9,7 Prozentpunkte ab, in Eft um 4,9 Prozentpunkte
und in Borg um 3,3 Prozentpunkte. In Perl sank die Quote zwischen den 1860er
und 1870er Jahren zunächst um 1,5 Prozentpunkte, und nahm dann in den 1880er
um weitere 6,7 Prozentpunkte ab.189 In Montenach war in den 1870er Jahren
zunächst nur die absolute Anzahl binationaler Ehen rückläufig, dann sank in den
1880er Jahren der Anteil binationaler Ehen um 15,9 Prozentpunkte.190 Nur in
Oberdorff (-1,3 Prozentpunkte) und Tettingen (-1,2 Prozentpunkte) nahm der
Anteil binationaler Paare weniger deutlich ab. Allerdings war in Tettingen die
Quote bereits in den Jahrzehnten zuvor mit dem Beitritt Luxemburgs in den
Deutschen Zollverein deutlich zurückgegangen. Hier setzte sich in den 1870er
Jahren lediglich die Entwicklung der vorherigen Jahrzehnte fort.
War der negative Effekt des Deutsch-Französischen Krieges auf die
grenzüberschreitenden Familienverflechtungen im ländlichen Raum deutlich
erkennbar, sank die binationale Heiratsquote in der Phase der Annexion im
Industrierevier
nur
in
zwei
Orten.
In
fünf
von
neun
untersuchten
Industriegemeinden stieg sogar der Anteil binationaler Ehen in den 1870er Jahren.
In Ludweiler nahm der Anteil um 1,9 Prozentpunkte zu, in L’Hôpital/Carling um
2,3 Prozentpunkte und in Lauterbach um 2,6 Prozentpunkte. Ebenfalls erhöhte sich
die Quote binationaler Heiraten in Morsbach (+ 8,6 Prozentpunkte) und in
Creutzwald (+ 9 Prozentpunkte). Auch in Merten-Bibling und Groβrosseln ist trotz
des sinkenden Anteils binationaler Ehen in den 1870er Jahren (- 4,6 Prozentpunkte
bzw.- 4,3 Prozentpunkte) kein negativer Effekt des Krieges nachweisbar. In beiden
Orten blieb die absolute Anzahl der binationalen Paare in der Vor- und
Nachkriegszeit nahezu identisch und in den 1880er Jahren wurde in beiden Orten
189
190
Perl 1860er Jahre: Heiraten insg.: 145 / Heiraten binat.: 17; Perl 1870er Jahre: Heiraten insg.:
98 / Heiraten binat.: 10 Von den zehn gemischten Ehen waren drei vor Ausbruch des DeutschFranzösischen Krieges geschlossen worden.
Montenach 1860er Jahre: Heiraten insg.: 64 / Heiraten binat: 12; Montenach 1870er Jahre:
Heiraten insg.: 30 / Heiraten binat.: 7.
86
das Niveau der Heiratsquote der 1860er Jahre sogar überschritten.191 In der
Industrieregion nahmen die grenzüberschreitenden Verflechtungen während der
Annexion lediglich in den Orten Schoeneck und Stiring-Wendel deutlich ab. In
Stiring-Wendel sank die Quote der binationalen Eheschlieβungen in den 1870er
Jahren im Vergleich zum vorherigen Jahrzehnt um 5,7 Prozentpunkte, gleichzeitig
nahm die Anzahl binationaler Paare von 66 auf 49 ab. In Schoeneck sank die
Anzahl der grenzüberschreitenden Eheverbindungen in den 1870er Jahren im
Vergleich zum vorherigen Jahrzehnt um etwa die Hälfte,192 gleichzeitig ging hier
der Anteil um 11,5 Prozentpunkte zurück. Auffällig ist die direkte Nachbarschaft
beider Orte zum Spicherer Berg. Am 6.August 1870 hatte hier die erste groβe
Schlacht des Deutsch-Französischen Krieges stattgefunden. Über 4000 Tote,
Verwundete und Vermisste auf französischer Seite, über 4800 tote, verwundete und
vermisste deutsche Soldaten hatten die Schlacht an den Spicherer Höhen tief im
kollektiven Gedächtnis der Grenzraumbewohner verankert. Die zahlreichen Artikel
und Anzeigen der Zeitungen über die Gedenkveranstaltungen beweisen, dass der
Jahrestag der Spicherer Schlacht im Grenzraum einen deutlich höheren Stellenwert
einnahm als der Sedantag.193 Die Feier am 6. August wurde von der lothringischen
Bevölkerung in den ersten Jahren nach dem Krieg vor allem zur Demonstration
einer pro- französischen Haltung genutzt. Die symbolische Bedeutung dieses Ortes
für beide Seiten war groβ. Für den einen Teil der Grenzraumbewohner war
191
Merten-Bibling 1860er Jahre: Heiraten insg.: 43 / Heiraten binat.: 9; Merten-Bibling 1870er
Jahre: Heiraten insg.: 49 / Heiraten binat.: 8. Groβrosseln 1860er Jahre: Heiraten insg.: 54 /
Heiraten binat.: 12; Groβrosseln 1870er Jahre: Heiraten insg.: 67 / binat. 12.
192
1860er Jahre heirateten 17 Paare grenzüberschreitend, in den 1870er Jahren neun Paare.
Siehe Kapitel: 5.2.2. „Die Kriegervereine ein Element der Integration im Kohlenrevier“.
Zahlreiche Zeitungsartikel thematisieren die Feiern des 6. Augustes: Forbacher Zeitung,
1.8.1872: Festball des Malstatter Liederkranzes; Forbacher Zeitung: 22.8.1872:
Männergesangverein aus Forbach machte Ausflug nach Spicheren; Forbacher Zeitung
27.04.1873: Spicherer Höhe als Touristischer Anziehungspunkt; Saarbrücker Zeitung:
18.7.1893: Allgemein über die Spicherer Schlacht siehe: Böhm, Uwe-Peter: Zwischen Képi
und Pickelhaube. Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 und der Mythos von Spichern, in:
Grenzenlos. Lebenswelten in der deutsch-französischen Region an Saar und Mosel seit 1840
(Hrsg.) Historisches Museum Saar, Saarbrücken 1998, 90-113. Ruppersberg, Albert:
Saarbrücker Kriegschronik, Ereignisse in und bei Saarbrücken und St. Johann sowie am
Spicherer Berge 1870, Saarbrücken 1895, St. Ingbert 1978 (Nachdruck der Ausgabe von
1895).
193
87
Spicheren ein Sinnbild für den siegreichen Krieg und die nationale Einheit, für den
anderen Teil ein Symbol für die Niederlage und die Abtrennung von Frankreich.
Obwohl sich in den umliegenden lothringischen Orten bereits früh Eingewanderte
wie auch Lothringer in Kriegervereinen organisierten, sorgte 1905 die Gründung
des Spicherer Kriegervereins für Aufsehen. Möglich ist, dass die Nähe Schoenecks
und Stiring-Wendels zum Schlachtfeld eine verstärkte Abgrenzungstendenz der
lothringischen Bewohner zu den preußischen Nachbarn bewirkte. Jedoch ist zu
berücksichtigen, dass die Quote binationaler Ehen in beiden Orten in den 1870er
Jahren trotz des beschriebenen Rückgangs auf 22,1 Prozent in Stiring-Wendel und
22,5 Prozent in Schoeneck, immer noch hoch war. In Schoeneck stieg der Anteil
binationaler Eheschließungen in den 1880er Jahren bereits wieder auf 29,6 Prozent
an. Die Eindrücke der Schlacht hatten, wenn überhaupt, nur zeitweilig einen
negativen Effekt auf die Ausprägung der grenzüberschreitenden familiären
Verflechtungen dieser beiden Orte. Der Bedeutungswandel des Andenkens an die
Spicherer Schlacht von einer national aufgeladenen Erinnerungsfeier zu einer
grenzüberschreitenden Erinnerungskultur korrespondiert mit dieser Entwicklung.194
Der unterschiedliche Effekt des Deutsch-Französischen Krieges auf die
grenzüberschreitenden Beziehungen der Industrieregion und des ländlichen
Raumes
ist
am
Heiratsverhalten
deutlich
ablesbar.
Die
fortschreitende
Industrialisierung in den 1870er Jahren und der damit verbundene erhöhte
Arbeitskräfteaustausch, ist einer der Gründe für diese Entwicklung. Besonders die
lothringischen Zechen rekrutierten vermehrt Arbeitskräfte aus dem benachbarten
saarpreuβischen Gebiet.195 Neben dem Ausbau des grenzüberschreitenden
Arbeitsmarktes war auch die Art des Kennenlernens für die Intensivierung der
familiären transnationalen Verflechtungen verantwortlich. Die neuangeworbenen
Arbeitskräfte zogen noch häufiger als in den Jahrzehnten zuvor dauerhaft oder
zeitweise aus weiter entfernten Gegenden in die Nähe ihrer Arbeitsstätten, sodass
194
Siehe: Kapitel 5.2.2. „Die Kriegervereine ein Element der Integration im Kohlenrevier“.
195
Siehe: Kapitel 4.1.4. „Arbeiter und Arbeiterbauern“.
88
sich im Vergleich zur Vorkriegszeit die Ehepartner im Industrierevier noch
Prozent
häufiger in ihren gemeinsamen Wohnorten kennen lernten.196
16
14
12
10
8
6
4
2
0
Industrieregion
Land
1850-1869
1870-1889
Abbildung 37: Herkunft eines Ehepartners aus einer Entfernung über 100 km vom
Wohnort197
Die Reaktion der Grenzraumbewohner auf den Beitritt Luxemburgs in den
Deutschen Zollverein beweist jedoch, dass eine erhöhte Quantität der Kontakte
nicht zwangsläufig eine erhöhte Heiratsquote nach sich zog. Der emotionale Gehalt
des Kontaktes spielte eine mindestens ebenso wichtige Rolle. Denkbar ist, dass die
grenzüberschreitenden Beziehungen im Industrierevier durch die gemeinsam
erfahrenen Härten der Arbeitswelt positiver belegt waren als auf dem Land. Die
Angst der Bergarbeiter, Opfer eines Bergwerksunglückes und Arbeitsunfalls zu
werden, die materielle Not und harten Arbeitsbedingungen unter Tage waren
grenzüberschreitend und schufen eine gemeinsame emotionale Basis.198 Die
sozialen Konflikte der Gründerjahre waren ebenfalls ein Element, das die
lothringischen und saarpreußischen Bergarbeiter verband. Prägend für die
Bergarbeiter war die, von Bergarbeitern Groβrosselns angeführte Streikbewegung
im lothringischen Petite-Rosselle im August 1874, bei der es zu gewalttätigen
196
Siehe: Abbildung 37.
197
Die Werte ergeben sich sich aus dem Mittel des Anteils in den einzelnen Orten.
198
Siehe Kapitel: 4.3. „Solidarität, Sprachgrenzen und soziale Konflikte“.
89
Ausschreitungen gekommen war.199 Noch während der Streikbewegung im Jahr
1889 blieben die Bergarbeiter der Petite-Rosseller Zechen besonders ruhig, da
ihnen noch „die schweren Folgen der im Jahre 1874 hier vorgefallenen Unruhen
wohl bekannt“ waren.200 Die Bedeutung des emotionalen Gehaltes für die Qualität
eines Kontaktes bestätigt die Netzwerkforschung, welche die Qualität einer
Beziehung anhand der Dauer und des emotionalen Gehaltes definiert.201 In der
Industriezone konnten die längere Dauer und der positive emotionale Gehalt der
grenzüberschreitenden Kontakte offenbar die negative Wirkung des DeutschFranzösischen
Krieges
auf
die
familiären
Verflechtungen
gröβtenteils
neutralisieren. Im Vergleich zur Industrieregion war im ländlichen Raum sowohl
die Dauer der grenzüberschreitenden Kontakte kürzer als auch deren emotionaler
Gehalt seit dem Beitritt Luxemburgs in den Deutschen Zollverein negativer belegt.
3.2.8.
Die binationalen Paare vor und nach dem Deutsch-Französischen
Krieg
Die Entwicklung der grenzüberschreitenden familiären Verflechtungen im
Industriegebiet korrespondiert auf den ersten Blick nicht mit dem Inhalt des
Artikels über die Eheschließung zwischen dem Lehrer Atorf und Fräulein
Rimsgern in Forbach. Die hier als auβergewöhnliches Ereignis dargestellte
Vermählung zwischen einem Preußen und einer Lothringerin entspricht nicht den
ermittelten konstant hohen und sogar steigenden Anteilen grenzüberschreitender
Eheschließungen in den meisten Orten der Industrieregion nach dem Krieg
1870/71. Dieser Widerspruch löst sich auf, wenn zwischen eingewanderten
199
200
201
Saargemünder Zeitung, 13.8.1874; Saarbrücker Zeitung, 13.8.1874; Saarbrücker Zeitung,
16.8.1874.
LAS, Best. Landratsamt Saarbrücken, Nr. 1831: Zeitungsausschnitt « St.-Johanner
Volkszeitung », 22.5.1889.
Die Definition Mark S. Granovetters der Faktoren, welche die Stärke einer interpersonellen
Beziehung bestimmen, wurde hier auf die Bewertung interpersoneller Kontakte übertragen.
Granovetters Definition lautet: „The strength of a tie is a (probably linear) combination of the
amount of time, the emotional intensity, the intimacy (mutual confiding), and the reciprocal
services which characterize the tie.“ Granvovetter, Strength, 1361.
90
Preuβen und „Saarpreuβen“ differenziert wird. Die geographische Herkunft der
Eheleute zeigt, dass der Anteil der binationalen Ehen zwischen eingewanderten
Preuβen und Lothringern sehr niedrig war. In der Industrieregion konnten für den
Zeitraum 1870-1890 nur zwei eingewanderte Ehemänner ermittelt werden. Ein
Sergeant des I. Hannoveraner Dragoner Regimentes in Ludweiler und ein
Polizeibeamter in Stiring-Wendel. Im ländlichen Raum war keine einzige
Eheschließung zwischen Einheimischen und Eingewanderten nachweisbar. Auf
dem Land wie auch in der, von der Industrie geprägten Region war der
Integrationsgrad der eingewanderten Deutschen in die lokale Gesellschaft sehr
gering.202 Dass ein eingewanderter Preuße aus Krefeld – ein Preuβe aus dem Reich eine Lothringerin heiratete, war demnach die Besonderheit, auf die der Artikel
aufmerksam machte. Eine binationale Ehe zwischen einem „Saarpreuβen“ und
einer Lothringerin war auch während der Annexion keinen Zeitungsartikel wert.
Es ist jedoch fraglich, ob für die geringe Anzahl binationaler Ehen zwischen
eingewanderten Preuβen und Lothringern ausschlieβlich nationale Gründe
verantwortlich waren. Der niedrige Anteil binationaler Ehen in Ludweiler beweist,
dass
konfessionelle
Gegensätze
die
grenzüberschreitenden
familiären
Verflechtungen stark negativ beeinflussten. Die eingewanderten Deutschen waren
wie die Bürger Ludweilers
meist Protestanten, sodass Lothringer und
Eingewanderte nicht nur eine nationale, sondern auch eine konfessionelle Grenze
trennte. „Protestantisch“ wurde während der Annexion zu einem Synonym für
202
Siehe zur Trennung der Lebenswelten der Eingewanderten und der Einheimischen auch:
Riederer, Feiern, 240ff. Eine zeitgenössische Sicht auf die Mischehen zwischen
eingewanderten Preußen und Lothringern bietet der Roman „Colette Baudoche“ von Maurice
Barrès, der in Lothringen eine breite Leserschaft erreichte. Er beschreibt die Geschichte eines
jungen Mädchens, das bei seiner Großmutter aufwächst. Aufgrund finanzieller
Schwierigkeiten vermieten die beiden Frauen einem preußischen Lehrer ein Zimmer ihrer
Wohnung. Colette und der Lehrer verlieben sich ineinander. Als jedoch der preußische Lehrer
der jungen Frau einen Heiratsantrag macht, lehnt diese ab, weil sie nicht zur Germanisierung
Lothringens beitragen möchte. Barrès, Maurice: Colette Baudoche. Histoire d'une jeune fille
de Metz, Paris 1909.
91
„preuβisch“,
sodass
die
konfessionelle
Grenze
potenzierend
auf
die
Abgrenzungstendenz der Lothringer zu den Eingewanderten wirkte.203
Mit Blick auf die Abnahme der Quote binationaler Ehen nach dem DeutschFranzösischen Krieg, schlieβt sich die Frage an, ob die familiären Verflechtungen
innerhalb
bestimmter
sozialer
Schichten
beziehungsweise
Berufsgruppen
rückläufig waren.204 Die Analyse der beruflichen Hintergründe der Ehemänner
ergab einen deutlichen Rückgang der binationalen Eheschließungen der
bürgerlichen Schichten im ländlichen Raum nach dem Deutsch-Französischen
Krieg, um mehr als die Hälfe, von 16 Prozent auf 5 Prozent.205 In der
Industrieregion änderte sich die soziale Zusammensetzung der binationalen Paare
nicht wesentlich; der Anteil binationaler bürgerlicher Ehen war hier bereits in der
Vorkriegszeit sehr niedrig.206 Das Optionsrecht begründet den Rückgang der
bürgerlichen Eheschlieβungen nicht, da im germanophonen grenznahen Raum nur
ein geringer Anteil der Bevölkerung diese Möglichkeit in Anspruch nahm und auf
französisches Staatsgebiet zog.207 Die Abnahme des Anteils binationaler
bürgerlicher Ehen steht daher vor allem mit einer nationalen Abgrenzungstendenz
der ansässigen bürgerlichen Schichten im Zusammenhang.
203
Siehe zur nationalen Konnotation des Konfessionskonfliktes: Kapitel 2.1. „Kulturkampf. Ein
Konfessionskonflikt als nationaler und sozialer Konflikt“.
204
Das Problem der sozialen Aussagekraft der Berufsangabe betrifft besonders die bürgerlichen
Berufe. Ein Kaufmann konnte sowohl ein Kramhändler, der eher den unteren
Erwerbsschichten zuzuordnen ist, als auch ein wohlhabender Geschäftsinhaber sein. Die hier
ermittelten Werte sind daher als ungefähre Angaben zu verstehen.
205
Siehe: Abbildung 38 und 39.
206
Siehe: Abbildung 40 und 41.
207
Zum Optionsrecht Siehe Kapitel: 2.5. „Die Grenze zwischen Lothringen und der Saarregion
nach 1871“.
92
16%
12%
30%
5%
15%
45%
38%
39%
Bauer/Winzer
Handwerker
Tagelöhner/Arbeiter
Bürger
Abbildung 38:
Beruflicher Hintergrund der
Ehemänner ländlicher Raum
(1850-1869)
3%
Bauer/Winzer
Handwerker
Tagelöhner/Arbeiter
Bürger
Abbildung 39:
Beruflicher Hintergrund der
Ehemänner ländlicher Raum
(1870-1890)
4%
3%
21%
72%
18%
77%
Bauer/Winzer
Handwerker
Tagelöhner/Arbeiter
Bürger
Abbildung 40:
Beruflicher Hintergrund der
Ehemänner Industrieregion
(1850-1869)208
208
2%
Bauer/Winzer
Handwerker
Tagelöhner/Arbeiter
Bürger
Abbildung 41:
Beruflicher Hintergrund der
Ehemänner Industrieregion
(1870-1890)
In den Abbildungen 40 und 41 wurden L’Hôpital/Carling und Merten-Bibling nicht
berücksichtig, da in deren Einwohnerverzeichnissen die Berufe der Ehemänner nicht vermerkt
sind.
93
3.3.
Zusammenfassung
Die Quote binationaler Ehen sowohl in der Industrieregion als auch im ländlichen
Raum variierte, war jedoch im gesamten untersuchten Zeitraum hoch.
Voraussetzung für diesen hohen Grad familiärer Verflechtungen waren die
konfessionellen Gemeinsamkeiten der Grenzraumbewohner.
Anhand der starken Schwankungen in der Anzahl und der Quote
binationaler Ehen wurden Mechanismen der Integration beziehungsweise
Segregation im Grenzraum herausgearbeitet. Im Gegensatz zur Grenzentfernung,
die nicht ausschlaggebend für die Intensität der familiären grenzüberschreitenden
Verflechtungen war, beeinflusste die Wirtschaftsstruktur das Heiratsverhalten
deutlich. Klar zeichnet sich in der Entwicklung und in der Ausprägung der
grenzüberschreitenden Familienverflechtungen ein Unterschied zwischen der
Industrieregion und dem ländlichen Raum ab. Eine Erklärung für den
durchschnittlich höheren Anteil binationaler Ehen in der Industrieregion, ist deren
besser ausgebaute Infrastruktur – im Kapitel „Freizeit“ wird dieser Aspekt wieder
aufgegriffen – und der im Vergleich zum Land intensivere Arbeitskräfteaustausch
und die erhöhte Dauer der Kontakte zwischen den Nationalitäten.209
Ab den 1850er Jahren entwickelten sich der Anteil und die Anzahl
binationaler Ehen in der Land- und Industrieregion in entgegengesetzte
Richtungen. Stiegen Anzahl und Quote der binationalen Paare im Industrierevier,
nahmen diese auf dem Land deutlich ab. Es wurde nachgewiesen, dass der
Rückgang der grenzüberschreitenden Familienverflechtungen mit dem Beitritt
Luxemburgs in den Deutschen Zollverein begann und sich nach dem DeutschFranzösischen Krieg fortsetzte. Andere auβenpolitische Ereignisse wie Italien- und
Krimkrieg wirkten auf dem Land möglicherweise potenzierend auf die
209
Siehe die Kapitel: 5.5.1. „Freizeit ohne Grenzen? Freizeit an der Grenze vor 1871“, 4.1.4.
„Arbeiter und Arbeiterbauern“.
94
Abgrenzungstendenz der Grenzraumbewohner, hatten an sich jedoch keine
negativen Auswirkungen auf die familiären Verflechtungen.210
Deutlich unterscheiden sich die Landgemeinden von der Industrieregion im
Hinblick auf die Auswirkungen des Deutsch-Französischen Krieges. Nahm der
Anteil binationaler Ehen während der Annexion im Industrierevier nur in zwei
Orten (Schoeneck und Stiring-Wendel) deutlich ab, sank die Quote auf dem Land
in allen hier untersuchten Gemeinden. Denkbar ist, dass eine Intensivierung des
grenzüberschreitenden Arbeitsmarktes in den 1870er und 1880er Jahren einer der
Gründe für den geringen negativen Effekt des Deutsch-Französischen Krieges auf
das
Heiratsverhalten
im
Industrierevier
war.
Neben
den
vermehrten
grenzüberschreitenden Kontakten der Bewohner, war jedoch vor allem der positive
emotionale Gehalt der Beziehungen im Kohlenrevier für den marginalen negativen
Effekt des Deutsch-Französischen Krieges im Industrierevier verantwortlich. Im
ländlichen Raum, Richtung Dreiländereck, hatten sich mit dem Beitritt
Luxemburgs in den Deutschen Zollverein die grenzüberschreitenden Kontakte
vermehrt, diese waren jedoch gleichzeitig emotional negativ belegt.211
Die Untersuchung des beruflichen Hintergrundes der Ehemänner ergab eine
deutliche Abnahme der binationalen bürgerlichen Ehen nach dem DeutschFranzösischen Krieg. Auf dem Land fiel die Quote der bürgerlichen
grenzüberschreitenden Eheverbindungen nach dem Krieg auf ein ähnlich niedriges
Niveau wie in der Industrieregion. Im Kapitel „Freizeit“ wird der Rückgang der
grenzüberschreitenden
Verbindungen
der
bürgerlichen
Schichten
erneut
thematisiert.
210
Im Kapitel 5.5.1. „Freizeit ohne Grenzen? Freizeit an der Grenze vor 1871“ wird dieser
Aspekt genauer behandelt.
211
Im Kapitel „Freizeit“ und „Arbeit“ wird dieser Zusammenhang wieder aufgegriffen.
95
4.
Arbeit im Grenzraum
4.1.
Die verschiedenen Arbeitsbereiche und die Staatsgrenze
4.1.1.
Ackerbau
In der am 23.10.1829 abgeschlossenen Konvention zwischen Preußen und
Frankreich über den endgültigen Grenzverlauf heißt es: Falls ein Grundstück durch
die Übereinkunft zerstückelt werde, habe der Bauer die Erlaubnis, die auf den
Grundstücken „gemachten Erndten, von welcher Art sie auch seyn mögen, frey,
ohne alle Abgaben und ungehindert heim [zu] führen.“ Diese Regelung galt für alle
Ländereien, die weniger als fünf Kilometer von der Grenze entfernt lagen.212 Einige
Orte hatten das Recht der freien Ausfuhr der auf dem anderen Staatsgebiet
geernteten Produkte in bilateralen Nutzungsrechtsvereinbarungen protokollarisch
festgehalten.213 Die Beschwerden der Bauern, die diese Ausnahmebestimmung
nutzten, zeigen jedoch, dass die Zollbeamten im Grenzalltag diese Regelung nicht
immer respektierten. 1843 und 1848 beklagten sich die Gemeinden Merlebach,
Rosbruck und Spicheren darüber, dass ihnen die Zollbeamten die freie Einfuhr von
Ernteerzeugnissen verweigert hätten, obwohl die Grundstücke weniger als fünf
Kilometern von der Grenze entfernt lagen.214 Die Gemeinde Merlebach ging sogar
soweit, sich an den zuständigen Minister zu wenden.215 Beschwerden dieser Art
212
LHAK, Best.442, Nr. 6: Derselbe Wortlaut findet sich auch in der Konvention zwischen
Bayern und Frankreich von 5.7.1825. Abdruck der Konvention in: ADM, 183M.
213
LHAK, Best.442, Nr. 7: 16 Nutzungsrechtsabkommen zwischen Dörfern in Preuβen und
Frankreich, August 1833. Recht der freien Ausfuhr landwirtschaftlicher Produkte der Bauern
in Überherrn, Merten und Creutzwald.
214
ADM, 6 P 8: Schriftwechsel der Präfektur mit dem Conseil Municipal von Merlebach sowie
mit dem Zoll, Februar-Mai 1843.
ADM, 6 P 2: Beschwerde der Gemeinde Merlebach und Rosbruck gerichtet an den Minister.
Der leitete die Beschwerde an den Präfekten weiter, 7.6.1848. Beschwerde der Gemeinde
Spicheren, Schriftwechsel Unterpräfektur-Präfektur, Juni 1848.
215
96
waren jedoch selten. In der Regel konnten die Bauern ohne Schwierigkeiten die
Ausnahmeregelungen für sich in Anspruch nehmen.216
Auch bei der Verarbeitung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse gewährten
die Behörden den Grenzraumbewohnern in bestimmten Fällen eine Vereinfachung
der Zollvorschriften. Beispielsweise wurden die im französischen Rolbing
geernteten Getreidekörner traditionell in der Riedelberger Mühle auf deutschem
Territorium weiterverarbeitet. Als der französische Zoll 1862 auf der Einhaltung
der Ausfuhrvorschriften bestand, bat der Bürgermeister von Rolbing die
zuständigen Behörden darum, dass die „Vereinfachung die Körner im Ausland
mahlen zu können weiter“ bestehen bleibe.217
Den direkt an der Grenze lebenden Bauern, wurde durch einige
Sonderbestimmungen das grenzüberschreitende Arbeiten erleichtert. In der Regel
galten jedoch auch für die Bauern die Ein- oder Ausfuhrbestimmungen. So war der
Import und Export von landwirtschaftlichen Produkten an bestimmte, hierfür
autorisierte Zollämter gebunden. Beispielsweise war 1853 im Departement Moselle
nur über folgende Zollämter die Aus- und Einfuhr von Getreide, Mehl und
Früchten gestattet : La Malmaison,218 Tellancourt,219 Ville-Houdlemont (nur
Ausfuhr), Mont-Saint-Martin, Longlaville, Audun le Tiche, Evrange, Apach,
Sierck, Waldwisse, Schreckling, Trois Maisons, Creutzwald, Forbach, Stiring,
Grosbliederstroff, Welferding (nur Ausfuhr),220 Sarreguemines (nur Ausfuhr),
Frauenberg, Volmunster, Roppeviller, Walschbronn (nur Einfuhr), Sturzelbronn,
216
217
218
Für den Zeitraum bis 1870 wurden lediglich fünf Vorgänge aktenkundig. In zwei der fünf
Fälle wurde der Beschwerde nicht stattgegeben, da die Ausnahmeregelung nur dann
Gültigkeit besaβ, wenn sich die Ländereien bereits vor der endgültigen Festlegung der Grenze
1829 im Besitz des Bauern befanden. Im Falle einer späteren Grundstückserwerbung auf der
anderen Seite der Grenze galt die Zollfreiheit nicht. ADM, 6 P 2: Mit der Begründung wurde
die Beschwerde einiger Bauern aus Merlebach und Rosbruck zurückgewiesen. Schriftwechsel
Unterpräfekt-Präfekt, April 1848.
ADM, 6 P 8: Anfrage des Bürgermeister von Rolbing an den Zoll, weitergeleitet an den
Präfekten, 29.4.1862.
Gemeint ist Allondrelle-la-Malmaison.
219
Laut Quelle: „Cellancourt“.
220
Laut Quelle: „Velferding“.
97
Schweyen.221 Die zahlreichen Anfragen über Zuständigkeiten der Zollämter und die
permanente
Aktualisierung der Listen
über die Kompetenzbereiche der
Zollstationen beweisen den hohen Stellenwert, den die Kontrolle des Warenflusses
bei den Behörden hatte.222
In der Arbeitswelt der Bauern war die Grenze auch während der
Marktbesuche gegenwärtig. Das Preisgefälle im Grenzraum bescherte den Bauern,
die auf den Märkten ihre Waren anboten, eine national gemischte Käuferschaft. In
den Zeitungen wurden die Kunden auf beiden Seiten der Grenze über die
Preisentwicklung im Nachbarland informiert, sodass diese ihre Einkäufe
dementsprechend planen konnten. So veröffentlichte der Courrier de la Moselle
jede Woche die Kornpreise des Marktes in Zweibrücken, Sankt Wendel, Saarlouis
und zeitweise die Preise des Marktes in Ottweiler, die Saarbrücker Zeitung
informierte die Leser über die Kornpreise in Strasbourg.223
Im Vergleich zu den industriellen Lohnarbeitern war jedoch nur ein geringer
Teil der Bauern durch die Lage ihrer Besitzungen oder Handelsbeziehungen mit der
Grenzsituation konfrontiert.
4.1.2.
Legaler und illegaler Handel
Die unterschiedlichen Zahlungsmittel waren bei Handelsgeschäften kein Hindernis.
Händler und Geschäftsleute nahmen sowohl die preuβische als auch die
französische Währung an. Ein alleiniges Grenzraumphänomen war die Annahme
ausländischer Zahlungsmittel jedoch nicht. Auch im preuβischen Inland wurde,
221
ADM, 6 P 8: Auflistung der zuständigen Zollämter durch den Direktor des Zolls in Metz,
6.10.1853.
222
ADM, 6 P 8.
223
Courrier de la Moselle: u. a.: 7.8.1851, 4.9.1851, 2.10.1851, 9.7.1863, 3.9.1863, 5.11.1863,
3.4.1866, 7.6.1866, 6.12.1866. Allgemeiner Artikel über die Preisentwicklung in der
bayerischen Pfalz und Baden: 18.7.1863. Saarbrücker Zeitung: 13.11.1851, 4.8.1855.
Kornpreise in Strasbourg.
98
obwohl gesetzlich verboten, mit verschiedenen Währungen gehandelt.224 Hingegen
galt im Grenzgebiet eine Sonderregelung. Die Kabinetsordres vom 5. Juni 1823,
25. November 1826 und 30. November 1829 nahmen die Grenzorte von dem
Verbot, mit fremden Währungen zu handeln aus.225 Allerdings versuchten die
Behörden in den 1850er Jahren, den Umlauf französischer Kupfermünzen im
preuβischen Teil der Grenzregion zu unterbinden. Die Gewohnheiten der
Bewohner änderte diese Anordnung jedoch nicht. So meldete ein Bürgermeister
1852 dem Landrat von Saarburg, dass es möglich sei, „dass in den diesseitigen
Gemeinden längs der Mosel die fremden Kupfermünzen hin und wider noch im
gemeinen Verkehr gebracht werden.“ Laut Bürgermeister würden die Einwohner
der Grenzorte wöchentlich zweimal Butter, Eier und sonstige Gegenstände nach
Grewenmachern auf den Wochenmarkt zum Verkauf bringen und konnten dort
nicht immer preuβische Münzen erhalten.226 Offenbar kursierten die französischen
Kupfermünzen nicht nur aus praktischen Gründen weiterhin auf preuβischem
Gebiet. Einige Händler erwirtschafteten durch die Gleichstellung des Pfennigs und
224
1852 hatte eine Bekanntmachung der königlichen Regierung in Koblenz auch im
Regierungsbezirk Trier für Verwirrung gesorgt. In dieser Bekanntgabe wurden die
Kabinettsordres vom 22. Juni 1823 und 30. November 1829 in Erinnerung gerufen, in denen
ein Verbot des Einbringens und Verkehrs von ausländischen Münzen ausgesprochen worden
war. Folge der Koblenzer Bekanntmachung war, dass die Geschäftsleute des
Regierungsbezirkes Trier nunmehr die Annahme sämtlicher ausländischer Währungen
verweigerten, auch die des Zollvereins. Der köngliche Polizeidirektor plädierte nun dafür,
dass Münzen des Zollvereins weiterhin kursieren dürften, jedoch die Zirkulation der
Kupfermünzen der übrigen Staaten, insbesondere der Englischen, „womit das Land gleichsam
überschwemmt [sei], ein Damm entgegen gestellt werden möge.“ LHAK, Best. 442, Nr. 1425:
Königl. Polizeidirektor an die königl. Regierung, 28.10.1852.
225
Gesetzsammlung für die Königlich-Preuβischen Staaten 1830, Nr. 1, 3: „Allerhöchste
Kabinetsorder vom 30sten November 1829, über die Anwendung der Allerhöchsten Order
vom 25sten November 1826, wegen Verbreitung der neuen Scheidemünzen in die westlichen
Provinzen der Monarchie, auf die östlichen Provinzen.“ Gesetzsammlung für die KöniglichPreuβischen Staaten 1823, Nr. 12, 128: „Allerhöchste Kabinetsorder vom 22sten Juni 1823,
daβ die neue Scheidemünze allgemein in Gebrauch kommen und die fremden Silber- und
Kupfer-Scheidemünzen nicht blos auβer Kurz gesetzt, sondern auch ihre Einbringung
verboten seyn soll.“ Gesetzsammlung für die Königlich-Preuβischen Staaten 1826, Nr. 16,
115: „Allerhöchste Kabinetsorder vom 25sten November 1826, wegen wirksamer Verbreitung
der durch das Gesetz vom 30sten September 1821 eingeführten neuen Scheidemünze in die
Westlichen Provinzen der Monarchie“.
LHAK, Best. 442, Nr. 1425: Bürgermeister von (unleserlich) an den Landrat von Saarburg,
26.12.1852.
226
99
des Centimes einen Extragewinn.227 Das Verbot betraf jedoch nur die ausländischen
Kupfermünzen, der Umlauf ausländischer Silbermünzen war im Grenzgebiet
weiterhin erlaubt.228
Nach der Annexion Elsass-Lothringens zirkulierten im Reichsland neben
den französischen und deutschen Währungen noch zahlreiche andere legale und
illegale Münzsorten.229 Sogar nach Inkrafttreten des Reichsmünzgesetzes im Jahr
1875 blieben im Reichsland ausländische Münzen als Zahlungsmittel präsent.230
Die Vielzahl der grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen lässt sich am
Anteil der grenzüberschreitenden Inserate in den Zeitungen erahnen - das Handeln
mit verschiedenen Währungen war für den Warenfluss im Grenzraum
Vorausetzung und Notwendigkeit zugleich.231 Die Zeitungsannoncen informierten
die Grenzraumbewohner über die Ankunft der Kohlen-, Brikett- und Pferdehändler
aus Saarbrücken und Malstatt oder über die Möglichkeit, sich traditionelle
französische Konditorwaren von einem Forbacher Händler liefern zu lassen.232
Intensiv war offenbar auch der „grenzüberschreitende Kundenverkehr“ in einigen
227
228
LHAK, Best. 442, Nr. 1425: Anonymus aus Saarlouis an die königl. Regierung in Trier,
10.1.1854. Laut des Briefschreibers würden noch massenweise französische Kupfermünzen
kursieren. Diese sollten entweder verschwinden oder man solle einen festen Wechselkurs für
dieselben bestimmen.
LHAK, Best. 442, Nr. 1425: Königl. Regierung in Trier an die Polizeidirektion in Trier,
4.11.1852.
229
Die Aktiengesellschaft für Boden und Kommunal-Kredit meldete im Mai 1874 dem
Oberpräsidenten von Elsass-Lothringen, dass im Reichsland die verschiedenartigsten
Geldsorten, welche teils legale und teils illegale Zahlungsmittel seien kursieren würden. Sie
plädierten daher für eine rasche Einführung der Reichswährung: ADBR, 5 AL 7.1:
Aktiengesellschaft für Boden und Kommunal-Kredit an den Oberpräsidenten, 8.5.1874.
230
Beschwerde eines Eingewanderten beim Oberpräsidenten darüber, dass in Lothringen noch
eine groβe Menge polnischer Münzen im Umlauf sei, obwohl diese in „Altdeutschland“
bereits eingezogen worden seien: ADBR, 5 AL 7.1: Brief eines „deutschen Patrioten“ aus
Metz an den Oberpräsidenten, 8.2.1876.
231
In sechs Monaten des Jahrgang 1851 der Saarzeitung, dem Vorgänger der Saarbrücker
Zeitung, wurden 43 Anzeigen gezählt, was im Durchschnitt eine „grenzüberschreitende“
Anzeige jeden dritten Erscheinungstag bedeutet. Mit Blick auf die geringe Seitenzahl der
Saarzeitung von vier Seiten ist diese Anzahl bemerkenswert. Ähnliche Ergebnisse ergab die
Untersuchung des Courrier de la Moselle. Hier erschienen in den sechs ausgewerteten
Monaten des Jahrganges 1851 30 grenzüberschreitende Anzeigen.
232
Kohlen und Briquettehändler: Courrier de la Moselle: 25.1.1859, 7.5.1859, 5.6.1866,
12.7.1866, 6.12.1866, 3.8.1869, 28.8.1869. Pferdehändler: Courrier de la Moselle: 1.3.1851,
3.5.1851, 12.7.1851, 27.9.1851. Lieferung von Konditorwaren aus Forbach: Saarbrücker
Zeitungen, 15.6.1866.
100
Geschäften im Grenzraum.233 Die Zeitungsannoncen lassen vermuten, dass die
deutsche Kundschaft vor allem wegen des Kleiderkaufes nach Frankreich kam. Der
Pariser Chic wirkte sichtbar anziehend auf die Kundschaft von der Saar. Hüte und
Schuhe, aber auch französische Spezialitäten, wie Baguette und Champagner,
lockten die Saarbewohner in die französischen Städte.234 Sich der Internationalität
ihrer Kundschaft bewusst, suchten die Geschäfte und großen Handelshäuser der
Grenzregion zweisprachige Mitarbeiter.235
Die Internationalität des Handels wurde durch Ein- und Ausfuhrverbote
sowie Zölle eingeschränkt. Neben dem legalen Handel mit Waren, war daher auch
die illegale Einfuhr, das Schmuggeln von Waren, eine alltägliche Erscheinung im
saarländisch-lothringischen Grenzraum. Die Behörden unterschieden zwischen
gewerbsmäβigem Schmuggel und dem „Einschwärzen“ zum eigenen Gebrauch. So
sei es „nicht die Absicht jeden, der das eine oder andere Mal eine Kleinigkeit zum
eigenen Verbrauch eingeschwärzt hat, der Passkontrollen zu unterweisen.“236
Obwohl das Leben der Grenzraumbewohner laut dieser Anweisung des
preußischen Finanzministers des Jahres 1839 nicht grundlegend von der
Bekämpfung des Schmuggels beeinträchtigt werden sollte,
konnten die
233
Der intensive grenzüberschreitende Kundenkontakt machte die Händler für die Behörden als
Informanten interessant. Besonders bei angespannter politischer Lage wurden die
Geschäftsleute zur „Stimmung“ der Bevölkerung in den angrenzenden Gebieten befragt.
LHAK, Best. 403, Nr. 17986: Wochenbericht der Polizeidirektion vom 9.4.1853. Weitere
Berichte: LHAK, Best. 403, Nr. 6584: Landrat von Saarbrücken an den königl.
Oberpräsidenten, Dezember 1852. Landrat von Saarbrücken an den königl. Oberpräsidenten,
18.12.1852. LHAK, Best. 403, Nr. 6575: Bericht eines Informanten aus Metz, 4.5.1859.
234
Saarbrücker Zeitung, 10.5.1859: Pariser Schuhlager in Forbach bietet Sommerschuhe;
Saarbrücker Zeitung, 13.1.1859, 18.1.1859, 14.5.1959, 17.5.1859: Modegeschäfte in Forbach;
Saarbrücker Zeitung, 5.10.1869, 8.9.1869, 9.5.1866: Hute aus Paris in Forbach. Saarbrücker
Zeitung 13.1.1859: Das Haus Grumbach aus Sarreguemines gab bekannt, dass die
Niederlassung in Forbach für die Wintersaison geschlossen sei und die Kunden aus der
Saargegend die kurze Frist nutzen sollten, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen. In der
Wintersaison wurden die Kunden von der Saar gebeten nach Sarreguemines fahren.
Saarbrücker Zeitung 2.12.1851, 28.11.1859, 15.6.1866: Baguette und Champagner.
U. a. Courrier de la Moselle: 7.5.1863, 8.11.1855, 28.6.1866, 5.8.1969, 2.10.1869,
Saarbrücker Zeitung: 16.1.1851, 1.11.1955, 6.11.1855, 5.5.1859, 14.9.1859, 23.10.1869,
30.10.1869.
LHAK, Best. 403, Nr. 145: Finanzminister, 11.3.1839: Anmerkungen des Finanzministers
zum Regulatiers vom 12.1.1839 „Regulatier, die Paßschriftlichkeit der in- und ausländischen
Grenzbewohner und die polizeiliche Aufsicht über dieselbe betreffend, vom 12. Januar 1839“.
235
236
101
Maβnahmen
gegen
den
Schleichhandel
für
die
Grenzraumbewohner
Unannehmlichkeiten mit sich bringen. So verhindern diese Anweisung nicht, dass
Händlerinnen, die Produkte auf der anderen Seite der Grenze zum Kauf anbieten
wollten, wegen des Verdachtes Schmuggel zu betreiben, am Zoll einer
Leibesvisitation unterzogen wurden, von der sie sich sexuell belästigt fühlten.237
Dem Übereifer der Zollbeamten fiel auch ein achtjähriger Junge aus Lauterbach
zum Opfer, den die Beamten fälschlicherweise für einen Schmuggler hielten und
durch einen Schuss leicht verletzten. Grenzzwischenfälle dieser Art waren nicht
selten und so klagte der Courrier de la Moselle “Wieviele Unfälle sind bereits
wegen dieser elenden Schmuggler passiert !“238 Die Zeitungsartikel über die Erfolge
und vor allem über die Misserfolge der Grenzüberwachung der Zollbeamten,
zeugen jedoch vor allem von der Diskrepanz zwischen dem Anspruch der
staatlichen Grenzkontrolle und deren Umsetzung in der Praxis.239
4.1.3.
Dienstleistung
Internationalität beziehungsweise Zweisprachigkeit waren im Grenzraum nicht nur
für Händler und Geschäftsleute, sondern auch für Hausangestellte von Vorteil. Vor
allem bilinguale Kindermädchen und Hauslehrer suchten über Zeitungsanzeigen
Anstellung in bürgerlichen Haushalten oder wurden von den Familien für den
237
238
239
ADM, 6 P 2: 1840er Jahre: Grenzraumbewohnerinnen beschwerten sich beim Untepräfekten,
dieser leitete die Beschwerde an den Präfekten weiter.
Courrier de la Moselle, 2.10.1869: Im Artikel lautet der Satz „Pour ces misérables chiens de
fraudeurs, combien de malheurs sont déjà arrivés!“ ADM, 6 P 8: Zoll an den Präfekten,
21.10.1861: Vorausschauend kontaktierte hier ein Schoenecker Zollbeamter den Präfekten.
Der Zöllner befürchtete, dass die unerlaubte Einfuhr von Waren durch ein Haus möglich sei,
das ohne Genehmigung sowohl auf preußischem als auch französischem Boden erbaut worden
war. Der Abriss konnte jedoch nicht angeordnet werden, da das Haus vor 1829 errichtet
worden war, demnach vor der abschließenden Vereinbarung zum Grenzverlauf zwischen
Preußen und Frankreich.
Saarbrücker Zeitung, 12.3.1863: Bestrafung eines Fuhrmanns wegen Schmuggels von
Frankreich nach Preußen; Courrier de la Moselle, 22.3.1855: Ein Bewohner Petite-Rosselles
hatte bei der Einfuhr von Korn falsche Angaben gemacht.; Courrier de la Moselle, 19.3.1870:
Brigade von Ottange hatte Schmuggler gefasst. Zum Kontrast zwischen Anspruch und
Wirklichkeit der staatlichen Grenzkontrolle in anderen Grenzräumen: Sauer, Straße; Stauber,
Zentralstaat.
102
Deutsch- und Französischunterricht der Kinder gesucht.240 Bedarf bestand auch an
zweisprachigen Sekretären, die besonders bei den Notaren und Handelshäusern der
Grenzregion eine Anstellung fanden.241.
Ärzte boten ebenfalls ihre Dienste grenzüberschreitend an. Entweder warben
sie für ihre Praxen, oder sie kamen persönlich in die grenznahen Städte und
behandelten die Patienten vor Ort. Regelmäβig hielten Zahnärzte aus Metz in
Forbach und Sarreguemines Sprechstunden für die deutschen und französischen
Grenzraumbewohner ab.242 So kündigte auch Dr. Lambert aus Metz an, dass er
jeden 2.und 16. des Monats in Forbach im Gasthaus "Zum Goldenen Löwen"
Behandlungen vornehmen würde, nicht ohne zu erwähnen, dass er auch Deutsch
spreche.243 Die Anzahl der Stellenanzeigen deutet an, dass der grenzüberschreitende
Arbeitsmarkt im Dienstleistungssektor bedeutend war.244
240
Courrier de la Moselle: 7.6.1859, 9.6.1859, 10.3.1859, 20.1.1859, 5.11.1863, 7.11.1863,
26.5.1866, 21.6.1866. Saarbrücker Zeitung: 17.7.1851, 23.12.1851, 24.3.1859, 4.7.1863.
241
Stellenanzeigen: u. a.: Courrier de la Moselle: 21.3.1863, 11.6.1863, 17.4.1866, 19.6.1866,
26.6.1866, 10.2.1870. Saarbrücker Zeitung, 5.1.1851: Versteigerung der Ländereien auf der
Goldenen Bremm. Informationen bei Notar Sadler in Forbach. Saarbrücker Zeitung, 6.1.1855:
Versteigerung in Lixing; Saarbrücker Zeitung, 9.9.1851: Versteigerung in Blieskastel;
Saarbrücker Zeitung, 12.7.1855: Grosbliederstroff; Saarbrücker Zeitung, 11.8.1869:
Versteigerung in Longeville-les-Saint-Avold.
242
Saarbrücker Zeitung: 15.3.1851, 11.9.1851, 27.12.1851, 10.3.1855, 1.5.1855, 14.7.1855,
11.8.1855, 5.11.1855, 1.3.1859, 2.7.1859, 2.8.1859, 3.1.1863, 5.6.1863, 3.8.1863, 6.6.1866,
29.8.1866, 7.9.1866, 17.10.1866.
Saarbrücker Zeitung, 16.11.1859. Neben den Zahnärzten kamen auch andere Fachärzte in die
grenznahen Städte. So auch ein Arzt aus dem Departement Meurthe-et-Moselle, der sich auf
die Heilung von Brüchen spezialisiert hatte: Saarbrücker Zeitung, 14.5.1859, 11.5.1863,
18.8.1863, 18.6.1869, 10.7.1870. Ein Fabrikant von Bruchbändern aus Saint-Louis im Elsass
kündigte seinen Aufenthalt in Forbach in der Saarbrücker Zeitung an: Saarbrücker Zeitung,
2.12.1869. Ein Apotheker aus Forbach bot den Kunden von der Saar unter anderem ein
Arzneimittel gegen Geschlechtskrankheiten an: Saarbrücker Zeitung, 24.1.1870.
Obwohl der Stellen- und Anzeigenteil des Courrier de la Moselle nicht umfangreich war,
erschien im Jahr 1863 durchschnittlich an jedem vierten Tag eine Anzeige.
243
244
103
4.1.4.
Arbeiter und Arbeiterbauern
Am häufigsten waren die Arbeiter mit der Grenzsituation konfrontiert, da die
groβen Industrieanlagen ihre Arbeitskräfte grenzüberschreitend rekrutierten. So
waren in der Burbacher Hütte und in der Forbacher Adt’schen Papier- und
Lackwarenfabrik zahlreiche Arbeiter von der anderen Seite der Grenze
beschäftigt.245 1853 hatte die Firma Adt, mit Hauptsitz in Ensheim, eine Fabrik in
Forbach gegründet und Teile der Stammbelegschaft in Forbach weiterbeschäftigt.
Auch in der weiteren Firmengeschichte zogen zahlreiche deutsche Arbeiter
Richtung Lothringen.246 Die Familie de Wendel hatte in der Nähe ihres
Hüttenwerkes für die zugezogenen deutschen und lothringischen Arbeiter sogar
eine eigene Stadt (Stiring-Wendel) errichten lassen.
Einen groβen Anteil des grenzüberschreitenden Arbeitsmarktes machten die
pendelnden Bergarbeiter aus, die vor allem vom Saarrevier Richtung Lothringen
zogen. In den lothringischen Zechen waren die Saarbergarbeiter aufgrund ihrer
Arbeitserfahrung von Beginn des regulären Steinkohlenabbaues Teil der
Belegschaft. Zeitweise stammten hier über 60 Prozent der Arbeiter aus dem
preuβischen Teil des Grenzraumes.247 Anzunehmen ist, dass der Anteil der
Bergarbeiter von der Saar besonders nach dem Deutsch-Französischen Krieg
anstieg.248 Demgegenüber rekrutierte die preußische Bergwerksdirektion fast
ausschlieβlich deutsche Arbeiter.249
Die auf der anderen Seite der Grenze beschäftigten Arbeiter zogen entweder
dauerhaft in die Nähe ihres Arbeitsplatzes, wie die Arbeiter der Adt’schen Fabrik
245
In der Adt’schen Fabrik waren je nach Konjunkturlage zwischen 700 und 1300 deutsche
Arbeiter angestellt. Zahlen nach: Wilmin, Henri: Die Familie Adt und ihre Industriebetriebe,
in: Hans Adt, (Hrsg.) ders., Bad Orb 1978, 20f.
246
ebda, 10.
247
Buchheit, Immigration, 45. Eine Auswertung der Belegschaftslisten der de Wendel’schen
Zechen ergab, dass zwischen 1867 und 1883 64% der Arbeiter aus der Saarregion und etwa
9% der Bergarbeiter aus anderen deutschen Staaten stammten.
248
Anzeige der Direktion der de Wendel’schen Bergwerksgesellschaft, in der Arbeitskräfte
„verschiedener Klassen“ zur dauerhaften Anstellung gesucht wurden. Saarbrücker Zeitung,
15.10.1872.
Zur Herkunft der Arbeiter im preuβischen Staatsbergbau: Fehn, Klaus: Preußische
Siedlungspolitik im saarländischen Bergbaurevier (1816-1919), Saarbrücken 1981, 233.
249
104
und
die
Stiringer
Hüttenarbeiter,
oder
Arbeitsrhythmus angepasst, zwischen
pendelten,
dem
wöchentlichen
Wohn- und Arbeitsplatz, wie die
französischen Arbeiter der Burbacher Hütte und die zahlreichen, in Lothringen
beschäftigten saarpreußischen Bergarbeiter.250 War eine tägliche Heimkehr nicht
möglich, wohnten die Arbeiter als Kostgänger bei einheimischen Familien oder
logierten wie in Petite-Rosselle in sogenannten Schlafhäusern. Die Anzahl der
Grenzpendler, die nur an den Wochenenden in ihre Heimatorte zurückkehrten, war
beträchtlich. Eine Volkszählung von 1877 ergab, dass in Petite-Rosselle etwa 1700
Personen lebten, deren Hauptwohnsitz sich in der Saarregion befand, was ein
Drittel der Petite-Rosseller Gesamtbevölkerung entsprach.251
Die ausgeprägte Grenzpendlerbewegung ist auf die Besitzverhältnisse der
Arbeiter zurückzuführen. In ihren Heimatorten waren die Bergarbeiter vielfach
Besitzer eines kleinen Hauses und einer Parzelle Land, die in der Woche von der
zurückbleibenden Familie bewirtschaftet wurde. Das wöchentliche Pendeln zum
Arbeitsplatz erhielt den Arbeitern diese Form einer materiellen Sicherheit. Auf die
„Lothringengänger“ trifft der Begriff „Arbeiterbauern“ ebenso zu wie auf die
Arbeiter des Saarreviers.252 Wie
tief
diese Tradition der
weiträumigen
Grenzpendlerbewegung im saarländisch-lothringischen Grenzraum verwurzelt ist,
beweist die Herkunft der Grenzgänger nach dem Zweiten Weltkrieg. In den 1950er
Jahren pendelten die Arbeiter aus denselben Gegenden zu ihren Arbeitsplätzen wie
zur Anfangszeit der Kohlenförderung. Mit dem Unterschied, dass die Arbeiter
250
ADM, 106 M 1: Innenminister an den Präfekten, 11.2.1859. Anfrage bezüglich der
Formalitäten des Grenzübertritts der französischen Arbeiter der Burbacher Hütte.
251
Buchheit, Immigration, 45.
252
Fehn, Klaus: Das saarländische Arbeiterbauerntum im 19. und 20. Jahrhundert, in:
Agrarisches Nebengewerbe und Formen der Reagrarisierung im Spätmittelalter und 19./20.
Jahrhundert, (Hrsg.) Hermann Kellenbenz, Stuttgart 1975, 195-214. Altenkirch, Gunter: Jeder
wußte, wo man ein "Gimmche" machen konnte. Arbeiterbauern an der Saar, in: Richtig
daheim waren wir nie. Entdeckungsreisen ins Saarrevier 1815-1955, (Hrsg.) Klaus-Michael
Mallmann, Gerhard Paul, Ralph Schock, Bonn 1987, 61-64.
105
durch neuere Transportmittel nunmehr täglich in ihre Wohnorte zurückkehren
konnten.253
Im Saar-Mosel- Raum bestand ein ausgeprägter grenzüberschreitender
Arbeitsmarkt, der durch Grenzformalitäten nicht behindert wurde.254 Die Behörden
versuchten sogar in bestimmten Fällen durch Ausnahmeregelungen das Pendeln zu
erleichtern. So bat der Unterpräfekt den Präfekten 1859 um die Erlaubnis, den
französischen Arbeitern, die in Burbach beschäftigt waren, Pässe auszustellen,
ohne die geforderten Gebühren zu verlangen – dem Antrag wurde stattgegeben.255
Mit der Frage, ob der nachgewiesene intensive Arbeitskräfteaustausch zur
Herausbildung grenzüberschreitender Arbeiterorganisationen führte, beschäftigen
sich die folgenden Kapitel.
253
254
255
So kamen noch Ende der 1950er Jahre zahlreiche in Lothringen arbeitende Bergarbeiter aus
der Umgebung Saarlouis’, Merzigs oder des Hunsrücks. Haby, René: Les Houillères
Lorraines et leur région (Bd. 2 : Documentation Hors-Texte), Paris 1965, Karte Nr. 11
« Résidence du personnel et migrations journalières. Zone de recrutement des sièges de
Merlebach-Cuvelette », Karte Nr. 12 « Résidence du personnel et migrations journalières.
Zone de recrutement du siège Gargan », Karte Nr. 13 « Zone de recrutement du siège
Vuillemin », Karte Nr. 14 « Zone de recrutement du siège de Wendel », Karte Nr. 15 « Zone
de recrutement des sièges St. Charles ».
Siehe Kapitel: 2.3.3. „Der Grenzübertritt. Die Vorschriften und die Realität“.
ADM, 106 M 1: Minister des Inneren an den Präfekten, 11.2.1859.
106
4.2.
Grenzen
der
Arbeiterbewegungen
im
saarländisch-
lothringischen Steinkohlenrevier
4.2.1.
Arbeiterorganisationen vor 1889
Am Anfang der organisierten Arbeiterbewegungen stand im Grenzraum wie im
gesamten Deutschen Reich die Ausbildung des Arbeitervereinswesens.256 Bereits in
den 1850er Jahren schlossen sich im Saarrevier Bergarbeiter in Vereinen
zusammen.257 Zunächst bildeten sich hier katholische Bergarbeitervereine, welche
sich rasch im Steinkohlenrevier verbreiteten, sodass ein dichtes Netz katholischer
Bruderschaften und Knappenvereine entstand. Neben diesen konfessionell
geprägten Vereinen, wurden auch zahlreiche überkonfessionelle Geselligkeits- und
Selbsthilfeorganisationen gegründet.258
Die Entwicklung des lothringischen Bergarbeitervereinswesens begann
später. Erst 1876 schlossen sich die Petite-Rosseller Bergarbeiter im Gesangverein
Barbara zum ersten lothringischen bergmännischen Verein zusammen.259 Mit dem
im Jahr 1881 gegründeten katholischen Arbeiterverein „Union“ in Stiring-Wendel,
war der Gesangverein Barbara der einzige Arbeiterverein im lothringischen
Steinkohlenrevier vor 1889.260 Zu vermehrten Arbeitervereinsgründungen kam es in
256
257
258
259
260
Zur Geschichte der Arbeiterbewegungen siehe besonders die Forschungsarbeiten Klaus
Tenfeldes: Tenfelde, Klaus: Sozialgeschichte der Bergarbeiterschaft an der Ruhr im 19.
Jahrhundert, Bonn-Bad Godesberg 1977. Tenfelde, Klaus: Die Entfaltung des Vereinswesen
während der Industriellen Revolution in Deutschland (1850-1873), in: Vereinswesen und
bürgerliche Gesellschaft in Deutschland, (Hrsg.) Otto Dann, München 1984, 55-114.
Tenfelde, Klaus: Bergmännisches Vereinswesen im Ruhrgebiet während der
Industrialisierung, in: Fabrik, Familie, Feierabend. Beiträge zur Sozialgeschichte des Alltags
im Industriezeitalter, (Hrsg.) Jürgen Reulecke, Wolfhard Weber, Wuppertal 1978, 315-144.
Die Informationen zum Arbeitervereinswesen im Saarrevier beziehen sich auf: Mallmann,
Klaus-Michael: Die Anfänge der Bergarbeiterbewegung an der Saar (1848-1905),
Saarbrücken 1981, 50ff.
Zur Lokalisierung des Steinkohlenreviers siehe: Abbildung 42.
ADM, 3 AL 463: Genehmigungsverfahren. Weitere Informationen zu den Vereinsaktivitäten:
Forbacher Zeitung, 6.1.1881, 11.1.1881.
ADM, 3 AL 475: Genehmigungsverfahren. Weitere Informationen zu den Vereinsaktivitäten
bei: Mourer, Robert: Mineurs de charbon Lorrain dans l'histoire d'une région frontalière
(1856-2004). L'empreinte du syndicalisme chrétien, Sarreguemines 2005, 116. Die Arbeit des
107
Lothringen
erst
ab
den
Organisationsmöglichkeiten
1890er
zahlten
Jahren.
daher
in
den
Mangels
1870er
Jahren
anderer
einige
lothringische Bergarbeiter der Petite-Rosseller Zeche in die Sterbekassen der
Bergarbeiter von Groβrosseln und St. Nikolaus ein.261
Ottweiler
Reden
Neunkirchen
Camphausen
Heinitz
Dudweiler
Sankt Ingbert
Saarbrücken
Hostenbach
Petite-Rosselle
Forbach
Spittel
Merlebach
Hombourg - Haut
Kohlefeld
Bergwerk
Abbildung 42: Das saarländisch-lothringische Steinkohlenrevier262
Behindert wurde die Entwicklung des lothringischen Arbeitervereinswesen durch
das restriktive Vereins- und Versammlungsrecht, auch „Diktaturparagraph“
genannt, das von der deutschen Regierung aus der Zeit des Zweiten Kaiserreiches
für das Reichsland Elsass-Lothringen übernommen worden war.263 Im Gegensatz zu
Preuβen, wo nichtpolitische Versammlungen in geschlossenen Räumen ohne
Gewerkschaftlers Robert Mourers ist bisher die einzige umfassende Abhandlung über die
Entwicklung der Arbeiterbewegung im lothringischen Kohlenrevier. Weiterhin sind die
Arbeiten von François Roth zur Arbeiterbewegung in Lothringen als zusätzliche
Informationsquelle unerlässlich.
261
Mallmann, Anfänge, 57. Über die Anzahl der in Lothringen arbeitenden Bergarbeiter ist
jedoch nichts bekannt.
262
Karte nach: Cartellieri, Walther: Wirtschaftskunde des Saargebietes, Saarlouis 1934, Anhang,
Karte „Das Saarkohlengebiet“. Nur die im Text genannten Bergwerke wurden in die Karte
eingezeichnet.
Mayer, O.: Der elsaβ-lothringische Diktaturparagraph, in: Deutsche- Juristen Zeitung, 4
(1899) besonders 26ff.
263
108
vorherige obrigkeitliche Erlaubnis stattfinden durften, mussten Versammlungen in
Elsass-Lothringen grundsätzlich behördlich genehmigt werden, und konnten
jederzeit untersagt werden. Ähnlichen Einschränkungen unterlagen im Reichsland
die
Vereinsgründungen.
War
in
Preußen
lediglich
die
Meldung
einer
Vereinsgründung bei den Behörden gesetzlich vorgeschrieben, erforderte eine
Vereinsgründung
in
Elsass-Lothringen
bis
zum
Inkrafttreten
des
Reichsvereinsgesetzes von 1908 eine behördliche Genehmigung, welche den
Vereinen jederzeit wieder entzogen werden konnte.264 Der direkte Anlass zur
Anwendung dieser restriktiven Bestimmungen im Kohlenrevier war der Streik von
1874 in Petite-Rosselle. Im August 1874 war es hier während eines Arbeitskampfes
zu tumultartigen Ausschreitungen gekommen, bei denen das Verwaltungsgebäude
demoliert und Zechenbeamte verprügelt worden waren. Die Hauptschuldigen, die
sämtlich aus dem preuβischen Groβrosseln stammten, waren vor das Kriegsgericht
in Straβburg gestellt und zu hohen Strafen verurteilt worden.265 Vor diesem
Hintergrund ist auch verständlich, warum sich das Genehmigungsverfahren des
Rechtsschutzvereins in Lothringen so lange hinauszögerte.
4.2.2.
Die Rechtsschutzvereine in Lothringen und an der Saar. Anfänge
der grenzüberschreitenden Organisation der Bergarbeiter
Der große Ruhrgebietsstreik im Mai 1889 führte im gesamten Deutschen Reich zu
Arbeiterausständen und Unruhen, und auch im saarländisch-lothringischen
Steinkohlenrevier traten die Belegschaften mit ihren Forderungen, begleitet durch
spontane
Arbeitsniederlegungen,
an
die
Zechendirektionen
heran.266
Die
264
O.A.: Das Vereins- und Versammlungsrecht in Deutschland, Berlin 1892, 1, 73. Eine genaue
Beschreibung der Entwicklung der Gesetze, die Arbeiterorganisationen betreffend:
Nourrisson, Paul: Histoire de la liberté d’association en France depuis 1789, Paris 1920, 78ff.
265
Saargemünder Zeitung, 13.8.1874; Saarbrücker Zeitung, 13.8.1874; Saarbrücker Zeitung,
16.8.1874.
Dieses Kapitel wird sich vornehmlich mit dem Bildstocker und dem Forbacher
Rechtsschutzverein beschäftigen. Der erst im April 1890 gegründete und bereits im Januar
266
109
Forderungen sowie die Form der Interessenartikulation unterschieden sich von
Belegschaft zu Belegschaft und hingen von den Arbeitsbedingungen unter Tage
und den Lohnverhältnissen der Zechen ab. Obwohl in den lothringischen
Bergwerken nur vereinzelt Bergleute streikten, befürchteten die lothringischen und
preußischen Behörden, dass es hier wie im Jahr 1874 zu einem Streik mit
Ausschreitungen kommen könnte.267 Der Arbeitskonflikt wurde jedoch in
Lothringen Ende Mai auf Verhandlungsebene beigelegt.268 Die während der
Streikbewegung vom Mai 1889 gesammelten Erfahrungen mündeten in der
Gründung der Rechtsschutzvereine.
Seit
Mitte
Juni
1889
wurde
innerhalb
des
Streikkomitees
der
Saarbergarbeiter über die Gründung eines Rechtsschutzvereins für das Saarrevier
diskutiert. Laut Satzung trat der sogenannte Bildstocker Rechtsschutzverein
schließlich am 4. August ins Leben.269 Vermutlich gleichzeitig entstand innerhalb
der lothringischen Bergarbeiterschaft die Idee, sich ebenfalls in einem
Rechtsschutzverein zusammenzuschließen.270 Bereits im Sommer 1889 hatten
Vertreter der lothringischen Bergarbeiterschaft, mit dem späteren Vorsitzenden des
1892 aufgelöste Rechtsschutzverein von St. Ingbert wird nur am Rande berücksichtigt. Zum
St. Ingberter Rechtsschutzverein siehe: Mallmann, Anfänge, 138-141.
267
268
269
270
LHAK, Best. 403, Nr. 7008: Königl. Regierungspräsident an den Staatsminister und Minister
des Inneren, 20.5.1889. Zunächst hatte man ein Gendarmeriekommando nach Ludweiler an
die lothringische Grenze beordert. Die Ausschreitungen blieben jedoch aus. LAS, Best.
Landratsamt Saarbrücken, Nr. 1831: Zeitungsausschnitt « St.-Johanner Volkszeitung »,
22.5.1889.
Zu den Verhandlungen, siehe: Saarbrücker Zeitung, 20.5., 21.5., 25.5., 28.5.1889. LAS, Best.
Landratsamt Saarbrücken, Nr. 1831: Bürgermeisteramt Ludweiler an den Landrat, 21.5.1889.
Der genaue Verlauf des Arbeitskonfliktes in Lothringen bei: Mourer, Mineurs, 157ff.
Minutiös hat Klaus-Michael Mallmann die Entwicklung des Bildstocker Rechtsschutzvereins
in seiner Dissertation nachgezeichnet. Ergänzend hierzu skizziert er auf einigen Seiten auch
die Entwicklung des lothringischen Rechtsschutzvereins. Mallmann, Anfänge, 142-144.
Ähnliche Themenschwerpunkte setzt Horst Steffens in seinen Forschungsarbeiten: Steffens,
Horst: Autorität und Revolte. Alltagsleben und Streikverhalten der Bergarbeiter an der Saar
im 19. Jahrhundert, Weingarten 1987. Forschungsschwerpunkt ist hierbei die Entwicklung des
Bildstocker Rechtsschutzvereins sowie die Sozialgeschichte der saarpreußischen
Bergarbeiterschaft. Hingegen wurde die spätere Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung
bisher noch nicht umfassend erforscht.
Die Abhandlung Robert Mourers über die Geschichte der christlichen
Gewerkschaftsbewegung in Lothringen liefert besonders für die Anfänge des
Rechtsschutzvereins in Lothringen viele Detailinformationen. Mourer, Mineurs.
110
Forbacher
Rechtsschutzvereins
Nikolas
König
an
der
Spitze,
den
Zusammenkünften im Saarrevier beigewohnt.271
Wurde der Bildstocker Rechtsschutzverein schnell genehmigt, zog sich das
Genehmigungsverfahren des lothringischen Rechtsschutzvereins in die Länge.
Nachdem aus vereinsrechtlichen Gründen der Anschluss des lothringischen an den
Bildstocker Rechtsschutzverein in einer Sitzung in Petite-Rosselle am 23.
September gescheitert war, fand eine Woche später auf preußischem Gebiet in
Großrosseln
unter
Rechtsschutzvereins
dem
Beisein
Nikolaus
des
Warken
die
Vorsitzenden
des
Gründungssitzung
Bildstocker
statt.
Die
Anwesenden beschlossen, die lothringischen Bergarbeiter in einem eigenen
Rechtsschutzverein für Elsass-Lothringen zusammenzuschließen, welcher ganz
nach dem Muster des Bildstocker Vereins gebildet werden und eng mit diesem
zusammenarbeiten sollte. Beabsichtigt war, die Rechtsschutzvereine in einem
Netzwerk zusammenzuschließen.272 Kurz nach dieser Versammlung Anfang
Oktober
1889
stellte
der
designierte
Vorsitzende
des
Forbacher
Rechtsschutzvereins Nikolaus König beim Kreisdirektor einen Antrag auf
Genehmigung eines Rechtsschutzvereins für Forbach, dem schlieβlich am 7.
Dezember 1889 stattgegeben wurde.273
Die Gründungsphase der beiden Rechtsschutzvereine verlief vor dem
Hintergrund eines engen Kontaktes der Führungspersönlichkeiten der in Lothringen
und im Saarrevier beschäftigten Bergarbeiter. Unklar ist, wie der Kontakt zwischen
den Führungsriegen zustande gekommen war. Auffällig ist jedoch, dass die
Vorstandsmitglieder der beiden Rechtsschutzvereine fast ausschließlich aus dem
nördlichen Randgebiet des Saarreviers stammten. So wurden die beiden
Vorsitzenden der Rechtsschutzvereine, Warken und König, in den etwa zehn
Kilometer voneinander entfernten Dörfern Hasborn und Kostenbach im Hunsrück
271
Mourer, Mineurs, 121.
272
ADM, 8 AL 13: Zeitungsausschnitt der « Lothringer Zeitung » 25.9.1889. LHAK, Best.442,
Nr. 4138: Bericht des Landrates von Saarbrücken an den königlichen Regierungspräsidenten
in Trier, 4.10.1889.
ADM, 8 AL 13: Kreisdirektor Dieckmann an den Bezirkspräsidenten, 15.10.1889. ADM, 8
AL 13: Kreisdirektor Dieckmann an den Bezirkspräsidenten, 2.12.1889.
273
111
geboren. Beide waren 1889 um die 30 Jahre alt, verheiratet, hatten Kinder und
pendelten zwischen Wohnort und Arbeitsplatz.274 Sowohl der gemeinsame regionale
Hintergrund als auch die ähnlichen Lebenserfahrungen der Vorsitzenden,
erleichterten sicherlich die Zusammenarbeit der Rechtsschutzvereine. Die
Vermutung, dass die Verbindungen der beiden Vereine vor allem auf der
Grenzpendlerbewegung basierten, bestätigt die Herkunft der Gründungsmitglieder.
Mehr als die Hälfte der ersten Mitglieder des lothringischen Rechtsschutzvereins
hatte ihren Hauptwohnsitz auf preußischem Territorium und pendelte zwischen
Wohnort- und Arbeitsplatz.275 In ihren Wohnorten kamen die Grenzpendler mit den
ebenfalls pendelnden, im Saarrevier beschäftigten Bergarbeitern in Kontakt. Die
Streikbewegungen Ende 1889 zeigen jedoch, dass die Verbindungen der
Rechtsschutzvereine nicht zu einer Koordination der Interessenartikulation im
saarländisch-lothringischen Grenzraum führten.276
Die Kooperation der Vorstände setzte sich auch nach der Gründungsphase
fort. Am 4. Februar, also zwei Wochen nachdem der erste und der zweite
Vorsitzende des Bildstocker Rechtsschutzvereins Nikolaus Warken und Matthias
Bachmann offiziell ihre Kandidatur für die Reichstagswahl 1890 bekannt gegeben
hatten, wurde der Vorsitzende des lothringischen Rechtsschutzvereins Nikolaus
König ebenfalls als Reichstagskandidat aufgestellt.277 Eine Absprache der
Verantwortlichen der beiden Rechtsschutzvereine ist wahrscheinlich. An der Saar
274
275
276
277
Nikolaus König wurde am 12.10.1858 als Sohn eines Müllers in Kostenbach geboren. Am
21.9.1877 wurde er in Petite-Rosselle angelegt, pendelte jedoch weiterhin zwischen PetiteRosselle und seinem Hauptwohnsitz in Kostenbach, wo er 1886 heiratete. Mit seiner Frau
Margaretha Jost aus Gehweiler hatte er insgesamt zwölf Kinder. AHBL, Vers. 440,
Belegschaftsliste, 1867-1883, Eintrag Nikolaus König; Jung, Rudi: Familienbuch der Pfarrei
Kastel 1800-1900 für Kastel, Braunshausen, Buweiler, Kostenbach, Nonnweiler 1991,
Eintrag: König, Nikolaus. Zur Biographie Warkens siehe: Mallmann, Anfänge, 128.
Von insgesamt 52 Mitgliedern wohnten in: Großrosseln: 1, Überherrn: 13, Berus: 2,
Altforweiler: 1, Niederlosheim: 2, Bisten: 1, Oppen: 5, Fickingen: 1, Reinsfeld: 1,
Michelbach: 1. ADM 8 AL 13, Kreisdirektor an den Bezirkspräsidenten, 15.10.1889.
Die preußischen Behörden beobachteten die Streikbewegung in Lothringen im
Oktober/November 1889, nahmen aber nicht an, dass diese sich auf die preuβischen
Staatszechen ausweiten würde. LHAK, Best. 442, Nr. 4138: Landrat von Saarbrücken an den
königl. Regierungspräsidenten, 3.11.1889. Ebenfalls keine grenzüberschreitende Ausprägung
hatte der Streik im Dezember 1889 im Saarrevier. Zum genauen Streikverlauf siehe:
Mallmann, Anfänge, 166ff.
ADM, 8 AL 13: Zeitungsausschnitt der « Straßburger Post », 4.2.1890. Mourer, Mineurs, 128.
112
hatten sich bereits im September 1889 die ersten Wahlkomitees gebildet, sodass in
den von beiden Vorsitzenden besuchten Versammlungen im Oktober 1889 die
Möglichkeit bestanden hatte, über die Reichstagskandidatur zu diskutieren.278
Zudem weisen die Wahlkämpfe der Kandidaten Parallelen auf. Warken, Bachmann
und König betonten
gleichermaβen ihre
politische Unabhängigkeit und
wiederholten in diesem Zusammenhang ohne Unterlass, dass sie keine Sozialisten
seien, sondern sich lediglich als Arbeiterkandidaten für die Verbesserung der
Verhältnisse des Arbeiterstandes einsetzen würden.279
Trotz der aufgezeigten Ähnlichkeiten der Wahlkampagne der drei
Reichstagskandidaten und der Ankündigung einer engen Zusammenarbeit beider
Vereine im Oktober 1889, sind nach der behördlichen Genehmigung des
lothringischen Rechtsschutzvereins und während des Wahlkampfes keinerlei
Kontakte mehr zwischen dem Forbacher und Bildstocker Rechtsschutzverein
dokumentiert. Wahrscheinlich war für den Kontaktabbruch das preuβische
Vereinsgesetz verantwortlich, das Verbindungen politischer Vereine untersagte.280
Vor diesem Hintergrund ist auch die Aussage des Gemeindevorstehers von
Klarenthal zu verstehen, der zu Protokoll gab, dass jeder Kontakt des Forbacher
Rechtsschutzvereins zum Bildstocker Verein „von oben herab untersagt“ sei.281 Die
beiden Rechtsschutzvereine mussten nun, da sich ihre Vorsitzenden als
Reichstagskandidaten zur Wahl gestellt hatten, befürchten, von den Behörden als
politische Vereine betrachtet zu werden. Bis zur Reichstagswahl waren die Vereine
demnach gezwungen, den Kontakt zum Nachbarverein zu vermeiden, um der
Gefahr eines Verbotes aus dem Weg zu gehen. Bereits im Oktober 1889 hatten die
278
Mallmann, Anfänge, 173; LHAK, Best. 442, Nr. 4138: Bericht des Landrats von Saarbrücken
über eine Versammlung in Großrosseln, an der Warken und König teilnahmen, gerichtet an
den königl. Regierungspräsidenten, 4.10.1889.
279
Zum Wahlkampf Warkens und Bachmanns: Bellot, Josef: Hundert Jahre politisches Leben an
der Saar unter preußischer Herrschaft (1815-1918), Bonn 1954, 181ff. Zum Wahlkampf
Königs: Hiery, Hermann: Reichstagswahlen im Reichsland. Ein Beitrag zur Landesgeschichte
von Elsass-Lothringen und zur Wahlgeschichte des Deutschen Reiches 1871-1918,
Düsseldorf 1986, 152.
280
O.A.: Vereins- und Versammlungsrecht, 84.
281
LHAK, Best. 442, Nr. 4169: Bericht vom 27.1.1890 des Gemeindevorstehers Krämer von
Klarenthal über die Versammlung des Rechtsschutzvereins Klarenthal am 26.1.1890.
113
Behörden über diese Möglichkeit eines rechtlichen Einschreitens einen regen
Schriftverkehr geführt.282 Gestützt wird die Annahme eines „strategischen“
Kontaktabbruchs beider Vereine durch die Wiederaufnahme der Beziehungen nach
der Reichstagswahl. So nahm Nikolaus König bereits Mitte März wieder an einer
Bergarbeiterversammlung in Dudweiler teil.283
Intensiv war die Zusammenarbeit auch im Vorfeld des im September 1890
in Halle stattfindenden „Deutschen Bergarbeitertages“. Im Zentrum der Diskussion
stand die Frage, ob dort sozialdemokratische Ziele propagiert werden würden. Der
Meinungsaustausch zwischen den beiden Rechtsschutzvereinen darüber, ob eine
Abordnung nach Halle reisen solle, war rege. 284 Nachdem sich der lothringische
Rechtsschutzverein Ende Juli während einer Versammlung im preuβischen
Großrosseln für die Teilnahme am Delegiertentag ausgesprochen hatte,285 nahm der
Vorsitzende König Kontakt zum Nachbarverein auf.286 Die Beratungen mündeten
schließlich in der Wahl der Delegierten.287 Gemeinsam nahmen Vertreter des
lothringischen, Bildstocker und Pfälzer Rechtsschutzvereins vom 15. bis 19.
September 1890 am ersten deutschen Bergarbeiterkongress in Halle teil.288
Hatten die Bergarbeiter des Saarreviers und des lothringischen Reviers die
Beteiligung am nationalen Bergarbeiterkongress in Halle relativ einheitlich
282
LAS, Best. Landratsamt Saarbrücken, Nr. 1833: Regierungspräsident an den Landrat von
Saarbrücken, 18.10.1889; LAS, Best. Landratsamt Saarbrücken Nr. 1835: Bericht der
Polizeiverwaltung an den Staatsanwalt in Saarbrücken, Oktober 1889.
283
LHAK, Best. 403, Nr. 7011: Artikel der St.-Johanner Volkszeitung vom 17.3.1890.
284
Mallmann, Anfänge, 199.
LAS, Best. Landratsamt Saarbrücken, Nr. 1836: Bericht des Bürgermeisteramtes von
Ludweiler an den Landrat von Saarbrücken, 9.8.1890.
LAS, Best. Landratsamt Saarbrücken, Nr. 1836: Bericht des Bürgermeisters von
Friedrichsthal über eine Versammlung am 3.8. an den Landrat von Saarbrücken, 4.8.1890.
285
286
287
288
Im Saarrevier wählte jede Berginspektion, mit Ausnahme Neunkirchens, einen Delegierten:
Mallmann, Anfänge, 200. Für Lothringen wurde in Großrosseln in einer Versammlung am 24.
August Nikolaus König als Abgeordneter bestimmt LAS, Best. Landratsamt Saarbrücken, Nr.
1836: Bürgermeister von Ludweiler an den Landrat von Saarbrücken, 25.8.1890. LHAK,
Best. 442, Nr. 4304: Landrat von Saarbrücken an den königl. Regierungspräsidenten,
25.8.1890.
Der Pfälzer Rechtsschutzverein St. Ingbert wählte seinen ersten Vorsitzenden Peter Groß zum
Delegierten. Mallmann, Anfänge, 141.
114
beschlossen,289 führte die Diskussion über die Entsendung einer Delegation zum
Pariser internationalen Bergarbeiterkongress im Grenzraum zu hitzigen Debatten.
Nicht nur das Vertrauen auf den Reformwillen des Kaisers und die Angst vor einer
Stigmatisierung als Sozialisten war für diese ablehnende Haltung eines Teiles der
Arbeiterschaft verantwortlich, sondern auch der internationale Charakter des
Kongresses.290 Die Kongressbefürworter konnten sich in Lothringen und an der Saar
durchsetzen. Nikolaus König fuhr vom 31. März bis 4. April 1891 gemeinsam mit
Warken, Thome, Schillo und Müller zum internationalen Bergarbeiterkongress
nach Paris.291
Einerseits polarisierte die Debatte über den Pariser Kongress die
Bergarbeiterschaft in den beiden Revieren, anderseits trug die Diskussion dazu bei,
die Zusammenarbeit der Führungsriege der beiden Rechtsschutzvereine weiter
auszubauen. So unterstützte Nikolaus König den Bildstocker Rechtsschutzverein
auf Versammlungen im Saarrevier in seiner Kampagne gegen das neue
Knappschaftsstatut und bei der Anwerbung neuer Mitglieder.292 Die Teilnahme der
Delegation des Saarreviers und des lothringischen Reviers am Kongress in Paris
verstärkte die bereits im Vorfeld des Kongresses einsetzende Polarisierung der
Bergarbeiter. Vor allem die Kranzniederlegung einer deutschen Delegation am
289
Nur die Inspektion Neunkirchen hatte abgelehnt.
290
Mallmann, Anfänge, 229.
Zweiter Internationaler Congress der Bergarbeiter. Abgehalten am 31 März und 1, 2, 3, 4
April 1891 in der Bourse du Travail, Paris. Officieller Bericht, London 1891, 5. Nikolaus
Warken und Nikolaus König wurden als Stimmzähler für die deutschsprachigen
Kongressteilnehmer bestimmt. König wird jedoch nicht als Delegierter in dem Bericht
aufgelistet. Ob man damit einer Verletzung der nationalen Gefühle der Gastgeber aus dem
Weg gehen wollte, oder ob König schlicht vergessen wurde, ist nicht zu sagen. Zum Kongress
in Paris und zur Teilnahme Königs siehe auch: LHAK, Best. 422, Nr. 4221: Artikel aus der
St.-Johanner Volkszeitung, 2.4.1891.
LHAK, Best. 442, Nr. 4221: Landrat von Saarbrücken an den königl. Regierungspräsidenten,
12.3.1891. Bericht über eine Versammlung in Ludweiler am 21.2.1891. Im Februar und März
versuchten die Vorstandsmitglieder der beiden Rechtsschutzvereine gemeinsam, die Bergleute
der preuβischen Privatgrube Hostenbach von der Versteigerung der Grubenarbeiten
abzubringen und zum Eintritt in den Rechtsschutzverein zu bewegen. Am 15. Februar sollten
zu diesem Zweck Warken und König in Differten während einer allgemeinen
Bergarbeiterversammlung sprechen. Da Warken jedoch verhindert war, erschien nur Nikolaus
König. Eine weitere Versammlung wurde für den 1. März in Hostenbach ebenfalls mit
Warken und König als Hauptredner angekündigt. LHAK, Best. 442, Nr. 4221: Bürgermeister
von Differten an den Landrat von Saarlouis, 26.2.1891.
291
292
115
letzten Kongresstag am Kommunardengrab des Pariser Friedhofs „Père Lachaise“,
bestätigte die Einwände der Kongressgegner. Obwohl die Delegierten nach ihrer
Rückkehr schnell bemüht waren, ihre Nichtbeteiligung zu beteuern, flammte der
Konflikt zwischen Kongressbefürwortern und –gegnern in Lothringen und an der
Saar nach der Rückkehr der Delegierten erneut auf.293
Auf der einen Seite deutete sich bereits die Radikalisierung eines Teiles der
Bergarbeiterschaft
an,
welcher
sich
immer
offensichtlicher
zu
sozialdemokratischen Grundsätzen bekannte. Auf der anderen Seite zeigte sich,
dass viele Bergarbeiter ihre religiöse Überzeugung nicht mit der Verfolgung
sozialdemokratischer Ziele vereinbaren konnte. Dieser Polarisierungsprozess
bewirkte auch das Ende der Zusammenarbeit der beiden Rechtsschutzvereine. Die
lothringische
Vorstandsriege
Ausrichtung
der
vertrat
weiterhin
Arbeiterbewegung,
eine
während
christlich-konservative
sich
die
Bildstocker
Führungspersönlichkeiten immer offener zu sozialdemokratischen Ideen bekannten.
So
gestand
das
Bildstocker
Vorstandsmitglied
Thome
später,
an
der
Kranzniederlegung in Paris teilgenommen zu haben, und auch die Streikwelle im
Mai 1891 offenbarte die Richtungsunterschiede zwischen lothringischem und
Bildstocker Rechtsschutzverein. König sprach sich gegen eine Beteiligung am
Streik und für den Beschwerde- und Verhandlungsweg aus. Im Saarrevier rief
hingegen die Führungsriege des Rechtsschutzvereins zum Solidaritätsstreik und zur
Unterstützung der streikenden belgischen Bergarbeiter auf.294 Gegensätzlich war
auch die Haltung der beiden Rechtsschutzvereine zum „Verband deutscher
Bergarbeiter“. Die lothringische Vereinsführung distanzierte sich vom Verband, als
dessen sozialdemokratische Orientierung offenkundig wurde, wohingegen der
Bildstocker Rechtsschutzverein Vertreter zur ersten Generalversammlung im Juli
1891 sowie zu den Generalversammlungen des Jahres 1892 und 1893 sandte und
sich auch an der Führungsarbeit beteiligte.295 Schlieβlich wurden der Redakteur des
293
294
295
LHAK, Best. 442 Nr. 4221: Bericht des Bürgermeisters von Ludweiler an den Landrat,
14.4.1891. ADM, 8 AL 13: Zeitungsbericht (o.Q), 10.5.1891. Mallmann, Anfänge, 230.
Mallmann, Anfänge, 231.
Mallmann, Anfänge, 204.
116
Vereinsorgans des Bildstocker Rechtsschutzvereins „Schlägel und Eisen“, Peter
Weyand, und das Vorstandmitglied Jakob Thome bei der Reichstagswahl 1893 als
Kandidaten der SPD aufgestellt. Demgegenüber war der Vorsitzende des
lothringischen Rechtsschutzvereins Nikolaus König im Volksverein für ein
katholisches Deutschland aktiv und legte im Juni 1892 in einer Versammlung den
lothringischen Bergarbeitern den Beitritt in den Volksverein nahe.296
Der Richtungsstreit innerhalb der Bergarbeiterschaft war der entscheidende
Grund für das schnelle Ende der beiden Rechtsschutzvereine. Im Januar 1893
reichte König beim Kreisdirektor noch einen Antrag zur Genehmigung einer
Bergarbeiterversammlung ein, welcher jedoch abgelehnt wurde, dann enden die
Nachrichten über die Aktivitäten des lothringischen Rechtsschutzvereins, in dem
sich noch 1890 über 60 Prozent der lothringischen Bergarbeiter organisiert hatten.297
Nach dem missglückten Streik zur Jahreswende 1892/93 zerfiel auch der
Bildstocker Rechtsschutzvereins rasch. Im Dezember 1893 hatte dieser nur noch elf
Mitglieder. Auf diese Bedeutungslosigkeit herabgesunken, existierte er noch bis zu
seiner offiziellen Auflösung am 27. August 1896.298
4.2.3.
Das Ende der Rechtsschutzbewegung und Beginn der Konfrontation
zwischen sozialdemokratisch und christlich orientierten Arbeitern
Am Ende der Rechtsschutzvereinsbewegung hatten die Vorstände der beiden
Vereine unterschiedliche Richtungen eingeschlagen. Vertrat die lothringische
Führungsriege die christliche Arbeiterbewegung, schloss sich die Mehrheit der
Bildstocker Führungsriege der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung an. Dieser
Polarisierungsprozess kann auch innerhalb der Bergarbeiterschaft festgestellt
werden, mit dem Unterschied, dass dieser gegenläufig zu dem der Führungsriege
verlief.
Gröβere
Teile
der
lothringischen
Bergarbeiterschaft
waren
296
Mallmann, Anfänge, 144, Anmerk.24.
297
Saarbrücker Zeitung, 14.1.1893. Berechnet nach: Mitgliederzahlen bzw. Belegschaftszahlen
bei: Mourer, Mineurs, 138; Haby, Houillères, Bd. 2., o.S.
298
Mallmann, Anfänge, 314.
117
sozialdemokratischen
Ideen
gegenüber
aufgeschlossen,
wohingegen
die
saarpreuβischen Bergarbeiter christlich-konservativ eingestellt waren.299 Bereits im
März 1890 bemerkte der Bürgermeister von Ludweiler, dass die Bergarbeiter in
Lothringen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung näher ständen.300 Ein
anderer Bericht thematisiert, dass der lothringische Rechtsschutzverein durch den
Besuch des Pariser Kongresses „einen empfindlichen Stoß erlitten“ habe und sich
eine „vollständige Gegenströmung mit vielen Anhängern bemerkbar“ mache.
Diesen „Hitzköpfen“ sei der Vorsitzende König nicht radikal genug.301 Über den
lothringischen Rechtsschutzverein urteilte daher eine Zeitung, man wolle „die
Bewegung in ein Fahrwasser [bringen] von dem sich die christlich gesinnten
Bergleute fern“ halten würden.302 Die Abwahl des katholisch-konservativ
orientierten Vorstandsmitgliedes Herber nach seinem deutlichen Auftreten als
Gegner einer international organisierten Bergarbeiterbewegung im Mai 1891 zeigt,
dass der Einfluss sozialistischer Ideen im lothringischen Kohlenrevier relativ groß
war.
303
Eine Rede des Kaplans Dasbach gegen die sozialdemokratische
Arbeiterbewegung wurde von den anwesenden lothringischen Arbeitern mit
Rausrufen kommentiert.304 Auch die Wahlergebnisse von 1893 bestätigen die
sozialdemokratische Orientierung eines Teiles der lothringischen Arbeiterschaft.
Im Wahlkreis Sarreguemines- Forbach kandidierte Joseph Leopold Emmel für die
SPD, ein im Grenzraum bekannter Parteifunktionär.305 Das Wahlergebnis bestätigte,
was sich bereits innerhalb der erfolgreich verlaufenden Wahlkampagne andeutete -
299
Vgl. Mourer, Mineurs, 132ff. Mourers setzt die christlich-soziale Ausrichtung des Vorstandes
mit der Ausrichtung der gesamten lothringische Arbeiterschaft gleich.
300
LAS, Best. Landratsamt Saarbrücken, Nr. 1837: Bürgermeisteramt Ludweiler an den Landrat,
11.3.1890.
301
LHAK, Best. 442, Nr. 4380: Bürgermeister von Ludweiler an den Landrat, 9.5.1891.
302
ADM, 8 AL 13: Zeitungsbericht (o.Q), 10.5.1891.
303
LHAK, Best. 442, Nr. 4221: Bericht des Bürgermeisters von Ludweiler an den Landrat von
Saarbrücken, 28.3.1891.
304
ADM 8 AL 13: Artikel der Lothringer Zeitung, 6. 2. 1891.
305
Joseph Leopold Emmel (1863-1919): Hauptamtlicher Parteifunktionär der SPD. Auf Geheiß
der Parteileitung siedelte er im Dezember 1891 nach St. Johann um und leitete die Zeitung
"Bote von der Saar. Organ des werkthätigen Volkes des Saar- und Bliesgaues". Mallmann,
Anfänge, 262.
118
der SPD Kandidat erhielt im Wahlkreis Sarreguemines- Forbach 25 Prozent der
abgegebenen Stimmen.306
Gegensätzlich verlief die Entwicklung im Saarrevier. Als sich der Vorstand
des Rechtsschutzvereins immer offensichtlicher der SPD zuwandte, vermehrten
sich die Forderungen nach einem neuen, christlich orientierten Vorstand. Wurden
für
den
SPD-Kandidaten
im
lothringischen
Steinkohlenrevier
bei
der
Reichstagswahl 1893 25 Prozent der Stimmen abgegeben, erlitt die SPD im
Saarrevier eine herbe Niederlage. Obwohl die SPD mit Thome und Weynand
prominente Kandidaten aufgestellt hatte, konnte sie lediglich ein Fünftel der
Stimmen auf sich vereinen, die Warken und Bachmann im Jahr 1890 erhalten
hatten.307
Der
Polarisierungsprozess
innerhalb
der
Bergarbeiterschaft
des
Grenzraumes legt die Grenze zwischen sozialdemokratisch orientierten und
christlich-konservativen Bergarbeitern offen, deren Verlauf deutlich die ehemalige
nationale Grenze nachzeichnet.
4.2.4.
Die
sozialdemokratische
Arbeiterbewegung.
Gescheiterte
Organisation, aber erfolgreiche Einflussnahme im lothringischen
Steinkohlenrevier
Die sozialdemokratischen Tendenzen innerhalb der lothringischen Arbeiterschaft
und die mehrheitlich christliche Ausrichtung der Saarbergarbeiter, spiegeln sich
auch in den späteren Arbeiterbewegungen im Grenzraum wider. Eine in Lothringen
und im Saarrevier groβangelegte Werbekampagne des Alten Verbandes anlässlich
des einmonatigen Steikes der lothringischen Bergarbeiter im Mai 1899 hatte nur in
Lothringen Erfolg.308 Die bis 1900 eingetretenen 700 Mitglieder waren fast
306
Siehe Abbildung 43. ADBR, 87 AL 400: Zeitungsausschnitt der « Metzer Presse », 19.1.1893.
Soell, Arbeiterbewegung, 270.
307
Mallmann, Anfänge, 308.
308
Zum Streikverlauf siehe die Saargemünder Zeitung vom: 10.5.1899, 14.5.1899, 20.5.1899,
2.6.1899, 4.6.1899; sowie: Mourer, Mineurs, 199ff.
119
ausschlieβlich Arbeiter der Bergwerke in Petite-Rosselle, L’Hôpital und Carling.309
Bei einer Belegschaftsstärke von 5700 Bergarbeitern bedeutet das immerhin einen
Organisationsgrad von 12 Prozent.310 Im Saarrevier war die Mitgliederwerbung
hingegen erfolglos, ebenso scheiterten die Bemühungen des Alten Verbandes, den
Streik über die Grenze auszuweiten.311
Aufgrund der Streitigkeiten um die Finanzierung eines lothringischen
Rechtsschutzbüros, deren Kosten die Mitglieder alleine tragen sollten, traten jedoch
die meisten Bergarbeiter aus Protest wieder aus dem Alten Verband aus.312 1904
wurde
schlieβlich,
aus
Verbandsmitteln
finanziert,
in
St.
Johann
ein
Arbeitersekretariat für das Saarrevier und das lothringische Kohlenrevier
eingerichtet.313 Erfolgreich waren die vom Sekretariat im gesamten Grenzraum
organisierten Werbemaβnahmen jedoch nicht.314 1902 verzeichnete der Alte
Verband im Saarrevier und in Lothringen lediglich 26 Mitglieder, bis 1905 stieg die
Anzahl auf 280 an, sank jedoch 1908 bereits wieder auf 276 Mitglieder.315 Bei einer
Belegschaftsstärke von 13000 im lothringischen Kohlenrevier, und 53000 in den
staatseigenen Bergwerken im Saarrevier im Jahr 1910, war dies eine
309
310
311
312
LHAK, Best. 442, Nr. 4157: Landrat von Saarbrücken an den königl. Regierungspräsidenten,
20.1.1901. LAS, Best. Landratsamt Saarbrücken, Nr. 1842: Vorsitzende der königl.
Bergwerksdirektion Saarbrücken an den Landrat, 25.1.1901.
Belegschaftszahlen nach: Haby, Houillères, Bd. 2., o.S.
Sander, Struktur, 59. Roth stellt hingegen heraus, dass es auch im Saarrevier zu einer
Streikbewegung kam. Vgl.: Roth, Konflikte, 260. Die ausgewerteten Zeitungsartikel und
Berichte der preuβischen Behörden betonen hingegen das Ausbleiben einer Streikbewegung
im Saarrevier. Saargemünder Zeitung vom: 10.5.1899, 14.5.1899, 20.5.1899, 2.6.1899,
4.6.1899; LHAK, Best. 442, Nr. 4157: Landrat von Saarbrücken an den
Regierungspräsidenten, 1.9.1899; ADBR, 27 AL 226: u. a. ein Zeitungsartikel im
« Straßburger Tageblatt », 8.5.1899.
LHAK, Best. 442, Nr. 4157: Landrat von Saarbrücken an den königl. Regierungspräsidenten,
20.1.1901. LAS, Best. Landratsamt Saarbrücken, Nr. 1842: Vorsitzende der königl.
Bergwerksdirektion Saarbrücken an den Landrat, 25.1.1901.
313
Mallmann, Anfänge, 325.
314
Alleine in Lothringen fanden im Jahr 1909 in 17 Ortschaften 31 Versammlungen des Alten
Verbandes statt. (besonders in Moyeuvre-Grande, Merlebach, Porcelette, L’Hôpital): Bour,
Carl: Die Arbeiterorganisation in Deutsch-Lothringen, Breslau 1916, 6.
Protokoll der Verhandlungen des 5. Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands, Köln 22. 27. Mai 1905, 84; Protokoll der Verhandlungen des 6. Kongresses der Gewerkschaften
Deutschlands, Hamburg 22. – 27. Juni 1908; Andere Zahlen im Jahresbericht 1907/1908 des
Verbandes der Bergarbeiter Deutschlands hier: Zahlstellen: 1906: 17, 1907: 20, 1908: 51;
Mitglieder: 1906: 680, 1907: 890, 1908: 996.
315
120
verschwindend geringe Zahl.316 Die Bemühungen des Alten Verbandes, sich im
Steinkohlenrevier im saarländisch-lothringischen Grenzraum zu etablieren, waren
gescheitert.
Trotz
der
Offenheit
der
lothringischen
Bergarbeiter
für
sozialdemokratische Ideen, misslang auch hier die gewerkschaftliche Organisation
der Arbeiter, ebenso wenig bildeten sich sozialdemokratisch orientierte Vereine
oder konnte die SPD Mitglieder werben. 317
Dennoch war der Einfluss des Alten Verbandes auf die lothringische
Belegschaft relativ groß. Auf Anraten des Alten Verbandes wurde der Streik 1908
in Merlebach weitergeführt und die sozialdemokratischen Gewerkschaftler konnten
sogar den Vertreter des christlichen Gewerkvereins so unter Druck setzen, dass sich
dieser trotz geäußerter Bedenken letztlich ebenfalls für eine Fortführung des
Merlebacher Streiks aussprach.318 Im Dezember 1910 beklagten sich die Delegierten
des Berliner Verbandes auf dem Bezirksverbandstag über „die unaufhaltsame
Zunahme der Sozialdemokratie in Lothringen, besonders in den Kreisen Forbach
und Saargemünd“.319 Ebenso konnte die SPD im Wahlbezirk SarregueminesForbach im Gegensatz zum Saarrevier, beachtliche Erfolge erzielen. Wie bereits
erwähnt, erreichte die SPD 1893 25 Prozent der abgegeben Stimmen. 1898 wurden
15,8 Prozent der Stimmen für die SPD abgegeben, 1903 20,4 Prozent, 1907 15,5
Prozent und 1912 22,3 Prozent.320 Der Unterschied zum Saarrevier ist deutlich, hier
blieb die SPD eine Splitterpartei ohne nennenswerte Bedeutung.321
316
317
In Lothringen lag die Anzahl der Belegschaftsmitglieder im Jahr 1905 bei etwa 8500 und im
Jahr 1908 bei 12000. In den staatseigenen Zechen des Saarreviers waren 1905 46 000 Arbeiter
beschäftigt. Zahlen bei: Haby, Houillères, Bd. 2., o.S. und Fehn, Siedlungspolitik, 227.
Zum Vereinswesen siehe Kapitel: 5.2.1. „Bürgerliche und katholische Vereinsverflechtungen.
Eine Zäsur zwischen Vor- und Nachkriegszeit“. Zur Mitgliederentwicklung der SPD in
Elsass-Lothringen: Hiery, Reichstagswahlen, 85ff.
318
Der Arbeiter. Organ des Verbandes der katholischen Arbeiter-Vereine (Sitz Berlin), 3.1.1909.
319
Der Arbeiter. Organ des Verbandes der katholischen Arbeiter-Vereine (Sitz Berlin),
18.12.1910. Der französische Ortsname für Saargemünd ist Sarreguemines.
Siehe: Abbildungen 43-47.
320
321
Die Pfalz stellt hier eine Ausnahme dar. Hier begünstigte die protestantische Konfession eines
Teiles der Bevölkerung die Akzeptanz der Sozialdemokratie in der Bevölkerung. Zum
Einfluss der SPD in der Pfalz siehe: Barmbold, Sigrid; Staudt, Michael: Die Roten im
Schwarzen Eck. Die Anfänge der Sozialdemokratie in St. Ingbert 1889-1919, St. Ingbert
1991.
121
Was sich mit der Polarisierung der Arbeiterschaft in eine radikale und
gemäβigte Arbeiterbewegung in der Zeit der Rechtsschutzvereinsbewegung
andeutete, bestätigt sich in der weiteren Entwicklung der Arbeiterbewegungen im
Grenzraum. Erstens: die „nationale“ Grenze beschrieb die Grenzen des
Einflussbereiches der SPD. Zweitens: trotz des Einflusses der sozialdemokratischen
Arbeiterbewegung in Lothringen entwickelte sich dort kein organisiertes
sozialdemokratisches Milieu.
4.2.5.
Die christlichen Arbeiterorganisationen.
Ausdruck eines grenzüberschreitenden katholischen Milieus
Im
Gegensatz
zu
den
misslungenen
Organisationsbemühungen
der
Sozialdemokraten etablierte sich, als Bestandteil eines grenzüberschreitenden
katholischen Milieus, ein bedeutendes grenzüberschreitendes Netzwerk von
Arbeitervereinen. Die christlich-gewerkschaftliche Organisation der Arbeiter
scheiterte in Lothringen jedoch ähnlich deutlich wie die sozialdemokratische
Gewerkschaftsbewegung, obwohl der Gewerkverein wie auch der Alte Verband
bemüht waren, die Arbeiter grenzüberschreitend zu organisieren. So gründete der
Gewerkverein 1904 einen regionalen Verband für das Saarrevier, dem die
lothringischen Steinkohlenzechen zugeordnet waren.322 Der Bezirk „Saarrevier“
unterteilte sich in drei Unterbezirke: Forbach, Neunkirchen und Saarbrücken,
welche jeweils von Arbeitersekretariaten betreut wurden.323 Erst im November 1911
wurde das lothringische Kohlenrevier dem Bezirk „Lothringen“ angegliedert,
dessen Verwaltungssitz sich in Thionville befand. Für das lothringische
Steinkohlenrevier und die preußischen Dörfer Emmersweiler, Nassweiler und St.
322
Geschäftsbericht des Vorstandes des Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter Deutschlands
für die Jahre 1905 und 1906 und Protokoll der 11. Generalversammlung abgehalten vom 29.
Juni bis 2. Juli 1907 zu Gelsenkirchen, 106. Der Grund für diese verzögerte Etablierung des
Gewerkvereins war der Widerstand des Bischofs von Trier und Teilen der katholischen
Geistlichen gegen die Gründung einer christlichen Gewerkschaft.
323
Mourer, Mineurs, 215.
122
Nikolaus war nun das Büro im lothringischen Merlebach zuständig.324 Bis zum
Ausbruch
des
Ersten
Weltkrieges
blieb
diese
grenzüberschreitende
Organisationsstruktur erhalten.
Trotz der intensiven Werbung der Gewerkschaftsvertreter im gesamten
Kohlenrevier war der Gewerkverein nur im Saarrevier erfolgreich.325 Im Mai 1911
wurden in beiden Revieren insgesamt 15648 Mitglieder registriert, von denen
lediglich 198 Mitglieder im Kreis Forbach lebten.326 Obwohl das Zentrum bei den
Reichstagswahlen in Lothringen erfolgreich war und der Zentrumskandidat und
christliche Gewerkschaftler Joseph Collet 1911 im Wahlkreis ForbachSarreguemines die Landtagswahl gewann,327 hatte der Gewerkverein auf
lothringischem Gebiet ebenso viele beziehungsweise ebenso wenig Mitglieder wie
der Alte Verband.
Hingegen organisierten sich die lothringischen Bergarbeiter in beachtlicher
Zahl in katholischen Arbeitervereinen. Hatten sich auf preuβischer Seite des
Saarreviers die Arbeiter bereits in den 1850er Jahren in katholischen
Arbeitervereinen zusammmen geschlossen, wurden im lothringischen Kohlenrevier
die ersten katholischen Arbeitervereine in den 1880er und 1890er Jahren
gegründet.328 Im Saarrevier schlossen sich ab 1902, angeregt durch den Trierer
324
Ab dem 30.11.1911 wurde das Forbacher Büro nach Merlebach verlegt. Mourer, Mineurs,
217.
325
Zur christlichen Arbeiterbewegung im Saarrevier siehe besonders die Arbeiten Klaus-Michael
Mallmanns: u. a.: Klaus-Michael, Mallmann: Ultramontanismus und Arbeiterbewegung im
Kaiserreich. Überlegungen am Beispiel des Saarreviers, in: Deutscher Katholizismus im
Umbruch zur Moderne, (Hrsg.) Wilfried Loth, Stuttgart, Berlin, Köln 1991, 76-94. 1906
fanden 502 Versammlungen auf beiden Seiten des Grenzraumes statt. Geschäftsbericht des
Vorstandes des Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter Deutschlands für die Jahre 1905 und
1906 und Protokoll der 11. Generalversammlung abgehalten vom 29. Juni bis 2. Juli 1907 zu
Gelsenkirchen, 106.
Kiefer, Organisationsbestrebungen, 227.
326
327
O.A.: Die Landtagswahl von 1911 in Elsaβ-Lothringen, Strasbourg 1911.
328
Die ersten katholischen Arbeitervereine in Lothringen bildeten sich im Steinkohlenrevier.
Nach Mourer war der katholische Arbeiterverein „Union“ in Stiring Wendel 1881 der erste
katholische Arbeiterverein in Lothringen. Siehe: Mourer, Mineurs, 116 und das
Genehmigungsverfahren in: ADM, 3 AL 475. Weitere Vereine bildeten sich 1890 in PetiteRosselle (Genehmigungsverfahren ADM, 3 AL 463) und 1891 in Morsbach
(Genehmigungsverfahren ADM, 3 AL 460). Zu spät, auf das Jahr 1903, datiert hingegen Roth
123
Bischof Korum, die katholischen Vereine dem Verband der katholischen
Arbeitervereine mit Sitz in Berlin an. 1909 zählten die Arbeitervereine Berliner
Richtung nahezu 13000 Mitglieder, von denen sich etwa 7000 in den
Fachabteilungen des Verbandes organisiert hatten, und entwickelten sich so zu
einer ernstzunehmenden Konkurrenz für den Gewerkverein.329
In Lothringen blieben die katholischen Arbeitervereine unabhängig, trotz der
Bemühungen des Berliner Verbandes, von Saarbrücken aus das gesamte
Kohlenrevier im Grenzraum zu betreuen. Die Sprechstunden des katholischen
Arbeitersekretariates in Forbach, die zahlreichen Werbeveranstaltungen und die
vom Berliner Verband nach Lothringen gesandten Geistlichen aus dem Saarrevier,
konnten nicht zu einer positiven Mitgliederentwicklung beitragen.330 1909 hatten die
Vereine Berliner Richtung im lothringischen Kohlenrevier lediglich 300
Mitglieder, von denen sich 170 in den Fachverbänden eingeschrieben hatten.331
Der Misserfolg des Berliner Verbandes in Lothringen ist auf die
Streitigkeiten über die Angliederung des Metzer Diözesanverband an den Berliner
Verband oder Westdeutschen Verband zurückzuführen. Der Metzer Bischof
Benzler entschied schlieβlich Anfang 1909, dass die in dem lothringischen
Diözesanverband zusammengeschlossenen Arbeitervereine unabhängig bleiben
sollten.332 Die Streitigkeiten zwischen dem Westdeutschen und Berliner Verband
die Gründung des ersten katholischen Arbeitervereins in Lothringen. Vgl.: Roth, Lorraine,
476.
329
Kiefer, Organisationsbestrebungen, 222ff. Sander, Michael: Katholische Arbeitervereine
Berliner Richtung, in: Archiv für Mittelrheinische Kirchengeschichte, 37 (1985) 128.
330
Zu den Sprechstunden in Forbach: Forbacher Bürger-Zeitung, 16.5.1906. Zu den
Werbeveranstaltungen: St.-Johanner Volkszeitung: 20.2.1907, 5.4.1907, 27.4.1907, 1.6.1907,
3.9.1907. Versammlungen in Morsbach, Forbach, Stiring-Wendel, Petite-Rosselle, Merlebach.
Zur Unterstützung der Werbemaβnahmen durch Geistliche aus dem Saargebiet. Roth,
Lorraine, 401.
Kiefer, Organisationsbestrebungen, 222ff. Diese Einschätzung wird auch in den
Geschäftsberichten des christlichen Gewerkvereins deutlich. Geschäftsbericht des Vorstandes
des Gewerkvereines christlicher Bergarbeiter Deutschlands für die Jahre 1909 und 1910 und
Protokoll der 13. Generalversammlung abgehalten vom 9. bis 12. Juli 1911 zu Köln, 144ff.
Dem Berliner Verband und dem Westdeutschen Verband wurde jedoch gestattet,
Bezirksverbände zu gründen, was jedoch nicht zu einer positiven Mitgliederentwicklung
beitrug. Westdeutsche Arbeiter-Zeitung. Organ des Verbandes der katholischen
Arbeitervereine Westdeutschlands, 3.1.1909 über den 3. Delegiertentag in Metz und zu den
neuen Statuten 21.3.1909.
331
332
124
verhinderten jedoch nicht die positive Mitgliederentwicklung der katholischen
Arbeitervereine in Lothringen. 1907 umfasste der Diözesanverband Metz 21
Arbeitervereine mit 2050 Mitgliedern. Mit zwölf Arbeitervereinen war die
Konzentration im lothringischen Kohlenbecken am höchsten.333 1911 bestanden
bereits 37 Arbeitervereine mit etwa 4000 Mitgliedern. Am ausgeprägtesten war das
katholische Arbeitervereinswesen weiterhin im lothringischen Kohlenrevier, wo
laut Bericht zu diesem Zeitpunkt 15 Vereine existierten.334
Die zahlreichen katholischen Jünglings- sowie Freizeitvereine, die positive
Resonanz auf die grenzüberschreitende Arbeit des Volksvereins und die
Verbreitung der katholischen Arbeitervereine beweist den Erfolg der katholischen
Arbeiterorganisationen auf beiden Seiten des Grenzraumes.335 Das gemeinsame
Engagement lothringischer und deutscher Katholiken in den Arbeitervereinen, und
der rege grenzüberschreitende Kontakt zwischen den katholischen Organisationen
belegen die Dichte der grenzüberschreitenden Vernetzungen.336 Wie sehr die
integrative Wirkung der Vereine von deren konfessioneller Prägung abhing,
333
Dies waren die katholischen Arbeitervereine in Alsting, Cocheren, Falck, Forbach, Freyming,
Hombourg-Haut, L’Hôpital, Longeville-lès-Saint-Avold, Merlebach, Petite-Rosselle, StiringWendel und Théding. Eine Auswertung des stenographischen Berichtes über den 1.
Delegiertentag des Verbandes der katholischen Arbeitervereine der Dözese Metz, in: Hiegel,
Le catholicisme social en Moselle de 1871 à 1918, Cahiers Lorrains, 1, 2 (1968), 6.
334
Eine Auswertung des offiziellen Berichtes des Diözesanverbandes bei: Roth, Lorraine, 477ff.
335
Siehe Kapitel: 5.2.1. „Bürgerliche und katholische Vereinsverflechtungen. Eine Zäsur zwischen
336
Vor- und Nachkriegszeit“. 1903 konnten die Redner aus Saarbrücken während einer
Veranstaltungen in Alsting 206 der 250 anwesenden Personen vom Beitritt in den Volksverein
überzeugen. Ähnlich verlaufende Werbeveranstaltungen sind für Forbach, Spicheren und dem
Siercker Raum überliefert. ADL, 2 AL 161: Kreisdirektor an den Bezirkspräsidenten,
25.11.1903. Zur Verbreitung des Volksvereins in Lothringen: Roth, Lorraine, 472ff.
Eine national gemischte Mitgliederstruktur hatten u. a. Jünglingsverein Petite-Rosselle (ADM,
3 AL 462), Arbeiterunterstützungsverein Morsbach (ADM, 3 AL 460). Jünglingsverein
Forbach (ADM, 3 AL 434), Bergmanns-Sterbe und Kranken-Unterstützungs-Verein
Merlebach (ADM, 3 AL 442), Arbeiter Unterstützungsverein Morsbach (ADM, 3 AL 460).
Beispiele grenzüberschreitender Kontakte: u. a.: Forbacher Zeitung, 27.7.1893: Der
Namenstag des Priesters von Petite-Rosselle wurde vom Jünglingsgverein Petite-Rosselle,
dem Jünglingsverein Burbach und dem Männerunterstützungsverein Morsbach gefeiert.
Forbacher Bürger-Zeitung, 25.5.1904: Der katholische Jünglingsverein Petite-Rosselle stattete
dem „Bruderverein“ Malstatt-Burbach mit 200 Mann einen Besuch ab. St.-Johanner
Volkszeitung, 3.9.1907: Der katholische Arbeiterverein Merlebach feierte seine Fahnenweihe.
Anwesend war auch der katholische Arbeiterverein Emmersweiler. St.-Johanner
Volkszeitung, 20.7.1907: Werbung für das Patronatsfest des hl. Joseph veranstaltet vom
katholischen Arbeiterverein Stiring-Wendel. Forbacher Bürger-Zeitung 18.7.1908: Besuch
des Petite-Rosseller Jünglingsverein beim Bruderverein in Ottenhausen.
125
beweisen die überkonfessionellen Arbeitervereine, denen keine Kontakte zu
Nachbarvereinen nachgewiesen werden konnten.337
Die Wahlergebnisse bestätigen die Ausprägung des katholischen Milieus auf
beiden Seiten der Grenze. Im Saarrevier bestimmte das Zentrum neben der
Nationalliberalen Partei die Parteienlandschaft und auch in Lothringen entwickelte
sich die Zentrumspartei zu einer bedeutenden politischen Macht.338 1903 erhielt das
Zentrum bei seiner ersten Reichstagswahlbeteiligung in Lothringen im Wahlkreis
Sarreguemines-Forbach
19,7
Prozent
der
abgegebenen
Stimmen.
Die
Reichstagswahl der Jahre 1907 und 1912 gewannen die Zentrumskandidaten mit
jeweils 55,8 Prozent und auch die Landtagswahl 1911 konnte das Zentrum für sich
entscheiden.339
337
U. a. Knappen-Unterstützungsverein Forbach (ADM, 3 AL 434), BergmannUnterstützungsverein Marienau (ADM, 3 AL 434), Bergmannsunterstützungsverein MertenBiblingen (ADM, 3 AL 442), Bergmannsverein Glück Auf Oettingen (ADM, 3 AL 463).
338
Siehe: Abbildungen 43-47.
339
Landtagswahl 1911: Wahlkreis Forbach: 2357 Stimmen Collet (Zentrum), 1835 Dr. Couturier
(Lothringischer Block), 365 Stadler (SPD). Zahlen aus: O. A., Landtagswahl.
126
Ottweiler-St.Wendel-Meisenheim
Saarbrücken
6,2%
0,5%
35,9%
24,%
63,6%
69,%
Saarburg-Merzig-Saarlouis
Sarreguemines-Forbach
25%
17,6%
3,6%
75%
78,8%
Abbildung 43: Reichstagswahlergebnisse 1893 (nach Wahlkreisen)340
Saarbrücken
Ottweiler-St.Wendel-Meisenheim
2,9%
0,4%
45%
54,6%
43,6%
53,5%
Saarburg-Merzig-Saarlouis
0,9%
0,7%
Sarreguemines-Forbach
16%
84%
98,4%
Abbildung 44: Reichstagswahlergebnisse 1898 (nach Wahlkreisen)341
340
Quelle: Roth, Lorraine, 688; Bellot, Jahre, 189ff. Das Zentrum stellte sich in Lothringen das
erste Mal 1903 zur Wahl.
341
Quelle: Roth, Lorraine, 689; Bellot, Jahre, 196ff.
127
Saarbrücken
Ottweiler-St.Wendel-Meisenheim
5,1%
0,5%
42,3%
52,6%
49,4%
Saarburg-Merzig-Saarlouis
4,4%
50,1%
Sarreguemines-Forbach
0,8%
20,4%
19,7%
59,9%
94,8%
Abbildung 45: Reichstagswahlergebnisse 1903 (nach Wahlkreisen)342
Ottweiler-St.Wendel-Meisenheim
Saarbrücken
6,7%
1,4%
49,1%
49,8%
44,2%
Saarburg-Merzig-Saarlouis
48,8%
Sarreguemines-Forbach
1,20%
15,5%
13,4%
28,7%
85,40%
55,8%
Abbildung 46: Reichstagswahlergebnisse 1907 (nach Wahlkreisen)343
342
Quelle: Roth, Lorraine, 689f.; Bellot, Jahre, 212ff.
343
Quelle: Roth, Lorraine, 690; Bellot, Jahre, 224ff.
128
Saarbrücken
Ottweiler-St.Wendel-Meisenheim
7,8%
4%
46,1%
47%
49,9%
45,2%
Saarburg-Merzig-Saarlouis
Sarreguemines-Forbach
3,8%
22,2%
8,9%
22%
55,8%
87,3%
Abbildung 47: Reichstagswahlergebnisse 1912 (nach Wahlkreisen)344
Zentrum
SPD
Sonst
344
Quelle : Roth, Lorraine, 691; Bellot, Jahre, 233ff.
129
4.2.6.
Scheitern
der
grenzüberschreitenden
gewerkschaftlichen
Organisation der Arbeiter
Der
grenzüberschreitende
Arbeitsmarkt in
der
Bergbauregion
regte
zur
grenzüberschreitenden gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiter an. Das
Saarrevier und das lothringische Kohlenrevier wurden von den Verantwortlichen
der Organisationen als ein zusammenhängendes Revier betrachtet. So erkannten
bereits die Vorstände der Rechtsschutzvereine die Notwendigkeit einer engen
Zusammenarbeit. Obwohl die Gewerkschaften grenzüberschreitend agierten und
nahezu zeitgleich mit ihren Werbemaβnahmen begannen, fanden sie in den
Revieren einen unterschiedlichen Zuspruch. So war der Anteil der gewerkschaftlich
organisierten Bergarbeiter in den lothringischen Zechen, auβer in den Anfängen der
Rechtsschutzvereinsbewegung und zu Beginn der Aktivitäten des « Alten
Verbandes », im Vergleich zum Organisationsgrad der Saarbelegschaft sehr
niedrig. Die gewerkschaftliche Organisation der lothringischen Bergarbeiterschaft
scheiterte, im Gegensatz zur Organisation der Saarbelegschaft, die sich zu einem
bedeutenden Teil dem christlichen Gewerkverein und den katholischen
Arbeitervereinen Berliner Richtung anschlossen.
Von den gewerkschaftlichen Organisationen ging keine integrative Wirkung
im Grenzraum aus. Diese Einschätzung wird durch das Streikverhalten der
Bergarbeiter bestätigt. Obwohl die Arbeitskonflikte in den beiden Revieren
teilweise Reaktionen der Belegschaften im jeweils anderen Revier auslösten, kam
es während des gesamten untersuchten Zeitraums zu keiner koordinierten,
gemeinschaftlichen Streikbewegung oder zu Solidaritätsstreiks.
Jedoch
förderte
möglicherweise
die
grenzüberschreitende
Gewerkschaftsarbeit das Bewusstsein der Bergarbeiter für die Ähnlichkeiten ihrer
Arbeitswelt. In den von den Gewerkschaftlern angestoβenen Diskussionen über
niedrige Löhne, lange Arbeitszeiten und gefährliche Arbeitsbedingungen konnten
sich sowohl die lothringischen als auch die deutschen Bergarbeiter wiederfinden.
130
4.2.7.
Die Arbeiterorganisationen und die nationale Grenze
Die Ausprägung der gewerkschaftlichen Organisation der Bergarbeiter im
Grenzraum und der Einflussbereich der Sozialdemokratie, zeichnen deutlich die
nationale
Grenze
nach.
Der
„Nationalitätenhader“,
wie
die
Gewerkschaftsfunktionäre mutmaβten, war jedoch nicht für den Misserfolg der
Gewerkschaften in Lothringen verantwortlich.345 Zwar behinderte möglicherweise
der Ruf der Gewerkschaften als deutsche Organisationen und die Entsendung
ortsfremder Funktionäre „aus dem Reich“ den Erfolg der Gewerkschaften in
Lothringen.346 Eine national motivierte Abgrenzung der lothringischen von den
deutschen Arbeitern impliziert dies jedoch nicht. Nationale Abgrenzungstendenzen
hätten, wie auch in anderen national gemischten Revieren, die Ausbildung
landsmannschaftlich organisierter Gewerkschaften nach sich gezogen.347 Sogar die
Gründungswelle
pro-
französischer
Vereine
nach
Inkrafttreten
des
Reichsvereinsgesetzes im Jahr 1908 blieb im lothringischen Steinkohlenrevier ohne
Auswirkungen.348 Abgesehen davon, dass in den Quellen keinerlei national
motivierte Streitigkeiten innerhalb der Bergarbeiterschaft überliefert sind, belegen
die national gemischte Mitgliederstruktur der lothringischen Vereine und die
grenzüberschreitenden Vernetzungen der katholischen Arbeitervereine die geringe
Bedeutung der „Nation“ als trennendes Element innerhalb der Arbeiterschaft.
Der geringe Organisationsgrad der lothringischen Bergarbeiter ist nicht auf
den „Nationalitätenhader“, sondern vor allem auf die Unterdrückungsmethoden der
Arbeitgeber zurückzuführen. Insbesondere die de Wendel’sche Zechenverwaltung
345
So lautete die Einschätzung des Berichterstatters des Gewerkvereins für Elsass-Lothringen.
Geschäftsbericht des Vorstandes des Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter Deutschlands
für die Jahre 1907 und 1908 und Protokoll der 12. Generalversammlung abgehalten vom 27.
bis 30. Juni 1909 in Saarbrücken, 98.
346
Diesen „nationalen“ Blickwinkel auf die Gewerkschaften nahmen besonders die
frankophonen lothringischen Unternehmer ein. Roth, Konflikte, 263.
So bildeten sich im oberschlesischen Revier polnische Gewerkschaften. Schofer, Lawrence:
Die Formierung einer modernen Arbeiterschaft – Oberschlesien 1865-1914, Dortmund 1983.
347
348
Zu „Wiederentdeckung“ der französisch- nationalen Tendenzen in Lothringen nach 1908
siehe das Kapitel: ›La renaissance du „nationalisme“ en Lorraine‹, in: Roth, Lorraine, 543549.
131
versuchte die Arbeiter von einer Mitgliedschaft in den Gewerkschaften abzuhalten.
So beklagte sich 1912 der Zentrumsabgeordnete und christliche Gewerkschaftler
Joseph Collet im elsass-lothringischen Landtag über die Verfolgungsmethoden der
Firma de Wendel.349 Im Saarrevier wurde hingegen seit 1905 der christliche
Gewerkverein durch die Saarbrücker Bergwerksdirektion geduldet.350 Neben den
repressiven Maβnahmen behinderten auch die Internationalität und die hohe
Fluktuation eines Teiles der Bergarbeiterschaft die gewerkschaftliche Organisation
im lothringischen Revier.351
Die nationale Grenze zeichnet nicht nur die Grenze des Verbreitungsradius’
der
Gewerkschaften
nach,
sondern
beschreibt
auch
die
Grenze
des
Einflussbereiches der sozialdemokratischen Bewegung. Auffällig ist, dass die
sozialdemokratischen Ideen bei Teilen der lothringischen Bevölkerung Anklang
fanden, ohne zur Herausbildung eines organisierten sozialdemokratischen Milieus
zu führen. Für dieses Phänomen war vor allem die laizistische Tradition in
Lothringen verantwortlich.352 Die Ausdifferenzierung des katholischen Frankreichs
in zwei konkurrierende und sich feindlich gegenüberstehende Lager begann bereits
im Ancien Régime und erstreckte sich über das gesamte 19. Jahrhundert.353 In dieser
Gegenüberstellung werden Katholiken als praktizierende Gläubige definiert, die an
349
350
351
352
353
Roth, Lorraine, 401.Um effektiver die Organisationsbestrebungen der Arbeiter bekämpfen zu
können, hatten sich die Industriellen von der Saar, Lothringen und der Pfalz zu einer
Interessengemeinschaft zur Bekämpfung der Sozialdemokratie zusammengeschlossen.
LHAK, Best. 442, Nr. 4244: Vorsitzende der königl. Bergwerksdirektion an den königl.
Regierungspräsidenten, 29.12.1903.
Westdeutsche Arbeiter-Zeitung. Organ des Verbandes der katholischen Arbeitervereine
Westdeutschlands, 21.1.1905.
Die Zechen der Firma de Wendel verfügten über einen festen Arbeiterstamm, wohingegen die
Belegschaft der Saar und Mosel Bergwerksgesellschaft - der zweitgrößte Arbeitgeber im
lothringischen Kohlenrevier - international zusammengesetzt war und stark fluktuierte, siehe:
Haby, Houillères, Bd. 1, 84ff.
Hiery führt als Grund für die geringe Mitgliederzahl die Skepsis der Einheimischen gegenüber
deutschen Organisationen an. Eine Begründung für das Nichtvorhandensein
sozialdemokratischer Arbeitervereine trotz der sozialdemokratischen Tendenzen innerhalb der
Arbeiterschaft liefert Hiery jedoch nicht. Hiery, Reichstagswahlen, 90. Hiery nennt als
wichtigsten Grund für die geringe Mitgliederzahl der Elsass-Lothringer in der SPD die
Abneigung der Einheimischen gegen deutsche Organisationen.
Über diese ideologische Grenze zwischen Katholiken und Laizisten siehe: Langlois, Claude:
Catholiques et laïcs, in: Les lieux de mémoire, Bd. 2, (Hrsg.) Pierre Nora, Paris 1997, 23272358 (2. Auflage).
132
den Dogmen der katholischen Kirche festhalten und sich mit den Äuβerungen der
Geistlichen sowie der katholischen Presse identifizieren. Der Laizismus wird
hingegen als eine Ablehnung jeder dogmatischen Festlegung, eine freie Suche nach
der Wahrheit definiert.354 Die in der republikanischen Tradition gewachsene
laizistische Grundhaltung eines Teiles der lothringischen Bevölkerung machte
diese für sozialdemokratische Ideen empfänglicher als die Saarpreuβen.355 Bestärkt
wird
diese
These
durch
die
Nichtausbildung
eines
organisierten
sozialdemokratischen Milieus in Lothringen, trotz der Offenheit der Lothringer für
sozialdemokratische Ideen. Verdeckte sozialdemokratische Vereinsgründungen
wären trotz der Verfolgungsmethoden der Unternehmer möglich gewesen, was die
These unterstüzt, dass der Erfolg der Sozialdemokratie im lothringischen Teil des
Kohlenbeckens auf einer Ablehnung des Katholizismus und nicht auf einer
positiven Identifikation mit der sozialdemokratischen Bewegung basierte. Der
Grenzverlauf des Einflussbereiches der Sozialdemokraten beschreibt daher keine
nationale Trennungslinie zwischen den Bergarbeitern des lothringischen Reviers
und des Saarreviers, sondern eine ideologische Grenze zwischen Laizisten und
Katholiken.
Der Erfolg der sozialdemokratischen Bewegung in Lothringen wurde durch
den Ruf der SPD als Protestpartei gegen die Annexion begünstigt. Die
sozialdemokratischen Führungspersönlichkeiten hatten während und nach dem
Krieg deutlich gegen die Annexion des Elsass und Lothringens Stellung bezogen.356
Noch 1893 betonte Bebel im Reichstag, dass die Elsass-Lothringer, „vor 22 Jahren
wider ihren Willen zu Deutschen gemacht“ worden seien.357 Die Sozialdemokraten
kritisierten nicht nur die Gründung des Reichslandes, sondern später auch die
Benachteiligung der Arbeiter durch das restriktive Versammlungs- und
354
355
Mollenhauer, Daniel: Symbolkämpfe um die Nation. Katholiken und Laizisten in Frankreich
(1871-1914), in: Nation und Religion in Europa. Mehrkonfessionelle Gesellschaften im 19.
und 20. Jahrhundert, (Hrsg.) Heinz-Gerhard Haupt, Dieter Langewiesche, Frankfurt a. M.
2004, 202ff.
Auf diesen Zusammenhang weist Michael Sander hin. Sander, Struktur, 64.
356
Wendel, Hermann: Elsass-Lothringen und die Sozialdemokratie, Berlin 1916, 10.
357
ebda, 11.
133
Vereinsrecht in Elsass-Lothringen, indem sie dieses mit den fortschrittlicheren
Gesetzen der französischen Republik verglichen.358 So berichtete die ElsassLothringische Volkszeitung Ende 1892, dass dem vom Marseiller Kongress der
Arbeiterpartei zurückgekehrte Wilhelm Liebknecht beim „Passieren der schwarzweiß-rothen Grenzphäle […] der Unterschied in der politischen Bewegungsfreiheit
der Republik Frankreich und des kaiserlich-deutschen Elsass-Lothringens in seiner
ganzen Schroffheit“ deutlich wurde.359 Indem die Sozialdemokraten die Lage der
Arbeiter in Elsass-Lothringen mit einer Debatte über rechtliche Unterschiede in
Deutschland und Frankreich verbanden, verlieh die SPD ihren politischen Zielen
als Arbeiterpartei eine pro- französische Tendenz.360 Die „Vive Bebel“ und Vive la
France“ Rufe nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse der Reichstagswahl 1893
in
Straßburg,
machen
diese
Verquickung
französisch-nationaler
und
sozialdemokratischer Opposition im Reichsland deutlich.361 Wirkte sich die, im
Wahlkampf zur Reichstagswahl 1893 thematisierte gescheitere Militärvorlage und
die
damit
verbundene
Stigmatisierung
der
Sozialdemokraten
als
„Vaterlandsverräter“ im kaiser- und reichstreuen preuβischen Saarrevier hemmend
auf die dortige Ausbreitung der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, war diese
für die Lothringer ein zusätzlicher Anreiz, sich sozialdemokratischen Ideen zu
öffnen.362 Die SPD rückte jedoch nach der aufsehenerregenden Ausweisung eines
Bekannten Elsass-Lothringischen Sozialdemokraten aus Frankreich im September
1896 von ihrer Rolle als Protestpartei ab. Frankreich hatte seine Vorbildfunktion
als liberale Republik verloren.363
Mit Blick auf den Ruf der SPD als Protestpartei gegen die Annexion deutet
die Beschränkung des sozialdemokratischen Einflussbereiches auf lothringisches
Gebiet die Abgrenzung der Lothringer vom Deutschen Reich an. Eine national
358
Soell, Arbeiterbewegung, 27f.
359
Elsass-Lothringische Volkszeitung, 28.9.1892. Zitiert nach: Soell, Arbeiterbewegung, 63.
360
Soell, Arbeiterbewegung 60ff. Ebenso hebt Hiery hervor, dass sich die SPD als Protestpartei
präsentierte. Hiery, Reichstagswahlen, 263ff.
Soell, Arbeiterbewegung, 81.
361
362
Hiery, Reichstagswahlen, 263.
363
Soell, Arbeiterbewegung, 91ff.
134
motivierte Abgrenzung der Grenzraumbewohner impliziert diese Opposition zum
Deutschen Reich jedoch nicht. Ebenso scheiterte die grenzüberschreitende
gewerkschaftliche Organisation der Arbeiter nicht an nationalen Konflikten
innerhalb der Arbeiterschaft, sondern an der Grenze der Weltanschauungen
zwischen Laizisten und Katholiken und den Unterdrückungsmethoden der
lothringischen Unternehmer.
Dennoch war die Nation beziehungsweise Nationalität als Element der
Selbstzuschreibung innerhalb der Bergarbeiterschaft im Grenzraum deutlich
präsent. So trat die Nation immer dann in den Vordergrund, wenn sich die
Bergarbeiter einem nationalen Kontext zuordneten. Die lothringische Sicht auf die
SPD als Oppositionspartei war gegen das Deutsche Reich gerichtet und die Debatte
im Saarrevier über die Wahl des Tagungsortes im Vorfeld des internationalen
Kongresses in Paris, richtete sich gegen Frankreich.364 In beiden Fällen hatte die
nationale Selbstzuschreibung der Arbeiter auf die transnationale Lebenswelt keine
merklichen Auswirkungen. Das Identitätskonstrukt Nation rückte innerhalb der
Arbeiterschaft des Kohlenreviers nur dann in den Vordergrund, wenn der
transnational-regionale Identifikationsraum in den Hintergrund trat.365
4.3.
Solidarität, Sprachgrenzen und soziale Konflikte
Niedrige Löhne, Bergwerksunglücke und die erschwerten Arbeitsbedingungen
unter Tage waren im gesamten Kohlenrevier Teil der Alltags. Neben der
katholischen Konfession als integrativem Faktor, waren vor allem die ähnlichen
Arbeitserfahrungen im Kohlenrevier für die geringe Bedeutung der Nation als
Element der Segregation im Industriegebiet verantwortlich. Die Kommunikation
über die Ähnlichkeiten der Lebens- und Arbeitswelt in der Industrieregion
364
Mallmann, Anfänge, 229.
365
Der Fall eines Bergarbeiters, der sich Ende des Jahres 1891 aufgrund seiner schlechten
Erfahrungen während des Militärdienstes in Lothringen weigerte, für streikende französische
Bergleute zu spenden, ist das einzige ermittelte Beispiel, in dem ein regionaler Bezug für eine
national motivierte Abgrenzung eine Rolle spielte. Mallmann, Anfänge, 231.
135
Forbach/Saarbrücken wurde durch das ausgeprägte Grenzpendlerwesen gefördert.
Möglicherweise trug auch die grenzüberschreitende Arbeit der gewerkschaftlichen
Organisationen seit der Zeit des Rechtsschutzvereins dazu bei, die Bergarbeiter für
die
Ähnlichkeiten
ihrer
Arbeitssituation
zu
sensibilisieren.
Die
grenzüberschreitenden Hilfsaktionen bei Bergwerkskatastrophen zeigen, dass sich
im Kohlenrevier über die Wahrnehmung dieser Gemeinsamkeiten hinaus eine
grenzüberschreitende Solidaritätsgemeinschaft herausgebildet hatte. Im Juli 1876 –
nur fünf Jahre nach Kriegsende – gaben die Kirchenchöre aus Saarlouis, Lisdorf
und Fraulautern ein Konzert zugunsten der Verunglückten der Zeche Spittel in
Lothringen.366
Ebenso
grenzüberschreitend
waren
die
Spendenaktionen.
Beispielsweise rief die lothringische „Forbacher Zeitung“ zur Spendensammlung
für die Opfer der großen Bergwerkskatastophe in der Zeche Camphausen im
Saarrevier im Jahr 1885 auf.367 Diese Solidaritätsgemeinschaft manifestierte sich
jedoch lediglich bei Bergwerkskatastrophen, eine gegenseitige Unterstützung beim
Arbeitskampf implizierte die Solidarität der Arbeiter nicht.
Neben der ähnlichen Lebens- und Arbeitswelt der Bergarbeiter des
Grenzraumes, war der deutsche Dialekt als Umgangssprache der lothringischen und
deutschen Bergarbeiter für die geringe Bedeutung der nationalen Unterschiede als
trennendes Element innerhalb der Arbeiterschaft verantwortlich. Die integrative
Wirkung der sprachlichen Gemeinsamkeiten wurde durch die Übereinstimmung
der sozialen Grenze und der Sprachgrenze im lothringischen Teil des Kohlenreviers
verstärkt. Bei Arbeitskämpfen entwickelte sich die Sprachgrenze in Lothringen zu
einer Konfliktlinie, entlang derer lothringische und deutsche Bergarbeiter vereint
den frankophonen Unternehmern gegenüberstanden. Konkret wurde diese
Auseinandersetzung in der Ablehnung der Arbeiterorganisationen durch die
frankophonen Unternehmer, welche die Arbeiterorganisationen als deutsche
366
Saar-Zeitung, 1.8.1876. Weitere Informationen in: Saar-Zeitung, 8.7.1876, 13.7.1876.
367
Forbacher Zeitung, 19.3.188, 26.3.1885. Zur Verwendung der Spendengelder: Forbacher
Zeitung 18.07.1885. St.-Johanner Volkszeitung, 20.2.1907: Sammlung für die verunglückten
Bergleute in Reden (Saar) durch den Kriegerverein in Petite-Rosselle. St.-Johanner
Volkszeitung, 16.2.1907: Sammlung für die verunglückten Bergleute in Reden durch den
Werkmeisterverein in Petite-Rosselle. St.-Johanner Volkszeitung, 20.2.1907: Bericht über
eine sehr erfolgreiche Sammlung in Schoeneck.
136
Importe sowie die Streikenden als deutsche Aufrührer stigmatisierten,368 und
während der Verhandlungen bei Arbeitskämpfen. Die Bürobeamten verhandelten
mit den Bergarbeitern auf Französisch, sodass die Verhandlungsführer der Arbeiter
den eventuell unrichtigen Angaben der Beamten nichts entgegensetzen konnten.369
Im lothringischen Kohlenrevier war eine deutschsprachige, lothringische und
deutsche Bergarbeiterschaft durch Sprache und gemeinsame Interessen vereint
gegen eine französischsprachige Mittel- und Oberschicht.
Dieser Opposition zwischen den frankophonen und germanophonen
Einwohnern
Lothringens
haftete
ein
latenter
Konflikt
zwischen
den
deutschsprachigen Lothringer und der französischen Nation an, der sich bereits
während des zweiten Kaiserreiches in der Auseinandersetzung um die Beibehaltung
des deutschsprachigen Unterrichts manifestiert hatte.370
4.4.
Zusammenfassung
Die grenzüberschreitenden Verflechtungen im Lebensbereich Arbeit waren
vielschichtig. Diverse gesetzliche Ausnahmeregelungen, welche das Arbeiten auf
der anderen Seite der Grenze erleichterten, förderten die Ausbildung eines
transnationalen Arbeitsmarktes. So existierten Sonderregelungen im Bereich der
Landwirtschaft und im Bereich des Zahlungsverkehrs.
Die Entwicklung des grenzüberschreitenden Arbeitsmarktes wurde durch die
Grenze nicht behindert. In jedem Arbeitsbereich war der Austausch an
Arbeitskräften beachtlich, wobei die Grenzpendlerbewegung der industriellen
Lohnarbeiter am bedeutendsten war. Der Grenzpendlerstrom der Arbeiter führte
vor allem Richtung Lothringen, da sich der Rekrutierungsbezirk der preuβischen
368
369
370
Roth, Konflikte, 263.
LAS, Landratsamt Saarbrücken, Nr. 1836: Bericht über eine Versammlung in Groβrosseln,
Bürgermeisteramt Ludweiler an den Landrat von Saarbrücken, 9.8.1890. Roth, Lorraine, 46.
Zur Sprachgrenze zwischen den Angestellten der Zechen und den Bergarbeitern siehe auch:
Buchheit, Immigration, 38.
Siehe Kapitel: 6.1.5. „Laizismus gegen Katholizismus. Konflikte in Lothringen und die
deutschen Nachbarn“.
137
Bergwerksdirektion nicht nach Lothringen ausdehnte. Die hohe Anzahl der
Grenzpendler
weist
darauf
hin,
dass
die
Lothringengänger
gröβtenteils
Arbeiterbauern waren, die auf der Saarseite kleine Anwesen besaßen und aus
diesem Grund nicht dauerhaft nach Lothringen zogen. Das Kapitel „Familie“
zeigte, dass sich dieser erhöhte Arbeitskräfteaustausch im Industriegebiet positiv
auf die Intensität der grenzüberschreitenden familiären Verflechtungen auswirkte.
Der grenzüberschreitende Arbeitsmarkt regte auch die Gewerkschaften an,
die Arbeiter transnational zu organisieren, was jedoch misslang. Im lothringischen
Teil des Kohlenbeckens konnten sich die gewerkschaftlichen Organisationen nicht
etablieren.
Möglicherweise
förderten
die
grenzüberschreitenden
Gewerkschaftsaktivitäten das Bewusstsein der Bergarbeiter für die Ähnlichkeiten
der Arbeitswelten auf beiden Seiten der Grenze, darüber hinaus sind die
Gewerkschaften jedoch nicht als konstitutives Element eines grenzüberschreitenden
Identifikationsraumes zu bewerten.
Die Untersuchung wies nach, dass sich in der Polarisierung der
Arbeiterschaft die Gegensätze zwischen Laizisten und Katholiken widerspiegelten.
So gewann die sozialdemokratische Arbeiterbewegung, ohne Vereine und
Organisationen zu etablieren, Einfluss auf die lothringische Arbeiterschaft. Das
katholische Milieu organisierte sich hingegen grenzüberschreitend in Vereinen und
Verbänden.
Die Polarisierung der Arbeiter in eine radikale und eine gemäβigte
Arbeiterbewegung
verhinderte
eine
grenzüberschreitende
Solidarität
im
Arbeitskampf, hatte jedoch, wie die Entwicklung der grenzüberschreitenden
familiären
Verflechtungen
im
Industrierevier
beweist,
keine
negativen
Auswirkungen auf die Intensität des grenzüberschreitenden Identifikationsraumes.
Der geringe Effekt der politischen Spaltung der Arbeiter auf die
transnationale
Identifikation,
ist
auf
die
groβe
Bedeutung
des
grenzüberschreitenden katholischen Milieus und die integrative Wirkung der aus
ähnlichen Lebens- und Arbeitserfahrungen sowie sprachlichen Gemeinsamkeiten
entstandenen grenzüberschreitenden Solidaritätsgemeinschaft zurückzuführen.
138
Verstärkt wurde der Zusammenhalt der Bergarbeiter im lothringischen Teil
des Kohlenreviers durch die Übereinstimmung der Sprachgrenze mit der sozialen
Grenze. Die germanophonen, lothringischen und saarpreuβischen Bergarbeiter
standen den frankophonen Angestellten und Büroangestellten der Zechen
gegenüber. Latent haftete dieser entlang der Sprachgrenze verlaufenden
Konfliktlinie eine Opposition zur französischen Nation an, die auch in anderen
Lebensbereichen festzustellen ist.371
Trotz der grenzüberschreitenden Verflechtungen des Arbeitsmarktes, der
transnationalen Verbindungen innerhalb des katholischen Milieus und der
Solidarität im Kohlenrevier, blieb die Nation als Element der Selbstzuschreibung
im Grenzraum präsent und existierte als Identitätskonstrukt parallel zur
transnationalen Lebenswelt der Bewohner des Saar-Mosel- Raumes.372
371
372
Siehe Kapitel: 6.1.5. „Laizismus gegen Katholizismus. Konflikte in Lothringen und die
deutschen Nachbarn“.
Siehe besonders Kapitel: 5.5. „Auswirkung der politischen Ereignisse auf das
Freizeitverhalten“ und Kapitel: 6.2.4. „Nationalisierung des Katholizismus. Eine bedingte
Konstante in Lothringen nach 1871“.
139
5.
Freizeit im Grenzraum
5.1.
Vereinswesen vor 1871. Grenzüberschreitende Begegnungen
der bürgerlichen Schichten
Im Oktober 1848 feierte die Bürgerwehr der Stadt Saarbrücken ihre Fahnenweihe.
Erschienen war auch eine Delegation des Turnvereins Saarbrücken, zusammen mit
einer Abordnung der Nationalgarden von Metz, Sarreguemines, Saint-Avold,
Forbach, Grosbliederstroff, Sarreunion und Folklingen. Ebenfalls anwesend waren
die Bürgerwehren von Zweibrücken, Kaiserslautern, Landstuhl, Homburg, St.
Wendel, Ottweiler und Lebach. Gemeinsam zogen die Teilnehmer in einem
feierlichen Umzug durch die Stadt.373 Wie im gesamten Reich hatte die Revolution
von 1848 auch in der Saargegend eine erste, von den stadtbürgerlichen
Mittelschichten getragene Vereinsgründungswelle ausgelöst.374 Im Grenzraum
suchten diese demokratisch orientierten Vereine Kontakt zu französischen, sich
nunmehr in einer Republik entfaltenden demokratischen Gruppierungen.375
373
Schwarz, Hans: Das Vereinswesen an der Saar bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts - der Verein
als Medium der sozialen Kommunikation, Saarbrücken 1992, 97f. Zur sozialen
Zusammensetzung der Vereine bis 1871 siehe: Tenfelde, Entfaltung, 64 u. 73. Zur
grenzüberschreitenden Beziehungen der Bevölkerung während der Revolution 1848 siehe:
Heckmann, Gerhard: Die Revolution von 1848/49, in: Restauration und Revolution. Die
Saarregion zwischen 1815 und 1850, (Hrsg.) Johannes Schmitt, St. Ingbert, 1990, 119-126.
Burg, Peter: Die Revolution von 1848/49 im Kontext der saarländischen Geschichte, in:
Revolution an der Grenze. 1848/49 als nationales und regionales Ereignis, St. Ingbert 1999,
128-146. Auf die Bedeutung der Grenzen innerhalb der Rezeption der französischen
Revolution geht ein: Ulbrich, Bedeutung.
374
Tenfelde, Entfaltung, 59. Zu den Vereinsgründungen in den Grenzstädten der preußischen
Rheinprovinz bis zur Revolution 1848/49, siehe: Schwarz, Vereinswesen. Ergänzende
Informationen zu den Vereinsgründungen liefert die Magisterarbeit von Sigrid Lambertz:
Vereine im Saarland zwischen 1800 und 1870, Saarbrücken 1987 (masch.).
375
Die neue Forschung befasst sich mit dieser europäischen Dimension der Revolution 1848
siehe u. a.: Bauerkämper, Arnd: Die Revolution von 1848/49. Gemeinsames Erleben und
Scheitern in Europa?, in: Europa und die Europäer. Quellen und Essays zur modernen
europäischen Geschichte, (Hrsg.) Rüdiger Hohls, Iris Schröder, Hannes Siegrist, Stuttgart
2005, 182-187; Brendel, Thomas: Zukunft Europas? Das Europabild und die Idee der
internationalen Solidarität bei den deutschen Liberalen und Demokraten im Vormärz (18151848), Bochum 2005, 213ff; Siemann, Wolfgang: 1848/49 in Deutschland und Europa:
Ereignis – Bewältigung – Erinnerung, Paderborn 2006.
140
Nachdem die Märzrevolution gescheitert und die Franzosen im November 1852 in
einer Volksabstimmung einer neuen Verfassung zugestimmt hatten, welche die
zweite Republik durch eine Monarchie ersetzte, waren diese durch die Verfolgung
gemeinsamer politischer Ziele entstandenen, grenzüberschreitenden Kontakte in
der bisherigen Form nicht mehr möglich. Peinlich genau wachten die
Grenzbeamten und Behörden darüber, den grenzüberschreitenden Kontakt der
Demokraten des Grenzraumes zu verhindern.376
Es zeigt sich, dass bereits mit der ersten Vereinsgründungswelle
Vereinigungen beider Seiten der Grenze in Verbindung zueinander traten, und auch
in den Folgejahren bestanden auf die politischen Traditionen der Revolution 1848
aufbauende grenzüberschreitende Beziehungen der bürgerlichen Schichten. Auf
diesen Zusammenhang weisen die grenzüberschreitenden Verbindungen der 1860er
Jahre hin, die vor allem zwischen Musik- und Schützenvereinen bestanden – zwei
wesentlichen Trägern patriotisch-demokratischer Ideen des Vormärz.377 Nachdem
im April 1861 die Société de Tir von Metz offiziell von den französischen
Behörden genehmigt wurde, veranstalteten die Metzer Schützen im August
desselben Jahres ein internationales Schützenfest, an dem sich Vereine aus
Saarbrücken, St. Johann, Duttweiler und Luxemburg beteiligten. Die Liste der
376
377
LHAK, Best. 403, Sig. 7045: Landratsamtsverwalter von Merzig an den Oberpräsidenten,
10.1.1853: Ausweisung eines preuβischen Grenzraumbewohners aus Frankreich wegen
angeblich demokratischer Gesinnung. LHAK, Best. 403, Sig. 17986: Wochenberichte der
Polizeidirektionen (Trier), u. a. Bericht vom 30.8.1853: Verschärfung der Passvorschriften für
die demokratischen Persönlichkeiten der Saarregion. Dem Bericht liegt die Liste der
betreffenden Demokraten bei.
Mosse, George: Die Nationalisierung der Massen. Politische Symbolik und Massenbewegung
in Deutschland von den Napoleonischen Kriegen bis zum Dritten Reich, Frankfurt a. M.,
Berlin, Wien 1976, 153. Zu den Schützenvereinen: Stambolis, Barbara: Schützenvereine in
der Gesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. Interdisziplinäre Arbeitsmöglichkeiten am
Beispiel historischer Vereinsforschung, in: Rheinisch-Westfälische Zeitschrift für
Volkskunde, 44 (1999) 171-213, bes. 181ff. Internationale Musikfeste: LHAK, Best. 442, Nr.
6387: Bürgermeister von Metz an die Bezirksregierung in Trier, 28.9.1860; Landrat von
Saarbrücken an den Regierungspräsidenten in Trier, 3.10.1860: Gesangswettbewerb Mai 1961
in Metz. Einladung an die Saarbrücker- St. Johanner Liedertafel. Saarbrücker Zeitung,
15.6.1870: Für das Gesangsfest im Juni 1870 wurden zahlreiche Besucher aus Frankreich
erwartet. Saarbrücker Zeitung, 15.7.1870: Gersweiler Gesangverein lädt zu einem Waldfest
auf französischem Boden.
141
eingeladenen Vereine vergröβerte sich dabei von Jahr zu Jahr.378 Im August 1863
lud seinerseits der Zweibrücker Schützenverein einige Schützengesellschaften aus
Lothringen und die lothringische Bevölkerung zum großen Schützenfest ein.379
Die Verwendung von Leitmotiven der Revolution und des Vormärz während
der Vereinsfeiern weist ebenfalls auf eine Kontinuität der Vereinskontakte des Vorund Nachmärz hin. Während eines internationalen Musikfestes 1863 in Sierck,
veranstaltet vom Musikverein Cäcilia, vermischten sich die Ausrufe „Les chanteurs
de tous pays sont frères“- „Die Sänger aller Länder sind Brüder“ mit „Vive la
Pologne“ Rufen, mit denen die deutschen, französischen und luxemburgischen
Teilnehmer ihre Sympathiebekundungen für den Januaraufstand in Polen
äuβerten.380 Nachdem die polnische Nationalbewegung bereits im Vormärz eine
Vorreiterrolle übernommen hatte, übertrugen die Festteilnehmer offenbar auch die
polnische Erhebung im Januar 1863 auf ihre eigenen nationalen Bestrebungen.381
Ähnlich knüpfte die Dankesrede des Vorsitzenden der Trierer Liedertafel an die
Ideen des Vormärz und der Revolution an. Pfingsten 1868 nahmen deutsche und
französische Vereine an einem Musikwettbewerb in Metz teil – die Trierer
Liedertafel gewann den Wettbewerb. Leitmotiv der auf Französisch gehaltenen
Dankesrede des Trierer Vereinspräsidenten war die Verbrüderung der Sänger und
Völker, die zu einer perfekten Zivilisation – dem Frieden – führen solle.382
Unter Berücksichtigung der geringen Vereinsdichte in Frankreich, waren
diese bürgerlichen Vereinsverbindungen intensiv. In Frankreich herrschten
zunächst Formen der Gesellschaftsbildung vor, die von informellen Absprachen,
Gewohnheiten und Gebräuchen bestimmt waren, die freie kommunikative
378
Brunn, Denis: Activités physiques et vie sportive à Metz sous le Second Empire, in: Des jeux
et des sports, (Présentés par) Alfred Wahl, Metz 1986, 97.
379
Courrier de la Moselle, 23.7.1863; Saarbrücker Zeitung, 6.8.1863, 13.8.1863.
380
Courrier de la Moselle, 28.7.1863.
Zur Polenbegeisterung der Deutschen im Vormärz: Brendel, Zukunft, 213ff.
381
382
LHAK, Best. 442, Nr. 6387: „C’est elle, c’est la fraternité des peuples, c’est ce doux accord,
qui devra être à jamais le boulevard le plus important et le plus désirable d’une parfaite
civilisation, c’est-à-dire de la paix. Vive la concorde internationale!“ Dankesrede des
Präsident der Liedertafel von Trier anlässlich des Gesangsfestes 1868 in Metz gesandt an den
königl. Regierungsrat in Trier, 10.9.1870. LHAK, Best. 403, Nr. 178: Bericht vom 13.7.1868.
142
Geselligkeit, die Sociabilité, nahm hier einen weitaus größeren Raum ein als das
Vereinswesen.383 So fanden sich in Metz bereits in den 1850er Jahren Gruppen
regelmäßig zum Schwimmen, Turnen, Reiten und Tanzen ein, wobei die ersten
Sportvereine erst 1861 gegründet wurden.384.
5.2.
Vereinswesen nach 1871
5.2.1.
Bürgerliche und katholische Vereinsverflechtungen. Eine Zäsur
zwischen Vor- und Nachkriegszeit
Das
Vereinsspektrum
des
Grenzraumes
wurde
durch
die
zweite
Vereinsgründungswelle der 1880er und 1890er Jahre, die vor allem die unteren
Schichten erfasste, und durch die zahlreichen von den eingewanderten Deutschen
initiierten Vereinsgründungen erweitert.385 Im Saar-Mosel- Raum zeichnen sich nun
vier vorherrschende Vereinstypen ab:386 Katholische Vereine, bürgerliche Vereine
383
384
Maurice Agulhon hat den Forschungszweig « sociabilité » entscheidend geprägt. Agulhon,
Maurice: Pénitents et francs-maçons de l’ancienne Provence, Paris, 1968. Zum Vergleich mit
dem deutschen Vereinswesen siehe die Aufsätze in: François, Etienne (Hrsg.): Sociabilité et
société bourgeoise en France, en Allemagne et en Suisse 1750-1850. Geselligkeit,
Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft in Frankreich, Deutschland und der Schweiz
1750-1850, Paris 1986. Zur Soziabilität in Frankreich siehe besonders: Reichardt, Rolf: Zur
Soziabilität in Frankreich beim Übergang vom Ancien Régime zur Moderene: neuere
Forschungen und Probleme, in: Sociabilité et société bourgeoise en France, en Allemagne et
en Suisse 1750-1850. Geselligkeit, Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft in Frankreich,
Deutschland und der Schweiz 1750-1850, (Hrsg.) Etienne François, Paris 1986, 27-42.
Brunn, Activités, 93ff.
385
Tenfelde, Entfaltung, 59.
386
Das folgende Kapitel basiert auf einer Auswertung 94 Vereinsgenehmigungsverfahren in 19
lothringischen Orten (Siehe: Abbildung: 48). Untersuchungsschwerpunkt ist das
Industrierevier um Forbach und das Dreiländereck. Ausgewertet wurden die
Genehmigungsverfahren der Orte: Bouzonville, Forbach, Koenigsmacker, Manderen,
Marienau, Merlebach, Merten-Biblingen, Morsbach, Oeting, Petite-Rosselle, Ranguevaux,
Redange, Schoeneck, Sierck, Spicheren, Stiring-Wendel, Téterchen, Waldweistroff,
Waldwisse. Keine Genehmigungsverfahren sind für folgende Orte überliefert: Apach,
Colmen, Grindorff, Kirsch, Launstroff, Oderdorff, Rodemacker. ADM, 3 AL 428, 434, 435,
440, 442, 460, 463, 465, 468, 474, 475, 480. Die Informationen zum Vereinswesen in der
Saarregion basieren auf: Mallmann, Anfänge; Lambertz, Vereine; Bungert, Gerhard; Lehnert,
Charly: Vereine im Saarland, Saarbrücken 1988.
143
mit mehrheitlich deutschen Mitgliedern, bürgerliche Vereine in denen einheimische
lothringische Mitglieder dominierten und milieu- und schichtübergreifende
Vereine.387 Ein sozialdemokratisches Vereinswesen existierte im Grenzraum nicht.
Die Genehmigungsverfahren und Polizeiberichten liefern keine Anhaltspunkte für
sozialistische Arbeitervereine im lothringischen Steinkohlenrevier. Unbedeutend
blieb das sozialdemokratische Vereinswesen auch im Saarrevier.388
Luxemburg
Rodemack
Apach
Kirsch-lès-Sierck
Sierck
Grindorff
Koenigsmacker
Waldweistroff
Bouzonville
Téterchen
Rangwall
Ranguevaux
Metz
Manderen
Launstroff
Waldwisse
Colmen
Oberdorff
Saarbrücken
Forbach/
MertenMarienau
Bibling
Schoeneck
StiringWendel
Spicheren
Petite- Oeting
Merlebach Rosselle
Morsbach
Abbildung 48: Untersuchte lothringische Orte: Vereinswesen
387
Für den Zeitraum nach 1871 lagen für 55 Vereinstreffen Informationen über die
Mitgliederzusammensetzung der beteiligten Vereine vor: 13 bürgerlich- deutsch dominierte
Vereine, 9 bürgerlich- lothringisch dominierte Vereine, 8 katholische Freizeitvereine (ohne
die katholischen Arbeiter- und Jünglingsvereine), 25 milieu- und schichtübergreifende
Vereine.
388
Bungert; Lehnert, Vereine, 50f.
144
Deutlich ist anhand der grenzüberschreitenden Vereinsverflechtungen eine
Zäsur zwischen Vor- und Nachkriegszeit ablesbar. Von den intensiven,
transnationalen Verbindungen der bürgerlichen Vereine vor dem Krieg fehlt nach
dem Deutsch-Französischen Krieg jede Spur. Nach 1871 ist kein einziger
grenzüberschreitender Kontakt dieser Vereine überliefert. Die der revolutionären
Bewegung des Jahres 1848 entsprungenen Vernetzungen der bürgerlichen
Schichten des Grenzraumes existierten offenbar nicht mehr.389 Sicherlich war auch
die Auflösung der Vereine nach dem Krieg 1870/71 für den Abbruch der
transnationalen Verbindungen der bürgerlichen Vereine mitverantwortlich.390 Der
im Kapitel „Familie“ festgestellte Rückgang grenzüberschreitender bürgerlicher,
familiärer Verflechtungen nach dem Deutsch-Französischen Krieg beweist jedoch,
dass vor allem die national motivierte Abgrenzung der bürgerlichen Schichten des
Grenzraumes der Grund für den Kontaktabbruch der Vereine war.391 Auf diesen
Zusammenhang deutet auch das Siercker Musikfest von 1876 hin. Kam es während
dieser Veranstaltung in Sierck 1863 zu einem freundschaftlichen Zusammentreffen
preußischer, französischer und luxemburgischer Vereine, wurde das Fest 1876 zu
einer antipreußischen Demonstration. Der luxemburgische Verein „Fanfare
Mansfeld“ zog auf Einladung des Siercker Musikvereins Cäcilia mit der
luxemburgischen Flagge, das heiβt mit den französischen Nationalfarben, durch
Sierck und spielte französische Musikstücke, die von den Zuschauern mit „Vive la
France, à bas la Prusse“ – „Hoch lebe Frankreich, nieder mit Preußen“ - Rufen
begleitet wurden. Selbstverständlich nahm dieses Mal kein preußischer Verein am
Fest teil.392
389
390
Für die Bewertung der Ausprägung der grenzüberschreitenden Vernetzung des Vereinswesens
ist zu beachten, dass sich bei diesen Begegnungen meist mehr als zwei Vereine trafen. So
trafen sich 1885 Mitglieder des Stenographenvereins Saarbrücken, Dudweiler, Völklingen mit
Forbacher Bürgern zu einem Tanzabend, um einen Forbacher Stenographenverein zu gründen.
Beim Sängerfest 1881 in Forbach trafen sich sogar zehn Vereine. [Forbacher Zeitung,
11.8.1881, 13.8.1881, 17.8.1881].
In den hier untersuchten Orten reichten nur zwei Vereine, die bereits vor dem DeutschFranzösischen Krieg existierten, einen Genehmigungsantrag ein.
391
Siehe Kapitel: 3.2.8. „Die binationalen Paare vor und nach dem Deutsch-Französischen
Krieg“.
392
ADM, 2 AL 102; Courrier de la Moselle, 10.6.1876.
145
Hatten die gemeinsamen politischen Ziele der bürgerlichen Schichten als
integratives Element nach dem Krieg keine Kontinuität, belegen die transnationalen
Vernetzungen der katholischen Vereine ab den 1880/1890er Jahren die Bedeutung
der konfessionellen Gemeinsamkeiten als Element der Integration im Grenzraum.
So entwickelten neben den katholischen Arbeiter- und Jünglingsvereinen und dem
Volksverein auch die katholischen Freizeitvereine eine transnationale Aktivität. Ein
Drittel der in den Zeitungen ermittelten grenzüberschreitenden Veranstaltungen der
Vereine lassen sich dem katholischen Milieu zuordnen.
Parallel zu diesen transnationalen katholischen Vereinsverflechtungen
existierten nach 1871 Vernetzungen bürgerlicher Vereine, die jedoch mit den
bürgerlichen Vereinsverbindungen vor dem Krieg nichts gemein hatten:
Transnationale, verschiedene Nationalitäten verbindende Verflechtungen waren die
nach dem Krieg nachgewiesenen bürgerlichen Vereinskontakte nicht: Mit den
Vereinsgründungen der nach Lothringen eingewanderten Deutschen organisierte
sich auf beiden Seiten der Grenze eine bürgerlich-deutsche Mittelschicht in
Beamten- und Bürgervereinen oder Gesangvereinen, Verschönerungsvereinen,
Frauen- und Sportvereinen.393 Anschluss an die lokale Gesellschaft suchend,
knüpften die Eingewanderten Kontakte zu Saarvereinen. Im Gegensatz zu den
Kontakten der bürgerlichen Vereine vor dem Krieg waren diese Verbindungen
grenzüberschreitend, aber nicht transnational.394 Als die Forbacher Liedertafel 1872
an einem Festball des Malstätter Liederkranzes anlässlich des Andenkens an die
Spicherer Schlacht teilnahm, war dies ein grenzüberschreitendes Treffen zwischen
393
So organisierten sich in den Fuβballvereinen in Lothringen zunächst vor allem die
eingewanderten bürgerlichen Schichten. Später wurden die Fuβballvereine zu einem Faktor
der Integration zwischen Eingewanderten und Lothringern: Wahl, Alfred; Pivot, Pierre:
L’introduction du football dans le Reichsland Elsass-Lothringen, in: Football an Regional
Identity in Europe, (Hrsg.) Siegfried Gehrmann, Münster 1997, 17-31.
394
Ein Viertel der nachgewiesenen Vereinstreffen waren Treffen „altdeutscher“ Vereine. In den
bürgerlichen Vereinen auf lothringischer Seite waren vereinzelt auch Einheimische Mitglied.
Welche Rolle diese Mitglieder spielten ist unklar. Denkbar ist, dass sich einige Lothringer von
der Mitgliedschaft in den Vereinen der neuen Machthaber Vorteile erhofften. Die Vereine in
denen lediglich ein bis drei Lothringer Mitglieder waren, werden dennoch als „altdeutsche“
Vereine bezeichnet.
146
„Altdeutschen“.395 Nicht nur die soziale und nationale Herkunft bildeten die
gemeinsame Basis dieser Vereine, sondern auch die protestantische Konfession der
Mehrheit der Mitglieder.396
5.2.2.
Die Kriegervereine ein Element der Integration im Kohlenrevier
Am 6. August 1905 fand wie jedes Jahr am Spicherer Berg eine Gedächtnisfeier
zum Andenken an die Schlacht von Spicheren statt. Die Festrede hielt der
Vorsitzende des Spicherer Kriegervereins - ein ehemaliger französischer Soldat.397
Obwohl die Vereinsgründungen auf Initiative der „Altdeutschen“ erfolgten, war
das Engagement der Lothringer in den Kriegervereinen nichts Ungewöhnliches.398
In 14 der 16 untersuchten Kriegervereinen waren gleichermaßen Alt- und
Neudeutsche organisiert, fünf Kriegervereine hatten sogar ehemalige französische
Soldaten als Mitglieder.399 Die intensiven grenzüberschreitenden Verbindungen der
Kriegervereine waren daher auch transnationale Begegnungen zwischen Deutschen
und Lothringern.400
395
Forbacher Zeitung, 1.8.1872.
396
Die bürgerlichen Schichten im Saargebiet waren protestantisch dominiert, wie auch die nach
Lothringen eingewanderten Deutschen mehrheitlich reformierten Glaubensrichtungen
angehörten. Siehe Kapitel: 6.2.1. „Kulturkampf. Ein Konfessionskonflikt als nationaler und
sozialer Konflikt“.
397
Saarbrücker Zeitung, 10.8.1905.
Zum Kriegervereinswesen an der Saar: Henning, Hansjoachim: Kriegervereine in den
preußischen Westprovinzen. Ein Beitrag zur preußischen Innenpolitik zwischen 1860 und
1914, in: Rheinische Vierteljahrsblätter, 32 (1968) 469. Mallmann, Anfänge, 57. Allgemein
zur Verbreitung der Kriegervereine in Lothringen und zur Mitgliedschaft der ElsassLothringer in den Kriegervereinen: Metzler, Lionel: Les Kriegervereine en Lorraine annexée
de 1874 à 1914, in: Les associations en Lorraine (De 1871 à nos jours), (Présentés par)
Bernard Desmars, Alfred Wahl, Metz 2000, 19-35.
398
399
Für die verbleibenden zwei Kriegervereine können keine Angaben
Staatsangehörigkeit der Mitglieder gemacht werden. Siehe: Abbildung 49.
400
Ein Viertel der in den Zeitungen ermittelten grenzüberschreitenden Vereinstreffen waren
Zusammenkünfte der Kriegervereine. U. a. Saarbrücker Zeitung, 14.8.1889: Fahnenweihe in
Merlebach. Saarbrücker Zeitung, 12.9.1889: Fahnenweihe in Petite-Rosselle. Forbacher
Zeitung, 10.9.1889: Fahnenweihefest in Forbach. Forbacher Zeitung, 12.9.1893: Fahnenweihe
in Nassweiler. Saarbrücker Zeitung, 16.7.1901; Forbacher Zeitung, 10.7.1901: Fahnenweihe
und geselliger Abend in St. Arnual. Siehe Abbildung 49.
147
über
die
Ort
Gründungsjahr Mitgliederzusammensetzung
Forbach
1881
218 Mitglieder (Stand: 1891)
61 gebürtige E-L (9 ehem. franz. Soldaten)
3 naturalisierte E-L
Merlebach
1885
78 Mitglieder (Stand: 1889)
47 E-L
Merten-Bibling
1903
28 Mitglieder
27 E-L (mind. 14 eingeborene E-L)
Morsbach
1901
Alle im deutschen Heer gedient
Petite-Rosselle
1885
88 Mitglieder (Stand: ca. 1895)
19 gebürtige E-L (7 ehem. franz. Soldaten
Schoeneck
1891
37 Mitglieder
31 E-L
Spicheren
1905
33 Mitglieder
1 ehem. franz. Soldat (sonst keine Informationen)
Stiring-Wendel
1898
61 Mitglieder
53 E-L (6 ehem. franz. Soldaten)
Stiring-Wendel
(Waffenbruderverein)
1904
35 Mitglieder
17 E-L (1 ehem. franz. Soldat)
Bouzonville
1887
81 Mitglieder (nur Angabe der Wohnorte)
Koenigsmacker
1889
53 Mitglieder
30 gebürtige E-L
9 naturalisierte E-L
Ottange
1889
64 Mitglieder
37 gebürtige E-L
Rédange
1895
65 Mitglieder
6 gebürtige E-L
1 naturalisierter E-L
Ronguevaux
1897
24 Mitglieder
24 E-L (mind. 19 gebürtige E-L)
Sierck
1888
nur dt. Soldaten
Téterchen
1889
60 Mitglieder
1 gebürtiger E-L
Abbildung 49: Mitgliederzusammensetzung Kriegervereine
Manifestierte sich in den transnationalen Treffen der katholischen Vereine
die Bedeutung der Milieu- beziehungsweise Konfessionszugehörigkeit als Faktor
grenzüberschreitender Integration, sind die Berührungspunkte zwischen den
148
lothringischen und deutschen Mitgliedern der Kriegervereine nicht sofort
erkennbar. Die Kriegervereine als Inbegriff des deutschen Patriotismus bieten auf
den ersten Blick nur wenige Identifikationsmöglichkeiten für Lothringer.
Abgesehen davon, dass möglicherweise die Unterstützung der Mitglieder in
Notlagen einige Lothringer dazu veranlasste, einem Kriegerverein beizutreten,
waren die Kriegervereine vor allem als „normale“ Freizeitvereine für Lothringer
interessant.401 Patriotische Feste waren nur ein Bestandteil des Festkalenders, dem
auch nicht von allen Kriegervereinen große Bedeutung beigemessen wurde.402
Mindestens ebenso wichtig waren die Fahnenweihen und sonstigen Vereinsfeste,
die sich nicht grundlegend von den Feiern anderer Vereine unterschieden.403 Jedoch
deuten die räumliche Konzentration der Kriegervereine sowie der transnationalen
Vereinstreffen auf das Kohlenrevier an, dass sich in den Verflechtungen der
Kriegervereine vor allem die Bedeutung der gemeinsamen sozialen Herkunft und
der
ähnlichen
Arbeitserfahrungen
unter
Tage
als
Element
der
grenzüberschreitenden Identifikation widerspiegelt.404 In vielen anderen Orten
außerhalb des Industriereviers stieβ das Kriegvereinswesen auf den Widerstand der
lothringischen Bevölkerung.405 Die im Vergleich zum Industrierevier geringe
Anzahl Kriegervereine im Dreiländereck und der Kontrast zwischen den
transnationalen Zusammenkünften im Industrierevier und dem Stiftungsfest des
401
402
403
404
405
Zur sozialen Funktion der Kriegervereine: Rohkämper, Militarismus, 77. Zu den
Kriegervereinen als Vergnügungsvereine. Metzler, Kriegervereine (2000), 24f. Rohkrämer,
Militarismus, 69.
So schickte der Kriegerverein von Saint-Avold, in dem auch ehemalige französische Soldaten
organisiert waren, erst nach Strafandrohung eine Mitgliederdelegation zur Kaiserparade.
Metzler, Lionel: Kriegervereine en Lorraine annexée et à Saint-Avold (de 1874 à 1914), in:
Les chahiers lorrains, 3 (2004) 24ff. Zur Mitgliedschaft der französischen Soldaten: ADM, 3
AL 468, Forbacher Zeitung, 30.11.1889; Forbacher Zeitung, 11.6.1881; Forbacher Zeitung,
14.6.1881. Diese unangepasste Haltung einiger lothringischer Vereine korrespondiert mit der
Opposition der Kriegervereine der Rheinprovinz gegen die Versuche der Kontrolle des
Vereinslebens durch die Regierung. Henning, Kriegervereine 446ff.
Metzler, Kriegervereine (2000), 25f.
Mallmann weist anhand einer Auswertung von Mitgliederlisten nach, dass sich in den
Kriegervereinen im Saarrevier zu einem groβen Prozentsatz Arbeiter organisierten. Mallmann,
Anfänge, 57. Vgl.: Henning, Kriegervereine, 469. Dieser schätzt den Anteil der Arbeiter in
den Vereinen niedriger ein.
Zu den Schwierigkeiten der Etablierung der Kriegervereine in Lothringen: Saarbrücker
Zeitung, 26.9.1880, Saarbrücker Zeitung, 20.5.1885.
149
Siercker Kriegervereins, welches 1888 im preuβischen Nachbarort Perl unter
Teilnahme ausschlieβlich deutscher Vereine begangen wurde deuten an, dass die
Kriegervereine im Dreiländereck weitaus negativer aufgenommen wurden als im
Industrierevier.406
Im
Gegensatz
dazu,
entwickelte
sich
durch
die
grenzüberschreitenden Vernetzungen der Kriegervereine im Industrierevier das
Andenken an den Deutsch-Französischen Krieg von einer national aufgeladenen
Erinnerungsfeier zum Bestandteil einer grenzüberschreitenden Erinnerungskultur,407
deren Höhepunkt die bereits erwähnte Rede des ehemaligen französischen Soldaten
im August 1905 zum Andenken an die Spicherer Schlacht war.408 Die
Erinnerungsfeiern auf den Spicherer Höhen verloren schlieβlich immer mehr den
Bezug
zum
historischen
Ereignis
und
machten
Platz
für
eine
Art
Schlachtfeldtourismus. Für die Mehrheit der Grenzraumbevölkerung war Anfang
des 20. Jahrhunderts die alljährliche Erinnerungsfeier der Kriegervereine auf dem
Spichererberg von geringerer Bedeutung als das Spichererberger Turn- und
Spielfest, das zeitnah zu den Feierlichkeiten der Kriegervereine stattfand und die
Grenzraumbewohner beiderseits der Grenze in Massen anzog.409.
406
Siercker Anzeiger, 7.7.1888.
407
Böhm, Képi, 90ff. Ruppersberg, Kriegschronik. Beispielsweise die Einweihung des Denkmals
für die gefallenen französischen Soldaten in Forbach im August 1872. Saarbrücker Zeitung,
27.8.1872. Im Gegensatz dazu die Situation 1906: Zum Trauergottesdienst der katholischen
Kirche gäbe es immer weniger Teilnehmer. Es würde sich noch ein Denkmal der Gefallenen
Forbachs im Kirchhof befinden, jedoch wäre dies nur noch für die Älteren von Bedeutung.
Forbacher Bürger-Zeitung, 7.8.1906:
Siehe zu diesem Aspekt der Integration im Grenzraum: Maas, Kriegerdenkmäler, 54ff. Der
Begriff „Erinnerungskultur“ entwickelte sich nach der bahnbrechenden Arbeit von Jan
Assmann zu einem bedeutenden Forschungs- und Diskussionsgegenstand in der historischen
Forschung. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische
Identität in frühen Hochkulturen, München 1992. Erinnerungskultur wird mit Anlehnung an
Assmanns Arbeit hier als „Kollektive Leistung der Vergegenwärtigung vergangener
Ereignisse durch Wiederholung spezifischer, kulturell vorgegebener Riten und Symbole“
verstanden. Hölscher, Lucian: Geschichte als „Erinnerungskultur“, in: Generation und
Gedächtnis. Erinnerungen und kollektive Identitäten, (Hrsg.) Kristin Platt, Mihran Dabag,
Opladen 1995, 157.
408
409
Grenzüberschreitende Erinnerungsfeiern: Forbacher Zeitung, 8.8.1882: Der Forbacher
Kriegerverein veranstaltete eine Gedächtnisfeier unter Anwesenheit einiger ehemaliger
französischer Soldaten zu Ehren der Gefallen. Saarbrücker Zeitung, 20.5.1885: Einweihung
des Kriegerdenkmals in Völklingen. Anwesend waren: Kriegervereine der Saargegend und
der Kriegerverein Metz, Thionville, Forbach und Saint-Avold. In dem Kriegerverein Forbach
und Saint-Avold waren auch ehemalige französische Soldaten Mitglieder. Saarbrücker
150
Wie ungewöhnlich das Engagement der Lothringer in den Kriegervereinen
des Kohlenreviers war, beweisen die Zeitungsartikel, welche die Mitgliedschaft
von Lothringern in den Kriegervereinen und deren Teilnahme an Veranstaltungen
besonders hervorheben.
Als zur Kaisergeburtstagsfeier 1885 in Forbach der
Kriegerverein einen Festkommerz veranstaltete und dort ein ehemaliger
französischer
Soldat
erschien,
kommentierte
dies
die
lokale
Zeitung
folgendermaβen: Es "fehlte nicht an erhebenden und erfreulichen Momenten. So
rief es z.B. allgemein freudige Bewegung hervor, als ein wackerer Landmann aus
einem benachbarten Dorfe, ein ehemaliger französischer Soldat, welcher die Kriege
in der Krim, in Italien und in China mitgemacht, mit den Denkmünzen dieser
Kriege und dem Kreuz der Ehrenlegion auf der Brust, in der Festversammlung
erschien und an der Feier theilnahm. Es war mit Einem Worte ein gelungenes
Fest."410
5.3.
Zwei nationale Konflikte – doppeltes Konfliktpotential: Der
Einfluss der Nähe Luxemburgs auf das Freizeitverhalten
Die
Verbreitung
und
Akzeptanz
der
Kriegervereine
weist
auf
einen
unterschiedlichen grenzüberschreitenden Verflechtungsgrad der Industrieregion
und des Dreiländereckes hin. Bereits im Kapitel Familie wurde auf diese Divergenz
hingewiesen
und
herausgearbeitet,
dass
eine
Verschlechterung
der
grenzüberschreitenden Verbindungen mit dem Beitritt Luxemburgs in den
Zeitung, 8.8.1889: Schmückung der Soldatengräber durch den Forbacher Kriegerverein, den
Spicherer Verschönerungsverein und dem Kriegerverein St. Arnuals. Saarbrücker Zeitung,
18.7.1893; Forbacher Zeitung, 18.7.1893, 8.8.1893. Zum Spichererberger- Turn- und
Spielfest: Saarbrücker Zeitung, 21.8.1905: Abdruck der Resultate des Spichererberger- Turnund Spielfest am 8. August. Die Teilnehmer kamen von beiden Seiten der Grenze.
410
Forbacher Zeitung, 24.3.1885. Saarbrücker Zeitung, 20.5.1885. Ähnlich hervorgehoben wurde
die Mitgliedschaft der französischen Soldaten im Saint-Avolder Kriegerverein. "Auch hat der
Verein einige alte Krieger, welche vor 1870-71 in nichtdeutscher Armee gedient,
aufzuweisen. Bravo! den alten Soldaten."
151
Deutschen Zollverein einsetzte.411 Das sich formierende Nationalbewusstsein der
Luxemburger und die damit verbundene negative Haltung gegenüber den
preußischen Grenzraumbewohnern führte auch nach dem Deutsch-Französischen
Krieg zu Konflikten zwischen den Grenzraumbewohnern und potenzierte die
nationale Abgrenzung der lothringischen von den deutschen Grenzraumbewohnern.
Dorfschlägereien
und
verbale
Auseinandersetzungen
zwischen
den
luxemburgischen und preuβischen Bewohnern stehen neben den, seit dem Beitritt
in den Zollverein intensivierten grenzüberschreitenden Kontakten. So erledigten die
preuβischen Einwohner ihre Einkäufe nicht mehr in der Kreisstadt Saarburg,
sondern in den luxemburgischen Grenzorten. Die Einwohner Luxemburgs
verhielten sich jedoch derart abweisend gegenüber diesen neuen Kunden, dass es
sogar zu Beschwerden bei den Behörden kam. Die Luxemburger würden keine
Gelegenheit auslassen die preußischen Grenzraumbewohner „aufzuhetzen und zu
beleidigen und die harmlosesten Personen mit gemeinen Schimpfreden zu
versetzen.“412 Mit den militärischen Erfolgen Preuβens im Deutschen Krieg 1866
und der Krise von 1867, ausgelöst durch den von preuβischer Seite nicht
geleisteten Verkauf Luxemburgs an Frankreich, blieb die nationale Zukunft
Luxemburgs ungewiss und verstärkte den national motivierten Abgrenzungsprozess
der luxemburgischen von den preuβischen Bewohnern. Am 11. Mai 1867 wurde
die Krise mit dem Londoner Protokoll beendet: Luxemburg wurde für neutral
erklärt und die preuβischen Truppen zogen ihre Garnison aus der Festung ab.
Nach dem Deutsch-Französischen Krieg unterstützte der luxemburgische
Nationsbildungsprozess die lothringische Protesthaltung gegen die Annexion. So
fand die pro- französische Haltung der Lothringer im öffentlichen Präsentieren der
luxemburgischen Nationalsymbole ihren Ausdruck. Die rot-weiß-blaue Fahne der
Luxemburger musste lediglich umgedreht werden, um eine französische Trikolore
zu erhalten. Der Einmarsch eines ungeladenen luxemburgischen Vereins im Jahr
411
412
Siehe Kapitel: 3.2.6. „Einfluss des Beitritts Luxemburgs in den Deutschen Zollverein auf das
Heiratsverhalten“.
LHAK, Best. 442, Nr. 6550: Landrat von Saarburg an den Reg. Präsidenten von Trier,
31.5.1867. Siehe ebenso: Minister des Inneren an den Regierungspräsidenten in Trier,
28.5.1867.
152
1886 mit gehisster luxemburgischer Fahne in die preuβische Stadt Perl, wurde von
den Bewohnern offenbar als symbolischer Einmarsch der französischen Arme und
somit als Provokation gedeutet. Die Folge war eine Massenschlägerei zwischen den
Bewohnern und den Mitgliedern des Vereins. Auch den Behörden war die
Instrumentalisierung der luxemburgischen Fahne als pro- französisches Symbol
bekannt. Vereinstreffen zwischen luxemburgischen und lothringischen Vereinen
wurden daher behördlich untersagt.413 Ereignisse wie das Musikfest in Sierck im
Jahr 1876 oder die Massenschlägereien zwischen den Grenzraumbewohnern 1886
und 1887 in Schengen und Perl, zeugen von der Höhe des Aggressionspotentials,
dass die luxemburgischen Nationalsymbole bei den lothringischen und preuβischen
Bewohner auslösten.414 Um weitere Konflikte zwischen den Nationalitäten zu
vermeiden, feierte der Siercker Kriegerverein 1888 sein Stiftungsfest im
preuβischen Nachbarort Perl.415
Die Formierung des luxemburgischen Nationalbewusstseins und der damit
verbundene Abgrenzungs- und Emanzipierungsprozess gegenüber anderen
Nationen, potenzierten die national motivierte Abgrenzung der lothringischen von
der preuβischen Bevölkerung nach 1871 und lieβ die „Nation“ im Dreiländereck
deutlicher als trennendes Element zwischen die Lothringer und Preuβen treten als
im Gebiet Forbach- Saarbrücken. Noch 1893 wurde von Luxemburg aus im
Reichsland ein Flugblatt mit dem Titel "L'Union des Patriotes Français“ verbreitet,
auf dem die Loslösung Elsass-Lothringens vom Deutschen Reich gefordert
wurde.416 In Forbach kam es auch zu antipreuβischen Zwischenfällen, diese
beschränkten sich jedoch weitestgehend auf die ersten Jahre nach dem Krieg und
waren zu keinem Zeitpunkt mit der Intensität der Konflikte im Dreiländereck
413
ADBR, 14 AL 107: Bezirkspräsident Lothringens an das kaiserliche Ministerium für ElsassLothringen, 3.8.1887. Der Turnverein Thionville erhielt nicht die Erlaubnis luxemburgische
Vereine zu einem Turnfest einzuladen.
414
Zur Schlägerei in Perl: ADBR, 14 AL 107: Bezirkspräsident an das kaiserliche Ministerium
für Elsass-Lothringen, 3.3.1887. Zur Schlägerei in Schengen: Siecker Anzeiger, 28.4.1888.
Siercker Anzeiger, 7.7.1888.
415
416
Saarbrücker Zeitung, 18.1.1893.
153
vergleichbar. Die Massenschlägereien standen hier dem Vandalismus auf dem
Soldatenfriedhof im Spicherer Ehrental oder einzelnen Provokationen gegenüber.417
Der luxemburgische Nationsbildungsprozess erhöhte das Konfliktpotential
zwischen den Grenzraumbewohnern merklich, dennoch bestanden positive
Kontakte zwischen Preuβen, Lothringern und Luxemburgern. Die familiären
Verflechtungen, die erfolgreichen Veranstaltungen des Volksvereins mit Rednern
aus dem Saarrevier und die vor und nach dem Deutsch-Französischen Krieg gut
besuchten traditionsreichen Märkte und Kirmessen auf beiden Seiten der Grenze
sind hierfür ein Beleg.418
5.4
Einfluss
der
Eliten
auf
die
grenzüberschreitenden
Verflechtungen am Beispiel des Musikvereins Cäcilia Sierck
Die Abnahme der transnationalen Verflechtungen der bürgerlichen Schichten nach
dem Deutsch-Französischen Krieg äuβerte sich sowohl in der Ausprägung der
familiären Netzwerke als auch in der Ausprägung der Vereinsverflechtungen. Wie
die nationale Protesthaltung der lokalen Eliten auf die Akzeptanz der
Eingewanderten in der Bevölkerung einwirkten und so auch die Dichte der
grenzüberschreitenden Verflechtungen beeinflussten, zeigt das Beispiel des
Musikvereins Cäcilia Sierck. Neben den strukturellen Unterschieden und dem
luxemburgischen Nationsbildungsprozess, ist die unterschiedliche Haltung der
lokalen Eliten zu den Deutschen eine weitere mögliche Erklärung für den
417
Beispielsweise: Saarbrücker Zeitung, 1.6.1889: Auf dem Schlachtfeld von Spicheren hatten
Unbekannte das Denkmal des 40 Regiments mit Steinen beworfen. Forbacher Zeitung,
14.6.1881. Ein Bewohner Forbachs hatte den Lokomotivheizer wegen seiner "Preußenmütze"
beleidigt und ihm einen Schlag mit einem Stock versetzt.
418
ADM, 2 AL 161: Kreisdirektor an den Bezirkspräsidenten, 25.11.1903. Zu den
Veranstaltungen des Volksvereins im Siercker Raum: Roth, Lorraine, 472ff. Zur Siercker
Kirmes: Siercker Anzeiger, 15.9.1888, 16.9.1900, 9.9.1905: Zum Perler Herbst Kram- und
Viehmarkt: Siercker Anzeiger, 10.10.1888.
154
divergierenden Grad der grenzüberschreitenden Integration im Industrierevier und
im ländlichen Raum.419
Bereits erwähnt wurde der Kontrast zwischen dem freundschaftlichen
Zusammentreffen preuβischer, lothringischer und luxemburgischer Vereine 1863
und der antipreuβischen Stimmung während des Festes 1876 in Sierck.420 Zwei
Jahre später im Jahr 1878 kam es zu einem ähnlichen Zwischenfall. Die
Stadtoffiziellen baten den Präsidenten des Siercker Musikvereins Monsieur Gillard,
die Karnevalsgesellschaft „Heuschreck“ aus Trier mit Musik vom Bahnhof
abzuholen. Der Vereinspräsident lehnte dies mit der Begründung ab, dass er erst
die Genehmigung des Kreisdirektors einholen müsse. Allerdings hatte die Cäcilia
kurz zuvor die luxemburgische Musikgesellschaft aus Echternach mit Musik am
Bahnhof empfangen. Ebenso lehnte der Präsident die Teilnahme der Cäcilia an der
von den Eingewanderten organisierten Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten des
Siercker Krankenhauses ab. Auf dem Wohltätigkeitsball erschien kein einziger
lothringischer Bürger, was laut Kreisdirektor vor allem auf die Nichtbeteiligung der
Cäcilia zurückzuführen gewesen sei. Die Untersuchung dieses Falles ergab, dass
einige Mitglieder eine Beteiligung der Cäcilia an dem Fest befürwortet hatten, dass
diese jedoch der Entscheidung des Präsidenten Folge geleistet hätten.421 Nachdem
sich aufgrund dieser vereinsinternen Konflikte die Cäcilia auflöste und der Verein
1893 mit nahezu identischen Mitgliedern, jedoch unter Vorsitz eines anderen
Präsidenten neu gegründet wurde,422 meldete die Zeitungen 1897 aus Sierck, dass
die Erinnerungsfeier zum 100jährigen Geburtstag Wilhem I. gemeinschaftlich vom
Veloclub, dem Männergesangverein und dem Musikverein Cäcilia organisiert
werden würde.423
419
420
421
Zur Wirkung der strukturellen Unterschiede siehe Kapitel: 3.2.5. „Binationale Ehen: Landund Industrieregion im Vergleich“. Zum luxemburgischen Nationsbildungsprozess siehe
Kapitel: 3.2.6. „Einfluss des Beitritts Luxemburgs in den Deutschen Zollverein auf das
Heiratsverhalten„.
Siehe: Kapitel 5.2.1. „Bürgerliche und katholische Vereinsverflechtungen. Eine Zäsur
zwischen Vor- und Nachkriegszeit“.
ADM, 3 AL 474, Polizeikommissar an den Kreisdirektor in Diedenhofen, 31.5.1878.
422
ADM, 3 AL 474, Brief des Kreisdirektor an den Bezirksdirektor in Metz, 4.5.1893.
423
Siecker Anzeiger, 24.3.1888; Siecker Anzeiger, 20.3.1897.
155
Diese Episode der Vereinsgeschichte des Musikvereins Cäcilia ist nur ein
Beleg neben zahlreichen anderen Ereignissen, die beweisen, wie groß der Einfluss
der Eliten auf die Haltung der Bewohner der Ortschaften war. In Saaralb beflaggten
die lothringischen Bewohner zum Anlass der Beisetzung Wilhelms I. nicht ihre
Häuser, da laut Forbacher Zeitung „wichtige Persönlichkeiten gegen Beflaggen
seien“ und sich deswegen die „anderen auch nicht trauen“ würden.424 Eine
Stigmatisierung als Freund der Deutschen wog offenbar schwerer als die
Unannehmlichkeiten, die eine Nichtbeflaggung nach sich ziehen konnte. Ebenso ist
die relativ schnelle Akzeptanz der deutschen Einwanderer in Forbach mit der
kooperativen Haltung eines Teiles der Forbacher Eliten erklärbar. So wurde die
Feier zum 70. Geburtstags Bismarcks 1885 „auch von mehreren der
hervorragenden eingeborenen Bürgern besucht“.425 1893 attestierte man den
Bewohnern des Kreises Forbach in der amtlichen Korrespondenz sogar eine
besonders kooperative Haltung während der Feier des Kaisergeburtstages.426
5.5.
Auswirkung
der
politischen
Ereignisse
auf
das
Freizeitverhalten
5.5.1.
Freizeit ohne Grenzen? Freizeit an der Grenze vor 1871
Die Staatsgrenze war für die Freizeitgestaltung kein Hindernis. Traten auf
Vereinsebene zu diesem Zeitpunkt vor allem die bürgerlichen Schichten in
grenzüberschreitenden Kontakt, trafen sich auf den Volksfesten wie den Kirmessen
und den Gärtnerei- sowie Landwirtschaftsausstellungen die weniger bemittelten
424
Forbacher Zeitung, 22.3.1888.
425
Forbacher Zeitung, 31.3.1885.
426
Forbacher Zeitung, 2.2.1893.
156
Grenzraumbewohner.427 Grundsätzlich waren die Freizeitmöglichkeiten für die
unteren Schichten durch die langen Arbeitszeiten und das geringe Einkommen
jedoch begrenzt.428 Einen Besuch der zahlreichen Ausflugslokale oder einen
Aufenthalt in den grenzüberschreitend beworbenen Kurorten konnten sich lediglich
die wohlhabenden Grenzraumbewohner leisten.429 Informationen über das
Freizeitangebot erhielten die Grenzraumbewohner in den Zeitungen.
Etablierte Ausflugslokale wie das Gasthaus „Goldene Bremm“ organisierten
zu
besonderen
Anlässen
zwischen
Saarbrücken
und
Forbach
Transportmöglichkeiten für ihre Gäste.430 Positiv beeinflusste auch die Eröffnung
der Eisenbahnstrecke zwischen Metz und Saarbrücken im Jahr 1852 und die
Einweihung der Eisenbahnverbindung Sarreguemines- Saarbrücken im Juni 1870
die Intensität der grenzüberschreitenden Freizeitaktivitäten im Industrierevier.431
Die Möglichkeiten transnationaler Freizeitgestaltung waren vielfältig und wurden
von den Grenzraumbewohnern auch genutzt. Ganz so harmonisch, wie ein Artikel
427
428
Dabei waren die traditionsreichen Kirmessen wie die Forbacher Kirmes ein besonderer
Anziehungspunkt für die Bewohner der Saargegend. Zur Forbacher Kirmes: Saarbrücker
Zeitung, 20.10.1866. Ebenso wurde die Stiringer Kirmes und die Schoenecker Kirmes in
Lothringen in der Saarbrücker Zeitung beworben. Saarbrücker Zeitung, 13.10.1855,
1.10.1859, 28.9.1859, 6.10.1859, 8.10.1859, 15.10.1859, 9.10.1869.
Herre, Günther: Arbeitersport, Arbeiterjugend und Obrigkeitsstaat 1893 –1914, in:
Sozialgeschichte der Freizeit, (Hrsg.) Gerhard Huck, Wuppertal 1980, 187ff.
429
U. a. Courrier de la Moselle, 3.7.1851: Einladung der Gärtner des Regierungsbezirks Trier zur
Gärtnereiausstellung in Metz; Courrier de la Moselle, 2.9.1851: Gärtnereiausstellung in
Luxemburg mit Teilnehmern aus Belgien, dem Departement Moselle und dem
Regierungsbezirk Trier. LHAK, Best. 442, Nr. 3422: Bericht über Landwirtschaftsfest der
Stadtbezirke Forbach und Saint-Avold 1853 mit Besuchern aus Deutschland. LHAK, Best.
403, Nr. 178: Landwirtschaftsaustellung in Metz 1868 mit besonders vielen Teilnehmern aus
den Kreisen Saarbrücken und Saarlouis. Courrier de la Moselle, 13.5.1851, 1.5.1855. LAS,
Landratsamt Saarbrücken, Nr. 804. Informationsbroschüre in französischer Sprache zum
Kurbad Rilchingen,1868.
430
Werbung für die Goldene Bremm: Saarbrücker Zeitung, 3.7.1851, 2.5.1870; Werbung für eine
Tanzveranstaltung auf der Simbacher Mühle bei Alsting: Saarbrücker Zeitung, 10.5.1851.
Zu Forbach: Saarbrücker Zeitung, 1.3.1855, 10.3.1855, 15.3.1855. Zu Sarreguemines:
Saarbrücker Zeitung, 28.6.1870. "Saargemünd hat sich seit Eröffnung der Eisenbahn eines
sehr zahlreichen Besuches von hier aus zu erfreuen." Siehe auch: Saarbrücker Zeitung,
4.6.1870, 7.6.1870. Grenzüberschreitende Vergnügungszüge: Saarbrücker Zeitung, 4.6.1863:
Vergnügungszug nach Mettlach über Saarbrücken und Trier mit Anschlüssen für Reisende aus
Forbach, Neunkirchen und Luxemburg. Saarbrücker Zeitung, 5.10.1866: Vergnügungsfahrt
von Saarbrücken über Forbach nach Paris. Saarbrücker Zeitung, 4.8.1855: Fahrt nach Paris
inklusive Eintrittskarten für die Kunstausstellung und die Industrieausstellung von
Saarbrücken über Forbach.
431
157
die Beziehungen zwischen den Einwohnern vor 1871 beschreibt, waren diese
jedoch nicht. Rückblickend meinte ein Journalist, dass „vor dem Jahre 1870 […]
zwischen der lothringischen Bevölkerung und den Bewohnern des angrenzenden
Regierungs-Bezirkes Trier ein ziemlich intimer Verkehr [bestanden] habe. An den
Sonn- und Feiertagen [habe] man oftmals ganze Schaaren (!) vergnügungslustiger
Trierer in Metz antreffen [können], die stets von der Bevölkerung gut
aufgenommen [worden waren].“432 In Zeiten auβenpolitischer Konflikte ist diese
Einschätzung des grenzüberschreitenden Freizeitverhaltens differenzierter zu
betrachten.
Bereits thematisiert wurde die Verschlechterung der Beziehungen der
Grenzraumbewohner im Dreiländereck nach dem Beitritt Luxemburgs in den
Deutschen Zollverein.433 Ebenso erhöhte der sardinisch-französische Krieg gegen
Österreich
das
Konfliktpotential
im
Grenzraum
deutlich.
Nachdem
die
französischen Truppen im Mai 1859 gegen das österreichische Heer gesiegt hatten
und die lothringischen Grenzraumbewohner mit Freudenfesten zum Sieg von
Magenta den preußischen Nachbarn die militärische Stärke der französischen
Armee demonstrierten, entstand im Grenzraum eine gereizte Stimmung, die sich
auch in Auseinandersetzungen zwischen den Bewohnern äußerte. Bereits zuvor
wurden die Aggressionen durch die mit der Eisenbahn über Forbach transportierten
französischen Soldaten geschürt, welche wiederholt Preußen und besonders die
preußischen Bahnbeamten beschimpften.434 Es waren vor allem die Bewohner der
grenznahen lothringischen Ortschaften, die versuchten, mit dem Sieg der
französischen Armee ihre preußischen Nachbarn zu provozieren. So wurde der Sieg
von Magenta in den direkt an der Grenze liegenden Ortschaften wie Forbach und
Sierck besonders ausgelassen mit Freudenfeuern bejubelt, wohingegen in Metz
432
Saar-Zeitung, 30.4.1878.
433
Siehe Kapitel: 5.3. „Zwei nationale Konflikte – doppeltes Konfliktpotential: Der Einfluss der
Nähe Luxemburgs auf das Freizeitverhalten“ und Kapitel 3.2.6. „Einfluss des Beitritts
Luxemburgs in den Deutschen Zollverein auf das Heiratsverhalten“.
434
LHAK, Best. 442, Nr. 6389: Königl. Polizeidirektor an den königl. Regierungspräsidenten in
Trier, 7.5.1859; Bericht des königl. Polizeikommissars Stoll, 6.5.1859. LHAK, Best. 403, Nr.
6575: Königl. Polizeikommissar von St. Johann an den Landrat, 6.5.1859; Brief an der
Oberpräsidenten vom Landrat von Saarbrücken, 8.5.1859.
158
oder anderen, weiter von der Grenze entfernt liegenden Städten der Sieg kaum bis
gar nicht gefeiert wurde.435 An der Grenze blieb es jedoch nicht bei den indirekten
Provokationen der
preuβischen
Bevölkerung durch die
Siegesfeiern. In
Sarreguemines sah sich die Polizei genötigt, in den Wirtshäusern eine
Bekanntmachung auszuhängen, die unter Androhung von Strafen untersagte,
„verletzende Bemerkung“ gegenüber preußischen Bürgern zu äußern.436 Besonderes
Ärgernis war offenbar ein in der Bevölkerung kursierender Witz, der von einem
französischen Soldaten handelte, der ohne Mühe sechs preußische Soldaten
besiegte.437 Dieser Witz führte an zwei aufeinander folgenden Sonntagen zu
Schlägereien zwischen den Jugendlichen des französischen Ortes Merlebach und
den Jugendlichen des preußischen Ortes St. Nikolaus. In seinem Bericht an den
Regierungspräsidenten konnte der Landrat nur schwer seine Genugtuung darüber
verbergen, dass „die jungen Leute des französischen Dorfes Merlenbach den kürzeren
gezogen“ hätten.438 An einem anderen Tag zogen etwa zwanzig Franzosen, darunter
einige
in
Grosbliederstroff
stationierte
Kurassiere,
in
das
preußische
Kleinblittersdorf und marschierten dort singend und eine Kaffeemühle drehend
durch den Ort. „Angeblich solle hier die Anspielung liegen, daß die Preußen
gleichfalls zermahlen werden würden.“439 Ebenso wurde den preußischen Behörden
gemeldet, dass Dorfbewohner eines grenznahen Ortes nach der Feier zum Sieg von
Solferino zur Grenze gezogen seien und dort einen preuβischen Zollstock
zerbrochen hätten. Hintergrund waren Streitigkeiten mit der preußischen
Nachbargemeinde,
435
436
während
des
sardinisch-französischen
Krieges
gegen
LHAK, Best. 403, Nr. 6575: Polizeikommissar an den königl. Landrat, 7.6.1859.
LHAK, Best. 403, Nr. 6575: Polizeikommissar an den königl. Landrat, 7.6.1859.
437
Eine zeichnerische Umsetzung des Witzes wurde sogar im Ministerium für Handel, Gewerbe
und öffentliche Arbeiten bekannt, als in Forbach in einem Güterwagen ein derartiges Bild
gefunden und dieses weder dort noch in Saarbrücken von den zuständigen Beamten entfernt
worden war, wies der Minister die Eisenbahndirektion an, die betreffenden Beamten auf
dieses Vergehen aufmerksam zu machen. LHAK, Best. 403, Nr. 6575: Minister für Handel,
Gewerbe und öffentliche Arbeiten an den Direktor der Eisenbahndirektion in Saarbrücken,
27.7.1859.
438
LHAK, Best. 403, Nr. 6575: Landrat von Saarbrücken an den Regierungspräsidenten,
2.7.1859. Die französische Ortsbezeichnung ist Merlebach.
LHAK, Best. 403, Nr. 6575: Landrat von Saarbrücken an den Regierungspräsidenten,
2.7.1859.
439
159
Österreich.440 Trotz dieser angespannten Stimmung in den grenznahen Orten
während und kurz nach dem Italienfeldzug, wurde für die Stiringer und die
Schoenecker Kirmes in der Saarbrücker Zeitung geworben,441 und auch die
Bekanntmachung der Sarregueminer Polizei in den Gaststätten bezüglich der
beleidigenden Bemerkungen über Preußen, zeugt von dem fortwährenden
Wirtshausbesuch der preußischen Nachbarn, trotz der angespannten Stimmung in
der Bevölkerung. Der Markt in Metz verlor ebenfalls nicht seine Anziehungskraft
auf die preuβischen Bewohner, obwohl der Redakteur des Courrier de la Moselle
meinte: „Nos voisins les Allemands, semblent nous tenir rigueur“, dass es also die
Deutschen den Franzosen übel nahmen, gewonnen zu haben.442
Ähnlich reagierten die Grenzraumbewohner auf Napoleons Pläne zur
Neuordnung Europas Mitte der 1860er Jahre, die eine Revision der Grenzen von
1815 mit einschlossen. Napoleons Vorhaben wurden durch die französische
Tagespresse im Grenzraum insofern unterstützt, dass sie in zahlreichen Artikeln die
Zugehörigkeit der Rheinprovinz zu Frankreich betonten und darüber hinaus von
einer indifferenten nationalen Haltung der deutschen Grenzraumbewohner
berichteten.443 Als der französische Kaiser nach dem Deutschen Krieg seiner
Forderung auf die Rheingrenze noch mehr Nachdruck verlieh, äuβerten sich auch
die Eliten der Grenzstädte zu den Plänen des französischen Kaisers. Am 2. Juli
1866 veröffentlichten die Wahlmänner aus Saarbrücken, Ottweiler und St. Wendel
in der Saarbrücker Zeitung einen Aufruf, in dem sie betonten, dass sie Deutsche
bleiben wollen und dass die Bewohner der Rheinprovinz „durch und durch
deutsch“ seien und man deren Nationalität respektieren solle. Jedoch behinderten
440
LHAK, Best. 403, Nr. 6575: Regierungspräsident an den Oberpräsidenten, 2.8.1859. Minister
der auswärtigen Angelegenheiten an den Innenminister, 9.11.1859.
441
Saarbrücker Zeitung, 28.9.1859, 6.10.1859, 8.10.1859, 15.10.1859, 1.10.1859.
442
Courrier de la Moselle, 10.5.1859.
443
Courrier de la Moselle, 31.5.1866, 17.5.1866, 10.5.1866, 6.2.1866, 26.7.1866, 23.6.1866,
31.5.1866, 22.5.1866.
160
auch in diesem Fall nicht die politischen Ereignisse eine rege Beteiligung der
Saarbewohner an der Forbacher Kirb, sondern die in Stiring grassierende Cholera.444
Vor Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges war der Alltag der
Grenzraumbewohner von einer Mischung aus Anspannung und Normalität
bestimmt. Obwohl sich seit der Luxemburgkrise 1867 das Verhältnis zwischen
Preuβen
und
Frankreich
deutlich
verschlechtert hatte,
unternahmen
die
Grenzraumbewohner bis kurz vor Ausbruch des Deutsch-Französischen Kriegs
Ausflüge auf die andere Seite der Grenze. Der Gersweiler Gesangverein
veranstaltete in Lothringen ein Waldfest, die traditionellen Ausflugslokale
empfingen gleichermaβen lothringische sowie deutsche Gäste, die Sarregueminer
Gastwirtschaften erhielten immer mehr Kundschaft von der Saar und die
Gesangvereine der Saarstädte erwarteten im Juni 1870 zahlreiche französische
Gäste zu ihrem Gesangsfest in Saarbrücken.445 Man rief die Stadtbewohner zur
Ausschmückung der Stadt durch Beflaggung auf, da laut eines Artikels in der
Saarbrücker Zeitung „ohne allen Zweifel eine große Zuhörermenge aus unserer
deutschen
und
französischen
Nachbarschaft
herangezogen
wird“.
Der
Artikelschreiber war sich sicher, dass es „im Interesse unserer gesammten
Bürgerschaft liegt, den Besuchern den hiesigen Aufenthalt so freundlich wie
möglich zu machen.“446 Weniger friedlich ging es im Mai 1870 an der Goldenen
Bremm zu. Ein preuβischer Wanderer, der in einem Gasthof im angetrunken
Zustand eine lothringische Hochzeitsgesellschaft störte, löste ein Handgemenge
zwischen Angehörigen der Saarbrücker Garnison und der Hochzeitgesellschaft
444
445
446
Saarbrücker Zeitung, 2.7.1866. "[…] die Hinausschiebung der sonst immer auch von hier aus
sehr besuchten Kirmes dieser Stadt hat ihren Grund in dem Umstande, dass in dem nahe und
volkreichen Styringen der unheimliche asiatische Gast eingekehrt ist und nicht unbedeutende
Opfer schon gefordert hat." Mit « asiatischer Gast » ist vermutlich die sogenannte asiatische
Cholera gemeint.
Saarbrücker Zeitung, 2.5.1870: Zusammentreffen von Deutschen und Franzosen in einer
Gaststätte an der Goldenen Bremm. Saarbrücker Zeitung, 15.7.1870: Werbung für ein
Waldfest des Gersweiler (Saar) Gesangvereins in Lothringen. Saarbrücker Zeitung, 15.6.1870:
Zum Gesangsfest in Saarbrücken. Saarbrücker Zeitung, 4.6.1870, 7.6.1870, 28.6.1870: Zur
Vermehrung der Kundschaft von der Saar in Sarregueminer Gastwirtschaften.
Saarbrücker Zeitung, 15.6.1870.
161
aus.447 Ein Journalist kommentiert diesen Vorfall wie folgt: „Es ist dies leider eine
Thatsache, einer jener beklagenswerthen Vorfälle, wie deren so manche zu
verzeichnen sind, wo junge oft übermüthige Leute zusammen kommen, und die
insbesondere da sehr leicht hervorgerufen werden, wo an einem Belustigungsort
sich zwei Nationalitäten berühren […]“.448 Laut Einschätzung des Artikelschreibers
war es vor allem der Übermut der jungen Leute, welcher zu Konflikten führte, der
Nationalitätenunterschied stellte lediglich ein zusätzliches Konfliktpotential dar.
5.5.2.
Zäsur oder alte Gewohnheiten? Das erste Jahrzehnt nach dem Krieg
„In vielen Augen sah man während der feierlichen Handlung Thränen stehen, und
mancher Hasserfüllte Blick aus schönen Frauenaugen traf die der Feierlichkeit
anwohnenden Deutschen. […] Von den männlichen Theilnehmern des Zuges hörte
man wohl hie und da ein vereinzeltes „Vive la France!“ oder ein gemurmeltes „Au
jour de la révanche“ ec., aber ihre Antipathie scheint mir lange nicht so intensiv zu
sein, wie die der Damen.“ So lautet der Bericht des Journalisten der Saarbrücker
Zeitung über die Einweihung des Denkmals für die gefallenen französischen
Soldaten in Forbach im August 1872.449 Die Intensität der national motivierten
Konflikte
der
Grenzraumbevölkerung
war
während
der
vorherigen
auβenpolitischen Konflikte deutlich geringer als in den ersten Jahren nach der
Annexion. Entluden sich nationale Ressentiments vor dem Krieg eher in harmlosen
Sticheleien, kam es nach dem Krieg nicht nur während der zahlreichen
Gedächtnisfeiern zu antideutschen Demonstrationen, sondern auch im Alltag
wurden Deutsche in Lothringen Opfer von Übergriffen. Noch während des Krieges
weigerte sich laut Saarbrücker Zeitung ein Delikatessenhändler, einen Kaufmann
aus Saarbrücken zu bedienen. "Ehe diese Sardinen gegessen sein werden, [wird]
noch viel, viel Preußenblut fließen, bis sie alle vernichtet sind, die Bismarcker!",
447
Saarbrücker Zeitung, 2.5.1870.
448
Saarbrücker Zeitung, 2.5.1870.
449
Saarbrücker Zeitung, 27.8.1872.
162
war sich der Händler sicher.450 In Forbach wurden nach dem Krieg preußische
Besucher von einer Gruppe lothringischer Männer und Frauen beleidigt und tätlich
angegriffen.451 Provokationen erfolgten auf beiden Seiten des Grenzraumes. Beim
Saarbrücker Karnevalsumzug 1972 machte man sich auf den Themenwagen über
das französische Militär lustig, sodass auch hier eher Konfliktpotential als die
Möglichkeit eines positiven Kontaktes der Grenzraumbewohner bestand.452 Die
Meldungen über Auseinandersetzungen zwischen Lothringern und Deutschen
nahmen zwar in den folgenden Jahren ab, sind jedoch immer noch in den Akten
und Zeitungen präsent.
Auf den ersten Blick deuten die Zeitungen auf eine weiterhin dichte
Verflechtung im Freizeitbereich hin, genauer betrachtet war es jedoch vor allem der
„Siegertourismus“, der zu vermehrten Ausflügen nach Lothringen animierte - die
aus dem Reich eingewanderten Deutschen erkundeten ihre neue Heimat.
Rundreisetickets regten zu ausgedehnten Bahnreisen durch Elsass-Lothringen an
und Ausflugslokale in Lothringen warben vermehrt um die deutsche Kundschaft.453
Diese Form der grenzüberschreitenden Ausflüge führte oftmals zu verbalen und
körperlichen
Auseinandersetzungen
zwischen
den
Ausflüglern
und
den
Lothringern.454 Ein Zeichen der grenzüberschreitenden Integration waren diese
Freizeitaktivitäten demnach nicht.
Sicherlich
waren
die
grenzüberschreitenden
Verflechtungen
im
Freizeitbereich in den ersten Jahren nach dem Krieg weniger intensiv als in den
Vorkriegsjahren. Der Protest der Lothringer richtete sich jedoch vor allem gegen
die
eingewanderten
Deutschen
und
nicht
gegen
die
alteingesessenen
Grenzraumbewohner. Offensichtlich wird dies an der Kontinuität der positiven
grenzüberschreitenden Kontakte. So nahm bereits 1873 der Forbacher Musikverein
450
451
Saarbrücker Zeitung, 20.9.1870.
Forbacher Zeitung, 10.7.1872.
452
Saarbrücker Zeitung, 15.2.1872.
453
Zu den Rundreisetickets: Saarbrücker Zeitung, 30.5.1873. Zu den Ausflugslokalen für
Eingewanderte: Saarbrücker Zeitung, 4.5.1871, 21.9.1871, 24.12.1871. In Remilly
beispielsweise pries ein Lokal seine deutsche Küche und sein deutsches Casino an.
Aufsehen erregte die Misshandlung eines preußischen Ehepaares, welches die Stadt Pont à
Mousson besichtigen wollte. Saarbrücker Zeitung, 10.8.1873; 31.8.1873.
454
163
Concordia an einem Fest anlässlich der Fahnenweihe in St. Johann teil.455 Die
Concordia war 1869 auf Initiative der nach Lothringen eingewanderten Arbeiter
der Firma Adt gegründet worden und hatte sowohl deutsche als auch lothringische
Mitglieder.456 Ebenso wurden direkt nach dem Krieg wieder die Kirmessen auf der
anderen Seite der Grenze beworben und auch das Kurbad Rilchingen versuchte
erneut Gäste aus Lothringen anzuziehen.457 Ein weiterer Beweis für die
Beständigkeit
der
positiven
grenzüberschreitenden
Beziehungen
ist
die
gegenseitige Hilfe der Grenzgemeinden bei Bränden auch nach dem Krieg. Da
diese Form der Solidarität auch zwischen lothringischen Gemeinden nicht
selbstverständlich war, ist die Bedeutung dieser dörflichen Solidarität als
Gradmesser grenzüberschreitender Integration nicht hoch genug einzuschätzen.458
Die guten nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen der Saarregion und
dem lothringischen Teil des Grenzraumes wurden durch den Krieg nicht
unterbrochen, jedoch erfüllte sich die Hoffnung der eingewanderten Deutschen
durch grenzüberschreitende Kontakte auf Freizeitebene, jene durch Krieg und
Annexion entstandenen „Empfindlichkeiten vergessen zu machen“ nicht.459 Mit
Blick auf die Verbindungen der alteingesessenen Grenzraumbewohner, ist jedoch
die pessimistische Einschätzung eines Journalisten übertrieben, der im Jahr 1878
meinte, dass „eine Annäherung der beiden Nationalitäten bis jetzt durchaus als
gescheitert zu betrachten ist.“460
455
Saarbrücker Zeitung, 17.7.1873.
456
ADM, 3 AL 434.
Zu den Kirmessen: Forbacher Zeitung, 25.8.1872; Saarbrücker Zeitung, 7.10.1873,
18.10.1873; Saarbrücker Zeitung 8.10.1876, 21.10.1876, 22.10.1876. Beworben wurden die
Malstätter, Forbacher, Spicherer, Grosbliedertroffer und Schoenecker Kirmes. Zum Kurbad
Rilchingen: Courrier de la Moselle 17.5.1872.
Courrier de la Moselle, 3.6.1869: Hilfe der Großrosseler Bürger beim Brand in PetiteRosselle; Courrier de la Moselle, 25.8.1863: Hilfe der Biringer Bürger beim Brand in
Waldwisse; Forbacher Zeitung, 29.8.1872: Hilfe der Großrosseler Bürger beim Brand in
Petite-Rosselle; Saarbrücker Zeitung 29.8.1873: Brand in Kleinblittersdorf, der u. a. von
Bewohnern aus Grosbliederstroff gelöscht wurde; Diedenhofener Zeitung, 22.4.1876: Ein
Feuer in Apach wurde gemeinschaftlich von der Siercker und Perler Feuerwehr gelöscht;
Forbacher Zeitung, 9.5.1889; 11.5.1889: Berichte über die mangelnde gegenseitiger
Brandhilfe lothringischer Gemeinden.
Forbacher Zeitung, 12.1.1873.
457
458
459
460
Saar-Zeitung, 30.4.1878.
164
Positive grenzüberschreitende Verbindungen bestanden auch nach dem
Deutsch-Französischen Krieg. Jedoch spiegelt sich im Freizeitverhalten der
Grenzraumbewohner deutlich wider, dass das Konfliktpotential innerhalb der
Bevölkerung nach dem Krieg 1870/71 höher war und dauerhafter präsent blieb als
bei vorangegangenen auβenpolitischen Konfliktsituationen. Erst mit dem DeutschFranzösischen Krieg nahm die Intensität grenzüberschreitender Verfechtungen
zumindest in den ersten Nachkriegsjahren merklich ab.
5.5.3.
Der Weg der Normalisierung. 1880 bis 1904
In den 1880er Jahre vermehrten sich die Meldungen über grenzüberschreitende
Freizeitaktivitäten deutlich. Die Zeitungen berichteten wieder über die zahlreichen
Kirmes- und Karnevalsbesucher von der anderen Seite der Grenze.461 1889 war der
Andrang zum Saarbrücker Karnevalsumzug so groß, dass im Forbacher Bahnhof
sogar Gepäckwagen zum Personentransport eingesetzt werden mussten. Dass sich
die Saarbrücker Bevölkerung während des Karnevalsumzuges kurz nach dem Krieg
über das unterlegene französische Heer lustig gemacht hatte, war 1889 für die
Besucher aus Lothringen offenbar kein Hinderungsgrund mehr.462 Nicht nur die
traditionellen Volksfeste und Ausflugslokale zogen die Menschen wieder auf die
andere
Seite
der
Grenze,
sondern
auch
Theatervorstellungen,
Landwirtschaftsausstellungen und Zirkusveranstaltungen.463 Allgemein groß war
der Andrang der sonntäglichen Ausflügler aus Forbach, die sich nach Saarbrücken
461
Siecker Anzeiger, 15.9.1888: Kirmes in Sierck; Saarbrücker Zeitung, 12.10.1881: Kirmes in
Forbach; Saarbrücker Zeitung, 8.10.1889: Kirmes in Stiring-Wendel, Petite-Rosselle,
Forbach.
462
Forbacher Zeitung, 7.3.1889.
Forbacher Zeitung, 11.3.1901: Theaterbesucher aus Forbach hatten Probleme mit der
Rückfahrt von Saarbrücken nach Forbach; Saarbrücker Zeitung, 16.3.1901, 2.11.1901,
18.9.1901: Werbende Artikel für das Theater in Saarbrücken (erschienen ganzjährig);
Forbacher Bürgerzeitung, 16.3.1908: Erfolgreich war auch ein Gastspiel des Saarbrücker
Thaliatheaters in L’Hôpital; Saarbrücker Zeitung, 5.5.1885; Forbacher Zeitung, 7.5.1885:
Landwirtschaftliche Ausstellungen: Sieg eines Forbachers bei der Geflügelausstellung. Die
Ausstellung wurde von zahlreichen Forbacher Bürgern besucht. Siercker Anzeiger, 14.4.1888:
Der Circus Corty-Althof gastierte in Trier: Besucher hätten sich positiv über die Vorstellung
geäuβert, auβerdem könne man mit dem letzten Zug nach Sierck zurückfahren.
463
165
begaben. So beschwerte sich 1897 ein Forbacher Wirt über die frühe Sperrstunde
bei den Behörden. „An schönen Sonntagen , wenn alles zu Fuß nach Saarbrücken
wandert, man schon den ganzen Tag dadurch nichts zu thun hat und nun des
abends, wenn alles mit dem letzten Zug nach Hause fährt man dann noch einiges
verkaufen könnte, nur muß man vorher schon schließen.“ Die Sperrstunde wurde
auf 24 Uhr verlegt.464 Die zahlreichen Vereinsneugründungen trugen ebenfalls zu
vermehrten Kontakten über die Grenze hinweg bei.465 Immer häufiger trafen sich ab
den 1890er Jahren lothringische Vereine und Vereine aus der Saargegend zu
Fahnenweihen, Sommerfesten, geselligen Nachmittagen und Stiftungsfesten. 466
5.5.4.
Miteinander oder Konfrontation? Die letzten zehn Jahre vor Beginn
des Ersten Weltkrieges
Die Anwendung des Reichsvereinsgesetzes im März 1908 im Reichsland ElsassLothringen gab den pro-französischen Teilen der Bevölkerung nunmehr die
Möglichkeit, sich vereinsmäßig zu organisieren. Ein Wiederaufleben eines
französischen Nationalismus war in Lothringen deutlich spürbar.467 Profranzösische
Vereine
existierten
in
direkter
Grenznähe
lediglich
in
Sarreguemines.468 Jedoch erfasste der neue französische Patriotismus ebenso den
464
465
ADM, 13 Z 62: Wirt Franz Foerster an den Bezirkspräsidenten, 25.5.1897; Antwort des
Kreisdirektors und des Bürgermeisters vom 25./22.6.1897.
Siehe Kapitel: 5.2.1. „Bürgerliche und katholische Vereinsverflechtungen. Eine Zäsur
zwischen Vor- und Nachkriegszeit“.
466
Auszugsweise einige weitere Veranstaltungen: 1885 wurde ein großes Sängerfest in Forbach
von der Forbach Concordia mit Beteiligung weiterer lothringischer Vereine und Vereinen aus
dem Saarrevier veranstaltet. Forbacher Zeitung, 26.3.1885, 9.7.1885, 14.7.1885, 16.7.1885,
Saarbrücker Zeitung, 15.7.1885; Veranstaltungen der Kriegervereine: Der Kriegerverein
Merlebach feiert seine Fahnenweihe mit 20 Vereinen aus Lothringen u. a. aus Petite-Rosselle
und der Saargegend: Saarbrücker Zeitung, 14.8.1889. Das Fahnenweihefest in Petite-Rosselle
„gestaltete sich zu einem Volksfeste“. Anwesend waren die Kriegervereine aus Forbach,
Ludweiler, Metz und Großrosseln sowie der Forbacher Turnverein. Saarbrücker Zeitung,
12.9.1889.
467
Siehe hierzu: Roth, Lorraine, 543ff.
468
Zu den antideutschen Aktionen des Souvenir- Lorraine Vereins in Sarreguemines:
Saarbrücker Zeitung, 6.7.1912, 29.7.1912.
166
Forbacher Raum. 1908 meinte ein Journalist, dass auch in Forbach die
Kategorisierung der Einwohner Lothringens in Eingewanderte und alteingesessene
Lothringer an "gewisse niedrige Instinkte der Massen appellieren" könne.469 Ebenso
meldeten die Zeitungen aus der Gegend um Forbach steigende Teilnehmerzahlen
bei den Feierlichkeiten zum französischen Nationalfeiertag in Nancy.470
Dieser neubelebte französische Patriotismus erfasste jedoch nur Teile der
lothringischen Bevölkerung. Ähnlich lautet die Einschätzung des Kreisdirektors
von Thionville, der dem Bezirksdirektor berichtete, dass in Moyeuvre-Grande ein
Union Lorraine Verein bestehe, in dem auch Deutsche Mitglied seien. Was ihn zu
dem Schluss kommen lieβ, dass es übertrieben sei, anzunehmen, dass in dem
Verein nur der „französische Sinn“ gepflegt werde.471 Ebenso blieben die
Beziehungen zu den deutschen Nachbarn an der Saar von dem „neuen“
französischen Patriotismus offenbar unberührt. Die Zeitungen zeugen vielmehr von
einer Zunahme der Kontakte. Zahlreich sind beispielsweise die Artikel über die
gemeinsame Teilnahme der Sportvereine beiderseits der Grenze an Wettkämpfen
und Festen.472 Um die Menschenmassen zur beliebten Forbacher Kirmes und die
Pfingstausflügler von der einen auf die andere Seite der Grenze zu transportieren,
469
470
Forbacher Büger-Zeitung, 19.9.1908. Ein anderer Vorfall aus dem Jahr 1905: Während der
sonst harmonisch verlaufenden Kaisergeburtstagsfeier wurde Zurückhaltung „von einer nicht
näher zu bezeichnenden Seite an den Tag gelegt." Forbacher Zeitung, 1.2.1905.
"Ich sehe immer noch wie vieler Augen leuchteten bei jedem Wink, den sie erhielten dort
oben auf dem Carnot-Platz. In der Truppe steckt was drinn (!)." Forbacher Bürgerzeitung,
16.7.1904.
471
ADM, 3 AL 420, 6.8.1912: Brief der Kreisdirektors an den Bezirksdirektor.
472
U. a.: Saarbrücker Zeitung, 14.11.1909: Stiftungsfest des RV Edelweiss Carling. Es nahmen
auch teil der RV Saarbrücken und Malstatt-Burbach. Forbacher Bürger-Zeitung, 13.5.1908.
Fussballspiel St. Arnual gegen FC "Viktoria" St. Arnual. Forbacher Bürger-Zeitung 3.5.1910:
Fussballspiel Petite-Rosselle gegen Völklingen. Forbacher Bürger-Zeitung, 8.3.1910:
Fussballspiel Forbach gegen Ludweiler. Forbacher Zeitung, 25.5.1910: Turnwettkampf in
Saarbrücken. Es beteiligte sich auch der Turnverein Forbach. Forbacher Bürger-Zeitung,
31.5.1910: Fussballspiel: Großrosseln gegen Petite-Rosselle. Forbacher Bürger-Zeitung,
18.05.1910: Fussballspiel Sportclub Petite Roselle gegen FC Germania Großrosseln.
Saarbrücker Zeitung, 1.7.1912: Turnfest in Saarbrücken, beteiligt war auch der TV
Schoeneck. Zur integrativen Wirkung der Fuβballvereine in Lothringen siehe: Wahl; Pivot,
I’introduction, 22ff.
167
musste die Bahn Sonderzüge einsetzen.473 Theatervorstellungen in Saarbrücken
zogen Besucher aus dem Forbacher Raum an und Forbach hatte sich zu einem
beliebten Ort für die Sonntagsausflügler aus dem Saarbrücker Raum entwickelt.474
Die
beschriebenen
ausgeprägten
grenzüberschreitenden
Kontakte
widersprechen nicht dem „neuen“ französischen Nationalismus. Vielmehr
beweisen diese, dass sich Teile der lothringischen Bevölkerung mit der
Anwesenheit der deutschen Besatzer als Repräsentanten des Deutschen Reiches
beziehungsweise mit der Annexion lediglich arrangiert hatten. Dass sich die
antideutsche Haltung der Lothringer auf die deutsche Regierung und nicht auf die
deutschen Nachbarn an der Saar bezog, illustriert folgende in der Saarbrücker
Zeitung abgedruckte Anekdote. Als 1909 Turner aus dem Saarbrücker Raum unter
der Leitung ihres Trainers in einen lothringischen Ort einmarschierten und die
Sportler auf die Frage einer Einwohnerin des Ortes erzählten, dass sie deutsche
Turner seien, verstand die lothringische Frau anstatt „Turner“ „Tour“ und
schimpfte: „O die grausame preußische Regierung! So nette junge Leute ins Tour
(in den Turm) einzusperren!“475
5.6.
Zusammenfassung
Erst der Deutsch-Französische Krieg beeinflusste merklich das Freizeitverhalten.
Vorangegangene
kriegerische
Auseinandersetzungen
oder
außenpolitische
Spannungen hatten einen weitaus geringeren Effekt auf das Verhalten der
Grenzraumbewohner. Die Ergebnisse des Kapitels „Familie“ werden hiermit
bestätigt und dahingehend ergänzt, dass die Präsenz des Identifikationselementes
„Nation“ bei angespannter außenpolitischer Lage im Grenzraum spürbar war, ohne
473
Saarbrücker Zeitung, 8.10.1909: Forbacher Kirmes. Forbacher Zeitung, 14.5.1910: Sonderzug
zu Pfingsten Metz – Forbach- Saarbrücken.
474
U. a.: Forbacher Zeitung, 11.1.1910, 14.1.1910, 28.1.1910, 15.3.1910: Informationen zu den
Theatervorstellungen in Saarbrücken. Forbacher Bügerzeitung, 29.3.1910: Zum Ausflugsort
Forbach: "[…] besonders wird der sonntägliche Zufluß Saarbrücker Touristen stets stärker."
475
Saarbrücker Zeitung, 13.3.1909.
168
jedoch negativ auf die Intensität der grenzüberschreitenden Freizeitaktivitäten
einzuwirken.
Trotz der Kontinuität der positiven grenzüberschreitenden Verbindungen
nach dem Deutsch-Französischen Krieg, verdeutlicht der Blick auf die
Freizeitverflechtungen, dass während der Annexion Lothringens zumindest in den
ersten Jahren nach dem Krieg das Konfliktpotential deutlich anstieg, und die
positiven Kontakte der Grenzraumbewohner abnahmen. Im Laufe der 1880er Jahre
intensivierten sich jedoch die Freizeitverflechtungen bereits wieder und die weitere
Zunahme der transnationalen Verflechtungen in den 1890er Jahren deutet darauf
hin, dass die nationale Grenze vor allem die Lothringer von den Eingewanderten
als
Repräsentanten
der
unerwünschten
Staatsmacht
trennte,
aber
keine
Trennungslinie zwischen den Grenzraumbewohnern darstellte.
Die
Analyse
des
Freizeitverhaltens
bestätigt
die
Abnahme
der
grenzüberschreitenden Verflechtungen der bürgerlichen Schichten auch auf
Vereinsebene und wies nach, dass die Verbindungen vor dem Krieg 1871 auf der
Basis gemeinsamer politischer Ideale aufbauten, die nach dem Krieg keine
integrative Wirkung mehr besaβen. Die bürgerlichen Schichten förderten in einigen
Orten auf lothringischer Seite nunmehr die national motivierte Abgrenzung der
übrigen
Stadtbewohner
und
beeinflussten
so
die
Intensität
der
grenzüberschreitenden Verflechtungen. Die unterschiedlichen Auswirkungen des
Deutsch-Französischen Krieges auf die grenzüberschreitenden Verflechtungen in
der Industrieregion Forbach/Saarbrücken und im Dreiländereck, korrespondieren
mit der schnellen Anpassung der führenden Persönlichkeiten Forbachs an die neuen
Machtverhältnisse und der ablehnenden Haltung der Eliten in der Gegend um
Sierck.
Neben der divergierenden Haltung der Eliten der Region um Forbach und
Sierck zu den Besatzern, wurde im Siercker Raum die Segregation nach 1871 im
Gegensatz
zur
Gegend
Nationsbildungsprozess
grenzüberschreitenden
um
verstärkt.
Forbach
Die
Identifikationsraumes
durch
den
luxemburgischen
unterschiedliche
auf
dem
Land
Intensität
des
und
der
in
Industrieregion spiegelt sich auch im Kriegervereinswesen wider. Stieβen die
169
Kriegervereine in vielen lothringischen Orten auf die Ablehnung der lokalen
Bevölkerung, organisierten sich in den Vereinen des Kohlenreviers Lothringer und
Eingewanderte. Die stärkere Präsenz der nationalen Grenze als trennendes Element
im ländlichen Raum in Richtung Dreiländereck ist jedoch nicht gleichbedeutend
mit
dem
Nichtvorhandensein
grenzüberschreitender
Verflechtungen.
Der
beachtliche Anteil der grenzüberschreitenden familiären Verflechtungen und die
erfolgreichen grenzüberschreitenden Aktivitäten der katholischen Organisationen
sowohl auf dem Land als auch in der Industrieregion, zeugen von der Existenz
eines grenzüberschreitenden Identifikationsraumes im Industriegebiet wie auch auf
dem Land.
Die Bedeutung der katholischen Konfession als integratives Element wird
anhand des Freizeitverhaltens der Grenzraumbewohner bestätigt. Auf beiden Seiten
der Grenze schlossen sich Katholiken in Vereinen zusammen und formten durch
intensive grenzüberschreitende Kontakte ein transnationales katholisches Milieu.
Parallel zu diesen Vernetzungen des katholischen Teiles der Bevölkerung,
bestanden grenzüberschreitende, aber nicht transnationale Verbindungen der
bürgerlich- deutschen Bevölkerungsteile. Diese Verflechtungen zwischen den nach
Lothringen eingewanderten Deutschen und den Bürgern der Saarregion weisen
neben einer nationalen und sozialen auch eine konfessionelle Homogenität auf.
Dass die grenzüberschreitend organisierte protestantische Bevölkerung in
Opposition zu den katholischen transnational organisierten Bevölkerungsteilen
stand, wird im folgenden Kapitel „Kirche“ thematisiert.
170
6.
Kirche
Nationalismusforschung,
Religionswissenschaft
und
Kirchengeschichte
beschäftigen sich seit einigen Jahren intensiv mit der wechselseitigen Prägung der
Identifikationssysteme Nation und Religion.476 Zum einen wurden auf Nationen
Funktionen und Ausdrucksformen der Religion übertragen, zum anderen erfolgte in
einem Prozess, in dem der Gläubige das Werte- und Deutungssystem der Nation in
sein Denken und Handeln aufnahm, eine Nationalisierung der Religion. Mit Blick
auf die katholische Kirche entsteht ein latenter Widerspruch zwischen einer
transnationalen, auf die Autorität des Papstes ausgerichteten katholischen
Gesamtkirche und der Nationalisierung des katholischen Glaubens.477 In den
vorangegangen Kapiteln wurde auf die Bedeutung des katholischen Glaubens für
die Ausprägung des grenzüberschreitenden Identifikationsraumes hingewiesen. Die
folgenden Abschnitte stellen hingegen den Widerspruch zwischen Transnationalität
und Nationalität des Katholizismus im Saar-Mosel- Raum in das Zentrum des
Interesses.
476
Zum Verhältnis von Nation und Religion siehe u. a. die Sammelbände: Haupt, Heinz-Gerhard;
Langewiesche, Dieter (Hrsg.): Nation und Religion in der deutschen Geschichte, Frankfurt M.
2001; Haupt, Heinz-Gerhard; Langewiesche, Dieter (Hrsg.): Nation und Religion in Europa.
Mehrkonfessionelle Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2004. Schulze
Wessel, Martin (Hrsg.): Nationalisierung der Religion und Sakralisierung der Nation im
östlichen Europa, Stuttgart 2006. Eine Neuerscheinung zu dem Thema von Urs Altermatt ist
für Oktober 2007 geplant: Urs, Altermatt: Katholizismus zwischen Konfession, Nation und
Rom.
477
Besonders deutlich wird der Zusammenhang zwischen Katholizismus und Nationalismus
anhand des polnischen Nationsbildungsprozesses. Siehe hierzu: Kriedte, Peter: Katholizismus,
Nationsbildung und verzögerte Säkularisierung in Polen, in: Säkularisierung,
Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa. Bilanz und Perspektiven
der Forschung, (Hrsg.) Hartmut Lehmann, Göttingen 1997, 149-174. Karp, Hans Jürgen: Die
deutsch-polnische Grenze: Identität und Konfession, in: Grenzen und Grenzräume, in der
deutschen und polnischen Geschichte. Scheidelinie oder Begegnungsraum?, (Hrsg.) Georg
Stöber, Robert Maier, Hannover 2000, 109-120.
171
6.1.
Transnationalität der Volksfrömmigkeit und religiösen Praxis im
Grenzraum
Das religiöse Leben katholischer Gläubiger wird durch die Verehrung der Heiligen
und den Kirchgang bestimmt. Wallfahrten als wichtiger Bestandteil der
katholischen Volksfrömmigkeit bieten sich als Untersuchungsobjekt für die Frage
nach der Transnationalität oder Nationalisierung des katholischen Glaubens im
Grenzraum besonders an, da sich in ihnen beide Deutungsarten des Katholizismus
widerspiegeln.478 Auf der einen Seite konnten sich die Pilger und deren soziales
Umfeld, das ebenfalls an dem Vorhaben der Wallfahrt Anteil nahm, durch die
gemeinschaftliche,
grenzüberschreitende
Gottesverehrung
als
eine
Glaubensgemeinschaft erfahren.479 Auf der anderen Seite steht die nationale Lesart
der
Heiligenverehrung.480
Das
Nebeneinander
von
transnationalen
Wallfahrtsbewegungen und der national aufgeladenen Debatte um die beiden
Marienwallfahrtsorte Marpingen und Lourdes zeigt deutlich den Widerspruch
zwischen der transnationalen und nationalen Prägung des Katholizismus auf.
478
Wallfahrt wird in diesem Kapitel als ein Oberbegriff für „die verschiedenen Formen des
religiösen Unterwegsseins zu einem heiligen Ort“ verstanden. Schneider, Bernhard: Wallfahrt
und Kommunikation – Kommunikation über Wallfahrt. Einleitende Bemerkungen zu einem
Forschungsfeld, in: Wallfahrt und Kommunikation – Kommunikation über Wallfahrt, (Hrsg.)
Bernhard Schneider, Mainz 2004, 10.
479
Schneider, Wallfahrt, 11f.
480
Die nationale Aufladung der Heiligenverehrung wird besonders deutlich am Beispiel Polens:
Laube, Stefan: Nationaler Heiligenkult in Polen und Deutschland. Ein erinnerungspolitischer
Vergleich aus dem 19. Jahrhundert, in: Nationalisierung der Religion und Sakralisierung der
Nation im östlichen Europa, (Hrsg.) Martin Schulze Wessel, Stuttgart 2006, 31-49.
172
6.1.1.
Die Trierer Wallfahrten von 1844 und 1891
Den mit Abstand größten grenzüberschreitenden Pilgerstrom löste die Ausstellung
des sogenannten „Heiligen-Rockes“ in Trier aus. Trotz der schlechten
Verkehrsverbindungen pilgerten vom 18. August bis zum 6. Oktober 1844 etwa
eine halbe Million Gläubige, darunter zahlreiche Grenzraumbewohner, nach
Trier.481 Die Artikel der Gazette de Metz et de Lorraine geben einen Eindruck vom
Andrang der Pilger aus Lothringen und von der Begeisterung mit der sie ihre
Pilgerreise nach Trier unternahmen.482 In Trier fände „ein Treffen zwischen
„Frankreich und Deutschland“ statt und unter den Pilgern entstehe der Eindruck,
dass in Trier die „Nationen Europas mit einem Gefühl der Brüderlichkeit
zusammentreffen“ würden, hieβ es in einem Artikel und einem Leserbrief.483 Laut
der Gazette de Metz et de Lorraine würden sich aus Lothringen ohne Unterlass
Ströme von Fußgängern und Wagen auf dem Weg nach Trier befinden.484 Sicherlich
betonte die lothringische, katholisch orientierte Presse die Massenbewegung nach
Trier, um die Bedeutung der katholischen Glaubensgemeinschaft gegenüber der
laizistischen Bewegung in Frankreich hervorzuheben, jedoch bestätigen die
481
Zum grenzüberschreitenden Aspekt der Rockwallfahrt: Gazette de Metz et de Lorraine,
28.9.1844. Gazette de Metz et de Lorraine, 25.7.1844: Verlängerung der Ausstellung bis zum
6. Oktober. Dohms, Peter: Rheinische Wallfahrten des 19. und 20. Jahrhunderts im
Spannungsfeld von Staat und Kirche, in: Landeskundliche Vierteljahrsblätter, 48 (2002) 15;
Blackburn, David: Wenn ihr sie wieder seht, fragt wer sie sei. Marienerscheinungen in
Marpingen - Aufstieg und Niedergang des deutschen Lourdes, Hamburg 1997, 85. Zentral zur
Rockwallfahrt 1844: Schieder, Wolfgang: Kirche und Revolution. Sozialgeschichtliche
Aspekte der Trierer Wallfahrt von 1844, in: Archiv für Sozialgeschichte, 14 (1974) 419-454.
482
U. a.: Vorberichte: Gazette de Metz et de Lorraine, 18.6.1844; Gazette de Metz et de Lorraine,
9.7.1844; Gazette de Metz et de Lorraine, 25.7.1844. Berichte über die Pilgerströme: Gazette
de Metz et de Lorraine, 20.8.1844, 22.8.1844, 22.8.1844, 27.8.1844, 31.8.1844, 10.9.1844,
14.9.1844, 17.9.1844, 19.9.1844, 1.10.1844, 28.9.1844, 5.9.1844.
483
Gazette de Metz et de Lorraine, 8.10.1844. Gazette de Metz et de Lorraine 10.9.1844. Zur
Internationalität der Rockwallfahrt siehe auch: Gazette de Metz et de Lorraine, 25.9.1844.
484
Gazette de Metz et de Lorraine, 7.9.1844. Gazette de Metz et de Lorraine, 208.1844: Auch per
Schiff fuhren Pilger von Metz nach Trier. Gazette de Metz et de Lorraine, 25.9.1844:
Teilweise würden sich ganze Städte nach Trier begeben, begleitet von dem Ruf „Gott will es“.
Gazette de Metz et de Lorraine, 5.9.1844: Immer mehr Menschen würden aus den
Departements Meuthe, Haute und Bas-Rhin, aus „Deutschlothringen“ („de la Lorraine
allemande“), aus der Pfalz und aus der Rheinprovinz nach Trier pilgern. Ebenfalls über die
Beteiligung der Lothringer an der Wallfahrt. Gazette de Metz et de Lorraine 19.9.1844;
25.9.1844.
173
Berichte der Behörden zum Anlass der Rockwallfahrt des Jahres 1891 die starke
Beteiligung der Lothringer an der Wallfahrt des Jahres 1844.
Am 20. September bis 4. Oktober 1891 wurde der „Heilige Rock“ zum
zweiten Mal ausgestellt. Im Vergleich zum Jahr 1844 verdoppelte sich die
Gesamtzahl der Pilger auf eine Million.485 Nicht nur die Eisenbahn als neues
Transportmittel war für diesen Anstieg der Pilgerzahl verantwortlich, auch der
zurückliegende Kulturkampf, mit den damit einhergegangenen Einschränkungen
des religiösen Lebens, motivierte zahlreiche Katholiken, nach Trier zu pilgern, um
so ihren Glauben öffentlich zu demonstrieren.486 1891 zogen erneut viele
lothringische
Grenzraumbewohner,
unter
anderem
wegen
der
positiven
Erinnerungen an die Rockwallfahrt 1844, nach Trier. Der Siercker Anzeiger
berichtete im Juni 1891 darüber, dass die Nachricht über die Ausstellung des
„Heiligen Rockes“ in Lothringen mit großer Freude aufgenommen worden sei.487
Zügeweise fuhren die Pilger aus dem gesamten lothringischen Grenzgebiet nach
Trier.488 Der Andrang auf die Pilgerzüge war so groß, dass die Reichsbahn aufgrund
des Mangels an Personenwagons Güterwagen zum Transport der Pilger einsetzen
musste.489 Die Zentralleitung der Pilgerfahrten hatte eine Übersicht der
angemeldeten Pilgerzüge erstellt. Allein aus dem deutschsprachigen Teil
Lothringens begaben sich etwa 20000 Pilger aus Saint-Avold, Koenigsmacker,
485
Korff, Gottfried: Formierung der Frömmigkeit. Zur sozialpolitischen Intention der Trierer
Rockwallfahrten 1891, in: Geschichte und Gesellschaft, 3 (1977) 360.
486
Blackburn, Marienerscheinungen, 88.
Siecker Anzeiger, 13.6.1891: Die Nachricht über die Ausstellung des „Heiligen Rockes“ in
Lothringen sei mit großer Freude aufgenommen worden. Die älteren Leute würden sich an die
letzte Ausstellung noch erinnern. BAT, Abt. 91, Nr. 249a, Blatt 13: Der Geistliche von HauteKontz schrieb in einem Brief an den Bischof Korum, dass er zunächst erstaunt über die große
Anzahl der Pilger aus seiner Gemeinde gewesen sei, er jedoch später erfahren habe, dass
einige Gemeindemitglieder bereits 1844 die Pilgerreise nach Trier unternommen hatten, und
dass es dort zu Wunderheilungen gekommen sei. Viele Gemeindemitglieder wollten
deswegen auch die Ausstellung 1891 miterleben.
Forbacher Zeitung, 1.9.1891: Am 31. August führen etwa 1200 Pilger aus den Pfarreien
Forbach, Oeting, Kerbach und Bousbach vom Forbacher Bahnhof nach Trier. Siecker
Anzeiger, 29.8.1891: Ankündigung der Pilgerzüge von Sierck, Thionville und Sarreguemines
nach Trier. St.-Johanner Volkszeitung, 30.9.1891: Nachdem zahlreiche Gläubige keinen Platz
in dem mit 2400 Plätzen ausverkauften ersten Siercker Pilgerzug erhalten hatten, wurde ein
zweiter Pilgerzug organisiert.
487
488
489
ADM, 7 AL 11, Zeitungsausschnitt « Metzer-Zeitung », 23.8.1891.
174
Creutzwald, Metzervisse, Forbach, Fixem, Grosbliederstroff, Petite-Rosselle,
Sierck und Umgebung sowie Stiring-Wendel nach Trier.490 Unter Berücksichtigung
der zahlreichen unangemeldeten Pilgergruppen entsteht ein ungefährer Eindruck
von der tatsächlichen Anzahl der lothringischen Pilger.491 Nicht nur aus dem
germanophonen Teil Lothringens begaben sich die Gläubigen massenweise nach
Trier, auch die Pfarrer des frankophonen Teils organisierten Wallfahrten.492
6.1.2.
Lokale Wallfahrten und Schutzpatrone
Die Rockwallfahrten waren nur periodische Ausdrucksformen des Volksglaubens,
hingegen war der religiöse Alltag vor allem von der Anbetung lokal bedeutender
Schutzheiliger bestimmt. Eine besonders intensive Verehrung genoss im
saarländisch- lothringischen Kohlenrevier die Heilige Barbara als Schutzpatronin
der Bergarbeiter.493 Der Barbaratag, der 4. Dezember, war einer der bedeutendsten
Festtage im saarländisch-lothringischen Kohlenrevier. Im Saarrevier und in einigen
lothringischen Grenzorten fanden am Barbaratag Umzüge statt, bei denen ein mit
Fahnen Schärpen geschmückter Wagen, auf dem sich eine Barbarastatue befand,
unter Begleitung der Bevölkerung durch die Orte gefahren wurde. Neben diesen
Ähnlichkeiten im Brauchtum weisen die Feierlichkeiten zum Patronatsfest auch
Unterschiede auf. In Lothringen war der Umzug des Ehrenpaares, des „couple
d’honneur“, eines der wichtigsten Ereignisse des Barbaratages. Ein Komitee wählte
490
491
492
493
LHAK, Best. 403, Nr. 16220, Zeitungsausschnitt der « St.-Johanner Volkszeitung »,
18.10.1891.
Weitere Informationen über die Ausstellung des „Heiligen Rockes“: 1891: BAT, Abt. 91, Nr.
249a: Schreiben von Geistlichen u. Privatpersonen zur Ausstellung des Hl. Rockes 1891, Blatt
12: Sicherheitsprobleme; BAT: Nachlass Korum, 434: Der Pfarrer von Uckange an Bischof
Korum über die Wunderheilung einer Frau aus Uckange. 1891. Siecker Anzeiger, 31.10.1891:
Bericht Wunderheilung einer Frau aus Kontz-lès-Bains.
Le Lorrain, 18.7.1891: Eine Metzer Pilgerreise wurde zur Gelegenheit der „l’ostension
solennelle de la sainte robe de notre-Seigneur“ nach Trier organisiert.
Buchheit, Chip; Deluze, Jean-Marc; Kühn, Hans-Joachim; Rosenberger, Hans: Sankt Barbara,
Patronin der Bergleute, im saarländisch-lothringischen Kohlenrevier. Saint Barbe, patronne
des mineurs, dans le bassin houiller sarre-lorrain. Zweisprachiges Begleitheft zur Ausstellung,
Ottweiler, Petite-Rosselle 1997, besonders 24ff.
175
unter den Kindern der Bergarbeiter zwei Jugendliche aus, die auf Kosten der
Zechenbesitzer wie für eine Hochzeit eingekleidet wurden. Nachdem die „Braut“
von dem Präsidenten des Komitees abgeholt und ihrem „Bräutigam“ vorgestellt
worden war, präsentierte man das Paar dem Direktor, der ihm seinen Segen gab
und es zu Eheleuten erklärte. An der Saar bestand diese Tradition nicht. Neben der
Ablehnung des Brauches durch die Geistlichen, die in diesem eine Nachahmung
von
Sakramenten
sahen,
fehlte
es
auch
am
Willen
der
preußischen
Bergwerksdirektion, derartige Umzüge und Feierlichkeiten zu unterstützen.494
Der Schutz des Viehs war ein weiterer wichtiger Aspekt der alltäglichen
Heiligenverehrung. Besonders bei drohenden Viehseuchen suchten viele Gläubige
die Unterstützung der Heiligen. Die Katholiken im Saar-Mosel- Raum konnten
beispielsweise in den Wallfahrtsorten Schlettstadt und Behren-lès-Forbach den
Heiligen Blasius beziehungsweise den Heilige Antonius als Schutzpatrone für ihre
Haustiere anrufen.495 Einen jährlichen grenzüberschreitenden Besucherandrang
erfuhr das am 1. Februar in Freyming veranstaltete Fest der Heiligen Brigitta, die
der Legende nach das Vieh der Dorfbewohner vor einer Seuche bewahrt hatte.496
6.1.3.
Grenzüberschreitende Pfarrbezirke
Wie sehr die Religiosität der Grenzraumbewohner von der Transnationalität des
katholischen Glaubens bestimmt wurde, zeigen auch die grenzüberschreitenden
Pfarrbezirke, die im Saar-Mosel- Raum bereits vor dem Deutsch-Französischen
Krieg bestanden. Beim sonntäglichen Kirchgang trafen sich in diesen Gemeinden
preußische und lothringische Katholiken. Ebenso erhielten die Kinder in diesen
Pfarreien gemeinschaftlich den Religionsunterricht. Manderen wurde erst 1830 im
494
Buchheit, Chip: Les rites de la Sainte-Barbe dans les Bassins Houillers de Lorraine et de
Sarre, in: Les Cahiers de l'Institut d'Histoire Sociale Minière, 21 (2000) 12.
495
Saarbrücker Zeitung, 11.10.1873: Zahlreiche Schweinebesitzer baten in Behren-lès-Forbach
den Heiligen Blasius um den Schutz für ihre Tiere. Saarbrücker Zeitung, 1.2.1885: 1885
zogen zahlreiche Schweinebesitzer des Grenzraumes nach Schlettstadt, um beim Heiligen
Antonius Schutz zu ersuchen.
496
St.-Johanner Volkszeitung, 30.1.1907.
176
Zuge seiner Abtretung an Frankreich von der Pfarrei Borg getrennt.497 Die
Gebietsabtretungen an Frankreich hatten auch eine Loslösung der Gemeinden
Schreckling und Heining von der Pfarrei Leidingen zur Folge. Faktisch wurden die
lothringischen Orte Heining und Scheckling noch nach dem Krieg 1870/71 von
ihrer alten Mutterkirche in Leidingen pastoriert und gehörten auch weiterhin einem
Schulverband an.498 Erst Ende der 1860er Jahre errichtete Heining eine eigene
Schule.
Schreckling
hingegen
bildete
weiterhin
mit
Leidingen
einen
Schulverband.499 Der 1830 von den Einwohnern Heinings und Schrecklings an den
zuständigen
Grenzkommissar
gerichteten
Bitte,
weiterhin
von
Leidingen
seelsorgerisch betreut zu werden, wurde offenbar entsprochen. Mit einem ähnlichen
Anliegen traten die preußischen Untertanen von Biringen bei Oberesch im Kreis
Saarlouis an den Grenzkommissar heran. Die katholischen Einwohner wollten
weiterhin mit den lothringischen Orten Flatten und Gongelfang zum Pfarrbezirk
Waldwisse in Lothringen gehören.500 Auch diesem Antrag wurde entsprochen,
Biringen und Waldwisse gehörten noch 1871 einem Pfarrbezirk an.501 Ebenfalls
besuchten die Katholiken Nassweilers noch bis in die 1880er Jahre die Kirche der
lothringischen Gemeinde Merlebach. Bei der Neumschreibung der Pfarreien in den
Jahren 1802, 1804 und 1807 war der Pfarrbezirk Nassweiler zwar von dem
Pfarrbezirk Merlebach getrennt worden, jedoch gingen die Katholiken Nassweilers
weiterhin gewohnheitsmäβig in die Kirche und Schule im lothringischen
Merlebach.502
497
498
Der letzte Eintrag von Manderen in den Heiratsregistern von Borg erfolgte am 15.2.1830.
Groβ; Rettgen, Einwohner, 8.
Heinig erhielt erst 1939 einen eigenen Kirchenbau. Lask, Tomke: „Wir waren doch immer
Freunde in der Schule“. Einführung in die Anthropologie der Grenzräume. Europäisches
Grenzverständnis am Beispiel Leidingens, St. Ingbert 2002, 97.
499
Lorenzi, Beiträge, 430ff. LHAK, Best. 442, Nr. 3809: Landrat Saarlouis an die königl.
Regierung Trier, 1.2.1871.
500
LHAK, Best. 442, Nr. 6: Grenzkommissar an die kgl. Regierung Trier, 5.6.1830.
LHAK, Best. 442, Nr. 3809: Landrat Saarburg an die königl. Regierung Trier, 14.1.1871.
501
502
LHAK, Best. 442, Nr. 3809: Landrat von Saarbrücken an die königl. Regierung, 13.1.1871.
1884 einigten sich schlieβlich die katholischen Gemeinderatsmitglieder Nassweilers und
Merlebachs darauf, „dass mit Rücksicht darauf, dass Nassweiler schon seit undenklichen
Zeiten in Merlenbach eingepfarrt, und noch keinerlei Beiträge zu Kirche und Friedhof
geleistet, Nassweiler vorab zur Anlage des neuen Friedhofes in Merlenbach 300 Mark beiträgt
177
Die
Neuumschreibung
der
Pastoralbezirke
traf
nicht
nur
aus
Gewohnheitsgründen auf den Unwillen der Einwohner, sondern bereitete auch
Probleme im Bezug auf ihre Umsetzung. Durch weite Wege oder nicht vorhandene
Kirchenbauten war die seelsorgerische Betreuung der Bewohner nicht ausreichend
gewährleistet, sodass trotz der Neuumschreibung die alten Pfarrbezirke faktisch
beibehalten werden mussten.503 So gingen auch die Lauterbacher Katholiken
weiterhin in die Kirche im lothringischen Creutzwald, obwohl sie seit 1803 zur
Pfarrei Emmersweiler gehörten. Emmersweiler lag jedoch zwei Stunden Fuβweg
von Lauterbach entfernt. Erst als Lauterbach 1856 eine eigene Kirche erhielt,
erfolgte die endgültige Abtrennung von der Pfarrei Creutzwald.504
Unter
Berücksichtigung
des
nachgewiesenen
positiven
Effektes
der
grenzüberschreitenden Pfarrbezirke auf das transnationale Heiratsverhalten, und
der Annahme, dass sich die integrative Wirkung der grenzüberschreitenden
Pastoralbezirke auf den gesamten Aktionsraum der Bewohner der betreffenden
Pfarreien ausdehnte, sind die grenzüberschreitenden Pfarrbezirke als ein
bedeutendes Element der Integration im Grenzraum zu bewerten.505
503
[…]“. LAS, Best. Landratsamt Saarbrücken, Nr. 343: Brief des Forbacher Kreisdirektor an
den Landrat von Saarbrücken, 23.1.1884. Der französische Ortsname ist Merlebach.
LHAK, Best. 442, Nr. 6: Grenzkommissar an die königl. Regierung Trier,
Regierungspräsident von Trier an „Empfänger unleserlich“, 9.6.1830.
504
Lorenzi, Beiträge, 523.
505
Siehe Kapitel: 3.2.4. „Einfluss der Religionszugehörigkeit und der religiösen Praxis auf das
Heiratsverhalten“.
178
Luxemburg
Borg
Manderen
Flatten
Waldwisse/Gongelfang
Biringen
Leidingen
Heining
Schreckling
Saarbrücken
Creutzwald
Metz
Lauterbach
Nassweiler
Merlebach
Abbildung 50: Grenzüberschreitende Pfarrbezirke
6.1.4.
Grenzüberschreitende Verbindungen der Geistlichen vor 1871
Die gelebte Transnationalität der „einfachen“ katholischen Gläubigen im
Grenzraum,
wurde
durch
die
traditionell
engen,
grenzüberschreitenden
Verbindungen der katholischen Geistlichen gefördert. Zwischen dem katholischen
Klerus im Grenzraum bestanden zahlreiche freundschaftliche Kontakte.506 Da die
preußische Regierung den Klerus der Saarregion verdächtigte, mit der
506
Le Vœu National. Écho du Pays Messin, 2.6.1860: An der Einweihung der Schoenecker
Kirche im Frühjahr 1860 nahm neben den lothringischen Geistlichen auch ein Vikar aus St.
Johann teil, der zur Eröffnungsfeier einen Gesangsbeitrag vortrug.
179
französischen Regierung zu symphathisieren, erweckten die Verbindungen
zwischen den französischen und deutschen Geistlichen das Misstrauen der
Regierung. So wurde dem Minister des Inneren im Dezember 1852 aus der
Rheinprovinz berichtet, dass ein Zusammenschluss mit Frankreich von der unteren
und mittleren sozialen Schichten nicht gefordert werden würde, „während der
Gedanke an eine derartige Vereinigung wohl bei einzelnen Theilen der höheren
Klassen und namentlich der katholischen Geistlichkeit vorhanden sein mag.“507 Die
Behörden hatten auch in Erfahrung gebracht, „daß ein cordialer besuchsweiser
Verkehr des diesseitigen Clerus mit jenem in den Grenzorten Frankreichs“ in den
Kreisen Saarburg, Merzig, Saarlouis und Saarbrücken bestehe.508 Diese Besuche
beschränkten sich nicht nur auf den Grenzraum, sondern führten die Priester auch
ins Innere Frankreichs. Die Mutmaβungen der preuβischen Regierungen gingen
noch weiter. Sie verdächtigten die preußischen, bayerischen und französischen
Geistlichen, an der Errichtung eines katholischen Königreiches zu arbeiten. Dies
seien zwar laut Polizeikommissar lediglich Vermutungen, aber man spreche
besonders an der Grenze von dieser angeblichen geheimen Absprache.509 Die
Befürchtungen der
preuβischen
Regierung waren
zwar
übertrieben,
die
Überwachungsberichte der Behörden zeigen jedoch, dass die Verbindungen der
Geistlichen im Grenzgebiet intensiv waren.
507
LHAK, Best. 403, Nr. 6584: Der königl. Polizeidirektor an den königl. Geheimen und
Minister des Inneren, 25.12.1852.
508
LHAK, Best. 403, Nr. 6584: Der königl. Polizeidirektor an den königl. Geheimen und
Minister des Inneren, 25.12.1852.
509
LHAK, Best. 403, Nr. 6584: Der königl. Polizeidirektor an den königl. Geheimen und
Minister des Inneren, 25.12.1852. Der Priester Franz Stein sei beispielsweise über Metz nach
Paris gereist, um den Abbé Bervanger zu besuchen. Der Priester Peter Davis aus Ittersdorf bei
Saarlouis fuhr über Sarreguemines nach Strasbourg und der Grosbliedertroffer Pfarrer sei
wiederholt zum Grafen Chambord gereist.
180
6.1.5.
Laizismus gegen Katholizismus. Konflikte in Lothringen und die
deutschen Nachbarn
Der innerfranzösische Konflikt zwischen Laizisten und Katholiken verstärkte die
transnationale Verbundenheit der katholischen Gläubigen im Grenzraum vor 1871.
Die Teilung Frankreichs in Katholiken und Laizisten geht bereits auf das Ancien
Régime zurück. Deutlich verschärfte sich die Opposition zwischen den beiden
verfeindeten Lagern mit dem Einflussgewinn der laizistischen Bewegung auf die
Bevölkerung und die Regierung im Laufe der Julimonarchie und dem Zweiten
Kaiserreich.510 Der Blick der lothringischen Katholiken auf die religiösen
Entfaltungsmöglichkeiten ihrer preuβischen und bayerischen Nachbarn verstärkte
den Protest gegen die eigenen Einschränkungen des religiösen Lebens. Die Gazette
de Metz et de Lorraine berichtete über die Fronleichnamsfeier in Zweibrücken, die
trotz eines hohen Anteils protestantischer Einwohner, seit 1841 stattfinden durfte.
Der Artikel endet mit dem Satz. „Vergleichen sie also die Versklavung der
preußischen und bayerischen Katholiken mit der Freiheit gewisser französischer
Katholiken und urteilen sie!!“511 Auf die tolerante Haltung des preußischen Königs
gegenüber den katholischen Gläubigen spielt ein Artikel an, der anlässlich der
Ausstellung des „Heiligen Rockes“ 1844 verfasst wurden. Der preußische König
habe einer Gruppe von Pilgern aus Tirol, die keine Unterkunft hatten, eine Kaserne
als Schlafmöglichkeit zur Verfügung gestellt. In Frankreich. „prahle [man] mit
einer liberalen Verfassung“, dennoch würden die Katholiken immer mehr
510
Lalouette, Jacqueline: La séparation avant la séparation, projets et propositions de loi (18661891), in: Vingtième Siècle (Sonderheft: Laïcité, Séparation, Sécularisation 1905-2005) 87
(2005) 41-55. Zu den Auswirkungen dieses Konfliktes auf das alltägliche dörfliche Leben:
McMillan, James: ‚Priest hits girl’: on the front line in the ‚war of the two Frances’, in:
Culture Wars. Secular-Catholic Conflicts in Nineteenth-Century Europe, (Hrsg.) Christopher
Clark, Wolfram Kaiser, Cambridge 2003, 91ff.
511
Gazette de Metz et de Lorraine, 20.6.1844: „Comparez donc l’esclavage de catholiques
prussiens et bavarois avec la liberté de certains catholiques français, et prononcez!!“
(Hervorhebungen in der Quelle). Auch während der Rockwallfahrt nach Trier beklagten die
lothringischen Katholiken die antiklerikale Stimmung in Frankreich und riefen zur Wallfahrt
nach Trier auf „um Mut und Hoffnung zu schöpfen.“ Gazette de Metz et de Lorraine,
29.8.1844: „Oh ! allez à Trèves pour reprendre courage et espérance….“
181
unterdrückt,
meinte
Entfaltungsmöglichkeiten
der
Journalist.512
ihrer
preuβischen
Neben
Nachbarn,
den
wurde
religiösen
von
den
lothringischen Katholiken auch die strenge Kontrolle der Einhaltung der
Sonntagsruhe durch die preuβischen Behörden positiv bewertet. In einem
Leserbrief aus dem Jahr 1855 wird darüber berichtet, dass in Saarbrücken und
Saarlouis überraschenderweise alle Geschäfte sonntags geschlossen seien. Händler,
die in Preußen dennoch sonntags Waren anbieten würden, mussten mit zwei Talern
Strafe rechnen. Dem preußischen Beispiel folgend, würden nun die Priester im
deutschsprachigen Teil Lothringens die Bevölkerung dazu aufrufen, den Sonntag
zu heiligen.513
Einen Höhepunkt erhielt der Konflikt zwischen Laizisten und Katholiken
während des sardinisch-französischen Krieges gegen Österreich 1859. Die
katholischen Geistlichen protestierten öffentlich gegen die Politik Napoleons III.,
durch welche sie die Machtstellung des Papstes gefährdet sahen. Ein Informant der
preußischen Regierung berichtete im Mai 1859, dass „unter allen Fraktionen des
katholischen Volkes […] die Geistlichkeit am meisten unzufrieden“ sei.514 Die
Überwachungsberichte der französischen Behörden zeugen von der Schärfe des
Protestes der Geistlichen in den Grenzorten gegen die Politik Napoleons III., die
sich
auf
der
Ebene
einer
Auseinandersetzung
zwischen
laizistischen
Bürgermeistern und den „staatsfeindlichen“ Priestern äuβerte. Die Geistlichen
hielten Schmähreden von der Kanzel gegen die Politik der Regierung und
besonders gegen den Krieg in Italien, der laut den Geistlichen nur dazu diene, die
Revolution in Italien zu unterstützen und die Macht des Papstes zu schwächen.
Gemeldet wurden der Regierung diese Vorgänge durch die Bürgermeister.515 Nach
512
513
Gazette de Metz et de Lorraine, 3.10.1844. Der preuβische König unterstützte die Trierer
Wallfahrt 1844, jedoch vor allem um eine Koalition konservativer und bürgerlicher Kräfte
zum Zweck der Festigung des preußischen Staates zu fördern. Schieder, Kirche, 419ff.
Le Vœu National. Écho du Pays Messin, 5.1.1855.
514
LHAK, Best. 403, Nr. 6575: Bericht eines Informanten aus Metz, 4.5.1859.
515
U. a.: ADM, 1 V 27: Minister des Inneren an Präfekten, 11.6.1859: Anfrage zum Fall
Rodemack; Bericht zum Fall Rodemack: Unterpräfekt von Thionville an Präfekten von
Thionville, 14.6.1859. Fall Mainvillers: Brief des Bischofs von Metz an den Präfekten,
4.7.1859.
182
dem Sieg von Magenta setzte sich der Protest des Klerus im Stillen fort, indem sie
sich weigerten das angeordnete „Te Deum“ zu singen – auch hier achteten einige
Bürgermeister genau darauf, dass die Anordnung befolgt wurde. So meldete der
Bürgermeister von Etting den Behörden, dass der Priester nicht das „Te Deum“
hätte singen können, da dieser vor Wut geweint hätte.516 Die meisten Fälle verliefen
weniger dramatisch. Die Priester stimmten einfach nicht das „Te deum“ an.517
An der Initiative während des zweiten Kaiserreiches Französisch als
alleinige Unterrichtssprache auch in den lothringischen Grenzorten durchzusetzen,
entflammte erneut die Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Laizisten. Die
lothringischen Geistlichen hatten eine Petition eingereicht, in der sie forderten, die
deutsche Unterrichtssprache beizubehalten. Von laizistischer Seite wurde vermutet,
dass
der
katholische
Unterrichtssprache
die
Klerus
mit
dem
germanophonen
Festhalten
Lothringer
an
daran
der
deutschen
hindern
wollte,
französische Bücher und Zeitungen zu lesen, um so eine Öffnung der
deutschsprachigen
Bevölkerung
für
antiklerikale,
freigeistige
Ideen
zu
verhindern.518 Darüber hinaus wurde von den Verfechtern der Nationalsprache
befürchtet, dass die Förderung des „Platt“ vor allem den Eroberungsgelüsten des
preußischen Königs Nahrung geben würde. Der Herausgeber des Courrier de la
Moselle kommentierte die Bemühungen der Geistlichen daher ironisch. „Der Stand
der Dinge ist sehr gut, die Herren Geistlichen beweisen eine groβe Weisheit und
arbeiten mit ihren Äuβerungen mit Feuereifer für den Glauben und für den
preußischen König.“519
516
517
518
519
ADM, 1 V 27: Unterpräfekt von Sarreguemines an den Präfekten, 18.6.1859. „Le Maire
ajoute que M le Curé n’a pu chanter le Te Deum parce qu’il pleurait de colère.“
U. a.: ADM, 1 V 27: Académie de Nancy, Inspection de la Moselle an den Inspector de
l’Académie à Metz, 14.5.1860. Minister an den Präfekten, 8.7.1859: Bericht über den Protest
des Geistlichen in Etting. Bischof von Metz an den Präfekten, 3.7.1859: Fall Mondoff, „Te
Deum“ wurde angeblich nicht angestimmt.
Courrier de la Moselle, 24.6.1869.
Courrier de la Moselle, 24.6.1869: „Cet état de choses est fort bon, et MM. les ecclésiastiques
font preuve d’une grande sagesse en travaillant avec ardeur, dans cette manifestation, pour la
religion et pour le roi de Prusse !“. Ähnlich: Courrier de la Moselle, 12.10.1869: „Lisez-les,
[die deutschen Gebetsbücher, K.M.] bons Lorrains, et vous ne pourrez manquer d'en retirer les
fruits selon le cœur de M. de Bismark.“
183
Der innerfranzösische Konflikt zwischen Katholiken und Laizisten
verstärkte nicht nur die transnationalen Verbindungen zwischen den katholischen
Gläubigen des Grenzraumes vor 1871, der Konflikt bildet auch den Hintergund für
die späteren ideologischen Auseinandersetzungen innerhalb der lothringischen
Arbeiterschaft und die Öffnung der lothringischen Katholiken für deutsche
Organisationen in den 1890er Jahren.
6.2.
Die
Katholiken
im
Grenzraum
nach
1871.
Zwischen
Nationalisierung und Transnationalität
6.2.1.
Kulturkampf. Ein Konfessionskonflikt als nationaler und sozialer
Konflikt
Die katholischen Geistlichen übernahmen nach dem verlorenen DeutschFranzösischen Krieg die Führung der lothringischen Oppositionsbewegung gegen
die Annexion. Gleichzeitig fand in Frankreich eine religiöse Umdeutung der
Niederlage statt.520 Der Sieg der deutschen Truppen wurde als „Strafe“ Gottes
angesehen, als ein Aufruf zur Rückkehr zu Gott und Glauben. Die Nationalisierung
der Heiligenverehrung und die nationale Aufladung religiöser Symbole und Werte
waren die Folge dieser Entwicklung. So verbanden die französischen Katholiken
die Marienverehrung in Lourdes mit einer Rückgewinnung der verlorenen
Provinzen Lothringen und Elsass.521 Die nationale Konnotation der Diskussion um
die Marienwallfahrtsorte Lourdes und Marpingen, auf die später näher eingegangen
wird, zeigt, dass die Nationalisierung des Katholizismus in Frankreich auch das
Leben der Grenzraumbewohner berührte.
520
521
Roth, François: Le rattachement à l’Empire allemand (1871-1918), in: Le Diocèse de Metz,
(sous la direction de) Henri Tribout de Morembert, Paris 1970, 218-257, besonders 226ff.
Auch der Herz-Jesu-Kult erhielt in Frankreich eine nationale Umdeutung: Mollenhauer,
Symbolkämpfe, 207f.
184
Paradoxerweise führte die Nationalisierung des Katholizismus in Lothringen
während des Kulturkampfes zu einer Intensivierung der grenzüberschreitenden
Verflechtungen. Der Widerstand gegen die Annexion war eng mit einem
konfessionellen Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken verbunden. Auf
lothringischem Gebiet existierten vor der Annexion nur kleine protestantische
Gemeinden, die abgesehen von einigen Anfeindungen durch katholische Geistliche
weitestgehend in gutem Einvernehmen mit der katholischen Bevölkerung lebten.522
Mit der Annexion Lothringens wandelte sich das bisher friedliche Zusammenleben
der Glaubensrichtungen in einen offen ausgetragenen Konfessionskonflikt.523
Lebten 1870 lediglich 7000 Reformierte in Lothringen waren es 1910 74000.524 Die
große Mehrheit der eingewanderten Deutschen, darunter auch die neu eingesetzten
Beamten, waren Protestanten, sodass sich eine nahezu ausschließlich katholische
Bevölkerung einer oktroyierten protestantischen Führungsschicht gegenübersah.
Während des Kulturkampfes verband die lothringischen Katholiken mit den
Katholiken der Saarseite diese konfessionelle Auseinandersetzung, wobei der
Hintergrund der Konflikte auf beiden Seiten grundverschieden war: Nahm der
Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken in Lothringen eine nationale
Dimension an, trug die konfessionelle Auseinandersetzung in der Saarregion Züge
eines sozialen Konfliktes zwischen Ober- und Unterschicht. Die Beamten des
preußischen Bergfiskus und die Verwaltungsbeamten waren, wie auch der Großteil
des
522
523
St.
Johanner-Saarbrücker
Bürgertums,
protestantisch.525
Trotz
des
Michaelis, Otto: Die evangelische Kirche in Lothringen in Vergangenheit und Gegenwart,
Metz 1917, 71. So auch die Einschätzung eines Artikels im Courrier de la Moselle: Courrier
de la Moselle, 9.5.1871.
LAS, Best. Landratsamt Saarbrücken, Nr. 343: Königl. preußische Regierung Abt. des Innern
(Trier), an den königl. preußischen Landrat in Saarbrücken. Über die religiöse Betreuung der
Forbacher Reformierten durch einen Saarbrücker Geistlichen, 16.6.1842. Saarbrücker
Zeitung, 22.4.1869; Courrier de la Moselle, 17.4.1869: Die protestantische Gemeinde Forbach
wurde durch ein kaiserliches Dekret vom 7.4.1869 gegründet. Zum Pfarrbezirk gehörten auch
die Gemeinden Stiring-Wendel, Schoeneck, Petite-Rosselle, Carling-L’Hôpital, HombourgHaut, Saint-Avold.
524
Roth, Lorraine, 139.
525
Mallmann, Klaus-Michael: „Die heilige Borussia“. Das Saarrevier als preuβische
Industriekolonie, in: Richtig daheim waren wir nie. Entdeckungsreisen ins Saarrevier 1815-
185
unterschiedlichen Hintergrundes des Konfessionskonfliktes, einte die katholische
Bevölkerungsmehrheit des Grenzraumes die Opposition zur protestantischen
Führungsschicht.526
Das Reichsgesetz gegen den Missbrauch der Kanzelreden zu politischen
Zwecken, der sogenannte „Kanzelparagraph“, vom 10.12.1871 war das erste
Gesetz einer ganzen Gesetzesreihe, welche die Beziehung zwischen Kirche und
Staat neu regeln sollte. Die Katholiken im saarländisch-lothringischen Grenzraum
waren in unterschiedlichem Ausmaβ von der antiklerikalen Gesetzgebung
betroffen.
Für
das
Reichsland
Elsass-Lothringen
hatten
lediglich
zwei
Reichsgesetze Gültigkeit; der Kanzelparagraph und das Reichsgesetz, die
Ausweisung des Jesuitenordens betreffend. Der Großteil der Gesetze betraf daher
lediglich den preußischen Teil des Grenzraumes.527 Den Protest der katholischen
lothringischen
Bevölkerung
provozierten
die
in
Lothringen
eingesetzten
protestantischen Beamten jedoch auch ohne Maigesetze. So erhielt das
Lehrerseminar nun eine protestantische Leitung, und das öffentliche und private
Unterrichtswesen wurde unter Staatsaufsicht gestellt, was im Gegensatz zum bisher
geltenden französischen Grundsatz der Unterrichtsfreiheit stand.528 Als im Februar
1878 in Metz ein Armenball im "Hôtel de Ville" gefeiert wurde und kein
Lothringer, auch nicht die, die dem Organisationskomitee angehörten, erschien,
kommentierte der Artikelschreiber der katholischen Saar-Zeitung: „Will man die
Bevölkerung mit den neuen Verhältnissen aussöhnen, so nehme man vor Allem
eine andere Stellung bezüglich der Kirche ein und veranstalte nicht öffentliche
526
527
528
1955, (Hrsg.) Klaus-Michael Mallmann, Gerhard Paul, Ralph Schock, Bonn 1987, 16-20.
Mallmann, Volksfrömmigkeit. Mallmann, Ultramontanismus.
Zur europäischen Dimension des Kulturkampfes siehe: Clark, Christopher: The New
Catholicism and the European culture wars, in: Culture Wars. Secular-Catholic Conflict in
Nineteeth-Century Europe, (Hrsg.) Christopher Clark, Wolfram Kaiser, Cambridge 2003, 1146. Kaiser, Wolfram: ‚Clericalism – that is our enemy!’. European anticlericalism and the
culture wars, in: Culture Wars. Secular-Catholic Conflict in Nineteeth-Century Europe,
(Hrsg.) Christopher Clark, Wolfram Kaiser, Cambridge 2003, 47-76.
Zu den verschiedenen Gesetzen siehe: Franz, Georg: Kulturkampf. Staat und katholische
Kirche in Mitteleuropa von der Säkularisierung bis zum Abschluss des Preußischen
Kulturkampfes, München 1954, 223ff.
Unter dem Statthalter Manteuffel wurden diese Bestimmungen teilweise wieder rückgängig
gemacht. Franz, Kulturkampf, 245f.
186
Lustbarkeiten, während eine ganze Christenheit trauert.“ Pius IX. war einige Tage
vorher gestorben.529
Der Konfessionskonflikt während der Kulturkampfzeit erhöhte nicht nur das
Verständnis der Katholiken der Saarseite für den Protest der Lothringer gegen die
Annexion, er bewirkte auch konkrete grenzüberschreitende Hilfeleistungen der
lothringischen für die saarpreuβischen Katholiken.530 Nach dem Tod des Trierer
Bischofs Matthias Eberhard im Jahr 1876, blieb der Bischofsstuhl aufgrund der
Streitigkeiten zwischen der preuβischen Regierung und der Diözese bis 1881
vakant. Folge war, dass die Kinder der Trierer Diözese nicht gefirmt werden
konnten. In einer Note vom 6. Oktober 1877 berichtete der Metzer Bischof Dupont
des Loges dem Trierer Generalvikar Lorenzi, dass ihm vor einigen Wochen ein
preußisches Mädchen vorgestellt wurde, dass darum bat, von ihm gefirmt zu
werden. Der Bischof von Metz erkundigte sich nun bei den Verantwortlichen der
Trierer Diözese, wie er in ähnlichen Fällen handeln solle, und bot gleichzeitig an,
während seiner nächsten Firmungsreise auch die Kinder der Trierer Diözese zu
firmen.531 Möglicherweise hatte sich der Metzer Bischof die Firmungsreise des
Bischofs von Luxemburg des Jahres 1877 zum Vorbild genommen. Dieser hatte
seine Firmungsreise ebenfalls bis an die Landesgrenze ausgedehnt, um „große
Zuzüge und Prozessionen aus hiesigen Landen anzuziehen.“532 Bischof Dupont des
Loges’ Vorschlag wurde von der Diözese Trier angenommen und die katholische
Saar-Zeitung berichtete am 7. Juni 1878: „Während der letzten Tage boten einzelne
Pfarreien des Bisthums Trier und die angrenzenden Pfarreien des Bisthums Metz
ein seltenes Schauspiel. Ueber 3300 Firmlinge aus dem Decanate Saarlouis
529
Saar-Zeitung, 24.2.1878. Ein ähnlicher Fall: Ein Bewohner Malstatts wurde bestraft, weil er
öffentlich die Meinung geäuβert habe, dass Elsass-Lothringen wieder an Frankreich
zurückgegeben werden müsse, da man es diesem gestohlen habe. Saar-Zeitung, 28.6.1878.
530
Die Ergebnisse widersprechen der Einschätzung Rita Gehlens, die in ihrem Aufsatz über die
Katholiken im Grenzraum feststellt, dass „es so gut wie keine Verbindungen zu den Kollegen
in Lothringen“ gegeben habe. Vgl.: Gehlen, Kampf, 246.
531
ADM, 29 J 189, Bischof an M. Lorenzi, 6.10.1877.
532
LHAK, Best. 403, Nr. 16005: Landrat von Prüm an die königl. Regierung, 9.8.1877. Aus der
Trierer Diözese hatten sich etwa 600 bis 800 Personen an der Firmungsreise beteiligt.
Saargemünder Zeitung, 17.5.1899, 19.5.1899: 1899 übernahm wegen der Erkrankung des
Metzer Bischofs Fleck die Trierer Diözese die Firmung der lothringischen Kinder.
187
empfingen von Samstag bis gestern in den angrenzenden lothringischen Dörfern
von der Hand des hochwürdigsten Herrn Bischofs von Metz das Sakrament der
Firmung. Da an einzelnen Tagen 800 bis 1000 Kinder gefirmt wurden, und da viele
Eltern ihre Kinder selbst begleiteten, so gewährten die Straßen, die nach Lothringen
führten in diesen Tagen einen eigenthümlichen Anblick. So weit man sehen konnte
fuhren auf Wagen aller Art die Firmlinge mit ihren Angehörigen betend uns
singend dem Orte der Firmung zu; dazwischen sah man auch Gruppen von
rüstigern (!) jungen Leuten zu Fuß den Weg zurücklegen. Angeeifert durch das
schöne Beispiel ihres Herrn Bischofs, der trotz seines hohen Alters in huldvollster
Weise auch den Kindern aus dem noch immer verwaisten Bisthum Trier in ihren
geistigen Bedürfnissen zu Hilfe kam, hatten auch die einzelnen Herren Geistlichen
des Bisthums Metz mit ihren Pfarrkindern Alles aufgeboten die Feier zu
verherrlichen und so kam es, daß alle Betheiligten erbaut von der hl. Handlung und
erfreut durch die freundliche Aufnahme, die sie gefunden, heimkehrten.“ Die
Firmungsbücher des Bischofs bestätigen sowohl die in dem Artikel genannte
Anzahl der Firmlinge als auch die dort wiedergegebene Begeisterung der
Grenzraumbewohner.533 1879 bereiste der Bischof die Gegend um Forbach und
Sarreguemines, und auch dort waren unter den 11688 Firmlingen 2094 aus der
Diözese Trier in Prozessionen nach Lothringen gezogen. Der Bischof vermerkte am
Ende seiner Reise, dass die Bevölkerung noch nie so viel Enthusiasmus gezeigt
habe. Nicht nur die grenzüberschreitenden Kontakte der Laien, sondern auch die
der Geistlichen der Trierer und Metzer Diözese wurden durch den Kulturkampf
intensiviert.534
Neben der Firmung der Kinder boten die Nachbardiözesen ihre Hilfe bei der
seelsorgerischen Betreuung der durch die Kulturkampfgesetze entstandenen
Pfarrstellenvakanzen an. Bliesransbach wurde von mehreren Geistlichen der
Umgebung betreut, unter anderem auch vom Pfarrer der zur Diözese Metz
gehörenden Gemeinde Blies-Schweyen. Als der Gottesdienst in gesperrten
533
ADM, 29 J 357: Eintrag vom: 4.6.1878, 18.6.1878.
534
ADM, 29 J 357: Einträge des Jahres 1879. Weiterer Bericht über die Firmungsreise 1879 in:
Le Vœu National. Écho du Pays Messin, 16. 5.1879, Gazette de Lorraine, 11.5.1879.
188
Pfarreien verboten wurde, gingen die Bliesransbacher Gläubigen daraufhin in die
Kirche der bayerischen Pfarrei Bliesmengen oder in die Kirche der lothringischen
Pfarrei Blies-Schweyen.535 Obwohl Bliesransbach der einzige überlieferte Fall
dieser kulturkampfbedingten grenzüberschreitenden Pfarrstellenbetreuung ist,
beweisen die Zusammenarbeit der Pfarreien und die grenzüberschreitenden
Firmungen, dass sich durch den Kulturkampf die grenzüberschreitenden
Vernetzungen der katholischen Gläubigen verdichteten. Bei der Ausweitung der
grenzüberschreitenden religiösen Praktiken erfuhren sich die lothringischen und
saarpreußischen Katholiken als eine Glaubensgemeinschaft, in der nationale
Gegensätze in den Hintergrund traten.
Die Reaktion der Laien wie die der Geistlichen in den 1870er Jahren zeigt,
dass die französisch-nationale Konnotation des Katholizismus ohne negative
Auswirkungen die grenzüberschreitenden Verbindungen der Katholiken blieb.
Paradoxerweise führte der auf der Ebene eines Konfessionskonfliktes ausgetragene
Protest der lothringischen Katholiken gegen die deutschen Machthaber zu einer
Intensivierung der Verbindungen zu den deutschen Glaubensbrüdern und schwestern.
Nicht nur die grenzüberschreitenden Kontakte während des Kulturkampfes
waren Ausdruck der Transnationalität des katholischen Glaubens, transnational war
auch der Rückzug der katholischen Grenzraumbewohner in die Religiosität, eine
Reaktion auf den Druck der protestantischen Machthaber. Im gesamten Grenzraum
häuften sich in den 1870er Jahren die Marienerscheinungen, massenweise zogen
die Gläubigen zu den Wallfahrtsorten. So pilgerten beispielsweise zahlreiche
Gläubige aus beiden Teilen des Grenzraumes nach Marpingen. 536
535
536
BAT, Abt. 70, 710, Nr. 31, 32: Pfarrer Waldner von Bliesmengen an den Generalvikar,
12.11.1875. Weitere Informationen zu den Pfarrstellenvakanzen: Nr. 30: Curé J. B. Port von
Blies-Schweyen an das bischöfliche Generalvikar zu Trier, 4.4.1875. Ebenso bot der Pfarrer
Reitz in Walsheim (Bistum Speyer) seine Hilfe an. BAT, Abt. 70, 710, Nr. 33: Pfarrer Reitz
an das bischöfl. Generalvikariat in Trier, 6.10.1874.
Dem grenzüberschreitenden Pilgerstrom nach Marpingen: Saar- und Mosel- Zeitung,
19.7.1876: Es seien Besucher aus Köln, Koblenz und Lothringen nach Marpingen gepilgert.
St.-Johanner Volkszeitung, 15.8.1877. Blackburn, Marienerscheinungen, 88. Andere
Marienwallfahrtsorte: Zwei Mädchen hatten, nachdem sie mit ihrem Vater nach Gisingen in
Lothringen gepilgert waren, in der Nähe der Mendelsheimer Kapelle im bayerischen Teil des
189
Neben diesen transnationalen Zügen der Marienverehrung erhielt der
Marienkult in Lothringen eine deutliche nationale Konnotation, die besonders an
der Debatte um das „deutsche Lourdes“ Marpingen deutlich wird. Am 3. Juli 1876
hatten
drei
Mädchen
im
Härtelwald
in
der
Nähe
Marpingens
eine
Marienerscheinung. Die Nachricht verbreitete sich schnell und kurze Zeit später
pilgerten die ersten Gläubigen zum „Gnadenort“. Am 11. Juli 1876 notierte der
Gemeindepfarrer von Marpingen: „Ich habe heute Abend von Lourdes gelesen, das
kommt mir matt vor gegen den gewaltigen Strom, der hier alle Dämme durchbricht.
Prozessionen trotz Maigesetze und Culturkampf.“ Ab dem 12. Juli befanden sich
laut Pfarrer durchgehend bis zu 4000 Menschen im Härtelwald. 537 Die lothringische
katholische Presse reagierte auf den Pilgerstrom nach Marpingen und den immer
häufiger genannten Vergleich mit Lourdes, indem sie die Meinung verbreitete, dass
Marpingen durch eine erfundene Marienerscheinung zu einem deutschen
Nachfolger oder zumindest einer deutschen Konkurrenz des französischen
Marienwallfahrtsort Lourdes hochstilisiert werden sollte. Die Gazette de Lorraine
berichtete am 19. Juli 1876, dass immer noch Leute nach Marpingen kommen
würden, um die Jungfrau zu sehen, die jedoch „niemand gesehen hat und die
niemand sehen wird.“ In weiteren Artikeln versuchte die lothringische katholische
Presse die Falschheit verschiedener Marpinger Wunder aufzudecken, um
schlieβlich den Artikel mit dem Satz zu beenden „Armes Marpingen! Es wird
wirklich nicht das Glück haben ein Nachfolger Lourdes zu werden.“538 Die Schärfe
der Debatte über die Authentizität der Marpinger Marienerscheinung ist auf die
Nationalisierung
537
538
der
Marienverehrung
in
Lourdes
zurückzuführen.
Dem
Bliesgaues ebenfalls eine Marienerscheinung. Hoffmann, Alfons: Aberglaube und religiöse
Schwärmerei in der Pfalz im 19. Jahrhundert, in: Archiv für mittelrheinische
Kirchengeschichte, 27 (1975) 212f. Alleine für das Jahr 1873 zeigte der Präsident des UnterElsass dem Oberpräsidenten von Elsass-Lothringen Marienerscheinungen in den Kreisen
Wissembourg, Molsheim, Sélestat und Zabern an. ADBR, 247 D 69: Präsident des UnterElsass an den Oberpäsidenten, 29.10.1873.
Zitate aus: Blackbourn, Marienerscheinungen, 250.
Gazette de Lorraine, 29.7.1876: „que personne n’avait vue et ne pouvait voir“. „Pauvre
Marping! Il n’aura décidémont ( !) pas la chance de devenir une succursale de Lourdes.“
Andere Artikel, die diese nationale Sicht auf Marpingen widerspiegeln: Gazette de Lorraine,
22.8.1876, 9.9.1876. Sogar Pariser Zeitungen widmeten dem Streit um die Authentizität der
Marpinger Marienerscheinung Artikel: Blackburn, Marienerscheinungen, 262.
190
französischen Marienwallfahrtsort wurde sogar die Kraft zugetraut, eine
Wiederangliederung der verlorenen Provinzen an Frankreich zu erreichen.539
Der Widerspruch zwischen den grenzüberschreitenden Wallfahrten nach
Marpingen und der Nationalisierung der Marienverehrung in Lourdes, verbunden
mit der negativen Haltung der lothringischen Presse gegenüber Marpingen, ist vor
allem auf den Widerspruch zwischen der französisch nationalen Konnotation der
Marienverehrung und den Gewohnheiten der Grenzraumbewohner zurückzuführen.
Die in Grenznähe wohnenden lothringischen Bewohner unterschieden offenbar
nicht zwischen der Wallfahrt ins nahe gelegene Marpingen und den anderen
traditionellen, grenzüberschreitenden Wallfahrten. Marpingen bot sich für die
Grenzraumbewohner wegen seiner Nähe als Marienwallfahrtsort an, da eine Reise
zum weit entfernten Lourdes mit einem hohen Kostenaufwand verbunden war. Die
Akzeptanz Marpingens bei den lothringischen Katholiken wurde sicherlich auch
durch den Einsatz des Militärs gegen die Gläubigen im Härtelwald erhöht. So
erleichterte der in der Presse viel diskutierte Militäreinsatz am 13. Juli gegen die
Gläubigen im Härtelwald eine nationale pro- französische Interpretation der
Marienverehrung auch in Bezug auf das „deutsche Lourdes“.540 Maria konnte auch
auf deutschem Territorium um die Wiederangliederung Lothringens an Frankreich
gebeten werden.
Ein ähnlicher Widerspruch zwischen der Transnationalität und der
Nationalisierung des katholischen Glaubens ist in Bezug auf Lourdes festzustellen.
Einerseits wurde Lourdes zu einer französischen Nationalwallfahrt mit hoher
Symbolkraft für die an das Deutsche Reich verlorenen Provinzen Lothringen und
Elsass, andererseits pilgerten vermehrt Deutsche nach Lourdes, deren Interesse am
„Original“ durch die Berühmtheit Marpingens geweckt worden war. Als es den
preuβischen Grenzraumbewohnern während des Kulturkampfes lediglich gestattet
539
Siehe zu dieser nationalen Komponente der Heiligenverehrung: Mergel, Thomas: Pfarrer
Hansjakob in Frankreich. Transnationaler Katholizismus und Nationalismus im späten 19.
Jahrhundert, in: Europa und die Europäer. Quellen und Essays zur modernen Europäischen
Geschichte. Ein historisches Lesebuch – FS für Hartmut Kaelble zum 65. Geburtstag,
Frankfurt M. 2005, 141-147.
540
Gazette de Lorraine, 19.7.1876.
191
war, in Einzel- oder Kleingruppen nach Lourdes zu pilgern, schlossen sich die
meisten deutschen Grenzraumbewohner den jährlichen Pilgerzügen der Bistümer
Metz und Strasbourg an.541 Diese Gewohnheit wurde nach Beendigung des
Kulturkampfes beibehalten. Die katholischen Gläubigen aus dem deutschen Teil
des Grenzraumes konnten sich in Zeitungsanzeigen über mögliche Pilgerfahrten
nach Lourdes informieren und sich bei den zuständigen Pfarrern anmelden.542
Dass gleichzeitig zur aggressiv geführten Debatte um die beiden
Wallfahrtsorte Lourdes und Marpingen eine transnationale Wallfahrtsbewegung zu
beiden
Orten
nachweisbar
ist,
macht
den
Widerspruch
zwischen
der
Nationalisierung und der Transnationalität des katholischen Glaubens besonders
offensichtlich. In der religiösen Praxis nahm die Transnationalität des katholischen
Glaubens einen weitaus gröβeren Raum ein als die Nationalisierung des
Katholizismus. Die alte Gewohnheit, besonders im Frühling eine Pilgerreise auf die
andere Seite der Grenze zu unternehmen, änderte die neue nationale Prägung des
katholischen Glaubens nicht.543
541
Kotulla, Andreas Johannes: Deutsche Katholiken und Lourdes: Die Popularisierung der
Wallfahrt im Spiegel der literarischen Rezeption bis 1891, in: Wallfahrt und Kommunikation.
Kommunikation über Wallfahrt, (Hrsg.) Bernhard Schneider, Mainz 2004, 335. In Bezug auf
das gesamte Deutsche Reich setzte die Lourdes Wallfahrtswelle erst ab 1900 mit der
Gründung des „Deutschen Lourdes-Verein“ ein. Kotulla, Andreas Johannes: „Nach Lourdes“.
Der französische Marienwallfahrtsort und die Katholiken im Deutschen Kaiserreich (18711914), München 2006, 236ff.
542
Saar-Zeitung, 9.1.1893: Die Leser der Saar-Zeitung wurden darüber informiert, dass die vom
Metzer Abbé Collin geleitete Pilgerfahrt auf Mitte April verschoben worden sei. Diejenigen,
die von der Beteiligung zurücktreten wollen, sollten eine Postkarte an den Abbé schicken.
Über Pilgerzüge der Diözese Strasbourg: St.-Johanner Volkszeitung, 14.3.1907: Im Mai 1907
wurde von Strasbourg aus eine Pilgerfahrt nach Lourdes unternommen. ADBR, 27 AL 577:
Brief von Hohenlohe an den König (Abschrift), 30.9.1892: Deutsche Teilnehmer einer
Strasbourger Pilgerfahrt 1892.
Die Polizeidirektion des Regierungsbezirkes Trier meldete in ihren Wochenberichten, dass der
Fremdenverkehr aufgrund der in der Jahreszeit zahlreichen Wallfahrten sehr lebhaft sei.
LHAK, Best. 403, Nr. 17986: Polizeibericht vom 5.6.1852. Sehr engagiert zeigte sich
beispielsweise Pfarrer Folschwiller von Morsbach, der regelmäßig Pilgerreisen mit
katholischen Gläubigen nach Luxemburg und Saint-Avold unternahm. Die
Reiseinformationen wurden auch in Zeitungen der Saarregion in Annoncen bekannt geben,
sodass sich auch Katholiken aus dem Saarrevier zur Pilgerreise anmelden konnten. 1907 hatte
der Priester sogar einen Sonderzug nach Saint-Avold organisiert. Forbacher Bürger-Zeitung,
27.7.1906; St.-Johanner Volkszeitung, 3.5.1907; Forbacher Bürger-Zeitung, 23.3.1910. Zu
Saint-Avold: St.-Johanner Volkszeitung 17.5.1907; Forbacher Bürger-Zeitung, 18.5.1906;
543
192
Die Ähnlichkeiten der repressiven Maβnahmen der Machthaber gegen die
Katholiken beiderseits der Grenze trugen ebenfalls dazu bei, dass die
Nationalisierung
des
Katholizismus
in
Lothringen
die
Beziehung
der
Grenzraumbewohner nicht belastete. Die Argumente sowohl gegen die deutschen
als auch die lothringischen Pilger waren von Seiten der Behörden dieselben - auf
beiden Seiten wurden gesundheitliche und sittliche Gefährdungen angeführt, um
die Wallfahrten zu verbieten.544 Während des Kulturkampfes erfuhren sich die
Katholiken des Grenzraumes nicht nur als Glaubensgemeinschaft, sondern auch als
„Leidensgemeinschaft“ für die die nationale Grenze keine Rolle spielte.
6.2.2.
Konfessionelle Konflikte in Lothringen. Von einem nationalen
Konflikt zu einem Konflikt zwischen Laizisten und Katholiken
Die
Führungsrolle
der
katholischen
Geistlichen
innerhalb
der
Oppositionsbewegung gegen die deutschen Besatzer verstärkte, wie gezeigt wurde,
die Gleichsetzung der konfessionellen Auseinandersetzung mit dem nationalen
Konflikt. Antiprotestantische Aktionen der Bevölkerung waren die Folge. Noch vor
der Unterzeichnung des Frankfurter Abkommens wurde der protestantische
Friedhof in Forbach verwüstet. Die Bewohner Forbachs, die laut eines Leserbriefes
im Courrier de la Moselle, zuvor nie von religiösem Fanatismus angetrieben
worden waren, würden jetzt die kriegerischen Auseinandersetzungen auf religiöser
Ebene fortführen. Vor allem das Verhalten der katholischen Geistlichen würde das
544
Forbacher Zeitung, 20.5.1905; Forbacher Bürger-Zeitung, 18.5.1908; Forbacher Zeitung,
13.5.1901.
ADBR, 27 AL 577: von Püttkammer (Strasbourg) an den Bischof von Metz und Strasbourg,
13.9.1892. Verbot der Wallfahrten. Brief von Hohenlohe an den König (Abschrift),
30.9.1892: Der König wird darüber informiert, dass eine Pilgerfahrt genehmigt worden sei. Zu
den preußischen Unterdrückungsmaβnahmen: Blackbourn, Marienerscheinungen, 177.
Untersagten die Behörden Prozessionen, bezogen sie sich teilweise beiderseits der Grenze auf
dasselbe französische Gesetz aus dem Jahr 1801: LHAK, Best. 403, Nr. 16006:
Zeitungssauschnitt der « Germania », 13.7.1899. In Preußen wurde auch die „Verordnung
über die Verhütung eines die gesetzlichen Freiheit und Ordnung gefährdenden Missbrauchs
des Versammlungs- und Vereinigungsrechts“ vom 11. März 1850 angewandt. Siehe hierzu:
Gehlen, Kampf, 236.
193
Konfliktpotential innerhalb der Bevölkerung steigern.545 Auch in den folgenden
Jahrzehnten kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Protestanten
und Katholiken.546 Die Gewaltakte waren jedoch im Vergleich zur Anzahl der
gewaltlosen Auseinandersetzungen gering. Ein Streitpunkt war die Auslegung eines
französischen Gesetzes aus der Zeit der französischen Revolution, nach dem nur in
Gemeinden, in denen verschiedenen Kulte öffentlich ausgeübt werden, eine
Trennung der Friedhöfe nach Konfessionen zulässig war. Die reichsländischen
Behörden bewerteten erst den Gottesdienst als eine öffentliche Ausübung des
Kultes, wohingegen die katholischen Gemeinden darauf bestanden, dass nach alter
französischer Rechtsprechung auch Taufen und andere kultische Handlungen
hierzu zählten.547 Besonderes Aufsehen erregte der Fall Fameck. Als der
katholischen Gemeinde Fameck die konfessionelle Trennung ihres Friedhofes von
den Behörden verweigert wurde, versuchte der Ortsgeistliche durch eine Petition an
den Landesausschuss, unterstützt durch eine Unterschriftensammlung, eine
konfessionelle Trennung des Friedhofes durchzusetzen. Man ließ 10000 Exemplare
eines deutsch-französischen Aufrufes drucken und verschickte diesen in ganz
Lothringen. Laut Artikel würden die Geistlichen die Petition von Haus zu Haus
tragen und jeder der eine Feder halten könne, würde unterschreiben.548
Wegen der öffentlichen Prozessionen der katholischen Gläubigen kam es in
Lothringen ebenfalls zu Spannungen zwischen der katholischen Bevölkerung und
den Machthabern. In einer französischen Bestimmung, basierend auf dem
Konkordat vom 10. September 1801 zwischen der französischen Regierung und
Papst Pius VII., wurde festgelegt, dass in den Städten, in denen Kirchen
545
546
Courrier de la Moselle, 9.5.1871.
So wurde 1914 eine evangelische Kirche in Queuleu, einem Vorort von Metz verwüstet.
Saarbrücker Zeitung, 12.6.1914; Saarbrücker Zeitung, 13.6.1914.
547
Saarbrücker Zeitung, 19.9.1880.
548
Saarbrücker Zeitung, 6.2.1905; Saarbrücker Zeitung, 16.1.1905. Publik wurde auch der Fall
Angevillers im Kreis Thionville. Bei der Neuanlegung des Friedhofes wurde der Gemeinde
der Antrag, einen konfessionell getrennten Friedhof anlegen zu dürfen, mit der Begründung
abgelehnt, dass in dem Ort keine protestantischen Gottesdienste abgehalten wurden.
Saarbrücker Zeitung, 3.7.1909. Weigerung des katholischen Geistlichen in Creutzwald, einem
Protestanten eine Grabstätte auf dem katholischen Friedhof bereit zu stellen. Saarbrücker
Zeitung, 3.7.1909.
194
verschiedener Glaubensrichtungen existierten, außerhalb der zum katholischen
Gottesdienst bestimmten Gebäude keine religiöse Zeremonie stattfinden durfte.549
Obwohl diese Bestimmung in französischer Zeit nur phasenweise umgesetzt wurde,
wandten die deutschen Besatzer diese im Reichsland konsequent an. Ab 1874
wurde in Metz die Fronleichnamsprozession untersagt, als die Metzer Katholiken
daraufhin nach Plantières-Queuleu zur Prozession gingen und dieser Ort 1908 in
Metz eingemeindet wurde, zeigten Protestanten den katholischen Pfarrer wegen des
Abhaltens einer verbotenen Prozession an.550
Die
katholischen
Geistlichen
nutzten
vor
allem
die
religiösen
Zusammenkünfte zu pro- französischen Demonstrationen. Besonders in den ersten
Jahren nach der Annexion wurden die zahlreichen Gedenkgottesdienste und
Prozessionen,
aufgeladen
mit
nationalen
Symbolen
und
französischen
Treuebekenntnissen, zu einem offenen Bekenntnis für das verlorene Heimatland.551
Zum siebten Jahrestag der Kämpfe um die Spicherer Höhe wurde in Forbach durch
einen Anschlag an der Kirche bekannt gegeben, dass das Requiem nur für die
französischen Soldaten gehalten werden würde. Der Innenraum der Kirche war
durch Kränze mit der Aufschrift „Partie“ und Bandschleifen in französischen
Farben geschmückt.552 Noch 1893 wurde in Metz ein Trauergottesdienst für die
gefallenen französischen Soldaten von zahlreichen Lothringern besucht.553
Der antideutsche Protest der lothringischen Geistlichen äuβerte sich auch in
der Weigerung, Festgottesdienste zum Kaisergeburtstag Wilhelms I. und Wilhem
II. abzuhalten. Wurden in Forbach 1885 in der evangelischen Kirche und in der
Synagoge Festgottesdienste zum Kaisergeburtstag zelebriert, feierte die katholische
549
LHAK, Best. 403, Nr. 16006: Zeitungsausschnitt der « Germania », 13.7.1899.
550
ADM, 7 AL 11: Zeitungsausschnitt der « Augsburger Postzeitung », 6.7.1908.
Courrier de la Moselle, 26.8.1871: Gedächtnisgottesdienst in Sarreguemines. Courrier de la
Moselle, 26.8.1871: Gedächtnisgottesdienst in Sarrebourg. Roth, Lorraine, 132:
Gedächtnisgottesdienst in Metz.
ADBR, 29 AL 10: Zeitungsausschnitt « Berliner Tageblatt », 17.8.1877.
551
552
553
Forbacher Zeitung, 10.9.1893.
195
Glaubensgemeinschaft den Kindergottesdienst zu Ehren des Heiligen Josef.554 1889
teilte schliesslich der katholische Geistliche der Forbacher Gemeinde während des
Hauptgottesdienstes mit, dass der Bischof von Metz angeordnet habe, dass in jeder
katholischen Kirche am Vorabend des Kaisergeburtstages und am Geburtstag selbst
die Glocken geläutet werden sollen. Ein Festgottesdienst wie in der Synagoge und
in der evangelischen Kirche wurden jedoch weiterhin nicht abgehalten.555
In Laufe der 1890er Jahre gaben die lothringischen Geistlichen ihre
Führungsrolle innerhalb der pro- französischen Protestbewegung immer mehr
auf.556 Verantwortlich für diese Entwicklung waren die antiklerikalen Maβnahmen
der
französischen
Regierung
und
die
beginnende
Einflussnahme
der
sozialdemokratischen Bewegung in Lothringen.557 Beide politischen Bewegungen
evozierten das alte Freund-Feind- Bild entlang der Konfliktlinie zwischen
Katholizismus und Laizismus. In der Folge verlagerte sich das Engagement der
lothringischen Katholiken immer deutlicher auf die Wahrung der katholischen
Interessen und auf die Zurückdrängung der laizistischen Bewegung.558 Der
Widerstand gegen die Annexion stand nun nicht mehr im Mittelpunkt der
Aktivitäten der katholischen Geistlichen. Diese Verschiebung der katholischen
Interessen ist auch an der Verwendung der französischen Nationalsymbole
nachvollziehbar. Traten die nationalen Symbole zunächst vor allem im religiösen
Kontext in Erscheinung, erfolgte nun eine „Republikanisierung“ der französischen
Nationalsymbole.559 Immer seltener erhielten die Gottesdienste eine pro-
554
555
Forbacher Zeitung, 24.3.1885. Forbacher Zeitung, 24.3.1885. Forbacher Zeitung, 28.3.1885.
Forbacher Zeitung, 19.3.1885.
Forbacher Zeitung, 22.1.1889.
556
Siehe Kapitel:6.2.3. „Organisationsbestrebungen der Katholiken im Grenzraum. Gemeinsam
für die Wahrung der katholischen Interessen und gemeinsam gegen die Sozialdemokratie
(1890-1914)“.
557
Der Laizsimus wird hier im übertragenen Sinne als eine mit dem Katholizismus
konkurrierende „Konfession“ betrachtet. Siehe zu dieser Gleichsetzung: Mollenhauer,
Symbolkämpfe, 202.
558
Siehe: Kapitel: 6.2.3. „Organisationsbestrebungen der Katholiken im Grenzraum. Gemeinsam
für die Wahrung der katholischen Interessen und gemeinsam gegen die Sozialdemokratie
(1890-1914)“.
Zum Kampf um die nationale Symbolik zwischen Laizisten und Katholiken siehe:
Mollenhauer, Symbolkämpfe.
559
196
französische Note und immer mehr gerieten die Gefallenendenkmäler in den
Kirchhöfen in Vergessenheit. Demgegenüber gewann der von den Republikanern
1880 zum Nationalfeiertag erklärte 14. Juli für die Lothringer an Bedeutung.
Massenweise reisten die Lothringer in den 1880er und 1890er Jahren in die
französischen Grenzstädte.560
Nachdem die lothringischen Geistlichen ihr politisches Engagement von
einer antideutschen Protesthaltung auf die Wahrung der katholisch- lothringischen
Interessen innerhalb des Deutschen Reiches verlagerten, entbrannte in Lothringen
wieder die Auseinandersetzung zwischen Laizisten und Katholiken. Die
Protestbewegung gegen die Annexion, die beide Bevölkerungsteile zuvor geeint
hatte, existierte in der ursprünglichen Form nicht mehr.561 Sichtbar wird die
Konfliktlinie zwischen Laizisten und Katholiken auch an der Polarisierung der
lothringischen Arbeiterschaft in einen sozialdemokratisch und einen christlich
orientierten Teil.562 Dass die Auseinandersetzungen zwischen Laizisten und
Katholiken nicht nur auf verbaler Ebene ausgetragen wurden, zeigt ein Beispiel aus
dem Elsass: In dem Ort Schirmeck kam es während des Wahlkampfes zwischen
den Anhängern beider Gruppen fast zu einer Massenschlägerei. Als sich ein Redner
während einer Versammlung in einer Wirtschaft für den Zentrumskandidaten
einsetzte, entbrannte eine hitzige Debatte, in deren Verlauf sich im Saal zwei Lager
bildeten, deren Anhänger sich gegenseitig mit „Vive Dieu-“, „Es lebe Gott“ -Rufen
und „A bas la galotte-“, „Nieder mit den Pfaffen“ -Rufen überstimmen wollten.
Einige Tage später kam es wieder zu einer Auseinandersetzung zwischen beiden
Lagern, bei der der Priester so stark verletzt wurde, dass er ärztliche Hilfe in
Anspruch nehmen musste.563
560
561
562
563
Forbacher Bürgerzeitung, 16.7.1904: Forbacher Zeitung, 22.7.1905. Siehe auch Kapitel: 5.5.4.
„Miteinander oder Konfrontation? Die letzten zehn Jahre vor Beginn des Ersten Weltkrieges“.
Dieser Zusammenschluss spiegelte sich auch in den Bemühungen um ein politisches Bündnis
der Katholiken und der liberalen „Protestler“ im Reichstag wider: Hiery, Reichstagswahlen,
97f.
Siehe Kapitel: 4.2.7. „Die Arbeiterorganisationen und die nationale Grenze“.
Saarbrücker Zeitung, 17.1.1912.
197
6.2.3.
Organisationsbestrebungen
der
Katholiken
im
Grenzraum.
Gemeinsam für die Wahrung der katholischen Interessen und
gemeinsam gegen die Sozialdemokratie (1890-1914)
Hatten die katholischen Gläubigen auf beiden Seiten der Grenze den Kulturkampf
als
Auseinandersetzung
zwischen
weltlich-protestantischer
und
geistlich-
katholischer Macht erfahren, wurde die antiklerikale Haltung der französischen
Regierung ab den 1880er Jahren von den lothringischen Katholiken als ein
Wiederbelebung des traditionsreichen Konfliktes zwischen Katholizismus und
Laizismus wahrgenommen.564 Folge war, dass sich die lothringischen Katholiken
von der französischen Regierung distanzierten und sich gleichzeitig den deutschen
katholischen Organisationen öffneten, von denen sie sich die Wahrung der
katholischen Interessen und die Abwehr der sozialdemokratischen Bewegung
erhofften.565 Waren die Katholiken vor der Annexion von den antiklerikalen
Maβnahmen der Regierung direkt betroffen, waren sie nun lediglich Beobachter
der Situation in ihrem ehemaligen Heimatland.
Im Laufe der 1880er Jahre wurde in Frankreich eine Reihe von Gesetzen
erlassen, die auf eine strikte Trennung von Staat und Kirche hin abzielten, in deren
Folge 261 Klöstern geschlossen und 5643 Ordensleute teilweise gewaltsam
ausgewiesen wurden. In einer Reihe weiterer Gesetze setzte die Regierung eine
konsequent laizistische Schulpolitik um, in deren Folge der Religionsunterricht in
den Schulen verboten und die Ordensgeistlichen durch weltliche Lehrer ersetzt
564
565
Für den politischen Katholizismus im Kaiserreich ist die Arbeit von Wilfried Loth
entscheident. Loth, Wilfried: Katholiken im Kaiserreich. Der politische Katholizismus in der
Krise des wilhelminischen Deutschlands, Bonn 1984. Grundlegend zum Verhalten der
katholischen Geistlichen im annektierten Lothringen: Favrot, Brigitte: Le gouvernement
allemand et le clergé catholique Lorrain de 1890 à 1914, Wiesbaden 1981. Favrot arbeitet die
Kontinunität der Konfliktlinie Katholizismus- Laizismus zwischen Vor- und Nachkriegszeit
nicht heraus, weist jedoch auf den direkten Zusammenhang zwischen antiklerikalen
Maβnahmen in Frankreich und der Öffnung der Katholiken für deutsche Organisationen ab
den 1890er Jahren hin: Fravrot, gouvernement, 129ff. Zu den Abläufen der Etablierung der
deutschen katholischen Organisationen in Lothringen siehe: Roth, Lorraine, 517ff; Roth,
Lorraine, 471ff; Hiery, Reichstagswahlen, 92ff.
Becker, Winfried: Der Kulturkampf als europäisches und als deutsches Phänomen, in:
Historisches Jahrbuch, 101 (1981) 422-446. Zum französischen Kulturkampf: 432 und 441ff.
198
wurden.566 Mit dem Beginn der Regierungszeit Emile Combes im Jahr 1902 nahm
der Antiklerikalismus an Schärfe zu. Konfessionelle Schulen wurden geschlossen,
Orden mit Gewalt zur Auflösung gezwungen und ihr Besitz konfisziert. Das Gesetz
vom Juli 1904 entzog den Nonnen und Patres die Unterrichtserlaubnis, auch wenn
diese die offizielle Lehrerlaubnis besaßen.567 Die Entfaltungsmöglichkeiten der
lothringischen katholischen Geistlichen waren nunmehr im Vergleich zu denen
ihrer Glaubensbrüder und Schwestern in Frankreich sehr groβ. Konfessionelle
Schulen bestanden im Reichsland weiterhin und der Religionsunterricht nahm
einen beachtlichen Teil des Unterrichts ein.568 In Lothringen besaβen die
Geistlichen unter deutscher Herrschaft die gesellschaftliche Stellung, die sie in
Frankreich verloren hatten. Sechs Monate bevor in Frankreich mit dem Gesetz zur
Trennung von Kirche und Staat die laizistischen Gesetzesinitiativen ihren
Höhepunkt erreichten, fand ein Treffen zwischen Geistlichen der Saarregion und
Lothringens statt, das die Reform des Religionsunterrichtes in den Schulen zum
Thema hatte.569 Nachdem in Frankreich der Religionsunterricht in den Schulen
verboten und massenweise katholische Lehranstalten geschlossen worden waren,
berieten
deutsche
und
lothringische
Katholiken
über
die
Inhalte
des
Religionsunterrichtes in den Schulen des Grenzraumes. Mit der Wahl dieser
Thematik konnten die lothringischen Geistlichen – beabsichtigt oder nicht – ein
deutliches Zeichen in Richtung der französischen Regierung senden: Was in
Frankreich verboten war, war im Deutschen Reich möglich.
Der gemeinsam durchlebte Kulturkampf, die antiklerikalen Maβnahmen der
französischen Regierung und die beginnende Einflussnahme der Sozialdemokratie
in Lothringen zeigten den Katholiken im Grenzraum die Notwendigkeit auf, sich zu
organisieren, um erneute Angriffe von staatlicher Seite und das Ausbreiten der
laizistischen Bewegung zu verhindern. Verbindungen zwischen den Diözesen
566
Caron, François: Frankreich im Zeitalter des Imperialismus, Stuttgart 1991, 369ff.
567
Caron, Frankreich, 529ff.
568
Roth, Lorraine, 126.
569
Saarbrücker Zeitung, 27.5.1905: Es wurde beschlossen, sich jedes Jahr im Herbst in
Saarbrücken und im Frühjahr in Metz zusammenzufinden.
199
bestanden auf allen hierarchischen Ebenen. Der Metzer Bischof Dupont des Loges
und sein Nachfolger Bischof Fleck waren mit dem Trierer Bischof Korum durch
die gemeinsame französische Kultur und Sprache – Korums Muttersprache war
Französisch – eng verbunden und auch der spätere Metzer Bischof Benzler hielt die
Beziehungen nach Trier aufrecht.570 Auf dem Katholikentag in Mannheim Ende
August 1902 kam der katholische Klerus zusammen, um über die Aufstellung von
Zentrumskandidaten im Reichsland bei der kommenden Wahl zu diskutieren.
Schon seit den 1890 Jahren hatten die Befürworter der politischen Organisation der
lothringischen Katholiken in der Zentrumspartei zugenommen. Nachdem sich das
Zentrum bereits in der Saarregion erfolgreich etabliert hatte, stellten sich die
Zentrumskandidaten 1903 das erste Mal auch in Lothringen zur Wahl.571 Die
Katholiken des Grenzraumes, die sich in katholischen Freizeitvereinen, im
Volksverein und im Kohlenrevier in zahlreichen katholischen Jünglings- und
Arbeitervereinen
organisierten,
fanden
nun
im
Zentrum
ihr
politisches
Sprachrohr.572
Die Wahrung der katholischen Interessen war das eine Ziel der katholischen
Organisation, das andere Ziel war die Eindämmung des Einflusses der
sozialdemokratischen Bewegung. Mit der Aufhebung der Sozialistengesetze, dem
Wahlerfolg der vermeintlich sozialdemokratischen Arbeiterkandidaten 1890 im
lothringischen Teil des Kohlenreviers und der Fahrt zum internationalen
Bergarbeiterkongress in Paris 1891, wuchs auf katholischer Seite die Befürchtung,
dass der Sozialismus und die laizistische Bewegung an Einfluss gewinnen würde.
In Lothringen bestätigten die guten Wahlresultate der SPD- Kandidaten in den
folgenden Jahren die Befürchtungen der Katholiken.573 Eine Zunahme der
Bemühungen auf beiden Seiten der Grenze, die Arbeiter an katholische
570
571
572
573
Favrot, gouvernement, 80. Embach, Michael: Michael Felix Korum (1881-1921), in: Die
Bischöfe von Trier seit 1802. FS für Bischof Dr. Hermann Josef Spital zum 70. Geburtstag am
31. Dezember 1995, Trier 1996, 141ff.
Roth, Lorraine, 517ff.
Siehe Kapitel: 4.2.5. „Die christlichen Arbeiterorganisationen. Ausdruck eines
grenzüberschreitenden katholischen Milieus“.
Siehe: Abbildungen 43-47 (Kapitel: 4.2.5. „Die christlichen Arbeiterorganisationen. Ausdruck
eines grenzüberschreitenden katholischen Milieus“).
200
Organisationen zu binden und sie so von der sozialdemokratischen Bewegung
fernzuhalten, sind unverkennbar. Auch die seelsorgerische Arbeit der Geistlichen
zielte ganz darauf ab, die Grenzraumbevölkerung für sozialdemokratische Ziele
unempfänglich zu machen. So war die Bekämpfung dieses „neuen Feindes“ eine
der Hauptintentionen der Rockwallfahrt 1891, welche die Gläubigen gegen den
„revolutionären Zeitgeist“ stärken sollte.574 Hatten sich die Katholiken des
Grenzraumes zuvor im Konflikt gegen die protestantischen Machthaber enger
zusammengeschlossen, war der gemeinsame Feind nun die sozialdemokratische
beziehungsweise laizistische Bewegung. Dass diese Auseinandersetzung nur
marginal die Saarregion betraf ist dabei ohne Bedeutung.575 Wichtig ist lediglich,
dass die grenzüberschreitenden Verflechtungen des katholischen Milieus nach
ausgestandenem Kulturkampf mit der „Bekämpfung“ eines gemeinsamen Feindes
erneut intensiviert wurden. Dass dieser gemeinsame Feind auch Züge der beiden
Nationen Deutschland und Frankreich annahm, bewirkte eine zusätzliche Stärkung
des transnationalen Zusammenhaltes der Katholiken.
6.2.4.
Nationalisierung des Katholizismus. Eine bedingte Konstante in
Lothringen nach 1871
Die Intensivierung der Verflechtungen zwischen den Katholiken des Grenzraumes
während des Kulturkampfes und später durch die grenzüberschreitend agierenden
katholischen Organisationen darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die
Nationalisierung des Katholizismus nach dem Deutsch-Französischen Krieg im
Grenzraum für den gesamten untersuchten Zeitraum immer präsent blieb. So
lehnten die frankophonen Katholiken einen Anschluss an deutsche Organisationen
gröβtenteils ab, die katholischen Arbeitervereine hatten vor allem im lothringischen
Kohlenbecken Erfolg, und die katholischen Jünglingsvereine konnten im
574
Zur Intention der Heiligen Rockwallfahrt: Korff, Frömmigkeit, 375ff.
575
Siehe Kapitel: 4.2.4. „Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung. Gescheiterte Organisation,
aber erfolgreiche Einflussnahme im lothringischen Steinkohlenrevier“.
201
französischsprachigen Teil Lothringens erst mit einer pro- französischen
Ausrichtung ab 1908 Mitglieder werben.576 Auch der Volksverein stieβ im
frankophonen Teil des Grenzraumes auf Ablehnung. Erst als 1903 eine Abteilung
speziell für die frankophone Bevölkerung, die „Union populaire catholique“,
gegründet wurde, traten vermehrt französischsprachige Katholiken in den Verein
ein. Trotz einiger gemeinsamer Themen mit der deutschen Sektion des
Volksvereins, behielt die Union populaire ihre Individualität und hielt gesonderte
Versammlungen ab. Die Redner kamen hier nicht aus dem deutschen Teil des
Grenzraumes, sondern aus Nancy oder Paris. 1907 trennte sich schließlich die
französische Sektion auch juristisch von der deutschen Sektion des Volksvereins,
indem eine unabhängige Organisation unter dem Namen „Union Populaire
catholique et lorraine“ gründete wurde.577 Ebenso gespalten waren die Meinungen
über die Zentrumspartei. In der einflussreichen katholischen Zeitung „Lorrain“
wurde eine Artikelreihe veröffentlicht, die sich gegen das Zentrum aussprach, da
man in dieser Partei nicht die linguistischen und kulturellen Rechte der Lothringer
verteidigen würde.578 Viele lothringische Geistliche, auch im frankophonen Teil,
glaubten jedoch, dass man lediglich mit einer starken katholischen Partei einen
erneuten „Kulturkampf“ verhindern könne.579 Dennoch waren die Spannungen in
Lothringen zwischen den sich nach Deutschland öffnenden und den nach
Frankreich ausgerichteten Geistlichen groβ, und nicht selten kam es zu öffentlichen
Auseinandersetzungen zwischen Vertretern beider Richtungen. Die nationale
Frage, die bis 1890 von den lothringischen Klerikern einheitlich beantwortet
wurde, teilte nun die lothringischen Gläubigen.580 Einigkeit herrschte jedoch darin,
dass auf politischer Ebene die speziellen Interessen Elsass-Lothringens zu
verteidigen seien.581
576
Roth, Lorraine, 479f.
577
Roth, Lorraine, 473f.
578
ebda., 522. Hier werden die Ausgaben des « Lorrain » vom 7., 8. und 9. November 1906
erwähnt.
ebda., 522.
579
580
Zum Konflikt zwischen den lothringischen Geistlichen: Roth, Lorraine, 480ff.
581
Roth, Lorraine, 524.
202
Die
Kontroversen
innerhalb
der
lothringischen
katholischen
Glaubensgemeinschaft bezüglich der Öffnung zum Deutschen Reich beeinflussten
jedoch die Beziehungen zu den alteingesessenen deutschen Grenzraumbewohnern
nicht. Besonders deutlich wird dies durch eine Untersuchung, die 1918 von den
Behörden wegen eines Fotos angeordnet wurde, das auf Initiative der Anhänger des
französischen Zweiges des Volksvereins, der Union Populaire, 1903 aufgenommen
worden war. Auf dem Foto hatten sich eine Gruppe Männer und zwei Frauen in
elsässischer und lothringischer Tracht vor einem lothringischen Kreuz und einem
Banner mit der Aufschrift „Quand Même“ ablichten lassen. Das Schlagwort
„Quand Même“- „Trotzdem“- stand für den Widerstand gegen die Annexion.
Während des Verhörs der 13 auf dem Bild abgelichteten Personen, stellte sich
heraus, dass sich auch zwei Volksvereinsmitglieder aus dem bayerischen und
preußischen Teil des Grenzraumes auf dem Foto hatten ablichten lassen.582
Sicherlich waren die Verflechtungen zwischen frankophonen Lothringern und
germanophonen, deutschen Katholiken im Grenzraum aufgrund der größeren
Entfernung zur Grenze und der Sprachbarrieren weniger dicht als der
grenzüberschreitende Kontakt der germanophonen lothringischen und deutschen
Katholiken. Eine national motivierte Abgrenzung der frankophonen Katholiken im
Grenzraum von den alteingesessenen deutschen Grenzraumbewohnern ist jedoch
nicht festzustellen.
Belasteten
die
nationalen
Unterschiede
die
grenzüberschreitenden
Beziehungen zwischen den katholischen alteingesessenen Grenzraumbewohnern
nicht merklich, war der nationale Konflikt im Zusammenleben der nach Lothringen
eingewanderten und einheimischen Katholiken deutlich spürbar. Streitpunkt war
hier beispielsweise die Aussprache der Messe. „altdeutsche“ Gläubige beschwerten
sich über die ungewohnte Aussprache des Lateinischen durch die französischen
Muttersprachler in der Messe.583 In einem anderen Fall weigerten sich
eingewanderte Lehrer, während der Messe zu singen, da ihnen der Pfarrer verboten
582
ADM, 2 AL 161: Untersuchung des Grenzpolizeikommissars vom 21.1.1918.
583
Saarbrücker Zeitung, 29.9.1881.
203
habe, mit der deutschen Aussprache zu singen. In dem Artikel heisst es: „Der
Pfarrer hat nicht zugegeben, daß wir u statt ü sangen.“ Als der Pfarrer wiederholt
gebeten wurde, den Lehrern zu erlauben mit deutscher Aussprache zu singen,
behauptete der Geistliche, dass dies der Bischof verboten habe und betonte
auβerdem, dass es in Lothringen Brauch sei „ü“ zu singen. Als die Lehrer
vorschlugen, einen Brief an den Bischof zu senden, um die Frage der Aussprache
zu klären, habe der Pfarrer in einem sehr erregten Tone gesagt: „Ich will nicht
kapitulieren und will auch nicht, daß mein Bischof kapituliert.“584 Nicht nur wegen
der Aussprache kam es zwischen den eingewanderten und lothringischen
Katholiken zu Auseinandersetzungen. Ebenso beschwerten sich „altdeutsche“
Katholiken über die „italienische“ Art, beispielsweise über die Sitte, Schüsse
abzufeuern, mit der die Katholiken in Lothringen kirchliche Feste feiern würden.585
Auch bei Beerdigungen kam es zu Konflikten zwischen alt- und neudeutschen
Katholiken. Mitglieder des Kriegervereins in Forbach waren zur Beerdigung eines
Mitgliedes mit der Vereinsfahne angetreten. Der Priester erklärte daraufhin, dass er
nur ein kirchliches Begräbnis vornehmen könne, wenn keine Fahne mitgeführt
werden würde.586 Die beschriebenen Streitigkeiten zwischen den katholischen
Gläubigen hatten einen eindeutig nationalen Hintergrund, wurden aber auf der
Ebene interner Milieustreitigkeiten ausgetragen. Die Frage, was zum richtigen
Verhalten und Ritus der katholischen Glaubensgemeinschaft gehörte, erhielt in den
beschriebenen Fällen eine nationale Konnotation.
584
Saarbrücker Zeitung, 10.8.1893.
585
Saarbrücker Zeitung, 29.9.1881.
586
Saarbrücker Zeitung, 20.11.1885. Forbacher Zeitung, 19.11.1885. Ein weiteres Beispiel:
Saarbrücker Zeitung, 24.7.1873. Das militärische Verhalten der Kriegervereine wurde von den
Geistlichen nicht nur in Lothringen, sondern im gesamten Deutschen Reich kritisiert.
Rohkrämer, Militarismus, 68f.
204
6.3.
Zusammenfassung
Wurde in den Kapiteln „Familie“, „Arbeit“ und „Freizeit“ die Bedeutung der
katholischen Religion als konstitutives Element eines grenzüberschreitenden
Identifikationsraumes herausgestellt, zeigte das Kapitel „Kirche“, dass im
Grenzraum
neben
der
Transnationalität
auch
eine
Nationalisierung
des
Katholizismus deutlich präsent war. In der Volksfrömmigkeit und den religiösen
Praktiken manifestierte sich die gelebte Transnationalität des katholischen
Glaubens im Grenzraum. Die „einfachen“ Gläubigen im Grenzraum verband eine
während der Wallfahrten, Gottesdienste und Firmungen erlebte, transnationale,
religiöse Praxis. Nicht nur innerhalb der Frömmigkeitspraktiken wurden die
gemeinsamen Wertekomplexe und die gemeinsame Lebenskultur erfahren, sondern
auch in den katholischen Vereinen, deren Feste auch weite Bevölkerungsteile
anzogen. Gefördert durch die Verbindungen der Geistlichen, bildete das
grenzüberschreitende Erleben des Glaubens die Basis für ein transnationales
katholisches Milieu.587
Der grenzüberschreitende Zusammenhalt des katholischen Milieus im
Grenzraum wurde bestärkt, wenn deren Lebenswelt durch eine externe Gefahr
bedroht wurde. Während des Kulturkampfes erfuhren sich die lothringischen
Katholiken und die Katholiken der Saarregion als eine Glaubensgemeinschaft und
als „Leidensgemeinschaft“, die in Opposition zum protestantisch dominierten
Deutschen Reich stand. Paradoxerweise war der Konfessionskonflikt ein
konstitutives
Element
der
katholischen
Milieubildung,
obwohl
die
Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Protestanten in Lothringen Formen
eines nationalen Konfliktes zwischen deutschen Besatzern und Lothringern
annahm. Die Konfliktlinie zwischen Katholiken und Laizisten wirkte ähnlich
integrativ auf das grenzüberschreitende katholische Milieu wie der Kulturkampf.
Die
587
lange
Tradition
des
Konfliktes
zwischen
beiden,
sich
feindlich
Zur zentralen Rolle der Kultformen und Frömmigkeitspraktiken für die katholische
Milieubildung: Busch, Norbert: Frömmigkeit als Faktor des katholischen Milieus. Der Kult
zum Herzen Jesu, in: Religion im Kaiserreich. Milieus – Mentalitäten – Krisen, (Hrsg.) Olaf
Blaschke, Frank-Michael Kuhlemann, Güthersloh 1996, 136-164.
205
gegenüberstehenden Bevölkerungsgruppen bewirkte nach 1890, infolge der
laizistischen Gesetzesinitiativen in Frankreich eine Stärkung des Zusammenhaltes
der katholischen Glaubensgemeinschaft und einen merklichen Bedeutungsverlust
der Nationalisierung des Katholizismus in Lothringen. Sowohl die Opposition
zwischen Protestanten und Katholiken als auch die Konflikte zwischen Laizisten
und Katholiken, trugen zur Festigung des grenzüberschreitenden katholischen
Milieus bei. Dies erklärt auch, warum sich die ideologische Grenze zwischen
Katholiken und Laizisten zwar in einer Spaltung der Arbeiterschaft in eine radikale
und gemäβigte Arbeiterbewegung äuβerte, sich diese Polarisierung jedoch nicht
negativ auf die grenzüberschreitenden Familienverflechtungen auswirkte.588
Die Diskussionen um die Marienwallfahrtsorte Lourdes und Marpingen, die
anhaltenden
Konflikte
zwischen
den
eingewanderten
und
einheimischen
Katholiken in Lothringen sowie die Ablehnung der katholischen Organisationen
nach deutschem Vorbild durch die frankophonen Katholiken zeigen jedoch, dass
die Nation innerhalb der katholischen Glaubensgemeinschaft des Saar-MoselRaumes dauerhaft als Element der Identifikation präsent blieb.
Die beiden sich widersprechenden Deutungsarten des Katholizismus
existierten im Grenzraum parallel zueinander. Da paradoxerweise die Opposition
der Katholiken des Grenzraumes zum Deutschen Reich wie auch zur französischen
Nation
ein
konstitutives
Element
der
regionalen
Transnationalität
der
Glaubensgemeinschaft darstellte, trat die nationale meist hinter die regionale
Identifikation. Hatte während des Kulturkampfes die Opposition zu den
protestantischen, deutschen Machthabern eine Intensivierung der transnationalen
Verbindungen der Katholiken im Grenzraum zur Folge, bewirkten die laizistischen
Gesetzesinitiativen in Frankreich eine Abwendung der lothringischen Katholiken
von Frankreich und eine erneute Festigung des grenzüberschreitenden katholischen
Milieus.
588
Nur
so
ist
zu
verstehen,
warum
der
als
unüberwindbarer
Siehe Kapitel: 3.2.5. „Binationale Ehen: Land- und Industrieregion im Vergleich“.
206
„Deutschenhasser“ bekannte lothringische Geistliche Henri Collin in den 1890er
Jahren auch für die saarpreußischen Katholiken Pilgerreisen organisierte.589
589
Zu Henri Collin siehe: Roth, Lorraine, 191f. Über die Organisation der Pilgerreise durch
Collin: Saar-Zeitung, 9.1.1893.
207
7.
Fazit und Ausblick
7.1.
Das Eigene in der Fremde. Ausmaβ und Mechanismen der
grenzüberschreitenden Identifikation
Inwieweit beeinflusste die nationale Grenze die Definition des Eigenen und
Fremden im Saar-Mosel- Raum? Die Antwort auf diese Frage fällt je nach
eingenommem Blickwinkel unterschiedlich aus. Auf einer abstrakten, imaginären
Ebene war die „Nation“ Teil des Identitätskonstruktes der Grenzraumbewohner. Im
Alltag, also auf der gelebten Ebene, trennte die nationale Grenze die Menschen
hingegen nicht. Vielmehr beschreibt ein dichtes Netzwerk transnationaler
Verbindungen einen grenzüberschreitenden Identifikationsraum, in dem sich eine
gelebte, transnationale Gemeinschaft konstituierte. Dieses transnational gelebte
„Eigene“ stand in einem Konkurrenzverhältnis zur gedachten, nationalen
Gemeinschaft.590
Mehrere Faktoren beeinflussten die Formierung des transnationalen
„Eigenen“ beziehungsweise beeinflussten diese nicht. Gesetzliche Bestimmungen
waren für die Ausbildung des grenzüberschreitenden Identifikationsraumes kein
Hindernis. Ohne groβe Relevanz für die Ausprägung der Vernetzungen war auch
die Grenzentfernung, solange die Distanz einen regelmäβigen Grenzübertritt der
Bewohner nicht verhinderte. Andere Faktoren waren entscheidender für die
Ausbildung und die Ausmaβe der grenzüberschreitenden Identifikation.
Basis für den groβen Umfang des transnationalen „Eigenen“ im Saar-MoselRaum waren die sprachlichen und konfessionellen Gemeinsamkeiten der
Bewohner.
Wobei
gemeinschaftsbildende
erst
die
Wirkung
Kombination
ausmachte.
Eine
beider
Faktoren
sprachliche
ohne
deren
eine
konfessionelle Homogenität und umgekehrt hätte einen weitaus geringeren Grad
590
Begriffe in Anlehnung an die bahnbrechende Arbeit Benedict Andersons: Anderson,
Benedict: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, New
York, London, 1991.
208
grenzüberschreitender Identifikation nach sich gezogen. Das bedeutendere der
beiden Identifikationselemente war die Konfession. Trotz der aufgezeigten
Auseinandersetzungen zwischen frankophonen und germanophonen Katholiken im
Grenzraum waren diese durch gleiche beziehungsweise ähnliche religiöse und
kulturelle Praktiken miteinander verbunden. Die Sprachgrenze war weitaus leichter
zu überwinden als die konfessionelle Grenze, die nahezu unüberwindbar das
„Eigene“ vom „Fremden“ trennte.591 Neben den religiösen Divergenzen beider
Glaubensrichtungen und der Inkompatibilität der katholischen und protestantischen
Deutungsmuster und Lebenswelten, erhöhte der Konflikt zwischen protestantischen
Machthabern
und
katholischer
Bevölkerung
die
Undurchlässigkeit
der
konfessionellen Grenze.
Waren die gemeinsame Sprache und Konfession dauerhaft konstitutive
Elemente eines grenzüberschreitenden Identifikationsraumes, konnte das Eintreten
für gemeinsame politische Ideale nur vorübergehend zur Integration im Grenzraum
beitragen. Hatte die bürgerlichen Schichten vor dem Deutsch-Französischen Krieg
ein intensives Geflecht grenzüberschreitender Beziehungen verbunden, existierten
diese auf die politische Traditionen des Revolution 1848 aufbauenden
Verbindungen nach 1871 nicht mehr. Der Bruch zwischen Vor- und Nachkriegszeit
fiel vor allem wegen der konfessionellen und sprachlichen Heterogenität des
Bürgertums im Grenzraum so deutlich aus. Gehörten im Saarrevier die Mitglieder
der gehobenen Schichten mehrheitlich der protestantischen Konfession an, waren
die Lothringer entweder Laizisten oder Katholiken. Sprachliche Gemeinsamkeiten
verbanden die bürgerlichen Schichten ebenfalls nur begrenzt. Muttersprache der
Mehrheit der Bürger „Deutschlothringens“ war Französisch.
Neben Konfession und Sprache bestimmte der Grad der industriellen
Entwicklung beziehungsweise der Grad der infrastrukturellen Verflechtungen und
des
Arbeitskräfteaustausches
Verflechtungen.
591
Die
die
Ausprägung
Netzwerkforschung
der
bestätigt
grenzüberschreitenden
die
Wichtigkeit
der
Wie stark der konfessionelle Gegensatz politische und kulturelle Bereiche durchschnitt,
zeigen die Sammelbände: Blaschke; Kuhlemann, Religion sowie Blaschke, Konfessionen.
209
Brückenfunktion der schwachen Beziehungen für den Ausbau von sozialen
Gebilden.592
Schwache Beziehungen
Starke Beziehungen
Abbildung 51: Die Stärke der schwachen Beziehungen593
Nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität, definiert durch die Dauer
und den emotionalen Gehalt der Beziehungen, bedingte den höheren Grad der
grenzüberschreitenden Identifikation im Kohlenrevier. Für die längere Dauer der
transnationalen Kontakte waren insbesondere die Grenzpendlerbewegung und der
vermehrte Zuzug der Arbeitskräfte auf die andere Seite der Grenze verantwortlich.
Die grenzüberschreitende Solidaritätsgemeinschaft im Kohlenrevier schuf darüber
hinaus eine positiv belegte, gemeinsame emotionale Basis. Im Gegensatz zum
Kohlenrevier waren die grenzüberschreitenden Kontakte nach dem Beitritt
Luxemburgs
in
den
Deutschen
Zollverein
im
Dreiländereck
verstärkt
konfliktbelastet, was zur Folge hatte, dass die transnationalen Vernetzungen
abnahmen, obwohl die Quantität der grenzüberschreitenden Kontakte nach dem
Beitritt
Luxemburgs
in
den
Deutschen
Zollverein
gleichzeitig
anstieg.
Demgegenüber war der positive Gehalt der grenzüberschreitenden Kontakte im
592
Siehe: Abbildung 43.
593
Darstellung nach: Granovetter, Strength, 1365.
210
Kohlenrevier für die geringen negativen Auswirkungen des Deutsch-Französischen
Krieges auf die dortigen grenzüberschreitenden Verflechtungen verantwortlich.
Neben dem positiven Differenzierungsprozess trug die negative Abgrenzung
zum „Anderen“ zur Formierung des transnationalen „Eigenen“ bei. Die
Abgrenzung folgte dem Verlauf
dreier
Konfliktlinien,
entlang
derer
sich
frankophone und germanophone Bevölkerungsteile, Protestanten und Katholiken
sowie Laizisten und Katholiken gegenüber standen. Alle drei Konfliktfelder
nahmen Züge einer Auseinandersetzung zwischen Grenzraumbewohnern und
deutscher beziehungsweise französischer Nation an.
So entbrannte wegen der Pläne der Regierung im Zweiten Kaiserreich,
Französisch als alleinige Unterrichtssprache durchzusetzten, ein Konflikt zwischen
den germanophonen Grenzraumbewohnern und der Zentralregierung. Auch die
Auseinandersetzung
zwischen
den
deutschsprachigen
Arbeitern
und
den
frankophonen Zechenbeamten - den „français d’interieur“ - zeichnet diese
Opposition nach. Des Weiteren bewirkte der Konflikt zwischen Katholiken und
Laizisten eine deutliche Abgrenzung der Bewohner des Saar-Mosel- Raumes zur
französischen Nation. Auf der Ebene des Konfessionskonfliktes zwischen
Protestanten und Katholiken entlud sich demgegenüber die Opposition der
Grenzraumbewohner zum Deutschen Reich. Die Analyse zeigte, dass diese drei
Konfliktfelder und die damit verbundene Opposition zum nationalen Gebilde ein
konstitutives Element des transnationalen Eigenen darstellten.
Sprache und Konfession, als die beiden bedeutendsten Elemente einer
positiven Identifikation im Grenzraum, bargen gleichzeitig ein Element der
Abgrenzung der Grenzraumbewohner zur französischen und deutschen Nation.
„Wenn die französischen Katholiken in Wahrheit keine wirklich großen Patrioten
wären […], könnten sie bereuen keine Preußen zu sein“.594 So lautet der Kommentar
eines katholischen Journalisten auf die antiklerikalen Maβnahmen der Regierung.
Drastischer fiel die Reaktion eines Buchdruckers auf das Ende des DeutschFranzösischen Krieges aus, indem er einen Friedensbaum absägte und einen Zettel
594
Gazette de Metz et de Lorraine, 3.10.1844: „En vérité si les catholiques de France d’étaient
encore plus véritablement patriotes (…) ils pourraient regretter de ne pas être Prussiens !!“.
211
mit der Aufschrift: „Schöne Empfehlung. So wie es diesen Bäumen ergangen ist, so
gehts auch diesen Jungen, die sie gesetzt haben. Die dem Satan dienen thun,
werden zuerst ergriffen, namentlich die Blauen.“ Mit den „Blauen“ sind, wie der
Artikel die Leser
aufklärt,
die
Protestanten
beziehungsweise die Preuβen
gemeint.595 Der Abgrenzungsprozess zu beiden Nationen äuβerte sich jedoch
meist unspektakulär in einer skeptischen bis kritischen Haltung gegenüber dem
Staat, wie dies beispielsweise in Lothringen während des sardinisch-französischen
Krieges gegen Österreich oder in Phasen verstärkter antiklerikaler Tendenzen
beobachtet wurde.
Die Herausbildung einer regionalen Identität vor dem Hintergrund einer
Abgrenzung zur Nation ist kein spezielles Phänomen des Saar-Mosel- Raumes,
sondern lässt sich in zahlreichen Regionen nachweisen, wie in der Bretagne oder –
ebenfalls ein Grenzraum – dem Baskenland.596 Die Besonderheit des Saar-MoselRaumes besteht dabei im Paradoxon, dass die Opposition zum nationalen Gebilde
ausgerechnet im deutsch-französischen Grenzraum ein konstitutives Element in der
Formierung eines transnationalen „Eigenen“ darstellte. In einem Grenzraum also,
595
Saarbrücker Zeitung, 7.8.1871, 9.8.1871. Ähnliche Zwischenfälle: Ein Bewohner Gersweilers
wurde verurteilt weil er während des Krieges französischen Soldaten ein leer stehendes
Gebäude mit den Worten öffnete: „Da trinkt Branntwein und schießt tüchtig auf die Preußen,
die Großmäuler.“ Er habe sie damit aufgefordert, auf die sich in Burbach aufhaltenden
preußischen Soldaten zu schießen. Saarbrücker Zeitung, 4.10.1870; Ein Bewohner
Zweibrückens wurde verurteilt, da er Hausfriedensbruch in einem Hotel verübt hatten, dessen
Besitzer für „seine deutschen Gesinnung“ bei den Bewohnern „verhasst gewesen sei“.
Darüber hinaus habe sich eine nicht unerhebliche Anzahl der Bewohner Zweibrückens
darüber gefreut, als es den Franzosen gelang, in St. Ingbert einzumarschieren. Saarbrücker
Zeitung, 19.9.1870.
596
Siehe beispielsweise: Lafourcade, Maïté (Hrsg.): La frontière franco-espagnole : lieu de
conflits interétatiques et de collaboration interrégionale. Actes de la journée d’étude du 16
novembre 1996 / Centre d’Etudes Basques de l’Université de Pau et des Pays de l’Adour,
Bordeaux 1998. Fournis, Yann: Les régionalismes en Bretagne. La région et l’Etat (19502000), Bruxelles, Bern, Berlin u. a. 2006. Zum Spannungsverhältnis zwischen regionalen und
nationalen Identitäten siehe auch die Aufsatzsammlung: Haslinger, Peter (Hrsg.): Regionale
und nationale Identitäten. Wechselwirkungen und Spannungsfelder im Zeitalter moderner
Staatlichkeit, Würzburg 2000. Mit der Funktion regionaler Erinnerungskulturen in den
Konflikten um den spanischen Nationalstaat beschäftigt sich die Dissertation Sören
Brinkmanns. Anschaulich zeigt dieser die Diversität regionaler Erinnerungskulturen auf.
Brinkmann, Sören: Der Stolz der Provinzen. Regionalbewuβtsein und Nationalstaatsbau im
Spanien des 19. Jahrhunderts, Bern, Frankfurt a. M. 2005.
212
in dem zwei Nationen aufeinander treffen, deren gegenseitige Feindschaft als ein
konstitutives Element im jeweiligen Nationsbildungsprozess betrachtet wird.597
7.2.
Die Nation. Ein imaginäres Identitätskonstrukt im Grenzraum
Die Ergebnisse dieser Arbeit widersprechen und belegen zugleich die
Forschungsergebnisse der Nationalismusforschung. Auf der einen Seite wurde
nachgewiesen,
dass
der
deutsch-französische
Herausbildung
einer
gelebten
transnationalen
Antagonismus
Gemeinschaft
nicht
im
die
deutsch-
französischen Grenzraum behinderte oder diese Gemeinschaft entzweite. Auf der
anderen Seite zeigte sich, dass in der Selbstzuschreibung der Grenzraumbewohner,
der Abgrenzung zur jeweiligen anderen Nation eine bedeutende Rolle zukam.598
Der Prozess, in dem die nationale Grenze im Saar-Mosel- Raum zur viel
beschworenen „Grenze in den Köpfen“ wurde war langwierig. Vielen
Grenzraumbewohnern war zunächst nicht bewusst, welche Nationalität sie besaβen.
So meinten Teile der preuβischen Bevölkerung in den 1850er Jahren, dass sie von
Geburt- und Rechts wegen Franzosen seien. Besonders die französischen „Maires“
schürten dieses Gerücht, indem sie preuβischen Bürgern, die auf französischem
Boden lebten, die Naturalisierung mit der Begründung verweigerten, dass sie
bereits Franzosen seien.599 Ein preuβischer Gastwirt, der in Lothringen lebte, zeigte
sich sehr überrascht, als er wegen angeblicher demokratischer Gesinnung aus
597
Jeismann, Vaterland, 374ff.
598
Vgl.: Der alleinige Blick auf die (nationale) Grenze in den Köpfen führt zu der
Schlussfolgerung, dass die regionale Identität im Grenzraum als ein „Mikrokosmos“ der
groβen Nationen zu werten ist. Lüsebrink, Grenzziehung, 320. Ebenso ergibt die
Untersuchung der Fremdzuschreibung und Eigenzuschreibung regionaler Traditionen, dass
der Regionalismus in Elsass-Lothringen, im Sinne einer Zugehörigkeit zur deutschen Nation
und zur französischen Nation gedeutet werden kann. Riederer, Günter: Zwischen ‚Kilbe’,
Coiffe’ und Kaisergeburtstag. Die Schwierigkeiten nationaler und regionaler
Identitätsstiftungen in Elsaβ-Lothringen (1870-1918), in: Die Nationalisierung von Grenzen.
Zur Konstruktion nationaler Identität in sprachlich gemischten Grenzregionen, (Hrsg.)
Michael G. Müller, Rolf Petri, Marburg 2002, 109-136, bes. 135. Siehe hierzu auch die
Dissertation Riederers: Riederer, Feiern, 403ff.
LHAK, Best. 403, Nr. 6584: Landratsamtverwalter von Merzig an den Präsidenten der
Rheinprovinz, 18.12.1852.
599
213
Frankreich ausgewiesen wurde. Er war davon ausgegangen, dass er Franzose sei.600
Unklarheit über die nationale Zugehörigkeit der Rheinprovinz herrschte auch bei
zahlreichen französischen Grenzraumbewohnern, die Anfang der 1850er Jahre
davon überzeugt waren, dass die Landkreise zwischen französischer Grenze und
Rhein nur für einen bestimmten, „jetzt verflossenen Zeitraum den deutschen
Regierungen zur Nutznießung überlassen worden seien.“601 Andere Teile der
Bevölkerung waren sich über ihr Untertanenverhältnis im Klaren, richteten ihr
„Nationalgefühl“ jedoch eher nach rationalen, materiellen Gesichtspunkten aus. Als
1852 in der preuβischen Rheinprovinz über die Möglichkeit einer Einverleibung in
den französischen Staat diskutiert wurde, berichteten die Informanten den
Behörden, dass öffentlich über die Möglichkeit einer Angliederung an Frankreich
diskutiert werde. Bei diesen Diskussionen würden sich auch einige „französisch
Gesinnte“ zu Wort melden, welche „die guten alten Zeiten“ mit der französischen
Herrschaftszeit in Verbindung brachten, da während dieser weniger Steuern hätten
gezahlt werden müssen.602 Ebenfalls 1852 konstatierte der Oberpräsident der
Rheinprovinz, dass die Stimmung der Bevölkerung nicht für Frankreich sei, da die
damaligen Zustände wenig Anklang finden würden.603 Es waren hier eher materielle
beziehungsweise pragmatische Argumente, welche die Grenzraumbewohner als
Gründe für ihre „nationale Gesinnung“ anführten.604
Neben dem Nichtwissen um die nationale Zugehörigkeit und der eher
pragmatischen Sicht einiger Bevölkerungsteile auf das „Nationalgefühl“, beweisen
600
601
602
LHAK, Best. 403, Nr. 6584: Landratsamtsverwalter von Merzig an den Oberpräsidenten,
10.1.1853.
LHAK, Best. 403, Nr. 6584: Landrat von Saarbrücken an den königl. Oberpräsidenten der
Rheinprovinz, 18.12.1852.
LHAK, Best. 403, Sig. 6584: Landratsamtsverwalter von Merzig an den Präsidenten der
Rheinprovinz, 10.12.1852.
603
LHAK, Best. 403, Nr. 17986: Wochenbericht der Polizeidirektionen (Trier), 18.12.1852. Ein
ähnliches Beispiel: Saarbrücker Zeitung: 30.7.1880: Eine Bäuerin äuβerte sich zu der
Annexion folgendermaβen: Sie meinte, dass man merken würde, „dass wir jetzt preußisch
sind. Man sieht es am Steuerzettel.“
604
Eine ähnlich rationale Sicht auf die Nation hatte Peter Sahlins in seiner Untersuchung über
den Nationsbildungsprozess im französisch-spanischen Grenzraum festgestellt. Hier benutzten
die Gemeinden die Hilfe der staatlichen Herrschaftsträger, um ihre lokalen Interessen
durchzusetzen. Sahlins, Boundaries.
214
die
Reaktionen
anderer
Bevölkerungsgruppen
auf
auβenpolitische
Konfliktsituationen, dass der Faktor „Nation“ als Element der Selbstzuschreibung
bereits in den 1850er Jahren im Grenzraum an Bedeutung gewonnnen hatte.
Während der kriegerischen Auseinandersetzungen der 1850er Jahre ereigneten sich
vereinzelt
Streitigkeiten
zwischen
lothringischen
und
deutschen
Grenzraumbewohnern, die zwar eher harmlose Sticheleien waren, die jedoch
zeigen, dass bei auβenpolitischen Krisen die vorgestellte nationale Gemeinschaft
mit der gelebten transnationalen Gemeinschaft in einen Widerspruch geriet, ohne
aber die Intensität des transnationalen gelebten „Eigenen“ merklich negativ zu
beeinflussen.
Erst der Deutsch-Französische Krieg wirkte sich negativ auf den Umfang
des transnationalen Identifikationsraumes aus und lieβ die nationale Grenze
deutlicher als trennendes Element zwischen Deutsche und Lothringer treten. Indem
der Grenzraum zum Kriegsschauplatz wurde, transformierte sich während der
Dauer des Krieges die vorgestellte nationale Gemeinschaft zu einer real gelebten
Gemeinschaft. Die These, dass der Einfluss des Krieges 1870/71 zur Herausbildung
eines deutsch-französischen Antagonismus führte, ist dennoch zu differenzieren.
Trotz der Abnahme des transnationalen Identifikationsraumes im ländlichen Raum,
war dessen Ausmaβ im Saar-Mosel- Raum auch nach dem Krieg 1870/71
beachtlich. Die deutsch-französische Feindschaft hatte auch nach dem Krieg
1870/71 im Grenzraum einen „Attrappencharakter“ ohne Bezug zur Realität. Eben
weil der Antagonismus zwischen den beiden Nationen unabhängig von der Realität
war und weil die Feindschaft zur anderen Nation in einem imaginären, nicht
gelebten Raum trotz gegenteiliger Eigenerfahrung existieren konnte, blieb die
« Nation » ein dauerhaftes Identifikationselement der Grenzraumbewohner.605
Obwohl die pro- französische Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts bereits die
Reaktionen der lothringischen Grenzraumbewohner auf den Ausbruch des Ersten
Weltkrieges erahnen lieβ, zeigten sich die deutschen Besatzer sichtlich von der pro-
605
Vgl.: Greverus, Grenzen, 23. Im Gegensatz zu Greverus zeigt diese Arbeit, dass der
„Attrappencharakter“ des nationalen Freund-Feindes- Bildes trotz gegenteiliger
Eigenerfahrung existierte.
215
französischen Haltung der Bevölkerung nach Kriegsausbruch überrascht.606 Das
dichte Netzwerk transnationaler Beziehungen und die fortschreitende Integration
der Eingewanderten in die lokale Gesellschaft hatten die Besatzer über die
Beständigkeit der vorgestellten nationalen Gemeinschaft hinweggetäuscht.
Aber nicht nur die Nation als Element der Identifikation bewies seine
Langlebigkeit, auch der transnationale Identifikationsraum ist während und nach
dem Ersten Weltkrieg weiterhin nachweisbar. So fand 1915 in Stiring-Wendel eine
Fronleichnamsprozession unter groβer Beteiligung der Bewohner der benachbarten
preuβischen Ortschaften statt.607 Neben den weiterhin greifenden positiven
Differenzierungsmechanismen, begründete die Kontinuität des latenten Konfliktes
zwischen Grenzraum und Nation den weiteren Bestand des transnationalen
Identifikationsraumes im Grenzraum. Wieder in den französischen Staat
aufgenommen, organisierten sich die lothringischen Katholiken mit Erfolg, um das
konfessionelle Schulsystem beizubehalten, das sie durch die laizistische
Gesetzgebung in Frankreich bedroht sahen.608 Neben dem Konflikt zwischen
Laizisten und Katholiken entbrannte direkt im Anschluss an den Ersten Weltkrieg
im lothringischen Kohlenrevier erneut die Auseinandersetzung zwischen den
französischsprachigen Vorgesetzten – den „français d’interieur“ - und den
deutschsprachigen lothringischen und saarpreuβischen Bergarbeitern. Ende 1918
bis September 1919 kam es hier zu mehreren Streiks, in denen die lothringischen
und
deutschen
vorgenommenen
Bergarbeiter
Austausch
gemeinsam
der
gegen
deutschsprachigen
den
nach
Kriegsende
Führungskräfte
durch
französischsprachige protestierten.609
606
Roth, Lorraine, 597.
607
Forbacher Bürger-Zeitung, 8.6.1915.
608
Roth, Lorraine, 671.
609
Schill, Pierre: Le mouvement ouvrier dans les mines de charbon de moselle au lendemain de
la Grande guerre (1918-1919), in: Cahiers Lorrains, 2 (1999) 203-232.
216
7.3.
Die
inszenierte
Grenze.
Der
saarländisch-lothringische
Grenzraum heute
Was ist von dem grenzüberschreitenden Identifikationsraum des 19. und
beginnenden 20. Jahrhunderts übrig geblieben, beziehungsweise wie hat sich dieser
bis in die Gegenwart entwickelt? Sprache und Religion sind nur noch bedingt
Elemente einer grenzüberschreitenden Identifikation. Resultat der französischen
Sprachpolitik der letzten Jahrzehnte ist, dass immer weniger Lothringer den
germanophonen Dialekt sprechen. In den Schulen kann die Sprache des Nachbarn
lediglich als Fremdsprache erlernt werden, sodass die Muttersprache der jüngeren
Generation der Grenzraumbewohner nun die jeweilige Nationalsprache ist.610 Auch
die katholische Konfession hat mit dem allgemeinen Bedeutungsverlust der
religiösen Praktiken im Alltag der Grenzraumbewohner ihre integrative Wirkung
eingebüßt. Mit der Schließung der letzten Zeche „La Houve“ bei Creutzwald und
dem Ende der französischen Kohleförderung fehlt in der Gegenwart ein weiteres
konstitutives Element des grenzüberschreitenden Identifikationsraumes der hier
untersuchten Epoche.611 Die aktuellen grenzüberschreitenden Verflechtungen
deuten das Fehlen neuer Elemente der Identifikation an, indem diese weniger die
affektive Verbundheit zum Nachbarn, sondern vor allem die Strukturgefälle im
Grenzraum widerspiegeln.612
610
So titelt ein Artikel der Saarbrücker Zeitung » „manchmal mit Händen und Füβen“: Schüler
aus Groβrosseln machen mit Freunden aus Petite-Rosselle „grenzenlosen“ Unterricht «,
Saarbrücker Zeitung, 5.5.1998. Um die Möglichkeiten grenzüberschreitender Kommunikation
zu verbessern, wird immer stärker die Förderung des germanophonen Dialektes propagiert
und der bilinguale Unterricht gefördert. Beispielsweise koordiniert der Generalrat des
Departements Moselle den Austausch von Erzieherinnen zwischen den französischen écoles
maternelle und den deutschen Kindergärten und unterstützt die Gründung zweisprachiger
Schulen. Kulturveranstaltungen, wie das Festival „Mir redde Platt“, das seit 1998 jährlich in
Sarreguemines stattfindet, versuchen den deutschen Sprachgebrauch lebendig zu halten.
611
Museen auf beiden Seiten der Grenze versuchen diesen Teil der gemeinsamen Erinnerung für
die folgende Generationen greifbar zu machen. Das Bergbaumuseum, La mine. Musée du
Bassin Houllier Loraine in Petite-Roselle und die Völklinger Hütte sind in diesem Bereich die
Vorzeigeprojekte der Grenzregion.
612
Wille, Christian: Des travailleurs sans frontières: L’exemple de la grande région SaarLorLux,
in: Documents : revue du dialogue franco-allemand, 21 (2006), 20-24. Wille, Christian;
Kuntz, Lothar: Im eigenen Land wohnen, beim Nachbarn arbeiten? Komplexität und
Vielschichtigkeit des Grenzgängerwesens in der Groβregion am Beispiel deutscher
217
Mit der allgegenwärtigen Inszenierung und Thematisierung der Grenze
beziehungsweise der Grenzsituation, nicht im Sinne einer Inszenierung als
Nationalsymbol, sondern im Sinne einer Aufwertung als Zeichen für die Diversität
und Andersartigkeit der Grenzregion,613 wird in der Gegenwart paradoxerweise vor
allem die „Grenze ansich“ zum Element einer grenzüberschreitenden Identifikation
hochstilisiert. Möchte man daher gegenwärtig von einer Grenzraumidentität
sprechen, basiert diese weniger auf religiösen, sprachlichen Gemeinsamkeiten oder
einer Abgrenzung zum Nationalstaat, sondern auf dem Wissen um die Eigenart,
„auf der Grenze zu Hause“ zu sein.614
Grenzgänger und von Grenzgängern mit Wohnsitz in Deutschland, in: Dimensions socioéconomiques de la mobilité transfrontalière : actes du séminaire transfrontalier EURES-OIE;
organisé les 14 - 15 mars 2005 à Luxembourg-Kirchberg (Hrsg.) European Employment
Services, Luxemburg 2006, 47-55. Mit dem geringen Integrationsgrad der nach Lothringen
gezogenen Saarländer beschäftigt sich: Ramm, Saarländer, 110ff.
613
614
Zur Inszenierung der Grenze als Nationalsymbol siehe: Talkenberg-Bodenstein, Grenze,
466ff. Beispiele einer Inszenierung der Grenze als Ort der grenzüberschreitenden
Identifikation. Das interregionale Kunstprojekt „hArt an der grenze – Art sur la frontière“.
″Institutionalisierte Grenzüberschreitungen″ finden während des „Warndt-Weekends“, das seit
dem Jahr 2000 alljährlich von beiden Seiten der Grenze organisiert wird, und während der
Radtour „Vélo SaarMoselle“ (ebenfalls seit 200O) statt. Die mehrtägige grenzüberschreitende
Radtour „VéloVaration“ mit Musik und Kulturpräsentation an ausgewählten Orten wird seit
2007 veranstaltet. Ebenfalls symbolischen Charakter haben die in Luxemburg, Lothringen und
dem Saarland stattfindenden Redaktionssitzungen der angehenden Journalisten des Saar-LorLux Zeitungsprojektes „Extra“.
In Anlehnung an den Titel „Nur auf der Grenze bin ich zu Hause“ einer Aufsatzsammlung des
saarländischen Schriftstellers, Dramatikers und Liedermachers, Alfred Gulden.
218
219
220
8.
Quellen und Literaturverzeichnis
8.1.
Ungedruckte Quellen
Archives départementales de la Moselle
Bestand M: Administration générale du département de la Moselle
58 M 1-3
61 M 1/2
62 M
100 M 1-2
101 M 2
102 M
103 M
104 M
106 M 1
106 M 2
106 M 3
109 M
179 M
182 M
183 M
185 M 1-2
186 M
187 M
227 M 262 ff M
262 M 2
264 M 2
266 M
271 M
279 M 1
Bestand N: Administration et comptabilité départementale
1 N 48 ff
8 N 9-11
Bestand O: Administration et comptabilité communales
2 Op 1ff
Bestand P: Finances/Douanes
6P1
6P2
6P8
Bestand 13 Z: Direction du cercle de Forbach
13 Z 1
13 Z 13
13 Z 14
13 Z 15
13 Z 37ff
13 Z 45
13 Z 57
13 Z 58
13 Z 61
13 Z 62
13 Z 63
13 Z 69
13 Z 122
13 Z 127
13 Z 120
13 Z 139-142
221
Bestand J: Fonds de l'évêché de Metz
29 J 189
29 J 357
29 J 412
29 J 414
29 J 415
29 J 444
29 J 506
29 J 507
29 J 523
29 J 627
29 J 635
29 J 662-666
29 J 743
Bestand AL: Fonds de la Présidence de Lorraine
2 AL 89
2 AL 102
2 AL 159-162
2 AL 168
3 AL 1 (1-4)
3 AL 2 (5-7)
3 AL 263
3 AL 275
3 AL 313
3 AL 410-414
3 AL 417
3 AL 420
3 AL 428
3 AL 434-435
3 AL 436
3 AL 440-442
3 AL 460
3 AL 463
3 AL 465
3 AL 468
3 AL 473-476
3 AL 480
3 AL 500
7 AL 1
7 AL 11-17
7 AL 72
7 AL 269
7 AL 270
7 AL 273
7 AL 275
Bestand V: Cultes
1 V 27
1 V 30
1 V 38
1 V 145
222
7 AL 289
7 AL 322
8 AL 13
8 AL 76-78
8 AL 83-85
8 AL 197
8 AL 227
8 AL 336-138
8 AL 350-353
10 AL 74
11 AL 1-3
12 AL 258
12 AL 278
21 AL 112
21 AL 114
Archives départementales du Bas-Rhin
Im ADBR sind die Aktenbestände lediglich über Abgabelisten erschlossen: Es
wurden die Aktenbestände des Büros des Statthalters und der Bezirksregierung
Unterelsass ausgewertet.
5 AL 7.1
14 AL 107
29 AL 10
27 AL 226
27 AL 577
71 AL 8
71 AL 9
87 AL 400
86 AL 5612
247 D 69
Archives des Houillères du Bassin de Lorraine
Bestand: Vers. 440 Registre du personnel
Bistumsarchiv Trier
Abt. 91: Nachlass Korum
BAT, Abt. 91, Nr. 249a
Abt. 70: Pfarrakten
BAT, Abt. 70, Nr. 710
Landesarchiv Saarbrücken
Bestand: Landratsamt
1
2
4
6
170
338
339
343
804
1792
1797
1802
1807
1831-1838
1842
223
Landeshauptarchiv Koblenz
Bestand 403: Oberpräsidium der Rheinprovinz
145
178
2083
2177
2202
6575
6584
6780
6781
7006-7011
7014
8774
15722
15723
224
16005
16006
16220
16689
18110
18111
Bestand 442: Regierungsbezirk Trier
6
7
1175
1423-1425
1492
1493
3380
3422
3440
3760
3776
3783
3792
3809
3810
4138
4157
4169
4221
4244
4249
4250
4254
4256
4276
4304
4307
4371
4380
4386
4390
4402
4408
4420
4435
4445
6204
6383
6386-6389
6425-6427
6439
6442
6557
10212
17964
225
8.2.
Periodische Publizistik
Archives départementales de la Moselle
Courrier de la Moselle
1851
1855
1859
1863
1867
1869
1870
1871
1872
1876
1880
1889
1893
1897
1901
1901
1905
1910
Diedenhofener Zeitung
1872
1876
Forbacher-Bürgerzeitung
1904
1906
1908
1910
Forbacher Zeitung
1872
1873
1881
1885
Gazette de Lorraine
1876
Gazette de Metz et de Lorraine
1844
226
Siercker Anzeiger
1891
1894
1897
1900
1905
1906
Le Vœu National. Écho du Pays Messin
1855
1860
Saarländische Universitäts- und Landesbibliothek
Saarbrücker Zeitung (Vorgänger: Saarzeitung 1848-Sept. 1860)
1851
1855
1859
1863
1867
1869
1870
1871
1872
1876
1880
1881
jeder vierte Jg. bis
1910
227
Saar-Zeitung (Saarlouis)
1875-1878
St.-Johanner Volkszeitung
1877
1878
1907
Bibliothek des Ruhrgebiets
Der Arbeiter. Organ des Verbandes der katholischen Arbeiter-Vereine (Sitz Berlin)
1909-1912
Westdeutsche Arbeiter-Zeitung.
Arbeitervereine Westdeutschlands
1905-1909
Organ
Archives municipales de Sarreguemines
Saargemünder Zeitung
1874
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259
9.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Der saarländisch-lothringische Grenzraum……………….. 13
Abbildung 2: Die Staatsgrenze 1815 und 1871………………………….. 16
Abbildung 3: Aktionsraumtheorie……………………………………….. 23
Abbildung 4: Deutsch-französische Sprachgrenze Anfang des 20. Jhd…. 40
Abbildung 5: Untersuchte Orte: Heiratsverhalten……………………… 61
Abbildung 6: Anzahl der binationalen Eheschlieβungen im
ländlichen Raum................................................................... 64
Abbildung 7: Anzahl der binationalen Eheschlieβungen in der
Industrieregion………………………………………….
64
Abbildung 8: Entfernung der untersuchten Orte zur
preuβisch- französischen Grenze und der
Anteil binationaler Ehen…………………........................... 67
Abbildung 9: Entfernung der untersuchten Orte zur luxemburgischen
Grenze und der Anteil binationaler Ehen…………………. 68
Abbildung 10: Binationale Ehen in Creutzwald………………………… 69
Abbildung 11: Binationale Ehen in Lauterbach…………………………… 69
Abbildung 12: Binationale Ehen in Ludweiler……………………………. 69
Abbildung 13: Binationale Ehen in L'Hôpital/Carling……………………. 70
Abbildung 14: Binationale Ehen in Groβrosseln………………………… 70
Abbildung 15: Binationale Ehen in Merten-Bibling………………………. 70
Abbildung 16: Binationale Ehen in Morsbach…………………………….. 71
Abbildung 17: Binationale Ehen in Schoeneck…………………………… 71
Abbildung 18: Binationale Ehen in Stiring-Wendel………………………. 71
Abbildung 19: Religionszugehörigkeit der binationalen Paare:
Montenach…….................................................................... 73
Abbildung 20: Binationale Ehen in der Industrieregion.
1830 und 1850-1890…......................................................... 76
260
Abbildung 21: Binationale Ehen im ländlichen Raum.
1830 und 1850-1890…......................................................... 76
Abbildung 22: Herkunft der Ehepartner. Über vier Stunden Fuβweg
zwischen Geburts- und Wohnort / Land………………… 78
Abbildung 23: Herkunft der Ehepartner. Über vier Stunden Fuβweg
zwischen Geburts- und Wohnort / Industrie………………. 78
Abbildung 24: Binationale Ehen in Borg………………………………… 79
Abbildung 25: Binationale Ehen in Eft……………………………………. 80
Abbildung 26: Binationale Ehen in Grindorff……………………………. 80
Abbildung 27: Binationale Ehen in Kirsch-lès-Sierck……………………. 80
Abbildung 28: Binationale Ehen in Montenach…………………………… 81
Abbildung 29: Binationale Ehen in Perl………………………………… 81
Abbildung 30: Binationale Ehen in Oberdorff…………………………….. 81
Abbildung 31: Binationale Ehen in Tettingen…………………………… 82
Abbildung 32: Nationalitätenverteilung der binationalen Ehen.
Tettingen (1810-1829)…………………………………….. 83
Abbildung 33: Nationalitätenverteilung der binationalen Ehen.
Tettingen (1830-1849)……………………………………. 83
Abbildung 34: Nationalitätenverteilung der binationalen Ehen.
Tettingen (1850-1869)…………………………………… 83
Abbildung 35: Binationale Ehen in der Industrieregion 1870-1890……… 85
Abbildung 36: Binationale Ehen im ländlichen Raum 1870-1890………... 85
Abbildung 37: Herkunft eines Ehepartners aus einer Entfernung über
100 km vom Wohnort…………………………………… 89
Abbildung 38: Beruflicher Hintergrund der Ehemänner.
Ländlicher Raum (1850-1869)…………………………… 93
Abbildung 39: Beruflicher Hintergrund der Ehemänner.
Ländlicher Raum (1870-1890)……………………………. 93
Abbildung 40: Beruflicher Hintergrund der Ehemänner.
Industrieregion (1850-1869)……………………………… 93
Abbildung 41: Beruflicher Hintergrund der Ehemänner.
Industrieregion (1870-1890)………………………………. 93
Abbildung 42: Das saarländisch-lothringische Steinkohlenrevier………… 108
Abbildung 43: Reichstagswahlergebnisse 1893 (nach Wahlkreisen)…… 127
261
Abbildung 44: Reichstagswahlergebnisse 1898 (nach Wahlkreisen)…….. 127
Abbildung 45: Reichstagswahlergebnisse 1903 (nach Wahlkreisen)…….. 128
Abbildung 46: Reichstagswahlergebnisse 1907 (nach Wahlkreisen)…….. 128
Abbildung 47: Reichstagswahlergebnisse 1912 (nach Wahlkreisen)…… 129
Abbildung 48: Untersuchte lothringische Orte: Vereinswesen…………… 144
Abbildung 49: Mitgliederzusammensetzung Kriegervereine…………… 148
Abbildung 50: Grenzüberschreitende Pfarrbezirke………………………. 179
Abbildung 51: Die Stärke der schwachen Beziehungen………………… 210
262
10.
Abkürzungsverzeichnis
ADBR
Archives départementales du Bas-Rhin
ADM
Archives départementales de la Moselle
AHBL
Archives des Houillères du Bassin de Lorraine
LAS
Landesarchiv Saarbrücken
LHAK
Landeshauptarchiv Koblenz
263
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